Herman Melville

Es liegt nicht weit von Temple Bar.

Geht man auf dem gewöhnlichen Wege hin, ist es, als komme man aus einer heißen Ebene allmählich in ein kühles, tiefes, schattig zwischen beschützenden Hügeln gelegenes Tal.

Ganz elend von dem Lärm und bespritzt mit dem Schmutz von Fleet Street – wo die unverheirateten Geschäftsleute mit Hauptbuchfurchen zwischen den Brauen vorbeieilen, über das Steigen des Brots und die geringe Nachfrage nach Babys nachdenkend – biegst du geschickt um eine geheimnisvolle Ecke – keine Straße –, wandelst einen düsteren, mönchischen Weg hinunter, der von dunkeln, ruhigen, feierlichen Pfeilern flankiert ist, und immer weiter gehend, kehrst du der ganzen sorgenvollen Welt den Rücken und stehst befreit zwischen den stillen Kreuzgängen des Paradieses der Junggesellen.

Schön sind die Oasen der Sahara, bezaubernd die Bauminseln der Prärien im August, lieblich ist reine Wahrhaftigkeit unter tausend Perfidien, aber schöner, bezaubernder, lieblicher ist das träumerische Paradies der Junggesellen in dem steinernen Herzen des betäubenden London.

Geh in milder Nachdenklichkeit durch die Kreuzgänge, erfreue dich, genieße deine Muße in den Gärten nach dem Wässer zu, verweile in der alten Bibliothek, verrichte deine Andacht in der mit Skulpturen geschmückten Kapelle, aber mit alledem hast du noch wenig gesehen, weißt noch gar nichts, hast den lieblichen Kern noch nicht gekostet, bis du mit den vereinten Junggesellen diniert, ihre festlichen Augen und Gläser hast funkeln sehen: Diniere nicht im Semester in dem geschäftigen gemeinsamen Eßsaal in der Halle, sondern in Ruhe, persönlich aufgefordert, an einem privaten Tisch, gastfreundlich eingeladen von einem kultivierten Templer.

Templer? Das ist ein romantischer Name. Laß sehen. Brian de Bois Gilbert war ein Templer, glaube ich. Will jemand behaupten, diese berühmten Templer lebten noch in unserm modernen London? Kann man noch ihre Sporen klirren, ihre Schilde rasseln hören, wenn die mönchischen Ritter in ihrer Rüstung betend vor der geweihten Hostie knieen? Gewiß wäre es ein sonderbarer Anblick, einen mönchischen Ritter den Strand hinunter gehen zu sehen, während sein schimmernder Panzer und sein schneeweißer Waffenrock von einem Omnibus bespritzt würden. Dazu noch, der Ordensregel entsprechend, langbärtig – wie würde der finstere Geist sich unter den kurzgeschnittenen, glattrasierten Bürgern ausnehmen? Traurig erzählt es die Geschichte, und wir wissen in der Tat, daß ein moralischer Makel zuletzt die Brüderschaft befleckte. Kein feindliches Schwert konnte im Kampf ihrer Herr werden, aber der Wurm der Üppigkeit kroch unter ihren Panzer, nagte an ihrer Ritterehre, nagte an ihrem Mönchsgelübde, bis schließlich die mönchische Enthaltsamkeit zur Schwelgerei erschlaffte und aus den geschworenen ritterlichen Junggesellen Heuchler und Lumpen wurden.

Doch bei alledem sind wir gar nicht darauf vorbereitet, zu erfahren, daß sich die Tempelritter (wenn es überhaupt noch welche gibt) so verweltlicht haben, daß sie, anstatt das Schwert zu schwingen, um in glorreichem Kampf um das heilige Land unsterblichen Ruhm zu erwerben, sich damit begnügen, am Eßtisch einem Hammelbraten mit dem Tranchiermesser zu Leibe zu gehen. Halten es diese degenerierten Templer von heute, wie Anakreon, für schöner, bei einem Bankett unter den Tisch, als in der Schlacht zu fallen? Aber wie kann es überhaupt noch einen Überlebenden des berühmten Ordens geben? Templer im modernen London! Templer mit rotbekreuzten Mänteln Zigarren rauchend im Gasthaus zum Diwan? Templer, die sich so dicht in der Eisenbahn drängen, bis der ganze Zug vor lauter Eisenhelmen, Speeren und Schilden wie eine verlängerte Lokomotive aussieht!

Nein! Der echte Templer ist langst verschwunden. Besieh dir die wundervollen Gräber in der Templerkirche. Betrachte dort die steif-hochmütig ausgestreckten Gestalten, die Arme über dem stillen Herzen gekreuzt, in ewiger, raumloser Ruhe. Die tapferen Tempelritter gehören ebenso der Vergangenheit an, wie die Jahre vor der Sintflut. Nichtsdestoweniger ist geblieben der Name, die mit ihm benannte Gesellschaft, die alten Grundstücke und einige der alten Gebäude. Doch aus dem Eisenschuh ist ein Lackschuh geworden, aus dem langen zweihändigen Schwert ein einhändiger Gänsekiel. Der einst als eine Art Mönch gratis geistliche Ratschläge gab, berät jetzt gegen ein Honorar. Der Verteidiger des Sarkophags (wenn waffengeübt) hat jetzt mehr als einen Fall zu verteidigen. Der kühne Befreier und Wächter aller Heerstraßen zum Heiligen Grabe hat jetzt die besondere Aufgabe, an allen Gerichtshöfen und auf allen Wegen des Gesetzes hemmend, störend, hindernd und verwirrend zu wirken. Der ritterliche Bekämpfer der Saracenen, der in Akka den Speerspitzen die Brust bot, ficht jetzt mit Spitzfindigkeiten in Westminster Hall. Aus dem Helm ist eine Perücke geworden. Berührt vom Zauberstab der Zeit hat sich der Templer heute in einen Juristen verwandelt.

Doch wie es vielen andern geht, die von der stolzen Höhe des Ruhms abgestürzt sind – wie der Apfel am Ast hart, auf dem Erdboden mürbe ist – hat sein Sturz aus dem Templer nur einen wertvolleren Menschen gemacht.

Ich wage, zu behaupten, daß diese alten kriegerischen Priester bestenfalls barsch und verdrießlich waren. Ihre Arme staken in Birminghamer Eisenware, wie hätten sie, eingepreßt, wie sie waren, dir oder mir herzlich die Hand schütteln können? Ihre stolzen, ehrgeizigen Mönchsseelen waren hart verschlossen wie mit Meßbuchschließen; ihre Gesichter selbst staken wie in Granatenhülsen. Was waren das nur für vielseitige Leute? Aber der beste Kamerad, der liebenswürdigste Gastgeber, der prächtigste Tischgenosse ist der moderne Templer. Sein Witz und sein Wein funkeln um die Wette.

Die Kirche und die Kreuzgänge, die Höfe und Gewölbe, die Gäßchen und Gänge, die Bankettsäle, Refektorien, Bibliotheken, Terrassen, Gärten, breiten Wege, Wohnungen und Erholungsräume, das alles nimmt eine sehr große Grundfläche ein, ist aber eng beieinander um einen Mittelpunkt gruppiert und gänzlich von dem Geräusch der sie umgebenden Altstadt abgeschlossen. Und da hier alles den besonderen Stempel des Junggesellenlebens trägt, bietet kein anderer Teil von London ruhigen Menschen ein so angenehmes Refugium.

Wirklich eine Stadt für sich ist der Tempel. Eine Stadt mit allem und dem besten Zubehör, wie die obige Aufzählung zeigt. Eine Stadt mit dazugehörigem Park, Blumenbeeten und einem Flußufer – die Themse fließt an der einen Seite so offen vorbei wie an dem ersten Garten Eden der milde Euphrat. In dem Tempelgarten, wo einst die alten Kreuzritter sich auf ihren Streitrossen im Lanzenkampf übten, lungern jetzt die modernen Templer auf den Bänken unter den Bäumen herum, wippen mit ihren Lackschuhen, unterhalten sich lustig und üben sich dabei in Schlagfertigkeit.

Lange Reihen stattlicher Porträts zeigen in den Banketthallen, welche großen Männer von Bedeutung – berühmte Adlige, Richter, Lord Kanzler – zu ihrer Zeit Templer waren. Nicht alle Templer sind berühmt geworden, wenn jedoch ein warmes Herz und noch wärmeres Entgegenkommen, reiche Kenntnisse und noch reichere Keller zu haben, guten Rat und herrliche Diners, gewürzt mit sprühenden Unterhaltungen voll Heiterkeit und Phantasie, zu geben, unsterbliche Verdienste sind, dann, ihr Musen, verzeichnet die Namen von R. F. C. und seinem kaiserlichen Bruder.

Obwohl man, um es zum wirklichen Templer zu bringen, unbedingt Jurist sein oder Jura studieren und feierlich in den Orden aufgenommen werden muß, und während viele, obgleich sie Templer sind, nicht im Bezirk des Tempels wohnen, obschon sie dort vielleicht ihre Kanzlei haben, wohnen doch andererseits manche in den altersgrauen Wohnungen, die keine erklärten Templer sind. Wenn Sie als müßiger Gentleman und Junggeselle oder als stiller, unverheirateter Literat, entzückt von der lieblichen Abgeschiedenheit der Örtlichkeit, den Wunsch haben, Ihr schattiges Zelt zwischen den übrigen in diesem erhabenen Lager aufzuschlagen, dann müssen Sie mit einem Mitglied des Ordens besondere Freundschaft schließen und ihn veranlassen, auf seinen Namen, aber auf Ihre Kosten, irgend ein freies Zimmer zu mieten, das Ihnen gerade zusagt.

So machte es, denke ich, Dr. Johnson, nominell junger Ehemann und Witwer, eigentlich aber Junggeselle, als er eine Zeitlang dort wohnte. So machte es auch jener unbestrittene Junggeselle, Charles Lamb, die vortreffliche gute Seele. Und hundert andere, wackere Leute, Brüder vom Orden des Cölibats, haben von Zeit zu Zeit dort diniert, geschlafen und gewohnt. In der Tat ist das Ganze eine Honigwabe von Kanzleien und Wohnungen. Wie jeder Käse ist es in allen Richtungen durchlöchert von den schmucken Junggesellenzellen. Teurer, geliebter Ort! Ach, wenn ich an die herrlichen Stunden im Genuß so fröhlicher Gastfreundschaft dort unter jenen ehrwürdigen Dächern denke, findet mein Herz nur in der Poesie angemessenen Ausdruck, und mit einem Seufzer singe ich leise: »Bringt mich wieder nach dem alten Virginien zurück!«

So also ist im großen und ganzen das Paradies der Junggesellen. Und so fand ich es eines schönen Nachmittags im lieblichen Monat Mai, als ich mich von meinem Hotel am Trafalgar Square aufmachte, um eine Verabredung zum Essen einzuhalten, die ich mit dem kultivierten Barrister, Junggesellen und Richter, R. F. C. (er ist das erste und zweite und sollte das dritte sein, wozu ich ihn hiermit vorschlage) hatte, dessen Karte ich fest zwischen meinem behandschuhten Daumen und Zeigefinger geklemmt hielt, dann und wann wieder einmal rasch auf die erfreuliche Adresse blickend, die unter dem Namen geschrieben war: ›No –, Elm Court, Temple‹.

Im Grunde war er ein wirklich freimütiger, sorgloser, richtig gemütlicher und sehr umgänglicher Engländer. Wenn er beim ersten Kennenlernen zurückhaltend erschien, geradezu eisig in seinem Wesen – Geduld, dieser Champagner will auftauen. Und tut er es nicht, besser gefrorener Champagner als flüssiger Essig.

Neun Herren nahmen am Essen teil, lauter Junggesellen. Einer war von ›No – King’s Bench Walk, Temple‹; ein zweiter, dritter, vierter und fünfter von verschiedenen Höfen oder Passagen, die auf ebenso klangvolle Silben getauft waren. Sie bildeten wirklich eine Art Junggesellensenat, von den weit verstreuten Distrikten zu diesem Essen entsandt, um die gesamte Junggesellenschaft des Tempels zu repräsentieren. Ja, die Gäste stellten sogar als Vertreter ein Großparlament der besten Junggesellen von ganz London dar; einige der Anwesenden waren aus entfernten Stadtvierteln, berühmten, uralten Wohnsitzen von Juristen und unverheirateten Männern – Lincoln’s Inn, Furnival’s Inn, und ein Gentleman, auf den ich mit einer Art indirekter Ehrfurcht blickte, kam daher, wo Lord Verulam einst als Junggeselle verweilte – aus Gray’s Inn.

Die Wohnung lag beinahe im Himmel. Ich weiß nicht, wieviel seltsame alte Stiegen ich erklommen habe, um hinzukommen. Aber ein gutes Essen in erlesener Gesellschaft will wohl verdient sein. Kein Zweifel, unser Gastgeber hatte sein Eßzimmer in der Absicht so hoch gelegt, seinen Gästen vor Tisch die körperliche Anstrengung zu verschaffen, die für den Appetit und die Verdauung nötig ist.

Die Einrichtung war wundervoll anspruchslos, alt und gemütlich. Kein funkelnagelneu glänzendes Mahagoni, klebrig von noch nicht getrocknetem Firniß. Keine unbequeme, luxuriöse Ottomane, keine Sofas, zu fein um benützt zu werden, ärgerten einen in dieser ruhigen Wohnung. Es gibt etwas, das jeder vernünftige Amerikaner von jedem vernünftigen Engländer lernen könnte, nämlich, daß Glanz und Glitzern, Tand und Spielereien nicht unbedingt für die häusliche Behaglichkeit nötig sind. Der amerikanische Junggeselle erwischt in der Stadt eine harte Kotelette in einem vergoldeten Schaukasten; der englische diniert behaglich daheim von seinem unvergleichlichen Southdownhammel, auf glatten Tannendielen.

Die Zimmerdecke war niedrig. Wer möchte unter der Kuppel von Sankt Peter dinieren? Hohe Decken? Ist das Ihr Wunsch, scheinen sie Ihnen je höher, je besser, und Sie sind so besonders groß, dann speisen Sie mit der ragenden Giraffe im Freien.

Schließlich saßen die neun Herren vor neun Kuverts und waren bald mitten drin.

Wenn ich mich recht erinnere, leitete eine Ochsenschwanzsuppe das Gefecht ein. Zuerst mußte ich wegen ihres Hauptbestandteils an die schnalzende Peitsche eines Fuhrmanns denken, doch die braungoldene Farbe und der angenehme Duft zerstreuten diesen Eindruck. (Als Intermezzo tranken wir hier ein Gläschen Rotwein.) Der nächste Tribut ward Neptun gezollt – als zweites Gericht kam Steinbutt; schneeweiß, flockig, gerade gallertartig genug, nicht zu schildkrötenähnlich in seiner Fettigkeit.

(An dieser Stelle erfrischten wir uns mit einem Glase Sherry.)

Nachdem diese leichten Plänklertruppen verschwunden waren, fuhr die schwere Artillerie des Festes auf, angeführt von dem wohlbekannten englischen Generalissimus Roastbeef. Als Adjutanten hatten wir Hammelrücken, einen gut gemästeten Truthahn, Hühnerpastete und ungezählte andere leckere Dinge, während als avant-couriers neun silberne Becher mit schäumendem Ale ankamen. Sobald das schwere Geschütz auf der Spur der leichten Plänkler abgezogen war, schlug eine Elitebrigade von wildem Geflügel auf dem Tisch ihr Lager auf, als dessen Bivouakfeuer die glühend roten Karaffen leuchteten.

Mürbekuchen und Puddings folgten, von ungezählten Leckereien begleitet, dann Käse und Biskuits. (Nur der Etikette zuliebe, lediglich um die guten, alten Sitten aufrecht zu erhalten, tranken wir hier jeder ein Glas guten, alten Portwein.)

Nun wurde das Tischtuch weggenommen; und wie Blüchers Armee am Abend der Schlacht von Waterloo, marschierte ein frisches Detachement von Flaschen auf, staubig von ihrem Eilmarsch.

Alle diese Manöver der Streitmacht wurden beaufsichtigt von einem erstaunlichen alten Feldmarschall (ich kann es nicht über mich bringen, ihn mit dem ruhmlosen Namen Kellner zu bezeichnen) mit weißen Haaren, einer Serviette und einem Kopf wie Sokrates. Inmitten aller Fröhlichkeit des Festes, in wichtige Geschäftigkeit versunken, verschmähte er es, zu lächeln. Verehrungswürdiger Mann!

Mit dem obigen habe ich versucht, eine schwache Ahnung von dem Operationsplan zu geben. Doch jedermann weiß, ein gutes, herzerwärmendes Diner ist ein Durcheinander, eine unbeschreibliche Angelegenheit, ganz unmöglich in seinen Einzelheiten zu schildern. So sprach ich davon, daß wir ein Glas Rotwein tranken und ein Glas Sherry und ein Glas Portwein und einen Becher Ale – alles zu bestimmten Gelegenheiten und Augenblicken. Doch das waren sozusagen nur die Staatshumpen. Zwischen diesen großen, imposanten Ereignissen wurden unzählige Gläser aus dem Stegreif geleert.

Die neun Junggesellen schienen gegenseitig zärtlich um ihre Gesundheit besorgt zu sein. Die ganze Zeit über drückten sie beim strömenden Wein mit größter Aufrichtigkeit die ernsthaftesten Wünsche für das vollständige Wohlergehen und die dauernde Gesundheit ihrer Nachbarn zur Rechten und zur Linken aus. Ich bemerkte, daß wenn einer dieser freundlichen Junggesellen (wie Timotheus allein seines Magens wegen) ein wenig mehr Wein wünschte, er sich diesen Wunsch nicht erfüllte, ohne daß ein anderer mittat. Es schien für undelikat, selbstsüchtig und unbrüderlich zu gelten, sich bei einem einsamen Glas ertappen zu lassen, an dem niemand teilnahm. Inzwischen verstieg sich, während der Wein floß, die Laune der Gesellschaft mehr und mehr zu vollendeter Harmonie und Zwanglosigkeit. Alle möglichen amüsanten Geschichten wurden erzählt. Ausgesuchte Erlebnisse wurden nun hervorgeholt, wie besondere Marken von Mosel- oder Rheinwein, die man für eine auserlesene Gesellschaft aufbewahrt hat. Einer erzählte von seinem beglückenden Studentenleben in Oxford, mit verschiedenen gewürzten Anekdoten von den offenherzigsten edlen Lords, ihren großzügigen Kameraden. Ein anderer Junggeselle, ein grauhaariger Mann mit sonnigem Gesicht, der, wie er selbst sagte, jede günstige Gelegenheit ergriff, in die Niederlande hinüberzufahren, zur plötzlichen Inspektion der schönen, alten vlämischen Architektur dort – dieser gelehrte, grauhaarige, sonnige alte Junggeselle glänzte in Beschreibungen von Zunfthäusern, Rathäusern und Statthalterhäusern, die im Lande der alten Vlaamen zu sehen sind. Ein dritter war häufiger Besucher des Britischen Museums und wußte genau über Dutzende von wundervollen alten Kunstwerken Bescheid, über orientalische Manuskripte und kostbare Bücher, von denen man nur ein Exemplar kennt. Ein Vierter war kürzlich von einer Reise nach Alt-Granada zurückgekehrt und natürlich ganz erfüllt von allem Sarazenischen. Ein Fünfter hatte einen drolligen Rechtsfall zu erzählen. Ein Sechster war Weinkenner. Ein Siebenter erzählte eine seltsame Anekdote aus dem Privatleben Wellingtons, die nie gedruckt und bisher nie in irgend einem öffentlichen oder privaten Kreise mitgeteilt worden war. Ein Achter hatte sich in letzter Zeit abends damit unterhalten, ein komisches Gedicht von Pulci zu übersetzen. Er zitierte uns die amüsantesten Stellen.

Und so verging der Abend, dessen Stunden nicht wie bei König Alfred eine Wasseruhr, sondern ein Weinchronometer maß. Inzwischen schien der Tisch eine Art Heide von Epsom geworden zu sein, ein wahrer Cirkus, in dem die Karaffen herumgaloppierten. Aus Furcht, eine Karaffe könne nicht rasch genug ihren Bestimmungsort erreichen, wurde ihr eine andere nachgeschickt, um ihr Tempo zu beschleunigen, dann eine dritte, um die zweite anzufeuern, und endlich noch eine vierte und fünfte. Und bei alledem nichts Lautes, nichts Unmanierliches, kein Tumult. Bei dem strengen Ernst und der erhabenen Miene des Feldmarschalls Sokrates bin ich gewiß, hätte er in dem Kreise, den er bediente, irgend einen Verstoß gegen die guten Manieren entdeckt, wäre er sofort, ohne ein Wort zu verlieren, weggegangen. Wie ich später erfuhr, hatte während des Mahls in einem Nebenzimmer ein kranker Junggeselle seinen ersten gesunden, erfrischenden Schlummer nach drei langen schweren Wochen genossen.

Es war die vollendete, friedliche Versenkung in gutes Leben, gutes Trinken, gute Gefühle und gute Unterhaltung. Ein Kreis von Brüdern waren wir. Wohlbehagen – brüderliches, häusliches Wohlbehagen war der Grundzug des Ganzen. Man konnte leicht sehen, daß diese gelassenen Männer nicht sorgenvoll an Frauen und Kinder zu denken brauchten. Fast alle reisten außerdem gern; denn nur Junggesellen können frei umherreisen, ohne Gewissensbisse, ihre Häuslichkeit verlassen zu haben.

Was die Menschen Schmerz nennen, der kleine Ärger des Alltags – das beides erscheint der Vorstellung dieser Junggesellen als unsinnige Legende. Wie könnten Männer von großzügiger Denkweise, reifem Wissen, umfassender Philosophie und Sinn für Geselligkeit, wie könnten sie es sich erlauben, auf solche Mönchsfabeln hereinzufallen? Schmerz! Ärger! Ebensogut könnte man von katholischen Wundern reden! Nichts dergleichen. – Reichen Sie mir, bitte, den Sherry, Sir. – Pah, pah! Gibt’s nicht! – Den Portwein, Sir, wenn ich bitten darf. Unsinn. Sagen Sie nicht so etwas. – Ich glaube, Sir, die Karaffe ist bei Ihnen stehen geblieben.

Und so ging der Abend hin.

Nicht lange, nachdem das Tischtuch abgenommen worden war, blinzelte unser Gastgeber Sokrates zu, der feierlich zu einem Tischchen schritt und mit einem riesigen, geschwungenen Horn zurückkehrte, einer wahren Posaune von Jericho, mit blankem Silber beschlagen und auch sonst verziert und kunstvoll geschmückt, nicht zu vergessen zwei naturgetreue Ziegenköpfe mit vier weiteren Hörnern aus massivem Silber, die einander gegenüber zu Seiten des Mundstücks des edlen großen Horns hervorragten.

Da ich nichts davon gehört hatte, daß unser Gastgeber ein Virtuose auf dem Jagdhorn sei, war ich überrascht, ihn das Horn vom Tisch aufnehmen zu sehen, als wolle er eine begeisternde Fanfare blasen. Doch wurde ich über den Zweck des Horns eines besseren belehrt, als er Daumen und Zeigefinger in die Öffnung einführte. Ein zartes Aroma stieg auf, und meine Nase traf der Duft eines erlesenen Schnupftabaks. Es war ein Schnupftabaksbehälter. Er machte die Runde. Glänzende Idee, dachte ich, gerade jetzt einen Schnupftabak zu nehmen. Diese gute Sitte muß bei meinen Landsleuten daheim eingeführt werden, überlegte ich weiter.

Der außerordentliche Anstand der neun Junggesellen – ein Anstand, der durch keine noch so große Menge Wein zu beeinträchtigen war – ein Anstand, durch keinen Grad von Heiterkeit zu erschüttern, wurde für mich wieder dadurch in ein grelles Licht gesetzt, daß ich beobachtete, wie wohl jeder reichlich von dem Schnupftabak nahm, aber keiner so weit die Schicklichkeit verletzte oder den kranken Junggesellen im Nebenzimmer so sehr stören wollte, daß er es sich gestattet hätte, zu niesen. Der Schnupftabak wurde schweigend geschnupft, wie ein feiner, harmloser Staub von den Flügeln eines Schmetterlings.

Doch so gut die Diners der Junggesellen sind, sie können so wenig ewig dauern wie ihr Leben. Die Stunde des Aufbruchs schlug. Einer nach dem andern nahmen die Junggesellen ihren Hut, stiegen paarweise untergefaßt, sich immer noch unterhaltend, die Treppe hinunter, auf die Steinfliesen des Hofes; ein paar gingen auf ihre benachbarten Zimmer, um noch ein wenig im Dekameron zu blättern, ehe sie sich zur Ruhe legten, andere schlenderten in den Garten, um am kühlen Flußufer spazierend eine Cigarre zu rauchen, einige gingen auf die Straße, riefen eine Droschke an und ließen sich gemütlich nach ihrer entfernten Wohnung fahren.

Ich war der letzte Säumige.

»Nun«, meinte mein lächelnder Gastgeber, »was halten Sie von unserm Tempel und dem Leben, das wir Junggesellen hier führen?«

»Sir«, platzte ich in aufrichtiger Bewunderung heraus, »Sir, es ist das wahre Paradies der Junggesellen!«