DIE BÄRENJAGD.

Leo Tolstoi

Deutsch von Hanny Brentano

Mit Bildschmuck von Professor A. Brentano

Wir waren auf der Bärenjagd. Mein Kamerad kam zum Schuß; er verwundete den Bären, traf ihn aber nicht tödlich. Es blieb eine Blutspur auf dem Schnee, doch der Bär entkam.

Wir traten zusammen und berieten, was wir machen sollten. Sollten wir jetzt den Bären verfolgen, oder etwa drei Tage warten, bis er sich wieder niedergelegt hatte? Wir fragten die Bärenjäger unter den Bauern um ihre Ansicht. Ein alter Bärenjäger antwortete:

»Nein, man muß dem Bären Zeit lassen, sich zu beruhigen; so nach fünf Tagen etwa wird man ihn erwischen können. Wenn man ihn aber jetzt verfolgt, wird er nur scheu und legt sich nicht nieder.«

Ein junger Bärenjäger aber widersprach dem alten und behauptete, daß man den Bären jetzt verfolgen müsse.

»Auf diesem Schnee« – sagte er – »kommt der Bär nicht weit, es ist ein fettes Tier, noch heute wird er sich hinlegen, und wenn nicht, so hole ich ihn auf Schneeschuhen ein.«

Auch mein Kamerad wollte die Jagd aufgeben und riet zu warten. Da sagte ich:

»Was ist da zu streiten? Ihr macht, was ihr wollt; ich aber mit Demjan folge der Bärenspur. Erwischen wir ihn, – gut; wenn nicht – heute kann man doch nichts anderes mehr anfangen, und es ist noch nicht spät.«

So geschah es denn auch. Die Kameraden gingen zu ihren Schlitten und fuhren ins Dorf; Demjan und ich aber versahen uns mit Brotvorrat und blieben im Walde. Als wir allein geblieben waren, untersuchten wir unsere Gewehre, schürzten die Pelze mit dem Gürtel und folgten der Bärenspur.

Das Wetter war schön, frostig und still. Das Gehen auf den Schneeschuhen aber war mühsam, denn der Schnee war tief und locker; er hatte sich im Walde noch nicht gesetzt, und es hatte erst am Vorabend wieder geschneit. So versanken die Schneeschuhe fast zur Hälfte und oft auch noch mehr im Schnee.

Die Bärenspur war weithin sichtbar. Man sah, wie der Bär an manchen Stellen bis zum Bauch eingesunken war und den Schnee aufgewühlt hatte. Wir gingen zuerst durch den großen Wald genau der Fährte nach. Dann aber, als die Spur sich dem niederen Tannengehölz zuwandte, blieb Demjan stehen.

»Wir müssen die Fährte verlassen,« sagte er, »wahrscheinlich wird er sich hier niederlegen. Er hat schon manchmal geruht, man sieht es am Schnee; wir wollen also die Fährte verlassen und einen Kreis schlagen. Wir müssen nur sehr leise gehen und weder laut sprechen noch husten, sonst schrecken wir ihn auf.«

Wir verließen also die Spur und gingen nach links. Kaum waren wir etwa fünfhundert Schritte gegangen, da sahen wir die Fährte wieder vor uns; wir folgten ihr wieder und sie führte uns auf die Landstraße hinaus; wir blieben stehen und untersuchten, nach welcher Seite der Bär sich gewandt hatte. Hie und da sah man auf der Straße den vollen Abdruck der Bärentatze; hie und da auch den Bastschuh eines Bauern. Wahrscheinlich war der Bär dem Dorfe zu gegangen.

Wir schritten die Straße entlang und Demjan sagte:

»Jetzt brauchen wir nicht auf die Straße zu achten. Wo er links oder rechts vom Wege abgebogen ist, – das werden wir im Schnee schon sehen. Irgendwo wird er ja die Straße verlassen haben, er wird doch nicht ins Dorf gegangen sein!«

Wir gingen etwa eine Werst weiter, da sehen wir vor uns die Spur, die von der Straße abbiegt. Wir sehen genauer hin, welch ein Wunder! Es ist zwar eine Bärenspur, sie führt aber nicht von der Straße in den Wald, sondern aus dem Wald auf die Straße, mit den Zehen zur Straße hin. Ich rufe: »Das ist ein anderer Bär!«

Demjan blickt hin und denkt nach.

»Nein,« sagt er, »das ist derselbe, er hat uns nur betrügen wollen. Er ist rückwärts von der Straße hinuntergegangen.«

Wir folgten der Fährte, und richtig: der Bär war etwa hundert Schritte rückwärts gegangen, hatte sich dann hinter einer Kiefer umgedreht und war wieder geradeaus weiter gelaufen. Demjan blieb stehen und sagte:

»Jetzt erwischen wir ihn ganz sicher, er kann sich nirgends anders niederlegen als in diesem Sumpf. Wir wollen ihn aufspüren.«

Wir gingen durch den dichten Tannenwald. Ich war schon sehr müde, und es wurde immer schwerer, vorwärts zu kommen. Bald stieß ich an einen Wacholderstrauch und blieb daran hängen, bald kam mir ein junges Tannenbäumchen zwischen die Füße, dann wieder rutschte der Schneeschuh, an den ich nicht gewöhnt war, vom Fuß, oder ich rannte an einen unter dem Schnee versteckten Klotz oder Baumstumpf an. Ich wurde immer müder, zog den Pelz aus, und der Schweiß floß mir in Strömen vom Gesicht. Demjan aber kam vorwärts, als fahre er in einem Boot; es war, als wenn die Schneeschuhe sich von selbst unter ihm fortbewegten. Er blieb nirgends hängen, er verlor den Schuh nicht; jetzt warf er auch noch gar meinen Pelz über die Schulter, und mich trieb er immer wieder an.

Wir machten einen Kreis von ungefähr drei Werst um den ganzen Sumpf herum. Ich fing schon an zurückzubleiben; die Schneeschuhe rutschten, die Füße stolperten. Da blieb Demjan plötzlich vor mir stehen und winkte mir zu. Ich eilte zu ihm, er beugte sich vor, deutete mit der Hand nach vorne und flüsterte:

»Siehst du die Elster, die dort auf dem Baume unruhig schreit? Der Vogel merkt von weitem den Bären, dort muß er sein.«

Wir bogen wieder zur Seite, legten noch eine Werst zurück und kamen wieder auf die alte Fährte. Wir hatten also den Bären im Kreis umgangen und er mußte innerhalb dieses Kreises geblieben sein. Wir blieben stehen; ich nahm die Mütze ab und knöpfte den Rock auf, mir war heiß wie in der Badestube, und naß war ich wie eine Maus. Auch Demjan sah jetzt erhitzt aus und fuhr sich mit dem Ärmel über das Gesicht.

»Na, Herr,« sagte er, »jetzt ist’s getan, jetzt müssen wir uns erholen.«

Das Abendrot leuchtete bereits durch die Bäume. Wir setzten uns auf die Schneeschuhe, um auszuruhen, und nahmen Brot und Salz aus dem Sack; ich aß zuerst etwas Schnee und dann das Brot, und das Brot erschien mir so wohlschmeckend, wie ich im Leben noch keines gegessen hatte. So saßen wir eine Weile da; die Dämmerung sank hernieder; ich fragte Demjan, ob es weit sei bis zum Dorf.

»Zwölf Werst werden’s wohl sein, in der Nacht kommen wir hin, jetzt aber müssen wir ruhen. Zieh’ den Pelz an, Herr, du wirst dich sonst erkälten.«

Demjan brach Tannenzweige ab, befreite sie vom Schnee, bereitete aus ihnen ein Lager, und wir streckten uns nebeneinander aus, die Hände unter dem Kopf verschlungen. Ehe ich mich’s versah, war ich eingeschlafen. Nach zwei Stunden etwa wachte ich auf; irgend etwas hatte geknackt.

Ich hatte so fest geschlafen, daß ich gar nicht wußte, wo ich mich befand. Erstaunt blickte ich mich um. Wo war ich? Weiße Zelte und weiße Säulen über mir und alles flimmert und schimmert! Ich blicke nach oben – weiße Wölbungen. Und zwischen den Wölbungen eine schwarze Decke, an der verschiedenfarbige Feuerchen leuchten. Da erinnerte ich mich, daß wir im Walde waren, und ich begriff, daß ich die beschneiten und bereiften Bäume für Zelte gehalten hatte, und die Feuerchen, das waren die Sterne am Himmel, die durch die Zweige flimmerten.

In der Nacht war Reif gefallen, er lag auf den Zweigen, auf meinem Pelz, auf Demjan, er fiel von oben auf mich herab. Ich weckte Demjan. Wir stellten uns wieder auf die Schneeschuhe und gingen weiter. Ganz still war’s im Wald. Nichts zu hören, als das leise Gleiten der Schneeschuhe über den weichen Schnee; hie und da kracht ein Baum vor Frost, und der Widerhall tönt durch den ganzen Wald. Nur einmal war es, als ob ganz nah von uns etwas Lebendiges sich rührte und dann davonlief. Ich glaubte schon, es sei der Bär. Wir gingen zu der Stelle, von wo das Geräusch gekommen war, und sahen eine Hasenspur und abgenagte Espenbäumchen; die Hasen hatten sich dort gefüttert.

Wir kamen auf die Straße hinaus, banden die Schneeschuhe hinter uns an und schritten weiter. Jetzt war leichtes Vorwärtskommen; die Schneeschuhe glitten klappernd über den eingefahrenen Weg hinter uns her. Der Schnee knirschte unter unseren Stiefeln, der kalte Reif legte sich auf unser Gesicht wie ein Flaum; die Sternlein aber schienen uns förmlich entgegenzulaufen; hier funkelte eines auf, dort verschwand ein anderes, – der ganze Himmel war förmlich in Bewegung.

Mein Kamerad schlief, als wir ankamen, ich weckte ihn auf. Wir erzählten, daß wir nun den Lagerplatz des Bären kannten, und ich befahl dem Wirt, am Morgen die Treiber zu versammeln. Wir nachtmahlten und legten uns zur Ruhe.

Ich hätte vor Müdigkeit bis zu Mittag geschlafen, aber mein Freund weckte mich. Ich sprang auf und sah, daß der Freund schon angezogen war und sich an seinem Gewehr zu schaffen machte.

»Wo ist Demjan?«

»Der ist schon längst im Walde; er war inzwischen auch wieder hier, und jetzt hat er die Treiber an Ort und Stelle geführt.«

Ich wusch mich, zog mich an, lud meine Gewehre, wir setzten uns in den Schlitten und fuhren davon. Es war sehr kalt und windstill, und die Sonne blieb unsichtbar; der Nebel verdeckte sie und es fiel Reif.

Als wir ungefähr drei Werst gefahren waren, kamen wir an den Wald und sahen aus einer kleinen Niederung Rauch aufsteigen. Leute stehen da, Männer und Weiber mit Knütteln. Wir stiegen ab und traten zu den Leuten. Die Bauern sitzen da, braten Kartoffeln am Feuer und scherzen mit den Weibern. Auch Demjan ist unter ihnen. Jetzt erheben sie sich und Demjan stellt sie auf dem Kreise auf, den wir gestern gemacht hatten. Etwa dreißig Personen, Männer und Weiber, gingen einer hinter dem andern in den Wald, bis zum Gürtel im Schnee steckend. Als sie verschwunden waren, folgten mein Freund und ich ihren Spuren. Obgleich sie den Weg eingetreten hatten, war das Vorwärtskommen doch schwer; fallen aber konnte man nicht, denn man ging wie zwischen zwei Mauern dahin. So legten wir eine halbe Werst zurück und bemerkten Demjan, der uns schon auf Schneeschuhen entgegengelaufen kam und uns zu sich heranwinkte. Wir gingen zu ihm und er führte uns auf unsere Standplätze. Ich nahm meinen Platz ein und blickte mich um. Links von mir war hoher Tannenwald, durch dessen Bäume ich weithin sehen konnte; hinter den Bäumen bemerkte ich einen der Treiber. Mir gegenüber befand sich ein mannshoher, dichter, junger Tannenwald mit hängenden Zweigen, von denen der Schnee rieselte. Mitten aus dem Tannenwalde führte ein verschneiter Pfad grade auf mich zu. Auch zu meiner Rechten hatte ich dichten Tannenwald, an dessen Ende sich eine Lichtung zeigte, und auf dieser Lichtung wies Demjan eben meinem Kameraden den Standplatz an.

Ich untersuchte meine beiden Gewehre, spannte den Hahn und überlegte, wo ich mich am besten hinstellen sollte. Drei Schritte hinter mir stand eine große Kiefer. »Ich stelle mich halt an der Kiefer auf und lehne das zweite Gewehr an ihren Stamm,« dachte ich. Ich ging zu der Kiefer, wobei ich bis über die Knie in den Schnee sank, trat mir bei dem Baum einen Platz von etwa anderthalb Ellen glatt und richtete mich dort ein. Das eine Gewehr nahm ich in die Hand, das andere lehnte ich mit gespanntem Hahn an die Kiefer; den Dolch zog ich aus der Scheide und steckte ihn wieder ein, um mich zu überzeugen, daß ich ihn im Falle einer Gefahr leicht herausziehen konnte.

Kaum hatte ich diese Vorbereitungen beendet, als ich Demjan im Walde schreien hörte: »Mach’ dich auf, auf, auf!« Und gleich darauf ertönten die Stimmen der Treiber! »Auf, uuuuuu –!« Die Weiber schrien mit feinen Stimmen: »Ai – i – ai – i – ai – i – ai – i!« Der Bär war also in dem Kreis, und Demjan hatte ihn aufgeschreckt. Rundumher schrie alles; nur mein Freund und ich standen schweigend da, rührten uns nicht und warteten auf den Bären.

Ich stehe da, blicke vor mich hin, horche, und mein Herz klopft laut. Ich halte das Gewehr und zucke von Zeit zu Zeit zusammen. »Gleich, gleich,« denke ich mir, »wird er herausspringen, ich werde zielen, schießen, und er wird tot sein.« – Plötzlich höre ich etwas durch den Schnee herankommen, aber noch weit von mir entfernt. Ich blicke in den Hochwald hinein: fünfzig Schritte vor mir steht hinter einem Baum etwas Großes, Schwarzes. Ich lege an und warte, ob es nicht näher kommen werde. Ich blicke hin, es bewegt die Ohren, dreht sich um und geht zurück. Ich sehe das ganze Tier von der Seite: ein mächtiger Bär. Ich schieße übereilt, ohne recht zu zielen, – paff! – und höre, daß meine Kugel an einen Baum schlägt. Ich sehe durch den Rauch, daß mein Bär zurückeilt und im Walde verschwindet. »Na,« denke ich, »jetzt hab’ ich die Sache verpfuscht, der kommt wohl nicht mehr zu mir; entweder wird mein Freund ihn schießen oder er wird die Reihe der Bauern durchbrechen. Jedenfalls kehrt er nicht wieder.«

Ich stehe da, habe mein Gewehr wieder geladen und horche. Die Bauern schreien von allen Seiten, aber rechts, nicht weit von meinem Kameraden, höre ich eine Bäuerin wie unsinnig rufen: »Da ist er, da ist er, da ist er! Hierher, hierher! Oi, oi! Ai, ai!«

Man merkt, daß sie den Bären vor Augen hat. Ich erwarte ihn also nicht mehr und blicke nach rechts, zu meinem Kameraden. Da sehe ich, Demjan läuft mit einem Stecken zu meinem Kameraden hin, kauert neben ihm nieder und zeigt mit dem Stock, wie er zielen soll. Der Kamerad legt an und zielt dorthin, wohin Demjan zeigt, – paff! – »Na,« denke ich, »der hat ihn totgeschossen.« Aber der Kamerad folgt dem Bären nicht. Ich denke mir: »Also ein Fehlschuß – oder schlecht getroffen, der Bär wird zurückgehen, zu mir aber kommt er nicht mehr.«

Aber was ist das? Vor mir höre ich plötzlich: es kommt etwas herangestampft, ganz in meiner Nähe wirbelt Schnee auf und irgend etwas schnauft. Ich blicke nach vorne und sehe den Bären über den Fußpfad aus dem dichten Tannenwald wütend gerade auf mich zustürzen. Er scheint vor Angst selbst nicht zu wissen wohin. Kaum fünf Schritte vor mir sehe ich die schwarze Brust und den Riesenkopf mit einem rötlichen Fleck. Mit gesenkter Stirn rennt er auf mich los und schmeißt den Schnee nach allen Seiten; ich sehe es ihm an, daß er mich gar nicht bemerkt, sondern im Schreck ins Blaue hineinläuft. Sein Weg führt aber direkt auf den Baum zu, an dem ich stehe. Ich lege an und schieße. Inzwischen ist er noch näher gekommen. Ich habe ihn nicht getroffen; er merkt noch immer nichts von mir und stürzt auf mich los, ohne mich zu sehen. Ich lege das Gewehr direkt an seinen Kopf und drücke ab; ich habe ihn getroffen, aber nicht getötet.

Er hebt den Kopf, legt die Ohren zurück, fletscht die Zähne und kommt auf mich zu. Ich greife nach dem zweiten Gewehr, doch kaum habe ich die Hand ausgestreckt, da ist der Bär auch schon neben mir, wirft mich in den Schnee und setzt über mich hinüber. »Nun,« denke ich mir, »gut, daß er mich hingeworfen hat.« Ich will aufstehen, da merke ich aber, daß mich irgend etwas drückt und nicht aufstehen läßt. Der Bär war nämlich im ersten Sprung über mich hinübergesetzt, hatte sich dann jedoch umgedreht und sich mit aller Macht auf mich geworfen. Ich spüre, auf mir liegt etwas Schweres, ich spüre an meinem Gesicht etwas Warmes, und ich spüre, – wie er mein ganzes Gesicht in seinen Rachen nimmt. Meine Nase steckt schon in seinem Maul und sein heißer, nach Blut riechender Atem umgibt mich. Mit seinen Tatzen drückt er meine Schultern zu Boden, so daß ich mich nicht rühren kann; ich bemühe mich nur, den Kopf so zu drehen, daß ich Augen und Nase aus seinem Rachen befreien kann. Er aber versucht es immer wieder, gerade die Nase und die Augen zu packen. Jetzt schlägt er die Zähne des Oberkiefers in meine Stirn, gleich unterhalb des Haaransatzes, und die Zähne des Unterkiefers in den Kinnbacken unter den Augen. Er versucht die Zähne zusammenzudrücken und beginnt mich zu quetschen; wie mit Messern schneidet es an meinem Kopfe. Ich schlage um mich und suche mich ihm zu entwinden; er aber nagt wie ein Hund an mir herum, und ich höre die Bewegung seiner Kinnladen. Habe ich mich ihm ein wenig entwunden, so packt er mich an anderer Stelle mit neuer Kraft. »Nichts zu machen,« denke ich, »mein Ende ist gekommen.« –

Plötzlich verschwindet die mich drückende Last. Ich sehe den Bären nicht mehr, er hat von mir abgelassen und ist davongerannt.

Als mein Kamerad und Demjan gesehen hatten, daß der Bär mich in den Schnee warf und an mir nagte, waren sie zu mir geeilt. Mein Freund hatte als erster da sein wollen, war aber, anstatt über den eingetretenen Pfad zu laufen, geradeaus durch den Schnee gerannt und hingefallen. Während er sich aus dem Schnee herauswühlte, peinigte der Bär mich weiter. Demjan aber war so, wie er war, ohne Flinte, nur mit dem Stecken in der Hand, über den Fußpfad gelaufen und hatte geschrien: »Er frißt den Herrn auf, er frißt den Herrn auf! O du Ungetüm!« hatte er dem Bären zugerufen, »was machst du? Laß ab, so laß doch ab!«

Der Bär war vor Schreck diesem Befehle gefolgt, hatte von mir abgelassen und war davongerannt.

Als ich mich erhob, war der Schnee so mit Blut getränkt, als wäre dort ein Hammel geschlachtet worden; über meinen Augen hingen Hautfetzen, und das heiße, herabrieselnde Blut ließ mich sogar den Schmerz vergessen.

Nun kam auch mein Freund herbeigelaufen, die Leute sammelten sich um mich, meine Wunden wurden untersucht und mit Schnee gewaschen. Ich selbst aber dachte nicht einmal an die Wunden und fragte nur: »Wo ist der Bär? Wohin ist er gegangen?« Da hören wir ein Geschrei: »Hier, hier ist er!« Und wir sehen, der Bär kommt wieder auf uns zugerannt. Wir griffen nach den Flinten, aber keiner von uns kam zum Schuß, so schnell lief das Tier vorbei. Der wild gewordene Bär hatte wahrscheinlich noch weiter an mir herumbeißen wollen, als er aber die vielen Leute gesehen hatte, war er erschrocken. An seiner Fährte sahen wir, daß er am Kopf blutete; wir wollten ihn verfolgen, aber mein Kopf begann so stark zu schmerzen, daß wir in die Stadt zum Doktor fahren mußten. Der Doktor vernähte meine Wunden mit Seidenfaden und sie heilten bald.

Nach einem Monat wollten wir wieder denselben Bären jagen; aber es gelang mir nicht, ihn zu erbeuten. Er kam aus der Umkreisung nicht heraus, sondern blieb in der Mitte und brüllte mit schrecklicher Stimme. Demjan erlegte ihn. Mein damaliger Schuß hatte ihm den Unterkiefer zertrümmert und einen Zahn ausgeschlagen. Es war ein sehr großes Tier mit prächtigem schwarzem Pelz. Ich ließ einen Teppich aus ihm machen, der jetzt in meinem Zimmer liegt. Die Wunden an meiner Stirn sind verheilt, so daß man nur kaum noch die Stelle findet, wo sie gewesen sind.