Honoré de Balzac
Illustrationen von Gustave Doré
Ein feines Regengeriesel ging nieder, und ein Wetter war’s, bei dem die Damen, wenn sie auch sonst das Feuchte lieben, gern zu Hause bleiben und ihre Courmacher gemütlich zwischen ihren vier Wänden empfangen, so nahe als möglich bei ihren Röcken. Auf dem Kastell von Amboise saß die Königin in der Vertiefung ihres Fensters zwischen den Vorhängen und arbeitete zum Zeitvertreib an der Stickerei einer Tapete. Sie hatte aber wenig acht auf ihre Nadel, sondern sah immer wieder dem Regen zu, der in die Loire tropfte. Kein Wort kam von ihren Lippen, sie war ganz in ein melancholisches Träumen versunken, und ihre Hofdamen taten pflichtschuldigst das gleiche. Der gute König aber unterhielt sich mit einigen Herren vom Hof, die ihn von der Kapelle hierher begleitet hatten, denn es war Sonntag und die Stunde nach der Vesper. Er wurde der ernsten Gespräche bald müde, und nun fiel ihm auf, wie trüb und gelangweilt die Königin dreinschaute und mit ihr die Damen des Hofes. Er erriet die heimlichen Gedanken der Frauen.
»Ist denn mein Abt von Turpenay nicht hier?« fragte er plötzlich.
Bei diesen Worten näherte sich dem König jener Mönch, der einst Ludwig dem Elften hochselig durch seine Bittgesuche so lästig gefallen war, daß der gute Monarch, um ihn loszuwerden, dem Gevatter Tristan befohlen, ihn aufzuhängen, was aber keineswegs geschah, da Meister Tristan, wie es in der Geschichte des genannten Königs im ersten Zehent berichtet worden ist, aus Verwechslung einen andern dafür gehängt hat.
Dieser Mönch war unterdessen ein Mann geworden, dem seine Tugenden sichtbar anschlugen, so dick und fett war er, und dessen Geist auf einem breiten roten Gesicht im hellsten Lichte strahlte. Er gefiel sehr den Damen, die ihn mit Wein, Kuchen und ausgewählten Bissen nur so vollstopften und zu all ihren Schmausen, Gastereien und Festen einluden; denn er gehörte zu jenen lustigen Kostgängern Gottes, die überall beliebt sind mit ihren soliden Kinnladen, weil sie ebenso viele gute Reden bereit haben, als sie gute Bissen verschlingen. Es war aber dieser Abt ein gefährlicher Gevatter, der unter seiner Kutte den Damen die kribbligsten Geschichten zuflüsterte, worüber sie sich nicht wenig empörten, nachdem sie sie angehört. Denn natürlich konnten sie sich nicht darüber empören, ehe sie sie gehört hatten.
»Mein ehrwürdiger Vater«, sprach der König, »die Dämmerstunde bricht herein, da kann man den Damen ein lustiges Abenteuer erzählen, ohne daß sie zu erröten brauchen, dessen ja doch niemand gewahr würde. Erzählt uns einen guten Schwank, einen richtigen Mönchsschwank. Ich werde mit Vergnügen zuhören und auch die Damen; denn wir haben lange nichts Lustiges gehört.«
»Eurer Herrlichkeit zuliebe willigen wir ein«, sprach die Königin; »aber der Herr Abt geht gern ein wenig zu weit.«
»Nun denn, mein Vater«, antwortete der König, indem er sich gegen den Mönch umwandte, »so lest uns eine fromme christliche Ermahnung, um die hohe Frau zu unterhalten.«
»Herr König, meine Augen sind schwach, und der Tag neigt sich.«
»Erzählt also eine Geschichte, die nicht weiter geht als bis zum Gürtel.«
»Oh«, sprach lachend der Mönch, »diejenige, die ich im Sinne habe, geht um kein Haar weiter, von den Füßen an gerechnet.«
Die anwesenden Herren bestürmten nun die Königin und ihre Damen in höfischer Zärtlichkeit so lange mit Bitten und feinen Scherzreden, bis sie, als gute Bretannierin, die sie war, dem Mönch einen Blick der Einwilligung zuwarf.
»Sagt immerhin Euer Sprüchlein, mein Vater, Ihr werdet unsere Sünden vor Gott zu verantworten haben.«
»Wohl, hohe Frau«, sprach der Abt; »aber wollt Ihr vielleicht die meinigen dagegen austauschen? Ihr machtet keinen schlechten Handel.«
Lachten da alle und nicht zum wenigsten die Königin. Der König setzte sich an die Seite seiner Frauen, die er zärtlich liebte, wie jedermann weiß, und auch die Höflinge erhielten die Erlaubnis, sich zu setzen, das heißt die älteren Herren; denn die jüngeren stellten sich mit Vergunst der Damen hinter deren Stühle, um das Lachen und Kichern der Schönen schicklich zu sekundieren. Der Abt aber begann seine Geschichte, deren gröbste Stellen er mit um so leiserer Stimme vorbrachte.
*
Es ist nun, hub er an, schon mehr als hundert Jahre her, daß eine große Parteiung in der Christenheit herrschte, weil in der Stadt Rom zu gleicher Zeit zwei Päpste auftraten und jeder sich für den einzig richtig erwählten ausgab, davon dann die Klöster, Abteien und bischöflichen Stifter großen Schaden hatten, insofern als jeder der beiden Päpste zum Dank für seine Anerkennung seiner Anhängerschaft alles zugestand, was man nur von ihm begehrte, woraus denn gar oft groß Unheil hervorging. Wenn da ein Kloster oder eine Abtei, die doch nicht beide Päpste anerkennen konnte, mit ihren Nachbarn in einen Prozeß geriet, nahmen diese ihre Zuflucht zum Gegenpapst, der ihnen allemal recht gab. In solchen verzwickten Zeitläuften wurde es offenkundig, daß ein Schisma in unsrer heiligen Kirche der Christenheit mehr Übel zufügt als Pestilenz und schwarzer Tod.
In jener Zeit nun, wo der Teufel hinter unsern armen Besitztümern her war wie sonst nur hinter den armen Seelen, hatte die altehrwürdige Abtei von Turpenay, deren unwürdiger Regent ich heute bin, mit dem Schloßherrn von Candé einige sehr verwickelte Rechtshändel auszufechten. War aber dieser Candé ein wahrer Heide, Ketzer und Gottesleugner, ein schamloser Räuber, kurz, der wahrhafte Beelzebub in Gestalt eines Junkers. Doch das eine muß man ihm lassen, er war ein Soldat wie keiner und sehr beliebt bei Hofe. Der famose Bureau, der Günstling König Karls ruhmreichen Angedenkens, war sein ganz besonderer Freund, und im Schatten dieser Gunst glaubte der genannte Candé sich in unserm armen abgelegenen Tal straflos alles erlauben zu dürfen. Von Montbazon bis Ussé brachte er nach und nach das ganze Land in seine Gewalt. Alle seine Nachbarn hatten eine höllische Angst vor ihm und ließen ihn gewähren, obwohl sie ihn lieber unter dem Rasen gesehen hätten als hoch zu Roß und ihm den Gottseibeiuns auf den Hals wünschten alle Tage, was aber unsern Junker wenig anfocht.
In dem ganzen Tal wagte es allein unsre Abtei, diesem Satan zu widerstehen; denn die Kirche ist es, die zu aller Zeit und allerorten sich der Schwachen und Notleidenden angenommen und die Sache der Unterdrückten verteidigt hat, besonders in den Fällen, wo sie ihre eigenen Rechte und Privilegien bedroht sieht. Der ungehobelte Landsknecht haßte darum nichts so sehr wie die Mönche, vor allem die von Turpenay, denen er weder mit List noch mit Gewalt beikommen konnte.
Dieser Heide freute sich sehr über das Schisma. Er lauerte nur auf den Augenblick, wo unsre Abtei sich für den einen oder den andern der beiden Päpste entscheiden würde, um sich auf die entgegengesetzte Seite zu stellen und uns das Fell über die Ohren zu ziehen. Seit seiner Rückkehr aus dem Kriege wußte er sich keinen größeren Spaß, als arme Priester, die er auf seinen Besitztümern antraf, zu belästigen und zu mißhandeln, dergestalt, daß einmal ein armer Mönch, der ihn von weitem auf sich zukommen sah, sich vor Schrecken kopfüber, da er keinen andern Weg zu seiner Rettung sah, in die Indre stürzte, wo er allein durch die Hilfe Gottes, die er in seiner Bedrängnis anflehte, gleichsam wie durch ein Wunder gerettet wurde. Seine Kutte hielt ihn über Wasser, und er erreichte das andre Ufer des Flusses unter dem schallenden Gelächter des Herrn von Candé, der sich nicht schämte, aus der Verzweiflung eines Dieners des Herrn ein Gaudium zu machen. Von solchem Stoff war dieser verfluchte Patron.
Es wurde aber in solch bedrängter Lage unsre glorreiche Abtei von einem Abt regiert, der in Wahrheit das Leben eines Heiligen führte, immer im Gebet auf den Knien lag und wahrlich weniger Mühe hatte, so fromm war er, seine Seele vor den Nachstellungen des Teufels als die Gerechtsame seiner Abtei vor den Krallen des Junkers zu retten. Der gute alte Mann sah wohl die verzweifelte Lage, aber er wußte nicht zu raten und zu helfen; er setzte dafür all sein Vertrauen in Gott und sagte oft, daß man an Gottes Hilfe niemals verzweifeln dürfe, der mächtig genug sei, um die Güter der Kirche gegen Räuber und Bösewichter zu verteidigen. Und wie er dem Volk der Juden die Prinzessin Judith und den Römern die Königin Lukretia erweckt hat, um sie zu erretten aus Not und Bedrängnis, so wird er auch, meinte der Abt, seine geliebte und glorreiche Abtei Turpenay, wenn Not an Mann gehe, nicht im Stiche lassen. Mit solchen und andern frommen Reden tröstete er sich. Aber die Mönche, zu unsrer Schande muß ich das gestehen, waren ungläubige Zweifler und machten dem Abt die heftigsten Vorwürfe wegen seines langen Gleichmuts oder immer gleicher Langmut; sie pflegten zu sagen, daß man gut tue, alle Ochsen des Tourainer Lands an den Wagen der Vorsehung zu spannen, wenn man nicht wolle, daß sie im Dreck steckenbleibe; ferner, daß sie keine Fabrik wüßten, wo man Posaunen Jerichos verfertige, und daß der liebe Gott seine Schöpfung, mit der er wenig Freude erlebt, längst dem Teufel überlassen habe, und was dergleichen ärgerliche und gotteslästerliche Worte mehr waren.
In diesen Zeiten der Bedrängnisse und Widerwärtigkeiten lebte ein Mönch in unserm Kloster mit Namen Amador. Das war eigentlich ein Spitzname. Die Brüder nannten ihn so, weil er nach Gestalt und körperlichem Aussehen das leibhaftige Konterfei des falschen Gottes Bacchus darstellte. Wie dieser Heidengott war er ein fetter Wanst und Plumpsack mit kurzen stämmigen Schenkeln, mit Armen so haarig wie die eines Henkers, mit den Schultern und dem Rücken eines Lastträgers, mit einem Gesicht so rot wie die Nase eines Trunkenbolds, mit kleinen funkelnden Äuglein, die im Fette schwammen, mit ungekämmtem Bart, mit hoher, kahler Stirne. So sehr war sein Wanst mit Fett ausgepolstert, daß man glauben konnte, er ginge mit einem Kinde schwanger. Er las die Frühmetten auf den Stufen der Kellertreppe, und die Vesper sang er im Weinberge des Herrn. Wie ein schwäriger Bettler erhob er sich oft den ganzen Tag nicht von seinem Lager oder strich wie ein Vagabund und Taugenichts im Felde umher, schüttelte die Apfelbäume in den Obstgärten, mauste Trauben in den Weinbergen, strich den Bauernmägden nach in Ställen und Scheunen, und wo es eine Hochzeit gab, stellte sich sicher der Bruder Amador ein.
Alle Verbote des Herrn Abtes erwiesen sich als fruchtlos; Bruder Amador war und blieb ein Geilhart, ein Strauchdieb, ein Schnapphahn, kurz, ein ganz schlechter und nichtsnutziger Soldat der heiligen Ecclesia militans, um den sich zuletzt in der Abtei niemand mehr kümmerte und den man teils aus christlicher Barmherzigkeit, teils auch, weil man ihn nicht für ganz richtig im Kopfe hielt, in seinem taugenichtsigen, aberwitzigen Treiben gewähren ließ.
Als nun dieser Amador sah, daß es der Abtei an den Kragen gehen sollte, in der er sich wohl fühlte wie eine Ratte in ihrem Kellerloch, wurde er unruhig, stahl sich heimlich von einer Zelle in die andre und horchte auf die Reden der Brüder im Refektorium. Er geriet in Wut über das, was er hörte, und erklärte zuletzt, daß er sich wohl zutraue, die Abtei zu retten. Ließ sich also die strittigen Punkte auseinandersetzen, vom Abt die nötigen Vollmachten erteilen und die erledigte Stelle des Subpriors versprechen, wenn er den Prozeß zu einem guten Ausgang führe; dann machte er sich auf den Weg, ohne Sorge und Angst wegen der Grausamkeiten und Mißhandlungen des Herrn von Candé. Er versicherte, daß er mit dem, was er in seiner Kutte trage, den Wüterich oder Wüsterich in kurzer Frist kleinlaut machen wolle. Zog also dahin zu Fuß und ohne jede Wegzehrung, außer seiner Kutte, die allerdings so fett war, um einen Minoriter hinlänglich zu nähren.
Es war aber, als er sich gegen Candé aufmachte, ein Tag, an dem es schüttete wie mit Kübeln, und ohne einer Menschenseele zu begegnen, kam er vor das Schloß. Wie ein nasser Hund schlich er sich in den Hof, stellte sich unter den Vorsprung des Dachs, bis der Himmel sich ausgeschüttet haben würde, und zeigte sich zuletzt unerschrocken vor der Halle, wo er wußte, daß der von Candé sich aufhielt. Ein Diener, der vom Vesperbrot an ihm vorüberkam, hatte Mitleid mit ihm und forderte ihn auf, den Hof schleunigst zu verlassen, wenn er nicht etwa in der Absicht gekommen sei, um sich ein Hundert Peitschenhiebe zu holen; verwundert fragte er, wo Amador den Mut hergenommen, sich in einem Hause blicken zu lassen, wo man die Mönche grimmiger verabscheue als den Aussatz.
»Mein Freund«, sprach Amador, »ich gehe im Auftrag meines Herrn Abts nach Tours, und wenn der gnädige Herr von Candé nicht gar so ergrimmt wäre gegen die armen Diener Gottes, würde ich jetzt nicht bei solcher Sintflut in seinem Hofe stehen, sondern säße in seiner Halle. Ich wünsche ihm, daß er Gnade und Barmherzigkeit finde in der Stunde seines Todes.«
Der Knecht überbrachte diese Worte dem von Candé, der im ersten Zorn den Mönch als ein Exkrement und Auswurf der Menschheit in die Unratgrube des Schlosses werfen lassen wollte. Aber die Schloßfrau, die im Schloß die Hosen anhatte, da der Herr Gemahl eine große Erbschaft von ihr erwartete und sie im Grund eine mäßige Tyrannin war, besänftigte ihn und gab ihm zu bedenken, daß der genannte Mönch doch vielleicht sozusagen ein Christ sei, daß man bei diesem Wetter keinen Hund vor die Türe jagen möchte, daß der Schloßherr den Pfaffen schon darum gut behandeln sollte, weil man vielleicht aus ihm herauslocken könne, wie sich das Kapitel von Turpenay in Sachen des Schismas entschieden hätte, und daß es vielleicht, wenigstens sei das ihre Meinung, überhaupt besser wäre, die Streitigkeiten mit der Abtei in Güte beizulegen, da kein Fürst und König seit der Geburt unsres Herrn und Heilands je so mächtig gewesen wie die Kirche, also daß sicher die Abtei noch das Schloß auffressen werde: kurz, sie kramte einen ganzen Haufen von Vernunft und Weisheit aus, wie Frauen in schwierigen Lagen, und wenn sie in Bedrängnis sind, oft an den Tag legen.
Amador machte ein so erbarmungswürdiges Gesicht und sah so schäbig, so einfältig, so dümmlich aus, dergestalt, daß der Schloßherr, der sich bei dem schlechten Wetter langweilte, den Gedanken faßte, sich mit dem armen Teufel einen Spaß zu machen und dem albernen Mönch solchen Schabernack zu spielen, daß ihm das Schloß Candé in schlimmer Erinnerung bleiben solle.
Nun ist zu sagen, daß der Schloßherr ein heimliches Techtelmechtel mit der Kammerzofe seiner Frau unterhielt. Dieses Mädchen mit Namen Perrotte verständigte er über seine Absichten mit dem Mönch. Erschien darauf dieses Gänschen, das in Nachäffung seines Herrn und Meisters die Mönche ebenfalls haßte, mit heuchlerischer Freundlichkeit vor Bruder Amador, der sich unter das Dach der Schweineställe gedrückt hatte.
»Mein Vater«, sagte sie, indem sie ihr süßestes Frätzchen machte, »der Schloßherr macht sich ein Gewissen daraus, einen Diener Gottes im Regen stehenzulassen, während Platz genug ist in seiner Halle, wo im Kamin ein schönes Feuer lodert und das Nachtmahl aufgetragen ist. Ich soll Euch in seinem und der Herrin Namen einladen hineinzukommen.«
»Schönes Kind«, antwortete Amador, »ich danke der hohen Dame und dem Herrn. Ich danke ihnen nicht für ihre Gastfreundschaft, die ihre christliche Pflicht ist, sondern dafür, daß sie zu mir armem Sünder als Boten einen solchen Engel der Schönheit gesandt haben, daß mich dünkt, die Heilige Jungfrau unsres Altars vor mir zu sehen.«
Indem er also sprach, erhob er das Auge und warf einen flammenden Blick, der seine Wirkung nicht verfehlte, auf das hübsche Mädchen, das den Bruder auf einmal gar nicht mehr so garstig und gar nicht mehr so abstoßend und stinkig fand. Aber während er nun mit Perrotte die Vortreppe hinaufstieg, erhielt er auf einmal einen solchen Peitschenhieb über das Auge, die Nase und die Kinnbacken, daß er alle Kerzen des Hochamts vor sich aufflammen zu sehen meinte; so gut hatte ihn der von Candé getroffen, der daran war, seine Rüden zu züchtigen, und dergleichen tat, als ob er den Mönch nicht gesehen hätte. Er bat Amador um Entschuldigung wegen dieses Schlags und fuhr fort, die Meute zu hetzen, die den Gast über den Haufen rannte, indessen das Zöfchen, das um den Handel wußte, sich geschickt auf die Seite gedrückt hatte. Da merkte Amador, daß der Schloßherr mit Perrotte und Perrotte mit dem Schloßherrn in jedem Sinn unter einer Decke stak, worüber ihm vielleicht auch die Mägde des Lands an ihren Waschtrögen bereits einiges zugeflüstert hatten.
Von den Leuten, die sich in der Halle befanden, machte niemand dem Mönch Platz, der, im Windzug frierend, zwischen Tür und Fenster stehenblieb, bis der Schloßherr mit seiner Frau und seiner Schwester, dem ältlichen Fräulein von Candé, nebst seiner Tochter, einem Kind von sechzehn Jahren, endlich erschien und alles sich zu Tische setzte, die Herrschaften zuoberst der Tafel, in weitem Abstand von der Dienerschaft, wie es die Sitte der alten Zeit verlangte, von der man, leider, in unsern Tagen abgekommen ist. Der von Candé tat, als ob er sich nicht im geringsten an den Mönch erinnerte, der am untersten Ende der Tafel von zwei rohen Gesellen in die Mitte genommen wurde, als welche Auftrag erhalten hatten, den Mönch zu drangsalieren, wie sie nur konnten.
In der Tat gingen die beiden Knechte mit ihm um, daß es zum Erbarmen war; wie wahrhaftige Leutschinder plagten sie ihn, und dazu schenkten sie ihm fortwährend, als ob es Wasser wäre, weißen Wein in seinen Becher, um ihn zu berauschen und vollends ihren Spielball aus ihm zu machen. Er hatte aber schon sieben Krüge voll ausgetrunken, ohne daß er auch nur einen Rülpser tat oder sonstige Beschwernis zeigte, worüber die Gesellen sich höchlichst verwunderten, während die Äuglein des Mönchs immer klarer und heller blinzelten. Die Knechte jedoch, ermuntert von einem Blick ihres Herrn, trieben es immer ärger. Sie schütteten dem Mönch, indem sie ihm ihre Reverenz machten, ganze Teller voll Brühe in den Bart und zausten und rauften ihn, indem sie vorgaben, ihn wieder abtrocknen zu müssen. Der Küchenjunge, der eine heiße Suppe auftrug, goß ihm die halbe Schüssel auf den Kopf und in den Nacken, daß ihm der kochende Sudel über die ganze Wirbelsäule hinunterlief.
Alle diese Leiden ertrug Amador mit großer Sanftmut. Denn in ihm war der Geist Gottes und vor allem die lockende Hoffnung, den Prozeß des Kapitels an ein günstiges Ende zu führen, wenn er nur den ihm zugefügten Unbilden wacker standhielt. Dagegen brach das Gesinde in ein schallendes Lachen aus über die fette und heiße Taufe des Mönchs, infolgedessen die Schloßfrau unwillkürlich ihre Augen nach dem unteren Ende der Tafel richtete, wo sie den Amador erblickte, der sich mit frommer Ergebenheit das Gesicht wischte und sich Mühe gab, die Ochsenknochen abzunagen, die ihm die Knechte auf seinen Zinnteller geworfen. Mit einem geschickten Stoß seines Messers spaltete er eben einen solchen Knochen, der dick war wie eine Keule, zerbröckelte ihn mit seinen nervigen, haarigen Händen und saugte mit Behagen an dem hervorquellenden warmen Mark.
›Wahrlich‹, sagte die Schloßherrin bei sich, ›diesen Mönch hat Gott ausgerüstet mit seiner Kraft.‹ Dann verbot sie den Knechten und dem andern Volk, den Diener Gottes weiter zu belästigen, dem von allen Seiten faule Äpfel und wurmige Nüsse zugeworfen wurden.
Amador aber, der bemerkt hatte, daß die Schloßfrau und das alte Fräulein, ebenso wie deren sechzehnjähriges Pflegekind und alle Mägde voll Verwunderung zugeschaut hatten, als er so kurzerhand die ungeheure Knochenkeule zermalmte, schob jetzt den Ärmel seiner Kutte zurück, ließ seinen Bizeps spielen, legte eine Nuß zwischen die Verzweigung zweier Venen und quetschte sie mit der flachen Hand, wie wenn es eine mürbe Mispel gewesen wäre. Das Häuflein Trümmer, grüne und braune Schalen, Kern und Gräte, alles zusammen schob er sich zwischen die weißen Hundszähne und zermahlte es zu Brei, den er verschlang wie süßen, seimigen Honig. Die Äpfel legte er sich einen nach dem andern zwischen zwei Finger und schnitt sie wie mit einer Schere mitten entzwei. Ihr könnt euch denken, was die Weibsen für Augen machten. Die Knechte aber waren sicher, der Pfaffe müsse den Teufel im Leib haben, und der Schloßherr hätte ihn am liebsten, wenn er sich nicht vor den Frauen gescheut hätte, in die Finsternis der Nacht hinausgestoßen. Jedermann ahnte bereits in dem Mönch einen Kerl, der imstande war, das ganze Schloß in die Latrine zu werfen.
Nachdem sich dann alles den Mund gewischt hatte, sorgte der Schloßherr dafür, daß dieser Teufel von einem Mönch, dessen Kraft gefährlich war, gut verwahrt am stinkendsten Orte des Kastells untergebracht wurde, wo Perrotte allerlei Vorrichtungen getroffen, um ihn die ganze Nacht keinen Augenblick zur Ruhe kommen zu lassen. Sie hatte die alten Kater von den Speichern zusammengetrommelt, um ihm ihre Sünden vorzuheulen, die sie begangen, wenn sie zuviel Katzenkraut gefressen, das sie geil macht, und hatte die Schweine in seiner Zelle versammelt und das mönchische Bett mit fetten Kutteln angefüllt, um sie zu verhindern, sich zur Möncherei zu bekehren, wozu sie Lust zeigten. Ferner hatte Perrotte eine Vorrichtung angebracht, die ihn mit kaltem Wasser überschüttete, sooft er sich auf seinem Lager nur im geringsten rührte: kurz, sie hatte tausend Teufeleien ins Werk gesetzt, womit man damals auf herrschaftlichen Schlössern armen Teufeln einen Zeitvertreib zu machen pflegte. Das lustige Gastgemach lag in einem vermauerten Turm, von dem es ins Freie hinaus keinen andern Ausgang gab als durch den Zwinger der Meute, welcher der feiste Mönch ein willkommener Fraß gewesen wäre.
Unterdessen war alles zu Bett gegangen; den Schloßherrn aber ließ es nicht ruhen, er mußte doch ein wenig hören, in welcher Sprache sich der Mönch mit den Schweinen und Katern unterhielt. Nur zu diesem Zweck schlich er nach Perrottes Kämmerchen, das dem des Mönchs benachbart war. Dieser aber, der sich also behandelt sah, fand in seiner Kutte ein gutes Messer, und mit einem einzigen Ruck hatte er die Riegel seines Gefängnisses gesprengt.
Darauf legte er sich aufs Horchen und Kundschaften und hörte den Herrn des Hauses im Kämmerlein der Magd kosen und lachen. Das steckte ihm ein Licht auf. Er wartete noch eine kurze Zeit, bis auch die einsame Schloßherrin unter die Decke geschlüpft sein mochte, dann machte er sich auf und schlich barfuß, damit seine Sandalen sein Geheimnis nicht verrieten, nach dem Schlafgemach der Dame. Er erschien ihr im Schein der Lampe, wie Mönche zur Nachtzeit zu erscheinen pflegen, id est in einem so wunderbaren Zustande, den eben nur ein Mönch lange auszuhalten vermag, was eine Wirkung der Kutte sein muß, als welche ohne viel Spektakel überall Mirakel wirkt. Nachdem er ihr gezeigt und bewiesen hatte, daß er in jedem Sinne ein Mönch sei, hielt er ihr in sanfter Rede die folgende Allokution:
»Schöne Frau, der Gott gnädig sei«, sprach er, »wisset, daß ich als Abgeordneter unsres Herrn Jesu und seiner jungfräulichen Mutter zu Euch komme, um Euch aufzufordern, daß Ihr mit den Schmutzereien ein Ende macht, die in diesem Hause vor sich gehen zum großen Schaden Eurer Tugend, als welcher Euer Gemahl das Beste, was er besitzt, entzieht, um es der Magd zu schenken. Was nützt es Euch, die Dame und Herrin zu sein, wenn die herrschaftlichen Einkünfte in fremde Scheuern fließen? Bei also bewandten Dingen ist Eure Magd mehr Herrin als Ihr, und Ihr seid die Magd. Ist es nicht Euer gutes Recht, zu empfangen, was sie täglich und nächtlich empfängt an Eurer Stelle? Und seht, unsre heilige Kirche, die Trösterin der Betrübten, hat Erbarmen mit Eurem elenden Los, und ich erscheine vor Euch als ihr Abgesandter und bin bereit, Euch alle Rückstände und Schulden Eures Gemahls zu bezahlen, wenn Ihr nicht entschlossen seid, darauf zu verzichten.«
Indem er also sprach, lüftete er ein wenig den Gürtel seiner Kutte, von der er sich offenbar beengt fühlte beim Anblick so vieler heimlicher Schönheiten, die der Herr von Candé einen Dreck achtete.
»Wenn Ihr die Wahrheit sagt, mein Vater«, antwortete die Schloßherrin, indem sie aus dem Bette sprang, »will ich mich gern Eurer Führung anvertrauen. Ihr müßt aber wahrhaftig ein Gesandter des Herrn und ein Botschafter des Himmels sein, da Euch in wenigen Stunden geoffenbart worden ist, was ich in Jahr und Tag nicht erkundet habe.«
Und also ließ sie sich führen von dem genannten Amador, dessen heiliges Gewand ein wenig zu befühlen sie nicht ermangelte, infolgedessen sie es sehr bedauert haben würde, ihren Herrn Gemahl nicht der Schuld überführt zu sehen. Sie hörte ihn aber bereits, wie er im Bett der Magd sich über den Mönch lustig machte. Da kam ein heftiger Zorn über sie, und ihre Zunge war bereits daran, wie Frauen pflegen, ihrem Herzen Luft zu machen. Sie wollte schon einen höllischen Lärm anschlagen und dem Dirnlein übel mitspielen; aber der Mönch erklärte ihr, daß es klüger sei, sich erst zu rächen und dann zu rühren.
»So rächt mich denn rasch, mein Vater«, sprach sie, »ich kann meine Entrüstung nicht länger zurückhalten.«
Das ließ sich der Mönch nicht zweimal sagen, sondern machte sich daran, sie auf gut mönchisch zu rächen. Sie aber schlürfte in vollen Zügen die süße Rache und berauschte sich daran, gleich einem Trunkenbold, der seinen Mund gleich an das Spundloch des Fasses hält; denn wahrlich, eine Dame, die sich rächt, muß die Wollust der Rache bis zur Hefe trinken, oder sie muß gar nicht daran nippen. Die Schloßherrin aber wurde so gerächt, daß sie kein Glied mehr rühren konnte, da nichts so auf die Nerven geht, außer Atem bringt und den Körper mitnimmt als Zorn und Rache. Aber obwohl sie hinreichend gerächt wurde, gerächt im Quadrat und im Kubus, gerächt ich weiß nicht in der wievielten Potenz, wollte sie doch noch nicht verzeihen, um immer neuen Grund zur Rache zu haben. Als Amador in der guten Frau einen solchen Hang zur Rache sah, versprach er ihr, sie in diesem frommen Werk, bis ihr Zorn verraucht sei, nach Kräften zu unterstützen, wo und wann sie es gebiete, ihr versichernd, daß er als frommer Ordensmann, der verpflichtet ist, viel und anhaltend zu meditieren und über die Natur der Dinge nachzudenken, alle Arten, Weisen und Methoden kenne, wie eine raffinierte Rache ins Werk zu setzen ist. Dann erklärte und bewies er ihr aus den kanonischen Büchern, was für eine christliche Tugend die Rache wäre, da Gott selber, durch die ganze Heilige Schrift hindurch, sich keiner Eigenschaft so oft und so laut rühme, als daß er ein Gott der Rache sei, ein sich rächender Gott, wie denn auch die Hölle bis zum Augenschein zeige, daß es nichts Göttlicheres gebe als die Rache, die Rache durch alle Ewigkeit: woraus denn folge, daß ein schlechter Christ und eine schlechte Christin sei, wer das Beispiel des Himmels verachtet, indem er auf die Rache verzichtet.
Ein solches Dogma gefiel der Dame über alles. Sie mußte gestehen, daß sie die Lehren der Kirche bis jetzt schlecht verstanden, und bat den Mönch, ihr dieselben noch einmal von Grund aus zu erklären. Dann begab sich die Dame, deren Lebensgeister sich durch die Rache wie verjüngt fühlten, in die Kammer, wo die Magd sich mit dem Herrn herumbalgte und gerade das in der Hand hielt, was die Schloßfrau gern im Auge behielt wie Kaufleute ihre kostbare Ware, damit sie ihnen nicht gestohlen wird. Das war ein In-flagranti, an dem nichts fehlte, nicht das Bett und nicht das Paar, dem auf einmal manches verging. Dieser Anblick empörte derart das heftige Gemüt der Dame, daß alle Schleusen ihrer zornigen Beredsamkeit rissen und es über die Perrotte hereinbrach wie Wolkenbruch und Hagelwetter. Denn die Gardinenpredigt, die nun losging, hatte nicht nur die drei vorschriftsmäßigen Teile und Hauptstücke, sie war auch von einer Musik begleitet, die in allen Tonarten wechselte, in Moll und Dur.
»Ei, Herr Gemahl«, begann sie, »hier also haltet Ihr Eure Abendandacht! So, so! Und die Religion der ehelichen Treue ist demnach ein veralterter Aberglaube! Nun weiß ich doch, warum ich keinen Sohn bekomme. Wieviel Kinder habt Ihr denn schon begraben in diesem stinkenden Abgrund, in dieser Opferbüchse ohne Boden, in diesem Napf eines Aussätzigen, in diesem wahrhaftigen Kirchhof des Hauses Candé? Ich möchte endlich erfahren, ob ich unfruchtbar bin durch einen Fehler der Natur oder durch Eure Schuld. Ihr könnt die Magd behalten, ich werde meinerseits eine Auslese unter den hübschen Junkern unsrer Nachbarschaft treffen, um Euch einen Erben zu schenken. Fahrt nur fort, das Schloß mit Bankerten zu bevölkern, die Sorge für die Legitimen werde ich auf mich nehmen.«
»Mein Liebchen«, stotterte der betroffene Ehemann, »mach doch keinen solchen Lärm.«
»Ich will aber einen Lärm machen«, erwiderte die Frau, »einen Lärm, daß man ihn im ganzen Schlosse hört. Bis in den Palast des Erzbischofs, bis an die Ohren des Legaten, ja des Königs selber soll mein Lärm dringen. Meine Brüder sollen ihn vernehmen, daß sie kommen und meinen Schimpf rächen.«
»Ihr werdet nicht Schande über Euern Gemahl bringen wollen.«
»Was Ihr tut, ist also eine Schande? Ja, Ihr habt recht. Doch nicht von Euch kann die Schande kommen, mein Herr und Gemahl, sondern nur von dem schlechten Weibsbild da, das ich in einen Sack nähen und in den Fluß werfen lassen will. Damit werde ich alle Schande von Euch abwaschen. Holla, Johann, Peter!« rief sie.
»Schweigt doch, angebetete Frau!« bat der Ehemann, der bedäppt war und demütig wie der Hund eines Blinden. Denn dieser wilde Kriegsmann, der einen Feind tötete wie eine Mücke an der Wand, wurde wie ein kleines Kind eingeschüchtert unter dem Blick seiner Frau. Und er hatte in diesem Stück viele Kameraden. Denn diese Helden des rauhen Kriegshandwerks haben wohl die starke Faust und den gewaltigen Arm, in den Frauen aber spüren sie den überlegenen Geist und einen Hauch der göttlichen Flamme, die noch vom Paradiese her in ihnen glimmt und davor den Männern angst wird. Das ist der Grund, warum so viele Frauen ihre Männer am Schnürchen haben, denn der Geist ist der Herr über die Materie.
*
Hier lächelten die Damen des Hofes und mit ihnen der König.
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»Ich will aber nicht schweigen«, sprach die Herrin zu Candé – also fuhr der Abt fort in seiner Erzählung –, »ich bin zu empört, mir ist ein zu großer Schimpf geschehen. Und das ist also der Lohn für mein großes Heiratsgut und meine Ehrbarkeit? Aber habe ich mich jemals geweigert, Euch zu Willen zu sein, trotz Fasten und Quatembertagen? Oder bin ich etwa so kalt, daß die Liebe bei mir eingefriert? Glaubt Ihr etwa, daß ich die Sache gar nur aus Pflicht und Gefälligkeit getan? Oder weil ich der Gewalt nachgab? Bin ich eine Heilige, bin ich unberührbar? Bin ich das Venerabile? Ist mein Ding ein Tabernakel? Brauchte es eines päpstlichen Breves, um die Erlaubnis zu erhalten, ihn aufzuschließen? Oder, beim Blut Christi, seid Ihr meines Leibs schon satt und überdrüssig? Habe ich es Euch nicht nach Geschmack gemacht, und verstehen sich die Mägde besser auf die Sache als die Hausfrauen? Das muß wohl sein, da die Dirne ihr Feld von Euch pflügen ließ, ohne daß Ihr es besäet. Lehrt mich doch auch diese Praktik, ich werde sie mit denen üben, die ich in meinen Dienst nehme. Denn das ist ausgemacht: von heute an bin ich frei. Das kann mir schon gefallen. Ihr ließet mich umkommen vor Langerweile; Gott sei Dank, damit ist es vorüber, ich lasse Euch diese Magd, ich werde mich in ein Mönchskloster zurückziehen …«
›In ein Nonnenkloster‹, wollte sie sagen, aber der rächende Mönch hatte ihr so die Zunge verdreht.
»… Oh, mir wird es mit meiner Tochter wohler sein im Kloster als in diesem Sodom und Gomorrha. Ihr könnt Eure Magd beerben. Ha, ha, eine schöne Dame das …«
»Was ist hier los?« fragte Amador, indem er aus dem Dunkel hervortrat.
»Was los ist, ehrwürdiger Vater?« antwortete die Schloßherrin; »eine Sache, die nach Rache schreit. Und mit diesem Luderchen da, das zu eignem Nutzen und Vorteil Korn und Samen des Hauses Candé veruntreut hat, werde ich anfangen; ich will es in einen Sack nähen und in den Fluß werfen lassen, so ist dem Henker eine Mühe erspart. Und dann …«
»Bezähmt Euern Zorn, meine Tochter«, sprach der Mönch. »Die heilige Kirche gebietet im Vaterunser, daß wir andern ihre Schuld verzeihen, wenn uns die ewige Seligkeit lieb ist, da Gott nur denen verzeiht, die allzeit ihren eignen Schuldigern verziehen haben. An denen, die sich rächen, nimmt er ewige Rache, für die Verzeihenden hat er die Freuden des Paradieses bereitet. Daher der Name Jubiläum, der da besagt: Tag des Jubels, weil an solchen Tagen alle Sünden und Schulden vergeben werden. Und so ist Verzeihen eine große Seligkeit. Verzeiht, meine Tochter, verzeiht! Es gibt keine christlichere Tugend als Verzeihung. Verzeiht dem Herrn Wüsterich, Eurem Gemahl, der Euch um Eurer Gnade und Barmherzigkeit willen nur um so inniger lieben wird. Diese Verzeihung wird Euch einen neuen Frühling voll Rosen bringen. Bedenkt auch, schöne junge Frau und teure Herrin, daß die Verzeihung oft nur eine andre Art ist, sich zu rächen. Verzeiht auch Eurer Magd, die für Euch beten wird. Und also von allen Seiten zu Euren Gunsten bestürmt, wird Gott Euch gnädig sein und wird Euch zum Lohn für Eure Verzeihung den Sohn bescheren, um den Ihr so lange schon betet.«
Bei diesen Worten ergriff der Mönch die Hand des Schloßherrn und legte sie in die seiner Gemahlin.
»Gnädiger Herr«, flüsterte er dem Gemahl ins Ohr, »greift zu Eurem Hauptargument und bringt sie damit zum Schweigen. Wenn die Zunge einer Frau böse Worte zischt, muß man ihr in Gottes Namen den Mund stopfen; es bleibt nichts andres übrig, damit allein könnt Ihr sie zur Vernunft bringen.«
»Bei allen sieben Teufeln, dieser Mönch ist nicht von Pappe«, murmelte der Schloßherr, indem er sich zurückzog.
Da sah sich Amador allein mit der schönen Perrotte, der er darauf folgenden Sermonem hielt.
»Ihr seid in großer Schuld, mein Liebchen«, sprach er, »denn Ihr habt einen armen Diener Gottes verraten. Dafür wird der Zorn des Himmels über Euch hereinbrechen. Wo Ihr Euch auch verstecken mögt, er wird Euch zu finden wissen; selbst im Tod könnt Ihr ihm nicht entfliehen, er wird Euch in die Hölle stoßen, wo Ihr schmoren müßt wie ein Braten, ein Braten für den Teufel, durch alle Ewigkeiten, und siebenhunderttausend Peitschenhiebe werdet Ihr jeden Tag aufgezählt bekommen für den einen Schlag, den mir Eure Bosheit verschafft hat.«
»Oh, mein Vater!« rief die Zofe, indem sie sich dem Mönch zu Füßen warf, »Ihr allein könnt mich retten; allein unter Eurer Kutte vermöchte ich mich zu verstecken vor Gottes Zorn.«
Mit diesen Worten hob sie dem Mönch die Kutte auf, wie wenn sie darunterschlüpfen wolle.
»Bei meiner Kleinen«, rief sie aus, »die Mönche haben es dicker, und nicht nur hinter den Ohren, als die Ritter.«
»Bei dem brenzligen Gestank des Teufels!« rief Amador, »hast du nie einen Mönch gesehen und gerochen?«
»Nie.«
»Und kennst nicht die Metten, welche die Mönche singen, ohne ein Wort dazu zu sagen?«
»Nein«, beteuerte Perrotte.
Da schickte der Mönch sich an und zeigte ihr, wie man im Kloster mit der großen Glocke läutet und die Psalmen singt im hohen C mit Chorknaben und flammenden Kerzen, und erklärte ihr aus dem Effeff das Introitus und auch das Ite missa est, um sie geweiht und gefeit vor dem Zorn Gottes zu entlassen, der an dem ganzen Dirnchen nicht den kleinsten ungesalbten Fleck mehr gefunden hätte. Dann befahl er der reuigen Zofe, ihn in die Kammer zu führen, wo das Fräulein von Candé, die Schwester des Schloßherrn, schlief.
Vor diesem Mädchen erschien er nun, um sie zu fragen, ob sie nicht das Bedürfnis habe, ihr Gewissen zu erleichtern und ihm zu beichten, da doch so selten ein Mönch dieses Haus betrete. Das Fräulein war eine gute Christin und willigte mit Freuden in seinen Vorschlag. Also forderte er sie auf, ihm jede Falte ihres Gewissens aufzudecken, und nachdem sie ihm das enthüllt, was er das Gewissen eines Mädchens nannte, fand er es erschrecklich schwarz und erklärte ihr, daß alle Sünden der Frauen von da ihren Ursprung nehmen und es darum nötig sei, wenn sie in Zukunft ohne Sünde bleiben wolle, die schwarze Sündenquelle mit hinreichender mönchischer Indulgenz zu verstopfen. Das unwissende Fräulein antwortete, daß sie nicht wisse, wo solche Indulgenz zu erlangen; er aber versicherte ihr, einen großen Schatz solcher Indulgenz bei sich zu tragen. Er zeigte ihr davon einen Zipfel mit der Beteuerung, daß das die wirksamste Indulgenz der Welt sei, weil sie, wie man von einer richtigen Indulgenz erwarten müsse, ohne Worte himmlische Freuden in Aussicht stelle. Das Fräulein aber wurde von dem Anblick des mönchischen Schatzes so geblendet, daß ihm ganz schwindelig wurde und ihm alle Sinne vergingen und es ihm nichts mehr kostete, an die Reliquie des Mönchs aus vollem Herzen zu glauben, sondern nach dessen Indulgenzen dürstete, wie die Dame von Candé nach Rache gedürstet hatte.
Über solchen Absolutionen erwachte das kleine Fräulein von Candé im Nebengemach und erschien unter der Türe, um nachzusehen, was es gebe. Darauf hatte der Mönch gerechnet, dem schon beim Abendessen das Wasser im Mund zusammengelaufen war beim Anblick dieser leckeren Frucht, die er sich nun eilig zu Gemüt führte, damit ihn das gute Tantchen nicht erst verhindern konnte, der Kleinen einen Rest seines Segens zukommen zu lassen.
Wollet aber bedenken, daß ihm die Freude wohl zu gönnen war als Entschädigung für die ausgestandene Unbill.
Als der Morgen herannahte, die Schweine bereits ihre Futtertröge ausgeschlappert hatten und die Katzen von ihren nächtlichen Liebesraufereien ganz zerzaust nach Hause kehrten, suchte Amador sein Lager auf, von dem Perrotte alle störenden Unbequemlichkeiten sorgfältig entfernt hatte, und alles schlief durch die Gnade und Kraft des Mönchs so fest und so lang, daß vor Mittag, der Stunde des Essens, sich niemand erhob. Die Dienerschaft glaubte schon, dieser Mönch sei der Teufel, der dem Viehzeug mitsamt der Herrschaft die Gurgel umgedreht habe in der Nacht. Aber zur Essenszeit erschien männiglich in der Halle.
»Kommt, mein Vater«, sprach die Schloßherrin, indem sie dem Mönch ihren Arm gab und ihm den Platz an ihrer Seite im Armstuhl des Herrn Gemahls anbot, ohne daß der Schloßherr zum großen Erstaunen der Dienerschaft dagegen Einspruch erhob.
»Page«, sagte sie, »reiche dies dem Vater Amador.«
»Der Vater Amador wünscht vielleicht von dem da?« sprach das Tantchen.
»Füllt auch den Humpen des Vaters Amador«, befahl der Schloßherr.
»Vater Amador hat kein Brot«, lispelte das kleine Fräulein Candé.
»Was steht zu Euren Diensten, Vater Amador?« fragte Perrotte.
Nichts als Amador und Amador hörte man. Amador hier, Amador dort. Er wurde gefeiert wie eine Braut in der Nacht der Hochzeit.
»Esset, mein Vater«, sprach die Schloßfrau, »Ihr habt gestern ein wenig allzu streng gefastet.«
»Trinkt, mein Vater«, ermunterte ihn der Ritter, »Ihr seid, bei Gott, der bravste Mönch, den ich in meinem Leben gesehen habe.«
»Pater Amador ist wahrhaftig ein Prachtkerl von einem Mönch«, flüsterte Perrotte.
»Ein wahrhaft frommer Mönch«, lispelte das Fräulein.
»Ein wohltätiger Mönch«, hauchte die kleine Candé.
»Ein gewaltiger Mönch«, sprach die Schloßfrau.
»Ein Mönch, der seinem Namen Ehre macht«, beteuerte der Schreiber.
Und Amador aß, aß, aß. Ganze Schüsseln voll verschwanden in seinem Wanst. Er trank den Hippokras, wie wenn er Wasser gewesen wäre, und leckte sich das Maul wie ein Stier auf der Weide. Das Gesinde betrachtete ihn mit heimlichem Entsetzen. Sie hielten ihn zum mindesten für einen Teufelsbeschwörer. Nach dem Essen umringten die Damen den Hausherrn, die Frau, das Fräulein, die Kleine, und alle drangen sie auf ihn ein, wie nötig es sei, den Prozeß mit dem Kloster beizulegen. Tausend Gründe wurden ihm vorgetragen, zuerst von der gnädigen Frau, die ihm bewies, wie sich ein Mönch auf dem Schlosse nützlich machen könne, dann von dem gnädigen Fräulein, die auf einmal das Bedürfnis empfand, jeden Tag zur Beichte zu gehen, dann von der Kleinen, die ihren Papa am Bart zupfte und fragte: »Nicht wahr, der Mönch Amador bleibt auf dem Schlosse? Er wird mit Leichtigkeit alle Händel schlichten.« Um die Wette lobten sie den Mönch. Er war so gut und sanft, ein wahrer Heiliger. Welch ein Unglück, daß man mit einem Kloster im Streite lag, wo es solche Mönche gab! Wenn alle so waren wie er, mußte notwendig das Schloß den kürzern ziehen. So ein überlegener Mönch war es. Wie ein Platzregen, wie eine Sintflut prasselten die Lobsprüche auf den armen Schloßherrn nieder, der wohl sah, daß er nie wieder Friede haben werde in seinem Hause, wenn er nicht Friede machte mit dem Kloster.
Er schickte also unverzüglich nach seinem Schreiber und dem Mönch, und wie verwundert war er, als Amador aus seiner Tasche die Briefe und Vollmachten zog, kraft deren er ohne weiteres abschließen konnte, womit er jeder Verzögerung zuvorkam.
Als da die Dame die Sache in bestem Zuge sah, eilte sie nach ihren Schränken, um das feinste Tuch für eine neue Kutte auszusuchen. Jedermann auf dem Schlosse hatte gesehen, wie die alte übel zugerichtet war, also daß es eine Schande gewesen wäre, dieses unvergleichliche Werkzeug der Rache länger in dem häßlichen Sack zu lassen. Um die Wette arbeiteten sie an der Kutte: die Schloßfrau schnitt sie zu, das gnädige Fräulein von Candé wollte sie nähen, die Kleine bemächtigte sich der Ärmel, Perrotte der Kapuze. Und einen solchen Eifer entfalteten sie, den guten Mönch neu geschmückt zu sehen, daß das neue Gewand noch vor dem Abendmahl fertig wurde. Auch das Aktenstück, das den ärgerlichen Zwistigkeiten ein Ende machte, wurde zu gleicher Zeit ausgefertigt und von dem Schloßherrn mit seinem Insiegel versehen.
»Mein Vater«, sprach die Hausfrau, »Perrotte hat Euch ein warmes Bad bereitet, so tut uns die Liebe, es anzunehmen und Euch zu erholen von den Strapazen so vieler Arbeit.«
Wurde also Amador in ein duftendes Bad gesteckt, und nachdem er sich gütlich getan, fand er an Stelle seiner schmutzigen Lumpen ein feines Linnenhemd, funkelnagelneue Sandalen und ein so prachtvolles neues Gewand, daß alle erklärten, nun sehe er aus wie der König der Mönche.
Unterdessen hatte der Konvent von Turpenay in großer Besorgnis um Amador mehrere der Brüder auf Kundschaft ausgeschickt. Diese umschlichen das Schloß Candé von allen Seiten und sahen da, wie Perrotte die alte schmierige Kutte Amadors, vollgestopft mit Lumpen, in die Unratgrube hinunterwarf. Waren also überzeugt, daß es um den armen Narren geschehen sei, und kamen in großer Hast nach der Abtei zurück, allwo sie verkündeten, daß Amador um ihrer guten Sache willen zum Märtyrer geworden war. Als der Abt die Nachricht vernahm, rief er alle Mönche nach der Kapelle und hielt ein feierliches Gebet ab für die arme Seele des unglücklichen Bruders.
Unterdessen saß Amador auf Schloß Candé beim Abendmahl. Nach dem Essen aber, indem er sich, die Briefe und Verträge wohlverwahrt in seiner Tasche, zur Heimkehr anschickte, fand er auf der Freitreppe des Schlosses den Zelter der gnädigen Frau gezäumt und gezügelt und daneben den Stallmeister, bereit, ihm den Steigbügel zu halten; der Schloßherr aber befahl all seinem bewaffneten Volk, den Mönch zu begleiten, damit er ohne Unfall in seiner Abtei anlange. Von dieser Zurüstung wurde Amador so gerührt, daß er die Unbilden vom vorherigen Abend von Herzen verzieh und allen seinen Segen erteilte, bevor er abzog von dem Orte, wo er soviel Gnade gewirkt. Ihr könnt euch denken, daß ihm manch ein schönes Auge nachblickte. Die Schloßherrin nannte ihn einen perfekten Reiter. Perrotte erklärte, daß sich dieser Mönch besser im Sattel halte als mancher Kriegsmann; das Fräulein von Candé seufzte. Die Kleine hätte ihn um ihr Leben gern zum Beichtvater gehabt.
»Er hat dem Schlosse Heil und Segen gebracht«, erklärten alle, während sie in die Halle zurückkehrten.
Unterdessen kam Amador mit seinem Gefolge vor die Abtei geritten, wo die ganze Mönchschaft in Furcht und Entsetzen geriet, weil sie nicht anders glaubte, als daß der von Candé noch trunken vom Blute Amadors, mit seiner Kriegsmacht heranrücke, um die Abtei dem Erdboden gleichzumachen.
Aber Amador rief den Mönchen zu mit seiner breiten Stimme, daß sie ihn erkannten; sie ließen ihn ein, und während er im Hof vom Zelter der Schloßherrin herunterstieg, kamen nach und nach alle herbei. Und nachdem sie sich von ihrem Schrecken und ihrem Erstaunen erholt hatten, umringten und beglückwünschten sie ihren Bruder Amador, der das gesiegelte Pergament wie eine Siegesfahne über seinem Kopfe schwenkte. Die Kriegsleute des Herrn von Candé wurden mit dem besten Wein des Klosterkellers bewirtet; er war ein Geschenk derer von Marmoustiers, denen die berühmten Weinberge von Vouvray gehörten.
»Hier sieht man«, sprach der Abt, nachdem man ihm den Inhalt des Pergaments vorgelesen, »deutlich den Finger Gottes, und so mögt ihr erkennen, daß auf seine Vorsehung zu vertrauen das beste Teil eines Christen ist.« Als aber der Abt noch oft auf diesen Finger Gottes zu sprechen kam, indem er Amador mit Dank überhäufte, wurde dieser allmählich unwirsch über diese Verkleinerung seines Verdienstes und brummte etwas in den Bart, was aber die Brüder nicht verstanden.
»Ehrwürdiger Vater«, sprach er laut, »sagt lieber, daß es der Arm Gottes war, und damit wollen wir es gut sein lassen.«
Die Beilegung seiner Streithändel mit dem Kloster war für den Herrn von Candé von einem hohen Glück begleitet, das ihn unsrer heiligen Kirche vollends geneigt machte. Er erhielt einen Sohn, genau neun Monate nach der Umwandlung seines heidnischen Sinns durch Bruder Amador. Dieser aber wurde zwei Jahre später von den Mönchen zum Abt erwählt. Sie hofften auf ein gutes Leben unter dem versoffenen Narren. Aber kaum in seine neue Würde eingesetzt, wurde Amador vernünftig und übte die strengste klösterliche Zucht, nicht nur an andern, sondern auch an sich selber; denn er hatte rechtzeitig seine Lust gebüßt und seine Seele rein gebrannt von ihren Schlacken in einem Feuer, in dem sich alles klärt und reinigt – dem Feuer der Frauenliebe, als welches das blitzendste, blitzelndste, kitzelndste, das reizendste, beizendste und einheizendste Feuer der Welt ist. Es ist zugleich das verzehrendste und verheerendste Feuer, und es hat in Bruder Amador alles verheert und verzehrt, was Schlimmes in ihm und an ihm war, und hat allein zurückgelassen, was es nicht verzehren konnte, nämlich seinen Geist, und hat ihn hell und klar gemacht wie Diamant, der, wie jedermann weiß, ein Ergebnis des großen Welt- und Urfeuers ist, in dem unser Erdball sich gehärtet hat.
So wurde denn Amador das von der Vorsehung auserwählte Werkzeug, um unsre illustre Abtei von Grund aus zu reformieren; er wachte Tag und Nacht über seine Mönche, trieb sie aus den Betten zur festgesetzten Stunde, zählte sie in der Kapelle ab wie ein Hirt seine Schafe, hielt sie gut im Zaum, strafte streng das kleinste Vergehen wider die Regel, kurz, machte lauter Heilige aus seinen Mönchen.
Daraus lernen wir, daß wir uns mit den Frauen abgeben sollen nicht um der Lust willen, sondern um uns zu kasteien und in der Kasteiung zu heiligen. Außerdem lehrt uns diese Geschichte, daß man mit der Kirche und ihren Dienern nicht Streit und Händel anfangen soll.
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Der König und die Königin fanden diese Historie durchaus nach ihrem Geschmack, die Höflinge gestanden, daß sie schon lange nichts so Lustiges gehört hatten, und die Hofdamen alle hätten gewünscht, die Geschichte gemacht zu haben.