Eine einsame Fahrt

Bret Harte

Als ich in die Slumgullion-Postkutsche stieg, sah ich, daß es eine dunkle Nacht, eine einsame Straße und ich der einzige Passagier war. Der Leser gestatte mir die Versicherung, daß ich mit dieser Behauptung keinen weitergehenden Zweck verfolge. Eine lange Reihe von leichter Lectüre hat mir ein Licht aufgesteckt, was jeder erfahrene Verstand von einer solchen Mittheilung zuversichtlich erwartet. Der Geschichtenerzähler, welcher das Schicksal muthwillig mit derartigen leicht durchschaubaren Anfängen versucht, welcher vor dem erwartungsvollen Leser in Gefahr schwebt, beraubt oder halb ermordet oder durch einen entlaufenen Wahnsinnigen erschreckt oder seiner Geliebten zum ersten Male vorgestellt zu werden, verdient, daß er entlarvt wird. Ich kann leichten Herzens sagen, daß keines von diesen Dingen mir passirte. Die Straße von Wingdam nach Slumgullion kannte keine andern Banditen als die regelrecht concessionirten Gastwirthe, die Wahnsinnigen hatten noch nicht die erforderliche Tiefe der Einfalt erreicht, um nach eignem freien Willen in californischen Postkutschen zu fahren, und meine Laura hätte, wie ich fürchte, so liebenswürdig und langmüthig im Dulden sie auch ist, sich diesen niederdrückenden Umständen gegenüber nicht lange genug aufrecht zu erhalten vermocht, um den leisesten Eindruck auf mich zu machen.

Ich stand, meinen Shawl und meinen Reisesack in der Hand, da und blickte bedenklich auf das Fuhrwerk. Selbst in der Finsterniß war der rothe Staub Wingdams auf seiner Decke und seinen Seiten sichtbar, und der rothe Schlamm Slumgullions klebte hartnäckig an seinen Rädern. Ich öffnete den Schlag, die Kutsche quietschte unbehaglich, und in dem düstern Abgrunde winkten mir die schaukelnden Riemen wie gespenstische Hände zu, hereinzukommen und mit meinen Leiden sofort zu beginnen.

Ich darf nicht unterlassen, zu erwähnen, daß ein Umstand eintrat, der mir als erschreckend und geheimnißvoll auffiel. Ein Mensch, der sich auf den Stufen vor dem Hotel herumtrieb, und von dem ich Ursache hatte, anzunehmen, daß er in keiner Weise in Verbindung mit der Postgesellschaft stand, stieg mit ernstem Gesicht herunter, schritt auf das Fuhrwerk zu, versuchte den Griff des Wagenschlags, öffnete ihn, untersuchte das Innere der Kutsche und kehrte mit besorgter Miene nach dem Hotel zurück. Kaum hatte er seinen Platz wieder eingenommen, so schritt ein anderes Individuum, ebenso uninteressirt, gleichgültig die Treppe herab, begab sich nach dem Rücken der Post, hob sie in die Höhe, untersuchte sorgfältig die Achse und kehrte langsam und nachdenklich in das Hotel zurück. Ein dritter Zuschauer machte sich verdrießlich von einer der jonischen Säulen des Porticus los und ging nach dem Bocke, verblieb einen Augenblick in ernster und forschender Betrachtung der Schoßkelle und kehrte dann zu seiner Säule zurück. Es lag in dieser Taufe etwas so Schauerliches, daß ich ganz nervös wurde.

Vielleicht war ich auf übler Laune. Eine Anzahl nicht enden wollender Verdrießlichkeiten, die in der entschlossenen Beharrlichkeit des Schreibers im Postbureau gipfelten, mit welcher derselbe meinen Namen falsch in die Fahrkarte eintrug, hatten mich nicht zur Heiterkeit gestimmt. Die Insassen des Heureka-Hauses hatten vom gesellschaftlichen Standpunkte betrachtet nichts Anziehendes. Die vorherrschende Meinung – so gewöhnlich bei vielen wackern Leuten – war da, daß ein ernster Styl in Haltung und Benehmen gegen einen Fremden hohe Vornehmheit und erhabne Lebensstellung anzeigt. Diesem Grundsatz gehorsam hörte bei meinem Eintritt zum Abendessen alle Heiterkeit auf, und das allgemeine Gespräch tauchte in die sicherere und harmlose Chronik von einigen schlimmen Fällen von häutiger Bräune unter, die damals in Wingdam epidemisch war. Als ich das Speisezimmer mit dem wunderlichen Gefühl verließ, ausschließlich Senf und Theeblätter soupirt zu haben, blieb ich einen Augenblick an der Thür des Gesellschaftszimmers stehen. Ein Piano, in harmonischer Beziehung zur Tischglocke, klimperte Antwort auf einen sich selbst nicht trauenden und unsichern Fingerschlag. Auf der weißen Wand beugte sich der Schatten eines alten und scharfgeschnittnen Profils über verschiedene symmetrische und schattenhafte Locken. »Ich sagte zu Mariar: – Mariar, sagt’ ich: Loben ins Gesicht bringt uns Ehre nicht.« Weiter hörte ich nichts. Indem ich einige Empfindlichkeit gegen aufrichtige Ausdrucksweise im Punkte weiblicher Liebenswürdigkeit fürchtete, ging ich von dannen und verschluckte das Compliment, welches mir sonst unverlangt auf die Lippen gestiegen wäre und auf den Haushalt Schande und Kummer hätte bringen können.

Indem die Erinnerung an diese Erfahrungen mir schwer auf dem Herzen lag, stand ich zögernd vor dem Wagenschlag. Der Postillon, im Begriff aufzusteigen, wurde für einen Augenblick durch die offne Thür des Hotels beleuchtet. Er hatte den müden Blick, welcher das unterscheidende Merkmal von Wingdam war. Ueberzeugt, daß ich eine gehörige Fahrkarte gelöst und Quittung darüber bekommen, nahm er weiter keine Notiz von mir. Ich blickte sehnsüchtig nach dem Sitz auf dem Bocke, aber er antwortete nicht auf diesen Appell an sein Herz. Ich schleuderte meine Reisetasche in die Kluft, tauchte unerschrocken hinter ihr drein, und bevor ich richtig saß, bewegten wir uns mit einem tiefen Seufzer, dem Quietschen von widerwilligen Federn, klagenden Bolzen und einer schrill protestirenden Achse von dannen. Dann klappte hinter uns die Hotelthür zu, der Schall des Pianos versank in Ruhe, und die Nacht mit ihren Schatten nahm uns feierlich in sich auf.

Wollte ich sagen, daß es finster war, so würde das nur schwach die pechschwarze Dunkelheit ausdrücken, die das Fuhrwerk von allen Seiten umgab. Die Bäume neben der Straße waren kaum als tiefere Schattenmassen unterscheidbar. Ich erkannte sie nur an dem eigenthümlichen dumpfigen Geruche, welcher von Zeit zu Zeit schwerfällig durch das offne Fenster hereinströmte, als wir vorbeirollten. Wir fuhren langsam weiter, so gemächlich, daß ich, mich aus dem Wagen lehnend, mehr als ein Mal den duftenden Seufzer einer erstaunten Kuh entdeckte, deren wiederkäuende Ruhe auf der Landstraße wir rücksichtslos gestört hatten. Aber in der Dunkelheit verlieh unser Weiterkommen, mehr die Leitung irgend eines geheimnißvollen Triebes, als irgend ein merkliches eignes Vorwärtsdringen, unsrer Reise einen unbeschreiblichen Zauber der Sicherheit, welchen ein Augenblick Zaudern oder Unschlüssigkeit auf Seiten des Kutschers zerstört haben würde.

Ich hatte die Hoffnung gehegt, daß ich in dem leeren Fuhrwerk die Ruhe gewinnen werde, die mir in dessen überfülltem Zustande so oft versagt gewesen war. Es war eine schwachsinnige Täuschung. Als ich meine Glieder ausstreckte, so fand ich nur, daß die gewöhnlichen Anstalten, um mehreren Leuten einzeln Unbehagen zu verursachen, durch meinen ganzen individuellen Körperbau vertheilt waren. Zuletzt, indem ich meine Arme auf den Riemen ruhen ließ, wurde ich mit Hülfe von viel turnerischer Anstrengung genügend gefaßt, um eine feinere Art von Marter gewahr zu werden. Die Federn der Postkutsche brachten durch regelmäßiges Steigen und Fallen ein rhythmisches Schlagen hervor, welches meine Aufmerksamkeit schmerzlich in Anspruch zu nehmen begann. Allmählig versank dieses Puffen in ein sinnloses Echo des geheimnißvollen weiblichen Wesens im Gesellschaftszimmer des Hotels und nahm die Gestalt jenes furchtbaren und verblüffenden Sprichworts an: »Loben ins Gesicht bringt uns Ehre nicht. Loben ins Gesicht bringt uns Ehre nicht.« Unebenheiten auf der Straße beschleunigten nur seine Aeußerung oder zogen es zu verdrießlich stimmender Länge hinaus.

Es nutzte nichts, wenn man die Behauptung ernstlich überlegte. Es nutzte nichts, wenn man entrüstet Ausnahmen constatirte. Es nutzte nichts, wenn man sich so viele Beispiele ins Gedächtniß rief, wo Lob ins Gesicht zu ewiger Ehre des Lobenden und Gelobten widerhallt war; es nutzte nichts, wenn man die Blicke empfindsam auf einem bescheidnen Geist und Muth ruhen ließ, der durch offne Empfehlung gehoben und gestärkt worden war; es nutzte nichts, wenn man mit dem geheimnißvollen weiblichen Wesen eine Ausnahme machte, sie sich malte, wie sie ein dünnblütiges Geschlecht mit selbstsüchtigen und mechanisch wiederholten Axiomen erzog. Alles dies war nicht im Stande, der eintönigen Wiederholung dieses Spruchs die Stange zu halten. Es war nichts zu thun als sich zu fügen, und ich war im Begriff, es schwachherzig hinzunehmen – wie wir nur zu oft andere Täuschungen der Dunkelheit und Nothwendigkeit für den Augenblick behandeln – als ich eine andere ärgerliche Sache gewahr wurde, die sich mir in den letzten paar Augenblicken aufgedrängt hatte. Wie still der Fuhrmann doch war!

Gab es denn überhaupt einen Fuhrmann? Hatte ich denn überhaupt Grund, zu vermuthen, daß er nicht geknebelt und gebunden im Straßengraben lag und der Straßenräuber mit geschwärztem Gesicht, der die Sache so ruhig abgemacht, mich – wohin denn? fuhr. Die Sache ist vollkommen ausführbar. Und was ist diese Phantasie, die jetzt aus mir herausgeschlenkert wird? Eine Geschichte? Es nutzt nichts, sie zurückzuhalten – vorzüglich in diesem abgrundsmäßigen Fuhrwerke, und hier kommt sie. Ich bin ein Marquis – ein französischer Marquis; französisch, weil die Pairschaft nicht so bekannt und das Land zu romanhaften Vorkommnissen besser geeignet ist, ein Marquis, weil der demokratische Leser am Adel sein Wohlgefallen hat. Mein Name ist so was wie –ligny. Ich komme von Paris nach meinem Landsitz zu Saint Germain. Es ist eine dunkle Nacht, und ich schlafe ein und sage meinem ehrlichen Kutscher André, er soll mich nicht stören, und träume von einem Engel. Die Kutsche hält zuletzt vor dem Schlosse. Es ist so finster, daß ich beim Aussteigen das Gesicht des Dieners nicht erkenne, der den Wagenschlag hält. Aber was ist denn das – peste! Ich bin schwer verschlafen. Dieselbe Dunkelheit verhüllt mir die alten wohlbekannten Unanständigkeiten der Statuen auf der Terrasse, aber da ist eine Thür, die öffnet sich und schließt sich flink hinter mir. Dann finde ich mich in einer Falle und in Gegenwart des Raubgesellen, der in aller Stille den armen André geknebelt und mich hierher gefahren hat. Für mich als einen tapfern französischen Marquis giebt es weiter nichts zu thun, als »Parbleu!« zu sagen, meinen Degen zu ziehen und heldenmüthig zu sterben. Eine oder zwei Wochen später werde ich vor einem verlassenen Cabaret nahe bei der Barrière gefunden, mit einem Loche in meinem Busenstreifen und ausgeleerten Taschen. Nein, bei näherer Ueberlegung bin ich gerettet – gerettet von dem Engel, von dem ich geträumt hatte, welcher die angebliche Tochter des Räubers, aber eigentlich die Tochter eines intimen Freundes ist.

Indem ich in der vergeblichen Hoffnung, den Kutscher unterscheiden zu können, wieder aus dem Fenster sah, fand ich, daß meine Augen sich an die Dunkelheit zu gewöhnen begannen. Ich konnte den fernen Horizont sehen, begrenzt von tiefschwarzen Wäldern, die sich von einem lichteren Himmel abhoben. Ein paar weit von einander über dieses Bild vertheilte Sterne glitzerten wehmüthig. Ich bemerkte wieder die unendliche Tiefe geduldigen Kummers in ihren leuchtenden Antlitzen, und ich hoffe, daß der Vandale, welcher zuerst das leichtfertige Wort »Blinzeln« auf sie anwendete, nicht durch ihre vorwurfsvollen Augen in Schwermuth und Wahnsinn gestürzt werden wird. Ich bemerkte wieder den mystischen Zauber des Staunens, der jedem einzelnen trotz des dichtesten Zusammenstehens ein Gefühl individueller Einsamkeit mittheilt und den kleinsten Stern mit unermeßlicher Abgeschiedenheit erfüllt. Etwas von dieser tiefen Stille und Einsamkeit überschlich auch mich, und ich sank in meiner düstern Höhle in Halbschlummer.

Als ich erwachte, ging der Vollmond auf. Von meinem Fenster gesehen, machte er einen unbeschreiblich unwirklichen und theatralischen Eindruck. Es war der Vollmond in der »Norma«, jenes merkwürdige Himmelsphänomen, welches so greifbar vor einer erwartungsvoll schweigenden Zuhörerschaft und zu einem sublimen Andante aufgeht, bis das »Casta Diva« gesungen wird – der »unbeständige Mond«, der dann und nachher am Himmel still stehen bleibt, wie wenn er ein Theil des von Josua eingeführten Sonnensystems wäre. Dann wieder zogen in langer Reihe die Druiden in weißen Gewändern vor mir vorüber, dann wieder sah ich, wie man die unerweisliche Mistel von jener unmöglichen Eiche schnitt, und dann wieder liefen mir kalte Schauer über den Rücken mit der ersten Strophe des Recitativs. Die stoßenden Federn versuchten, den Takt zu schlagen, und die an eine Privatloge erinnernde Dunkelheit des Fuhrwerks lieh der Aussicht einen wohlfeilen Reiz. Aber es war eine gewaltige Verbesserung im Vergleich mit meinen vorigen Erfahrungen, und ich schloß die holde Täuschung zärtlich an mein Herz.

Meine Befürchtungen in Betreff des Fuhrmanns wurden durch den aufgehenden Mond zerstreut. Ein wohlbekannter Laut hatte mir die Versicherung gegeben, daß er zugegen und im vollen Besitz wenigstens einer von seinen wichtigsten Functionen war. Häufige und kräftige Expectorationen überzeugten mich, daß seine Lippen bis jetzt noch nicht mit dem Knebel von Straßenräubern versiegelt waren, und trösteten mein ängstlich lauschendes Ohr. Als diese Last mir vom Herzen genommen war, sah ich mich mit dem milden Beistand Diana’s, die, wie damals als sie Endymion besuchte, einen guten Theil ihres Glanzes außerhalb meiner Höhle zurückließ, in dem leeren Fuhrwerke um. Auf dem Vordersitze lag die Haarnadel einer Frau. Ich hob sie mit einigem Interesse auf, das indeß bald nachließ. Es war kein Rosenduft daran, der veranlaßt hätte, sie noch festzuhalten, nicht einmal der Geruch von Haaröl. Keine Beugung oder Verdrehung in ihren geraden Winkeln verrieth irgend einen Charakterzug ihrer Trägerin. Ich versuchte mir einzubilden, daß sie »Mariar« gehört hätte. Ich versuchte mir vorzustellen, daß sie, während sie die symmetrisch geordneten Locken dieses Mädchens zusammengehalten, gehört haben könnte, wie die leisen Complimente ihr ins Ohr geflüstert wurden, welche den Zorn des bejahrten weiblichen Wesens herausgefordert hatten. Aber umsonst. Sie blieb schweigsam und wankte nicht in ihrer geradsinnigen Treue und schlüpfte mir zuletzt achtlos zwischen den Fingern durch.

Ich war wiederholt eingenickt, immer an der Schwelle der Bewußtlosigkeit durch Berührung mit einer von den Ecken der Kutsche geweckt, und hatte das Gefühl, daß ich unbewußt, in Nachahmung eines bescheidnen Insects aus der Erinnerung meiner Kinderjahre, jene sphärische Form annahm, welche jenen Eindrücken am besten Widerstand leisten konnte, da bemerkte ich, daß der hoch am Himmel hinfahrende Mond die formlosen Massen der schattenbedeckten Landschaft zu theilen begonnen hatte. Bäume, vereinzelt, in Gruppen und Hainen wechselten ihre Stellen vor meinem Fenster. Die scharfen Umrisse der fernen Berge kamen wieder wie bei Tageslicht, nur wenig gemildert in der trocknen, kalten, thaulosen Luft einer californischen Sommernacht.

Ich fragte mich eben, wie spät es sei, und dachte, wenn die Pferde der Nacht so langsam gingen wie das Gespann vor uns, so hätte sich Faust sein todesbanges Gebet ersparen können, da durchzuckte den Kutscher plötzlich neue Regsamkeit. Eine Aufeinanderfolge von Peitschenknallen, wie ein Packet chinesischer Feuerwerksfrösche, brach auf dem Bocke vor mir los. Die Postkutsche flog vorwärts, und als ich im Stande war, mich von einem Rutsch unter den Sitz wieder aufzuraffen, war ein langes weißes Gebäude auf irgend eine geheimnißvolle Weise vor mein Fenster gerollt. Es mußte Slumgullion sein! Als ich aus der Kutsche stieg, redete ich den Fuhrmann an:

»Ich dachte, Sie wechselten die Pferde auf dem Wege?«

»Das thaten wir ja vor zwei Stunden.«

»Das ist seltsam. Ich habe das nicht bemerkt.«

»Müssen geschlafen haben, Herr. Hoffe, daß Sie ein angenehmes Schläfchen gethan haben. Prächtiger Platz für ein nettes, ruhiges Duselchen – leere Post, Herr?«