DER GEBURTSTAG DER INFANTIN
Oscar Wilde
Deutsch von Franz Blei
und
Felix Paul Greve
Illustrationen von Heinrich Vogler
Es war der Geburtstag der Infantin. Sie war gerade zwölf Jahre alt, und die Sonne schien strahlend in den Garten des Palastes.
Obgleich sie eine wirkliche Prinzessin war und Infantin von Spanien, hatte sie doch jedes Jahr nur einen Geburtstag, gerade wie die Kinder von ganz armen Leuten. Daher war es natürlich für das ganze Land von großer Bedeutung, daß sie bei dieser Gelegenheit einen wirklich schönen Tag haben sollte. Und fürwahr, es war wirklich ein schöner Tag. Die großen, gestreiften Tulpen standen starr aufgerichtet auf ihren Stengeln, langen Reihen von Soldaten gleich, und sie sahen herausfordernd durch den Garten auf die Rosen und sagten: »Wir sind jetzt genau so schön wie ihr.« Die purpurnen Schmetterlinge flatterten umher, mit goldenem Staub auf den Flügeln, und besuchten alle Blumen nach der Reihe; die kleinen Eidechsen krochen aus den Rissen der Mauer und lagen in der weißen Glut und sonnten sich; und die Granaten sprangen auf und platzten in der Hitze und zeigten ihre blutenden, roten Herzen. Selbst die bleichen, gelben Zitronen, die in solcher Fülle von den Gittern hingen und an den dunklen Bogengängen entlang, schienen reichere Farbe aus dem wundervollen Sonnenlicht zu saugen, und die Magnolienbäume öffneten ihre großen, kugelrunden Blüten gefalteten Elfenbeins und füllten die Luft mit schwerem, süßem Duft.
Die kleine Prinzessin selbst ging mit ihren Gespielinnen die Terrasse auf und nieder und spielte Versteck um die steinernen Vasen und die alten, moosbewachsenen Statuen. An gewöhnlichen Tagen durfte sie nur mit Kindern ihres Ranges spielen, und also mußte sie immer allein spielen; aber ihr Geburtstag war eine Ausnahme, und der König hatte Befehl gegeben, daß sie von ihren jungen Freunden und Freundinnen einladen sollte, wen sie wollte, um sich mit ihnen zu vergnügen. Es lag eine stattliche Grazie über diesen schlanken spanischen Kindern, wie sie herumhuschten: die Knaben mit ihren großfedrigen Hüten und den kurzen flatternden Mänteln, die Mädchen, die die Schleppen ihrer langen Brokatgewänder trugen und ihre Augen mit großen Fächern aus Schwarz und Silber gegen die Sonne schützten. Aber die Infantin war die Anmutigste von allen, und sie war am geschmackvollsten angezogen, wenn auch nach der beschwerlichen Mode der Zeit. Ihr Kleid war aus grauer Seide, der Saum und die weiten Puffärmel schwer mit Silber bestickt und das steife Mieder mit Reihen schöner Perlen besetzt. Zwei winzige Schuhe mit großen, rosigen Schleifen sahen unter ihrem Kleide hervor, wenn sie ging. Rosa und perlenfarben war ihr großer Gazefächer, und in ihrem Haar, das wie eine Aureole aus blassem Golde steif um ihr bleiches kleines Gesichtchen stand, trug sie eine herrliche weiße Rose.
Von einem Fenster des Palastes aus sah ihnen der melancholische König zu. Hinter ihm stand sein Bruder, Don Pedro von Aragon, den er haßte; und sein Beichtvater, der Groß-Inquisitor von Granada, saß ihm zur Seite. Trauriger noch als gewöhnlich war der König; denn als er auf die Infantin herniedersah, die sich mit kindlichem Ernst gegen die sich versammelnden Höflinge verneigte oder hinter ihrem Fächer über die grimmige Herzogin von Albuquerque lachte, die sie immer begleitete, da dachte er an ihre Mutter, die junge Königin, die – so schien es ihm – erst vor kurzer Zeit aus dem heiteren Frankreich gekommen und in dem düsteren Glanz des spanischen Hofes dahingewelkt war – denn sie starb sechs Monate nach der Geburt ihres Kindes, ehe sie noch die Mandelbäume des Gartens zum zweitenmal hatte blühen sehen und die zweite Jahresfrucht von dem alten, ächzenden Feigenbaum gepflückt hatte, der im Mittelpunkte des jetzt grasbewachsenen Hofes stand. So groß war seine Liebe zu ihr gewesen, daß er sie nicht einmal im Grabe vor sich hatte verbergen lassen. Sie wurde von einem maurischen Arzt einbalsamiert, dem man für diesen Dienst sein Leben schenkte, das, so sagte man, schon wegen Ketzerei und des Verdachtes zauberischer Künste dem Heiligen Amt verfallen war; und ihre Leiche lag noch auf der gestickten Bahre in der schwarzen Marmorkapelle des Palastes, genau wie die Mönche sie an jenem stürmischen Märztag vor beinahe zwölf Jahren hineingetragen hatten. Einmal in jedem Monat ging der König, in einen dunklen Mantel eingeschlagen und eine umhüllte Laterne in der Hand, hinein und kniete an ihrer Seite und rief: Mi Reina! Mi Reina! Und bisweilen durchbrach er die Form der Etikette, die in Spanien jede Handlung des Lebens beherrscht und selbst dem Gram eines Königs Grenzen setzt, und faßte die bleichen, beringten Hände in der wilden Qual des Schmerzes und versuchte durch seine wahnsinnigen Küsse das kalte, bemalte Gesicht zu beleben. Heute war ihm, als sähe er sie wieder, wie er sie zuerst gesehen hatte, im Schlosse zu Fontainebleau, als er fünfzehn Jahre alt war und sie noch jünger. Sie waren damals von dem päpstlichen Nuntius vor dem französischen König und dem ganzen Hof förmlich verlobt worden, und er war in den Eskorial zurückgekehrt und hatte eine Locke gelben Haares mitgebracht und das Gedächtnis zweier Kinderlippen, die sich niederbeugten, um seine Hand zu küssen, als er in seinen Wagen stieg. Später war dann die Hochzeit gefolgt, die eilig in Burgos vollzogen wurde, einer kleinen Stadt an der Grenze der beiden Länder, und der großartige öffentliche Einzug in Madrid mit der gewöhnlichen Feier der Hochmesse in der Kirche La Atocha und mit einem ungewöhnlich feierlichen Autodafé, bei dem fast dreihundert Ketzer, unter denen viele Engländer waren, dem weltlichen Arm zur Verbrennung überantwortet waren.
Wahrlich, er hatte sie wahnsinnig geliebt und, so glaubten viele, zum Verderb seines Landes, das damals um den Besitz der Herrschaft über die Neue Welt mit England im Kriege lag. Er hatte kaum je geduldet, daß sie ihm aus den Augen kam, um ihretwillen hatte er – so schien es wenigstens – alle ernsten Staatsgeschäfte vergessen; und mit jener furchtbaren Blindheit, die die Leidenschaft über ihre Diener bringt, hatte er nicht bemerkt, daß die großartigen Zeremonien, durch die er sie zu erheitern suchte, die seltsame Krankheit nur verstärkten, unter der sie litt. Als sie starb, war er eine Zeitlang wie einer, der seiner Vernunft beraubt ist. Ja, ohne Zweifel hätte er förmlich abgedankt und sich in das große Trappistenkloster bei Granada zurückgezogen, dessen Priorstitel er schon trug, hätte er sich nicht davor gefürchtet, die kleine Infantin in der Gewalt seines Bruders zu lassen, dessen Grausamkeit selbst in Spanien Anstoß erregte und den viele im Verdacht hatten, er habe durch ein Paar vergiftete Handschuhe den Tod der Königin veranlaßt, als sie zum Besuch auf seinem Schlosse in Aragon weilte. Selbst nach Ablauf der dreijährigen Frist öffentlicher Trauer, die er durch königliches Edikt im ganzen Umkreis seiner Herrschaft angeordnet hatte, erlaubte er seinen Ministern nie, von einer neuen Verbindung zu reden; und als der Kaiser selbst zu ihm gesandt hatte, um ihm die Hand seiner Nichte, der lieblichen Erzherzogin von Böhmen, zur Ehe anzubieten, da hatte er den Gesandten befohlen, ihrem Herrn zu sagen, der König von Spanien sei mit der Trauer vermählt, und wenn sie auch eine kalte Braut sei – er liebe sie mehr als die Schönheit; diese Antwort hatte seiner Krone die reichen Provinzen der Niederlande gekostet; denn bald nachher empörten sie sich auf Antrieb des Kaisers gegen ihn, unter der Führung einiger Fanatiker der reformierten Kirche.
Ihm war, als käme ihm heute das ganze Leben seiner Ehe mit seinen wilden, feuerfarbenen Freuden und der furchtbaren Qual seines plötzlichen Endens zurück, während er die Infantin auf der Terrasse spielen sah. Sie hatte all den zierlichen Übermut der Königin in ihrem Benehmen, dieselbe eigensinnige Art, den Kopf zu werfen, denselben stolzen, geschwungenen, schönen Mund, dasselbe wundervolle Lächeln – vrai sourire de France –, wenn sie dann und wann zum Fenster aufsah oder den stattlichen spanischen Herren ihre kleine Hand zum Kusse hinhielt. Aber das laute Lachen der Kinder war seinen Ohren schmerzhaft, und das helle, erbarmungslose Sonnenlicht spottete seines Grams, und es war, als färbe ein dumpfer Duft fremdartiger Myrrhen, wie sie zum Einbalsamieren gebraucht werden – oder war es nur Einbildung? –, die klare Morgenluft. Er barg sein Gesicht in den Händen, und als die Infantin wieder hinaufsah, waren die Vorhänge zugezogen, und der König hatte sich entfernt.
Sie machte eine kleine Geste der Enttäuschung und zog ihre Schultern hoch. Wahrlich, er hätte bei ihr bleiben können an ihrem Geburtstag. Was lag an den dummen Staatsgeschäften? Oder war er in jene dunkle Kapelle gegangen, wo immer die Kerzen brannten und wo sie niemals eintreten durfte? Wie töricht von ihm, da die Sonne so hell schien und jeder so glücklich war! Außerdem versäumte er nun das Stierkampfspiel, zu dem schon die Trompete rief, um gar nicht von dem Puppenspiel zu reden und von den anderen herrlichen Dingen. Ihr Onkel und der Groß-Inquisitor waren verständiger. Sie waren auf die Terrasse herausgekommen und machten ihr hübsch Komplimente. Sie warf also den Kopf zurück, nahm Don Pedro bei der Hand und ging langsam die Stufen hinunter zu einem langen Zelt aus purpurner Seide, das man am hinteren Ende des Gartens errichtet hatte; und die anderen Kinder folgten in strenger Rangordnung: die die längsten Namen hatten, gingen zuerst.
Eine Prozession edler Knaben, phantastisch als Toreadors gekleidet, kam ihr entgegen, und der junge Graf von Terra-Nueva, ein wundervoll hübscher Knabe von ungefähr vierzehn Jahren, entblößte seinen Kopf mit aller Anmut eines Hidalgo und Granden von Spanien und führte sie feierlich hinein zu einem Stuhl aus Gold und Elfenbein, der auf einem erhobenen Podium über der Arena stand. Die Kinder verteilten sich ringsumher, bewegten ihre großen Fächer und flüsterten miteinander, und Don Pedro und der Groß-Inquisitor standen lachend am Eingang. Selbst die Herzogin – die Kamera-Major nannte man sie –, eine dünne Dame mit harten Zügen und einer gelben Krause, sah nicht ganz so übellaunig aus wie gewöhnlich, und etwas wie ein frostiges Lächeln glitt über ihr runzliges Gesicht, und ihre dünnen, blutlosen Lippen zuckten.
Es war wirklich ein wundervoller Stierkampf, und die Infantin meinte, er wäre viel schöner als der wirkliche Stierkampf, in den man sie zu Sevilla geführt hatte, als der Herzog von Parma ihren Vater besuchte. Einige der Knaben ritten auf reichgeschmückten Steckenpferden umher und schwangen lange Wurfspieße mit lustigen Streifen bunter Bänder daran; andere waren zu Fuß und schwangen ihre scharlachnen Tücher vor dem Stier und sprangen leichtfüßig über die Barriere, wenn er sie angriff; und der Stier selbst war ganz wie ein wirklicher Stier, obgleich er nur aus geflochtenen Weiden und gespannter Haut gemacht war und bisweilen hartnäckig auf seinen Hinterbeinen um die ganze Arena lief, was sich ein wirklicher Stier nicht im Traume einfallen läßt. Und er kämpfte wundervoll, und die Kinder wurden so aufgeregt, daß sie auf die Bänke stiegen und ihre Spitzentücher schwenkten und laut Bravo toro! riefen, Bravo toro! genau so verständnisvoll, als wären sie erwachsene Leute. Zuletzt aber, nach einem langen Kampf, in dem einige der Steckenpferde ganz durch und durch gestoßen und ihre Reiter hinabgeschleudert wurden, brachte der junge Graf von Terra-Nueva den Stier auf die Knie, und nachdem er von der Infantin die Erlaubnis erhalten hatte, ihm den coup de grâce zu geben, tauchte er sein hölzernes Schwert dem Tier mit solcher Gewalt in den Nacken, daß der Kopf gerade herunterfiel und das lachende Gesicht des kleinen Monsieur de Lorraine, des Sohnes des französischen Gesandten in Madrid, sichtbar werden ließ.
Dann wurde die Arena unter großem Applaus geräumt, und die toten Steckenpferde wurden feierlich von zwei maurischen Pagen in gelb-und-schwarzen Livreen hinausgeschleppt; und nach einem kurzen Zwischenspiel, währenddessen ein französischer Seiltänzer sich auf dem straffen Seil sehen ließ, erschienen einige italienische Drahtpuppen in der halbklassischen Tragödie ›Sophonisbe‹ auf der Bühne eines kleinen Theaters, das zu dem Zweck erbaut worden war. Sie spielten so gut, und ihre Gesten waren so natürlich, daß am Schluß des Spieles die Augen der Infantin ganz von Tränen verdunkelt waren. Einige von den Kindern weinten wirklich, und man mußte sie mit Süßigkeiten trösten; und selbst der Groß-Inquisitor war so bewegt, daß er Don Pedro gegenüber die Bemerkung nicht unterdrücken konnte, es sei doch unerträglich, daß einfache Puppen aus Holz und farbigem Wachs, die man mechanisch mit Drähten bewegte, so unglücklich sein und von so furchtbarem Unglück betroffen werden könnten.
Dann kam ein afrikanischer Gaukler, der einen großen, flachen Korb, bedeckt mit einem roten Tuch, hereintrug. Er stellte ihn mitten in die Arena, nahm aus seinem Turban eine seltsame Rohrflöte und blies darauf. Nach wenigen Sekunden fing das Tuch an sich zu bewegen, und wie er die Flöte schriller und schriller blies, steckten zwei grüngoldene Schlangen ihre Klumpenköpfe heraus und erhoben sich langsam und wiegten sich hin und her mit der Melodie, so wie eine Pflanze im Wasser schwankt. Die Kinder aber fürchteten sich vor ihren fleckigen Hauben und den schnellen züngelnden Zungen und waren viel zufriedener, als der Gaukler einen kleinen Orangenbaum aus dem Sande wachsen ließ, der hübsche weiße Blüten und nachher Bündel von wirklichen Früchten trug; und als er den Fächer der kleinen Tochter der Marquise de las Torres nahm und ihn in einen blauen Vogel verwandelte, der im ganzen Zelt umherflog und sang, da kannte ihr Staunen und ihre Freude keine Grenzen mehr. Auch das feierliche Menuett, das die Tänzerknaben der Kirche von Nuestra Señora Del Pilar aufführten, war reizend. Die Infantin hatte diese wundervolle Zeremonie noch nie gesehen, obgleich sie jedes Jahr im Mai vor dem Hochaltar der Jungfrau stattfindet, und obendrein ihr zu Ehren; aber keiner aus der königlichen Familie von Spanien hatte die Kathedrale von Saragossa wieder betreten, seit ein wahnsinniger Priester – viele glaubten auch, er sei von Elisabeth von England bestochen gewesen – versucht hatte, dem Prinzen von Asturien eine vergiftete Oblate zu reichen. So wußte sie nur vom Hörensagen von ›Unserer Frauen Tanz‹, wie man ihn nannte, und wirklich war es ein schönes Schauspiel. Die Knaben trugen altmodische Hofkleidung aus weißem Samt, und ihre seltsamen dreieckigen Hüte waren mit Silber gefranst, und darüber schwebten große Büschel von Straußenfedern, und die blendende Weiße ihrer Kostüme wurde, wenn sie sich im Sonnenlicht bewegten, noch gehoben durch ihre schwarzbraunen Gesichter und ihr langes, dunkles Haar. Alle waren bezaubert von der ernsten Würde, mit der sie sich durch die verschlungenen Figuren des Tanzes bewegten, und von der erlesenen Anmut ihrer langsamen Gesten und ihrer stolzen Verbeugungen; und als sie ihre Aufführung beendet hatten und ihre großen, federbesetzten Hüte vor der Infantin senkten, da nahm sie ihre Huldigung mit vieler Höflichkeit entgegen und tat ein Gelübde, daß sie dem Altar Unserer Herrin von Pilar eine große Wachskerze stiften wolle, zum Dank für das Vergnügen, das sie ihr gewährt habe.
Dann kam eine Truppe von hübschen Ägyptern – so nannte man damals die Zigeuner – in die Arena; sie setzten sich mit gekreuzten Beinen im Kreise und begannen leise auf ihren Zithern zu spielen; und sie bewegten ihre Körper zur Melodie und summten, fast unvernehmbar, ein leises, träumerisches Lied. Als sie Don Pedro erblickten, sahen sie finster drein, und einige von ihnen fürchteten sich; denn erst vor einigen Wochen hatte er auf dem Marktplatz von Sevilla zwei aus ihrem Trupp wegen Hexerei hängen lassen; aber die schöne Infantin bezauberte sie, als sie sich rückwärts lehnte und mit ihren großen blauen Augen über ihren Fächer sah, und sie fühlten, daß, wer so lieblich war, gegen niemanden jemals grausam sein könnte. So spielten sie weiter, sehr sanft, und berührten nur eben mit ihren langen, spitzen Nägeln die Saiten, und ihre Köpfe begannen zu nicken, als wollten sie einschlafen. Plötzlich aber sprangen sie mit einem so schrillen Schrei auf die Füße, daß die Kinder zusammenfuhren und Don Pedros Hand nach dem Achatknopf seines Dolches griff, und dann wirbelten sie toll in der Arena umher und schlugen ihre Tamburine und sangen in ihrer fremdartigen gutturalen Sprache ein wildes Liebeslied. Auf ein zweites Zeichen aber warfen sie sich alle wieder zu Boden und lagen da, ganz still, und der einförmige Laut der Zithern war das einzige, was die Stille unterbrach. Nachdem sie das mehrere Male wiederholt hatten, verschwanden sie auf einen Augenblick und kehrten mit einem braunen, zottigen Bär an einer Kette zurück und trugen auf ihren Schultern kleine Berberaffen. Der Bär stand mit äußerstem Ernst auf dem Kopf, und die Affen machten allerlei lustige Kunststücke mit zwei Zigeunerknaben, die ihre Herren zu sein schienen, und fochten mit kleinen Schwertern und feuerten kleine Kanonen ab und machten ein regelrechtes Exerzieren durch, genau wie des Königs eigene Leibwache. Kurz, die Zigeuner hatten großen Erfolg.
Aber der lustigste Teil der ganzen Morgenunterhaltung war ohne Zweifel der Tanz des kleinen Zwerges. Als er in die Arena stolperte und auf seinen krummen Beinen humpelte und seinen großen, ungestalten Kopf von einer Seite zur anderen neigte, da stießen die Kinder laute Schreie des Entzückens aus; und die Infantin selbst lachte so sehr, daß sich die Kamera gezwungen sah, sie daran zu erinnern, daß, wenn es auch viele Fälle gäbe, wo in Spanien die Tochter eines Königs vor ihresgleichen geweint habe, so sei es doch unerhört, daß eine Prinzessin aus königlichem Blute so lustig sei vor denen, die an Rang niedriger ständen als sie. Der Zwerg aber war wirklich ganz unwiderstehlich, und selbst am spanischen Hofe, der von jeher wegen seiner raffinierten Leidenschaft für das Furchtbare bekannt war, hatte man noch nie ein so phantastisches kleines Ungeheuer gesehen. Es war auch sein erstes Auftreten. Man hatte ihn erst am Tage zuvor entdeckt, als er wild im Walde umherlief und zwei Granden in einem entlegenen Teil des Korkeichenforstes jagten, der um die Stadt läuft. Und sie hatten ihn in den Palast gebracht als eine Überraschung für die Infantin, da sein Vater, ein armer Köhler, nur zu einverstanden war, wenn man ihn von einem so häßlichen und unbrauchbaren Kinde befreien wollte. Vielleicht war das Lustigste an ihm seine vollkommene Unkenntnis der eigenen grotesken Erscheinung. Wirklich schien er ganz glücklich zu sein und voll der besten Laune. Wenn die Kinder lachten, lachte er ebenso frei und so frisch wie irgendeins von ihnen, und am Schlusse jedes Tanzes machte er jedem eine der komischen Verbeugungen und lachte und nickte ihnen zu, gerade als sei er einer von ihnen und nicht ein kleines ungestaltes Ding, das die Natur in einer humoristischen Laune gebildet hatte, damit andere seiner spotteten. Und die Infantin bezauberte ihn vollends: er konnte die Augen nicht von ihr wenden und schien nur für sie zu tanzen. Und am Schluß der Vorstellung erinnerte sie sich, wie sie gesehen hatte, daß die großen Damen des Hofes dem berühmten italienischen Tenor Coffarelli, den der Papst aus seiner eigenen Kapelle nach Madrid geschickt hatte, um des Königs Melancholie durch die Lieblichkeit seiner Stimme zu heilen, Buketts zuwarfen, und da nahm sie die weiße Rose aus dem Haar und warf sie ihm teils aus Scherz, teils um die Kamera zu ärgern, mit ihrem lieblichsten Lächeln durch die Arena zu; er aber nahm alles ganz ernst und drückte die Blume an seine roten Lippen und legte die Hand aufs Herz – er grinste von Ohr zu Ohr, und seine kleinen glänzenden Augen sprühten vor Freude.
Das warf den Ernst der Infantin so sehr um, daß sie noch immer lachte, nachdem der kleine Zwerg längst aus der Arena gelaufen war, und daß sie ihrem Onkel den Wunsch aussprach, man solle den Tanz wiederholen. Die Kamera aber widersprach mit der Begründung, die Sonne sei zu heiß; es sei besser, wenn Ihre Hoheit sofort in den Palast zurückkehrte, wo schon ein wundervolles Mahl für sie bereitet sei und ein wirklicher Geburtstagskuchen mit ihren eigenen Initialen, die ganz aus farbigem Zucker hergestellt seien, und über dem eine hübsche kleine silberne Fahne von einem Maste wehe. Daher erhob sich die Infantin mit vieler Würde, und nachdem sie Befehl gegeben hatte, der kleine Zwerg sollte nach der Siesta noch einmal für sie tanzen, und dem jungen Grafen von Terra-Nueva ihren Dank für den reizenden Empfang übermittelt hatte, ging sie zurück in ihre Gemächer, und die Kinder folgten in derselben Reihenfolge, in der sie gekommen waren.
Als nun der kleine Zwerg hörte, daß er noch einmal vor der Infantin tanzen sollte, und auf ihren eigenen, ausdrücklichen Befehl, da war er so stolz, daß er in den Garten hinauslief und die weiße Rose in überströmender Freude küßte und die plumpsten und unbeholfensten Gesten des Entzückens machte. Die Blumen waren ganz entrüstet, daß er es wagte, in ihr schönes Heim zu dringen, und als sie sahen, wie er die Wege auf und nieder sprang und seine Arme auf so lächerliche Weise über dem Kopfe schwang, konnten sie ihre Gefühle nicht mehr bezwingen.
»Er ist wirklich zu häßlich, als daß man ihm erlauben könnte, irgendwo zu spielen, wo wir sind«, riefen die Tulpen.
»Er sollte Mohnsaft trinken und auf tausend Jahre schlafen gehen«, sagten die großen Scharlachlilien, und sie erhitzten sich und wurden ganz zornig.
»Er ist ein wahres Scheusal!« rief der Kaktus. »Er ist ja ganz verbogen und verstümmelt, und sein Kopf steht in gar keinem Verhältnis zu seinen Beinen. Wahrhaftig, mir läuft eine Gänsehaut über den ganzen Körper, und wenn er mir nahe kommt, werde ich ihn mit meinen Dornen stechen.«
»Und er hat wahrhaftig eine meiner besten Blüten«, rief der weiße Rosenbaum. »Ich habe sie heute morgen selbst der Infantin gegeben als Geburtstagsgeschenk, und er hat sie ihr gestohlen.«
Und er rief, so laut er konnte: »Dieb! Dieb! Dieb!«
Selbst die roten Geranien, die sich für gewöhnlich gar kein Ansehen gaben und von denen bekannt war, daß sie selber viele arme Verwandte hatten, empörten sich vor Abscheu, als sie ihn sahen; und als die Veilchen bescheiden bemerkten, er sei zwar furchtbar häßlich, aber es sei doch nicht seine Schuld, entgegneten sie mit viel Vernunft, das sei gerade sein Hauptfehler, und es sei kein Grund, einen Menschen zu bewundern, weil er unheilbar sei; – und wirklich empfanden selbst einige Veilchen, daß die Häßlichkeit des kleinen Zwergs fast aufdringlich sei und daß er viel mehr Geschmack verraten würde, wenn er traurig aussähe oder mindestens nachdenklich, anstatt lustig herumzuhüpfen und sich in so groteske und alberne Stellungen zu werfen.
Und die alte Sonnenuhr, die eine sehr ausgesprochene Persönlichkeit war und einst keinem Geringeren als dem Kaiser Karl V. selber die Stunden angezeigt hatte –, die Sonnenuhr war so entsetzt über die Erscheinung des kleinen Zwergs, daß sie mit ihrem langen Schattenfinger fast zwei volle Minuten anzuzeigen vergessen hatte; und schließlich konnte sie sich nicht enthalten, zu dem großen, milchweißen Pfau, der sich auf der Balustrade sonnte, zu sagen, es wisse doch jeder, daß die Kinder von Königen Könige wären, und die Kinder von Köhlern Köhler, und es sei absurd, zu behaupten, es wäre nicht so. Mit dieser Feststellung war der Pfau sehr einverstanden, und er kreischte: »Gewiß, gewiß!« mit einer so lauten und scharfen Stimme, daß die Goldfische, die im Bassin des kühlen, plätschernden Brunnens wohnten, ihre Köpfe zum Wasser hinausstreckten und die großen steinernen Tritonen fragten, was in aller Welt es gäbe.
Aber die Vögel liebten ihn. Sie hatten ihn oft im Walde gesehen, wenn er wie ein Elb über die wirbelnden Blätter tanzte oder in irgendeinem alten, hohlen Eichbaum hockte und seine Nüsse mit den Eichhörnchen teilte. Sie kümmerten sich nicht im geringsten um seine Häßlichkeit. Ja, selbst die Nachtigall, die des Abends so lieblich in den Orangenhainen sang, daß sich bisweilen der Mond herniederneigte, um ihr zu lauschen, sah doch nach nichts Besonderm aus; und außerdem – er war gut zu ihnen gewesen, und während jenes furchtbar harten Winters, als es gar keine Beeren mehr auf den Bäumen gab und als der Boden hart war wie Eisen und die Wölfe bis an die Tore der Stadt gekommen waren, um Nahrung zu suchen, da hatte er sie nie vergessen, sondern ihnen immer Krumen von seiner kleinen Schwarzbrotrinde gegeben und immer mit ihnen geteilt, wenn sein Frühstück auch noch so ärmlich gewesen war.
Daher flogen sie immer um ihn herum, berührten seine Backen im Fluge leicht mit ihren Flügeln und schwätzten miteinander; und der kleine Zwerg war so froh, daß er sich nicht enthalten konnte, ihnen die herrliche weiße Rose zu zeigen und ihnen zu erzählen, daß die Infantin selbst sie ihm gegeben habe, weil sie ihn liebte.
Sie verstanden kein Wort von dem, was er sagte; aber das tat nichts, denn sie neigten den Kopf zur Seite und sahen klug aus – und das ist ebensogut wie etwas verstehen, und viel leichter.
Die Eidechsen faßten auch eine große Vorliebe für ihn, und als er müde war umherzulaufen und sich ins Gras warf, um zu ruhen, da spielten und balgten sie sich auf ihm herum und versuchten, ihn so gut, wie sie konnten, zu unterhalten.
»Nicht jeder kann so schön sein wie eine Eidechse,« riefen sie; »das wäre zu viel verlangt. Und wenn es auch absurd klingt – im Grunde ist er gar nicht so häßlich; natürlich muß man die Augen zumachen und ihn nicht ansehen.« Die Eidechsen waren sehr philosophisch veranlagt und saßen oft Stunden und Stunden lang zusammen und dachten, wenn sie sonst nichts zu tun hatten oder das Wetter zu regnerisch war, um auszugehen.
Die Blumen aber waren entsetzt über ihr Benehmen und über das Benehmen der Vögel.
»Das zeigt wieder,« sagten sie, »wie entsittlichend dieses ewige Hin- und Herfliegen und Rennen wirkt. Wohlerzogene bleiben immer auf der gleichen Stelle, so wie wir. Niemals hat man uns die Wege auf und nieder hüpfen sehen oder im Gras wie toll hinter den Wasserjungfern hergaloppieren. Wenn wir einen Luftwechsel nötig haben, dann schicken wir nach dem Gärtner, und er bringt uns in ein anderes Bett. So ziemt es sich, und so sollte es sein. Aber Vögel und Eidechsen haben keinen Sinn für Ruhe. Die Vögel haben ja nicht einmal eine ständige Adresse. Sie sind die reinen Vagabunden, wie die Zigeuner, und man sollte sie danach behandeln.«
So hoben sie ihre Nasen in die Luft und sahen sehr hochmütig drein und waren sehr froh, als sie nach einiger Zeit sahen, wie der kleine Zwerg sich vom Gras aufraffte und über die Terrasse auf den Palast zuging.
»Man sollte ihn wahrhaftig für den Rest seines irdischen Lebens einsperren«, sagten sie. »Seht doch den buckligen Rücken und seine krummen Säbelbeine«, und sie begannen zu kichern.
Aber der kleine Zwerg wußte nichts von all dem. Ihm gefielen die Vögel und Eidechsen sehr, und er dachte, die Blumen seien die herrlichsten Dinge in der ganzen Welt, ausgenommen natürlich die Infantin; aber dann hatte sie ihm ja die weiße Rose gegeben, und sie liebte ihn: das machte einen großen Unterschied. Wie wünschte er, daß er mit ihr gegangen wäre! Sie würde ihn zu ihrer rechten Hand gestellt haben, und er wäre nie von ihrer Seite gewichen, sondern hätte sie zu seiner Gespielin gemacht und sie alle möglichen wundervollen Kunststücke gelehrt. Denn wenn er auch nie zuvor in einem Palast gewesen war, so wußte er doch viele besondere Dinge. Er konnte aus Binsen kleine Käfige bauen, in denen die Grashüpfer singen, und konnte aus langgliedrigem Bambus die Flöte schneiden, die Pan zu hören liebt. Er kannte den Schrei jedes Vogels und konnte den Star aus den Kronen der Bäume rufen und den Reiher von dem See. Er kannte die Spur jedes Tieres und konnte den Hasen an den leichten Eindrücken seiner Füße verfolgen und den Eber an den zertretenen Blättern. Alle Tänze des Windes kannte er: den tollen Tanz im roten Gewand mit dem Herbst, den leichten Tanz in blauen Sandalen über dem Korn, den Tanz mit weißen Schneekränzen im Winter und den Blütentanz durch die Gärten im Frühling. Er wußte, wo die Waldtauben ihre Nester bauten, und einmal, als ein Vogelsteller die Elternvögel weggefangen hatte, da hatte er die Jungen selber aufgezogen und hatte ihnen einen Taubenschlag in der Höhle einer zersplitterten Ulme gebaut. Sie waren ganz zahm und fraßen jeden Morgen aus seiner Hand. Sie würden ihr gefallen, und auch die Kaninchen, die in den langen Farnen umherhüpften, und die Holzhäher mit ihren stahlharten Federn und schwarzen Schnäbeln, und die Igel, die sich zu stachlichten Kugeln aufrollen konnten, und die großen, klugen Schildkröten, die langsam umherkrochen und die Köpfe schüttelten und an den jungen Blättern nagten. Ja gewiß, sie mußte mitkommen in den Wald und mit ihm spielen. Er würde ihr sein eigenes kleines Bett geben und neben dem Fenster bis zur Dämmerung wachen, um aufzupassen, daß ihr das wilde gehörnte Volk keinen Harm antat und daß die hageren Wölfe der Hütte nicht zu nahe kamen. Und mit der Dämmerung würde er an die Läden klopfen und sie wecken, und sie würden hinausgehen und den ganzen Tag lang zusammen tanzen. Wahrhaftig, es war nicht einsam im Walde. Bisweilen ritt ein Bischof vorbei, auf einem weißen Maultier, und las in einem gemalten Buch. Bisweilen kamen auch in grünen Samtmützen und Jacken aus gegerbtem Wildleder die Falkeniere vorüber, mit verkappten Falken auf der Faust. Zur Winzerzeit kamen die Traubentreter mit purpurnen Händen und Füßen, bekränzt mit glänzendem Efeu, und trugen tropfende Schläuche voll Wein; und die Köhler saßen um ihre Kohlenpfannen zur Nacht und sahen zu, wie die trockenen Scheite langsam im Feuer verkohlten, und brieten Kastanien in der Asche, und die Räuber kamen aus ihren Höhlen und scherzten mit ihnen. Einmal hatte er auch eine schöne Prozession gesehen, die sich den langen, staubigen Weg nach Toledo hinaufwand. Die Mönche gingen voran und sangen lieblich und trugen bunte Fahnen und Kreuze aus Gold; und in ihrer Mitte gingen drei barfüßige Männer, in seltsamen gelben Gewändern, die ganz mit wundervollen Figuren bemalt waren, und sie trugen brennende Kerzen in ihren Händen. O, es gab viel im Walde zu sehen, und wenn sie müde war, würde er ihr eine weiche Moosbank suchen oder sie auf den Armen tragen; denn er war sehr stark, wenn er auch wußte, daß er nicht groß war. Er würde ihr ein Halsband aus Zaunbeeren machen, das würde geradeso hübsch sein wie die weißen Beeren, die sie auf ihrem Kleide trug; und wenn sie ihrer müde war, konnte sie sie fortwerfen, und er würde ihr andere suchen. Er würde ihr Eichelschalen bringen und Tausende von Anemonen und kleine Glühwürmer als Sterne in dem bleichen Gold ihres Haars.
Aber wo war sie? Er fragte die weiße Rose, und sie antwortete ihm nicht. Der ganze Palast schien zu schlafen, und selbst wo die Läden nicht geschlossen waren, waren schwere Vorhänge vor die Fenster gezogen, um die Glut auszuschließen. Er ging ganz herum, um eine Stelle zu finden, wo er eintreten könnte, und schließlich sah er eine kleine verborgene Tür, die offen stand. Er schlüpfte hinein und sah sich in einer glänzenden Halle, glänzender, fürchtete er, als der Wald; es war so viel mehr vergoldet überall, und selbst der Boden war aus großen farbigen Steinen, die nach Art von geometrischen Figuren zusammengefügt waren. Aber die kleine Infantin war nicht da, nur einige herrliche weiße Statuen, die von ihren Jaspispiedestalen auf ihn niedersahen, mit traurigen, leeren Augen und seltsam lächelnden Lippen.
Am Ende des Saales hing ein reich gestickter Vorhang aus schwerem Samt, der mit Sonnen und Sternen, des Königs liebsten Symbolen, besät war und gestickt auf der Farbe, die er am liebsten hatte. Vielleicht war sie dahinter verborgen? Er wollte es jedenfalls versuchen.
Er stahl sich also leise hinüber und zog ihn beiseite. Nein; es war nur ein anderes Zimmer, wie er meinte, als das, aus dem er kam. Die Wände waren mit vielgestaltigen grünen Arrazzi von handgemachter Teppicharbeit behangen, die eine Jagd darstellten; sie stammten von einigen flämischen Künstlern, die mehr als sieben Jahre zu ihrer Vollendung gebraucht hatten. Das war einmal das Zimmer des Jean le Fou gewesen, wie man ihn nannte, jenes wahnsinnigen Königs, der die Jagd so liebte, daß er oft in seinen Delirien versucht hatte, die großen bäumenden Rosse zu besteigen und den Hirsch herunterzureißen, auf den die großen Rüden sprangen; daß er sein Jagdhorn blies und mit seinem Dolch nach dem bleichen fliehenden Wilde stach. Jetzt benutzte man es als Ratssaal, und auf dem Tisch in der Mitte lagen die roten Portefeuilles der Minister, die die goldenen Tulpen von Spanien eingepreßt trugen und das Wappen und die Embleme des Hauses Habsburg.
Der kleine Zwerg sah in Verwunderung um sich und fürchtete sich, weiterzugehen. Die seltsamen schweigenden Reiter, die so geschwind durch die langen Lichtungen ritten, ohne das geringste Geräusch zu machen – sie schienen ihm wie jene furchtbaren Phantome, von denen er die Köhler hatte reden hören, die Comprachos, die nur bei Nacht jagen und, wenn sie einem Menschen begegnen, ihn in eine Hirschkuh verwandeln und sie jagen. Aber er dachte an die schöne Infantin und faßte Mut. Sie allein wollte er finden und ihr sagen, daß auch er sie liebe. Vielleicht war sie im nächsten Zimmer.
Er lief über die weichen maurischen Teppiche und öffnete die Tür. Nein! dort war sie auch nicht. Das Zimmer war ganz leer. Es war ein Thronzimmer, das zum Empfang fremder Gesandten benutzt wurde, wenn der König – was lange nicht mehr der Fall gewesen – bereit war, ihnen eine persönliche Audienz zu gewähren; dasselbe Zimmer, in dem vor vielen Jahren die Abgesandten Englands erschienen waren, um den Vertrag über die Heirat ihrer Königin – damals einer der katholischen Fürstinnen Europas – mit des Kaisers ältestem Sohne abzuschließen. Die Tapeten waren aus vergoldetem kordovanischen Leder, und ein schwerer vergoldeter Leuchter mit Armen für dreihundert Wachslichter hing von der schwarz-und-weißen Decke hernieder. Unter einem großen Thronhimmel aus Goldtuch, auf dem die Löwen und Türme von Kastilien in Perlen gestickt waren, stand der Thron selbst, mit einem reichen Tuch aus schwarzem Samt verhangen, das besetzt war mit silbernen Tulpen und mit Silber und Perlen befranst. Auf der zweiten Stufe des Thrones stand der Knieschemel der Infantin mit einem Kissen aus silbergewirktem Tuch, und noch etwas tiefer und außer dem Bereich des Thronhimmels stand der Sessel für den päpstlichen Nuntius, der allein das Recht hatte, in des Königs Gegenwart bei allen öffentlichen Zeremonien zu sitzen, und dessen Kardinalshut mit seinen verschlungenen scharlachnen Troddeln auf einem purpurnen Taburett davor lag. An der Wand gegenüber dem Throne hing ein lebensgroßes Porträt Karls V. im Jagdgewand, mit einer großen Dogge ihm zur Seite; und ein Bildnis Philipps II., der die Huldigung der Niederlande entgegennimmt, nahm die Mitte der anderen Wand ein. Zwischen den Fenstern stand ein Geheimschrank aus schwarzem Ebenholz, mit Elfenbeinplatten eingelegt, auf denen die Gestalten des Totentanzes von Holbein eingeschnitten waren – einige sagten, von der Hand jenes berühmten Meisters selbst.
Aber der kleine Zwerg kümmerte sich nicht um all diese Pracht. Er hätte seine Rose nicht um alle Perlen des Thronhimmels weggegeben und nicht einmal ein Blatt seiner Rose um den ganzen Thron selbst. Er wollte nur die Infantin sehen, ehe sie in das Zelt hinausging, und er wollte sie bitten, mit ihm fortzugehen, wenn er seinen Tanz geendet hätte. Hier im Palast war die Luft eng und schwer, aber im Wald blies ein frischer Wind, und das Sonnenlicht trennte mit schweifenden Goldhänden die zitternden Blätter. Auch Blumen waren im Walde; nicht so kostbare vielleicht wie die Blumen im Garten, aber dafür von um so süßerem Duft: Hyazinthen im Vorfrühling, die mit wogendem Purpur die kühlen Schluchten und die grasbewachsenen Hügel überfluteten; gelbe Primeln, die in kleinen Büscheln um die verwitterten Wurzeln der Eichen wuchsen; buntes Schellkraut und blauer Ehrenpreis und lila und goldene Iris. An den Haselstauden hingen graue Kätzchen, und der Fingerhut neigte sich unter dem Gewicht seiner gesprenkelten Blüten, in denen die Bienen heimisch waren. Die Kastanie hatte ihre Türme von weißen Sternen und der Hagedorn seine bleichen Monde der Schönheit. Ja, gewiß: sie würde kommen, wenn er sie nur finden könnte. Sie würde mit ihm kommen in den schönen Wald, und den ganzen Tag lang würde er für sie tanzen, um sie zu erfreuen. Ein Lächeln entflammte seine Augen bei dem Gedanken, und er ging in das nächste Zimmer.
Von allen Zimmern war dieses das glänzendste und das schönste. Die Wände waren mit rosenfarbigem Damast bespannt, der mit Vögeln gemustert war und bedeckt mit zierlichen silbernen Blüten; die Einrichtung war aus massivem Silber, mit blühenden Girlanden behangen und schwebenden Amoretten; vor den zwei großen Kaminen standen mächtige Schirme, die mit Papageien und Pfauen bestickt waren, und der Boden, aus meergrünem Onyx, schien sich weit in die Ferne zu ziehen. Und er war nicht allein. Unter dem Schatten der Tür, am fernen Ende des Zimmers, erblickte er eine kleine Gestalt, die ihn ansah. Sein Herz zitterte, ein Freudenschrei brach von seinen Lippen, und er trat hinaus in das Sonnenlicht. Als er es tat, trat auch die Gestalt heraus, und er sah sie nun deutlich.
Die Infantin! O, es war ein Scheusal, das groteskeste Scheusal, das er je gesehen hatte. Nicht richtig gestaltet wie alle anderen Menschen, sondern bucklig und krummbeinig, mit großem, hängendem Kopf und einer Mähne von schwarzem Haar. Der kleine Zwerg runzelte die Stirn, und das Scheusal runzelte auch die Stirn. Er lachte, und es lachte mit ihm und stemmte die Hände in die Seite, gerade wie er. Er machte ihm eine höhnische Verbeugung, und es gab ihm die tiefe Reverenz zurück. Er ging darauf zu, und es kam ihm entgegen und machte jeden Schritt nach, den er tat, und es stand stille, wenn er stille stand. Er jubelte vor Vergnügen und lief vorwärts und streckte seine Hand aus, und die Hand des Scheusals berührte seine, und sie war kalt wie Eis. Ihm wurde angst, und er streckte seine Hand zur Seite, und die Hand des Scheusals folgte ihr flink. Er versuchte weiterzugehen, aber etwas Glattes und Hartes hielt ihn zurück. Das Gesicht des Scheusals war nun dicht neben seinem, und es schien voll Angst zu sein. Er strich sich das Haar aus den Augen. Es ahmte ihm nach. Er schlug nach ihm aus, und es gab Schlag für Schlag zurück. Er schnitt ihm Gesichter, und es schnitt ihm scheußliche Fratzen. Er fuhr zurück, und es entfernte sich.
Was war es? Er dachte einen Augenblick nach und sah sich dann rings im Saale um. Es war seltsam, aber alles schien in dieser unsichtbaren Wand von klarem Wasser sein Ebenbild zu haben. Ja, Bild für Bild wiederholte sich, und Sessel für Sessel. Der schlafende Faun, der bei dem Alkoven neben der Tür lag, hatte seinen schlummernden Zwillingsbruder, und die Silbervenus im Sonnenlicht streckte den Arm aus nach einer Venus, so schön wie sie.
War es das Echo? Er hatte einmal im Tale nach ihm gerufen, und es war Wort für Wort zurückgetönt. Konnte es das Auge täuschen wie das Ohr? Konnte es eine Welt des Scheines schaffen, die der wirklichen Welt ganz gleich war? Konnten die Schatten der Dinge Farbe haben und Leben und Bewegung? War es möglich, daß –?
Er fuhr zusammen. Er nahm die herrliche weiße Rose von seiner Brust und wandte sich um und küßte sie. Das Scheusal hatte auch eine Rose, Blatt für Blatt ihr gleich! Es küßte sie mit gleichen Küssen und drückte sie ans Herz mit schrecklichen Gebärden.
Als ihm die Wahrheit aufdämmerte, stieß er einen lauten Schrei der Verzweiflung aus und fiel schluchzend zu Boden. Er also war ungestalt und bucklig, scheußlich anzusehen und grotesk. Er selbst war das Scheusal, und über ihn hatten die Kinder gelacht und die kleine Prinzessin, die, wie er geglaubt hatte, ihn liebte – auch sie hatte nur über seine Häßlichkeit gespottet und sich über seine krummen Glieder lustig gemacht. Warum hatte man ihn nicht im Walde gelassen, wo es keinen Spiegel gab, um ihm zu sagen, wie ekelhaft er war? Warum hatte ihn nicht sein Vater getötet, anstatt ihn in seine Schande zu verkaufen? Die heißen Tränen liefen ihm die Backen herunter, und er riß die weiße Rose in Stücke. Das kriechende Scheusal tat das gleiche und warf die blassen Blätter in die Luft. Es kroch am Boden, und wenn er es ansah, beobachtete es ihn mit schmerzverzerrtem Gesicht. Er wandte sich ab, um es nicht zu sehen, und bedeckte seine Augen mit den Händen. Er kroch wie ein verwundetes Tier in den Schatten, und dort blieb er stöhnend liegen.
Und in diesem Augenblick kam die Infantin selbst mit ihren Gespielen durch die offene Balkontür herein, und als sie den häßlichen kleinen Zwerg am Boden liegen sahen und auf phantastische und übertriebene Art mit seinen geballten Händen um sich schlagen, da brachen sie in lautes, glückliches Lachen aus und umringten und beobachteten ihn.
»Sein Tanzen war lustig,« sagte die Infantin; »aber sein Spiel ist noch lustiger. Er ist beinah so gut wie Drahtpuppen, nur längst nicht so natürlich.« Und sie fächelte mit ihrem großen Fächer und klatschte Beifall.
Aber der kleine Zwerg sah nicht ein einziges Mal auf, und sein Schluchzen wurde schwächer und schwächer, und plötzlich rang er merkwürdig nach Luft und griff sich in die Seite. Und dann fiel er zurück und lag ganz still.
»Das ist großartig,« sagte die Infantin nach einer Pause; »aber jetzt sollst du für mich tanzen.«
»Ja,« riefen die Kinder, »du mußt aufstehen und tanzen, denn du bist ebenso klug wie die Berberaffen und viel lächerlicher.«
Aber der kleine Zwerg antwortete nicht.
Und die Infantin stampfte mit dem Fuß und rief ihren Onkel, der mit dem Kanzler auf der Terrasse stand und einige Depeschen las, die gerade aus Mexiko gekommen waren, wo man kürzlich das Heilige Amt eingerichtet hatte.
»Mein lustiger kleiner Zwerg ist mürrisch,« rief sie; »du mußt ihn aufwecken und ihm sagen, daß er für mich tanzen soll.«
Sie lächelten einander zu und kamen herein, und Don Pedro beugte sich nieder und schlug den Zwerg mit seinem gestickten Handschuh auf die Backe.
»Du sollst tanzen«, rief er. »Kleines Scheusal, du sollst tanzen. Die Infantin von Spanien und den beiden Indien will amüsiert sein.«
Aber der kleine Zwerg rührte sich nicht.
»Man sollte nach dem Peitschenmeister schicken«, sagte Don Pedro müde und ging wieder auf die Terrasse hinaus. Aber der Kanzler machte ein ernstes Gesicht und kniete neben dem kleinen Zwerg nieder und legte die Hand auf sein Herz. Und nach ein paar Augenblicken zuckte er mit den Schultern, stand auf, machte der Infantin eine tiefe Verbeugung und sagte:
»Mi bella Princesa, Ihr komischer kleiner Zwerg wird nie mehr tanzen. Es ist schade; denn er ist so häßlich, daß er dem König hätte ein Lächeln entlocken können.«
»Aber warum wird er nicht mehr tanzen?« fragte die Infantin lachend.
»Weil ihm das Herz gebrochen ist«, antwortete der Kanzler.
Und die Infantin zog die Stirn in Falten, und ihre niedlichen rosenblättrigen Lippen warfen sich in hübscher Verachtung auf.
»In Zukunft laßt die, die mit mir zu spielen kommen, keine Herzen haben«, rief sie und lief in den Garten hinaus.