Honoré de Balzac

2. Welches Ende diese Ehe nahm.

Da Frau von l’Isle-Adam im Zweifel war, ob man sie bei Hofe empfangen würde oder nicht, so machte sie erst gar nicht den Versuch, sondern lebte auf dem Lande, wo ihr Gemahl sich gar prächtig einrichtete. Denn er kaufte die Herrschaft Beaumont-le-Vicomte, was zu jenem Wortspiel Anlaß gab, das unser vielgeliebter Rabelais in seinem trefflichen Buche mitteilte. Des ferneren erwarb er die Herrschaften von Nointel, Carenelle, Saint-Martin und andere Nachbargüter von l’Isle-Adam, wo sein Bruder ansäßig war. Zu Beaumont erbaute er ein prachtvolles Schloß, das später von den Engländern zerstört wurde, und schmückte es mit herrlichem Hausrat, fremdländischen Teppichen, Bildern, Statuen und Raritäten, die zum Teil schon seine Frau gesammelt, maßen sie dafür großes Verständnis hatte. So wurde er nicht nur einer der größten Gutsbesitzer sondern er besaß damit auch eines der schönsten Schlösser in jener Gegend. Das Pärlein führte ein Leben, darum es von allen beneidet wurde. Ganz Paris und der Hof sprach nur von dieser Ehe, von dem Glück des Herrn von Beaumont und vor allem von dem ehrsamen und tugendhaften Leben seiner anmutigen Gemahlin, die viele noch aus alter Gewohnheit immer weiter Frau Imperia nannten; sie war stolz und ohne Makel wie ein blinker Stahl, besaß alle Tugenden einer ehrsamen Frau und konnte gar mancher Königin zum Vorbild dienen. Ob ihrer Frömmigkeit war sie auch bei der Kirche gut angeschrieben. Denn wenn sie zwar mit den Dienern der Kirche, den Äbten, Bischöfen und Kardinälen etwas arg umgesprungen war, so hatte sie doch ihre Beziehungen zu Gott deshalb keineswegs abgebrochen, sintemalen selbige ihr doch immer ihr Weihwasser verabfolgt hatten. Solche Lobgesänge hatten zur Folge, daß der König einmal nach Beauvoisis kam und von dort aus dies Wundertier besichtigte, sogar dem Edelmann die Ehre antat, in Beaumont zu schlafen, drei Tage bei ihm blieb und mit der Königin und dem ganzen Hof dort eine Jagd veranstaltete. Er war geradezu geblendet, und die Königin und der Hof gleichermaßen, denn die Schöne war von bezaubernder Liebenswürdigkeit und wurde in bezug auf Höflichkeit und Schönheit für vorbildlich erklärt. Alle, und der König voran, wünschten dem Herrn l’Isle-Adam zu solcher Gemahlin Glück. Deren Bescheidenheit erreichte mehr, als Stolz hätte erzielen können: denn die Schloßherrin wurde eingeladen, zu Hofe zukommen und an allen Festlichkeiten teilzunehmen und daran war nur ihr hochgemutes Herz, ihre sieghafte Liebe zu ihrem Gatten schuld. Im übrigen waren ihre Reize auch unter der Tugend schlichter Verkleidung nicht verblaßt. – Der König verlieh seinem ehemaligen Gesandten die Ämter eines Statthalters von Isle-de-France und eines Präfekten von Paris, die eben frei geworden waren, verlieh ihm auch den Rang eines Vicomte von Beaumont, wodurch er zugleich Gouverneur der ganzen Provinz wurde und bei Hofe eine einflußreiche Stellung bekam. Aber diese Freuden wurden der Frau von Beaumont vergällt, und es gab ihr einen tiefen Stich ins Herz, da ein Kerl, der auf dies Glück eifersüchtig war, sie voller Bosheit, aber wie im Scherz fragte, ob Beaumont ihr eigentlich von seiner ersten Liebe, dem Fräulein von Montmorency, erzählt habe. Die war jetzt zweiundzwanzig Jahre alt, maßen sie zur Zeit jener Hochzeit zu Rom sechzehn Jahre zählte. Sie liebte ihn so, daß sie unvermählt blieb und überhaupt nicht von Ehe reden hören mochte. Sie starb schier vor Gram, konnte ihren Herzliebsten nicht vergessen und war drauf und dran, in das Kloster zu Chelles einzutreten. Frau Imperia hatte während der sechs Jahre ihres Glückes diesen Namen überhaupt noch nicht gehört und schloß daraus, daß sie von Herzen geliebt sei: War doch auch diese ganze Zeit wie ein einziger Tag dahingeflossen; beiden schien es, als seien sie erst gestern getraut worden, jede Nacht wurde ihnen zur Hochzeitsnacht, und mußte der Vicomte einmal sein Weib für kurze Zeit verlassen, um eine Arbeit weiterab zu beaufsichtigen, so war er immer tiefbetrübt, sie nicht bei sich zu haben; und ihr ging es ebenso. Der König war ihm über die Maßen zugetan, aber er preßte ihm auch einen Dorn ins Herz, indem er ihn einmal fragte: »Hast du keine Kinder?« Worauf Beaumont mit einem Ton, als habe man eine wunde Stelle berührt, zur Antwort gab: »Mein Bruder hat Kinder und so ist unsere Erbfolge gesichert.« Aber da trug es sich zu, daß die zwei Kinder seines Bruders jählings starben, der eine durch einen Sturz vom Pferde, der andere an einer Krankheit. Herr von l’Isle-Adam war davon so erschüttert, daß er bald darauf verschied. Und so kamen die Besitzungen der beiden Brüder in eine Hand und der jüngere Sohn wurde Haupt der Familie. Damals war sein Weib fünfundvierzig Jahre alt und sicherlich wohl und kräftig genug, um Kinder zur Welt zu bringen. Aber sie empfing nicht. Wie die Linie derer von l’Isle-Adam erlosch, da stellte sie alles an, um Erben zu haben; und als nach siebenjähriger Ehe auch nicht das geringste Anzeichen daraufhin wies, daß ein Kindlein kommen würde, da ließ sie sich einen weisen Arzt aus Paris kommen. Der setzte ihr auseinander, daß in diesem Falle beide Ehegatten mehr Liebesleute als Eheleute seien und durch die großen Freuden, die sie allemal empfänden, eine Empfängnis unmöglich machten. So zwang sich denn die wackere Frau während einer langen Weile, so ruhig zu bleiben wie eine Henne beim Decken. Denn der Physikus hatte sie auf das Vorbild der Tiere verwiesen, die immer Junge zur Welt brächten, weil sie den Gesetzen der Natur folgten und durch keinerlei Künsteleien und lüsterne Spielereien diese Gesetze störten, wie die Damen das zu tun liebten. So gelobte sie all diesen Unfug zu lassen und der Vergessenheit anheim zu geben. Ach, mochte sie auch so tugendsam bleiben wie jene biedere Deutsche, (die hierob daran schuld war, daß ihr Mann sie mit Zärtlichkeiten umbrachte; und als der Ärmste zum Papste ging und um Absolution bat, da erließ selbiger das berühmte Breve, darin er die Damen des Frankenlandes ersuchte, sich etwas mehr zu bewegen, damit solche Sünde nie mehr vorkommen könne) – trotz alledem also empfing Frau von l’Isle-Adam nicht und sank darob in tiefe Trübsal. Mählig aber merkte sie, wie ihr Mann bisweilen ins Grübeln verfiel und als sie ihn beobachtete, wenn er sich allein glaubte, dann sah sie, wie er ob seiner Kinderlosigkeit Tränen vergoß. Bald weinten beide Gatten zusammen, denn da ihre Ehe die Eintracht selber war, so war es ja unvermeidlich, daß sie ein Herz und eine Seele waren. So oft die Schloßherrin das Kind eines armen Mannes sah, dann verging sie schier vor Leid und brauchte einen ganzen Tag, um wieder zu Kräften zu kommen. Ob des Grams, den sie empfand, befahl l’Isle-Adam, daß Kinder seiner Gemahlin nicht mehr über den Weg laufen dürften; und er suchte sie mit sanften Worten zu überzeugen, wie oft einen Kinder in Kummer und Sorgen stürzten. Worob sie aber entgegnete: Kinder, die solche Eltern hätten, müßten die schönsten Kinder der Welt werden. Sagte er, seine Kinder könnten doch genau so gut plötzlich sterben, wie die Kinder seines Bruders, dann erwiderte sie, sie würde sie so wenig aus den Augen lassen wie eine Henne ihre Küken; kurz sie wußte auf alles eine Antwort. Sie ließ endlich eine Frau zu sich rufen, die als Hexe verschrieen war und in dem Rufe stand, mit diesen geheimnisvollen Dingen Bescheid zu wissen. Aber die sagte, gar manche Frau könne nicht empfangen, obgleich sie in allen Künsten der Liebe wohl bewandert sei. Am sichersten sei immer noch die Art, wie Tiere sich begatteten. So suchte die Schloßherrin dem Beispiele des lieben Viehs zu folgen. Aber ihr Leib mochte nicht schwellen, er blieb schlank und blink wie zuvor. So wandte sie sich wieder an die Ärzte und ließ einen berühmten Mann aus Afrika rufen, einen Araber, der nach Frankreich gekommen war, um eine neue Wissenschaft zu begründen. Der war in der Schule des Herrn Averroës ausgebildet worden und gab das grausame Urteil ab: da sie zu viel Männer in ihren Armen gehabt, zu vielerlei Künste in ihrem Berufe als Priesterin der Liebe geübt habe, so seien dadurch jene Teile für immer vernichtet worden, wo Mutter Natur die Eier anspeichere, die durch den Mann befruchtet werden müßten und daraus dann die Kindlein entstünden.

Diese Gründe schienen so über die Maßen dumm, blödsinnig, im Widerspruch zur Heiligen Schrift und allen üblichen Anschauungen, der gesunden Vernunft und der herrschenden Wissenschaft, daß die Ärzte zu Paris aus dem Witzeln gar nicht herauskamen. Der arabische Arzt mußte seine Schule wieder aufgeben und von seinem Meister Averroës war fortan nie mehr die Rede. Als die Schloßfrau wieder einmal heimlich nach Paris kam, da sagten ihr die Ärzte dort, sie möge nur weiter so tun, wie sie früher getan habe, denn noch in der Zeit, da sie nur der Liebe lebte, habe sie der schönen Theodora das Leben gegeben, dafür habe der Kardinal von Ragusa gesorgt. Solange eine Frau noch ihre regelmäßigen Blutflüsse habe, könne sie auch noch Kinder haben, und sie solle nur recht eifrig darum bemüht bleiben. Das schien ihr bei weitem das vernünftigste; bald erfocht sie wieder Sieg auf Sieg, oder eigentlich: eine Niederlage nach der anderen, denn die Blüten mochten doch keine Früchte entwickeln. Nunmehro schrieb sie grambeschwert an den Papst, der ihr so sehr zugetan war, und klagte ihm ihr Leid. Der gute Papst antwortete ihr in einem gar gnädigen Handschreiben: da, wo Menschenwissen versage, müsse man sich an den Himmel wenden und Gottes Gnade herabflehen. So beschloß sie mit ihrem Manne zusammen barfuß zu Unserer Lieben Fraue von Liesse zu pilgern, die in dieser Beziehung hochberühmt war, und daselbst eine wunderbare Kathedrale als Dank für ein Kindelein zu geloben. Aber sie verdarb sich nur ihre schönen Füße, die ganz wund wurden, und das Kindlein blieb aus – nicht aber so tiefer Gram, daß ihr einige ihrer schönen Haare ausfielen und andere weiß wurden. Schließlich kam die Zeit, wo ihr die Gabe der Mutterschaft überhaupt entschwand, wo jene quälenden Dünste des Trübsinnes auftreten, davon die Wangen vergilben. Damals war sie neunundvierzig und wohnte auf dem Schlosse l^Isle-Adam. Die Ärmste magerte ab wie ein Aussätziger im Spittel und sie war um so unglücklicher, als l’Isle-Adam immer weiter in sie verliebt war, obgleich sie ihre Pflichten nichthatte erfüllen können, weil sie einstmals von Männem zu viel mißhandelt worden war, und obgleich sie, wie sie voll Verachtung sagte, nur noch ein abgespielter Klimperkasten war.

»Ach!« rief sie eines Tages aus, als diese Gedanken ihr das Herz zerrissen; »trotz der Kirche, trotz des Königs, trotz allem ist Frau von l’Isle-Adam doch nur die alte schlimme Imperia.«

Und wenn sie so sah, wie ihr Gemahl, ein Edelmann in der Blüte seiner Jahre, große Güter, des Königs Gunst, eine Liebe ohne Gleichen , ein Weib wie kein zweites, Freuden ohne Ende hatte und gerade in dieser Hauptsache für ein Familienoberhaupt von Unglück verfolgt war, dann verfiel sie in eine wahre Wut. Wenn sie dachte, wie hoch er im Vergleich zu ihr im Range stand und wie sie ihre Pflicht, ihm Kinder zu schenken, nicht erfüllt hatte und fortan auch nicht erfüllen konnte, dann wünschte sie sich den Tod herbei. Sie barg ihren Schmerz in der Tiefe ihres Herzens, und erdachte endlich ein Opfer, das ihrer Liebe würdig war. Um ihren heldenhaften Entschluß durchzuführen, wandte sie noch mehr Zärtlichkeit auf denn je, pflegte unendlich sorgsam ihre Schönheit und benutzte jedes Mittel , um ihren Leib in seiner vollen Pracht zu erhalten.

Damals hatte just der Herr von Montmorency seiner Tochter Widerstand gegen eine Ehe überwunden und man sprach bereits viel von ihrer bevorstehenden Vermählung mit einem Herrn von Chattillon. Frau Imperia wohnte nur drei Meilen von dem Gute Montmorency ab. Eines Tages schickte sie ihren Gatten auf die Jagd und begab sich nach dem Schlosse, wo das Fräulein von Montmorency wohnte. Sie ging im Garten vor dem Hause auf und ab und ließ dem Fräulein durch einen Diener melden, eine Dame habe ihr eine eilige Mitteilung zu machen und bäte um Gehör. Ganz verwirrt durch die Schönheit und Vornehmheit der Unbekannten, davon die Dienerschaft erzählte, kam das Fräulein eiligst in den Garten und traf dort ihre Nebenbuhlerin, die sie aber nicht kannte.

»Meine Liebe,« sprach die arme Frau, die ob der Schönheit des Mägdeleins in Tränen ausbrach, »ich weiß, daß man Euch zwingen will, den Herrn von Chattillon zu heiraten, obgleich Ihr den Herrn von l’Isle-Adam liebt. Vertrauet nun meiner Prophezeiung, die ich Euch hier künde: derjenige, den Ihr geliebt habt und der Euch nur entrissen ward, weil er in eine Schlinge geriet, in der auch ein Engel sich gefangen hätte – er wird sein alterndes Weib verlieren noch ehe die Blätter fallen. So wird Eure Liebe von Erfolg gekrönt sein. Faßt also Mut, wagt es, die angebotene Ehe auszuschlagen und Ihr werdet Euren Herzliebsten erringen. Versprechet mir nur, l’Isle-Adam von Herzen zu lieben, denn er ist eine Perle; gelobt mir, ihm nie Kummer zu machen und entlocket ihm die Geheimnisse, die Frau Imperia in der Kunst der Liebe zu üben wußte: Wenn Ihr, so jung wie Ihr seid, sie gleichfalls zu üben lernt, dann wird es Euch leicht sein, die Erinnerung an jene aus seinen Gedanken zu verwischen.« Das Fräulein von Montmorency war so verdutzt, daß sie keine Antwort hervorbrachte und die Königin der Schönheit von hinnen gehen ließ; sie hielt sie für eine Fee, bis ihr ein Arbeiter sagte, diese Fee sei die Frau von l’Isle-Adam. War ihr diese Begegnung darum nicht minder unerklärlich, so ging sie doch zu ihrem Vater und sagte ihm, sie würde sich über den Ehevorschlag erst im Herbst entscheiden. – Während des Weinmonats wollte Frau Imperia ihren Mann nicht von ihrer Seite lassen und ließ all ihre Liebeskünste spielen, als ob sie ihren Mann zugrunde richten wollte. Und l’Isle-Adam vermeinte in jeder Nacht bei einer anderen noch unberührten Frau zu ruhen. Erwachte er dann morgens, so bat sie ihn, er möge sich diese Form der Liebe in ihrer ganzen unübertrefflichen Vollendung wohl einprägen. Und um sein Herz bis ins Innerste zu ergründen, sagte sie: »Ach, du Ärmster, wir taten nicht klug mit dieser Ehe; ein Jüngling von dreiundzwanzig Jahren wie du durfte nicht eine alte Frau von beinahe vierzig Jahren zum Weibe nehmen.«

Darob erwiderte er, sein Glück würde von allen beneidet; trotz ihres Alters fände sie unter den Mägdelein nicht ihresgleichen; sie schiene überhaupt nicht zu altern, aber er würde auch ihre Runzeln lieben; ja selbst im Grabe würde sie noch schön, würden ihre Gebeine der Liebe wert sein.

Bei solchen Worten quollen ihr die Tränen aus den Augen; aber eines Morgens erwiderte sie voll List, das Fräulein von Montmorency sei gar schön und treu. Darauf erwiderte er, sie täte ihm weh, denn sie werfe ihm das einzige Unrecht seines Lebens vor, seinen Treubruch gegenüber seiner Jugendliebe, die sie aus seinem Herzen verdrängt habe. Diese zarten Worte ergriffen sie so, daß sie ihn umfing und an sich preßte; denn mancher hätte weniger schlicht und offen darauf geantwortet als er.

»Teurer Freund,« rief sie. »Bereits seit einigen Tagen leide ich unter einem Herzkrampf, der mich schon in meiner Jugend dem Tode nahe brachte, und der arabische Arzt hat mir die Gefahr, die mich bedroht, bestätigt. Wenn ich sterben sollte so will ich, daß du mir hoch und heilig versprichst, das Fräulein von Montmorency zum Weibe zu nehmen. Ich bin so sicher, daß ich bald sterben werde, daß ich deinem Hause meine Güter nur unter dieser Bedingung vermache.«

Als l’Isle-Adam diese Worte hörte, ward er totenbleich und der bloße Gedanke, von seiner geliebten Frau auf ewig getrennt zu werden, raubte ihm alle Kräfte. »Ja, liebster Schatz,« fuhr sie fort, »dort, wo meine Sünden wohnten, dort hat mich Gott gestraft. Die seligen Wonnen, die ich empfinde, haben mein Herz gedehnt und, wie der arabische Arzt sagte, die Gefäße geschwächt, die eines Tages springen werden. Allezeit habe ich zu Gott gefleht, mich in diesem Alter von hinnen zu nehmen, denn ich will nicht sehen, wie die Zeit meine Schönheit vernichtet.«

Da konnte diese edle, hochherzige Frau alsbald wahrnehmen, wie heiß sie geliebt wurde. So hört denn, wie sie das größte Liebesopfer erlebte, das je auf dieser Erde dargebracht wurde: Sie allein kannte all die Bande, die des Ehebettes Seligkeiten um einen Mann schlingen können, und der arme l’Isle-Adam lag so fest in diesen Banden, daß er wohl lieber gestorben wäre, ehe er auf die wundersamen Zärtlichkeiten verzichtet hätte. die selbige Bande schlangen. Als nun aber der Edelmann ihren Worten entnahm , daß in einem solchen Wonnerausche ihr Herz brechen könne, da warf er sich vor ihr auf die Knie und sagte: um sie nicht zu verlieren, wolle er fortan auf jeden Liebesbeweis verzichten; er würde glücklich sein, wenn er sie nur neben sich sähe und fühlte; er wolle sich damit begnügen, ihre Bänder zu küssen und ihre Röcke zu streifen. Darob zerfloß sie in Tränen und sagte: lieber wolle sie sterben, als eine Knospe dieses Rosenstrauches missen, und sie wolle so sterben, wie sie gelebt habe; zu ihrem Glück wisse sie, wie sie zu handeln habe, um zu erreichen, daß ein Mann sie umfinge, wenn sie es wolle – ohne überhaupt nur ein Wort zu reden. Hier muß nun eingeschoben werden, daß sie von dem Kardinal von Ragusa einst ein kostbares Geschenk erhalten hatte, das dieser Lüstling kurz ›in articulo mortis‹ nannte. Ich bitte ob dieser drei lateinischen Worte um Verzeihung, die von dem Kardinal stammen. Das war ein kleines Glasfläschchen venetianer Arbeit, kaum so groß wie eine Bohne, und enthielt ein so schnellwirkendes Gift, daß der Tod in demselben Augenblick, wo man das Gläschen zerbiß, ohne jeden Schmerz eintrat. Dies Gefäß hatte er von der Signora Toffana bekommen, der berühmten Giftmischerin in Rom. Das hatte sie in ihrem Ringkästchen wohl verwahrt, und vor allen Gegenständen, die es zerbrechen oder angreifen konnten, durch Goldplättchen geschützt. Gar manches Mal nahm die Ärmste das Gläschen in den Mund, aber nie konnte sie sich entschließen, es zu zerbeißen, so sehr beglückte sie just die Stunde, die ihre letzte hatte sein sollen. Dann wieder gefiel sie sich darin, alle Arten von Liebkosungen sich wieder in Erinnerung zu rufen, und beschloß das Gläslein zu zerbeißen, wenn sie die vollkommenste Seligkeit empfände.

Das arme Ding starb in der Nacht zum ersten Oktober. Und durch die Wälder klang ein Tosen, wie wenn alle Liebesgötter schrieen: »Die große Königin ist gestorben!« so wie die heidnischen Götter beim Kommen des Heilandes flüchteten und riefen: »Der große Pan ist gestorben!« So haben es wenigstens damals einige Schiffer gehört und ein Kirchenvater hat’s uns überliefert. Frau Imperia starb, ohne irgendwie entstellt zu werden, so war Gott darum besorgt, daß sie bis zum letzten Augenblick ein Musterbild für alle Frauen blieb. Man sagt, daß die Flammenfittiche der Freude, die neben ihr saß und weinte, ihrer Haut eine gar wundersame Färbung verliehen hätten. Ihr Mann versank in eine unbeschreibliche Trauer, aber er ahnte nicht, daß sie gestorben war, um ihn von einer unfruchtbaren Frau zu befreien, denn der Arzt, der sie einbalsamierte, sagte kein Wort über die Todesursache. Dies unvergleichliche Opfer kam erst ans Tageslicht, als der Edelmann bereits sechs Jahre mit dem Fräulein von Montmorency vermählt war. Die war nämlich so töricht, es ihm dann zu erzählen, und der Ärmste versank fortan in tiefe Trauer, bis der Tod ihn erlöste. Denn er konnte die Freuden von Imperias Liebe nie vergessen, und dem dummen Ding fehlten alle Anlagen dazu, selbige wieder aufleben zu lassen. So also lieferte Imperia den Beweis dafür, daß das geflügelte Wort jener Zeit wahr war: diese Frau wird nie in einem Mannesherzen sterben, über das sie einmal geherrscht hat! Das lehrt uns, daß nur der die Tugend ganz erfassen kann, der das Laster geübt hat; denn prüde Frauen mögen so fromm sein wie sie wollen – solcherart würden sie nie ihr Leben zum Opfer bringen.