DIE BEIDEN GREISE.
Leo Tolstoi
Deutsch von Hanny Brentano
Mit Bildschmuck von Professor A. Brentano
Da sprach das Weib zu ihm: Herr! ich sehe, daß du ein Prophet bist.
Unsere Väter haben auf diesem Berge angebetet und ihr sagt, daß zu Jerusalem der Ort sei, wo man anbeten muß.
Jesus sprach zu ihr: Weib, glaube mir, es kommt eine Stunde, da ihr weder auf diesem Berge noch zu Jerusalem den Vater anbeten werdet.
Ihr betet an, was ihr nicht kennt; wir beten an, was wir wissen; denn das Heil kommt von den Juden.
Aber es kommt eine Stunde und jetzt ist sie da, wo die wahren Anbeter den Vater in Geist und Wahrheit anbeten werden: denn auch der Vater verlangt solche Anbeter.
(Ev. Joh. 4, 19–23.)
I.
Es rüsteten sich zwei Greise, nach dem alten Jerusalem zu ziehen und dort zu Gott zu beten. Der eine war ein reicher Bauer, Jefim Tarassytsch Schewelew mit Namen; der andere, Jelissej Bodrow, war nicht vermögend.
Jefim war ein mäßiger Mensch, trank keinen Schnaps, rauchte keinen Tabak, schnupfte nicht, gebrauchte sein Lebtag kein Schimpfwort; er war ein strenger, charakterfester Mann. Zweimal war er zum Dorfältesten gewählt worden und hatte sein Amt in Ehren verwaltet. Er hatte eine große Familie: zwei Söhne und einen verheirateten Enkel, und alle wohnten sie beisammen. Sein Äußeres war das eines gesunden, stämmigen und bärtigen Mannes, und erst als er die Sechzig überschritten, begann sein Bart zu ergrauen. – Jelissej seinerseits war ein altes Männchen, weder reich noch arm; früher hatte er als Zimmermann gearbeitet, jetzt in seinen alten Tagen blieb er daheim und züchtete Bienen. Der eine Sohn ging auf Erwerb aus, der andere arbeitete zu Hause. Jelissej war ein gutherziger und heiterer Mensch. Er trank hier und da einen Schnaps, schnupfte und sang gern Lieder; dabei war er friedliebend und lebte mit Hausgenossen und Nachbarn in Freundschaft. Er war klein von Wuchs, von dunkler Gesichtsfarbe, mit kurzem, krausem Barte, und hatte gleich seinem Schutzheiligen, dem Propheten Elisäus, eine Glatze über den ganzen Kopf.
Lange schon hatten die beiden Alten ein Gelübde getan und verabredet, mitsammen nach Jerusalem zu pilgern, aber Jefim fehlte es immer an Zeit; in seinen Geschäften trat nie ein Stillstand ein, kaum war das eine beendet, so fing das nächste schon an: da galt’s, den Enkel verheiraten, da den jüngeren Sohn vom Militärdienst zurückerwarten, und schließlich kam er gar auf den Gedanken, ein neues Haus zu bauen.
Einst an einem Feiertage kamen die beiden Alten zusammen, setzten sich auf die Balken und plauderten.
»Na, Gevatter,« sagt Jelissej, »wann werden wir unser Gelübde einlösen?«
Jefim runzelte die Stirn. »Man muß abwarten,« spricht er, »ich hab’ heuer ein schweres Jahr. Hab’ doch mit dem Hausbau begonnen; dachte, so ungefähr mit einem Hunderter auszukommen, und jetzt geht’s schon ins dritte Hundert. Und das ist noch lange nicht genug. Es wird wohl noch bis zum Sommer dauern. Im Sommer aber, so Gott will, gehen wir unbedingt.«
»Meiner Ansicht nach sollten wir’s nicht aufschieben,« meint Jelissej, »wir müßten uns gleich auf den Weg machen. Der Frühling ist doch die beste Zeit dazu.«
»Die beste Zeit wär’s schon, aber die Arbeit ist nun ‘mal im Gange, – wie kann ich sie im Stich lassen?«
»Als wenn du niemand im Hause hättest! Dein Sohn wird schon tun, was zu tun ist!«
»Aber wie wird er’s tun? Mein Ältester ist nicht verläßlich, der macht mir Dummheiten.«
»Wenn wir einst sterben, Gevatter, werden sie auch ohne uns leben. Auch dein Sohn wird’s lernen müssen.«
»Das schon, und doch möchte ich alles unter eigener Aufsicht vollenden lassen.«
»Ach, mein Lieber, mit aller Arbeit wird man ja doch nie fertig! Waschen da neulich meine Weiber zum Feiertag und räumen alles auf: da muß dies gemacht werden und da jenes, die Arbeit nimmt kein Ende. Und schließlich sagt meine älteste Schwiegertochter, ein gescheites Weib: Gott sei Dank, sagt sie, der Feiertag kommt heran und wartet nicht auf uns; denn sonst, sagt sie, könnten wir arbeiten ohne Ende, wir würden doch nicht mit allem fertig werden!«
Jefim wurde nachdenklich.
»Ich hab’ viel Geld für den Bau ausgegeben,« spricht er, »und die Reise kann man doch auch nicht mit leeren Händen antreten. Es wird schon ein Stück Geld kosten, – so hundert Rubel.«
Jelissej lacht auf.
»Versündige dich nicht, Gevatter,« sagt er, »du besitzest zehnmal mehr als ich, und du sprichst vom Geld! Sag’ lieber, wann wir aufbrechen sollen. Ich habe nichts, aber es wird sich schon was finden.«
Da lächelte auch Jefim.
»Sieh ‘mal an, was für ein reicher Mann du bist!« spricht er, »woher wirst du’s denn nehmen?«
»Ich werde zusammenscharren, was ich zu Hause hab’, – wird sich schon was finden; und was noch fehlt – ich verkauf’ halt dem Nachbarn so Stücke zehn von meinen Bienenstöcken, er bittet schon lange darum.«
»Und wenn’s ein guter Schwarm wird, wirst du dich später kränken!«
»Mich kränken? Nein, Gevatter! In meinem ganzen Leben hab’ ich mich noch über nichts gekränkt, außer über meine Sünden. Nichts ist kostbarer als die Seele.«
»Das schon, aber es ist doch auch nicht recht, wenn im Hause Unordnung herrscht.«
»Wenn nur in unserer Seele keine Unordnung herrscht! Das wäre schlimmer! Und da wir’s gelobt haben, so gehen wir! Wirklich, gehen wir doch!«
II.
So überredete Jelissej den Kameraden. Jefim sinnt und sinnt; am nächsten Morgen kommt er zu Jelissej und sagt:
»Na also, gehen wir! Du hast recht: Tod und Leben stehen in Gottes Hand. Solange wir am Leben und bei Kräften sind, müssen wir die Reise machen.«
In einer Woche waren die beiden Alten gerüstet. Jefim hatte Geld im Hause. Er nahm hundert Rubel mit auf den Weg, zweihundert ließ er seiner Frau.
Jelissej war ebenfalls reisefertig. Er hatte dem Nachbarn zehn Bienenstöcke verkauft’ auch die Zuzucht, die von den zehn Stöcken zu erwarten war, sollte dem Nachbarn gehören. Für das alles hatte er siebzig Rubel erhalten. Die übrigen dreißig hatte er daheim von allen zusammengefegt: seine Alte gab ihr letztes Geld her, das sie für ihre Beerdigung gespart hatte, und auch die Schwiegertochter gab, was sie hatte.
Jefim Tarassytsch übergab alle seine Angelegenheiten dem ältesten Sohne: wo und wieviel gemäht werden muß, wohin der Dünger geführt werden soll und wie das Haus fertigzustellen und unter Dach zu bringen ist. Alles hatte er wohl überlegt und angeordnet. Jelissej aber trug seiner Alten nur auf, daß sie die jungen Bienen in den verkauften Stöcken absondern und dem Nachbarn ehrlich abliefern solle, über die häuslichen Angelegenheiten aber verlor er kein Wort: es wird sich ja schon zeigen, was und wie gearbeitet werden muß.
»Ihr seid nun selbst die Herren im Haus, ihr werdet alles so machen, wie’s am besten ist!« sprach er zu den Seinen.
Die beiden Alten brachen auf. Die Ihrigen hatten Pfannkuchen gebacken, Reisesäcke genäht, Fußlappen zurechtgeschnitten. Die Reisenden zogen die neuen Halbstiefel an, nahmen Vorrat an Bastschuhen mit und machten sich auf den Weg. Ihre Hausgenossen begleiteten sie bis vors Dorf und verabschiedeten sich dann von ihnen; so wandelten die Pilger denn dahin.
Jelissej war frohen Sinnes ausgezogen, und als er das Dorf hinter sich hatte, vergaß er all seine Angelegenheiten daheim. Er dachte an nichts anderes, als wie er auf der Reise dem Gefährten gefällig sein konnte, wie er sich hüten wollte, jemand ein grobes Wort zu sagen, wie er in Frieden und Nächstenliebe das Ziel erreichen und wieder heimkehren sollte. So zieht Jelissej des Weges, bald ein Gebet vor sich hinmurmelnd, bald irgend ein Heiligenleben, das er auswendig weiß, hersagend. Trifft er unterwegs jemand oder kehrt er zur Nacht in einer Herberge ein, so bemüht er sich, nur ja recht freundlich zu sein und jedem ein gutes Wort zu sagen. Er wandert dahin und freut sich. Nur eines brachte er nicht fertig: er hatte das Schnupfen aufgeben wollen und die Tabaksdose daheim gelassen, aber nun langweilte er sich. Und als ihm jemand unterwegs Tabak gab, blieb er immer wieder hinter dem Gefährten zurück, den er nicht in Versuchung führen wollte, und schnupfte.
Auch Jefim Tarassytsch schreitet fest und sicher einher, tut nichts Böses und spricht nichts Unnützes; aber in seiner Seele ist nicht die rechte Freudigkeit. Die Sorgen um Haus und Hof gehen ihm nicht aus dem Kopf. Immer muß er daran denken, was jetzt wohl zu Hause geschieht, ob er nicht vergessen hat, dem Sohn einen Auftrag zu geben, und ob der Sohn seine Weisungen auch befolgt. Sieht er unterwegs, wie Kartoffeln gesetzt werden oder wie Dünger geführt wird,– gleich fragt er sich, ob der Sohn diese Arbeiten wohl so verrichtet, wie er’s ihm befohlen hat. Es ist fast, als würde er am liebsten wieder umkehren, alles vormachen oder selber leisten.
III.
Die beiden Alten waren schon fünf Wochen unterwegs, hatten die von daheim mitgenommenen Bastschuhe abgetragen und bereits neue gekauft, da kamen sie nach Kleinrußland. Bisher hatten sie für Nachtlager und Mittagessen zahlen müssen, hier in Kleinrußland aber wetteiferten die Leute, sie zu sich einzuladen. Sie nehmen die Pilger auf, geben ihnen Speise und Trank, verlangen kein Geld dafür und stecken ihnen noch Brot und sogar Pfannkuchen in den Sack.
So waren die Alten etwa 700 Werst gegangen; sie durchquerten noch ein Gouvernement und kamen dann in eine Gegend, wo Mißernte gewesen war. Dort nahm man sie wohl auch auf und ließ sich das Nachtlager nicht bezahlen, aber man gab ihnen nichts zu essen, nicht einmal ein Stück Brot, ja selbst für Geld war oft keins zu bekommen. Im vergangenen Jahr, so erzählte das Volk, war halt gar nichts gewachsen. Leute, die reich gewesen waren, wurden arm, mußten alles verkaufen; andere, die ganz gut gelebt hatten, waren an den Bettelstab gekommen; die Armen aber hatten die Heimat verlassen, um bettelnd durch die Welt zu ziehen, oder sie schlugen sich irgendwie zu Hause durch. Im Winter aßen sie Spreu und Melde.
Einst kehrten die Pilger in einem kleinen Ort ein, kauften etwa fünfzehn Pfund Brot, übernachteten und brachen vor dem Morgenrot wieder auf, um vor der Mittagshitze eine gute Strecke zurückzulegen. Als sie ungefähr zehn Werst gewandert waren, kamen sie an ein Flüßchen, setzten sich nieder, schöpften Wasser in eine Schale, feuchteten ihr Brot an, aßen, bekleideten ihre Füße mit frischen Lappen, saßen da und erholten sich. Jelissej holte die Tabaksdose hervor. Jefim Tarassytsch blickte ihn kopfschüttelnd an.
»Wie kann man nur,« fragt er, »sich etwas so Schlechtes nicht abgewöhnen?«
Jelissej macht eine Bewegung mit der Hand. »Die Sünde hat mich überwältigt,« meint er, »was soll man machen?«
Sie erhoben sich und wandelten weiter. Als sie noch zehn Werst gegangen waren, kamen sie in ein großes Dorf, das sie durchschritten. Es war schon heiß. Jelissej war müde, er hätte gerne geruht und ein wenig getrunken, aber Jefim blieb nicht stehen. Der war besser zu Fuß als Jelissej, dem es oft schwer fiel, dem Kameraden zu folgen.
»Man sollte eigentlich etwas trinken,« sagt Jelissej.
»Gut, trink nur, ich mag nicht,« erwidert Jefim.
Jelissej blieb stehen. »Warte nicht auf mich,« ruft er, »ich lauf’ nur schnell in jene Hütte und trink’ mich satt. Ich hol’ dich gleich wieder ein!«
»Ist recht,« antwortet Jefim und geht allein voraus, Jelissej aber wendet sich der Hütte zu. Jetzt steht er davor. Die Hütte ist klein, unten schwarz, oben weiß angestrichen, aber der Lehm bröckelt bereits ab und man sieht, daß die Farbe lange nicht erneuert wurde; das Dach ist an einer Seite abgedeckt. Der Eingang zur Hütte ist auf der Hofseite. Jelissej betritt den Hof und sieht, neben einer Rasenbank liegt ein Mann; er ist bartlos, hager, und trägt die Beinkleider über dem Hemde, nach kleinrussischer Art. Man sieht’s, der Mann hat sich in den kühlen Schatten gelegt, jetzt aber scheint ihm die Sonne grade ins Gesicht. Er liegt da und schläft nicht. Jelissej ruft ihn an und bittet um einen Trunk, – der Mann antwortet nicht. »Entweder ist er krank oder unfreundlich,« denkt Jelissej und nähert sich der Tür. Er hört, drinnen in der Hütte weinen zwei Kinder. Er klopft an. »Wirtsleute!« – Keine Antwort. Er klopft noch einmal. »Christenleute!« – Niemand rührt sich. »Knechte Gottes!« Alles bleibt still. Schon will Jelissej weitergehen, da ist’s ihm, als wenn hinter der Tür jemand stöhnt. Am Ende ist den Leuten etwas zugestoßen? Man sollte doch nachschauen! – Und Jelissej geht in die Hütte hinein.
IV.
Jelissej drückte auf die Klinke, – die Tür war nicht verschlossen. Er öffnete sie und durchschritt den Flur. Die Tür vom Flur in die Stube ist offen. Links steht der Ofen, rechts im vorderen Winkel der Tisch, über dem die Konsole mit den Heiligenbildern angebracht ist, hinter dem Tisch die Bank. Auf der Bank sitzt, nur mit einem Hemde bekleidet und ohne Kopftuch, eine alte Frau, hat den Kopf auf den Tisch gelegt. Neben ihr kauert ein magerer kleiner Junge, gelb wie Wachs, mit einem dicken Leib. Er zerrt die Alte am Ärmel und schreit, so laut er schreien kann, bittet sie um etwas. – Jelissej betritt das Zimmer. Die Lust ist schlecht und schwer. Da sieht er, auf der Pritsche hinter dem Ofen liegt eine Frau, liegt auf dem Rücken und blickt nicht um sich, stöhnt und streckt den einen Fuß aus wie im Krampfe, zieht ihn wieder zurück, wirft sich von einer Seite auf die andere. Von ihr geht der üble Dunst aus; man sieht, sie ist krank und unsauber, und niemand ist da, der sie pflegen könnte.
Die Alte hob den Kopf und erblickte den Fremden. »Was willst du?« murmelte sie. »wir haben nichts, Freund!«
Jelissej verstand, was sie sagte, trat näher an sie heran und sprach: »Magd Gottes, ich kam nur herein, um mich sattzutrinken.«
»Es ist niemand da, der Wasser holen könnte; es ist auch nichts da, womit man schöpfen sollte. Geh deiner Wege.«
Jelissej begann zu fragen: »Was ist denn? Habt ihr keinen Gesunden im Haus, der die Frau pflegen kann?«
»Niemand ist da. Der Mann stirbt draußen im Hof, wir kommen hier drinnen ums Leben.«
Der Kleine war still geworden, als er den Fremden erblickt hatte, als aber die Alte zu sprechen anfing, faßte er sie wieder am Ärmel. »Brot, Großmutter, gib mir Brot!« schrie er weinend.
Jelissej wollte noch weiter fragen, da wankte der Bauer herein, tappte sich an der Wand entlang und wollte sich auf die Bank setzen, fiel aber zu Boden und blieb liegen. Er begann zu sprechen, mühsam, jedes Wort einzeln hervorstoßend, nach Atem ringend.
»Krankheit und Hungersnot sind über uns gekommen,« sagte er, »der da stirbt vor Hunger!« er deutete mit dem Kopf auf den Knaben und fing an zu weinen.
Da schob Jelissej seinen Reisesack auf dem Rücken hin und her, streckte die Arme aus, warf den Sack auf den Fußboden, hob ihn dann auf die Bank und begann ihn aufzubinden. Als der Sack offen war, nahm Jelissej Brot und ein Messer heraus, schnitt ein gutes Stück ab und reichte es dem Bauern. Der aber nahm es nicht, sondern zeigte aus den Knaben und auf ein kleines Mädchen: »Denen gib!«
Jelissej hielt dem Kleinen das Brot hin. Als das Kind den Brotgeruch merkte, reckte es sich auf, ergriff die Schnitte mit beiden Händchen und verschwand mit dem ganzen Gesichtchen darin. Jetzt kam auch das Mädchen hinter dem Ofen hervorgekrochen und starrte das Brot unverwandt an. Jelissej gab auch der Kleinen, schnitt dann noch ein Stück herunter und reichte es der Alten. Die Alte nahm es und begann zu kauen.
»Wasser müßte man bringen,« meinte sie, »der Mund ist ihnen ganz trocken. Ich wollte gestern – oder war’s heute? Ich weiß wirklich nicht mehr – Wasser holen. Aus dem Brunnen hab’ ich’s wohl heraufgezogen, konnte den Eimer aber nicht tragen, hab’ alles verschüttet und bin selbst hingefallen. Kaum, daß ich dann ins Haus kriechen konnte. Der Eimer ist dort stehen geblieben, wenn ihn nicht jemand genommen hat.«
Jelissej fragte, wo sie den Brunnen haben. Die Alte erklärte es ihm. Er ging hin, fand den Eimer, brachte Wasser herbei und gab den Leuten zu trinken. Die Kinder aßen noch mehr Brot zum Wasser, auch die Alte aß, nur der Bauer wollte nichts. »Es widersteht mir,« sagte er. Die kranke Frau erhob sich gar nicht und kam nicht zum Bewußtsein; sie warf sich auf dem Lager hin und her. Jelissej ging ins Dorf in einen Kaufladen, kaufte Hirse, Salz, Mehl und Butter. Dann suchte er ein Beil auf, spaltete Holz und heizte den Ofen an. Das Mädchen half ihm dabei. Jelissej kochte Suppe und Hirsebrei und gab den Leuten zu essen.
V.
Der Bauer aß ein wenig, auch die Alte aß, und die beiden Kinder leckten gar die Schüssel aus. Dann schlangen sie die Ärmchen umeinander und legten sich zum Schlafe nieder.
Der Bauer und die Alte fingen nun an zu erzählen, wie es mit ihnen gekommen war. »Wir lebten auch früher nicht in Reichtum,« sagten sie, »nun aber ist heuer alles mißraten, und schon im Herbst war alles verzehrt, was wir hatten. Da baten wir die Nachbarn und andere gute Leute um Hilfe. Anfangs gaben sie uns was, dann aber wiesen sie uns ab. Manche von ihnen hätten ja gern geholfen, hatten aber selber nichts. Wir schämten uns auch, immer wieder zu bitten: wir waren ja schon allen etwas schuldig, Geld und Mehl und Brot. Da suchte ich mir Arbeit,« erzählte der Bauer, »fand aber keine. Es verdingen sich überall so viele Leute bloß um das tägliche Brot. Einen Tag arbeitet man, zwei Tage läuft man umher auf der Suche nach Arbeit. Schließlich gingen die Alte und das Mädel betteln, aber sie bekamen nicht viel, kein Mensch hat Brot. Dennoch ernährten wir uns so, hofften uns bis zur neuen Ernte durchschlagen zu können. Im Frühling aber hörten die Almosen ganz auf, und da kam denn auch die Krankheit über uns. Allen, allen ging es schlecht. Einen Tag hatten wir etwas zu essen, – zwei Tage nichts. Wir fingen an, Gras zu essen. Davon oder von sonst etwas erkrankte die Frau und mußte sich niederlegen. Ich selber aber,« sagt der Bauer, »hab’ keine Kraft mehr. Und woher sollte sie denn auch kommen?« – »Nur ich,« spricht die Alte dazwischen, »hielt mich noch, aber dann wurde auch ich matt und schwach, weil ich nichts zu essen hatte. Auch das Mädel hat alle Kraft verloren und ist scheu und ängstlich geworden. Wenn man sie zu den Nachbarn schickte, wollte sie nicht gehen und verkroch sich in einen Winkel. Vorgestern kam die Nachbarin zu uns herein, als sie aber sah, daß wir hungrig und krank sind, kehrte sie um und ging wieder fort. Ihr eigener Mann ist ebenfalls aus dem Hause gegangen, und sie hat nichts, womit sie ihre kleinen Kinder sattmachen könnte. So lagen wir also da und warteten auf den Tod.«
Jelissej hörte ihre Reden an und gab die Absicht auf, seinen Reisegefährten heute noch einzuholen. Er übernachtete in der Hütte. Am andern Morgen stand er auf und machte sich gleich an allerhand häusliche Verrichtungen, als wäre er der Wirt im Haus. Er teigte mit der Alten Brot ein, heizte den Ofen und ging dann mit dem kleinen Mädchen fort, um bei den Nachbarn zu holen, was noch nötig war. Es fehlte ja an allem, nicht das Geringste war da, weder im Haushalt noch an Kleidung, alles war aufgebraucht. Jelissej schaffte also an, was notwendig war: teils machte er es selbst, teils kaufte er es. So blieb Jelissej einen ganzen Tag, dann einen zweiten und dritten. Der kleine Junge wurde kräftiger, fing an, auf der Bank hin und her zu gehen und sich an Jelissej heranzuschmeicheln. Das Mädel aber wurde ganz vergnügt, half bei allem mit und lief immer hinter Jelissej her: »Großvater! Großväterchen!« Auch die Alte erhob sich bald und ging zur Nachbarin, und der Bauer konnte wieder an der Wand entlang gehen. Nur seine Frau lag noch immer, aber auch die kam am dritten Tage zu sich und verlangte zu essen.
»Nun,« dachte Jelissej, »ich glaubte nicht, daß ich hier so viel Zeit versäumen werde; jetzt will ich gehen!«
VI.
Am vierten Tage war gerade Fastenende und Jelissej denkt sich: »Na, jetzt muß ich schon noch mit den Leuten den Schluß der Fastenzeit feiern! Ich will ihnen einiges für den Feiertag kaufen und erst am Abend weiterwandern.« Und er ging wieder ins Dorf, kaufte Milch, weißes Mehl und Speck. Sie kochten und buken, er und die Alte; am Morgen ging Jelissej in die Kirche, kam wieder und feierte mit den Leuten Fastenschluß. An diesem Tage stand auch die Frau auf und begann im Zimmer umherzugehen.
Der Bauer aber rasierte sich, zog ein frisches Hemd an – die Alte hatte es gewaschen – und ging ins Dorf zu einem reichen Bauern, um ihn um eine Gefälligkeit zu bitten. Er hatte dem reichen Bauern nämlich Heuernte und Feldfrucht verpfändet und wollte ihn nun bitten, ob er ihm nicht beides bis zur nächsten Ernte zurückgeben wollte. Am Abend kam er traurig heim, setzte sich nieder und fing an zu weinen: der reiche Bauer hatte kein Erbarmen gehabt; »Bring das Geld!« hatte er gesagt.
Jelissej wurde wieder nachdenklich. »Wie sollen sie jetzt leben?« fragte er sich, »die Leute werden zum Mähen ausziehen, sie aber haben nichts zu mähen: ihre Heuernte ist verpfändet. Der Roggen wird reifen, die Leute werden ihn in die Scheunen führen, – und Väterchen Roggen ist heuer gut gediehen! – sie aber haben nichts zu erwarten: ihr Acker gehört dem reichen Bauern! Wenn ich fortgehe, kommen sie wieder so weit, wie sie waren.«
So quälte Jelissej sich mit allerhand Gedanken und zog am Abend noch nicht weiter, verschob es auf den andern Morgen. Er ging zum Schlafen hinaus auf den Hof, betete, legte sich nieder, konnte aber nicht einschlafen. Eigentlich sollte er fortgehen, er hat ohnedies schon viel Geld und viel Zeit vertan, – aber die Leute erbarmen ihn. »Allen kann man freilich nicht helfen,« sagt er sich; »ich wollte ihnen Wasser bringen und jedem ein Stück Brot geben, und schau, was daraus geworden ist. Jetzt soll ich womöglich Heuernte und Feldfrucht auslösen! Und ist das geschehen, so kann ich den Kindern eine Kuh kaufen und dem Bauern ein Pferd, die Garben einzufahren. Da hast du dich schön verwickelt, Bruder Jelissej Kusmitsch! Liegst vor Anker und weißt dir nicht zu helfen!«
Jelissej erhob sich, nahm den Rock, den er unter seinen Kopf gelegt hatte, rollte ihn auf, holte die Tabaksdose hervor und schnupfte, – hoffte dadurch zu klaren Gedanken zu kommen. Aber nein: er dachte und dachte und konnte keinen Entschluß fassen. Fort muß er, aber die Leute erbarmen ihn. Und so weiß er nicht, was er tun soll. – Er rollte den Rock zusammen, schob ihn unter den Kopf und legte sich wieder nieder. Er lag und lag; die Hähne begannen schon zu krähen, als er endlich einschlummerte. Plötzlich ist’s ihm, als wenn ihn jemand aufwecke, als sehe er sich selbst zur Reise gekleidet, mit Reisesack und Wanderstab; er muß durch ein Tor gehen, und das Tor steht nur so weit offen, daß gerade ein Mensch hindurch kann. Und er geht durch das Tor, bleibt aber an der einen Seite mit dem Reisesack hängen; er will sich losmachen, da bleibt er an der andern Seite mit dem Fußlappen hängen und der Fußlappen löst sich auf. Wieder will er sich losmachen, da bemerkt er, daß er gar nicht hängen geblieben ist, sondern daß das kleine Mädchen ihn festhält und schreit: »Großvater! Großväterchen! Brot!« Er blickt auf seinen Fuß hinab: am Fußlappen hält ihn der Junge fest, aus dem Fenster aber schauen die Alte und der Bauer. – Jelissej erwachte und begann laut mit sich selbst zu reden. »Morgen,« sagte er, »löse ich die Heu- und die Roggenernte aus und kaufe ein Pferd und für die Kinder eine Kuh. Da geht man übers Meer, den Heiland zu suchen, und verliert ihn am Ende in sich selber! Den Leuten muß geholfen werden!«
Jelissej schlief wieder ein und erwachte erst am Morgen. Gleich in der Frühe ging er zu dem reichen Bauern und löste die Ernte aus, dann kaufte er eine Sense – denn auch ihre Sense hatten die armen Leute verkauft – und brachte sie nach Hause. Den Bauern schickte er aufs Feld zum Mähen, selbst aber ging er ins Dorf. Er entdeckte beim Schenkwirt Pferd und Wagen, die zu kaufen waren, erstand beides und ging weiter, um eine Kuh zu kaufen. Jelissej geht die Dorfstraße entlang und holt zwei Bäuerinnen ein, die miteinander schwatzen. Und er hört, daß sie über ihn sprechen. Das eine Weib erzählt:
»Anfangs erkannten sie nicht, was für ein Mensch er ist, dachten, es sei ein gewöhnlicher Pilger. Er ist ins Haus gekommen, sagen sie, um zu trinken, und ist dann bei ihnen geblieben. Alles hat er ihnen gekauft, sagen sie. Ich selbst hab’ gesehen, daß er ihnen heute beim Schenkwirt Pferd und Wagen gekauft hat. Es gibt also auf der Welt auch solche Leute! Man muß hin, ihn anschauen!«
Jelissej hörte das, verstand, daß man ihn lobte, und ging nicht weiter, um die Kuh zu kaufen, sondern kehrte zum Schenkwirt zurück, bezahlte seinen Kauf, spannte das Pferd vor den Wagen und fuhr zur Hütte. Als er bis zum Hoftor gefahren war, hielt er an und stieg ab. Die Hausleute sahen das Pferd und wunderten sich. Es kommt ihnen der Gedanke, daß Jelissej es für sie gekauft haben könnte, aber sie wagen das nicht auszusprechen. Der Bauer geht hinaus, um das Tor zu öffnen.
»Wie kommst du zu dem Pferd, Großväterchen?« fragt er.
»Gekauft hab’ ich’s halt,« erwidert Jelissej, »hab’s billig bekommen. Mähe doch etwas Gras, daß man’s ihm zur Nacht in den Futterkasten schütten kann.«
Der Bauer spannte das Pferd ab. mähte ein Tracht Gras und füllte damit den Futterkasten. Man legte sich schlafen. Jelissej schlief im Freien, nachdem er am Abend auch seinen Reisesack hinausgetragen hatte.
Alles schlief. Da erhob sich Jelissej, band den Sack um, zog seine Schuhe und den Rock an und machte sich auf den Weg, Jefim einzuholen.
VII.
Jelissej war etwa fünf Werst gewandert, als es zu tagen begann. Er setzte sich unter einen Baum, band seinen Reisesack auf und begann zu zählen, wieviel Geld ihm noch geblieben war. Siebenzehn Rubel und zwanzig Kopeken waren es.
»Nun,« denkt Jelissej, »damit komme ich nicht übers Meer. Und im Namen Christi betteln – wenn das nicht am Ende die größere Sünde ist! Gevatter Jefim wird auch allein hinkommen, wird für mich eine Kerze anzünden. Mein Gelübde aber – das seh’ ich wohl – wird mein Lebtag unausgeführt bleiben. Gottlob, der Herr ist barmherzig, – er wird Nachsicht mit mir haben!«
Jelissej erhob sich, warf den Sack auf den Rücken und kehrte um. Um das Dorf aber machte er einen großen Bogen, damit ihn die Leute nicht erblickten. Und bald war er daheim. Der Hinweg war ihm sehr schwer erschienen, mit Anspannung aller Kräfte hatte er sich manchmal hinter Jefim hingeschleppt, – auf dem Rückwege aber half ihm Gott, daß er dahinwanderte, ohne Müdigkeit zu spüren. Geradezu spielend kommt er vorwärts, schwenkt lustig den Wanderstab und legt bis zu siebenzig Werst am Tage zurück. Jelissej kam zu Hause an, als die Ernte schon vorüber war. Die Hausleute freuten sich über die Heimkehr des Alten und fingen an ihn auszufragen: wie und was, weshalb er den Gefährten verlassen habe, warum er nicht ans Ziel gekommen, warum er umgekehrt sei. Jelissej erzählte nicht viel.
»Gott hat mich halt nicht hingeführt,« sagt er; »ich hab’ unterwegs mein Geld verloren und bin hinter dem Kameraden zurückgeblieben. So bin ich denn nicht weitergegangen. Verzeiht mir um Christi willen!«
Er gab seiner Alten das Geld zurück, das ihm noch geblieben war, und fragte nach den häuslichen Angelegenheiten. Alles war in Ordnung, alle Arbeiten waren verrichtet, nichts in der Wirtschaft ward vernachlässigt, und alle leben in Frieden und Eintracht.
Am selben Tage erfuhren auch Jefims Leute, daß Jelissej heimgekehrt war, und sie kamen herbei, ihn nach ihrem Alten zu fragen. Auch ihnen sagte Jelissej:
»Euer Alter ist rüstig gewandert. Wir sind auseinandergekommen, grade drei Tage vor Sankt Peter. Ich wollte ihn dann einholen, aber da passierte es mir, daß ich um mein Geld kam; ich hatte nicht mehr genug zur Weiterreise, so kehrte ich denn um.«
Die Leute wunderten sich: war doch ein gescheiter Mensch – und hatte so dumm gehandelt! War auf die Reise gegangen und nicht ans Ziel gekommen, hatte nur sein Geld angebracht! Sie wunderten sich ein Weilchen und vergaßen dann die Sache. Und auch Jelissej selbst vergaß. Er ging im Hause eifrig an die Arbeit: besorgte mit seinem Sohne den Holzvorrat für den Winter, drosch mit den Weibern das Getreide, deckte die Dächer der Scheunen, pflegte seine Bienen und gab dem Nachbarn die zehn Bienenstöcke samt der Zuzucht. Seine Alte wollte ihm verheimlichen, wieviel Zuzucht die verkauften Stöcke hatten, aber Jelissej wußte selbst, welches die einzelnen und welches die Schwärme waren, und gab dem Nachbarn statt der zehn ganze siebenzehn Stöcke. – So richtete Jelissej sich zum Winter ein; den Sohn schickte er auf Verdienst aus, selbst aber setzte er sich hin, Bastschuhe zu flechten und Bienenstöcke auszuhöhlen
VIII.
Jenen ganzen Tag, an welchem Jelissej in der Hütte bei den kranken Leuten geblieben war, hatte Jefim auf den Kameraden gewartet. Er war nicht weit gewandert und hatte sich dann niedergesetzt, hatte gewartet und gewartet, war eingeschlafen, wieder aufgewacht, hatte noch eine Weile dagesessen, – der Reisegenosse kam nicht. Jefim guckte sich die Augen aus. Schon verbarg sich die Sonne hinterm Baum, – Jelissej kam nicht.
»Er ist doch nicht am Ende an mir vorübergegangen, während ich schlief?« denkt Jefim, »oder vorübergefahren – es kann ihn jemand mitgenommen haben –, ohne mich zu bemerken? Aber er müßte mich doch gesehen haben! In der Steppe sieht man weit. Ich sollte vielleicht zurückgehen? Aber unterdessen geht er wohl noch weiter voraus. Dann verfehlen wir uns und die Sache wird noch schlimmer. Ich gehe lieber weiter, im Nachtquartier treffen wir uns gewiß.«
Er kam in ein Dorf und bat den Gehilfen des Dorfschulzen, wenn ein alter Mann käme, der soundso aussieht, so möge man ihn in dasselbe Haus schicken. Aber Jelissej kam nicht ins Nachtquartier. Jefim zog weiter und fragte alle Leute, ob sie nicht einen alten Mann mit einer Glatze gesehen hatten. Niemand hatte ihn gesehen. Jefim wunderte sich sehr und wanderte allein weiter.
»Irgendwo in Odessa oder auf dem Schiffe werden wir uns wohl treffen,« dachte er und machte sich weiter keine Gedanken.
Unterwegs traf er mit einem Pilger zusammen. Der Pilger trug ein Käppchen und eine Kutte und hatte langes Haar. Er war auf dem Berge Athos gewesen und pilgerte schon zum zweitenmal nach Jerusalem. Sie trafen in einem Nachtquartier zusammen, kamen ins Gespräch und zogen gemeinsam weiter.
Sie kamen glücklich nach Odessa. Dreimal vierundzwanzig Stunden mußten sie auf das Schiff warten. Viele Wallfahrer warteten gleich ihnen. Aus den verschiedensten Gegenden waren sie hier zusammengekommen. Wieder fragte Jefim alle Leute nach Jelissej, – niemand hatte ihn gesehen.
Der fremde Pilger wollte Jefim belehren, wie man ohne Geld die Schiffahrt machen könne, aber Jefim Tarassytsch hörte nicht auf ihn.
»Ich will lieber zahlen,« sagte er, »dazu hab’ ich ja das Geld gespart.« Er bezahlte vierzig Silberrubel für die Reise hin und zurück und kaufte Brot und Häringe als Wegzehrung.
Das Schiff wurde beladen, die Wallfahrer – unter ihnen auch Jefim und der fremde Pilger – schifften sich ein. Dann wurden die Anker gelichtet und das Fahrzeug schwamm hinaus ins Meer. Den Tag über hatten sie gute Fahrt, gegen Abend aber erhob sich der Wind, es regnete, das Schiff begann zu schaukeln und die Wogen schlugen über Bord. Die Leute wurden unruhig, die Weiber fingen an zu schreien, und die ängstlicheren unter den Männern rannten auf dem Schiff hin und her und suchten sich einen sicheren Platz. Auch Jefim ward von Furcht befallen, aber er ließ sich nichts anmerken: da, wo er sich gleich bei seiner Ankunft auf dem Fußboden niedergesetzt hatte, neben einigen alten Männern aus dem Tambowschen Gouvernement, da blieb er auch die ganze Nacht und den folgenden Tag sitzen, hielt seinen Reisesack fest und sprach kein Wort.
Am dritten Tage legte sich der Wind. Am fünften Tage landeten sie in Konstantinopel. Einige der Reisenden gingen an Land und besuchten die Sophienkirche, in der jetzt die Türken die Herren sind; Jefim verließ das Schiff nicht. – Sie lagen vierundzwanzig Stunden vor Anker und fuhren dann weiter übers Meer. Bei Smyrna legten sie noch an und bei Alexandrien und kamen endlich wohlbehalten nach Jaffa. Dort wurden alle Pilger an Land gesetzt. Eine Fußreise von siebenzig Werst stand ihnen bis Jerusalem noch bevor. Auch bei der Landung hatten die Leute viel Angst auszustehen: das Schiff war hoch, und die Leute wurden von oben in ein Boot gestoßen, das Boot aber schwankte hin und her. Da hieß es aufpassen, daß man glücklich ins Boot kam und nicht etwa daneben geriet. Zwei Menschen fielen ins Wasser, aber schließlich kamen doch alle wohlbehalten ans Ufer.
Nach der Landung ward sofort die Fußwanderung angetreten, und am vierten Tage war man vor Jerusalem angelangt. Die Pilger kehrten in der russischen Herberge vor der Stadt ein, ließen ihre Pässe unterschreiben, aßen und gingen zu den heiligen Stätten. Zum Grabe des Herrn war der Zutritt noch nicht erlaubt. Sie begaben sich zuerst zum Patriarchenkloster, beteten, zündeten Kerzen an. Dann besichtigten sie von außen die Auferstehungskirche, in der sich das Grab des Herrn befindet. Auch besuchten sie gleich am ersten Tage die Zelle der heiligen Maria von Ägypten, in welcher sie sich gerettet hatte. Sie stellten wieder Kerzen auf und verrichteten ihre Gebete. Nun wollten sie der Messe am Grabe des Herrn beiwohnen, kamen aber zu spät. Da gingen sie ins Abrahamkloster und zu der Stätte, wo Abraham seinen Sohn dem Herrn opfern wollte, dann zu jener, wo Christus der Maria Magdalena erschienen war, und in die Jakobskirche. Der fremde Pilger zeigte Jefim all diese Stätten und sagte ihm überall, wieviel Geld zu zahlen sei und wo er eine Kerze anzünden müsse. Endlich kehrten sie in die Herberge zurück. Kaum hatten sie ihre Schlafstätten aufgesucht, als der Pilger zu jammern begann und aufgeregt seine Kleider durchsuchte.
»Meine Börse mit dreiundzwanzig Rubeln hat man mir aus der Tasche gestohlen!« rief er, »es waren zwei Zehnrubelscheine und drei Rubel in kleinem Gelde!« Er klagte und schalt, – niemand konnte ihm helfen. Und alle legten sich nieder, um zu schlafen.
IX.
Als Jefim sich niedergelegt hatte, kam eine Versuchung über ihn. »Es ist nicht wahr,« denkt er, »daß man dem Pilger das Geld gestohlen hat, – er hat gar keins gehabt! Er hat nirgends etwas hergegeben. Mir befahl er bald hier, bald da etwas zu spenden; er selbst aber gab nichts her. Und er hat sogar einen Rubel von mir geliehen.«
So denkt Jefim und macht sich dann gleich selber Vorwürfe. »Was?« sagt er sich, »darf ich einen Menschen richten? Ich sündige ja! Will lieber nicht mehr daran denken!« Aber er vergißt sich wieder und es fällt ihm ein, wie genau der Pilger mit dem Gelde war und wie unwahrscheinlich es ist, daß man ihm die Börse gestohlen. »Er hatte ja gar kein Geld,« denkt er wieder, »es ist alles Spiegelfechterei!«
Am Morgen standen sie zeitig auf und gingen zur Frühmesse in die Auferstehungskirche, zum Grab des Herrn. Der Pilger läßt Jefim nicht aus den Augen und geht immer neben ihm her.
Sie kamen an das Gotteshaus. Eine schier unabsehbare Menschenmenge war da versammelt: Wallfahrer und Beter, sowohl russische als griechische und türkische und syrische. Jefim schritt mit der Menge durch die heilige Pforte, vorüber an der türkischen Wache bis zu der Stelle, wo der Erlöser vom Kreuze genommen und gesalbt wurde, und wo in neun großen Leuchtern Kerzen brennen. Dort opferte Jefim eine Kerze. Dann führte ihn der Pilger rechts die Stufen hinauf nach Golgatha zu der Stätte, wo das Kreuz gestanden. Jefim verrichtete sein Gebet. Dann zeigte man ihm die Spalte, wo die Erde sich bis zur Unterwelt aufgetan hatte, dann den Ort, wo Christi Hände und Füße an das Kreuz genagelt worden waren, und schließlich das Grab Adams, auf dessen Gebeine das Blut des Herrn herabgeströmt war. Nun kamen sie zu dem Stein, auf dem der Heiland gesessen hatte, als man ihm die Dornenkrone aufs Haupt gedrückt, zu dem Pfahl, an welchem er gegeißelt worden, und zu jenem andern Stein, in welchem die zwei Abdrücke von den Füßen Christi zu sehen waren. Es sollte noch einiges besichtigt werden, doch da geriet die Menge in Aufregung: alles eilte zu der Höhle mit dem Grabe des Herrn. Dort war eben der Gottesdienst der Andersgläubigen beendet und der griechisch-orthodoxe sollte beginnen.
Jefim betrat mit der Menge die heilige Höhle. Er hätte sich gern von dem fremden Pilger losgemacht – immer noch verfolgten ihn sündige Gedanken über den Fremden –, der aber verläßt ihn nicht und begleitet ihn auch jetzt zum Grabe des Herrn. Sie wollten recht nahe herantreten, es gelang ihnen aber nicht. Die Menge drängte sich so zusammen, daß man schließlich weder vorwärts noch rückwärts konnte. Jefim steht da, schaut nach vorne, betet und tastet dabei immer wieder nach seinem Beutel. Zweierlei geht ihm im Kopf herum; bald denkt er, der Pilger habe ihn betrogen, bald sagt er sich: wenn der Fremde aber nicht lügt, wenn er wirklich bestohlen wurde, so könnte ja auch mir das Gleiche passieren.
X.
So steht Jefim also da, betet und blickt nach vorne in die Kapelle, wo das heilige Grab ist und wo über dem Grabe sechsunddreißig Lampen brennen. Steht da und schaut über die Köpfe hinweg, da – welch ein Wunder! Grade unter den Lampen, ganz vorne, steht ein alter Mann in einem langen Rock aus grobem Bauerntuch, und seine Glatze leuchtet über den ganzen Kopf, ganz wie bei Jelissej Bodrow!
»Der steht dem Jelissej so ähnlich,« denkt Jefim, »aber er kann es ja gar nicht sein! Er kann nicht vor mir hier eingetroffen sein. Das letzte Schiff vor dem unsrigen war ja um eine Woche früher abgegangen. Es ist nicht möglich, daß er mich überholt habe. Auf unserm Schiff aber war er ganz bestimmt nicht. Ich habe jeden einzelnen Pilger gesehen.«
Kaum hatte sich Jefim das gesagt, als der Alte da vorn zu beten anfing und sich dreimal verneigte: einmal vor Gott dem Herrn, dann nach beiden Seiten vor der rechtgläubigen Welt. Und wie er nun den Kopf nach rechts wandte, erkannte Jefim ihn ganz genau. Er ist’s, Bodrow wie er leibt und lebt, mit dem krausen, dunklen Bart und der grauen Stelle an den Wangen, – die Augen, die Nase, das ganze Gesicht, – alles ist Zug für Zug Jelissej Bodrow.
Jefim freute sich, daß er den Kameraden wiedergefunden hatte, und wunderte sich zugleich, wie Jelissej es möglich gemacht hatte, vor ihm ans Ziel zu gelangen.
»Ei sieh den Bodrow!« denkt er, »wie weit nach vorn der geraten ist! Wahrscheinlich hat er jemand gefunden, der ihn gut hingeführt hat. Na, beim Ausgange werde ich ihn treffen, dann lasse ich meinen Begleiter in der Kutte im Stich und schließe mich an Jelissej an, – vielleicht kann er auch mich bis in die vordere Reihe führen.«
Und Jefim schaut beständig hin, um Jelissej nicht aus den Augen zu verlieren. Der Gottesdienst war vorüber, die Menge geriet in Bewegung, drängte sich hinzu, die Heiligtümer zu küssen, und schob dabei Jefim ganz zur Seite. Wieder befiel ihn die Angst, daß ihm sein Geldbeutel gestohlen werden könnte. Er drückte den Beutel mit einer Hand an sich und drängte sich durch die Menge, um ins Freie zu gelangen. Er kam hinaus, ging hin und her, suchte und suchte Jelissej, fand ihn aber nicht. Nun ging er in verschiedene Herbergen, um nach Jelissej zu fragen, – vergebens!
An diesem Abend kam auch der fremde Pilger nicht in die Herberge zurück. Er war verschwunden, ohne den geliehenen Rubel zurückzugeben.
Jefim war nun allein. Am nächsten Tage ging er wieder zum heiligen Grabe mit einem alten Mann aus dem Tambowschen, der mit ihm die Seereise gemacht hatte. Er wollte sich bis in die vorderen Reihen durchschieben, wurde aber wieder zur Seite gedrängt, stellte sich an eine Säule und betete. Er blickt nach vorn – und wieder steht dort unter den Lampen, dicht am Grabe des Herrn, Jelissej Bodrow, hat die Arme ausgebreitet wie ein Priester vor dem Altar, und seine Glatze leuchtet über den ganzen Kopf.
»Na,« denkt Jefim, »diesmal soll er mir aber nicht entkommen!«
Er drängt sich durch die Menge bis nach vorne, – Jelissej ist nicht da! Er muß schon fortgegangen sein.
Jefim blieb sechs Wochen in Jerusalem und war an allen heiligen Stätten: in Bethlehem, in Bethanien, am Jordan; auf ein neues Hemd ließ er sich am Grabe des Herrn einen Stempel aufdrücken, das sollte sein Sterbehemd sein; und aus dem Jordan nahm er sich in einem Fläschchen Wasser mit, auch heilige Erde und geweihte Kerzen kaufte er. All sein Geld gab er aus und behielt nur soviel übrig, wieviel er für die Rückreise brauchte. Er wanderte bis Jaffa, schiffte sich dort ein, fuhr hinüber nach Odessa und machte sich dann zu Fuß auf den Heimweg.
XI.
Jefim wanderte nun allein auf demselben Wege, auf dem er mit Jelissej hingepilgert war. Als er sich der Heimat näherte, überfiel ihn wieder die Sorge, wie es zu Hause ohne ihn gegangen sein mochte. »In einem Jahr«, denkt er, »fließt viel Wasser den Fluß hinab! An einem Haushalt baut man ein ganzes Leben hindurch, aber ihn zum Verfall zu bringen – braucht man nicht lange.« Wie mag der Sohn ohne ihn gewirtschaftet haben? Wie hat sich wohl der Frühling angelassen? Wie hat das Vieh überwintert? Und ob sie das Haus ordentlich fertiggebaut haben?
Jefim kam in die Gegend, wo er sich im vergangenen Jahr von Jelissej getrennt hatte. Die Leute sind nicht wiederzuerkennen. Wer im vorigen Jahr Not gelitten hat, lebt heuer ganz behaglich. Die Feldfrucht ist gut geraten, die Leute sind aus dem Elend herausgekommen und haben die vorjährigen Sorgen vergessen. Jefim kam eines Abends in jenes Dorf, wo Jelissej ihn verlassen hatte. Kaum hatte er die Dorfstraße betreten, als ihm aus einem Häuschen ein kleines Mädel in weißem Hemde entgegensprang und ihm zurief:
»Großvater! Großväterchen! Komm’ doch zu uns herein!«
Jefim will vorübergehen, aber die Kleine läßt es nicht zu, packt ihn am Rockschoß und zieht ihn lachend ins Haus.
Eine Frau mit einem kleinen Knaben tritt auf die Treppe heraus, und auch sie bittet:
»Komm doch herein, Großväterchen, iß mit uns und verbring die Nacht in unsrer Hütte!«
Jefim folgt der Aufforderung. »Ganz gut,« denkt er, »ich werde nach Jelissej fragen. Mir scheint gar, er ging damals in diese selbe Hütte hinein, um zu trinken.«
Jefim trat ein, die Frau nahm ihm den Reisesack vom Rücken, reichte ihm Wasser zum Waschen und setzte ihn an den Tisch. Dann holte sie Milch, Quarkkuchen, Hirsebrei und stellte alles auf den Tisch. Jefim dankte und lobte die Leute, daß sie so freundlich gegen Pilger waren.
Die Frau schüttelte den Kopf. »Wir können nicht anders als freundlich mit den Pilgern sein,« sagte sie, »uns hat ein Pilger das Leben gerettet. Wir lebten so dahin und vergaßen, an Gott zu denken, und da hat uns der Herr so gestraft, daß wir alle dem Tode nahe waren. Im vorigen Sommer waren wir soweit, daß wir alle lagen; wir hatten nichts zu essen und waren krank. Wir hätten sterben müssen, da schickte uns Gott einen alten Mann ins Haus, so einen wie du. Er kam um die Mittagszeit, um einen Trunk zu bitten, sah uns, erbarmte sich unser und blieb bei uns. Er hat uns getränkt und gefüttert und wieder auf die Füße gestellt; er hat unser Land ausgelöst, hat ein Pferd und einen Wagen gekauft und uns geschenkt.«
Jetzt trat die Alte in die Stube und unterbrach die Bäuerin: »Wir wissen selbst nicht,« sagt sie, »ob’s ein Mensch war oder ein Engel Gottes. Alle hatte er lieb, mit allen hatte er Mitleid. Und er ist fortgegangen, ohne uns etwas davon zu sagen, und wir wissen nicht, für wen wir zu Gott beten sollen. Ich weiß es noch wie heute: ich lag da, wartete auf den Tod, – da seh’ ich, es kommt ein alter Mann herein, ein schlichter Mann, mit einer großen Glatze, will Wasser trinken. Ich Sünderin dachte noch: was treiben sich die Leute umher? – Und was hat er getan? Sobald er uns gesehen hatte, warf er den Reisesack von der Schulter, – hier an dieser Stelle hat er ihn hingestellt und aufgebunden.«
Da mischte sich auch das Mädchen ins Gespräch. »Nein, Großmutter,« sagte es, »zuerst stellte er den Sack hier in der Mitte der Stube nieder, dann hob er ihn auf die Bank.« Und sie fingen an zu streiten und all seine Worte und Taten ins Gedächtnis zurückzurufen: wo er gesessen und geschlafen hatte, was er getan und was er diesem oder jenem gesagt.
Zur Nacht kam auch der Bauer selbst mit seinem Pferde heim; auch er erzählte von Jelissej, wie der bei ihnen im Hause geweilt hatte.
»Wäre er nicht hergekommen,« sprach er, »so wären wir alle in Sünden gestorben. Wir waren verzweifelt und dem Tode nahe, murrten gegen Gott und die Menschen. Er aber hat uns aufgeholfen, hat uns Gott erkennen und an gute Menschen glauben gelehrt. Christus gebe ihm die ewige Seligkeit! Wir lebten bis dahin wie das liebe Vieh, er hat uns zu Menschen gemacht!«
Die Leute gaben Jefim zu essen und zu trinken, bereiteten ihm ein Nachtlager und legten sich selbst zur Ruhe.
Jefim liegt da und schläft nicht. Er muß immer wieder daran denken, wie er Jelissej in Jerusalem an heiliger Stätte dreimal in der allerersten Reihe gesehen hatte.
»Auf diese Art also hat er mich überholt!« denkt Jefim; »meine Opfer sind angenommen oder auch nicht, – die seinigen aber hat der Herr sicher angenommen.«
Am andern Morgen verabschiedete sich Jefim von den Leuten. Sie legten ihm Kuchen als Wegzehrung in seinen Reisesack und gingen an ihre Arbeit, Jefim aber zog seines Weges.
XII.
Genau ein Jahr war Jefim unterwegs gewesen, im Frühling traf er wieder zu Hause ein. Der Sohn war nicht daheim, der saß in der Schenke. Als er endlich kam, war er berauscht. Jefim fing an ihn auszufragen und merkte aus allem, daß der Sohn in seiner Abwesenheit nicht gut getan hatte. Das Geld hatte er vergeudet, die Wirtschaft vernachlässigt. Der Vater schalt ihn, der Sohn wurde grob.
»Hättest dich halt selber rühren sollen,« sagte er, »aber du gehst auf und davon und nimmst alles Geld mit, und jetzt stellst du mich zur Rede!«
Der Alte ärgerte sich und prügelte den Sohn durch. Am andern Morgen begab Jefim sich zum Dorfältesten, um seinen Paß abzuliefern. Da kommt er an Jelissejs Gehöft vorüber. Jelissejs Frau steht auf der Vortreppe und begrüßt ihn.
»Gott grüß’ dich, Gevatter!« ruft sie, »hast du deine Reise glücklich zurückgelegt, mein Teurer?«
Jefim bleibt stehen. »Gott Lob, ja!« erwidert er. »Aber deinen Alten hab’ ich verloren, doch ich höre, er ist heimgekehrt.«
Da begann die Alte zu erzählen. Sie war eine Freundin des Schwatzens.
»Er ist heimgekehrt, mein Lieber,« sagt sie, »er ist schon lange heimgekehrt. So kurz nach Mariä Himmelfahrt ist er gekommen. Wie haben wir uns gefreut, daß Gott ihn hergeführt hat! Uns war so bange nach ihm! An Arbeit kann er ja nicht mehr viel leisten, ist doch nicht mehr jung, aber er ist halt das Oberhaupt der Familie, und es ist lustiger bei uns, wenn er da ist. Und wie der Bursche sich gefreut hat! Ohne den Vater, sagt er, ist mir’s wie ohne das Licht im Auge. Ja, bei uns ist’s traurig, wenn der Alte nicht da ist, mein Lieber; wir lieben ihn sehr, – oh wie sehr lieben wir ihn!«
»Sag ‘mal, ist er jetzt daheim?«
»Daheim, mein Teuerster, im Bienengarten, er ordnet die Schwärme. Der Schwarm ist gut, sagt er. Er kann sich gar nicht erinnern, schon je einmal so prächtige Bienen gehabt zu haben, wie sie ihm der liebe Gott diesmal geschickt hat. Nicht nach unsern Sünden behandelt uns der Herr, sagt er. Komm doch herein, mein Lieber, – wie wird er sich freuen!«
Jefim ging durch den Hausflur, über den Hof, hinaus in den Bienengarten zu Jelissej. Er kommt in den Bienengarten und sieht: da steht Jelissej ohne Netz und ohne Handschuhe, im langen grauen Rock, unter der jungen Birke, hat die Arme ausgebreitet und schaut nach oben, und seine Glatze leuchtet über den ganzen Kopf, grade so wie er in Jerusalem am Heiligen Grabe gestanden hat, und über ihm – wie in Jerusalem die Flammen – leuchtet und spielt die Sonne durchs Birkenlaub, und rund um sein Haupt schwirren goldglänzende Bienchen, ohne ihn zu stechen.
Jefim blieb stehen. Jelissejs Alte rief ihren Mann an.
»Der Gevatter ist da!« sagt sie.
Jelissej blickte sich um, eilte dem Gast voller Freuden entgegen und entfernte dabei vorsichtig die Bienen aus seinem Bart.
»Grüß dich Gott, Gevatter! Grüß dich Gott, du lieber Mensch! Ist deine Reise glücklich verlaufen?«
»Die Füße haben halt den Weg gemacht. Ich hab’ auch Wasser aus dem Jordanfluß für dich mitgenommen; komm einmal herüber und hol’ es dir. Freilich, ob der Herr mein Opfer angenommen hat – –«
»Nun, jetzt sei Gott gelobt! Christus sei mit dir!«
Jefim schwieg. Dann sprach er bedächtig: »Mit den Füßen war ich dort, aber ob ich auch mit der Seele dort war, oder ob ein anderer – –«
»Das ist Gottes Sache. Gevatter, das ist Gottes Sache!«
»Auf dem Heimwege bin ich auch in der Hütte eingekehrt, bei welcher du mich verlassen hast – –«
Jelissej erschrak und sagte nur wieder hastig: »Gottes Sache, Gevatter, Gottes Sache! – Hör’, komm doch ins Haus, ich werd’ dir Honig bringen.«
Und so brach Jelissej das Gespräch ab und begann von häuslichen Angelegenheiten zu plaudern.
Jefim seufzte und sprach nicht mehr von den Leuten in jener Hütte und sagte kein Wort davon, daß er Jelissej in Jerusalem gesehen hatte. Und er begriff, daß Gott in dieser Welt einem jeden auferlegt hat, bis zum Tode sein Gelübde zu erfüllen – durch Liebe und gute Werke.