Guy de Maupassant
Die beiden alten Freunde gingen im blühenden Garten spazieren, den der Frühling mit heiterer Schönheit überschüttet hatte.
Der eine war Senator, der andere Mitglied der Akademie, beides gesetzte Leute, voll Überlegung, sehr logisch, aber feierlich, Männer von Bedeutung und von Ruf.
Zuerst schwatzten sie ein wenig über Politik, tauschten ihre Gedanken aus, nicht über die politischen Grundsätze sondern über Menschen, da in der Politik die Persönlichkeiten doch immer der Sache vorgehen. Dann frischten sie alte Erinnerungen auf. Endlich schwiegen sie und gingen still Seite an Seite, etwas müde geworden von der warmen Luft.
Ein großes Beet strömte süße Düfte aus, eine Menge Blumen aller Sorten und Spielarten vermischten ihren Duft mit dem Windhauch, während ein Bohnenbaum, mit gelben Trauben bedeckt, seinen feinen Staub dem Wind überließ, eine Art goldiger Rauch, der nach Honig roch und wie Puder vom Parfümeur seinen duftenden Samen überall hin streute.
Der Senator blieb stehen, atmete die fruchtbare Wolke ein, die durch die Luft zog, betrachtete den in Liebesgluten wie die Sonne leuchtenden Baum, dessen Keime davonflogen, und sprach:
– Wenn man bedenkt, daß diese unmerklichen kleinen Atome, die so schön riechen, neue Existenzen, vielleicht hundert Meilen von hier schaffen werden, daß sie die Staubfäden und Säfte von weiblichen Bäumen befruchten und dann Wesen hervorbringen mit Wurzeln, große Bäume, die wie wir aus einem Samenkorn entstehen, sterblich sind wie wir und einmal durch andere Wesen derselben Art verdrängt werden, immer wieer wie wir!
Dann fügte der Senator noch hinzu, indem er vor dem strahlenden Baume stehen blieb, dessen belebende Düfte in alle Lüfte strömten:
– Höre mal, alter Schlingel, wenn Du über Deine Kinder Buch führen solltest, möchte Dich das höllisch in Verlegenheit setzen. Der Kerl da macht sie leicht und überläßt sie ohne weitere Gewissensbisse ihrem Schicksal! Er kümmert sich nicht weiter darum.
Der Akademiker fügte hinzu:
– Lieber Freund, das thun wir auch.
Der Senator begann wieder:
– Ja, das will ich nicht leugnen. Manchmal überlassen wir sie ihrem Schicksal, aber wir wissen es wenigstens und darin besteht unsere Überlegenheit.
Doch der andere schüttelte den Kopf:
– Nein, das wollte ich nicht sagen. Sehen Sie, lieber Freund, es giebt wohl kaum einen Mann, der nicht Kinder besäße, von deren Existenz er gar nichts ahnt. Jene Kinder, »Vater unbekannt«, wie man sagt, die er ebenso gezeugt hat, wie dieser Baum zeugt, beinahe ohne daß er es wußte.
Ich glaube, wenn wir Buch führen sollten über alle Frauen, die wir besessen haben, so würde uns das in große Verlegenheit setzen, genau so wie es diesem Bohnenbaum, den Sie eben da apostrophierten einigermaßen schwer fallen dürfte, seine Nachkommen zu zählen.
Wenn wir vom achtzehnten bis etwa vierzigsten Jahr rechnen und alle flüchtigen Begegungen, jedes Zusammentreffen, das nur eine Stunde gedauert hat, mitzählen, so kann man wohl sagen, das wir intime Beziehungen gehabt haben zu – zwei bis drei hundert Frauen.
Nun, lieber Freund, wissen Sie denn wirklich, ob Sie bei dieser Menge nicht mit dieser oder jener ein Kind haben, und nicht irgendwo auf dem Straßenpflaster oder im Bagno einen Kerl von Sohn besitzen, der die anständigen Leute bestiehlt oder totschlägt, die anständigen Leute, das heißt – uns. Oder etwa eine Tochter die in einem verrufenen Hause lebt, oder vielleicht, wenn sie das Glück gehabt hat, von ihrer Mutter ausgesetzt worden zu sein, Köchin in irgend einer Familie ist?
Dann denken Sie daran, daß beinahe alle Frauen, die wir öffentliche Mädchen nennen, ein oder zwei Kinder besitzen, deren Vater sie nicht kennen, Kinder, die sie sich zufällig bei einer Umarmung für zehn oder zwanzig Franken geholt haben. In jedem Berufe giebt es Verlust und Gewinn. Diese Sprößlinge bedeuten den Verlust. Wer ist der Vater? Sie? Ich? Wir alle? Die Männer, die man anständig nennt? Sie sind die Früchte unserer fröhlichen Herrendiners, unserer lustigen Abende, jener Stunden, wo unser üppiges Fleisch uns zur ersten besten Paarung treibt.
Diebe, Landstreicher, alle Elenden sind unsere Kinder. Und das ist immer noch besser für uns, als wenn wir ihre Kinder wären, denn die Bande wird auch Vater.
Denken Sie nur, ich persönlich habe eine sehr böse Geschichte auf dem Gewissen, die ich Ihnen einmal erzählen will. Mir macht sie fortwährend Gewissensbisse, ja mehr noch, ein nie ruhender Zweifel quält mich, eine Unruhe, über die ich nicht Herr werden kann, die mich oft zur Verzweiflung bringt.
Als ich fünfundzwanzig Jahre alt war, hatte ich mit einem meiner Freunde – er ist heute Geheimer Rat – eine Fußtour in die Bretagne unternommen.
Nach vierzehn oder zwanzig Tagen angestrengten Fußmarsches, nachdem wir die Côtes-du-Nord besucht und einen Teil des Finistère, kamen wir nach Douarnenez. Von da aus erreichten wir in einem Tagesmarsch die wilde Spitze von Raz an der Toten-Bai und in irgend einem Dorfe, das auf »of« endigt, übernachteten wir. Aber als es Morgen war, fühlte sich mein Freund außerordentlich müde und zerschlagen, sodaß er zu Bett blieb. Ich sage aus alter Gewohnheit ›zu Bett‹, obwohl unser Lager einfach aus zwei Schütten Stroh bestand.
Hier durfte er nicht krank werden. Ich zwang ihn daher aufzustehen, und wir langten gegen vier oder fünf Uhr nachmittags in Audierne an.
Am andem Tage ging es ihm etwas besser und wir setzten den Weg fort, aber unterwegs ward er so elend, daß wir nur noch mit größter Mühe Pont-Labbé erreichen konnten.
Da fanden wir doch wenigstens ein Gasthaus. Mein Freund legte sich zu Bett und der Arzt, den wir aus Quimper kommen ließen, stellte starkes Fieber fest, dessen Natur er nicht näher bezeichnete.
Kennen Sie Pont-Labbé? Nein. – Gut, das ist also die bretonischste Stadt dieser ganz bretonischen Bretagne, von der Landspitze von Raz bis Morbihan. Aus dieser Gegend stammen so recht eigentlich Sitten, Sagen und Gebräuche der Bretonen.
Noch heute hat sich dieser Winkel des Landes beinahe gar nicht verändert. Ich sage: noch heute, denn ich gehe jedes Jahr dorthin – leider!
In einem düsteren Teich badet ein altes Schloß den Fuß seiner Türme, die wilde Vögel umflattern. Dort entspringt ein Strom, den die Küstenfahrer bis zur Stadt hinunterfahren können. Und in den engen Straßen mit ihren alten Häusern tragen die Männer den großmächtigen Hut, die gestickte Weste und vier Jacken über einander, die erste, nur so groß wie eine Handfläche, die höchstens die Schulterblätter bedeckt und die letzte, bis an das Beinkleid hinunter reichend.
Die Mädchen sind groß, schön, blühend, ihre Brust ist in eine Tuchjacke eingezwängt, wie in einen Panzer, und so zusammengeschnürt, daß man von dem starken gewaltsam zusammengepreßten Busen nicht einmal etwas ahnt. Sie tragen einen seltsamen Kopfputz: zwei farbige bestickte Platten an den Schläfen umrahmen das Gesicht und drücken das Haar zusammen, das am Hinterkopf glatt herabfällt, dann aber wieder oben auf dem Kopf zusammengenommen wird unter einer ganz eigenartigen Mütze, die häufig aus Gold- oder Silber-Geflecht besteht.
Das Stubenmädchen in unserem Gasthof war höchstens achtzehn Jahre alt, hatte blaßblaue Augen, aus denen die Pupillen wie schwarze Punkte heraussahen. Ihre kurzen, eng stehenden Zähne, die sie unausgesetzt lächelnd zeigte, schienen gebildet zu sein, um Steine zu zermalmen.
Sie konnte nicht ein Wort Französisch, da sie nur Bretonisch sprach, wie die meisten ihrer Landsleute.
Mein Freund erholte sich noch immer nicht und obgleich keine eigentliche Krankheit ausbrach, so verbot doch der Arzt die Weiterreise und ordnete vollkommene Ruhe an. Ich blieb also den Tag über bei ihm und das Mädchen kam fortwährend herein, indem es entweder mir das Essen brachte oder ihm einen kühlenden Trank.
Ich neckte sie ein wenig und das schien ihr Spaß zu machen. Aber wir sprachen natürlich nicht mit einander, denn wir verstanden uns ja nicht.
Da eines Nachts, als ich ziemlich spät noch bei dem Kranken geblieben war, traf ich das Mädchen, als ich mein Zimmer wieder aufsuchte, wie sie eben in das ihre treten wollte.
Es lag gerade meiner offenen Thür gegenüber. Da packte ich sie plötzlich um den Leib, ohne eigentlich nachzudenken, was ich that, mehr aus Scherz und ehe sie sich von ihrem Schreck erholt, hatte ich sie in mein Zimmer gedrängt und die Thür zugeschlossen. Sie blickte mich erschrocken, entsetzt an, wagte nicht zu schreien aus Furcht vor einem Skandal und wahrscheinlich vor allem aus Furcht, von dem Hotelbesitzer hinausgeworfen zu werden und dann vielleicht auch noch dazu von ihrem Vater.
Ich hatte das alles lachend gethan. Aber sobald sie in meinem Zimmer war, überkam mich die Lust, sie zu besitzen. Es war ein langer schweigender Kampf, ein Kampf Leib an Leib, wie zwischen Athleten die sich mit den Armen fortdrängen, an sich ziehen, sich zerren, sich pressen mit keuchendem Atem, mit schweißtriefender Haut. O sie wehrte sich tapfer. Ab und zu stießen wir an ein Möbel, an die Wand, an einen Stuhl und dann blieben wir eng umschlossen unbeweglich ein paar Sekunden stehen in der Furcht, daß der Lärm irgend jemand aufgeweckt haben könnte, und dann fingen wir unsere erbitterte Schlacht wieder an, ich im Angriff, sie in der Verteidigung.
Endlich war sie erschöpft und fiel hin. Da vergewaltigte ich sie, roh auf dem Fußboden.
Als sie wieder aufgestanden war, lief sie zur Thüre, riß den Riegel zurück und entfloh.
Die folgenden Tage sah ich sie kaum. Sie ließ mich nicht nahe kommen. Als dann mein Freund wieder wohl war und wir unsere Reise fortsetzen wollten, kam sie mitten in der Nacht, ehe wir abreisten, in bloßen Füßen im Hemd in mein Zimmer, in das ich mich schon zurückgezogen hatte.
Sie warf sich mir um den Hals, umschlang mich leidenschaftlich, küßte mich und liebkoste mich, weinend und schluchzend, bis Tagesanbruch, kurz, sie gab mir alle Beweise von Zärtlichkeit und Verzweiflung, die uns eine Frau nur geben kann, wenn sie kein Wort unserer Sprache versteht.
Acht Tage später hatte ich dieses, auf der Reise gewöhnliche und häufig eintretende Abenteuer vergessen. Die Hotelmädchen sind ja in der Regel dazu da, den Fremden auf diese Weise gefügig zu sein.
Dreißig Jahre lang dachte ich nicht an das Abenteuer und kam nicht wieder nach Pont-Labbé.
Da kehrte ich zufällig auf einer Reise nach der Bretagne, die ich 1876 unternommen, um für ein Buch die Unterlagen zu schaffen und um mir genau die Gegend anzusehen, dorthin zurück.
Nichts schien verändert zu sein. Das Schloß bespülte noch immer seine grauen Mauern im Teiche am Eingang der öden Stadt und der Gasthof war noch genau derselbe, wenn auch in Stand gesetzt, neu hergerichtet und mit etwas modernem Anstrich. Als ich eintrat, ward ich von zwei jungen Bretoninnen empfangen, achtzehn Jahre alt, frisch und nett, in ihre engen Tuchjacken eingeschnürt, die silberne Haube auf dem Kopf mit den großen gestickten Platten an den Ohren.
Es war etwa sechs Uhr abends. Ich setzte mich zu Tisch, um zu essen und da der Wirt selbst sich die Mühe gab, mir die Speisen aufzutragen, ließ mich mein Verhängnis wahrscheinlich fragen:
– Haben Sie die ehemaligen Besitzer des Hauses gekannt? Jetzt vor dreißig Jahren bin ich mal acht oder vierzehn Tage hier gewesen. Es ist lange her.
Er antwortete:
– Jawohl, das waren meine Eltern.
Da erzählte ich ihm, was mich damals hierher geführt und wie ich hier durch das Unwohlsein meines Freundes zu längerem Verweilen gezwungen worden. Er ließ mich nicht ausreden:
– O daran erinnere ich mich genau. Ich war damals fünfzehn oder sechzehn Jahre alt. Sie wohnten in dem Zimmer nach hinten heraus und Ihr Freund in einem nach der Straße, das ich jetzt für mich selbst genommen habe.
Da erst kam mir plötzlich lebhaft die Erinnerung an das Mädchen und ich fragte:
– Erinnern Sie sich eines netten kleinen Stubenmädchens hier im Hause, das damals bei Ihrem Vater in Dienst stand? Sie hatte, wenn ich mich recht erinnere, blaue Augen und auffallend schöne Zähne?
Er sagte:
– Ja wohl, die ist einige Zeit darauf im Wochenbett gestorben.
Dann deutete er mit der Hand nach dem Hof, wo ein dürrer Mensch, der lahm war, auf dem Mist arbeitete, und fügte hinzu:
– Das ist ihr Sohn.
Ich fing an zu lachen:
– Na, schön ist er nicht und seiner Mutter sieht er wohl nicht ähnlich. Er schlägt wahrscheinlich nach seinem Vater?
Der Wirt sagte:
– Das ist wohl möglich, aber man hat nie ‘rauskriegen können, wer eigentlich der Vater war. Sie ist gestorben ohne es zu sagen und kein Mensch hier wußte, ob sie einen Liebhaber gehabt. Das war eine schöne Ueberraschung, als man erfuhr, daß sie in andern Umständen sei. Kein Mensch wollte es glauben.
Ich empfand ein unangenehmes Gefühl, es war einer jener peinlichen Momente, die uns zu Herzen gehen wie die Ahnung eines schweren Kummers. Und ich besah mir den Mann im Hofe. Er hatte eben Wasser gepumpt für die Pferde und trug hinkend, offenbar mit schmerzlicher Anstrengung des kürzeren Beines, die beiden Eimer in den Stall. Er war fürchterlich zerlumpt, sah gräßlich schmutzig aus und hatte langes, blondes Haar, das so verfilzt war, daß es ihm wie ein Bündel Stricke in’s Gesicht fiel.
Der Wirt fuhr fort:
– Der Kerl taugt nicht viel, wir haben ihn aus Erbarmen im Hause behalten. Wenn er wie andere Kinder erzogen worden wäre, würde vielleicht was Besseres aus ihm geworden sein. Aber wie ist das möglich: kein Vater, keine Mutter, kein Geld. Meine Eltern haben Mitleid mit ihm gehabt. Aber wissen Sie, es war doch schließlich nicht ihr Kind.
Ich sagte nichts.
Ich übernachtete in meinem ehemaligen Zimmer und die ganze Nacht hindurch dachte ich an diesen fürchterlichen Stallknecht und sagte mir immerfort: Herr Gott, wenn das wirklich mein Sohn wäre! Sollte ich wirklich im Stande gewesen sein, das Mädchen zu töten und ein solches Wesen in die Welt zu setzen? Möglich war es ja.
Ich beschloß, mit dem Mann zu sprechen, um genau das Datum seiner Geburt zu erfahren. Wenn es nur um zwei Monate anders war, so war ich von meinen Zweifeln befreit. Ich ließ ihn am nächsten Tage kommen. Aber er verstand auch kein Französisch. Übrigens machte er den Eindruck, als kapiere er gar nichts, als hätte er keine Ahnung von seinem Alter, nach dem ihn in meinem Namen eines der Mädchen fragte. Er benahm sich wie ein Idiot in meiner Gegenwart, drehte fortwährend seinen Hut mit den ekelhaften Fingern hin und her und lachte albern. Und dieses Lachen hatte etwas von dem der Mutter, in den Mundwinkeln und in den Augen.
Da kam der Wirt dazu und holte endlich den Geburtsschein des Unglücklichen. Er hatte das Licht der Welt erblickt acht Monate und sechsundzwanzig Tage, nachdem ich in Pont-Labbé gewesen, denn ich wußte noch ganz genau, daß ich am 15. August in Lorient angekommen war. Der Geburtsschein trug den Vermerk ›Vater unbekannt‹. Die Mutter hatte geheißen: Johanna Kerradec.
Da fing mein Herz an heftig zu schlagen, mir war die Kehle wie zugeschnürt, daß ich nicht sprechen konnte und ich sah dieses Scheusal an, dessen blondes Haar noch schmutziger war als der Mist der Tiere da draußen. Und der Lump, den mein Anstarren störte, hörte auf zu lachen, wandte den Kopf ab und suchte zu entkommen.
Den ganzen Tag hindurch irrte ich am kleinen Flüßchen hin, in schmerzlichen Gedanken. Aber wozu nachdenken? Nichts konnte mir Gewißheit geben. Stunden und Stunden hindurch erwog ich alle Gründe für oder wider meine Vaterschaft, kam zu unentwirrbaren Vermutungen, um wieder in die alte fürchterliche Ungewißheit zurückzufallen, und endlich zu der noch schrecklicheren Überzeugung zu kommen, daß dieser Mensch wirklich mein Sohn sei.
Ich konnte nicht essen und zog mich auf mein Zimmer zurück. Lange floh mich der Schlaf. Als ich endlich einschlief, quälten mich fürchterliche Träume. Ich sah den Lümmel, wie er mich anlachte, mich ›Papa‹ nannte, dann verwandelte er sich in einen Hund, biß mich in die Waden und so sehr ich auch davonlief, er folgte mir fortwährend und schwatzte und schimpfte statt zu bellen. Dann erschien er vor meinen Kollegen von der Akademie, die eine Sitzung hielten, um zu entscheiden, ob ich wirklich sein Vater wäre. Und einer von ihnen rief:
– Es ist gar kein Zweifel. Sehen Sie doch nur, wie ähnlich er ihm sieht.
Und in der That gewahrte ich, daß das Monstrum mir wirklich ähnlich sah und ich wachte auf mit diesem Gedanken und mit dem tollen Wunsch, den Menschen wieder zu sehen, um zu entscheiden, ob wir gemeinsame Züge besäßen.
Ich traf ihn, als er (es war gerade Sonntag) zur Messe gehen wollte und gab ihm hundert Sous, indem ich ihn angstvoll betrachtete. Er fing wieder an auf ordinäre Art zu lachen und nahm das Geld. Dann beunruhigte ihn abermals mein Blick und er entfloh, nachdem er etwas gestammelt hatte, das ich nicht verstand, das aber wohl ›Danke‹ heißen sollte.
Der Tag verstrich für mich in denselben Ängsten und Nöten wie der Tag vorher. Gegen Abend ließ ich den Wirt kommen und sagte ihm mit Anwendung von viel Vorsicht, Geschicklichkeit und List, daß ich mich für diesen von allen verlassenen Menschen interessiere und etwas für ihn thun wolle.
Aber der Mann sagte:
– Ach bitte, denken Sie doch daran nicht. Er taugt wirklich nichts. Sie würden nur Unannehmlichkeiten haben. Ich benutze ihn um den Mist fortzuschaffen. Das ist alles, was er kann. Dafür gebe ich ihm die Nahrung und er schläft bei den Pferden. Mehr braucht er nicht. Wenn Sie vielleicht eine alte Hose haben, geben Sie sie ihm die, aber in acht Tagen ist sie in Fetzen.
Ich drang nicht weiter darauf und wollte die Sache mit ansehen.
Der Lump kam abends total besoffen heim, er hätte beinahe das Haus in Brand gesteckt, schlug ein Pferd mit der Hacke tot und schlief endlich, dank meiner Freigebigkeit auf dem Misthaufen mitten auf dem Hof im Regen ein.
Am andern Tag bat man mich, ihm ja kein Geld wieder zu geben. Der Schnaps mache ihn ganz verrückt und sobald er nur zwei Sous in der Tasche hätte, versöffe er sie. Der Wirt fügte hinzu:
– Wenn Sie ihm Geld geben, so treiben Sie ihn geradezu in den Tod.
Der Mensch hätte nie Geld gehabt, niemals, nur vielleicht ein paar Centimes, die ihm ein Reisender zugeworfen und kennte keine andere Bestimmung für dieses Metall, als es in Alkohol umzusetzen.
Da brachte ich Stunden in meinem Zimmer zu, ein aufgeschlagenes Buch vor mir, und that, als ob ich lese. Aber ich dachte immer nur an dieses Vieh, an meinen Sohn, und suchte immer zu entdecken, ob er nicht etwas von mir hätte. Endlich meinte ich ein paar ähnliche Linien an der Stirn zu finden und beim Nasenansatz. Und bald war ich überzeugt, daß wirklich eine Ähnlichkeit da sei, die nur der verschiedene Anzug und das fürchterliche Haar des Menschen verberge.
Aber ich konnte nicht länger dort bleiben, ohne Verdacht zu erregen und mit gebrochenem Herzen reiste ich ab, nachdem ich dem Wirt etwas Geld dagelassen hatte, um das Dasein seines Knechtes zu erleichtern.
Nun lebe ich seit sechs Jahren mit dem Gedanken, immer mit diesem Gedanken, in dieser fürchterlichen Unruhe, in diesem gräßlichen Zweifel. Und jedes Jahr treibt mich eine unsichtbare Macht wieder nach Pont-Labbè. Jedes Jahr verurteile ich mich zu der Qual, dieses Vieh im Mist herumwühlen zu sehen, mir einzubilden, daß der Mensch mir ähnlich sei, zu versuchen und zwar immer vergebens, ihm nützlich zu sein. Und jedes Jahr kehre ich wieder dahin zurück unentschlossener, voll größerer Qual, voll schrecklicherer Angst.
Ich habe versucht, ihm etwas beibringen zu lassen. Er ist unrettbar Idiot.
Ich habe mich bemüht, sein Leben etwas freundlicher zu gestalten. Er ist ein unverbesserlicher Trunkenbold und verwendet alles Geld, das man ihm giebt, auf’s Trinken. Er verstehts ausgezeichnet, seine neuen Kleider zu verkaufen, um sich Schnaps zu verschaffen.
Ich habe versucht, seinen Herrn mitleidig für ihn zu stimmen, daß er etwas freundlicher gegen ihn sein soll, immer indem ich Geld gab, aber der Wirt war schließlich verwundert und sagte sehr vernünftig:
– Wissen Sie, alles, was Sie für den Menschen thun, ist bloß zu seinem Schaden. Man muß ihn wie einen Gefangenen halten. Sobald er Zeit hat oder sobald es ihm wohl geht, wird er bösartig. Wenn Sie wirklich Gutes thun wollen, giebt es anderwärts genug zu thun. Es giebt soviel verlassene Kinder, wählen Sie doch eins aus, das Ihnen ihre Sorge danken würde.
Was sollte ich darauf sagen!
Und wenn ich etwas verriete von den Zweifeln, die mich quälen, so würde dieser Cretin gewiß unverschämt werden, mich ausforschen, mich kompromittieren, mich vernichten. Er würde mir sein ›Papa‹ nachrufen, wie ich es geträumt.
Und dann sagte ich mir: Daß ich die Mutter getötet habe und dieses abgezehrte Wesen, dieses Stallindividium, das auf dem Mist geboren und groß geworden ist, diesen Menschen zu Grunde gerichtet habe, der, wie andere aufgezogen, vielleicht auch wie die andern geworden wäre.
Sie können sich nicht denken, welch seltsames unerträgliches Gefühl mich beschleicht, wenn ich ihm gegenüber stehe und dann denke, daß das mein Fleisch und Blut sein soll, daß er durch jenes enge Band, das den Sohn mit dem Vater verknüpft, zu mir gehört, daß er Dank dem furchtbaren Gesetz der Vererbung mein ist durch tausend Dinge, mit Fleisch und Blut, und daß dieselben Krankheitskeime, dieselben Leidenschafterreger in ihm schlummern, wie in mir.
Unausgesetzt habe ich ein unstillbares schmerzliches Verlangen, ihn zu sehen. Sein Anblick ist für mich eine schreckliche Qual und doch betrachte ich ihn von Fenster aus Stunden lang, wie er hin- und hergeht und den Dünger der Tiere fortkarrt und sage mir dabei: »Das ist mein Sohn!«
Und manchmal fühle ich den unerträglichen Wunsch, ihn zu umarmen. Aber ich habe sogar niemals seine schmutzige Hand berührt.
Der Akademiker schwieg und sein Begleiter, der Politiker, murmelte:
– Ja, man sollte sich wirklich etwas mehr um die Kinder kümmern, die keinen Vater haben.
Ein Windhauch strich daher, der große, gelbe Baum schüttelte seine Trauben und umhüllte mit einer feinen wohlriechenden Wolke die beiden Greise, die den Duft in tiefen Zügen einsogen.
Und der Senator schloß:
– Und doch ist es schön, noch fünfundzwanzig Jahre alt zu sein und Kinder zu zeugen, – selbst auf diese Art.