Jack London

Eine Bidarka, nicht wahr? Schau, eine Bidarka, und ein Mann, der sie ungeschickt mit einem Paddel rudert!« Die alte Bask-Wah-Wan erhob sich, vor Kraftlosigkeit und Eifer zitternd, auf die Knie und starrte übers Meer hinaus. »Nam-Bok war immer ungeschickt mit dem Ruder«, murmelte sie, sich erinnernd, beschattete die Augen gegen die Sonne und spähte über das silberfunkelnde Wasser. »Nam-Bok war immer ungeschickt. Ich weiß noch . . .«

Aber Frauen und Kinder lachten laut, und in ihrem Lachen lag ein sanfter Spott. Bask-Wah-Wans Stimme wurde leiser, bis ihre Lippen sich nur noch lautlos bewegten.

Koogah hob das ergraute Haupt von seiner Beinschnitzerei und folgte ihrem Blick. Eine Bidarka näherte sich dem Strande, wurde nur hin und wieder von heftigen Böen abgetrieben. Ihr Besitzer ruderte mit mehr Kraft als Geschicklichkeit und kam in mühseligstem Zickzack näher. Koogah ließ sein Haupt wieder auf die Arbeit sinken und kratzte in den Elfenbeinhauer zwischen seinen Knien die Rückenflosse eines Fisches, dessengleichen nie im Meere geschwommen war.

»Es ist zweifellos der Mann aus dem Nachbardorfe«, sagte er abschließend. »Er kommt, um mich über das Schnitzen in Bein zu Rate zu ziehen. Und der Mann ist ein ungeschickter Bursche. Er wird es nie lernen.«

»Es ist Nam-Bok«, wiederholte die alte Bask-Wah-Wan. »Sollte ich meinen eigenen Sohn nicht kennen?« fragte sie schrill. »Ich sage, und ich sage es wieder: es ist Nam-Bok.«

»Und das hast du viele Sommer gesagt«, spottete eine der Frauen sanft. »Immer, wenn das Eis auf dem Meere schmolz, saßest du hier und hieltest den lieben langen Tag Wache, und bei jedem Kanu sagtest du: ›Das ist Nam-Bok.‹ Nam-Bok ist tot, Bask-Wah-Wan, und die Toten kehren nicht wieder. Es ist unmöglich, daß die Toten wiederkehren.«

»Nam-Bok!« rief die alte Frau so laut und deutlich, daß das ganze Dorf sie verblüfft anblickte.

Sie kam mit Anstrengung auf die Beine und wankte über den Sand hinab. Sie stolperte über ein Kind, das in der Sonne lag, und die Mutter beschwichtigte sein Weinen und rief der alten Frau harte Worte nach, ohne daß diese sich jedoch darum kümmerte. Die Kinder liefen ihr zum Strande voraus, und während der Mann in der Bidarka immer näherkam und das Boot in seiner Ungeschicklichkeit fast zum Kentern gebracht hätte, kamen die Frauen ihr nach. Koogah ließ seinen Walroßzahn fallen und folgte, schwer auf seinen Stock gestützt, und die andern Männer schlenderten zu je zweien oder dreien hinter ihm her.

Die Bidarka wandte dem Lande die Breitseite zu, und der Wellenschlag drohte sie zu füllen, aber ein nackter Knabe lief ins Wasser und zog den Bug hoch auf den Strand. Der Mann erhob sich und warf einen fragenden Blick über die Reihe der Dorfbewohner. Eine bunte Wolljacke hing, schmutzig und abgenutzt, über seiner breiten Schulter, und er hatte ein rotes Taschentuch nach Matrosenart um den Hals gebunden. Eine Fischermütze auf seinem kurzgeschorenen Kopfe, Wollhosen und schwere Schuhe vervollständigten seine Kleidung.

Aber nichtsdestoweniger war er eine merkwürdige Erscheinung für diese einfachen Fischer im großen Yukon-Delta, die ihr ganzes Leben lang übers Beringsmeer gestarrt und in der ganzen Zeit nur zwei weiße Männer gesehen hatten – den Volkszählungsbeamten und einen Jesuitenpater, der sich verirrt hatte. Sie waren arm, ihr Erdboden enthielt kein Gold, ihre Jagd brachte kein wertvolles Pelzwerk, so daß die Weißen sie stets links hatten liegenlassen. Dazu hatte der Yukon in den Jahrtausenden das Meer in der Nähe mit Alaskakies gefüllt und seicht gemacht, so daß die Schiffe auf Grund stießen, ehe sie das Land in Sicht bekamen. Daher wurde die feuchte Küste mit ihren weiten Lagunen und den großen Barrieren schlammiger Inseln von den Schiffen der Weißen gemieden, und die Fischer wußten nicht einmal, daß solche Wesen existierten. Koogah, der Beinschnitzer, zog sich in plötzlicher Eile zurück, stolperte über seinen Stock und fiel hin. »Nam-Bok!« rief er, während er erschreckt wieder auf die Füße zu kommen suchte. »Nam-Bok, der aufs Meer hinausgeweht wurde, ist zurückgekehrt!«

Männer und Frauen schauderten zurück, und die Kinder liefen ihnen zwischen den Beinen fort. Nur Opee-Kwan war kühn, wie es sich für den Dorfhäuptling ziemte. Er trat vor und starrte den Ankömmling lange und ernst an.

»Es ist Nam-Bok«, sagte er schließlich, und bei dem überzeugten Klang seiner Stimme heulten die Weiber furchtsam und zogen sich weiter zurück.

Die Lippen des Fremden bewegten sich unentschlossen, und sein brauner Hals wand sich und kämpfte mit unausgesprochenen Worten.

»La, la, es ist Nam-Bok«, sang Bask-Wah-Wan, während sie ihm ins Gesicht blickte. »Ich habe immer gesagt, daß Nam-Bok zurückkehren würde.«

»Ja, es ist Nam-Bok, der zurückgekehrt ist.« Diesmal war es Nam-Bok selbst, der sprach, indem er ein Bein über den Rand der Bidarka streckte und mit dem einen Fuß im Boote, mit dem andern an Land stehenblieb. Wieder wand sich sein Hals und kämpfte, während er nach vergessenen Worten suchte. Und als die Worte kamen, war ihr Klang seltsam, und ein Sprudeln der Lippen begleitete die Kehllaute. »Seid gegrüßt, o Brüder,« sagte er, »Brüder aus alter Zeit, ehe der Festlandwind mich entführte.«

Er trat mit beiden Füßen auf den Strand, aber Opee-Kwan winkte ihn zurück.

»Du bist tot, Nam-Bok«, sagte er.

Nam-Bok lachte. »Ich bin dick.«

»Tote sind nicht dick«, räumte Opee-Kwan ein. »Es geht dir gut, aber es ist seltsam. Niemand kann sich mit dem Festlandwind paaren und nach Jahren zurückkehren.«

»Ich bin zurückgekehrt«, antwortete Nam-Bok einfach.

»Vielleicht bist du aber doch ein Schatten, ein Schatten, der kommt und geht, ein Schatten des Nam-Bok, der lebte. Schatten können wiederkehren.«

»Ich bin hungrig. Schatten essen nicht.«

Aber Opee-Kwan war unschlüssig und strich sich in trauriger Verwirrung mit der Hand über die Stirn. Nam-Bok war gleichfalls verwirrt. Er blickte auf und die Reihe entlang, fand aber kein Willkommen in den Augen der Fischer. Männer und Frauen flüsterten zusammen. Die Kinder zogen sich ängstlich zwischen die Erwachsenen zurück, und den Hunden sträubten sich die Haare, sie krochen zu ihm und beschnupperten ihn mißtrauisch.

»Ich gebar dich, Nam-Bok, und ich säugte dich, als du klein warst,« wimmerte Bask-Wah-Wan und kam näher, »und magst du nun ein Schatten sein oder nicht, so will ich dir doch zu essen geben.«

Nam-Bok machte eine Bewegung, als wollte er auf sie zutreten, aber ein furchtsames und drohendes Murren hielt ihn zurück. Er sagte etwas in einer fremden Sprache, das wie »den Teufel auch« klang und fügte hinzu: »Kein Schatten bin ich, sondern ein Mensch.«

»Wer kann diese geheimnisvollen Dinge begreifen?« fragte Opee-Kwan halb bei sich, halb zu seinem Stamme gewandt. »Wir sind, und einen Atemzug später sind wir nicht mehr. Wenn ein Mensch zum Schatten werden kann, kann dann ein Schatten nicht auch zum Menschen werden? Nam-Bok war, aber er ist nicht. Das wissen wir, aber wir wissen nicht, ob dies Nam-Bok ist oder Nam-Boks Schatten.«

Nam-Bok räusperte sich und antwortete: »In alten, längst vergangenen Tagen zog deines Vaters Vater, Opee-Kwan, fort und kam erst nach Jahren wieder. Und ihm wurde nicht der Platz am Feuer verweigert. Man sagt . . .« Er machte eine bedeutungsvolle Pause, und sie lauschten. »Man sagt,« wiederholte er und betonte absichtlich das Folgende, »daß Sipsip, seine Klooch, ihm nach seiner Heimkehr zwei Söhne gebar.«

»Aber er hatte nichts mit dem Festlandwinde zu schaffen«, antwortete Opee-Kwan. »Er zog ins Herz des Landes, und es ist nur natürlich, daß der Mensch immer tiefer ins Land hineingehen kann.«

»Und ebenso auf dem Meere. Aber das hat nichts damit zu tun. Man sagt . . ., daß deines Vaters Vater seltsame Geschichten von dem erzählte, was er gesehen hatte.«

»Ja, seltsame Geschichten erzählte er.«

»Ich habe auch seltsame Geschichten zu erzählen«, erklärte Nam-Bok einschmeichelnd. Und als sie wankten: »Und Geschenke habe ich auch.«

Aus der Bidarka nahm er einen Schal, wunderbar von Stoff und Farbe, und warf ihn seiner Mutter um die Schulter. Die Frauen stöhnten im Chor vor Bewunderung, und die alte Bask-Wah-Wan rollte den bunten Stoff zwischen den Fingern, streichelte ihn und sang leise in kindischer Freude.

»Er hat Geschichten zu erzählen«, murmelte Koogah.

»Und Geschenke«, half eine Frau ihm.

Und Opee-Kwan wußte, daß sein Volk eifrig war, und vor allem spürte er selbst eine kribbelnde Neugier nach diesen noch nicht erzählten Geschichten. »Der Fischfang ist gut gewesen«, sagte er einsichtsvoll. »Und wir haben Tran die Menge. Also komm, Nam-Bok, laß uns schmausen.«

Zwei Männer hoben die Bidarka auf ihre Schultern und trugen sie zum Feuer. Nam-Bok ging neben Opee-Kwan und die Dorfbewohner folgten ihnen mit Ausnahme einiger Weiber, die einen Augenblick zögerten, um den Schal mit zärtlichen Fingern zu betasten.

Während des Schmauses wurde nicht viel gesprochen, obwohl viele neugierige Blicke auf Bask-Wah-Wans Sohn fielen. Das störte ihn zwar nicht aus Bescheidenheit, sondern weil der Gestank des Robbentranes ihm den Appetit geraubt hatte und er aufrichtig wünschte, seine Gefühle in dieser Beziehung zu verbergen.

»Iß, du bist hungrig«, gebot Opee-Kwan ihm, und Nam-Bok schloß beide Augen und griff mit der Hand in den großen Topf mit verfaultem Fisch.

»La, la, zier dich nicht. Es gab viele Robben heuer, und starke Männer sind immer hungrig.« Und Bask-Wah-Wan tunkte ein besonders widerliches Stück Lachs in den Tran und reichte den triefenden Bissen zärtlich ihrem Sohne.

Als warnende Anzeichen ihm bedeuteten, daß sein Magen nicht mehr so widerstandsfähig wie in alten Tagen war, stopfte er verzweifelt seine Pfeife und begann zu paffen. Die Leute fraßen lärmend weiter und sahen zu. Nur wenige von ihnen konnten sich näherer Bekanntschaft mit dem kostbaren Kraut Tabak rühmen, obwohl sie hin und wieder geringe Mengen, freilich von abscheulicher Qualität, von Eskimos aus dem Norden kaufen konnten. Koogah, der neben ihm saß, ließ verstehen, daß er nichts dagegen habe, auch einen Zug zu tun, und zwischen zwei Bissen sog er mit Lippen, die dick mit Tran beschmiert waren, an der Bernsteinspitze drauflos. Und hierauf hielt Nam-Bok sich mit zitternder Hand den Magen und lehnte es ab, die Pfeife zurückzunehmen, als sie ihm wieder angeboten wurde. Koogah könnte sie gern behalten, sagte er, denn er habe von Anfang an die Absicht gehabt, ihn damit zu beehren. Und die Leute leckten sich die Finger und freuten sich über seine Freigebigkeit.

Opee-Kwan erhob sich. »Und jetzt, o Nam-Bok, ist der Schmaus zu Ende, und wir wollen die Geschichten von den seltsamen Dingen hören, die du gesehen hast.«

Die Fischer klatschten Beifall, nahmen ihre Arbeit zur Hand und machten sich bereit, zu lauschen. Die Männer befestigten Speerspitzen an die Schäfte und schnitzten in Elfenbein, während die Frauen den Speck von den Robbenfellen schrabten und sie aufweichten oder mit Sehnenfaden Kamikker nähten. Nam-Bok ließ seine Blicke über die Szene schweifen, aber sie hatte nicht den Reiz, den seine Erinnerung ihn hatte erwarten lassen. In den Jahren seiner Wanderung hatte er stets diese Szene vor Augen gehabt, und jetzt, da sie gekommen, war er enttäuscht. Es schien ihm ein nacktes mageres Leben, nicht zu vergleichen mit dem, an das er sich gewöhnt hatte. Aber dennoch wollte er ihnen die Augen ein wenig öffnen, und bei dem Gedanken funkelten die seinen.

»Brüder«, begann er mit der behaglichen Selbstzufriedenheit eines Mannes, der im Begriffe ist, seine eigenen großen Taten zu erzählen. »Letzten Sommer waren es schon viele Sommer her, seit ich fortzog, gerade in solchem Wetter, wie dies zu werden scheint. Ihr erinnert euch alle des Tages: die Möwen flogen niedrig, der Wind wehte stark vom Lande her, und ich konnte meine Bidarka nicht gegen ihn halten. Ich band den Überzug der Bidarka dicht um mich zusammen, so daß kein Wasser eindringen konnte, und kämpfte die ganze Nacht mit dem Sturm. Und am Morgen war kein Land zu sehen – nur das Meer – und der Festlandwind hielt mich fest in seinen Armen und trug mich fort. Drei solcher Nächte erhellten sich zum Tagesgrauen, und kein Land zeigte sich mir, und der Festlandwind wollte mich nicht loslasssen. Und als der vierte Tag kam, war ich wie von Sinnen. Vom Hunger geschwächt, konnte ich das Ruder nicht ins Wasser stecken, und der Kopf wirbelte mir von dem Durst, der über mir war. Aber das Meer war nicht mehr zornig, und der milde Südwind blies, und als ich mich umsah, hatte ich einen Anblick, der mich glauben ließ, daß ich den Verstand verloren hätte.« Nam-Bok schwieg, um ein Stückchen Lachs zu entfernen, das sich zwischen seinen Zähnen festgesetzt hatte, Männer und Frauen warteten mit müßigen Händen und vorgebeugten Köpfen.

»Ich erblickte ein Kanu, ein großes Kanu. Wenn alle Kanus, die ihr je gesehen habt, zu einem einzigen vereinigt würden, so wäre es nicht so groß.«

Ausrufe von Zweifel wurden laut, und Koogah, der Uralte, schüttelte den Kopf.

»Wenn jede Bidarka ein Sandkorn wäre,« fuhr Nam-Bok trotzig fort, »und wenn es ebenso viele Bidarkas gäbe wie Sandkörner hier am Strande, so würden sie dennoch kein so großes Kanu ausmachen wie das, welches ich am Morgen des vierten Tages sah. Es war ein sehr großes Kanu und wurde Schoner genannt. Ich sah, wie dieses Wunderding, dieser große Schoner, hinter mir herkam, und auf ihm sah ich Männer –«

»Halt, o Nam-Bok!« unterbrach Opee-Kwan ihn. »Was für eine Art von Männern war das? – Große Männer?«

»Nein, gewöhnliche Männer wie du und ich.«

»Kam das große Kanu schnell?«

»Ja.«

»Seine Seiten waren hoch und die Männer klein.« Opee-Kwan bekräftigte diese Voraussetzungen in überzeugtem Ton. »Und ruderten diese Männer mit langen Paddeln?«

Nam-Bok lächelte. »Es waren gar keine Paddeln da«, sagte er.

Die Münder blieben offen, und ein langes Schweigen trat ein. Opee-Kwan lieh sich die Pfeife von Koogah und machte ein paar nachdenkliche Züge. Eine der jüngeren Frauen kicherte erregt und zog sich dafür zornige Blicke zu.

»Es waren keine Paddeln da?« fragte Opee-Kwan sanft, indem er die Pfeife zurückgab.

»Der Südwind stand hinter ihnen«, erklärte ihm Nam-Bok.

»Aber der Wind treibt nur langsam.«

»Der Schoner hatte Flügel – so.« Er entwarf eine Zeichnung von Masten und Segeln im Sande, und die Männer scharten sich darum und studierten sie. Der Wind frischte auf, und zur Veranschaulichung ergriff er die Ecken vom Schal seiner Mutter und spannte ihn auf, bis er wie ein Segel schwoll. Bask-Wah-Wan schalt und wehrte sich, wurde jedoch ein ganzes Stück den Strand hinuntergeweht und landete hilflos auf einem Stapel Treibholz. Die Männer grunzten klug und verständnisvoll, Koogah aber warf plötzlich sein graues Haupt hintenüber. »Ho! Ho!« lachte er. »Ein verrücktes Ding, dies große Kanu! Ein ganz verrücktes Ding! Ein Spielzeug für den Wind! Wohin der Wind geht, geht es auch. Kein Mann, der darin reist, kann im voraus den Strand nennen, wo er landen wird, denn er geht immer mit dem Wind, und der Wind geht irgendwie, aber keiner weiß wohin.«

»So ist es«, fügte Opee-Kwan ernst hinzu. »Mit dem Winde gehen ist leicht, aber gegen den Wind muß man schwer kämpfen, und diese Männer mit dem großen Kanu hatten ja keine Paddeln und konnten daher nicht kämpfen.«

»Sie brauchten nicht zu kämpfen«, rief Nam-Bok ärgerlich. »Der Schoner ging auch gegen den Wind.«

»Und was, sagtest du, ließ den Sch–Sch–Schoner gehen?« fragte Koogah und trippelte vorsichtig über das fremde Wort.

»Der Wind«, lautete die ungeduldige Antwort.

»Der Wind ließ also den Sch–Sch–Schoner gegen den Wind gehen?« Der alte Koogah grinste ganz offensichtlich Opee-Kwan an, und während das Lachen ringsum wuchs, fuhr er fort: »Der Wind weht gleichzeitig sowohl von vorn wie von hinten. Das ist ganz einfach. Das verstehen wir, Nam-Bok. Das verstehen wir ganz deutlich.«

»Du bist ein Narr!«

»Wahrheit fällt von deinen Lippen«, antwortete Koogah demütig. »Ich habe zu lange gebraucht, um zu verstehen, und es war ja ganz einfach.«

Aber Nam-Boks Antlitz war düster, und er sprach einige schnelle Worte, die die andern nie zuvor gehört hatten. Beinschnitzerei und Feilschraben begannen wieder, aber er schloß die Lippen dicht über der Zunge, der man nicht glauben konnte.

»Dieser Sch–Sch–Schoner,« fragte Koogah unerschütterlich, »er war wohl aus einem sehr großen Baum gemacht?«

»Er war aus vielen Bäumen gemacht«, knurrte Nam-Bok kurz. »Er war sehr groß.«

Er versank wieder in finsteres Schweigen, und Opee-Kwan stieß Koogah an, der mit schlaffem Erstaunen den Kopf schüttelte und murmelte: »Das ist sehr seltsam.«

Nam-Bok biß an. »Das ist noch gar nichts«, sagte er überlegen. »Da solltest du erst den Dampfer sehen. Was das Sandkorn gegen die Bidarka und die Bidarka gegen den Schoner, das ist der Schoner gegen den Dampfer. Dazu ist der Dampfer aus Eisen gemacht. Ganz und gar aus Eisen.«

»Nein, nein, Nam-Bok,« rief der Häuptling, »wie kann das sein? Eisen geht doch immer unter. Ich habe einmal ein eisernes Messer von dem Häuptling des nächsten Dorfes erstanden, und gestern glitt mir das Messer aus der Hand und fiel tief, tief ins Meer. Alle Dinge haben ihr Gesetz. Nie geschieht etwas gegen das Gesetz. Das wissen wir. Und außerdem wissen wir, daß alle Dinge derselben Art dasselbe Gesetz haben, und daß alles Eisen dies Gesetz hat. So nimm denn deine Worte zurück, Nam-Bok, damit wir dich in Ehren halten können.«

»Es ist so«, behauptete Nam-Bok. »Der Dampfer ist ganz aus Eisen und sinkt doch nicht.«

»Nein, nein, das kann nicht sein.«

»Ich hab’ es mit meinen eigenen Augen gesehen.«

»Das ist gegen die Natur der Dinge.«

»Aber sage mir, Nam-Bok,« unterbrach Koogah aus Furcht, daß die Geschichte nicht weitergehen würde, »sage mir, wie diese Männer ihren Weg übers Meer finden, wenn es keine Küste gibt, nach der sie steuern können.«

»Die Sonne zeigt ihnen den Weg.«

»Aber wie?«

»Zur Mittagszeit nimmt der Häuptling des Schoners ein Ding, durch das seine Augen nach der Sonne sehen, und dann läßt er die Sonne vom Himmel bis zum Rand der Erde hinabsteigen.«

»Aber das ist doch böse Medizin!« rief Opee-Kwan entsetzt über den Frevel. Die Männer hoben voll Schrecken die Hände, und die Frauen stöhnten. »Das ist böse Medizin. Es ist nicht recht, die große Sonne auf falschen Weg zu leiten, die Sonne, die die Nacht verjagt und uns Robben, Lachs und Wärme schenkt.«

»Und wenn es nun böse Medizin wäre?« fragte Nam-Bok hart. »Ich habe selbst durch das Ding nach der Sonne gesehen und die Sonne vom Himmel heruntersteigen lassen.«

Die Nächststehenden zogen sich eiligst von ihm zurück, und eine Frau verdeckte das Gesicht ihres Säuglings, damit seine Augen nicht darauf fielen.

»Aber am Morgen des vierten Tages, o Nam-Bok,« meinte Koogah, »am Morgen des vierten Tages, als der Sch–Sch–Schoner hinter dir herkam?«

»Ich hatte nur noch wenig Kräfte und konnte nicht fliehen. So wurde ich an Bord geholt, und man flößte mir Wasser in den Mund und gab mir gutes Essen. Zweimal, meine Brüder, habt ihr einen weißen Mann gesehen. Diese Männer waren alle weiß, und es waren ihrer ebenso viele, wie ich Finger und Zehen habe. Und als ich sah, daß sie voller Freundlichkeit waren, faßte ich Mut und beschloß, auf alles zu achten, was ich sah. Und sie lehrten mich die Arbeit, die sie selbst taten, und gaben mir gutes Essen und eine Stelle, wo ich schlafen konnte.

Und Tag auf Tag fuhren wir übers Meer, und jeden Tag zog der Häuptling die Sonne vom Himmel herunter und ließ sich von ihr erzählen, wo wir waren. Und wenn die Wellen freundlich waren, jagten wir die Pelzrobbe, und ich wunderte mich sehr, denn sie warfen immer Fleisch und Speck fort und behielten nur das Fell.«

Opee-Kwans Mund zitterte heftig, und er wollte gegen eine solche Verschwendung protestieren, als Koogah ihm mit einem Fußtritt bedeutete, daß er schweigen solle.

»Nach langer Zeit, als die Sonne fort und die Schärfe des Frostes durch die Luft schnitt, wandte der Häuptling die Nase des Schoners nach Süden. Nach Süden und Osten reisten wir Tag auf Tag und bekamen nie Land in Sicht, bis wir in die Nähe des Dorfes kamen, aus dem die Männer stammten –«

»Wie konnten sie wissen, daß sie in der Nähe waren?« fragte Opee-Kwan, der nicht länger an sich halten konnte. »Es war ja kein Land in Sicht gekommen.«

Nam-Bok blickte ihn zornig an. »Sagte ich nicht, daß der Häuptling die Sonne vom Himmel herunterholte?«

Koogah legte sich dazwischen, und Nam-Bok fuhr fort:

»Wie gesagt, als wir in der Nähe des Dorfes waren, kam ein starker Sturm, und nachts wußten wir nicht, wo wir waren –«

»Du sagtest doch eben, daß der Häuptling wußte –«

»Schweig, Opee-Kwan! Du bist ein Narr und kannst nicht verstehen. Wie gesagt, wir waren hilflos in der Nacht, als ich durch den Lärm des Sturmes das Geräusch der Brandung hörte. Und gleich darauf stießen wir mit einem mächtigen Krach auf, und ich fiel ins Wasser und schwamm. Es war eine felsige Küste, wo es auf viele Meilen nur ein einziges Fleckchen flachen Sand gab, und es war mir bestimmt, daß ich den Sand erreichte und mich mit den Händen aus der Brandung zog. Die andern Männer müssen auf die Klippen gespült sein, denn keiner von ihnen kam an Land, außer dem Häuptling, und ihn konnte ich nur an dem Ring an seinem Finger erkennen.

Als der Tag kam, war nichts mehr vom Schoner übrig, und ich wandte mein Gesicht dem Lande zu und wanderte hinein, um Nahrung zu finden und Menschen zu treffen. Und als ich an ein Haus kam, wurde ich empfangen und bekam zu essen, denn ich hatte ihre Sprache gelernt, und weiße Männer sind immer freundlich. Und es war ein Haus, größer als alle Häuser, die wir und unsere Väter vor uns gebaut haben.«

»Es war ein mächtiges Haus«, sagte Koogah und verbarg seinen Unglauben hinter Verwunderung.

»Und es gehören viele Bäume dazu, um ein solches Haus zu bauen«, fügte Opee-Kwan hinzu, indem er es dem andern nachmachte.

»Das ist gar nichts.« Nam-Bok zuckte geringschätzig die Achseln. »Was unsere Häuser gegen das Haus, das war das Haus gegen die Häuser, die ich später sehen sollte.«

»Und es sind keine großen Männer?«

»Nein, gewöhnliche Männer wie du und ich«, antwortete Nam-Bok. »Ich hatte mir einen Stock geschnitten, um bequemer zu gehen, und da ich daran dachte, euch, meinen Brüdern, zu melden, was ich zu sehen bekam, so schnitt ich für jeden Menschen, der in dem Hause wohnte, eine Kerbe in den Stock. Und dort blieb ich viele Tage und arbeitete, und zum Lohn gaben sie mir Geld – etwas, das ihr nicht kennt, das aber sehr gut ist.

Und eines Tages verließ ich den Ort und ging weiter ins Land hinein. Und während ich ging, traf ich viele Menschen, und ich schnitt kleinere Kerben in meinen Stock, damit für sie alle Platz wäre. Und da stieß ich auf ein seltsames Ding. Auf dem Boden vor mir lag eine Eisenstange, so dick wie ein Arm, und einen weiten Schritt davon lag eine andere Eisenstange –«

»Da warst du ein reicher Mann,« versicherte Opee-Kwan, »denn Eisen ist mehr wert als alles andere auf der Welt. Es muß für viele Messer gereicht haben.«

»Ja, aber es gehörte nicht mir.«

»Du hattest es gefunden, und was man findet, darf man behalten.«

»Nein, die weißen Männer hatten es dorthin gelegt. Und außerdem waren diese Stangen so lang, daß kein Mensch sie forttragen konnte – so lang, daß sie kein Ende hatten, soweit man sehen konnte.«

»Nam-Bok, das ist sehr viel Eisen«, warnte Opee-Kwan.

»Ja, es war schwer zu glauben, selbst als ich es mit eigenen Augen sah; aber ich konnte meine eigenen Augen nicht widerlegen. Und als ich es betrachtete, hörte ich . . .« Er wandte sich plötzlich zu dem Häuptling. »Opee-Kwan, du hast den Seelöwen im Zorn brüllen gehört. Denke dir nur, so viele Seelöwen, wie Wellen im Meere sind, und denke dir, daß alle diese Seelöwen zu einem einzigen Seelöwen geworden sind, und wie dieser eine Seelöwe brüllen würde, so brüllte das Ding, das ich hörte.«

Die Fischer stießen laute Rufe des Erstaunens aus, und Opee-Kwans Mund öffnete sich und blieb offen stehen.

»Und in der Ferne sah ich ein Ungeheuer wie tausend Wale. Es war einäugig und spie Rauch aus, und es schnaufte entsetzlich laut. Ich fürchtete mich und lief auf zitternden Beinen den Weg zwischen den Stangen entlang. Aber es kam mit der Schnelligkeit des Windes, dieses Ungeheuer, und ich lief fort von den Eisenstangen, als es mir seinen heißen Atem ins Gesicht blies . . .«

Opee-Kwan gewann die Herrschaft über seinen Mund wieder. »Und – und was dann, o Nam-Bok?«

»Dann lief es weiter die Stangen entlang und tat mir nichts, und als ich wieder auf den Beinen stehen konnte, war es nicht mehr zu sehen. Und das war etwas ganz Gewöhnliches in diesem Land. Selbst Frauen und Kinder fürchten sich nicht davor. Die Männer lassen sie für sich arbeiten, diese Ungeheuer.«

»Wie wir unsere Hunde arbeiten lassen?« fragte Koogah mit skeptischem Augenzwinkern.

»Ja, wie wir unsere Hunde arbeiten lassen.«

»Und wie vermehren sie sich, diese – diese Dinge?« fragte Opee-Kwan.

»Sie vermehren sich gar nicht. Die Menschen machen sie sinnreich aus Eisen, füttern sie mit Steinen und geben ihnen Wasser zu trinken. Die Steine werden zu Feuer, und das Wasser wird zu Dampf, und der Wasserdampf ist der Atem in ihren Nüstern, und –«

»So, so, o Nam-Bok«, unterbrach Opee-Kwan ihn. »Erzähl’ uns von andern Wundern. Dies ermüdet uns, da wir es nicht verstehen können.«

»Versteht ihr es nicht?« fragte Nam-Bok verzweifelt.

»Nein, wir verstehen es nicht«, antworteten Männer und Frauen klagend. »Wir können es nicht verstehen.«

Nam-Bok dachte an eine komplizierte Mähmaschine und an die Maschinen, in denen man Bilder lebender Menschen sehen konnte, und an die Maschinen, aus denen Menschenstimmen kamen, und er wußte, daß sein Volk sie nie verstehen würde.

»Darf ich sagen, daß ich auf diesem eisernen Ungeheuer durch das Land ritt?« fragte er bitter.

Opee-Kwan hob die Hände mit nach außen gekehrten Flächen in offenbarem Unglauben. »Weiter. Sag’, was du willst. Wir lauschen.«

»Ja, dann ritt ich auf diesem Ungeheuer und gab Geld dafür –«

»Du sagtest doch, es würde mit Steinen gefüttert.«

»Und ich sagte auch, du Narr, daß Geld etwas sei, wovon ihr nichts verständet. Wie gesagt, ich ritt auf dem Ungeheuer durch das Land und durch viele Dörfer, bis ich in ein großes Dorf an einem salzigen Meeresarm kam. Und die Häuser hoben ihre Dächer ganz bis zwischen die Sterne des Himmels, und die Wolken trieben an ihnen vorbei, und überall war viel Rauch. Und der Lärm in dem Dorfe war wie das Brüllen des Meeres im Sturm, und die Menschen waren so zahlreich, daß ich meinen Stock fortwarf und nicht mehr an die Kerben dachte.«

»Hättest du die Kerben ganz klein gemacht,« sagte Kogaah vorwurfsvoll, »so hättest du uns die Nachricht bringen können.«

Nam-Bok schnellte sich zornig zu ihm herum. »Wenn ich die Kerben ganz klein gemacht hätte! Hör’ zu, Koogah, du Knochenkratzer! Wenn ich die Kerben auch ganz klein gemacht hätte, so würde doch weder der Stock noch zwanzig Stöcke – ja, nicht einmal alles Treibholz am ganzen Strande zwischen diesem Dorf und dem nächsten für sie Platz gehabt haben. Und wenn ihr alle, Frauen und Kinder inbegriffen, zwanzigmal so viele wäret und jeder zwanzig Hände und einen Stock und ein Messer in jeder Hand hättet, so könntet ihr doch nicht Kerben schneiden für alle Menschen, die ich sah, so viele waren es, und so schnell kamen und gingen sie.«

»So viele Menschen kann es in der ganzen Welt nicht geben«, wandte Opee-Kwan, halb betäubt, ein, denn sein Sinn konnte eine solche Zahl nicht fassen.

»Was weißt du von der ganzen Welt und davon, wie groß sie ist?« fragte Nam-Bok.

»Aber es können doch nicht so viele Menschen an einem Ort sein.«

»Wer bist du, daß du sagen kannst, was sein und was nicht sein kann?«

»Es kann sich doch jeder selbst sagen, daß nicht so viele Menschen an einem Ort sein können. Ihre Kanus würden ja das ganze Meer füllen, so daß kein Platz mehr wäre. Und sie könnten jeden Tag das Meer von Fischen leeren und würden doch nicht Nahrung genug haben.«

»So sollte es scheinen«, lautete Nam-Boks endgültige Antwort. »Aber dennoch war es so. Ich sah es mit eigenen Augen, und ich warf meinen Stock weg.« Er gähnte tief und erhob sich.

»Ich bin weit gerudert. Der Tag ist lang gewesen, und ich bin müde. Jetzt will ich schlafen, und morgen werden wir mehr von den Dingen reden, die ich gesehen habe.«

Bask-Wah-Wan humpelte ängstlich vor, zwar stolz, aber dennoch besorgt um ihren wunderbaren Sohn, und führte ihn in ihr Igloo, wo sie ihn in die fettigen, übelduftenden Felle stopfte. Die Männer aber blieben am Feuer sitzen und hielten Rat mit vielem Flüstern und leiser Rede und Widerrede.

Eine Stunde verging und noch eine, und Nam-Bok schlief, während die Beratung ihren Fortgang nahm. Die Abendsonne sank im Nordwesten, und um elf Uhr stand sie fast genau im Norden.

Da verließen der Häuptling und der Beinschnitzer den Rat, gingen zu Nam-Bok und weckten ihn. Er blinzelte sie an und drehte sich auf die andere Seite, um weiterzuschlafen. Aber Opee-Kwan ergriff ihn um Arm und schüttelte ihn freundlich, aber bestimmt, bis er zu sich kam.

»Komm, Nam-Bok, steh auf!« befahl er. »Es ist Zeit.«

»Wieder ein Schmaus?« rief Nam-Bok. »Nein, ich bin nicht hungrig. Eßt ihr nur weiter und laßt mich schlafen.«

»Es ist Zeit, daß du gehst!« donnerte Koogah.

Aber Opee-Kwan sprach sanfter. »Du warst mein Bidarka-Kamerad, als wir Knaben waren«, sagte er. »Gemeinsam lernten wir die Robbe jagen und den Fachs fangen. Und du zogst mich ins Leben zurück, Nam-Bok, als das Meer sich über mir schloß und ich hinabgezogen wurde zu den schwarzen Felsen. Gemeinsam hungerten wir und fanden uns in die Qual des Frostes, und gemeinsam krochen wir unter ein Fell und lagen dicht aneinander. Und wegen all dessen und wegen der Freundschaft, die ich für dich hegte, tut es mir so sehr leid, daß du als ein so schrecklicher Lügner zurückgekommen bist. Wir können die Dinge, die du gesagt hast, nicht verstehen, und uns schwindeln die Köpfe davon. Und deshalb schicken wir dich fort, damit unsere Köpfe klar und stark bleiben und nicht von den unbegreiflichen Dingen verwirrt werden.«

»Diese Dinge, von denen du sprichst, sind Schatten«, ergriff Koogah das Wort. »Du hast sie aus der Schattenwelt gebracht, und zur Schattenwelt mußt du sie zurückbringen. Deine Bidarka ist bereit, und der Stamm wartet. Sie können nicht schlafen, ehe du fortgezogen bist.«

Nam-Bok war verblüfft, lauschte aber der Stimme des Häuptlings.

»Wenn du Nam-Bok bist«, sagte Opee-Kwan, »so bist du ein schrecklicher und höchst wunderbarer Lügner; bist du aber Nam-Boks Schatten, so sprichst du von Schatten, und es ist nicht gut, daß lebende Menschen etwas davon wissen. Das große Dorf, von dem du sprichst, muß ein Dorf der Schatten sein. Darin schweben die Seelen der Toten; denn der Toten sind viele und der Lebenden wenige. Die Toten kehren nicht wieder. Nie ist ein Toter wiedergekehrt – außer dir mit deinen wunderbaren Geschichten. Es ist nicht schicklich, daß die Toten wiederkehren, und würden wir es erlauben, so könnte großes Unglück über uns kommen.«

Nam-Bok kannte sein Volk gut und wußte, daß die Stimme des Rates unumstößlich war. Daher ließ er sich an den Strand führen, wo man ihn in seine Bidarka setzte und ihm ein Paddelruder in die Hand gab.

Eine einsame Wildgans schrie draußen auf dem Meere, und die Brandung schlug lässig und hohl gegen den Sand. Eine trübe Dämmerung brütete über Land und Meer, und gegen Norden glühte schwach und unfreundlich, in blutrote Nebel gehüllt, die Sonne. Die Möwen flogen niedrig. Der Festlandwind wehte scharf und kalt, und die schwarzen Wolkenmassen im Hintergrunde versprachen schlechtes Wetter.

»Vom Meere kamst du,« sang Opee-Kwan orakelhaft, »und zum Meere gehst du. So ist alles ausgeglichen und dem Gesetz Genüge getan.«

Bask-Wah-Wan humpelte an den Schaumrand und rief: »Ich segne dich, Nam-Bok, weil du an mich dachtest.«

Aber Koogah schob Nam-Bok vom Strande ab, riß ihr den Schal von der Schulter und warf ihn in die Bidarka.

»Es ist kalt in den langen Nächten,« jammerte sie, »und der Frost beißt in alte Knochen.«

»Das Ding ist ein Schatten,« antwortete der Beinschnitzer, »und Schatten können dich nicht erwärmen.«

Nam-Bok erhob sich, damit man seine Stimme an Land hören konnte.

»O Bask-Wah-Wan, Mutter, die mich gebar!« rief er. »Lausche den Worten deines Sohnes Nam-Bok. Seine Bidarka hat Platz für zwei, und er will dich gern mitnehmen. Denn er reist dorthin, wo es voll ist von Fischen und Tran. Dorthin kommt der Frost nicht, dort ist das Leben bequem, und Eisendinge tun die Arbeit der Menschen. Willst du mitkommen, o Bask-Wah-Wan?«

Sie zögerte einen Augenblick, während die Bidarka schnell abtrieb, und erhob dann ihre Stimme in zitterndem Diskant:

»Ich bin alt, Nam-Bok, und muß bald zu den Schatten gehen. Aber ich möchte nicht gehen, ehe meine Zeit gekommen ist. Ich bin alt, Nam-Bok, und ich fürchte mich.«

Ein Lichtstrahl schoß über das schwach, beleuchtete Meer und warf auf das Boot und den Mann einen rotgoldenen Glanz.

Es ward still unter den Fischern, und man hörte nichts mehr als das Stöhnen des Festlandwindes und die Schreie der niedrig fliegenden Möwen.