DER MODELLMILLIONÄR

Oscar Wilde

Deutsch von Franz Blei
und Felix Paul Greve

Wenn man nicht reich ist, hat es keinen Sinn, ein netter Junge zu sein. Romantik ist das Vorrecht der Reichen, nicht der Beruf der Arbeitslosen. Der Arme muß praktisch und prosaisch sein. Es ist besser, ein sicheres Einkommen zu haben, als die Leute zu bezaubern. Das sind die großen Wahrheiten des modernen Lebens, die Hugo Erskine niemals erkannte. Armer Hugo! In intellektueller Beziehung, das muß ich zugeben, war er freilich nicht von großer Bedeutung. Er hat nie in seinem Leben ein glänzendes oder auch nur ein bissiges Wort gesagt – aber er sah wunderhübsch aus mit seinem krausen braunen Haar, seinem feingeschnittenen Profil und seinen braunen Augen. Er war ebenso beliebt bei Männern wie bei Frauen, und er hatte jede Tugend, nur nicht die, Geld machen zu können. Sein Vater hatte ihm seinen Kavalleriesäbel und eine Geschichte des spanischen Erbfolgekriegs in fünfzehn Bänden hinterlassen. Hugo hing den ersteren über seinen Spiegel und stellte die letzteren auf ein Regal zwischen Ruff’s Guide durch London und Bailey’s Magazine und lebte von zweihundert Pfund im Jahr, die eine alte Tante ihm aussetzte. Er hatte alles versucht. Er war sechs Monate auf die Börse gegangen; aber was soll ein Schmetterling zwischen gierigen Raubtieren anfangen? Etwas längere Zeit war er Teehändler gewesen, aber Pekoe und Souchong langweilten ihn bald. Dann hatte er versucht, herben Sherry zu verkaufen. Das ging nicht – der Sherry war etwas zu herb. Endlich war er nichts weiter als ein entzückender, harmloser junger Mann mit einem vollendeten Profil, aber ohne Beruf.Um die Sache noch schlimmer zu machen, war er verliebt. Laura Merton hieß das Mädchen, das er liebte, die Tochter eines Oberst a. D., der sowohl Temperament als Verdauung in Indien verloren und keines von beiden mehr wiedergefunden hatte. Laura betete ihn an, und er war bereit, ihre Schuhbänder zu küssen. Waren das hübscheste Paar in London und hatten zwischen sich nicht einen Pfennig. Der Oberst hatte Hughie sehr gern, wollte aber von einer Heirat nichts wissen.

»Komm zu mir, Junge, wenn du eigene zehntausend Pfund hast, und wir wollen sehen«, pflegte er zu sagen; und Hughie sah an solchen Tagen recht verdrießlich aus und mußte zu Laura aus Trost gehen.

Als er eines Morgens nach Holland Park, wo die Mertons wohnten, unterwegs war, suchte er einen Freund auf, Allan Trevor. Trevor war Maler. Dem entgehen ja nun heutigestags wenige. Aber Trevor war auch ein Künstler, und Künstler sind schon seltener. Dem Ansehen nach ein merkwürdiger, grober Bursche, mit einem sommersprossigen Gesicht und einem roten, zerfetzten Bart. Hughie hatte ihn anfangs sehr angezogen, doch bloß, wie gesagt werden muß, wegen seines persönlichen Charme. »Die einzigen Menschen, die ein Maler kennen sollte,« pflegte er zu sagen, »sind solche, die blöd und schön sind, schön zum Anschauen, geistig erholend, wenn man mit ihnen redet. Dandys und hübsche Weiber regieren die Welt – oder sollten es wenigstens.« Was nicht hinderte, daß er Hughie, da er ihn besser kannte, nicht weniger gern mochte wegen seines hellen, offenen Verstandes und seiner generösen, noblen Natur – so konnte Hughie ihn besuchen, wann er wollte.

Trevor beendete gerade das lebensgroße Bildnis eines Bettlers, als Hughie eintrat. Der Bettler selber stand auf einem niederen Postament in einer Ecke des Ateliers. Ein weißhaariger Alter, mit einem Gesicht wie zerknittertes Pergament und einem höchst mitleidenswerten Ausdruck. Über die Schultern hing ihm ein brauner Mantel, alles Lumpen und Löcher; die derben Stiefel ausgetreten und erbärmlich, und eine Hand stützte sich auf einen derben Stecken, die andere streckte den zerlumpten Hut für ein Almosen.

»Ein wundervolles Modell!« sagte Hughie leise, als er seinem Freund die Hand gab.

»Das glaub ich!« schrie Trevor. »Solche Bettelkerle findet man nicht alle Tage. Une trouvaille, mon eher, ein lebender Velasquez! Was für eine Radierung würde Rembrandt daraus gemacht haben!«

»Armer Kerl!« sagte Hughie, »wie elend er aussieht! Aber für euch Maler ist sein Gesicht sein Vermögen, nicht?«

»Natürlich,« sagte Trevor, »du willst doch nicht, daß ein Bettler glücklich dreinschauen soll?«

»Was kriegt ein Modell für die Sitzung?« fragte Hughie, nachdem er es sich auf einem Diwan bequem gemacht hatte.

»Einen Schilling für die Stunde.«

»Und wieviel kriegst du für dein Bild, Allan?«

»Für dieses da? Zweitausend.«

»Pfund?«

»Guineen. Maler, Dichter und Ärzte bekommen immer Guineen.«

»Davon sollte das Modell Prozente bekommen, meine ich,« rief Hughie lachend; »er arbeitet nicht weniger schwer als du.«

»Ach Unsinn! Schau doch die Mühe, die man allein mit dem Malen hat, und den ganzen Tag so stehen. Du hast leicht reden, Hughie, aber glaub mir, es gibt Momente in der Kunst, wo sie die Würde schwerer Handarbeit bekommt. Aber sprich jetzt nichts; ich muß fertig werden. Rauch eine Zigarette und sei still.« Nach einer Weile kam der Diener herein und meldete Trevor, der Rahmenmacher wünsche ihn zu sprechen.

»Geh nicht fort, Hughie,« sagte er im Hinausgehen, »ich bin gleich wieder da.«

Der alte Bettler benützte Trevors Abwesenheit, sich für einen Augenblick an einen Balken zu lehnen. Er sah so verloren und elend aus, daß Hughie sich des Mitleids nicht erwehren konnte und in die Tasche griff. Ein Sovereign und ein paar Kupfermünzen war alles, was er fand. »Armer alter Knabe,« dachte er, »er brauchts nötiger als ich, aber vierzehn Tage gibts dann kein Hansom.« Und er ging auf den Bettler zu und drückte ihm den Sovereign in die Hand.

Der alte Mann stutzte, und ein kleines Lächeln flog über seine dünnen Lippen. »Danke, Herr,« sagte er, »danke.«

Da trat Trevor ein, und Hughie setzte sich nieder, leicht errötend über das, was er getan hatte. Er verbrachte den Tag mit Laura, wurde reizend wegen seiner Extravaganz ausgescholten und mußte zu Fuß nach Hause.

Des Nachts gegen elf Uhr ging er in den Palette-Klub und fand da Trevor allein im Smokingroom bei Hock und Selzer.

»Bist du mit dem Bild fertig geworden, Allan?« fragte er, als er sich die Zigarette anzündete.

»Beendet und gerahmt, Junge, und nebenbei, du hast eine Eroberung gemacht. Das alte Modell ist ganz entzückt von dir. Ich mußte ihm alles über dich erzählen: wer du bist, wo du wohnst, was du verdienst, was für Aussichten du hast …«

»Mein lieber Allan, ich werde ihn wahrscheinlich auf meinem Heimwege wartend treffen. Aber du machst natürlich nur Spaß. Armer Kerl! Ich wollte, ich könnte für ihn was tun. Es ist doch scheußlich, daß einer so leben soll. Ich habe so alte Kleider daheim. Glaubst du, daß er sich was daraus macht? Seine zerfielen ja in Lumpen.«

»Aber er schaut wundervoll darin aus«, sagte Trevor. »Für nichts in der Welt möchte ich ihn im Frack malen. Was du Lumpen nennst, nenne ich Romantik. Seine Armut ist für mich Pittoreskheit. Übrigens will ich ihm dein Anerbieten mitteilen.«

»Ihr Maler seid doch eine herzlose Bande«, sagte Hughie ernst.

»Eines Künstlers Herz ist sein Kopf, Hughie, und außerdem ist es unsere Aufgabe, die Welt wahr zu machen, wie wir sie sehen, nicht sie zu reformieren, wie wir sie kennen. A chacun son métier. Und jetzt erzähle mir, wie Laura ist. Das alte Modell interessierte sich sehr für sie.«

»Du hast doch dem Alten nicht von Laura erzählt?«

»Aber natürlich habe ich. Er weiß alles über den eigensinnigen Oberst, über die liebe Laura und die zehntausend Pfund.«

»Du hast dem alten Bettler alle meine Privatangelegenheiten erzählt?« rief Hughie und bekam einen roten Kopf.

»Mein Lieber,« sagte Trevor lächelnd, »dieser alte Bettler, wie du ihn nennst, ist einer der reichsten Männer in Europa. Er könnte morgen ganz London kaufen, ohne sich zu übernehmen. Hat ein Haus in jeder Hauptstadt, diniert von goldenen Schüsseln und kann, wenn er will, Rußland einen Krieg verbieten.«

»Was meinst du damit?«

»Ja, eben das«, sagte Trevor. »Der alte Mann im Atelier war Baron Hausberg. Ein guter Freund von mir, kauft alle meine Bilder und gab mir vor einem Monat den Auftrag, ihn als Bettler zu malen. Que voulez-vous? La fantaisie d’un millionaire! Und er machte sichtlich eine glänzende Figur in seinen Lumpen, oder vielmehr in meinen, denn ich brachte das Zeug aus Spanien mit.«

»Baron Hausberg! Und ich hab ihm einen Sovereign gegeben!«

Und Hughie fiel, ein Bild der Bestürzung, in seinen Armstuhl zurück.

»Was? Du hast ihm …«, und Trevor brüllte vor Lachen. »Mein Junge, den Sovereign siehst du nie wieder. Son affaire c’est l’argent des autres.«

»Aber du hättest mir das doch wirklich sagen können und hindern, daß ich mich so zum Narren mache«, sagte Hughie vorwurfsvoll.

»Erstens, mein lieber Hughie, kam es mir nie in den Sinn, daß du auf solche großartige Weise almosenspendend dahinwandelst. Ich kann verstehen, daß du ein hübsches Modell küßt, aber daß du einem häßlichen einen Sovereign gibst, nein, das versteh ich nicht. Und dann war ich an dem Tag für niemanden zu Hause. Und als du kamst, wußte ich nicht, ob es Hausberg recht wäre, ihn mit seinem Namen – er war doch schließlich nicht in full dress.«

»Für was für einen Trottel muß er mich halten«, sagte Hughie.

»Aber durchaus nicht. Er war höchst vergnügt, als du gingst, redete so mit sich selber, rieb seine runzligen Hände. Ich konnte nicht herauskriegen, weshalb er sich so um deine Angelegenheiten interessierte; aber jetzt ists mir klar. Er will deinen Sovereign für dich anlegen, Hughie, zahlt dir alle halben Jahre die Zinsen und hat eine hübsche Geschichte nach dem Diner zu erzählen.«

»Ich habe kein Glück«, brummte Hughie. »Das beste ist, ich geh schlafen. Und, lieber Allan, erzähls nicht weiter. Es ist doch zu lächerlich für mich.«

»Ach Unsinn! Verschafft deinem philanthropischen Sinn den höchsten Kredit. Und lauf nicht davon. Zünd dir eine neue Zigarette an, und du kannst mir von Laura erzählen, so viel du willst.«

Aber Hughie wollte nicht. Er verließ den lachenden Trevor und ging heim mit recht unglücklichen Gefühlen.

Als er am andern Morgen beim Frühstück war, wurde ihm eine Karte hereingebracht: ›Monsieur Gustave Naudin, de la part de M. le Baron Hausberg.‹

Er kommt wohl, damit ich mich entschuldige! dachte Hughie und ließ bitten.

Ein alter Herr mit goldenen Augengläsern trat ein und sagte mit südfranzösischem Akzent: »Habe ich die Ehre, mit Herrn Erskine zu sprechen?«

Hughie verneigte sich.

»Ich komme von Baron Hausberg«, fuhr der Herr fort. »Der Baron …«

»Ich bitte Sie, dem Herrn Baron meine aufrichtigste Entschuldigung zu überbringen«, stotterte Hughie.

»Der Baron«, sagte der alte Herr lächelnd, »hat mich beauftragt, Ihnen diesen Brief zu überbringen«, und er überreichte ihm einen versiegelten Umschlag.

Darauf stand: ›Ein Hochzeitsgeschenk für Hughie Erskine und Laura Merton, von einem alten Bettler‹; darin lag ein Scheck auf zehntausend Pfund.

Bei der Hochzeit war Allan Trevor der Brautführer, und der Baron hielt beim Hochzeitsfrühstück eine Rede.

»Millionärmodelle«, meinte Allan, »sind ja selten, aber beim Zeus, Modellmillionäre sind noch seltener.«