DER ZAUBERSPIEGEL

Von Hans C. Andersen

Ein böser Zauberer hatte einst einen Spiegel angefertigt, der die Eigenschaft besaß, daß alles Gute und Schöne, das sich darin spiegelte, zusammenschrumpfte und häßlich grinste, während das, was nichts taugte, deutlich hervortrat und sich gut ausnahm. Das wäre lustig, meinten die, welche die Schule des Zauberers besuchten, denn dieser gab Unterricht im Zaubern. Sie liefen mit dem Spiegel umher und zuletzt war weder ein Land noch ein Mensch, die nicht ihr verdrehtes Bild gesehen hätten.

Nun wollten sie zuletzt sogar auch noch zum Himmel emporfliegen, um mit den Engeln und dem lieben Gott ihren Spott zu treiben. Je höher sie mit dem Spiegel flogen, desto stärker grinste er, daß sie ihn kaum festhalten konnten. Höher und höher flogen sie, Gott und seinen Engeln immer näher. Da erbebte der Spiegel in seinem Grinsen so furchtbar, daß er ihren Händen entglitt und auf die Erde hinunterstürzte, wo er in hundert Millionen, Billionen und noch mehr Stücke zerbrach. Aber gerade hienieden richtete er weit größeres Unglück an als zuvor, denn einige Stücke waren kaum so groß wie ein Sandkorn, und diese verbreiteten sich über die ganze weite Welt. Wo sie den Leuten in die Augen kamen, da blieben sie sitzen, und dann sahen die Menschen alles verkehrt oder hatten nur Augen für das Verkehrte bei einer Sache, denn jedes Spiegelsplitterchen hatte dieselben Kräfte behalten, welche dem ganzen Spiegel eigen waren. Einigen Menschen drang ein solcher Spiegelsplitter sogar in das Herz, und dann war es entsetzlich, das Herz wurde förmlich ein Eisklumpen. Einige Scherben waren so groß, daß sie zu Fensterscheiben benutzt wurden, andere Stücke dienten als Brillengläser, was natürlich eine große Verwirrung anrichtete. Und immer noch flogen kleine Glassplitter in der Luft umher. Wir werden nun hören, was durch dieselben geschah.