Friedrich Schiller

Marie Margarete von Aubray war die Tochter des Herrn Drogo von Aubray, Zivilleutnants am Châtelet zu Paris. Sie vermählte sich im Jahre 1651 mit dem Marquis von Brinvillier, dem Sohn des Herrn Gobelin, eines reichen Präsidenten bei der Rechnungskammer. Beide waren an Stand und Vermögen sich gleich. Der Marquis hatte ein jährliches Einkommen von 300 000; seine Gemahlin erhielt eine Mitgift von 200 000 Livres und hatte die Hoffnung auf ein beträchtliches Erbe, das sie nach ihres Vaters Tod mit einer Schwester und zwei Brüdern zu teilen hatte.

Reichtum war aber nicht der einzige Vorzug der Marquise. Sie war von der Natur nicht weniger als vom Glück begünstigt. Bei einem Wuchs von mittelmäßiger Größe hatte sie ein rundes freundliches Gesicht, in welchem sich Anmut mit Regelmäßigkeit der Züge und mit dem Ausdruck einer ganz reinen, leidenschaftslosen Seele vereinigte, um ihm den höchsten Reiz zu geben. Diese in allen ihren Zügen herrschende Ruhe, der echte Widerschein eines unbefangnen, arglosen Gemütes, gewann ihr das Zutrauen aller, mit welchen sie umging, während ihre Schönheit die Herzen aller fesselte.

Ihr Verführer ward ein gewisser Herr Godin, der sich von Sainte-Croix nannte und Hauptmann bei dem Kavallerieregiment Trossi war. Der Marquis von Brinvillier, der als Oberst bei dem Regiment Normandie stand, machte seine Bekanntschaft im Felde.

Dieser Sainte-Croix war einer von den Glücksrittern, die, weil sie selbst nichts haben, alles fremde Gut als ihr Eigentum behandeln. Man sprach sehr verdächtig von seiner Herkunft. Man wußte, daß er zu Montauban geboren sei; allein man zweifelte, ob er aus einer guten Familie abstamme oder ein unechtes Kind aus einem vornehmen Hause sei. Das Glück hatte ihn nicht sehr begünstigt, aber die Natur war freigebiger gegen ihn gewesen. Er hatte ein einnehmendes, geistvolles Gesicht, das ihm leicht Vertrauen und Zuneigung verschaffte, und besaß die glückliche Geschmeidigkeit des Geistes, die jede Gestalt mit gleicher Leichtigkeit annimmt und mit eben der Fertigkeit die Rolle des Andächtigen spielt, mit der sie ein Bubenstück ausführt. Er war empfindlich gegen Beleidigungen, reizbar gegen das andere Geschlecht bis zur Leidenschaft und eifersüchtig in der Liebe bis zur Raserei – selbst bei Personen, welche ihr öffentliches Gewerbe zu Freiheiten berechtigte, die ihm nicht unbekannt sein konnten. Bei einem unbegrenzten Hang zur Verschwendung von allen Hilfsmitteln entblößt, war er jeder Schandtat fähig, wodurch er etwas zu gewinnen hoffte. Einige Jahre vor seinem Tode fing er an, den Frömmling zu spielen, und er soll sogar Andachtsbücher in dieser Periode geschrieben haben. Er sprach von Gott wie ein Prophet, während er ihm wie ein Baalspfaffe diente, und gab sich unter dieser Maske, die er nur im Kreise seiner vertrautesten Freunde abnahm, das Ansehn eines ganz frommen Menschen, während er Urheber und Mitverschworner der ungeheuersten Verbrechen war.

Der Aufmerksamkeit eines solchen Menschen konnte der Marquis von Brinvillier nicht entgehen, der bei einem lebhaften Hang zum Vergnügen einen großen Aufwand machte. Reize genug für Sainte-Croix, um seine Angel nach ihm auszuwerfen! Es konnte ihm auch nicht fehlen, sich bald genug in seine Gunst einzuschmeicheln. Sobald der Feldzug beendet war, führte ihn der Marquis selbst in seinem Hause ein. Der Freund des Mannes wurde bald der Liebhaber der Frau, und seine Grundsätze fanden Eingang mit der Neigung, die er einzuflößen wußte. Der Marquis, selbst zu sehr zerstreut, um auf die Schritte seiner Gemahlin achtzugeben, war ganz unbesorgt wegen ihrer Aufführung; und die beiden Liebenden hatten freie Hand zu tun, was sie wollten.

Der Marquis brachte endlich sein Hauswesen in solche Zerrüttung, daß es seiner Gemahlin gestattet wurde, ihr Vermögen zurückzunehmen und für sich zu verwalten. Durch diesen letzten Schritt glaubte sie sich berechtigt, alle weiteren Rücksichten außer acht zu lassen und sich ihrer Neigung ohne Zwang hinzugeben.

Man sprach bald ganz laut über ihren Umgang mit Sainte-Croix. Der Marquis hörte es mit der größten Gleichgültigkeit. Allein Herr von Aubray, für die Ehre seiner Tochter mehr als ihr Gemahl besorgt, wirkte einen Haftbefehl wider ihren Liebhaber aus und ließ ihn ganz unvermutet, als er eben mit der Marquise im Wagen saß, gefangennehmen. Er wurde auf ein ganzes Jahr in die Bastille gebracht.

Unglücklicherweise gab ihm diese Gefangenschaft selbst das schrecklichste Mittel zur Rache in die Hand. Er machte in der Bastille die Bekanntschaft eines gewissen Exili, eines gebornen Italieners, der ihn noch mehr zur Rache anfeuerte und ihn zugleich die Mittel lehrte, sie ungestraft zu vollführen. »Die Franzosen«, sagte er, »gehen bei ihren Verbrechen viel zu ehrlich zu Werke und wissen auch ihre Rache so wenig geschickt auszuführen, daß sie immer selbst das Opfer derselben werden. Sie führen den Streich auf ihren Feind mit so viel Geräusch, daß sie sich selbst einen noch weit grausameren Tod zuziehen, als der ist, den sie ihrem Feind antun, indem sie zugleich Vermögen und Ehre verlieren. Die Italiener sind feiner in ihrer Rache. Sie haben es so weit in ihrer Kunst gebracht, daß sie Gifte bereiten können, die dem geschicktesten Arzte verborgen bleiben. Ein schneller oder langsamer Tod, wie es ihre Zwecke erfordern, steht in ihrer Gewalt. In beiden Fällen lassen ihre Mittel keine Spur zurück, sie sind, wenn sich doch einige Kennzeichen finden, so zweideutig, daß man sie auch der gewöhnlichsten Krankheit zuschreiben kann und die Ärzte, in der gänzlichen Ungewißheit über die unbestimmten Anzeichen, die sie bei ihren anatomischen Untersuchungen finden, den Tod des Patienten nicht anders als mit einigen allgemeinen Ausflüchten, die sie immer bei der Hand haben, verborgnen Krankheitsstoffen, schlimmen Zufällen, ungesunder Luft und dergleichen, zu erklären wissen. Dies ist eigentlich die wahre Kunst, die es versteht, die Verbrechen der Menschen auf die Rechnung der Natur zu bringen.«

Eine so erwünschte Gelegenheit, sich mit unsichtbaren Werkzeugen der Rache zu bewaffnen, wodurch er nicht bloß seinen bittern Haß ohne Gefahr befriedigen, sondern zugleich auch ein unermeßliches Vermögen auf einmal in die Hände einer Frau bringen konnte, welche mit Vergnügen den Raub mit ihm teilen würde, ergriff Sainte-Croix mit der größten Begierde. Er hatte während seiner Gefangenschaft Zeit genug, die abscheuliche Kunst des Italieners von Grund aus zu lernen. Dieser Unterricht füllte nun die leeren Stunden der beiden Gefangenen aus. Die Geschicklichkeit des Lehrers und der Eifer des Schülers, von Liebe und Rache und Raubgier gleich stark angefeuert, beflügelten die Fortschritte des letztern; und noch ehe er die Bastille verließ, war er Meister in dieser infernalischen Erfindung.

Das erste Opfer, das er sich wählte, war Herr von Aubray, der Vater der Marquise. Außer daß dieser strenge Sittenrichter ihn mitten im Genuß seiner Freude zu einer Zeit gestört hatte, da der Ehemann selbst entweder ein ganz blinder oder doch ganz kalter Zuschauer dabei gewesen war – stand er jetzt auch seinem Umgang mit der Marquise überall störend im Wege und hinderte ihn aufs neue, die süßen Früchte einer Leidenschaft zu genießen, die durch die Entfernung nicht gedämpft, sondern nur noch mehr gereizt worden war. Zwei der ausschweifendsten Leidenschaften forderten ihn also zugleich auf, eines so beschwerlichen Aufsehers sich zu entledigen. Allein es war ihm nicht genug, seinen Feind zu morden; durch die Hand seiner eignen Tochter sollte er sterben. Und die Marquise war verabscheuungswürdig genug, ihres eignen Vaters Henkerin zu werden, bloß weil es ihr lästig war, sich in ihren Ausschweifungen durch seine strenge Aufsicht Zwang auferlegen zu lassen.

Es ist unglaublich, bis zu welchem Grad von Lasterhaftigkeit eine einzige herrschend gewordene Leidenschaft einen Menschen führen kann. Aus wollüstigem Hang zu einem schändlichen Bösewicht unterdrückt die Tochter das stärkste Gefühl, das die Natur in uns gelegt hat, und beschließt ihres Vaters Mörderin zu werden. Allein noch nicht genug! Um ihren Streich nicht zu verfehlen, entschließt sie sich zu einer Vorbereitung, die noch abscheulicher ist als das Verbrechen selbst. Angesteckt von den verworfenen Grundsätzen ihres Liebhabers und eingeweiht in die Geheimnisse seiner infernalischen Kunst, übte die Marquise sich lange vorher in den unerhörtesten Versuchen, um ihr Ziel desto sicherer zu erreichen. Ihre ersten Experimente machte sie an Tieren. Allein da ihre Hauptabsicht auf Menschen gerichtet war, so genügten ihr diese Versuche nicht. Sie fürchtete, die große Verschiedenheit des menschlichen Körperbaues könnte ihre Kunst zuschanden machen. Sie nahm sich also vor, sie an den Menschen selbst zu studieren! Zu diesem Ende teilte sie vergifteten Zwieback unter die Armen aus und brachte selbst diese tödlichen Geschenke in das Gotteshaus, um mit eignem Auge die ersten Wirkungen derselben an den Kranken beobachten zu können. Indes da ihr die Klugheit hier doch nicht erlaubte, von allen Wirkungen und Symptomen des Gifts selbst Zeuge zu sein, so beschloß sie endlich, an ihrer Kammerjungfer eine Probe zu machen. Sie gab ihr einen Teller mit vergifteten Johannisbeeren und Schinken. Das unglückliche Mädchen wurde todkrank davon, aber sie starb doch nicht. Eine Beobachtung, wodurch Sainte-Croix belehrt wurde, daß sein Gift noch eines Zusatzes bedürfe, um seine Wirkung nicht zu verfehlen.

Sie wiederholte diese Experimente auch noch an andern, um die Wirkung ihres Giftes auf verschiedne Körper methodisch zu studieren. Frau von Sévigné macht in ihren Briefen folgende Beschreibung von diesen Versuchen. »Die Brinvillier«, sagt sie »setzte ihren Gästen bisweilen vergiftete Taubenpasteten vor, nicht gerade, um sie ums Leben zu bringen, sondern nur um Beobachtungen über ihre Gifte anzustellen. Mehrere aber starben wirklich davon. Auch der Ritter von Guet hatte einst eine solche Mahlzeit bei ihr eingenommen. Das Gift verzehrte ihn aber ganz langsam, er starb erst zwei oder drei Jahre nachher. Da die Unglückliche schon im Gefängnis saß, erkundigte sie sich nach ihm, ob er gestorben sei; und als man ihr sagte, daß er noch lebe, erwiderte sie: ›Er hat in der Tat ein zähes Leben.‹ Herr von Rochefoucault erzählt dies als eine ganz wahre Begebenheit.«

Durch eine Reihe solcher unerhörter Grausamkeiten im Laster schon verhärtet und durch lange Übung sicher, ihr Ziel nicht zu verfehlen, beschloß sie endlich, den Streich gegen das bestimmte Opfer selbst zu führen. Es konnte ihr nicht schwer werden, eine passende Gelegenheit dazu zu finden. Als eine gelehrige Schülerin von Sainte-Croix hatte sie auch in der Verstellungskunst so schnelle Fortschritte gemacht, daß sie den Unwillen ihres Vaters, der wegen ihrer Aufführung sehr aufgebracht gewesen war, längst wieder besänftigt hatte. Seit ihr Liebhaber in die Bastille gebracht worden war, hatte sie ihr Betragen mit so viel Feinheit geändert, daß ihr Vater bald wieder völlig mit ihr ausgesöhnt wurde; und da sie auch in der Folge vorsichtig genug war, ihn von der Fortsetzung ihres Umgangs mit Sainte-Croix nichts ahnen zu lassen, so besaß sie jetzt seine ganze Zärtlichkeit und sein unumschränktes Vertrauen.

Als er eines Tages beschloß, zur Erholung von seinen beschwerlichen Amtsgeschäften einige Tage auf seinem Landhause zu Offemont zuzubringen, mußte ihn die Marquise begleiten. Sie hatte sich ihm ganz unentbehrlich gemacht. Ihr hatte er alle Sorge für seinen durch Arbeit und Alter schon geschwächten Körper anvertraut; ohne sie wollte er keine Freude genießen, mit ihr auch dies Vergnügen des ländlichen Aufenthalts teilen. Hier in dieser heiligen Freistatt der Ruhe, mitten unter den rührendsten Ergießungen der väterlichen Liebe, reichte die Marquise ihrem Vater den Becher des Todes.

Um auch nicht den entferntesten Verdacht zu erregen, übernahm sie selbst gleich von Anfang an die ganze Pflege ihres Vaters. Wer konnte auch besser als eine so zärtliche Tochter jede kleinste Sorge für ein so teures Leben beobachten? Sie selbst ließ unter ihren Augen alle Suppen für ihn bereiten; sie selbst reichte sie ihm mit eigner Hand. Kein Zug ihres Gesichts verriet das unnatürliche Verbrechen, das in ihrer Seele schon beschlossen war. Vielmehr schien sie nur mit doppelter Sorgfalt für die Erhaltung des unglücklichen Vaters zu wachen, zu dessen Vernichtung sie schon den Dolch gezückt hatte.

Endlich glaubte sie sich sicher genug, um ihr Werk zu vollenden. Sie vergiftete eine Suppe, die sie ihm selbst brachte, und sie war Ungeheuer genug, sie ihm mit der Miene der zärtlichsten Besorgnis für seine Gesundheit selbst zu reichen.

Nicht lange, so äußerte das Gift seine Wirkung. Herr von Aubray bekam ein heftiges Erbrechen und unerträgliche Magenschmerzen; eine tödliche Hitze brannte in seinen Eingeweiden. Unter dem Vorwand, ihm beizustehen und ihm die Arzneien selbst zu reichen, ließ ihn seine Tochter keinen Augenblick aus den Augen. Mit gespannter Erwartung beobachtete sie die Wirkungen des Giftes. Ihr einziger Wunsch war, den Tod schnell kommen zu sehen, ihre einzige Furcht, daß die gute Leibesbeschaffenheit des Unglücklichen dem Gift widerstehen möchte. Aber auch nicht die kleinste Bewegung ihres Gesichts verriet diese satanischen Empfindungen; vielmehr schien sie über die Leiden ihres Vaters vom innigsten Schmerz durchdrungen. Der Kranke wurde nach Paris zurückgebracht und mußte in einigen Tagen der Stärke des Giftes unterliegen.

Gewisse Verbrechen, besonders Verbrechen dieser Art sind so abscheulich, daß man, weit entfernt sie zu argwöhnen, sich nicht einmal ihre Möglichkeit vorstellen kann. Die wahre Ursache von dem plötzlichen Tod des unglücklichen Vaters ahnte kein Mensch; es fiel niemand ein, sie in seinen Eingeweiden aufsuchen zu lassen. Man bezeugte seinen Kindern sein Beileid über den Verlust eines so rechtschaffenen Vaters, und die schöne leidtragende Tochter hatte die meisten Tröster um sich. Die erkünstelte Betrübnis, unter der sie ihre innere Freude verbarg, hatte so ganz den Schein der Aufrichtigkeit, daß jedermann glaubte, sie fühle den Verlust noch weit schmerzlicher als ihre Geschwister. Aber sie tröstete sich für diesen lästigen Zwang, den sie sich antun mußte, in den Armen ihres abscheulichen Liebhabers, mit dem sie nun schon Pläne entwarf, den Nachlaß des Ermordeten auf die beste Art zu verschwenden.

Indes fiel der Anteil an dem hinterlassenen Vermögen, den die Marquise erhielt, nicht ihren Erwartungen gemäß aus. Die meisten Güter teilte ihr älterer Bruder, der seinem Vater im Amte folgte, mit dem jüngeren, welcher Parlamentsrat war. Sainte-Croix und seine schändliche Buhlerin sahen also ihren Zweck nur halb erreicht. Es mußten noch zwei Köpfe fallen, um sie ganz in den Besitz der Güter zu setzen, auf den sie es bei der Ermordung des Vaters abgesehen hatten. Der Tod der beiden Brüder wurde also beschlossen. Das Vorzugsrecht an der väterlichen Erbschaft, das Gesetze und Familienverträge den Söhnen zusprechen, war hier ihr Todesurteil.

Sainte-Croix übernahm selbst diese Vollendung des Plans. Es war für seine Absichten hinreichend, die Marquise zum Vatermord selbst gebraucht und sich dadurch ihrer Verschwiegenheit und ihrer Einwilligung zu jedem folgenden Schritt versichert zu haben. Was noch zu tun übrig war, wollte er selbst vollführen.

Zwei Bösewichter, die er in seinem Sold hatte, waren ihm die unfehlbarsten Mittel dazu. Der eine, namens Martin, aus einer Provinz mit ihm gebürtig, war bei ihm im Hause und machte eine Art von Verwalter. Diesem Menschen konnte er die verwegensten Unternehmungen anvertrauen, sicher, daß ihn keine Schwierigkeit abschrecke, sobald es darauf ankam, ein Verbrechen zu begehen. Falsches Geld zu münzen, war sein Hauptgeschäft; die Zeit, die er nicht dazu gebrauchte, brachte er in den zügellosesten Ausschweifungen zu. Ein Subjekt, das in der Tat wert war, einem solchen Herrn zu dienen! Der andere, namens La Chaussée, sein ehemaliger Bedienter, hatte ebenfalls alle nötigen Anlagen, um sich seines Vertrauens vollkommen würdig zu zeigen.

Der letztere wurde hier zum Werkzeug gewählt. Die Marquise fand Gelegenheit, ihn in die Dienste ihres jüngeren Bruders zu bringen, der mit dem älteren zusammenwohnte. Sie verbarg aber ihren Brüdern sehr sorgfältig, daß dieser Mensch ehemals mit Sainte-Croix in Verbindung gestanden hatte, so wie sie überhaupt auch den eigenen Umgang mit ihrem Liebhaber aufs peinlichste vor ihnen verheimlichte.

Der erste Angriff sollte auf den Zivilleutnant gerichtet werden. Dem La Chaussée wurden hundert Pistolen versprochen, mit der Versicherung einer lebenslänglichen Versorgung, wenn er ihn glücklich aus dem Wege schaffen würde. Der Eifer, womit dieser Bösewicht zu Werke ging, hätte aber beinah den ganzen Plan aufgedeckt.

Begierig, seinen Auftrag schnell auszuführen, und in der Absicht, seinen Zweck nicht zu verfehlen, nahm er die Dosis zu stark. Er brachte dem Zivilleutnant ein Glas Wasser und Wein, das er vergiftet hatte. Allein kaum hatte dieser es an die Lippen gebracht, als er erschrocken zurückfuhr und schrie: »Was hast du mir gegeben, Bösewicht? Ich glaube, du willst mich vergiften.« Er gab das Glas seinem Sekretär, der etwas davon in einem Löffel kostete und versicherte, es schmecke bitter und rieche wie Vitriol. Die kleinste Verwirrung des Bedienten würde alles verraten haben. Allein selten fehlt es Verbrechern dieser Art an der nötigen Geistesgegenwart. Ohne im geringsten aus der Fassung zu kommen, nahm La Chaussée eilends das Glas und goß es aus. »Wahrscheinlich«, sagte er, »ist mir in der Eile das Glas in die Hände gefallen, aus welchem der Kammerdiener des Rats heute früh Arznei genommen hat; daher muß der üble Geschmack kommen.« So entkam er mit einem bloßen Verweis wegen seiner Nachlässigkeit, und der Vorfall erregte weiter keinen Verdacht.

Dieser mißlungene Versuch, unerachtet er mit so großer Gefahr verbunden gewesen war, hielt aber die Verbündeten nicht ab, ihren Plan zu verfolgen. Allein um ihn mit mehr Sicherheit auszuführen, ergriffen sie ihre Maßregeln auf die Gefahr hin, mehrere Personen zugleich zu treffen, denen sie eigentlich nicht gelten sollten.

Im Anfang des Aprils 1670 begab sich der Zivilleutnant auf sein Landgut nach Villequoy in Beausse, um die Osterferien da zuzubringen. Der Parlamentsrat, begleitet von La Chaussée, reiste mit ihm. Eines Tages, als eine zahlreiche Gesellschaft mit ihnen zu Mittag speiste, wurden plötzlich sieben Personen zugleich nach der Mahlzeit sehr krank. Dies waren gerade diejenigen, die von einer Ragoutpastete, die aufgetragen worden war, gegessen hatten. Alle anderen, die sie vorübergehen hatten lassen, blieben ganz wohl. Der Zivilleutnant und der Rat waren die ersten, die die Wirkung des Gifts an sich erfuhren. Sie wurden vom heftigsten Erbrechen befallen. Am 12. April kamen sie nach Paris zurück, beide mit eingefallenen blassen Gesichtern, als wären sie eben von einer langwierigen, harten Krankheit wieder erstanden.

Dies hielt Sainte-Croix für den rechten Zeitpunkt, sich der Vorteile zu versichern, die er für seine Person bei dem Verbrechen beabsichtigt hatte. Er ließ sich von der Marquise zwei Verschreibungen ausstellen, die eine von 30 000 Livres auf seinen eignen und eine andre von 25 000 Livres auf Martins Namen. So groß war also die Summe, welche die Marquise für den Mord ihrer Brüder bezahlte!

Mit dem Zivilleutnant wurde es inzwischen von Tag zu Tag schlimmer. Er hatte einen unüberwindlichen Ekel vor allen Speisen, und das Erbrechen ließ nicht nach. Drei Tage vor seinem Tode fühlte er ein wütendes Feuer in seinem Magen, das ihn ganz zu verzehren schien. Er starb endlich am 17. Juni 1670. Bei der Öffnung seines Leichnams fand man den Magen und Zwölffingerdarm ganz schwarz und zerbröckelnd, als wären sie über einem großen Feuer gebrannt, und die Leber angefressen und brandig. Es war entschieden, daß er vergiftet worden sein müsse. Allein auf wen sollte man Verdacht werfen? Man hatte noch nicht den geringsten Argwohn auf jemand.

Die Marquise hatte die Vorsicht gebraucht, sich während dieser Vorfälle aufs Land zu begeben. Sainte-Croix berichtete ihr jetzt den Tod des Zivilleutnants mit dem Zusatz: das Befinden des Parlamentsrats lasse hoffen, er werde seinem Bruder bald nachfolgen.

In der Tat zeigten sich auch bei dem Parlamentsrat ebendieselben Symptome wie bei seinem Bruder. Er mußte aber noch einen Monat länger in diesem qualvollen Zustand zubringen. Sein Gemüt war von einer peinlichen Beängstigung nicht weniger als sein Körper von heftigen Schmerzen gemartert. Von innen und von außen unaufhörlich beunruhigt, fand er jede Lage unbequem. Das Bett war ihm eine Marter; und doch hatte er es kaum verlassen, so verlangte er auch wieder hinein, um Linderung darin zu suchen, die er indessen nicht eher als in den Armen des Todes fand. Man öffnete seinen Leichnam und fand Magen und Leber bei ihm in ebendem Zustande wie bei seinem Bruder. Daß La Chaussée sein Mörder sei, ahnte er so wenig, daß er ihm vielmehr eine Anweisung auf 300 Livres in seinem Testament vermachte, die ihm auch ohne Schwierigkeit ausgehändigt wurde.

Noch war aber der Erbschaftshunger der Marquise nicht gestillt. Bis jetzt hatte sie zur Hälfte für ihre Schwester gearbeitet, mit welcher sie die Erbschaft von ihren Brüdern zu teilen hatte. Um alles allein zu haben, mußte auch diese aus dem Wege geräumt werden, und ihr Werk war immer nur halb getan, wenn nicht den vollbrachten drei Mordtaten diese vierte folgte. Sie ließ es auch in der Tat nicht an Versuchen fehlen, ihrer Schwester mit den nämlichen Waffen beizukommen. Allein diese, gewarnt durch drei so schreckliche Beispiele, die so schnell hintereinander in ihrer Familie vorgefallen waren, war auf ihrer Hut und entging allen Nachstellungen durch kluge Vorsicht.

Am übelsten aber wurde dem Gemahl der Marquise selbst mitgespielt. »Die Frau von Brinvillier«, erzählt Frau von Sévigné in ihrem 270. Brief, »hatte Lust, den Sainte-Croix zu heiraten, und brachte, um diesen Plan ausführen zu können, ihrem Gemahl mehrmals Gift bei. Sainte-Croix aber, der gar keine Lust hatte, ein Weib zu heiraten, das ihm an Abscheulichkeit gleichkam, suchte jederzeit, um die Ausführung dieses Plans zu verhindern, ihm Gegengift beizubringen. So ward der unglückliche Ehemann nur dadurch am Leben erhalten, daß er, von den beiden Ungeheuern einander zugeschleudert, bald vergiftet, bald entgiftet wurde.«

Man sprach jetzt allgemein über diese drei so schnell aufeinander erfolgten Todesfälle, und die Umstände, von welchen sie begleitet gewesen waren, ließen nicht daran zweifeln, daß der Vater sowohl als die beiden Söhne an Gift gestorben seien. Allein über die Täter hatte man bloß leere Vermutungen. Auf Sainte-Croix fiel auch nicht der entfernteste Argwohn. Jedermann glaubte, sein Verhältnis mit der Marquise sei längst ganz aufgehoben; zu welchem Zweck sollte er also diese Verbrechen begangen haben? Auch La Chaussée kam gar nicht in Verdacht. Im Verstellen seiner Lasterhaftigkeit nicht weniger als im Ausführen derselben geübt, hatte er sich mit solcher Unbefangenheit bei dieser Schandtat benommen, daß es niemand einfiel, sie ihm zuzuschreiben.

Ein Zufall entdeckte endlich das ganze infernalische Komplott. Sainte-Croix hatte zwar in der Familie Aubray seinen Zweck erreicht. Allein für einen Menschen, dessen Wünsche mit jeder Befriedigung nur unersättlicher wurden, hatte eine Kunst, die so leichte Mittel bot, zu jedem Ziel zu gelangen, zu viel Reiz, um sie sogleich nach dem ersten Versuch ungebraucht beiseitezulegen. Vielmehr betrieb er jetzt das Studium derselben nur mit desto größerem Eifer. Die Gifte, die er verfertigte, waren so fein, daß sie durch einen einzigen Atemzug töten konnten. Er nahm deshalb bei seinen Zubereitungen eine gläserne Maske vor, um die Ausdünstungen des Gifts von sich abzuhalten. Eines Tages aber fiel ihm die Maske vom Gesicht, und er blieb auf der Stelle tot.

Niemand wußte, ob noch Verwandte von ihm vorhanden seien. Die Obrigkeit ließ also seine Sachen versiegeln und darauf ein Inventarium darüber aufnehmen. Unter anderm kam auch ein Kästchen zum Vorschein, bei dessen Eröffnung man gleich obenauf ein Schreiben folgenden Inhaltes fand:

»Ich bitte diejenigen inständigst, in deren Hände dieses Kästchen kommen könnte, daß sie mir die Güte erzeigen, der Marquise von Brinvillier, in der neuen Paulsstraße, dasselbe eigenhändig zu überliefern, indem alles, was darin befindlich ist, sie allein betrifft und ihr allein gehört, und außer dem Interesse, das sie dabei hat, keinem Menschen etwas nutzen kann. Sollte aber diese Dame schon vor mir gestorben sein, so bitte ich, dasselbe weder zu öffnen, noch den Inhalt zu prüfen, sondern es mit allem, was sich darin findet, sogleich zu verbrennen. Damit aber derjenige, in dessen Hände dieses Kästchen fällt, nicht zum Vorwand nehme, daß man doch nicht wissen könne, ob sich dies alles wirklich so verhalte, so schwöre ich bei Gott, den ich anbete, und bei allem, was heilig ist, daß es die reine Wahrheit ist. Sollte er aber demunerachtet meiner gutgemeinten und wohlüberlegten Anweisung zuwiderhandeln, so gebe ich es ihm auf sein Gewissen in dieser und jener Welt, indem ich erkläre, daß es mein letzter Wille ist.

Geschrieben zu Paris, den 25. Mai 1672, nachmittags.

Unterzeichnet: von Sainte-Croix.« Weiter unten war noch geschrieben: »Paket, gerichtet an Herrn Penautier, der es überliefern soll.«

Diesem Verlangen zum Trotz machte sich die Obrigkeit kein Gewissen daraus, das Kästchen zu untersuchen; und wir wollen nun unsern Lesern eine Beschreibung dieser dem Schutz Gottes und alles dessen, was am heiligsten ist, übergebenen Schätze in den Worten des darüber aufgenommenen Protokolls mitteilen.

»1. In dem Kästchen fand sich ein Paket, das mit acht Siegeln von verschiednen Wappen versiegelt war, mit der Aufschrift: ›Papiere, die nach meinem Tod zu verbrennen sind, da sie niemand etwas nützen können. Ich bitte sehr inständig darum, und ich gebe es denen, in deren Hände sie kommen, aufs Gewissen, daß sie es tun; aber ohne es zu öffnen.‹ In diesem Paket waren zwei andre, welche sublimierten Merkurius enthielten.

»2. Ein anderes Paket, mit sechs Siegeln von verschiedenen Wappen versiegelt und auf die nämliche Art überschrieben, worin sich gleichfalls ein halbes Pfund sublimierter Merkurius befand.

»3. Ein Paket auf die nämliche Art versiegelt und überschrieben, mit drei Päckchen, von welchen das erste eine halbe Unze, das zweite zwei Unzen sublimierten Merkurius und ein viertel Pfund römischen Vitriol, und das dritte kalzinierten präparierten Vitriol enthielt.

»4. Eine große viereckige Flasche mit einem Nößel klaren Wassers, woran, wie Herr Moreau, der Arzt, versicherte, nichts zu erkennen war, bis man Versuche damit anstellen könnte.

»5. Eine andere kleinere Flasche mit dergleichen klarem Wasser, auf deren Boden sich ein weißlicher Satz befand. Herr Moreau bemerkt dabei das nämliche.

»6. Ein kleiner Topf von Porzellan, worin zwei oder drei Unzen präpariertes Opium waren.

»7. Ein zusammengelegtes Papier, in welchem sich zwei Drachmen von sublimiertem korrosivischen Merkurius befanden.

»8. Eine Büchse mit Höllenstein.

»9. Ein Papier mit einer Unze Opium.

»10. Ein Stück von drei Unzen Regulus Antimonii.

»11. Ein Paket Pulver, auf dessen Umschlag geschrieben war: ›Das Blut der Weiber zu stillen.‹ Herr Moreau sagt, es sei aus gedörrten Quittenknospen und Blättern gemacht.

»12. Ein Paket mit sechs Siegeln, wie die obigen überschrieben, in welchem siebenundzwanzig Stückchen Papier enthalten waren, jedes mit der Aufschrift: ›Verschiedene sonderbare Geheimnisse.‹

»13. Ein Paket, ebenfalls mit der obigen Überschrift, worin man sechs verschiedne Pakete fand, die an verschiedne Personen adressiert waren und zusammen fünfundsiebzig Pfund sublimierten Merkurius enthielten.«

Wir fügen diesem Verzeichnis von Giften sogleich einen der Berichte bei, welche von den Ärzten über die damit angestellten Versuche erstattet wurden.

»Das künstliche Gift des Sainte-Croix«, sagte einer dieser Ärzte, »entzieht sich allen Versuchen, die man damit anstellen will. Es ist so versteckt, daß man es nicht erkennen kann, so fein, daß es alle Kunst des Arztes hintergeht. Die gewöhnlichen Experimente mit den Giften werden entweder mit den Elementen oder mit Tieren angestellt. Im Wasser fällt das Gift vermöge seiner Schwere zu Boden; es präzipitiert sich und sinkt unter. Im Feuer wird alles Fremdartige und Unschädliche davon abgesondert und verzehrt, es bleibt nur eine scharfe, bittere Materie zurück. An den Tieren bemerkt man seine Spuren durch den ganzen Körper; es verbreitet sich durch alle Teile, durchdringt alle Gefäße, verbrennt und zernagt alle Eingeweide. Bei diesen Giften des Sainte-Croix werden die Erfahrungen nichtig, die Regeln ungewiß und die Aphorismen lächerlich. Sie schwimmen auf dem Wasser; sie lassen in der Feuerprobe bloß eine süße, unschädliche Materie zurück und liegen in den tierischen Körpern so künstlich versteckt, daß man sie unmöglich erkennen kann. Man hat alle Arten von Versuchen damit angestellt. Zuerst goß man aus einer der Flaschen einige Tropfen in Weinsteinöl und in Seewasser; allein es präzipitierte sich gar nichts auf den Boden des Gefäßes, worin man den Versuch machte. Einen andern Versuch machte man damit, daß man das nämliche Wasser in ein Gefäß voll heißen Sandes goß; allein es blieb keine scharfschmeckende Materie auf dem Sande zurück. Der dritte Versuch wurde mit einem jungen indischen Huhn, einer Taube und einem Hunde angestellt. Diese Tiere starben gleich darauf. Da man sie aber am folgenden Tag öffnete, fand sich gar nichts weiter, als ein wenig geronnenes Blut in der Herzkammer. Noch einen Versuch machte man mit einem von den weißen Pulvern an einer Katze, der man etwas davon in Schafdärmen beibrachte. Sie spie eine halbe Stunde lang, und am andern Tage fand man sie tot. Man sah aber bei der Öffnung keinen einzigen Teil vom Gift angegriffen. Ein zweiter Versuch mit dem nämlichen Pulver wurde an einer Taube vorgenommen, die auch kurze Zeit darauf starb. Bei der Öffnung fand man nichts weiter als ein wenig rötliches Wasser im Magen.«

Man kann aus diesem Zeugnis entnehmen, wie weit sich Sainte-Croix nach und nach in dieser abscheulichen Kunst vervollkommnet hatte. In der Tat war er mit diesen Hilfsmitteln der gefährlichste Mensch, der ungestraft dem ganzen menschlichen Geschlecht den Krieg ankündigen konnte.

Außer diesem Apparat der fürchterlichsten Gifte enthielt aber jenes Kästchen – zum Unglück der Frau von Brinvillier – auch alle die Papiere, welche auf sie Bezug hatten. Man fand darin nicht nur alle die Briefe, die sie an ihn geschrieben hatte, sondern auch die von ihr an Sainte-Croix ausgestellte Verschreibung von 30 000 Livres.

In einem dieser Briefe schrieb die Marquise: »Entschlossen, meinem Leben ein Ende zu machen, habe ich diesen Abend etwas von dem genommen, was Ihre freundschaftliche Hand mir mitgeteilt hat. Es ist von Glazers Rezept. Sie sehen, daß ich für Sie mein Leben opfern kann. Aber ich gebe den Wunsch nicht auf, Sie vielleicht noch einmal an einem gewissen Ort zu sprechen, um Ihnen das letzte Lebewohl zu sagen.« Wahrscheinlich war dies bloß eine von den Drohungen, die die gewöhnliche Sprache aufgebrachter Liebenden und gewöhnlich nur das Signal zur Versöhnung sind. Aber man sieht doch daraus, daß zwischen diesen beiden, durch die schwärzesten Verbrechen verbündeten Seelen nicht immer die beste Harmonie geherrscht hatte.

Die Marquise erfuhr zu gleicher Zeit den Tod des Sainte-Croix und die Versiegelung seiner Sachen. Der Schmerz über den Verlust ihres Liebhabers ward durch die Unruhe über diese Versiegelung verdrängt. Ohnehin war, wie man sogleich sehen wird, die Liebe dieser zwei Menschen, die einander fürchten mußten, längst erkaltet. Und das fatale Kästchen ließ ihr jetzt gar nicht Zeit, an etwas anderes zu denken. Was für Schritte sie tat, um dasselbe noch in ihre Gewalt zu bekommen, hören wir aus folgenden Zeugenaussagen.

Peter Frater, der Schreiber des Kommissars Picard, sagte bei dem Zeugenverhör aus: Die Frau von Brinvillier sei abends um zehn Uhr in das Haus seines Herrn gekommen, um mit diesem noch zu sprechen. Er habe ihr geantwortet, sein Herr sei schon zu Bett. Darauf habe sie verlangt, er solle es dem Kommissar melden, daß sie wegen eines Kästchens gekommen sei, das unter den versiegelten Sachen des Sainte-Croix sich befinde und ihr gehöre und das sie uneröffnet zurückverlange. Der Kommissar habe ihr durch ihn antworten lassen: er sei bereits schlafen gegangen; und darauf habe sie zur Antwort gegeben: sie werde am andern Morgen einen Menschen schicken, der das Kästchen abholen solle.

Ein andrer Zeuge namens Cluet gab an: Die Frau von Brinvillier habe gesagt: ihr ältester Bruder sei ein nichtswürdiger Mensch gewesen; wenn es ihr darum zu tun gewesen wäre, ihn aus dem Wege zu schaffen, so hätte sie ihn längst, da er noch Intendant zu Orleans gewesen, auf dem Wege dahin durch zwei Edelleute ermorden lassen können. Sie habe dem Sainte-Croix nur darum noch soviel gute Worte gegeben, um ihm das Kästchen abzulocken, und sie würde gerne fünfzig Louisdor gegeben haben, wenn es ihr jemand nach seinem Tode hätte verschaffen können; sie wünsche nicht, daß jemand sähe, was darin sei, es seien Sachen von Wichtigkeit, welche sie beträfen. Da er ihr darauf gesagt habe: der Kommissar Picard habe verlauten lassen, er habe sonderbare Sachen darin gefunden, sei sie plötzlich errötet und habe sogleich versucht, das Gespräch auf etwas anderes zu lenken. Er habe sich auch die Freiheit genommen, sie zu fragen: ob sie nicht etwa Anteil an den Vergiftungen gehabt habe, deren Sainte-Croix verdächtig sei. Darauf habe sie mit sichtbarer Verwirrung geantwortet: ›Warum ich?‹ Zugleich habe sie äußerst verlegen und ohne recht zu wissen, was sie rede, hinzugesetzt: sie habe den Sainte-Croix lange genug verfolgt, um das Kästchen zu bekommen, und wenn sie es gehabt hätte, würde sie ihn aufhängen haben lassen.

Die Marquise sah bald deutlich genug, daß es zu spät sei, sich noch um das Kästchen zu bemühen. Es war in den Händen der Obrigkeit, und sie konnte nicht hoffen, daß es ihr ununtersucht würde ausgeliefert werden. Um also der dabei zu befürchtenden Gefahr zu entgehen, faßte sie den Entschluß, ihr Heil in der Flucht zu suchen. Sie verließ Picpus, wo sie sich damals aufhielt, plötzlich in der Nacht und flüchtete sich nach Lüttich.

Vor ihrer Abreise trug sie noch einem Sachwalter auf, in ihrem Namen bei der Versiegelungskommission zu erscheinen. Dieser ließ folgendes zu Protokoll bringen: »Es erscheint Alexander La Mare als Sachwalter der Frau Marie Margarete von Aubray, Marquise von Brinvillier, und gibt an, daß, wenn sich in einem Kästchen ein von besagter Marquise von Brinvillier unterschriebenes schriftliches Versprechen einer Summe von dreißigtausend Livres finden sollte, dieses ein durch List und Überraschung ihr abgelocktes Versprechen ist, wogegen sie gehört zu werden verlangt, um es für null und nichtig erklären zu lassen.«

Alle diese Umstände gaben Verdachtsgründe genug wider die Marquise, daß sie mit Sainte-Croix gemeinschaftliche Sache gemacht habe. Allein sie waren doch nicht hinreichend, sie zu überführen. Auf einmal aber erhielten die Richter neues Licht durch La Chaussée, der sich selbst durch seine Unbesonnenheit der Gerechtigkeit in die Hände lieferte. Er erhob nämlich Einsprache bei der Versiegelungskommission wegen besonderer Forderungen, die er noch an Sainte-Croix zu machen habe. Er habe ihm, sagte er, während der sieben Jahre, die er in dessen Diensten zugebracht, hundert Pistolen und hundert Taler Silbergeld aufzuheben gegeben, die sich in einem leinenen Beutel hinter dem Fenster des Kabinetts finden müßten, mit einer schriftlichen Versicherung des Sainte-Croix, zur Beglaubigung seiner Aussage. Ferner werde man an demselben Orte eine Zession von dreihundert Livres, auf einen gewissen La Serre ausgestellt, antreffen, die er von dem verstorbenen Rat Aubray erhalten habe, und drei Quittungen von seinem Lehrherrn, jede über hundert Livres. Er verlange also diese Papiere sowohl als jenes Geld zurück.

Diese bestimmte Bezeichnung so vieler besonderer Umstände, welche man alle als richtig befand, ließ vermuten, daß La Chaussée eine sehr genaue Bekanntschaft mit dem Kabinett des Sainte-Croix haben müsse. Wahrscheinlich aber hatten in diesem Kabinett nur die vertrautesten Freunde desselben Zutritt, und der Vertraute eines solchen Menschen kann man nicht sein, ohne an seinen Verbrechen Anteil zu haben. La Chaussée hatte also durch diesen Schritt einen starken Verdacht wider sich erweckt, welcher dadurch noch sehr vermehrt wurde, daß er eine große Unruhe erkennen ließ, als man ihm sagte, was für Entdeckungen beim Versiegeln gemacht worden seien.

Madame von Villarceau, die Witwe des jüngeren Zivilleutnants von Aubray, hielt diese Indizien für stark genug, um ihn wegen Vergiftung ihres Gemahls peinlich anzuklagen. Es wurde auch sogleich ein Dekret zu seiner Verhaftung erlassen. Als man ihn arretierte, fand man bei ihm Gift.

Der Prozeß nahm also nun seinen Anfang mit den Zeugenverhören. Wir wollen aus einer großen Menge von Zeugenaussagen hier nur einige der merkwürdigsten wiedergeben.

Lorenz Perette, ein Lehrbursche bei dem Apotheker Glazer, sagte aus: Er habe oft eine Dame in Begleitung des Sainte-Croix zu seinem Herrn kommen sehen, deren Bedienter einst zu ihm gesagt habe: das ist die Frau von Brinvillier, ich wollte meinen Kopf wetten, daß sie bloß zum Glazer kommen, um Gift bei ihm machen zu lassen. Ihren Wagen, setzte er hinzu, habe sie jedesmal in ziemlicher Entfernung vom Hause halten lassen.

Die zweite Zeugin war Amande Huet, die Tochter eines Apothekers, welche in dem Hause der Marquise von Brinvillier freien Zutritt hatte und oft dahin kam. Folgendes ist ihre Aussage: »Eines Tages befand ich mich in dem Kabinett der Marquise, als diese eben ganz betrunken hereinkam, um ihren Rausch auszuschlafen. In diesem Zustand war sie so unbedachtsam, mir eine Büchse zu zeigen, die sie aus ihrer Schatulle nahm. ›Hier ist etwas,‹ sagte sie, ›womit man sich an seinen Feinden rächen kann, auch soll es für Sukzessionen sehr gut sein.‹ Ich erkannte es als sublimierten Merkurius, teils in Pulver, teils als Masse. Da die Marquise nach sieben oder acht Stunden wieder erwachte und die Weindünste verraucht waren, erzählte ich ihr, was vorgefallen war. ›Das war nur in den Wind gesprochen‹, erwiderte sie, empfahl mir aber doch unverbrüchliches Stillschweigen. Indes bewahrte sie diese Schatulle immer mit der äußersten Sorgsamkeit und bat mich, wenn sie sterben sollte, dieselbe sogleich ins Feuer zu werfen. Als sie einst Verdruß gehabt hatte« – fuhr diese Zeugin fort – »entschlüpfte ihr die Äußerung: sie wolle sich vergiften. Ein andermal, da sie gegen jemand aufgebracht war, sagte sie: ›Es gibt noch Mittel, sich widerwärtige Leute vom Hals zu schaffen, es braucht nur eine Pistolenkugel in einer Brühe!‹ Auch sah ich den La Chaussée öfters bei der Marquise in vertraulichen Gesprächen. ›Das ist doch ein braver Junge,‹ sagte sie eines Tages zu ihm, indem sie ihm die Wangen streichelte, ›er hat mir gute Dienste geleistet.‹

Eine Jungfer Villeray bezeugte: Sie habe den La Chaussée in großer Vertraulichkeit mit der Marquise gefunden. Nach dem Tode des Zivilleutnants habe sie beide allein beisammen gesehen, und zwei Tage nach dem Tode des Parlamentsrates habe die Marquise ihn selbst hinter ihr Bett verstecken müssen, weil eben Herr Cousté, der Sekretär des Verstorbenen, sich bei ihr habe anmelden lassen. Diesen Umstand bekannte La Chaussée selbst bei seinem zweiten Verhör. Er habe einen Brief von Sainte-Croix, sagte er, an die Marquise gehabt und wäre von Herrn Cousté bei ihr angetroffen worden, wenn er sich nicht versteckt hätte.

Cluet, der schon oben unter den Zeugen wider die Marquise angeführt worden ist, setzte hinzu: »Noch vor der Vergiftung der beiden jüngeren Herren von Aubray habe er eines Tages zur Frau von Brinvillier gesagt: ›Wenn der Zivilleutnant wüßte, daß La Chaussée bei Sainte-Croix gedient hat, würde er ihn gewiß sogleich fortschicken.‹ ›Mein Gott!‹ habe sie darauf hastig geantwortet, ›sagen Sie meinen Brüdern ja nichts davon, ich glaube, sie prügelten ihn zum Hause hinaus; und doch sehe ichs lieber, daß er etwas verdient, als ein anderer.‹«

Andere Zeugen erzählten: Als La Chaussée während der Krankheit seines Herrn nach dessen Befinden gefragt worden, habe er mit einem groben und verächtlichen Beinamen, den er ihm gegeben, geantwortet: »Er ist schon abgezehrt genug, aber er macht uns viel Mühe, ich weiß nicht, wann er einmal seinen Abschied nehmen wird.« Und nachher, als er ihn nach seinem Tode in ein Tuch eingewickelt hatte, habe er mit dem nämlichen Schimpfwort gesagt: »Nun ist er tot – ich will ihn jetzt verscharren lassen; ich habe ihn rechtschaffen herumgeschüttelt, bei seinem Leben hätte ich ihn nicht so herumschütteln dürfen.«

Das Châtelet hielt indes diese Beweise doch nicht für hinreichend, um das Todesurteil über ihn zu sprechen und verurteilte ihn zu den ersten Graden der Folter.

Frau von Villarceau appellierte aber gegen dieses Urteil, das den Verbrecher leicht der verdienten Strafe entziehen könnte, wenn er nur Mut genug hätte, die Schmerzen der Folter zu überwinden und seine Verbrechen standhaft zu leugnen. Darauf wurde von der Kriminalkammer am 4. März 1673 folgendes neue Urteil über La Chaussée gesprochen: »Es wird feierlich und öffentlich erklärt, daß La Chaussée, angeklagt und überwiesen des Verbrechens, den Zivilleutnant und den Rat von Aubray mit Gift getötet zu haben, zu der wohlverdienten Strafe verurteilt worden sei, lebendig gerädert und sodann auf das Rad geflochten zu werden. Vor der Hinrichtung aber soll er noch auf die ordentliche und außerordentliche Folter gebracht werden, um seine Mitschuldigen von ihm zu erfahren. Übrigens wird die Marquise von Brinvillier, welche vor dem Richter zu erscheinen sich geweigert hat, verurteilt, enthauptet zu werden.«

Auf der Folter gestand er seine Verbrechen und erklärte: Er sei eigentlich bloß der Geschäftsträger von Sainte-Croix gewesen, der ihn durch große Belohnungen zu seinen Absichten verführt habe. »Das erstemal,« setzte er hinzu, »als mir Sainte-Croix Gift gab, sagte er mir, er habe es von der Marquise erhalten, deren Brüder damit vergiftet werden sollten; nachdem aber die Tat wirklich geschehen war, sagte er: die Frau von Brinvillier wisse nichts davon. Mir kommt dieses letztere aber sehr unwahrscheinlich vor, denn sie sprach nicht nur täglich mit mir von Gift, sondern sie wollte mich auch nach der vollbrachten Tat zur Flucht bereden und gab mir sogar in dieser Absicht Geld. Die Vergiftung der beiden Brüder,« fuhr er fort, »habe ich in Wasser und in Brühen versucht. In dem Glas, das ich dem Zivilleutnant reichte, war von dem rötlichen, in der Pastete, die zu Villequoy aufgetragen wurde, von dem hellen Wasser.« Man kann daraus schließen, daß er mehrere Versuche gemacht habe, den beiden Beamten Gift beizubringen. »Sainte-Croix,« sagte er endlich noch, »hatte auch große Lust, die Schwester der Marquise zu vergiften, und gab sich Mühe, ihr einen Bedienten zuzuführen, der die Tat verrichten hätte sollen. Allein der Versuch schlug fehl, entweder weil ein günstiger Zufall es so fügte, oder weil das Fräulein von Aubray, die wahre Ursache der plötzlichen Todesfälle in ihrer Familie ahnend, in alles, was durch die Hand oder auf Empfehlung ihrer Schwester an sie gelangt war, ein Mißtrauen setzte.«

Demunerachtet unterstützte diese Frau ihre mordsüchtige Schwester mit Geld auf ihrer Flucht.

Nun wurde das Todesurteil an La Chaussée auf dem Grèveplatz sogleich vollzogen.

Das ganze Gewicht der Anklage war jetzt durch diese Untersuchung auf die Marquise von Brinvillier gefallen. Jedermann war überzeugt, daß sie schuldig sei; man sprach ihren Namen mit Abscheu aus. Inzwischen glaubte sie durch ihre Flucht in ein fremdes Land sich dem Arm der Gerechtigkeit entzogen. Allein die Freistatt, welche Fürsten, durch das Gefühl der Menschlichkeit bewogen, welche selbst alles Gefühl der Menschlichkeit in sich erstickt haben; der Schutz, welcher kleinern Vergehungen gewährt wird, ist kein Freibrief für Verbrechen, vor welchen die Menschheit zurückschaudert; die Täter werden der Gerechtigkeit überliefert, sobald dem Landesherrn die Gründe der Zurückforderung vorgelegt werden.

Man schickte einen Gefreiten von den Polizeireitern, namens Desgrais, nach Lüttich, begleitet von einigen Gerichtsdienern, mit einem königlichen Schreiben an den Rat der Sechzig daselbst, worin der Monarch die Auslieferung der Marquise verlangte, um die gebührende Strafe an ihr vollziehen zu lassen. Der Rat, welchem Desgrais dieses mit einem Auszug aus den peinlichen Akten begleitete Schreiben vorlegte, fand kein Bedenken, ihm sogleich Erlaubnis zur Verhaftung der Frau von Brinvillier zu geben.

Desgrais, welcher hörte, daß sie sich in einem Kloster verborgen hatte, hielt es nicht für ratsam, sie aus dieser Freistätte mit Gewalt abzuholen. Er konnte hier leicht seinen ganzen Zweck verfehlen. Es war zu fürchten, daß eine gewaltsame Aufhebung in dem Kloster als Entweihung eines Heiligtums angesehen werden und einen Auflauf in der Stadt veranlassen könnte, währenddessen seine Beute ihm vielleicht aus den Händen entschlüpfte.

Er nahm also seine Zuflucht zu einer List. In einem geistlichen Gewand machte er der Marquise seine Aufwartung. Er sei ein Franzose, sagte er, und habe nicht durch Lüttich reisen wollen, ohne eine Dame zu besuchen, die ebenso allgemeine Teilnahme durch ihr unglückliches Schicksal als allgemeine Bewunderung durch ihre Schönheit errege. Er spielte seine Rolle so gut, daß er bald auf den Punkt kam, von Liebe sprechen zu dürfen. Er fand Gehör. Ein Kloster ist zu vertrauten Zusammenkünften zweier Verliebten ein sehr unbequemer Ort. Desgrais schlug also eine Spazierfahrt aufs Land vor. Sein Vorschlag ward angenommen. Kaum waren sie aber vor der Stadt, als sich der verliebte Abbé plötzlich in einen grausamen Gefreiten von der Polizeiwache verwandelte und sie den Händen seiner Häscher übergab, welche sie schon hier erwartet hatten.

Mit einer Ordre von dem Rat versehen, welche ihm freien Eingang sicherte, begab sich jetzt Desgrais sogleich ins Kloster und nahm alles weg, was er in dem Zimmer der Marquise fand. Am meisten war die Marquise durch eine Schatulle beunruhigt, die er unter ihrem Bett gefunden hatte. Sie bat sehr dringend, daß man sie ihr zurückgeben möchte. Allein Desgrais war taub gegen alle Bitten. Endlich verlangte sie nur wenigstens ein Papier, das sie ihre Beichte nannte; allein auch dies wurde ihr versagt. Selbst die Ehrfurcht, welche man sonst für alles, was sich auf das Sakrament der Beichte bezieht, zu haben pflegt, konnte den Gefreiten nicht bestimmen, ihr die Handschrift zurückzugeben. Er hielt es für seine strenge Amtspflicht, nicht nur die Verbrecherin, sondern auch alles, was zu ihrer Überführung dienen konnte, in die Hände der Gerechtigkeit zu überliefern.

Die Marquise versuchte inzwischen ein anderes Mittel, sich oder wenigstens ihre Schatulle zu retten. Sie bot einem von den Wächtern Geld an, wenn er eine Bestellung für sie übernehmen wollte, und da dieser sich bereitwillig stellte, so gab sie ihm einen Brief an einen gewissen Theria, mit dem sie während ihres Aufenthalts zu Lüttich in einem sehr vertrauten Umgang gelebt hatte. In diesem Briefe bat sie ihn, ihr schleunigst zu Hilfe zu kommen und sie aus den Händen des Desgrais zu retten; und in einem zweiten Briefe benachrichtigte sie ihn, daß ihre ganze Bedeckung bloß aus acht Mann bestehe, welche durch fünf entschlossene Leute leicht auseinandergesprengt werden könnten. In einem dritten Brief endlich schrieb sie dem geliebten Theria: wenn er auch sie selbst nicht mit offenbarer Gewalt befreien könnte, so möchte er wenigstens kommen, um einige von den Pferden an ihrer Kutsche totzustechen und sich der Schatulle zu bemächtigen, weil sie sonst unfehlbar verloren wäre.

Keiner von diesen Briefen kam in Therias Hände, weil der Wächter seinen Auftrag verriet. Gleichwohl fand er sich zu Maastricht ein, als sie durch diese Stadt gebracht wurde, und machte einen Versuch, die Bedeckung zu bestechen. Er stieg mit seinen Anerbietungen bis auf tausend Pistolen, wenn sie die Marquise entwischen lassen würden. Allein sie waren unerbittlich. Da nun alle Hoffnung zur Rettung verloren schien, wollte die Marquise aus Verzweiflung sich selbst das Leben nehmen und zu diesem Zweck eine Nadel verschlucken. Einer von ihrer Wache wurde aber ihr Vorhaben gewahr und hinderte sie an der Ausführung.

Inzwischen erhielt das Parlament Befehl, den Rat Palluau nach Rocroi abgehen und die Marquise sogleich dort verhören zu lassen. Die Absicht dieses Befehls war entweder zu verhindern, daß sich nicht zum Vorteil der Verbrecherin, die beinah mit dem ganzen Parlament in Verbindung stand, eine Kabale entspinne, oder weil man ihr nicht Zeit lassen wollte, auf Antworten zu sinnen und wegen geschickter Ausflüchte sich bei anderen Rats zu erholen. Der Auftrag ward richtig ausgeführt.

Sobald die Marquise zu Paris angelangt und in dem Parlamentsgefängnis in Verwahrung gebracht war, wendete sie sich an Herrn Penautier, der als Rentmeister der Stände und der Geistlichkeit von Languedoc ein großes Einkommen und Veranlassung hatte, eine reiche Tafel zu halten. Durch diese beiden Vorzüge erfreute er sich allgemeiner Achtung und konnte sich in der Tat zum Beschützer aufwerfen. Allein er kam selbst bei dieser Geschichte ins Gedränge und hatte für sich selbst seinen ganzen Kredit nötig.

Ein Brief, den die Marquise von dem Parlamentsgefängnis aus an ihn schrieb, wurde aufgefangen und brachte ihn in große Verlegenheit. Sie benachrichtigte ihn ganz freimütig in diesem Brief von der Gefahr, welche ihr drohe, ihr Leben auf dem Schafott zu verlieren, und von dem Betragen, das sie bei ihrem Verhör anzunehmen entschlossen sei. Sie habe sich vorgenommen, schrieb sie, alles abzuleugnen und nicht das geringste zu gestehen. Sie bat ihn endlich noch um seinen Rat und ersuchte ihn, den Einfluß seiner Freunde für sie zur Geltung zu bringen.

Diesem Entschluß gemäß hatte sie auch in der Tat schon bei dem Verhör zu Rocroi ihr Verhalten eingerichtet und alles hartnäckig geleugnet. Sie wollte nichts von den Briefen wissen, welche sie nach ihrer Verhaftung geschrieben hatte, und sie wollte auch die Schatulle des Sainte-Croix nicht kennen, als man sie ihr vorzeigte. Wegen der Verschreibung von 30 000 Livres gab sie an: sie habe sie dem Sainte-Croix bloß darum ausgestellt, damit er unter ihren Gläubigern mit auftreten und diese zur Nachsicht und zur Beilegung des wider sie angestellten gerichtlichen Verfahrens bewegen könnte. Er habe ihr deshalb einen Gegenschein gegeben, den sie aber unterwegs verloren habe.

Im Gefängnis affektierte sie eine Gemütsruhe, die ihrem Herzen ganz fremd war. Sie kannte ihre Verbrechen, und sie sah, daß sie auch ihren Richtern nicht mehr unbekannt waren. Unaufhörlich umschwebte sie das Bild des Todes, der sie erwartete; und in dem Augenblick, da sie mit scheinbarer Ruhe eine Partie Pikett zu spielen verlangte, war ihr einziger Gedanke, sich ums Leben zu bringen. Sie wählte zu dieser Absicht ein Mittel, womit sie die Aufmerksamkeit ihrer Wächter am leichtesten zu hintergehen hoffte. Sie hatte sich eine Klistierspritze mit einer sehr langen Röhre angeschafft, um sich derselben ohne fremde Hilfe bedienen zu können. Diese suchte sie soweit in den Leib hineinzustoßen, um sich die Eingeweide zu durchstechen; entschlossen, die Qualen dieses Todes der Schmach desjenigen vorzuziehen, den ihr die Hand der Gerechtigkeit bereitete. Man entdeckte aber ihr Vorhaben, und sie ward an der Vollziehung verhindert.

Das wichtigste unter den wider sie vorhandenen Beweismitteln war ihre geschriebne Beichte, worin Nachrichten von den geheimsten Umständen ihres Lebens enthalten waren. Es gibt beinahe kein Verbrechen, dessen sie sich in dieser Schrift nicht selbst anklagte. Gleich im Eingang erklärt sie sich für eine Mordbrennerin und bekennt, daß sie Feuer in einem Hause angelegt und, mit den Ausschweifungen aller Art vertraut, sich allen Unordnungen der Wollust und der Trunkenheit zügellos überlassen habe. »Die Frau von Brinvillier benachrichtigt uns in ihrer Beichte,« – schreibt Frau von Sévigné in ihrem 269. Briefe, und zwar ist es wirklich wahr, was sie davon schreibt, was, nebenbei gesagt, sonst nicht immer der Fall ist – »daß sie schon in ihrem siebenten Jahre aufgehört habe, Jungfer zu sein, und in gleicher Weise fortgefahren sei. Sie habe ihren Vater, ihre Brüder und eins ihrer Kinder vergiftet, und sogar selbst Gift genommen, um mit einem Gegengift einen Versuch zu machen. Medea selbst hat es nicht soweit getrieben. Sie hat diese Beichte als ihre Handschrift anerkannt, und das ist sehr unklug; aber sie behauptet, sie habe den Aufsatz im heftigen Fieber geschrieben, es sei ein sinnloses ungereimtes Geschwätz, das man gar nicht ohne Lachen lesen könne.« Im folgenden Briefe setzt sie noch hinzu: »Man spricht jetzt von nichts als von der Brinvillier. Man erzählt sich, was sie sagt, was sie tut, wie sie sich beträgt. Ihren Vatermord hat sie vermutlich in ihrer Beichte aufgezeichnet, um ihn bei ihrem Beichtvater nicht zu vergessen. Man muß in der Tat gestehen, die kleinen Gewissensskrupel, die sie zu vergessen fürchtet, sind admirabel.«

Die Verbrecherin fand indes doch einen geschickten Verteidiger an Herrn Nivelle, einem Mann, der ebenso berühmt war durch seine Klugheit und Rechtschaffenheit als durch seine gründliche Gelehrsamkeit und der alle Kräfte seines Geistes aufbot, seine Klientin zu retten. Folgendes sind die Hauptgedanken der Verteidigungsschrift, die er für sie drucken ließ:

»Die Marquise hatte sehr unrecht,« sagte er gleich im Eingang seiner Apologie, »eine so strafbare Liebe in ihrem Herzen Wurzel fassen zu lassen, und es ist um so tadelnswürdiger, da sie den abscheulichsten aller Menschen zum Gegenstand ihrer Zärtlichkeit gewählt hatte. Allein sie kannte ihn nicht. Er wußte sich zu verstellen und verbarg das verworfenste Herz unter der Maske einer strengen Rechtschaffenheit.

»Er allein war der Urheber von dem schauervollen Schicksale, das die Familie der Marquise traf, und dieser Lasterhafte, den sie so zärtlich liebte, den sie zum Vertrauten ihrer Leiden machte, in dessen Teilnahme sie, tief verwundet durch den plötzlichen und traurigen Verlust ihrer geliebtesten Anverwandten, Trost und Linderung suchte, dieser Bösewicht war grausam genug, während er mit der einen Hand ihre Tränen abtrocknete, mit der andern ihr das Herz noch einmal zu durchstechen.

»Er hatte ihrer Familie den Untergang geschworen, und er hielt seinen Schwur. Empfindlich gekränkt durch das Verfahren des Herrn von Aubray, der ihn aus den Armen der Liebe gerissen, um ihn in einer harten Gefangenschaft schmachten zu lassen, hatte er bittre Rache lange in seinem Herzen gehegt. Geldgier vollendete endlich den Entschluß, den Rachsucht schon längst vorbereitet hatte. Er bemächtigte sich eines großen Vermögens, indem er seinen Haß befriedigte. Zwei Triebfedern, die stark genug sind, eine so schwarze Seele zu allem fähig zu machen. Es ist wahr, das Vermögen fiel nicht in seine Hände, aber die Marquise, die er ganz beherrschte, war die Erbin, und was in ihren Händen war, darüber schaltete er unbeschränkt. Sie verwünschte das Mißgeschick, das ihr diese Reichtümer zuerteilte, welche sie mit so großem Verlust erkaufen mußte, und unwissend, von welcher grausamen Hand sie diese unglückseligen Geschenke empfing, klagte sie die Natur selbst wegen dieser Austeilung der Glücksgüter an, welche sie mit ihrem Leben würde abgekauft haben, wenn es ihr vergönnt gewesen wäre.

»In den Briefen, die man in dem berüchtigten Kästchen gefunden hat, findet sich auch nicht die geringste Spur von einem Anteil, den sie an Sainte-Croix’ Freveltat gehabt hätte. Würde man aber nicht hier etwas davon haben entdecken müssen, da Sainte-Croix alles von ihr so sorgfältig aufbewahrt hat? Das höchste Vertrauen einer zärtlichen Liebe scheint diese Briefe eingegeben zu haben, sie tragen das Gepräge der freimütigsten Wahrhaftigkeit, ihr ganzes Herz ist darin entfaltet – und doch findet man auch nicht einen Wink, um nur entfernt etwas von einem Anteil an diesen abscheulichen Mordtaten zu argwöhnen.

»Ein so geübter Bösewicht wie Sainte-Croix weiß auch gut genug, daß die Sicherheit eines Verbrechers von seiner Verschwiegenheit abhängt und daß jeder Vertraute immer als eine Öffnung anzusehen ist, durch die das Geheimnis leicht entschlüpfen kann. Ein solcher Mensch vertraut sich nur seinen unentbehrlichsten Gehilfen an, und dazu wählt man diejenigen nicht, von welchen zu befürchten ist, daß sie, durch die Stimme der Natur beim ersten Schritt aufgeschreckt, mit zitternder, ungewisser Hand ihren Streich verfehlen oder, nach vollbrachter Tat von Gewissensbissen gefoltert, ihre eignen Ankläger werden könnten.

»Sainte-Croix wußte seine Wahl besser zu treffen. Er hatte nicht mehr als einen Gehilfen nötig, seinen Plan auszuführen, und dieser eine war La Chaussée. Der Ausgang hat gezeigt, daß er recht hatte, sich diesem so zuversichtlich anzuvertrauen.

»Verbindet man mit diesen Betrachtungen die persönlichen Umstände der Marquise, so muß man, weit entfernt noch den geringsten Argwohn gegen sie zu hegen, vielmehr bekennen, daß es die boshafteste und strafwürdigste Verleumdung sei, sie dieses Verbrechens zu beschuldigen. Die Marquise ist von vornehmer Geburt. Keine Schandtat, selbst nicht einmal ein Vorwurf hat je das Blut befleckt, das in ihren Adern fließt. Ehre und Rechtschaffenheit sind das Erbteil ihrer Vorfahren und aller derer, die den Namen Aubray führen, und die Keime dieser Tugenden, durch die Geburt schon in ihr Herz gelegt, hat die sorgfältigste Erziehung entwickelt und gepflegt.

Auch hatten die Natur und das Glück diese Vorzüge nicht vergebens an sie verschwendet. Es ist wahr, der Ruf der Marquise ist nicht ganz unbefleckt geblieben. Allein alle die Schritte, welche ein nachteiliges Urteil über sie veranlaßt haben, waren nur Folgen einer leidenschaftlichen Liebe, welche, entsprungen aus Verblendung, durch die Unordnungen ihres eigenen Gemahls unterhalten wurde. Ihr übriges Betragen aber und ihre allgemein bekannte Gemütsart waren den Verbrechen, deren man sie jetzt beschuldigen will, so gerade zuwider, daß sich damals, als sie geschahen, auch nicht der leiseste Argwohn gegen sie erhob und daß man sie ohne alle Hindernisse in den Besitz der Güter eintreten ließ, die sie sich durch solche Greueltaten soll erkauft haben.

Es ist ein Unglück, daß sich dieses bedauernswürdige Opfer der Verleumdung genötigt sieht, zu ihrer Verteidigung selbst Schwächen aufzudecken, die sie in jedem andern Fall mit dem Schleier der Schamhaftigkeit verhüllt haben würde. Allein um sich vor einer schimpflichen Strafe zu retten, ist sie gezwungen, ihre Rechtfertigung selbst auf ihre Fehltritte zu gründen. Eine so treue Anhänglichkeit, wie die Marquise sie an den Niederträchtigen verschwendete, der ihr Verführer war und durch den ihre Tugend Schiffbuch litt, kann in der Tat nur in einem sanften Herzen Platz finden. Und ein solches Herz sollte fähig sein, Vater- und Brudermord zu beschließen? Ein Herz, das jeden Leidenden beklagt, das die Schmerzen anderer wie seine eigenen empfindet? Aber die Verleumdung macht bei der Marquise eine Ausnahme, um sie aufs Schafott zu bringen. Bei ihr sollen die sanftesten Empfindungen mit einer Grausamkeit vereinigt sein, die selbst an wilden Tieren unnatürlich ist.

Zwar kann man nicht leugnen, daß die Liebe bisweilen zu Schritten führt, die unvereinbar sind mit der natürlichen Stimmung des Herzens, das von ihr beherrscht wird. Allein abgesehen davon, daß Beispiele dieser Art doch äußerst selten sind, so kann man auch nur zwei Ursachen solcher unnatürlichen Erscheinungen angeben: Eifersucht und strenge Bewachung. Um sich eine Nebenbuhlerin vom Halse zu schaffen, soll aber doch wohl die Marquise ihren Vater und ihre Brüder nicht vergiftet haben? Ebensowenig hat man ein Beispiel, daß sie je auf ein Frauenzimmer einen ähnlichen Anschlag gemacht habe. In keinem einzigen ihrer Briefe findet sich die geringste Spur von Eifersucht; weder mündlich noch schriftlich hat sie sich jemals beklagt, daß ihr Liebhaber sein Herz zwischen ihr und einer andern teile.

Ebensowenig war ihr Verhältnis mit Sainte-Croix durch eine strenge Aufsicht gestört. Ihr Gemahl, der selbst in unaufhörlichen Zerstreuungen lebte und durch seine Kälte gegen sie die erste Veranlassung ihres Fehltrittes wurde, stand ihrem Umgang mit Sainte-Croix so wenig als irgendein ganz gleichgültiger Mensch im Wege. Ihr Vater, ihre Brüder legten ihr ebenfalls keinen Zwang auf. Sie war fein genug, sie zu hintergehen; sie starben in der vollen Überzeugung, daß sie mit Sainte-Croix längst gebrochen habe.

Es läßt sich also kein einziger Beweggrund denken, der ein so sanftes, mit dem zärtlichsten Gefühl erfülltes Herz auf einmal zu einer solchen Grausamkeit hätte verleiten können.

Vermutungen von solchem Gewicht sprechen für die Marquise! Um so einleuchtende Gründe zu widerlegen, kann man mit Recht Beweise fordern, die stark genug wären, um die Wahrheit und Wirklichkeit eines Wunders darzutun. Was sind es aber für Beweise, die man gegen die Marquise aufstellt, um sie aufs Schafott zu bringen?

Die gefährlichste unter allen Zeugenaussagen wider sie ist Cluets Erzählung. Jedoch er ist allein – und ein einzelner Zeuge ist nicht zur Entscheidung über eine Sache hinreichend. Überdies, wie unwahrscheinlich ist es nicht, daß eine Dame von solchem Stande einen so unbedeutenden Menschen zum Vertrauten gemacht habe? Keiner von den übrigen ist als Augenzeuge aufgetreten, keiner bringt etwas vor, das er gesehen hätte; alles, was sie sagen, sind bloß Vermutungen.

Die Aussage, welche man von La Chaussée noch vor seiner Hinrichtung erhalten hat, enthält zwei Stücke. Zuerst erklärt er ganz bestimmt: Sainte-Croix habe ihn versichert, daß die Marquise nicht nur keinen Anteil an der Vergiftung habe, sondern auch nicht einmal etwas davon wisse. Der zweite Teil seines Bekenntnisses aber besteht aus Mutmaßungen und Verdachtsgründen, womit der Nichtswürdige zu beweisen sucht, daß jene Versicherung des Sainte-Croix eine Lüge sei.

Allein, daß die Marquise mit ihm öfters von Vergiftungen gesprochen hat, beweist nichts mehr, als daß ihre ganze Einbildungskraft mit der Vorstellung eines Verbrechens erfüllt war, wodurch sie ihre beiden Brüder so schnell nacheinander verloren hatte. Alles erinnerte sie an diesen schrecklichen Vorfall; es war der gewöhnliche Gegenstand, wovon sie sich mit allen ihren Verwandten und Freunden unterhielt. Und dann liegt gerade ebendann, daß sie so oft von Vergiftungen sprach, ein auffallender Beweis ihrer Unschuld. Verbrecher machen ihre Greueltaten gewiß nicht zum gewöhnlichen Gegenstand ihrer Gespräche; allem, was nur entfernte Beziehung dazu haben kann, weichen sie vielmehr sorgfältig aus; ihre Gewissensbisse erwachen bei jeder Erwähnung des Verbrechens, dessen sie sich schuldig wissen; jedes ihrer Worte, ihre Blicke, selbst jede Miene ihres Gesichts fürchten sie als ihre eigenen Verräter. Weit entfernt also, aus jenen wiederholten Gesprächen von Vergiftungen, welche die Marquise geführt haben soll, den Schluß zu ziehen, daß sie in die Verbrechen des Sainte-Croix mit verwickelt gewesen sei, muß man sie vielmehr als Beweise ihrer Unschuld ansehen.

Daß sie den La Chaussée veranlaßt habe, Paris zu verlassen, läßt sich sehr natürlich aus dem Umstand erklären, daß sie einen Menschen gern entfernen wollte, den Sainte-Croix in die vertrautesten Geheimnisse ihrer Liebe eingeweiht hatte. Seine Gegenwart war ihr drückend, weil sie vor ihm über Schwachheiten erröten mußte, von welchen man nicht gern Zeugen hat und die überdies bei einem Bedienten in einer sehr unsichern Verwahrung sind.

Allein diese Umstände verdienen nicht einmal so viele Beachtung. Sie sind nichts weiter als Aussagen eines verworfenen Bösewichts, der als ein erwiesener Feind des ganzen Menschengeschlechts keinen Glauben verdienen kann. Wären sie aber auch wahr und wäre man wirklich berechtigt, sie zum Nachteil der Marquise auszulegen: so würden doch nur Vermutungen daraus entspringen. Kann man aber auf solche unsichere Indizien den Beweis von Verbrechen gründen, die allen natürlichen Empfindungen widersprechen und durch die bekannte Gemütsart der Marquise sowohl als durch ihre Erziehung unmöglich sind?

Aber hat sie nicht so dringend sich bemüht, das Kästchen des Sainte-Croix in ihre Gewalt zu bekommen, bevor es geöffnet würde, und zeigt nicht dieses ängstliche Zurückfordern, daß sie befürchtete, durch das, was darin enthalten war, verraten zu werden? Allein man darf nur untersuchen, was darin war, um diesen Einwurf auf einmal zu entkräften.

Man fand zuerst eine Erklärung, daß alles, was in dem Kästchen befindlich sei, der Marquise von Brinvillier gehöre, daß es für niemand als für sie allein einiges Interesse habe und daß man es ihr einhändigen oder, im Fall sie schon gestorben wäre, es verbrennen sollte. Ferner fand man die Liebesbriefe der Marquise, welche Sainte-Croix sehr heilig verwahrte – eine Torheit der Verliebten, die sehr häufig ist und so oft schon schlimme Folgen gehabt hat! Sainte-Croix war auch von dieser Grille angesteckt, jedes Billett seiner Gebieterin als ein Unterpfand ihrer Zärtlichkeit zu verwahren; aber er wollte doch, daß diese Beweise ihrer Liebe in die Hände zurückkommen sollten, aus welchen er sie empfangen hatte. Bloß aus diesem Grunde hatte er so dringend gebeten, daß man das Kästchen der Dame zurückgeben oder, im Fall sie gestorben wäre, verbrennen sollte.

Sie, als Frau noch mehr interessiert, keine Urkunden ihrer Fehltritte auf die Nachwelt kommen zu lassen, hatte keinen der Briefe aufgehoben, die sie von ihm empfangen hatte. Allein diese Vorsicht konnte sie doch über die Sicherheit ihres Geheimnisses nicht beruhigen, solange sie ihre Briefe von ihm aufbewahrt wußte. Sie gab auch ihre Unruhe darüber ihrem Liebhaber mehrmals zu erkennen. Allein er suchte sie endlich durch die Versicherung zu beruhigen, daß er alle ihre Briefe in einem Kästchen verwahre, das in keines Menschen Hände kommen könne, und daß er dieses Heiligtum ihrer Liebe durch eine beigelegte sehr ernsthafte Erklärung seines letzten Willens vor ungeweihten Händen geschützt habe, die sich desselben nach seinem Tode bemächtigen könnten. Auf diese Art bekam sie zuerst Nachricht von diesem Kästchen, und dies war wohl Grund genug, sehr dringend um die Auslieferung desselben zu bitten.

Daß übrigens die Marquise von den bei ihren Briefen befindlichen Giften etwas gewußt habe, davon hat man auch nicht das entfernteste Anzeichen. Sainte-Croix, gewöhnt, dieses Behältnis, in welchem er die Briefe seiner Gebieterin aufbewahrte, als das Archiv seiner tiefsten Geheimnisse anzusehen, hatte ebendiesen Ort auch gewählt, seine mörderischen Waffen zu verbergen. Allein die Marquise, die nicht einmal ahnte, daß ihr Liebhaber ein Giftmischer von Profession sei, konnte gar nicht daran denken, daß das Archiv ihrer Geheimnisse zugleich das Behältnis der abscheulichsten Giftmittel sei.

Überdies, man darf nur die den Paketen aufgeschriebenen Data mit dem Datum jener dabeiliegenden letzten Willenserklärung vergleichen, um sich ganz zu überzeugen, daß Sainte-Croix, indem er der Marquise das Kästchen vermachte, die Gifte damit nicht hatte einbegreifen wollen. Auf jedes Paket war ein Datum geschrieben; alle diese Data waren aber später als das Datum jenes Vermächtnisschreibens. Als er also der Marquise dieses Kästchen vermachte, konnte nichts weiter als die Briefe darin sein, die der einzige Gegenstand des Vermächtnisses waren. Die Marquise hatte mithin an den Giften keinen Anteil, und indem sie das Kästchen zurückforderte, erstreckten sich ihre Ansprüche nicht auf die abscheuliche Niederlage, die in demselben neuerlich angelegt war.

Unter den Beweisen gegen die Marquise ist nun nichts mehr übrig als jenes Papier, das mit »Beichte« überschrieben ist und welches Bekenntnisse der entsetzlichsten Greueltaten enthält.

Dieses Papier kann nicht nur auf keinerlei Art bei dem Prozesse der Marquise gebraucht werden, sondern es darf auch nicht den geringsten Einfluß darin haben. Die Beichte, sie mag nun mündlich oder schriftlich abgelegt werden, ist immer ein unverletzliches heiliges Geheimnis, und man kann von ihrem Inhalt im bürgerlichen Leben schlechterdings keinen Gebrauch machen. Natürliche und göttliche Gesetze sichern der Beichte diese Unverletzlichkeit. Nicht darum hat Christus die Sünder zur Buße gerufen, damit sie durch das Bekenntnis ihrer Sünden in Gefahr kämen, Ehre und Leben zu verlieren. Wie wollte man so traurige Folgen mit der Barmherzigkeit Gottes vereinigen? Dieses Gesetz der Geheimhaltung erstreckt sich aber ebensogut auf schriftliche als auf mündliche Beichten, denn die Gründe zur Verschwiegenheit, die daraus entspringen, daß die Beichte ein Sakrament ist und daß man verpflichtet ist zu beichten, gelten für beide Arten der Beichte.

Wir halten uns hier damit nicht auf, aus heiligen und profanen Schriftstellern Stellen anzuführen, in welchen die Beichte als ein Heiligtum hingestellt wird, das unter dem unmittelbaren Schutz der Religion steht. Alles Hierhergehörige ist von dem Abbé Lenglet Dufresnoy gesammelt in seinem Traktat von dem unverletzlichen Geheimnis der Beichte. Wir wollen aber aus diesem Buche einige Beispiele anführen, zum Beweis, daß auch die Fürsten immer alle ihre Gewalt angewendet haben, die Entscheidungen der Kirche in diesem Punkt zu sichern, der für die Ruhe der Bürger und für das Heil der Gläubigen so wichtig ist.

Ein Katalonier, der wegen eines Mordes zum Tode verurteilt war, wollte vor seiner Hinrichtung schlechterdings nicht beichten und wies alle Ermahnungen, ohne einen vernünftigen Grund anzugeben, mit solcher Hartnäckigkeit zurück, daß man anfing zu glauben, die Todesangst habe sein Gehirn zerrüttet. Der heilige Thomas von Villeneuve, Erzbischof von Valenzia, der sich eben an dem Orte befand, wo man dem Katalonier den Prozeß gemacht hatte, erhielt Nachricht von diesem Vorfall und begab sich sogleich selbst zu dem unglücklichen Menschen, um ihn auf andere Gedanken zu bringen und seine Seele zu retten. Wie erstaunte er aber, als er den Grund dieser Weigerung des Delinquenten erfuhr. Der Gefangne sagte ihm nämlich, die Ursache, warum er das Beichten verabscheue, sei keine andre, als weil die Beichte selbst an seinem Tode schuld sei. Kein Mensch in der Welt habe etwas von dem Mord gewußt, wegen dessen er jetzt hingerichtet werde. Er habe sich aber gedrungen gefühlt, seine Tat dem Priester in der Beichte offenherzig zu bekennen, und er habe kein Bedenken getragen, ihm alle Umstände genau anzugeben und selbst den Ort anzuzeigen, wo er den Ermordeten eingescharrt hatte. Unglücklicherweise sei der Priester, wie sich nachher herausgestellt habe, ein Bruder des Ermordeten gewesen, der sich aus Rachgier habe verleiten lassen, die Beichte zu verraten und der Obrigkeit alles anzuzeigen. Alles Leugnen sei hier vergebens gewesen, und nun müsse er um seiner Beichte willen eines schmählichen Todes sterben. Der heilige Thomas von Villeneuve hielt diesen Umstand für wichtiger als den ganzen Prozeß. Dieser betraf nur die Bestrafung eines einzelnen Menschen, jenes Verfahren des Priesters aber das Interesse der Religion selbst. Er ließ den Priester vor sich kommen, und nachdem er von diesem das Geständnis seines Verrates erhalten hatte, bewog er die Richter, ihr Urteil zu widerrufen und den Missetäter freizusprechen. Der Beichtvater wurde bestraft, seine Strafe aber gemildert, weil er die Strafwürdigkeit seiner Handlung selbst so reumütig bekannte.

Im Jahre 1579 ermordete ein Schenkwirt zu Toulouse einen seiner Gäste und verscharrte ihn heimlich in seinem Keller, ohne daß jemand im Hause etwas davon bemerkte. Kurz darauf beichtete er den Mord und erzählte dem Beichtvater alle dabei vorgefallnen Umstände. Die Verwandten des Ermordeten stellten indes alle möglichen Nachforschungen an und ließen endlich nach vielen fruchtlosen Erkundigungen demjenigen, der ihnen Nachricht von der vermißten Person geben würde, öffentlich eine große Belohnung versprechen. Der Beichtvater, durch den Reiz dieses Versprechens in Versuchung geführt, gab ihnen insgeheim Nachricht, man dürfe nur in dem Keller des Schenkwirts suchen, so werde man den Leichnam des Ermordeten finden. Man fand ihn auch wirklich; der Wirt wurde in Haft genommen und bekannte die Tat auf der Folter. Aber er behauptete beständig, daß sein Beichtvater der einzige Mensch auf der Welt sei, durch den er habe verraten werden können. Das Parlament zu Toulouse erkannte mit der größten Mißbilligung den unrechtmäßigen Weg, wodurch man den Verbrecher zur Tortur gebracht hatte, und erklärte ihn solange für unschuldig, bis man andere Beweise als die Anzeige des Priesters wider ihn beibringen würde. Dieser aber wurde verurteilt, daß er am Galgen sterben und sein Körper verbrannt werden solle. So nachdrücklich sorgte dieses weise Tribunal für die Sicherheit eines so wichtigen Sakraments.

»Selbst nichtchristliche Richter in Ländern, wo die christliche Religion geduldet wird, überzeugt von der Notwendigkeit, daß ein im Schoße der Religion niedergelegtes Geheimnis unverletzlich bewahrt werde, haben eingesehen, daß der weltliche Richter davon keinen Gebrauch machen dürfe und daß diejenigen, die es durch Verräterei entweihen, die schärfste Strafe verdienen. Ein junger vornehmer Türke hatte sich in die Frau eines Armeniers verliebt. Durch die Klugheit dieser Schönen lange im Zaum gehalten, brach endlich seine Leidenschaft mit voller Gewalt aus. Mit Ungestüm forderte er die Erfüllung seiner Wünsche und drohte, sie selbst und ihren Mann umzubringen, wenn sie ihn nicht erhören wolle. Erschreckt durch diese Drohung, deren Erfüllung sie nur allzugewiß voraussehen konnte, nahm sie ihre Zuflucht zur Verstellung. Sie bestimmte ihm eine Zusammenkunft in ihrem Hause, zu einer Zeit, wo ihr Mann, wie sie sagte, abwesend wäre. Der Liebhaber fand sich ein, bewaffnet mit seinem Säbel und zwei Pistolen. Plötzlich erschien der Mann, und nun nahm die Sache auf einmal eine solche Wendung, daß die Eheleute sich glücklich schätzen mußten, ihren Feind erlegen zu können. Sie verscharrten ihn in ihrem Hause, und kein Mensch wußte etwas von dem ganzen Vorgang. Allein ein geldgieriger Priester ihrer Religion, dem sie den Vorfall mit allen Umständen beichteten, war niederträchtig genug, dieses Bekenntnis zuerst dazu zu mißbrauchen, daß er den unglücklichen Leuten, unter der Bedrohung sie zu verraten, nach und nach ihr ganzes Vermögen abnötigte, und dann, als er nichts mehr von ihnen erpressen konnte, sie zuletzt an den Vater des Ermordeten für eine beträchtliche Summe wirklich verriet. Der Türke hinterbrachte diese Aussage des Priesters sogleich dem Vezier, dessen Freund er war. Dieser, ebensosehr von Mitleiden gegen die Unglücklichen als von Unwillen gegen den schändlichen Priester erfüllt, ließ sogleich den armenischen Bischof zu sich rufen und fragte ihn: Was die Beichte sei? Wie das Verraten der Beichte bestraft werde? Und was man mit solchen Leuten vornehme, deren Verbrechen auf diese Art entdeckt werde? Die Antwort des Bischofs war: Die Beichte sei ein unverletzliches Geheimnis bei den Christen; nach ihren Gesetzen werde das Verraten derselben mit dem Scheiterhaufen bestraft und die durch eine solche Verräterei Angeklagten losgesprochen, weil ihr Geständnis vor dem Priester eine Pflicht sei, welche ihnen die Religion selbst bei Strafe der ewigen Verdammnis auferlege. Der Vezier, mit dieser Antwort zufrieden, ließ sogleich die Angeklagten vor sich rufen. Zitternd und halbtot warfen sie sich zu seinen Füßen und bekannten ihr Verbrechen; aber sie entschuldigten es als eine Notwehr für ihre Ehre und beklagten sich zugleich über den Priester, der ihr Bekenntnis mißbraucht, sie zu Bettlern gemacht und gleichwohl sie auch noch verraten habe. Nun ließ er den verräterischen Priester selbst vor sich bringen, stellte ihn dem Bischof vor, der in seiner Gegenwart noch einmal die Strafe für einen Verräter der Beichte angeben mußte, und verurteilte ihn dann, auf einem öffentlichen Platze sogleich lebendig verbrannt zu werden.

Es ist also einleuchtend, daß der Richter die Entdeckungen, die er durch den Weg der Beichte macht, zu einem gerichtlichen Verfahren durchaus nicht anwenden darf. Was würde nicht ein solcher Gebrauch der Beichte in den ersten Jahrhunderten, wo sie noch öffentlich im Angesicht der ganzen Gemeinde abgelegt wurde, für Folgen gehabt haben? Diejenigen Richter, welche Christen waren und in den Versammlungen der Gemeinde täglich solche Bekenntnisse hörten, wären gezwungen gewesen, unaufhörlich gegen Missetaten der Beichtenden das Schwert der Gerechtigkeit zu führen. Allein damals nahmen die Richter keine Anklage an, die sich bloß auf das öffentliche Geständnis eines Büßenden gründete. Da aber die Sittenverderbnis unter den Christen nach und nach mehr einriß und die Feinde eines Beichtenden sein öffentliches Bekenntnis dazu mißbrauchten, andre Beweise aufzusuchen, worauf sie ihre Anklage bauen konnten, so mußte endlich die Kirche diesen Gebrauch abändern und die Ohrenbeichte an die Stelle der öffentlichen Beichte setzen. Die öffentliche Beichte ist also nur darum abgeschafft worden, damit kein Gebrauch davon vor Gericht gemacht werden sollte.

Man muß aber für die geschriebenen Beichten ebenso viele Ehrfurcht haben, als für die mündlichen; denn in bezug auf Gott, an den sie gerichtet sind, sind beides wahrhafte Beichten. Es entscheiden auch alle Gottesgelehrten, die über diesen Gegenstand geschrieben haben, ohne alle Einschränkung, daß hier kein Unterschied sei. Diese Meinung wird von drei Hauptgründen unterstützt. Erstlich müssen auch die zu einer Beichte notwendigen Hilfsmittel unter dem Siegel der Verschwiegenheit gesichert sein, und man muß daher auch wesentliche Anstalten zur Beichte, wie doch ein schriftlicher Entwurf es ist, als einen Teil der Beichte selbst betrachten und gleich dieser unverletzlich halten, er darf keinem andern Menschen als einem Priester mitgeteilt werden, der allein berechtigt ist, eine Beichte anzunehmen. Zweitens treffen ebendieselben schlimmen Folgen, welche endlich die Kirche bestimmten, die mündliche Beichte mit dem Siegel der unverletzlichen Verschwiegenheit zu bewahren, auch bei der schriftlichen Beichte ein. Ja noch mehr, die Folgen, die man von der Entdeckung einer schriftlichen Beichte zu befürchten hat, sind sogar noch schlimmer, da bekanntlich schriftliche Beweise von größerer Wirkung sind als mündliche. Drittens ist nicht der Beichtvater allein zur Verschwiegenheit verpflichtet, sondern auch alle die, die zufällig oder absichtlich eine Beichte mit angehört haben, ebenso wie diejenigen, die einem der Landessprache unkundigen Ausländer als Dolmetscher bei seiner Beichte dienen; indem der Dolmetscher nach dem Ausspruch des heiligen Thomas sozusagen die Stelle des Priesters vertritt, insofern die Beichte, die er dem Beichtvater überbringt, ihm unmittelbar abgelegt wird. Nun ist aber eine schriftliche Beichte im Grunde nichts anderes als ein solcher Dolmetscher (internuntia confessionis, wie die Theologen sagen). Man vertraut ihr das Bekenntnis der Sünden an, um es dem Beichtvater zu eröffnen. Der Gebrauch, dem Beichtvater, zu dem man einmal sein Vertrauen gefaßt hatte, in einem Briefe zu beichten, wenn er entfernt war, wurde von Papst Klemens VIII. gänzlich abgeschafft, weil solche Beichten immer mit vielen Schwierigkeiten verknüpft waren. Allein solange dieser Gebrauch galt, waren alle die, in deren Hände ein solcher Brief kommen konnte, zum unverletzlichen Stillschweigen verpflichtet, indem alle, die von einer Beichte entweder durch Vorwitz oder zufällig oder amtshalber etwas erfahren, einerlei Pflicht der strengsten Verschwiegenheit zu üben haben.

»Von diesen unumstößlichen einleuchtenden Wahrheiten sind die Ankläger der Marquise selbst so überzeugt, daß sie für nötig befunden haben, zu dem Vorwand ihre Zuflucht zu nehmen, daß das fragliche Papier keine wahre Beichte, sondern nur ein Gedenkzettel zu einer Beichte sei.

»Allein gesetzt auch, daß dies wirklich begründet wäre, so würde doch auch selbst ein solcher Denkzettel zu einem gerichtlichen Beweise nicht gebraucht werden dürfen. Denn auch dadurch würde sich öfter der Beichtende in der nämlichen Gefahr befinden. Die Kirche befiehlt, er soll alle seine Sünden bekennen; sein Gedächtnis ist schwach, er muß sich also damit helfen, den Inhalt seiner Beichte schriftlich anzumerken. Ein Hilfsmittel, das selbst der Beichtvater öfters anrät! Und dies sollte ihm hernach zum Verderben gereichen dürfen? Auch haben alle Kirchenlehrer einhellig entschieden, daß weder geistliche noch weltliche Richter Aufzeichnungen in Betracht ziehen dürfen, die das Bekenntnis eines Sünders enthalten, daß sie vielmehr dergleichen Papiere von den Akten ausschließen und nicht befugt sein sollen, einen Angeklagten darüber zu verhören oder über die darin enthaltenen Umstände Zeugen zu befragen. Ohne uns hier auf eine weitläufige Aufzählung aller der Schriftsteller einzulassen, die über diesen Gegenstand geschrieben haben, führen wir bloß das an, was der berühmte Kanonist Dominikus Scoto, der Beichtvater Karls des Fünften, darüber sagt. »Ein gewisser Mensch,« sagt er, »verlor ein Papier, worauf er seine Vergehungen aufgezeichnet hatte. Dieser Aufsatz fiel in die Hände eines geistlichen Richters, der deshalb eine gerichtliche Untersuchung wider ihn anstellen und Zeugen darüber abhören lassen wollte. Allein er wurde von seinem Obern wegen dieses unrechtmäßigen Verfahrens zur Strafe gezogen, und das von Rechts wegen, denn« – setzt dieser Schriftsteller hinzu – »die Beichte ist eine so heilige Sache, daß alles, was zu dem Ablegen derselben bestimmt ist und darauf Bezug hat, im tiefsten und unverbrüchlichsten Stillschweigen vergraben bleiben muß.« Und das, was er hier in Hinsicht auf die geistlichen Richter sagt, soll seiner Anweisung nach auch auf die weltlichen angewendet werden.

Überdies aber ist der Aufsatz, von welchem hier die Rede ist, in der Tat kein bloßer Gedenkzettel, den die Frau von Brinvillier bloß verfertigt hätte, um ihre Beichte darnach einzurichten, sondern es ist eine wahre Beichte, niedergeschrieben in der Zuversicht, daß sie nur Gott oder seinem dazu verordneten Diener bekanntwerden solle. Die ganze Beschaffenheit dieser Schrift zeigt, daß sie eine wahre und wirkliche Beichte ist. Sie hebt mit den Worten an: ›Ich bekenne vor Gott und Ihnen, mein ehrwürdiger Vater.‹ Die Marquise spricht darin also nur mit Gott und ihrem Beichtvater, der an Gottes Statt da ist; und da folglich ihre Beichte an Gott allein gerichtet ist, so ist auch Gott allein derjenige, der sie wissen darf, und es kann kein Mensch ein Recht haben, sie zu untersuchen. Die Kirche selbst muß der Marquise für die Geheimhaltung dieser Beichte Bürge sein, denn ›die Kirche hat,‹ wie der Kardinal Perron sagt, ›ihren reumütigen Kindern, die ihres Herzens Geheimnisse in ihren Schoß niederlegen, zur Versicherung ihrer Ehre und ihres Lebens heilig versprochen, daß alle ihre Sünden treulich und unverletzlich verschwiegen bleiben sollen; und dagegen kann niemand handeln, ohne zu gleicher Zeit alle göttlichen und menschlichen Rechte mit Füßen zu treten.‹

»Auch ist es weder die geweihte Person des Priesters noch seine heilige Verrichtung, Absolution zu erteilen, was den Beweggrund zu dieser Geheimhaltung enthält; es ist vielmehr gewiß, daß der Priester auch dann zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, wenn er es nötig finden sollte, dem Beichtenden die Absolution zu versagen, und daß diese Verpflichtung auch den auf gleiche Art bindet, der nicht Priester ist und entweder vorsätzlich, indem er sich in einen Beichtstuhl setzt, um die Gesinnungen eines andern auszuhorchen, oder zufällig, indem er sich in der Nähe eines Beichtstuhls befand, die Beichte eines andern gehört oder im Notfall, bei Ermangelung eines Priesters, selbst die Stelle des Beichtvaters vertreten hätte. Sondern es ist einzig und allein das Wesen der Beichte selbst, woraus diese unauflösliche Verpflichtung zur Verschwiegenheit entspringt.

»Allein, wird man sagen, es kann gar nicht mehr die Frage davon sein, den Inhalt dieser Schrift der Marquise geheimzuhalten; er sei nun eine Beichte oder nicht, man weiß ja schon, was sie enthält. Diese Einwendung ist aber schon behoben durch die oben angeführten Gründe. Es ist bewiesen, daß nicht nur auf dergleichen Bekenntnisse niemals ein Prozeß angestrengt werden, sondern daß man auch in einem schon anhängigen Prozeß sie nicht als Beweismittel gebrauchen darf und also überhaupt alles gerichtliche Verfahren nach denselben für null und nichtig anzusehen sei.

»Außer diesen allgemeinen Gründen, welche die Unzulässigkeit alles gerichtlichen Verfahrens nach bloßen Indizien aus einer Beichte unumstößlich beweisen, findet sich auch in der Beichte der Marquise selbst noch ein besonderer Umstand, der die Unbrauchbarkeit derselben zu dieser Absicht noch einleuchtender darstellt. Genötigt aus ihrem Vaterland zu fliehen, wo erbitterte Feinde sich gegen sie verschworen hatten, sie an den Galgen zu bringen; umherirrend in einem fremden Lande, ohne Beistand, ohne Ratgeber; bedeckt mit Schande ihres vor aller Welt geoffenbarten Liebesverhältnisses mit dem schändlichsten aller Menschen, wurde sie endlich von einem heftigen Fieber befallen, das ihren Verstand verwirrte und sie in den Zustand des Phantasierens und des Wahnsinns versetzte, wo der Kranke die Bilder seines zerrütteten Gehirns als Wahrheiten annimmt und sich öfters Taten zuschreibt, die niemals begangen worden sind oder an denen er nicht den mindesten Anteil gehabt hat. Dieser Zustand ist immer die Folge einer durch die Schreckbilder ungerechter Verfolgungen und durch die Vorstellung grausamer und unverdienter Strafen geängstigten Phantasie.

Dieser Umstand beweist aber nicht, daß diese Schrift keine wahre Beichte sei. Der ganze Inhalt derselben ist Gott geweiht, indem gleich der Eingang zeigt, daß das ganze Bekenntnis vor Gott abgelegt wird. Um ihr den Schutz der unverletzlichen Geheimhaltung zu sichern, ist es genug, daß sie in der Absicht verfaßt worden ist, eine allgemeine Absolution dadurch zu erlangen, welche die Beichtväter auch sonst den Kranken, die im Zustand des Phantasierens sind, nicht versagen, indem solche Verwirrungen nicht als dauernder Irrsinn zu betrachten sind, sondern als vorübergehende Anfälle, bei welchen auch wohl lichte Augenblicke eintreten können. So ist ja auch ein Gebet, das ein Mensch in einem solchen Zustand zu Gott richtet, ein wahres Gebet, und nicht selten hat es Erhörung gefunden.

»Übrigens, daß die Frau von Brinvillier, als sie diesen Aufsatz schrieb, wirklich in einer heftigen Fieberhitze gelegen habe, die sie des freien Gebrauchs ihrer Vernunft beraubte, kann man aus allen diesen Umständen sehen. Bei der Wallung, in der sich ihr entzündetes Blut befand, konnte sie kaum die Feder halten. Die Buchstaben sind so verzerrt, daß man ihre Handschrift nicht erkennen und die Worte kaum lesen kann. Überdies sind Bekenntnisse darin enthalten, welche als falsch erwiesen sind. Sie klagt sich an, ihren Vater ermordet zu haben, der im Jahre 1666 ruhig gestorben ist.«

Dies waren die scharfsinnigen Gründe, mit welchen Herr Nivelle die Marquise verteidigte. Allein das Korpusdelikti war vollkommen berichtigt. Daß die beiden Brüder der Marquise wirklich vergiftet gewesen seien, war erwiesen durch den Bericht eines Arztes, zweier Wundärzte und eines Apothekers. Daß aber Sainte-Croix und die Marquise durch Hilfe des La Chaussée beide Mordtaten vollzogen hatten, ergab sich ganz deutlich aus der Vereinigung der sämtlichen Zeugenaussagen; und die Antworten der Marquise selbst enthalten einen noch stärkeren Beweisgrund wider sie. Wir wollen auch diese Antworten hier aus dem Protokoll selbst mitteilen:

»Als Ursache ihrer Flucht aus Frankreich gibt sie gewisse Verdrießlichkeiten an, die sie mit ihrer Schwägerin gehabt habe. Die Beichte, die man unter den Papieren in ihrer Schatulle gefunden hat, habe sie in einem Zustand geschrieben, als sie in einem ganz fremden Lande, von allen ihren Verwandten verlassen und in der äußersten Not gezwungen, einen Taler entlehnen zu müssen, in ihrem Gemüt so zerrüttet gewesen sei, daß sie nicht gewußt habe, was sie tue noch was sie schreibe. Auf die Frage über den ersten Artikel ihrer Beichte: in welchem Hause sie Feuer angelegt habe, sowie auf die Fragen über sechs andre Artikel derselben antwortete sie immer bloß: sie habe es nicht getan, und wenn sie es geschrieben habe, so sei dies in der Zerrüttung ihres Geistes geschehen. Ebenso antwortete sie auf die Frage: ob sie nicht ihren Vater und ihre zwei Brüder vergiftet habe, nichts weiter als: sie wisse von dem allen nichts. Auf die Frage: ob sich ihre Äußerung, daß ihre Schwester nicht mehr lange leben werde, nicht darauf gegründet habe, daß ihr etwas von Vergiftung derselben bekannt gewesen sei, antwortete sie: diese Vermutung habe sich bloß auf die krankhaften Zustände gestützt, von welchen ihre Schwester schon damals geplagt gewesen sei und an denen sie noch jetzt leide. Sie sagt ferner, sie habe die Zeit vergessen, in welcher sie ihre Beichte geschrieben, und gesteht, sie habe Frankreich auf Anraten ihrer Verwandten verlassen. Auf die Frage: warum ihre Verwandten ihr diesen Rat gegeben hätten, sagte sie: wegen des Vorfalls mit ihren Brüdern. Sie gesteht, daß sie mit Sainte-Croix nach seiner Befreiung aus der Bastille wieder Umgang gehabt habe. Auf die Frage: ob Sainte-Croix sie nicht beredet habe, ihren Vater aus dem Wege zu schaffen, antwortete sie: sie könne sich dessen nicht erinnern; ebensowenig erinnere sie sich, daß ihr Sainte-Croix Pulver oder andere Spezereien gegeben und daß er jemals zu ihr gesagt habe: er wisse Mittel, sie reich zu machen. Es wurden ihr acht Briefe vorgelegt und sie befragt, an wen sie solche geschrieben habe. Sie antwortete: sie könne sich dessen nicht mehr erinnern. Wegen der Verschreibung von 30 000 Livres, die sie dem Sainte-Croix ausgestellt hatte, gab sie vor: sie habe diese Summe bei Sainte-Croix niederlegen wollen, um im Notfall ein Hilfsmittel zu haben, von dem ihre Gläubiger nichts wüßten. Sie habe deshalb einen Rückschein von Sainte-Croix erhalten, der aber auf der Reise verloren gegangen sei. Ihr Gemahl habe von dieser Verschreibung nichts gewußt. Auf die Frage: ob sie diese Verschreibung vor oder nach dem Tode ihrer Brüder ausgestellt habe, antwortete sie: sie könne sich dessen nicht mehr erinnern, und darauf werde auch bei der Sache nichts ankommen. Hernach aber sagte sie: Sainte-Croix habe das besagte Geld von einem seiner Freunde für sie entlehnt, und sie habe ihm jene Verschreibung dafür ausgestellt. Sie gesteht, daß sie dreimal bei Glazer gewesen sei, sich wegen ihrer Gesundheitsumstände Rats zu erholen. Auf die Frage: warum sie den Penautier um Ratschläge ersucht habe, antwortete sie: sie wisse, daß er durch seine Freunde imstande wäre, sich nachdrücklich für ihre Angelegenheiten zu verwenden. Warum sie die Versicherung hinzugesetzt habe, daß sie alles tun wolle, was er ihr rate? Eigentlich wisse sie selbst nicht warum; in ihrem gegenwärtigen Zustand aber sei sie genötigt, jedermann um guten Rat anzusprechen. Warum sie an Theria geschrieben habe, er solle sie in Freiheit setzen? Sie wisse nicht, was man damit wolle. Warum sie in einem andern Brief an Theria gesagt habe, sie sei verloren, wenn er sich ihrer Schatulle nicht bemächtigen könne? Sie könne sich dieses Umstandes nicht erinnern. Sie behauptet, sie wisse nichts davon, daß ihr Vater im Jahre 1666 bei seiner Reise nach Offemont weder auf dem Hinwege noch auf der Rückreise unpäßlich gewesen sei. Als man ihr das Kästchen des Sainte-Croix vorzeigte, sagte sie: es gehöre ihr nicht, und sie wollte es nicht kennen. Mit Penautier, behauptete sie, bloß wegen 30 000 Livres, die er ihr schuldig wäre, einigen Verkehr gehabt zu haben. Ein anderesmal: sie habe gemeinschaftlich mit ihrem Gemahl dem Penautier 10 000 Taler geliehen gehabt, nach deren Zurückzahlung sie weiter in keinem Verhältnis mit ihm gestanden habe. Die Auslieferung des bei Sainte-Croix gefundenen Kästchens habe sie auf Anraten ihrer Verwandten verlangt.«

Man braucht nur diese Antworten zu lesen, um zu sehen, wie die Wahrheit, die sie unterdrücken will, öfter mit Gewalt hervorbricht. Man sieht hier die Verzagtheit einer schwarzen Seele, die, fähig die größten Greueltaten ohne Zittern zu begehen, solange sie nicht entdeckt zu werden fürchtet, beim bloßen Anblick des Richters alle Besonnenheit verliert. Sie hatte sich vorgenommen, alles zu leugnen; allein die Bestürzung und die Furcht legten ihr Antworten in den Mund, die wider ihren Willen die Wahrheit entdeckten, die zu verhüllen sie alle Kräfte ihres Geistes anstrengte.

Wäre sie wirklich unschuldig gewesen, würde sie wohl – bei einer Beschuldigung, die ihr Innerstes empören mußte – nur geantwortet haben: sie wisse nicht, daß sie ihren Vater und ihre Brüder vergiftet hätte? Hätte nicht die bloße Frage ihr eine Antwort abdringen müssen, in welcher der höchste Unwille gegen ihre Ankläger und selbst gegen ihre Richter ausgedrückt gewesen wäre? Allein sie hat nicht einmal Stärke genug, sich hinter ein bestimmtes Nein zurückzuziehen, und weiß in der Verwirrung nichts weiter als Unwissenheit vorzuschützen. Sie weiß nicht, ob sie ihren Vater und ihre Brüder umgebracht hat!! – Auch ihre übrigen Antworten tragen alle dies Gepräge.

Diese eignen Aussagen der Marquise also, verbunden mit den wider sie vorhandenen Zeugenaussagen, vollendeten ihre Überführung bis zur höchsten Evidenz. Man weiß nicht, ob das Parlament auch Beweise aus der Beichte genommen hat; indessen ist es einleuchtend, daß der Prozeß selbst Gründe genug enthielt, um jenes Mittel ganz entbehrlich zu machen, das ohnehin, was auch immer die Gegner der Marquise sagen mochten, weder als Bekenntnis noch als Beweis bei dem Prozeß gebraucht werden durfte.

Es wurde also endlich am 16. Juli 1676 in der Versammlung der Großen Kammer und der Kriminalkammer des Parlaments folgendes Urteil über die Marquise gesprochen:

»Marie Margarete von Aubray, die Gattin des Herrn Marquis von Brinvillier, wird hiermit für überführt und überwiesen erklärt, ihren Vater, Herrn Drogo von Aubray, und ihre beiden Brüder, Herrn Anton von Aubray, Requetenmeister und Zivilleutnant zu Paris, und Herrn von Aubray, den Parlamentsrat, vergiftet und ihrer verstorbenen Schwester nach dem Leben getrachtet zu haben. Sie wird daher zur wohlverdienten Strafe verurteilt, barfuß, mit einem Strick um den Hals und einer zwei Pfund schweren brennenden Kerze in der Hand, auf einem Karren an die Türe der Hauptkirche zu Paris gebracht zu werden, um daselbst Kirchenbuße zu tun und auf ihren Knien öffentlich zu bekennen, daß sie schändlicherweise sowohl aus Rachsucht als aus Geldgier ihren Vater und ihre zwei Brüder vergiftet und ihrer Schwester nach dem Leben getrachtet habe. Von da soll sie auf den Grèveplatz geführt und ihr auf einem dazu errichteten Schafott der Kopf abgeschlagen, ihr Körper verbrannt und die Asche in die Luft gestreut werden. Zuvor aber soll sie noch auf die ordentliche und außerordentliche Folter gebracht werden, um ihre Mitschuldigen anzugeben. Zugleich wird sie der Hinterlassenschaft ihres Vaters, ihrer Brüder und ihrer Schwester von dem Tage ihres Verbrechens an für verlustig erklärt, und ihr sämtliches Vermögen soll von der Behörde eingezogen werden. Davon, und von demjenigen Teil ihrer Güter, die der Konfiskation nicht unterworfen sind, sollen 4000 Livres zu einer Buße an den König, 5000 Livres an die Kapelle des Parlamentsgefängnisses zu Seelenmessen für die Ruhe ihres verstorbenen Vaters, ihrer Brüder und ihrer Schwester, 10 000 Livres zur Schadloshaltung für Frau von Villarceau, die Witwe des Herrn von Aubray, und überhaupt alle Unkosten des Prozesses, auch die von dem Prozesse des La Chaussée, abgezogen und bezahlt werden.«

Die Marquise, welche unterdessen noch in der Hoffnung, ihren Richtern ein Blendwerk zu bereiten, ihre Verbrechen hartnäckig geleugnet hatte, gestand sie jetzt selbst, nachdem ihr Urteil schon gesprochen war. Herr Pirot, ein Doktor der Sorbonne, dem sie beichtete und der sie auf den Richtplatz begleitete, gibt eine sehr rührende Erzählung von den letzten vierundzwanzig Stunden ihres Lebens. Sie bat um das Abendmahl, es wurde ihr aber abgeschlagen; es wird niemals Verbrechern gereicht, die zur Todesstrafe verurteilt sind. Sie verlangte darauf nur das geweihte Brot, so wie es ihr Vetter, der Marschall von Marillac, vor seiner Hinrichtung noch empfangen habe. Allein auch dieses wurde ihr abgeschlagen, weil das Verbrechen des Marschalls, sagte man ihr, bei weitem nicht so abscheulich gewesen wäre wie das ihrige; sie müsse es durch die Entziehung nicht nur des Abendmahls selbst, sondern auch sogar dieses Zeichens desselben büßen.

Der Zulauf an Menschen bei ihrer Hinrichtung war außerordentlich groß. Nicht nur der Richtplatz, sondern auch alle Gassen, durch die sie geführt wurde, waren mit einer unzählbaren Menge Menschen bedeckt. Der berühmte Maler Le Brun stellte sich an einen Ort, wo er sie ganz genau beobachten konnte, um den Ausdruck der Todesfurcht vor einer gewaltsamen Hinrichtung von ihrem Gesicht zu kopieren. Allein er fand nicht, was er suchte. Die Marquise, mit dem Bild des Todes, den sie so oft mit eigner Hand ausgeteilt hatte, durch lange Übung vertraut, hatte eine Härte erlangt, die sie selbst gegen ihren eignen Tod unempfindlich machte. Sie verlor die Geistesgegenwart so wenig, daß sie, schon auf dem Wege zum Richtplatz, wo sie ein schmerzvoller Tod erwartete, in der schimpflichsten Stellung, in der sich ein Mensch befinden kann, alles, was um sie her vorging, ganz frei und unerschrocken beobachtete. Einige vornehme Damen, welche die Neugierde auch herbeigeführt hatte, faßte sie mit einem festen Blick in die Augen und sagte ihnen ganz bitter: »In der Tat, ein sehr schönes Schauspiel für Sie, meine Damen!«

Doch wir wollen uns diese Hinrichtung von Frau von Sévigné erzählen lassen.

»Mit der Brinvillier ist es nun vorbei,« sagt sie in einem Briefe vom 17. Juli 1676, dem Tag nach der Publikation des Urteils – »sie befindet sich in der Luft. Ihr armer kleiner Körper wurde nach der Enthauptung in ein ungeheuer großes Feuer geworfen und ihre Asche in die Luft gestreut. Wir können sie nun einatmen, und wer weiß, mit was für giftmischerischen Launen uns diese Übertragung anstecken wird! Gestern wurde ihr Urteil gesprochen, heute morgen las man es ihr vor. Man wollte sie auf die Folter bringen, sie versicherte aber, es sei nicht nötig, sie wolle alles freiwillig gestehen. Sie hat auch wirklich bis um vier Uhr eine Erzählung von ihrem Leben gegeben, die noch viel schrecklicher ist, als man sich dachte. Zehnmal nacheinander hat sie ihrem Vater Gift beigebracht, ehe sie ihren Zweck erreichte; und immer heuchelte sie ihm dabei die höchste kindliche Zärtlichkeit. Sie verlangte noch, den Generalprokurator zu sprechen. Er war auch eine ganze Stunde bei ihr, man weiß aber nicht, was sie ihm noch zu sagen hatte.

»Um sechs Uhr wurde sie, im bloßen Hemde mit einem Strick um den Hals, zu der Kirche Unsrer lieben Frau geführt, um da Kirchenbuße zu tun, und sodann wieder auf den Karren gesetzt. Hier sah ich sie selbst, rücklings auf Stroh liegend, im Hemde, mit einer niedrigen Haube auf dem Kopf, den Geistlichen auf der einen, den Scharfrichter auf der andern Seite. Alle Glieder zitterten mir bei diesem Anblick. Diejenigen, welche die Hinrichtung mit angesehen haben, versichern, sie habe das Schafott mit vielem Mute bestiegen. Ich für meinen Teil war mit der guten Deseurs auf der Brücke von Notre Dame. Nie habe ich Paris so in Bewegung gesehen. Wenn Sie mich aber aufs Gewissen fragen, was ich eigentlich gesehen habe, so muß ich bekennen, nichts weiter als eine Haube. Es war ein schauderhafter Tag. Ich werde heute noch mehr davon hören, und das sollen Sie morgen auch noch erfahren.

»Noch ein paar Worte von der Brinvillier« – sagt sie im folgenden Briefe. »Sie ist gestorben, wie sie gelebt hat, mit Entschlossenheit. Als man sie an den Ort brachte, wo sie die Tortur bekommen sollte, sagte sie beim Anblick der drei Eimer Wasser: ich soll vermutlich ersäuft werden, denn von meiner Person kann man doch nicht verlangen, das alles einzuschlucken. Ihr Urteil hörte sie ohne Bestürzung. Am Ende desselben bat sie, es ihr noch einmal vorzulesen, denn der Karren, sagte sie, ist mir von Anfang an so aufgefallen, daß ich für das übrige die Aufmerksamkeit verloren habe. Auf dem Wege zum Richtplatz bat sie ihren Beichtvater, er möchte den Scharfrichter sich vor sie setzen lassen, ›damit ich,‹ setzte sie hinzu, ›den Schurken Desgrais, der mich eingefangen hat, nicht zu sehen brauche.‹ Desgrais begleitete den Karren zu Pferde. Da ihr der Beichtvater diese Äußerung verwies, erwiderte sie: ›Ach, mein Gott, ich bitte Sie um Verzeihung. Lassen Sie mir also diesen seltsamen Anblick!‹ Sie bestieg das Schafott allein, mit bloßen Füßen. Es dauerte wohl noch eine Viertelstunde, bis die Scharfrichter sie zurechtgemacht hatten, so daß die Zuschauer anfingen, ungeduldig zu werden. Den folgenden Tag suchte man die Überbleibsel von ihren Gebeinen zusammen, denn der Pöbel war in der Meinung, daß sie eine Heilige sei. Sie hatte vor ihrer Gefangennehmung, wie sie vorgab, zwei Beichtväter gehabt. »Der eine,« sagte sie, »verlangte: ich müsse alles bekennen, der andere aber behauptete: ich solle es nicht tun; und ich,« setzte sie mit Lachen über diese entgegengesetzten Meinungen hinzu, »kann also tun, was mir beliebt.« Es hat ihr beliebt, von ihren Mitschuldigen nicht ein Wort zu sagen. Penautier kommt noch etwas weißer als Schnee aus dem Handel. Das Publikum ist nicht zufrieden.

»Die Welt ist immer ungerecht« – sagt sie im folgenden Briefe – »sie war es auch in bezug auf die Brinvillier. Nie hat man eine Greueltat so gelind behandelt. Man hat die Verbrecherin nicht auf die Folter gebracht; man ließ sie sogar Begnadigung hoffen und so gewiß hoffen, daß sie wirklich glaubte mit dem Leben davonzukommen, und noch beim Hinaufgehen aufs Schafott sagte: »Nun ist wohl alles gut?« Indes ist sie nun in der Luft, und ihr Beichtvater versichert, sie sei eine Heilige.«

Der Marquis von Brinvillier wurde bei dem Prozeß seiner Gattin in nichts mit verwickelt und niemand weiß, was nach ihrer Hinrichtung aus ihm geworden ist. Madame Sévigné erzählt, er habe doch für seine teure Hälfte um Begnadigung gebeten. Vermutlich suchte er in irgendeinem einsamen Aufenthalt seinen Kummer zu vergraben und dem Andenken des Publikums einen Namen zu entziehen, der jetzt zur Bezeichnung des abscheulichsten Verbrechens diente.

Der Apotheker Glazer wurde bei diesem Prozesse auch mit zur Verantwortung gezogen, weil er dem Sainte-Croix verschiedene Rohstoffe geliefert hatte, und es kostete ihn alle Mühe, freigesprochen zu werden.

Gegen Herrn Penautier wurde durch die Briefe, welche Frau von Brinvillier aus dem Gefängnis an ihn geschrieben hatte, auf einmal alles in Bewegung gesetzt. Man sah daraus, daß er mit dieser Verbrecherin in einem vertrauten Verhältnis gestanden haben müsse, und seine Verbindung mit Sainte-Croix war schon öffentlich bekannt. Durch das allgemeine Gerücht von den Giftmischereien des Sainte-Croix veranlaßt, erhebt auch eine gewisse Frau von Vosser jetzt Beschuldigungen wegen Ermordung ihres Gatten. Sie gab vor, daß ihr Gatte, Herr von Saint-Laurent, Generaleinnehmer bei der Klerisei, durch einen Bedienten, der ihm von Sainte-Croix empfohlen war, vergiftet worden sei, und behauptete, daß Sainte-Croix eigentlich diese Vergiftung auf Veranlassung des Penautier ausgeführt habe, bei dem es längst beschlossen gewesen sei, ihrem Gemahl das Amt mit Gewalt zu entreißen, das dieser als sein Mitbewerber ihm entzogen hatte. Sie baute ihre Beschuldigung hauptsächlich auf dieses ganz besondere Interesse, das Herr Penautier dabei gehabt habe, ihren Gemahl aus dem Wege zu schaffen, durch dessen Tod er zugleich seine Rache an einem verhaßten Nebenbuhler befriedigte und eins der einträglichsten Ämter erhielt. Daß aber Sainte-Croix zu dieser Vergiftung gebraucht worden sei, suchte sie vor allem aus dem engen Verhältnis zu erweisen, in welchem Penautier mit diesem abscheulichen Verbrecher gestanden hatte.

»Sainte-Croix,« sagte sie, »erhielt von Penautier Geld genug, um Bediente, Sänftenträger, Kutschen, mit einem Wort ein glänzendes Haus zu unterhalten. Einen solchen Aufwand pflegt man aber für einen andern nicht leicht aus bloßer Freundschaft zu machen; ein ganz anderes, weit lebhafteres Interesse muß die Triebfeder davon sein. Was für ein Interesse konnte aber Penautier dabei haben, den Sainte-Croix so mit Wohltaten zu überhäufen, wenn es nicht bedungene Belohnungen für die Dienste waren, die er ihm durch seine Vergiftungskunst geleistet hatte? Aber es war ganz in der Ordnung solcher schändlicher Komplotte, daß er seinen Anteil von den Einkünften eines Amts forderte, das er seinem Freunde mit Gefahr, auf den Scheiterhaufen zu kommen, verschafft hatte. Die innige Vertraulichkeit dieser beiden Menschen ist aber allgemein bekannt; jedermann weiß, daß keiner ohne den andern leben konnte, daß sie täglich beisammen waren und daß Sainte-Croix, wenn er durchaus verhindert war selbst zu kommen, wenigstens seinen Martin, den Vertrauten aller seiner Ruchlosigkeiten, zu ihm schickte. Auch die Erklärung seines letzten Willens, die von Sainte-Croix zugunsten der Madame Brinvillier jenem berüchtigten Kästchen beigelegt war, ist ein Beweis von der innigen Verbindung zwischen ihm und Penautier, denn an diesen war es adressiert, diesem sollte es überbracht werden.« Endlich behauptete Frau von Saint-Laurent auch, Sainte-Croix habe von Penautier zur Belohnung für den Dienst, den er ihm geleistet, eine Anweisung auf eine sehr beträchtliche Summe erhalten; der letztere sei aber schlau genug gewesen, diese Anweisung durch den Kommissär, der die Inventur besorgte, unterschlagen zu lassen.

Dies waren also die Gründe, woraus man erweisen wollte, daß Penautier ein Mitschuldiger von Sainte-Croix sei und sich dessen Vergiftungskunst auch zu seinem Vorteil bedient habe. Allein obschon diese Gründe hinreichten, sein Betragen zweideutig und seinen guten Ruf verdächtig zu machen, so konnte sie doch unmöglich der Richter als Beweise betrachten, um ihn zu verurteilen. Das Parlament fand diese Beweise unzulänglich und sprach ihn daher von der Anklage los. Indes verurteilte ihn doch das Publikum. Man behauptete öffentlich, daß er der verdienten Strafe nicht würde entgangen sein, wenn er nicht Geld mit vollen Händen ausgeteilt hätte.