VOM VOLK DER IWANYTSCHE
Maxim Gorky
Es war einmal ein bemerkenswertes Volk, – die Iwanytsche! Was man denen auch antat, – sie wunderten sich über nichts!
Sie lebten eng umringt von den »Umständen«, die von allen Naturgesetzen völlig unabhängig waren. Diese »Umstände« machten mit den Iwanytschen alles, was sie wollten und konnten, – sie zogen ihnen sieben Felle über die Ohren und fragten dann grimmig:
»Wo ist das achte?«
Ohne sich zu wundern, antworteten die Iwanytsche demütig den Umständen:
»Das ist noch nicht gewachsen, Eure Exzellenzen! Warten Sie bitte noch ein Weilchen …«
Die Umstände aber warteten ungeduldig auf das Wachsen des achten Felles und prahlten schriftlich und mündlich vor ihren Nachbarn:
»Unsere Bevölkerung ist sehr zum Gehorsam veranlagt. Man kann mit ihr machen, was man will, sie wundert sich über nichts. Bei uns ist es nicht so wie zum Beispiel bei euch.«
So lebten also die Iwanytsche, arbeiteten ein bißchen, zahlten Steuern und Abgaben und gaben Schmiergelder, wem sie zukamen. In der von solchen Beschäftigungen freien Zeit beklagten sie sich untereinander:
»Schwer haben wir es, Brüder.«
Die Klügeren aber sagten voraus:
»Es wird noch viel schwerer werden!«
Manchmal fügte auch einer noch zwei, drei Wörtchen hinzu, und von einem solchen Manne sagten die andern dann ehrerbietig:
»Der hat den Punkt aufs I gesetzt.«
Die Iwanytsche gingen sogar soweit, daß sie ein großes Haus in einem Garten mieteten und besondere Leute hineinsetzten, die sich tagtäglich in der Redekunst übten und Punkte auf die I’s setzten.
So an die 400 Mann versammelten sich in diesem Hause. Vier von ihnen aber fingen an, Punkte zu machen wie die Fliegen. Sie machten soviel Punkte wie von der Polizei – aus Neugier – erlaubt wurden und prahlten im ganzen Lande:
»Wir machen jetzt mächtig Geschichte.«
Aber die Polizei sah in dieser Betätigung einen Skandal. Und als sie einmal einen Punkt über einen andern Buchstaben machen wollten, erklärte die Polizei sehr energisch:
»Bitte gefälligst das Alphabet nicht zu verhunzen! Macht, daß ihr nach Hause kommt.«
Sie wurden weggejagt. Doch sie trösteten einander, ohne sich zu wundern:
»Das macht nichts. Alle diese Gemeinheiten tragen wir, jenen zur ewigen Beschämung, ins Buch der Geschichte ein.«
Die Iwanytsche aber versammelten sich jetzt insgeheim zu zweien oder zu dreien in ihren Wohnungen und flüsterten, – auch ohne sich zu wundern:
»Unsere Erwählten hat man wieder der Gabe des Wortes beraubt!«
Die Dreisten und die Heißsporne raunten sich zu:
»Für die Umstände ist eben kein Gesetz geschrieben.«
Überhaupt trösteten sich die Iwanytsche gern mit Sprichwörtern. Wenn einer von ihnen wegen einer zufälligen Nichtübereinstimmung mit den Umständen ins Gefängnis gesteckt wurde, philosophierten sie demütig:
»Was deines Amtes nicht ist, da lasse deinen Vorwitz!«
Und manche von ihnen sagten schadenfroh:
»Schuster, bleib bei deinen Leisten!«
So lebten die Iwanytsche, so lebten sie und erlebten es auch schließlich, daß alle Punkte auf die Is gesetzt waren. Da hatten die Iwanytsche nichts mehr zu tun!
Da sahen aber auch die Umstände ein, daß das alles doch zu nichts führte, und sie erließen im ganzen Lande ein sehr strenges Gesetz:
»Von heute an ist es allenthalben verboten, Punkte auf die Is zu setzen, und es dürfen fortan keinerlei Punkte, ausgenommen diejenigen der Zensur, unter den Bürgern in Gebrauch sein. Übertreter dieses Verbotes unterliegen den von den strengsten Paragraphen des Strafgesetzbuches angedrohten Strafen.«
Da wurden die Iwanytsche ganz toll! Was tun?
Was anderes hatten sie nie gelernt, sie konnten nur das eine, – und das war nun auch verboten!
Also versammelten sie sich insgeheim zu zweien in dunklen Winkeln, und überlegten im Flüsterton, wie die Poschechonier Poschechonien, das Land der Narren, das russische Schildain der Anekdote:
»Iwanytsch! Wenn nun aber? … Das heißt, Gott behüte, der Herr bewahre uns!«
»Was denn?«
»Ich meine ja nicht etwa, daß es mal so kommt … Wenn aber doch …«
»Gott mag wissen, was kommt … Aber so etwas, – nein, um nichts in der Welt! Ja nicht! … Du meinst also …«
»Ich habe nichts gesagt! … Ich meine gar nichts! …«
Und weiter konnten sie keine Worte sagen …