Ein Mann, den Gott liebt

Florian Traidmann hieß das kleine, schwächliche Bäuerlein das so flink auf den Wegen dahinschusselte, wie einst vor Jahren, aber nimmer so gerade, denn das Alter hatte ihm nach und nach mit schwerer Hand den Rücken ganz vornüber gedrückt; dabei geschah es auch, daß es ihm über seinem dunkelbraunen, wirren Schopf strich und alle Haare wegfegte, bis auf einen dünnen Kranz, der um den Hinterkopf herum von einer Schläfe zur anderen lief; durch seinen spitzen Schädel bekam sein Gesicht das Ansehen eines Eies, das mit dem breiten Ende nach unten stand; über dem derben Kinne und zwischen den beiden mächtigen, ganz gefräßig und zermalmig.aussehenden Kinnladen befand sich das große wulstlippige Maul, ober dem die kurze, plattgedrückte Nase und beidseitig an deren Wurzel blinzten zwei Grauäuglein ohne Wimpern doch fast ganz von den buschigen Brauen verdeckt.

Der Alte kannte keinen anderen Gruß als “Gelobt sei Jesus Christus”; Beicht-, Bitt- und Kirchgänge, sowie das “Kirfürten” schienen ihm gleichermaßen zur Leidenschaft wie zum Bedürfnisse geworden zu sein, und das nicht erst in seinen alten Tagen. Leute, die mit ihm alterten, besannen sich gar wohl, daß der Traidmann-Florl eine wilde Bubenzeit verbrachte. Daß man ihn damals durchaus nicht in dem “Stande der Gnade” befindlich erachtete, erhellt wohl deutlich genug aus dem Umstande, daß man ihn verdächtigte, einem Burschen, der ihm zuerst bei einer Dirne, dann bei einer Bäuerin “ins Gäu gegangen war”, auf einer Kirchtagrauferei das Messer in den Leib gerannt zu haben. Der Verletzte starb, ohne das Bewußtsein zu erlangen, und gegen den mutmaßlichen Täter fehlte jeder Beweis.

Des Traidmann-Florl Ein- und Umkehr erfolgte erst, als er selbständig wurde. Von seinem Vater, der ein großer Scharrer und Sparer war, erbte er allerdings nur ein kleines Anwesen, aber eine große Anzahl von Schuldscheinen; der Mann half, als guter Christ, allen und jedem im Orte, wenn auch zu unchristlichen Perzenten. Hatte es den Traidmann-Florl, als er sich zum Militär abstellen sollte, schon einigermaßen stutzig gemacht, daß Engbrüstigkeit und Plattfüße eine Gabe und Gnade von Gott seien, um wieviel mehr mußte er befangen werden, nachdem er sein eigener Herr geworden, als Mißjahre eintraten; Mißjahre, die bei seinem geringen Besitzstande keinen Ausschlag gaben, aber seine Schuldner so gründlich ruinierten, daß er deren Grund und Boden billig an sich bringen konnte; kaum aber hatte er die fremden Acker und Wiesen im Besitz, so kamen die ergiebigsten Zeiten, und er hatte drei- und vierfachen Gewinn. Als reicher Bauer heiratete er eine reiche Bauerndirne, und nach zweijähriger Ehe, nachdem ihm ein Kind geboren ward, kam die Cholera ins Land; nicht ihn nahm die Epidemie hinweg, sondern sein Weib; nach der Mutter erbte das Kind, und ein Jahr danach starb auch dieses, und nach dem Kinde erbte er das ganze Besitztum; das war ja doch lauter Gnade von Gott, denn wie leicht wäre es diesem gefallen, ihn sterben zu lassen; von da an wurde der Traidmann-Florl nachdenklich; er fühlte sich als den Mann, den Gott liebt, und sich demnach verpflichtet, Gott auch alles, was möglich, zu Gefallen zu tun daher kennt er keinen anderen Gruß, als Gelobt sei Jesus Christus”, und darum fehlt er bei keinem Kirchgang, läuft bei allen Bittgängen, möge es sich um Sonnenschein oder Regen handeln, mit, und geht alle Ostern zur Beichte, und ist an der Kirchtüre die Aufforderung zu einer Wallfahrt angeschlagen, so schließt er sich derselben an.

Daß ihn Gott vor vielen andern bevorzuge, galt dem Traidmann-Florl für ausgemacht, und er war nicht der Mann, über so ausgemachte Dinge zu grübeln und etwa der Veranlassung nachzufragen, welche er dafür gegeben oder Gott dazu genommen habe, daß sich ein derart erfreuliches Verhältnis zwischen ihnen beiden entspann; es genügte ihm die Tatsache, daß ihn Gott gern hatte und es nie an ersichtlichen Beweisen daran hatte fehlen lassen. Als er damals vom Notar mit den Papieren zurückkehrte, die ihm das Erbe seines verstorbenen Kindes einantworteten, hatte er, wie bereits bemerkt, seine nachdenkliche Stunde; da war er wie er sich ausdrückte, Saul auf dem Wege nach Damaskus, denn an biblischer Sprechweise und Spruchanwendung fand er großes Behagen.

Ihrer neun lebende Kinder waren im Hause seiner Eltern gewesen, keinem außer ihm gönnte der liebe Gott das Dasein, alle verstorben, er allein blieb aufbehalten, zu verzehren, was die Alten zusammen erafft und erwuchert; frei ging er vom Militärdienst aus; nicht ihm, sondern dem Preisler-Franzl war es bestimmt, bei der Kirchtagrauferei die Messerklinge in den Leib zu kriegen, und die Mißjahre, durch welche Gott mit dem Stabe “Wehe” die anderen züchtigte, waren für ihn der Stab “Sanft”, mit dem er zur hellen Quelle des Reichtums geleitet wurde, damit er sich dort in vollen Zügen tränke, und dann bekam er die reichste Bauerntochter im Dorfe zum Weibe, und nach zwei Jahren, eben als es allmählich den Anschein gewann, als hätt’ er sich mit dieser seiner Bäuerin selbst eine Rute auf den Rücken gebunden, brach die böse Seuche aus, die in jedem Hause zusprach, und nahm ihm die Marie-Lies hinweg, doch nicht, ohne daß diese gerade zuvor in die Wochen gekommen war und ein Kind hinterlassen hatte, so daß ihm der qualvolle Wunsch erspart blieb, sie behalten zu wollen, um ihr Heimgebrachtes nicht zu verlieren; er konnte sie verlieren und dieses behalten, ja, es blieb ihm bald ganz zu freier Verfügung, als das Kind kurz darauf seiner Mutter in den Tod folgte. Betrachtete er, wie sich alles immer und rechtzeit, und stets zu seinem Besten geschickt und gefügt hatte, so mußte er das Einsehen gewinnen, daß Gott ihn gern habe, und danach sich auch gegen Gott verhalten; er betrachtete diesen als seinen himmlischen Vater und hielt es mit ihm, wie alle braven Söhne es mit ihren irdischen Vätern zu halten pflegen, er erwies ihm alle gebotene Aufmerksamkeit, und was denselben etwa zu ärgern vermocht hätte, das tat er ihm nicht unter den Augen, und was nicht zu verheimlichen angehen wollte, das sühnte er durch nachträgliche Zerknirschung und laut kundgegebene Reue.

Er war nicht lange Witwer geblieben, denn er fühlte sich nicht stark genug, dem Saul über Damaskus hinaus als ein anderer Paulus zu folgen und ehelos zu bleiben, und da für diesen Fall der Apostel selbst den Schwachen zur Ehe rät, so war Traidmann der letzte, der solchen guten Rat zurückgewiesen hätte. Er heiratete also zum zweitenmal, “zur Buß’ seiner Sünden”, wie er sagte, die Leute meinten aber, er fasse das gar sehr vom umgekehrten Ende an; die neue Traidmannin war ein bildsauberes Geschöpf, zwar blutarm, aber dafür ganz unvernünftig unterwürfig, und sie war es eigentlich, die alle ihre Sünden in solchem Ehestand mit dem rechthaberischen alten Gottesliebling abbüßte, während er es wohl zufrieden sein konnte, nach der Reichsten nun auch die Schönste im Dorfe zu eigen zu haben, die noch dazu auf den Wink ging und auf dein Pfiff kam. Die Kinder, welche sie zur Welt brachte, arteten leiblich und geistig nach ihr, und der Traidmann mochte sich seiner Häuslichkeit mit Recht berühmen.

Der unsaubere, höckerige Alte, der jetzt auf den Wegen einherschusselt, mit Gebetbuch und Rosenkranz als steten Begleitern, ist in seinem Hause der Gegenstand der Pflege und Sorge von seiten einer fast fürchtenden Gattin und ein paar gutmütiger, braver Burschen und Dirnen. Diese fünfe lassen ihm alles gerade sein.

Dem Alten ist es daher nicht schwer gefallen, bei der Überzeugung zu beharren, daß ihm von Geburt an Gott gut gewesen sei und auch bis zum Ende bleiben werde, und die Frist bis zu diesem Ende wünscht er immer nur um “so a zwanz’g Jahrl’n halt noch” verlängert; das äußerte er an seinem fünfzigsten und sechzigsten Geburtstage, er wird es demnächst an seinem siebzigsten tun und am achtzigsten, wenn er ihn erlebt, nicht unterlassen; denn das Ende ist seiner Anschauung nach wirklich das Ende und kann daher nicht leicht für lange genug hinausgeschoben werden.

Wenn er in allen anderen Punkten der ganz untertänigste und gläubigste Diener des Herrn Pfarrers ist, in dieser Beziehung hat er seine eigene Meinung, und wenn er ihr auch nur durch Kopfschütteln und Achselzucken Ausdruck gibt. Er läßt sich von einem anderen Leben viertelstundenlang vorreden, ohne eine Miene zu verziehen, dann aber, am Schlusse der Rede des Hochwürdigen, reckt er die Rechte mit einer ganz unnachahmlichen Gebärde von sich, als wäre sie der ausgereckte Arm eines verfallenen Wegzeigers, der ins Blaue weist, und dabei sieht der alte Sünder selber wie der fleischgewordene Zweifel aus.

Was hat es sich der gute Seelenhirte für Zeit und Mühe kosten lassen, bei diesem sonst so gefügigen Stücke seiner Herde den Unglauben an ein Hauptstück christlicher Lehre zu bekämpfen. Es hat nichts gefruchtet. Einmal faßte er den alten Traidmann, dessen dankbare Empfindungen gegen den himmlischen Wohltäter nicht zu bestreiten waren, bei der Gefühlsseite an, und fragte ihn, ob er denn nicht das Verlangen verspüre, seinen gütigen überirdischen Vater von Angesicht zu Angesicht zu sehen?

“Dös schon”, meinte der Fromme, “wann’s leicht sein kunnt’ und möglich war, daß mer dabei mit ihm alloan sein tät’ und bleib’n möcht’! Aber so kam ja all das Menschweri (Menschenwerk), mit dem mer im Leb’n z’tun g’habt hat, a dazua, und ich mag koan solch’s begegnen, ich!”

Was ihm ein solches Begegnen unangenehm machen konnte, oder was es ihn fürchten ließ, darüber sprach er sich nicht aus; da er aber doch nicht vermessen genug war, zu hoffen, Gott werde in einer Ewigkeit unter drei Augen – Gott hat nur eines, wie man oft aufgemalt sieht – den Himmel mit ihm teilen, so schloß er den letzteren, um unliebsamen Begegnungen auszuweichen, einfach zu, steckte den Schlüssel ein und verlor ihn aus der Tasche.

Einmal hätte er sich nahezu einem fabulierenden Freigeiste gefangen gegeben, der sehr einleuchtend davon zu reden wußte, daß die Seelen der Verstorbenen auf den Sternen sich ansiedelten und daher eine Gefahr des Wiederfindens ziemlich ausgeschlossen erscheine, aber der kluge Traidmann erklärte bald, daß er auch davon nichts wissen wolle, “denn was möcht’ mer denn a af so oan Stern onfonga, worauf mer sich doch gar koan kloan bissel auskenna kinna kunnt’?”

So blieb er denn auf seinem Wunsche bestehen, “so a zwanz’g Jahrl’n halt noch”, und wird darauf bestehen bleiben, und wenn er hundert alt würde; das ist auch gar nicht so unbescheiden für einen Mann, den Gott gern hat, wofür ja auch diesem der Traidmann, soviel nur möglich, zu Gefallen lebt und oft genug vor dem Pfarrer erklärt: “Er wär’ sein’ Tag, mit koan’m Menschen lieber umgangen, als mit ‘m lieben Herrgott’n, und der wär’ völlig ihm gleich, wie er selber!”

Vom Hanns und der Gretl

Dort, wo der Wald niedergeht und ein Spitz wie eine Nasen ins Land streckt, dort is vor undenklichen Zeiten einmal a Häusel g’standen, drin hat a kluge Frau gewohnt. ’s liegen dort in der Näh’ drei Dörfer, die warn in der Zeit, von der ich red’, auch schon da, ’s mag ’s eine mehr Häuser g’habt haben, als das andere, ’s eine mag mit der Zeit von der Straß’ z’ruckgangen sein, und ’s andere bis hervor zu ihr, das macht nix. – Den Ortern geht’s wie den Leuten, sie versterben und lassen eins dahinter, das ihren Nam’ fortführt und ist kein Brösel von ihnen selber mehr auf der Welt, als was so das Kind von ihnen überkommen hat; so ist wohl wenig mehr von dö alten Dörfer da, als daß neue Höf’ stehen an der Stell’, wo einmal die alten gestanden sind, und ein oder der andere Stein mit hinein vermauert ist. Na, so war’s halt, auf der Waldnasen hat die weise Frau g’haust und rundum waren drei Dörfer, in ein Dorf war ein Knecht, der hat Hanns g’heißen, in andern a Dirn, die hat Gretl g’heißen, und in der Mitten is das dritte Dorf g’legen. Das dritte Dorf war das reichste, und ’s hat oft dort im Wirtshaus Tanz und Unterhaltung geb ’n und da hat der Hanns die Gretel kennen g’lernt, all zwei warn arme Teufeln, hätten gern g’heirat, aber haben’s immer überlegt, müßt’ amal a Glück kommen, daß sie’s riskier’n könnten, haben s’ denkt. ’s Glück is jahrlang ausblieben, sie sein d’ Jahr’ lang miteinander gegangen, und da haben s’ halt die Leut’ – ihr müßt es nit in Übel aufnehmen, aber die Leut’ warn allemal so boshaftig und nixnutzig wie heut – da haben s’ halt die Leut’ auch die »ewig Liebsleut’« g’nennt.

Einmal aber nimmt sich der Hannsl ein Herz und sagt, sie könnten doch auch die weise Frau um Rat frag’n, denn warum net? Viele haben’s schon getan, kein’m seine Sach’ wär’ dadurch schlechter word’n, im Gegenteil hätt’ sie bei den mehrern den Nagel auf ’n Kopf g’troffen – na und so –freilich warum denn nit?

Freilich, meint die Gretl, ein rechter Rat wär’ doch immer was Rechts, und wann s’ einem zu was Waghalsigem verleiten wollt’, müßt’ man’s ja doch nit tun und könnt’s bleiben lassen. Und so viel wird’s ja auch nit kosten und es wird zum derschwingen sein.

Richtig, kosten wird’s auch was, meint der Hanns. Umsonst ist der Tod, und der kost’s Leben – leben will so a kluge Frau doch auch, und wann man s’ verhungern ließ, tät’ man völlig allen guten Rat im ganzen Gau aushüngern. Wird net so viel sein. Ihr guter Rat tät’ doch gleich sein Dienst und braucht man net so lang z’ warten, wie aufs liebe Himmelreich, für das sich die geistlich Herrn doch auch zahln lassen. Und die Gretl sollt’ nur auf die nächste Vollmondnacht hingehn.

Das taugt aber der Gretl nit, denn sie tät’ sich so viel fürchten, und der Hannsl war doch a Mannsleut und der Kuraschiertere.

»Dös schon«, sagt der Hanns und wird um zwei Fingerbreit höher, kratzt sich aber gleich wieder hinterm Ohr und wird a Trümmerl kleiner, wie er eher war; »aber«, sagt er, »weißt, Gretl, allein kann ich’s nit dertun.« No, er hat sein Lohn stark angriffen g’habt die Woch’, auf Bier oder Tabak – wann s’ auch schon g’raucht hab’n vor die undenklichen Zeiten, von dö ich verzähl? – Was weiß ich!

Z’letzt kommen s’ halt überein, daß jedes die Halbscheid von die Kosten tragt und daß der Hannsl hingeht.

Der Hannsl is halt so viel kuraschiert g’west, und wie der nächste Vollmond kommen is, macht er sich auf ’n Weg; durchs Dorf an die Felder vorbei hat er sich noch eins pfiffen, wie er aber auf die verrufene Waldnasen zukommt, da is er ganz stad word’n, der Mond hat so durchs Gezweig g’schienen, daß der Schatten von die Äst’ wie kohlschwarze Sammetbandeln übern ’n Weg g’legen is und der Manns hat sich eingred’t, er könnt’ über eins oder ’s andere stolpern, und hat fleißig auf die Erd’ g’schaut, – burr, fliegt ihm ein Nachteul’ eine Spanne übern Hut weg – na, er war aber recht kuraschiert und wie er erst g’wußt hat, was es war, hat er nach einer Weil’ über den »Malefiz-Vogel« ein rechts Maul g’habt.

So kommt er zur Waldfrauhütten. Dort hat er erst sich ein bissel b’sonnen und hat sich eingeredt, wie er so schnell müßt’ gegangen sein, weil ihm das Herz so schlagt. Und wie er schon das drittemal sein Finger krumm macht – nie is er ihm recht ang’standen – und will anklopfen, da tut sich die Tür von selber auf und die kluge Frau steht vor ihm und sagt: »Na, bist einmal da, ich hab’ dich schon lang erwart!

»Jesus«, sagt der Hanns – ich weiß zwar nit, ob die Leut’ in dö unvordenklichen Zeiten, wovon ich derzähl’, schon Jesus g’sagt hab’n, aber das tut nix. »Jesus«, hat also der Manns g’sagt und sich verwundert, daß die Waldfrau weiß, daß er zu ihr will. Und er hat’s doch schon die ganze Wochen im Dorf ausg’schrien, wo er mit nächstem Vollmond hingeht.

Die kluge Frau hätt’ also nit g’scheit sein müssen, wenn sie das nit g’wußt hätt’! So sagt sie zu ihm: »Komm h’rein!«

Der Manns geht also in die Hütte, dort brennt auf’m Herd ein großes Feuer, und wie er so seitwärts hinblinzelt, ist am Boden ein großer Kreis von Totenbeiner und Totenköpf’, und da hat’s ihm ein klein Rucker nach der Tür hin ,geben, und er hätt’ recht gern »Gute Nacht« g’sagt, wenn ihm nit auf einmal gar so trocken im Hals worden wär’, und so ohne »Behüt dich Gott« davonrennen, das wär’ doch unschicksam, b’sonders gegen a kluge Frau, mit der man’s schon gar nit verderben darf

»Na«, sagt die Waldfrau, »da marschier’ hinein und setz’ dich!« Und meint in die Mitten von den Totenknochen, wo ein Schemel g’standen is.

Das war eine rechte Not, hat sich doch der Manns gefürchtet, er tritt so ein Toten auf ’n Kopf und wer weiß, wo die Alte die Köpf’ aufg’lesen hat, es haben die schönsten Leute darunter sein können, die ihm Respekt verlangen, vielleicht sein eigener Urgroßvater.

So tappt er halt in Gotts Nam’ hinein in den Zauberkreis und vor er sich auf den Schemel setzt, meint er: Es würd’ sich doch nicht recht schicken, und er is net kommen, um ihr Beschwer zu machen und will er sich halt doch ein klein Wengerl niedersetzen, daß er der klugen Frau ’n Schlaf nit austragt, und will ihr schnell sag’n, was er eigentlich will.

»Das weiß ich schon«, sagt die Waldfrau und gibt ihm ein großes Stundenglas in die Hand, geht dann von ihm weg, langt ein Laib Brot von der Stellen herunter und schneidt die Gottesgab an…

Der Manns hat dieweil die Totenköpf’ ang’schaut und die ihn, und denkt sich der Manns: »Was das für a Zeit sein wird, wo du auch wirst keine Nasen hab’n und so viel große Augen und doch nix sehen damit?! Und wie lang wird wohl hin sein? Jetzt bist noch stämmig und rüstig und die Leut’ nennen dich ›kein unebnen Bub’n‹. Die Gretl ist auch so ein mordsauberes Dirndel. Die Jahr’ her, die ich mit ihr geh’, is s’ nur säubriger word’n.«

»Ah geh«, sagt die Gretl, »du schmeichlerische Katz’, siehst denn nit, daß ich doch schon bissel abfall’, und auf der Stirn kommen schon die Falten, wenn s’ auch noch so fein sein wie die Spinnenweb’n.«

»Na«, sagt der Manns, »laß gut sein, du taugst mir deßtwegen noch alleweil, meinst, mir bleibt aus, was dir blüht? Und so is’s gut und so is’s recht, so hab’n wir uns doch die Unsäubrigkeit nicht vorzuwerfen.«

»Aber, Manns«, sagt die Gretl, »das alles wär’ schon recht, aber die Kräfte verlassen ein doch auch.«

»Teufel h’nein«, sagt er, »freilich, an das hab’ ich nit denkt, aber zum verspürn fang’ ich’s auch schon an.«

»No, no«, sagt die Gretl, »dann is ’s Rest, wann wir nimmer arbeiten können wie früher, dann is’s gar gar!«

»Es will nimmer weiter«, sagt die Gretl, »mein Bauer hat g’sagt, ich taug’ ihm nimmer, ich verdienet nimmer ’s Wasser mit meiner Arbeit, ich sollt’ schon lieber zum Betteln schaun.«

»O, du mein Gott«, sagt der Hans, »dasselb’ hat mein Bauer heut auch zu mir g’sagt.«

»So, na schön«, sagt die Gretl, »da komm nur gleich und laß uns zur Kirchtür hinstelln.«

»Gut – gut – la – la«, lacht der alte Manns und stellt sich zur Kirchtür. »Hihi, Gretl, wie du ausschaust!

»Du alter Schüppel«, sagt die Gretl, »meinst, du schaust lieber aus? Taug’ ich dir leicht nimmer? – Gelt, als jung Ding war ich dir recht, daß ich die Jahr’ neben dir herlauf’? – O du!« – Dabei gibt sie ihm mit der geballten Faust ein Renner.

»Du Bisgurn«, sagt der alte Manns und hebt sein Stock. Da fahrt ihm das wüste Weibsbild in die Haar’, und sie balgen sich vor der Kirch’ und die Leut’ weichen aus und schimpfen und lachen.

»Gretl«, sagt der Manns keuchend, »laß gut sein, du verreißt mir mein wenig Haar, – krallt hast mich auch, du wilde Katz’ – mir sein recht nette Bettelleut’, in dem Kirchspiel halten s’ uns schon für versoffen, da geben s’ uns nix.

Und die alte Gretl schleicht mit ihm weg von der Kirchtür, und sie setzen sich all zwei auf ein Grab nieder, wo ein großer Stein davor in der Kirchmauer war und drauf ein großer Totenkopf mit Beiner übers Kreuz; »Jesus«, sagt der Manns, »wie lang wird’s noch dauern, so schaun wir auch nit anderst aus!«

Die Gretl trocknet ihm mit ’m Tüchel ’s Blut vom G’sicht, wo’s ihm nach ihrem Kratzen herg’loffen is. »Ich wollt’, ’s wär’ schon am End’«, sagt s’, »wann nur früher a schöner Leben g’wesen wär’.«

»O du mein«, seufzt der Manns. »Wohl, wohl, wir hab’n uns halt verpaßt, was liegt dran, wann’s auch am End’ so kommen wär’ und nit anderster, könnt’ mer doch sagen, mer hätt’ g’lebt; Kinder könnt’ mer hab’n, dö was taug’n und ’n alten Eltern zeitweis was vergunnen und zukommen ließen, und wer weiß, hätt’s grad so kommen müssen? Hätt’ der Himmel nöt können sein Segen drein geben, wann wir ihm vertraut und auf unsere arbeitsam Händ’ baut hätten?!«

»O freilich«, sagt die Gretl.

»Ja«, sagt der Hanns, »bei sündigem Fürnehmen geht’s ›Hüst und Hott’‹ und bei rechtschaffene Vorsatz ist’s ›Öha!‹ Mir hätt’n uns all die Spottred’n versparn und a g’scheit’ Leb’n führn können, so hab’n wir alles verpaßt! Wie ruhig könnt’ mer dasitz’n auf ’m Grab und frag’n: ›Wann kimmt die Reih’ auf uns? Wann werd ’n wir so ausschaun wie der Boanerbartl dort an der Wand?‹ Wann wir so g’lebt hätten, wie ander Leut’! So hab’n wir uns nie z’ leben traut und hitzt soll’s ans Sterben gehn, – wann s’ uns mal ausgrab’n, mir müssen ganz verdrehte Köpf hab’n! Im Himmel laßt sich auch nix einholn, der Pfarrer sagt, dort gibt’s keine Mandln und Weibln, wir hab’n’s für Zeit und Ewigkeit verhaut. O, Herrgott, gabst, daß wir nochmal jung wurden, ich wüßt’, was ich tät’!«

»O du mein Herr und Heiland«, sagt die Gretl, »dös wird halt nimmer sein«, und dabei weint die Alte, daß ’n Hanns, so wie er neben ihr sitzt, auch mit beutelt.

»Du bist doch a gute Seel’«, sagt der Hanns, und wie er mit seine zittrigen Händ’ hinüberlangt, damit er die Alte um die Achsel nehmen und trösten kann, fallt ihm sein Stock aus der Hand… und…

»Du Sakra, du«, schreit die Waldfrau, »verbrich mir die Sanduhr nit!«

Und er schaut auf, da sitzt er auf’m Schemel, neben ihm auf der Erd’ liegt die Sanduhr, die er hat fallen lassen, und rundum sind die Totenköpf’ – – er ist in der Hütten der Waldfrau und alles war nur so ein einwendigs G’sicht.

Die Waldfrau aber is grad mit ’m Messer um ’n ganzen Brotlaib herumkommen; – nit länger hat’s Ganze dauert, als sie ihr Stückel Brot g’schnitten hat. –Jetzt nimmt sie’s in die eine Hand, beißt ein rechtschaffen Stück ab, und hält die andere Hand offen hin.

Der Hanns sucht mit zitterndem Finger aus all seine Säck’ seine Kreuzer zusamm, nit ein hat er b’halten, alle hat er der klugen Frau geben. Ganz aufrecht is er dag’standen, als ob er das Dach von der Hütten traget und wär’ ihm nur a Spaß! Die Augen hab’n ihm geleucht, und die Zähn’ hat er übereinandergebissen.

Und die Waldfrau hat ’s Maul voll g’habt und g’kaut und geschluckt.

Keins hat ein Wörtl g’redt.

Der Hanns ist fortgangen und die Waldfrau hat hinter ihm zug’riegelt. Dann is es lang still blieben draußen in der klaren Nacht, bis einer beim letzten Baum, wo die Waldnasen aufhört, ein Juchezer tan hat, daß die Blatteln auf ’m Baum und ’s Gesträuch auf’m Boden zitternd word’n sein, und drüben hat er einen schlafenden Berg aufg’weckt, daß der auch mit ein’m Schrei munter word’n is.

Dann ist der eine auf das Dorf zutrabt, wo die Gretl haust; – an der Straßen sind die Wegschranken hingelaufen, da hat er sich ang’stemmt und einen Balken ausg’hoben und über die Achsel geschultert, wie die Riesen mit die Wiesbäum’ getan haben sollen, er ist sich wohl so vorkommen, als wär’ er heut so ein halbgewachsener Riesenken und wie er zur Gretl ihr’m Fenster kommt, tupft er ganz säuberlich mit sein’m Wiesbaum an die Scheiben an.

Das Glas war gescheiter und hat nachgegeben und ein handgroßes Stück is ausgebrochen und im Mondlicht, wie eine Sternschneuze, ins Gras heruntergeschossen.

Und oben hat die Gretl g’schrien. Und unten hat der Hanns gelacht.

Und wie sich die Gretl erholt hat von ihrem Schrecken, fragt sie, was die weise Frau gesagt hat.

»G’sagt hat sie nix«, sagt der Hanns, »aber geheirat wird!«

»Und geheirat is word’n und aus is die G’schicht’«, sagte der Steinklopferhanns, klopfte sein Pfeifchen aus und machte Anstalt, wieder nach der Straße hinabzusteigen. –

»B’hüt’ euch Gott«, sagt er, und geht ein paar Schritt’, dann bleibt er stehen. »Ist doch schad, daß es heuttags kein Waldfrau mehr gibt!«

Mittlerweile hatte auch auf den Feldern die Arbeit wieder begonnen, und die »ewigen Liebsleut’« beeilten sich, auf ihren Arbeitsplatz zu kommen.

Der Bursch spuckte in die Fäuste und nachdem er den ersten Sensenschwung getan, sagte er über die Achsel hinüber nach der Dirne, die in seiner Nähe arbeitete: »Ich geh’ doch prob’weis!«

Die beiden sprachen nicht ein Wort weiter, aber die Arbeit ging ihnen so flink von der Hand; hätte sie die alte Base sehen können, sie hätte ihre helle Freude über diese Probeleute haben müssen.

Nun, die hatte sie auch bald.

»Und geheirat is word’n und aus is die G’schicht’.«

Abend war’s geworden. Der Steinklopferhanns tat den letzten Schlag, warf die schweren Hämmer über die Achsel und machte sich auf den Heimweg; durch das Dorf ging er nicht, aber an den letzten Häusern, die an der Straße lagen, mußte er vorüber. Die letzte Hütte sah gar armselig aus, und wenn ihr Inwohner, der »Gruß-Franzl«, wie jetzt nach Feierabend, vor derselben auf der hölzernen Bank saß, so sah dies wie ein gerechtfertigtes Mißtrauen gegen das Gemäuer aus, das, statt Schutz zu verheißen, im Gegenteile durch seine Dachlücken mit aller Ungunst des Wetters im Bunde zu stehen schien und mit seinen Sprüngen, Rissen und Senkungen sich so bedrohlich ausnahm, als wollte es seinem Eigner die wenigen Atemzüge in der freien Luft noch gestatten, um dann nachts über ihm zusammenzustürzen. Ob er das wohl recht übelgenommen hätte?!

Er sah selbst verfallen und vom Wetter und Schicksal hart mitgenommen aus Er hieß der »Gruß-Franzl«, weil er im Gebrauche hatte, jedermann, der die Straße vorüberzog, er mochte ihm bekannt sein oder nicht, demütig mit abgenommener Mütze zu grüßen; das sollen nun oft Fremde mißverstanden haben, und sie ließen ein oder die andere landesübliche Münze in die vorgehaltene Mütze gleiten; die Leute im Dorf sagen es dem »Gruß-Franzl« nach, daß er sich nie die Mühe nahm, dieses Mißverständnis aufzuklären, sondern die kleine Gabe lieber in seine Tasche schob. Neidische Leute! Er hatte recht, er war ein höflicher Mensch und wollte den mitleidigen Seelen die Verlegenheit ersparen, einen ehrlichen Arbeiter, der seine artige Angewohnheit hatte, für einen Bettler angesehen zu haben. Wie leicht hätten dann diese braven Leute auch bei wirklichen Bettlern nur dankend an den Hut greifen können, um nicht einen gleichen Verstoß wie bei ihm zu begehen?! Darum ließ er jegliche Aufklärung unter Wege. Ja, die leidige Aufklärung, sie war hier so beschämend für den Fürsten, wie abträglich für den Bettler!

Er ließ großmütig die Welt in ihrem Irrtume.

Er war allerdings ein ehrlicher Arbeiter, er hatte nichts als seine Hütte, die Felder ringsherum gehörten anderen, und wollte er von denselben etwas genießen, so mußte er dieses fremde Eigentum bearbeiten helfen. Ah, das trug spottwenig ein, und es nahm den Menschen recht mit, an Kraft und auch an Mut.

Und so, mit der Zeit recht zaghaft geworden, auf sich selbst gar wenig mehr bauend, hatte sich der »Gruß-Franzl« angewöhnt, alle Welt zu grüßen; die um ihn lebten und die er kannte, damit sie ihm freundlich bleiben und ihm nichts in den Weg legen möchten, und die Fremden, weil er die Leute gar sehr bewunderte, die so in Geschäften oder zu ihrer Lust in aller Welt herumkamen! Wie achtbar war ihm der Krämer mit der Kraxe auf dem Rücken, dem flinken Fuß- und dem noch flinkem Maulwerk! Der Mann mußte Courage haben, daß er sich’s getraute, so auf sich allein gestellt in der Welt hinzuleben. Dem Lustreisenden, der rüstig den heitern Bergen zuschritt, blickte er immer kopfschüttelnd nach; wie gut mußte es so einem gehen, daß er in hellem Übermut nach den Höhen kletterte, wo der »Gruß-Franzl« doch froh war, wenn ihn diese »Beschwer« nicht oft im Jahr tra£ Ja freilich, als Bub’ hat es ihm oben gleichwohl gefallen, aber das ist lang her, seitdem ist so viel anders geworden und da droben ist’s immer gleich geblieben, was war daran zu sehen?

Auch der Bettler auf der Straße war ein rechter Mann; den Leuten mit dem Maul die Groschen aus der Tasche langen, ist keine kleine Kunst. Freilich, am Jahrmarkt, in der Tierhütte, da hat er einmal ein Untier mit langem Rüssel gesehen, das machte auch das Kunststück, was aber der Groschen wert war, den es damals einem reichen Bauer aus der Tasche zog, das wußte es wohl nicht.

Ja, ja, alle Leute, wie sie die Straße vor ihm vorbeiliefen, waren ihm höheren Ranges, darum grüßte er sie, und wenn sich ja einer dazu verstieg, ihm ein Almosen zu reichen, so fand er, daß die Menschen doch nicht so schlecht seien, als die Welt sie ausschreie, und er habe es ja gewußt, die so in der Welt herumlaufen können, die hätten leicht schenken, der Hausgesessene sei der eigentliche Arme!

Wie alle Welt, so bekam auch der Steinklopferhanns, der jetzt, wie jeden Abend, an der Hütte vorbeiging, seinen Gruß. Das war auch einer von den Couragierten, die sich allein für sich zu leben getrauten, ohne nach den anderen Leuten zu fragen.

»Guten Abend, Steinklopferhanns!«

»Guten Abend, Franzl, ruck’ zu auf dein Bankl und laß mich hersetzen, hab’ heut rechtschaffen gehammert, hab’ mich vielleicht bissel übernommen; wenn die Steiner gar so hart von ’nand’ gehn, da klopf’ ich wie wütig drauflos! Ein kleins wenig mag ich schon gern rasten.«

»Na, fürs Sitzendürfen könnt’st schon was derzähln. Weißt nix?«

»Was fragst denn? Ich sollt nix zum Verzähln wissen? Ich? Na, könnt’ keiner mehr was verzähln, wenn ich net. Ich kauf’ ’n Schullehrer aus mit samt seine Bücher. Er meint gleichwohl, ’s wär’ alles wahr und verbrieft, was drin stund’, aber mein Seel’, mein letzts Stäuberl Tabak, wie ich’s jetzt in die Pfeif stopf’, setz’ ich dagegen, daß seine G’schichten nit a Haar besser sein als die mein, a bissen was Austipfelts, a Brocken Lug’ und a Brösen Wahrheit und fertig ist die Verzählung. Soll freilich, sagt der Schulmeister, alles vorzeit passiert sein; na, wer hat’s denn g’sehn, wie’s da zugangen is? Von uns keiner. Und dö von damal hab’n auch keiner mehr g’sagt, als s’ gewußt haben; is wohl auch viel Ausdenkts dabei, wie’s hätt’ sein können, wenn man grad nit g’wußt hat, wie’s g’wesen is? Der Müller im Ort hat auch sein Jüngsten, ’n Jakoberl, g’fragt, wie er ’s erst Mal in der Kirch war, was er g’sehn hat. Sagt der: ›Ein Menge steinerne und aufg’malne Leut’, vor dö man sich nix z’ reden traut hat, und dann hab’ ich g’sehn, was wir ganz klein in der Kammer hab’n, groß-mächtig, ich hab’s gleich derkennt, weißt, wie die zwei Leut’ vom Baden kommen, und ’s Vieh hat ihnen derweil die Äpfel vom Baum g’fressen.‹ Haha, ’s war aber Adam und Eva im Paradies! – Und der Bub hat’s g’sagt, wie’s ihm expliziert word’n is, für ’n Adam und d’ Eva war er ’n Eltern noch z’ jung. – No, was soll ich dir denn derzähln?«

»Weißt, Hanns, was Trostreichs, wo gut drauf z’ schlafen is.«

»So? So werd’ ich dir halt derzähln, wie’s mir am Jüngsten Tag gangen is.«

 

»No, is doch nit schon der Jüngste Tag vorbeig’west?«

»Dös nit, aber traumt hat mer davon. Los’ nur zu. Hab’s noch kein’m erzählt.«