VON OSCAR A. H. SCHMITZ
EINE VORMÄRZLICHE BEGEBENHEIT AUS DEN PRIVATEN AUFZEICHNUNGEN EINES JOURNALISTEN.
EIN halbes Jahrhundert habe ich über mich selbst geschwiegen, ich war ein Sprachrohr der andern. Heute bin ich fünfundsiebzig Jahre alt. Es ist daher höchste Zeit, ein Erlebnis zu berichten, wenn es überhaupt noch berichtet werden soll.
Zweimal bin ich um die Welt gereist, dreimal habe ich die Mitternachtssonne gesehen, in Amerika war ich viermal auf Segelschiffen, sechzehnmal auf Dampfern, die Eisenbahnen haben mich umsonst vom Kap Finisterre bis zum Gelben Meere gebracht, mit zwei Kaisern, elf Königen, vier Häuptlingen, einem Hetman, einem Begler-Beg, einem Gross-Chan und 214 Ministern habe ich gespeist, der Bey von Tunis hat mir seinen Sonnenorden verliehen, aber mein Souverän erlaubte mir nicht, ihn zu tragen, denn mit seinen Sternen und Bändern bedeckt er mehr als dreiviertel einer mittelgrossen Personnage, bezaubert daher Unwissende stärker als der Schwarze Adlerorden, und das ist nicht gut; Heinrich Heine hat mir persönlich göttliche Grobheiten gesagt, Fanny Elsler hätte mich fast geliebt, Napoleon III. hörte mit gnädigem Lächeln meine Finanzpläne zur Rettung Frankreichs an; bei 113 Hinrichtungen war ich Zeuge (die letzte war eine elektrische); mehr als 200 erwerbsbedürftigen Müttern habe ich die Doppelköpfigkeit, unmässige Behaarung oder die wissenschaftliche Bedeutung ihrer Missgeburten öffentlich bezeugt; ich habe betrunkene Könige, ehrliche Dirnen und bescheidene Tenöre gekannt, in Louisiana sollte ich skalpiert, in Tibet geschunden werden, aber mein gewandtes Auftreten rettete mich; ich kann keine Sprache ganz, sechsunddreissig dreiviertel oder halb, in allen habe ich eine vortreffliche Aussprache. Mit einem Wort, ich gleiche dem nordischen Gotte Heimdall, der von neun Müttern geboren war (also neunfachen Mutterwitz haben musste), weniger Schlaf brauchte als ein Vogel, bei Nacht hundert Meilen weit sah wie bei Tag, und das Gras auf der Erde, die Wolle auf den Schafen wachsen hörte.
Aber von alledem will ich heute nichts erzählen, ihr Damen der Provinz, die ihr mich für einen interessanten Mann haltet. Ich will vielmehr berichten, was mir in der letzten Nacht begegnete, ehe dieses bewegte halbe Jahrhundert begann, und schlage darum die holzpapiernen Blätter meines Lebensbuches zurück.
Ich besass die kümmerliche Monatsrente von fünfzig Gulden (später gab es Monate, in denen ich bei Gott — 5000 anzubringen verstand). Dies und ein unheilvolles Rumoren in meinem Kopf bestimmten mich zum Dichter. Wie es sich für diesen Beruf geziemt, bewohnte ich eine Dachkammer mit Aussicht auf einen altertümlichen Hof und zahllose Giebeldächer, auf denen im Mondschein Katzen und Kater tanzten, während in den dunklen Ecken des morschen Baus die Mädchen des Hauses verfängliche Gespräche mit ihren Liebsten hielten. Die Mondstrahlen aber waren wie Saiten in den Rahmen meines Fensters gespannt und mein überquellendes Herz harfte seine Sehnsucht gen Himmel. Bisweilen besuchte mich ein Mädchen. Es war nicht schön (die Geliebten der Dichter sind nie schön, denn wessen Einbildungskraft aus blondem Haar goldene Kronen schmiedet, muss so viel Wirklichkeit übersehen, dass es auf ein paar Extrahässlichkeiten, wie etwa Struppigkeit, nicht ankommt, und wer den Sprung von Augen zu Sternen macht, braucht nicht viel weiter zu springen, ob die Augen schielen oder nicht). Ach, Manolitha, die Marie hiess, hatte etwas struppiges Haar, ohne dass ich es merkte, und ihre Augen schielten ein wenig. Aber auch sie war ein Weib, ihre körperlichen Merkmale waren feminini generis, wie bei Venus und Maria. Meine Phantasie besass an ihr ein Sprungbrett in das Mysterium der stets streitenden und stets sich ergänzenden Hälften der Welt, des ewig Männlichen und des ewig Weiblichen. Dazu genügte Manolitha, wie meine Dachkammer für meine Poesie. Das arme Kind wusste nicht wie ihm geschah. Sie musste wohl meinen: So sind die Männer.
Die Stadt, in der ich wohnte, lag unweit der Grenze. Die über einem See aufsteigende Felsenstrasse — im letzten Haus diente Manolitha — führte in das Nachbarland. In einer Mondnacht — mir ist, als wären in jener Zeit alle Nächte Mondnächte gewesen — hatte ich Manolitha an ihre Türe gebracht. Ich stand allein, hoch über dem See. Fern glitzerten die Lichter der Stadt. Längs der Strasse zog sich die Felswand hin, zerklüftet und oft von lärmenden Giessbächen zerrissen. Auf dem fast taghell beschienenen See irrten formlose dunkle Wolkenschatten. Hie und da schwamm ein Fischerboot auf der Fläche, dessen Insasse bei einer Laterne sein schweigsames Gewerbe trieb. Auf meinen Lippen brannten noch die Küsse der Geliebten, die mir jetzt in der Erinnerung wirklich ein wenig zu dürftig vorkommt. (Bei Heimdall, dem Journalistengott, später habe ich wahrhaftig andere Frauen geliebt!) Ich eilte vorwärts auf der Felsenstrasse, vorwärts in die Ferne, nach Süden, in dumpfem Drang, aus den silbernen Armen dieser Jugendnacht, den Gedanken, das Wort zu empfangen, das mich unsterblich machen sollte. Halb trunken wanderte ich immer weiter. Nach kurzer Zeit bog die Felsenstrasse rechts ab in das Geklüft. Nur ein kaum fussbreiter Weg war in die Wand gehauen, die über dem See emporragte: der Schmugglersteig. Mir war, als stünde ich vor einer wichtigen Entscheidung meines Lebens. Rechts ging es in die felsumschlossene Fichtennacht der geheimnisvollen Wasserfälle, links führte der halsbrecherische Steig im Mondlicht hoch über der unten ausgedehnten Flut. Ihn beschloss ich zu gehen, und wie auf dünnem Seil glaubte ich frei ins Licht zu wandeln, während ich, der Gefahr spottend, über dem Abgrund mühselig einherkroch. Der Gedanke belustigte mich, es könnte mir ein hochbepackter Schmuggler auf dem engen Pfad entgegenkommen und ich war neugierig, was sich dann ereignen würde. Einer hätte umkehren oder in die Tiefe stürzen müssen. Es kam mir vor, als ziehe sich der Pfad unendlich in die Länge. Da ich infolge der Krümmungen den Ausgangspunkt längst nicht mehr sah und hinter jeder Felsennase, die sich vor mir breit machte, irgendein Ziel erhoffte, ging ich weiter mit jener fast unheimlichen Pedanterie, die uns oft vorwärts zwingt, damit wir nur nicht auf denselben Weg zurück müssen, und ginge es in den Tod. Körperlicher Anstrengungen ungewohnt, fühlte ich bald eine kaum noch erträgliche Müdigkeit, die Hände schmerzten bei jeder Berührung mit dem Felsen, ich fühlte meine Selbstbeherrschung nachlassen, ein Zittern in den Unterschenkeln kündete einen nahenden Schwindelanfall an. Fast weiss lag der See unter mir, ein unwahrscheinliches künstliches Licht durchzitterte die Luft . . . . . . Des folgenden Zeitabschnitts vermag ich mich durchaus nicht mehr zu entsinnen. Bin ich in die Tiefe gestürzt und unter der Flut in ein Feenreich geraten, wo man als Maskerade zum Spass unsere Welt nachahmt, und befinde ich mich heute noch bei diesem Mummenschanz? Oder bin ich mit übernatürlicher Anspannung meiner Kräfte weitergegangen, so dass für die Tätigkeit des Bewusstseins nichts mehr übrig blieb? Kurz, ich fühle meine Erinnerungen an dieser Stelle wie in zwei Leben zerbrochen, eine Leere, ein Loch trennt diesseits und jenseits. Ich stelle mir vor, dass viele Menschen so eine Lücke in ihrem Dasein haben, die sie vergeblich auszufüllen suchen. Entweder nehmen sie diesen Mangel ernst, lassen in Gedanken nicht davon ab und werden verrückt, oder sie betäuben sich, wie ich mit Arbeit, Vergnügen und ähnlichen narkotischen Mitteln, dass heisst, sie machen einen Umweg um ihr eigenes Leben.
Meine Erinnerung beginnt wieder bei folgender Situation: ich sitze in einem allseitig geschlossenen Raum am Boden, mit Fellen und Tüchern bedeckt, vor mir brennt ein Reisigfeuer, das seinen Schein auf einen Kreis wildbärtiger Männer wirft. An ihren Gürteln sehe ich reich besetzte Dolche funkeln, ihre rauhen, ungepflegten Glieder sind halb in Lumpen, halb in köstliche, orientalische Decken gehüllt, Offenbar sind es Schmuggler. — Als ich den Blick aufwärts wendete, sah ich den gestirnten Himmel über mir. Wir befanden uns in einer dachlosen Stube, deren Wände Felsen bildeten. In den Ecken schienen dunkle Stollen in den viereckigen Raum zu münden. Vor jedem, auch vor mir, waren kostbare, aber teils zerbrochene Teller und Gläser aufgestellt mit Speisen und Getränken, die appetitlicher aussahen, als der Ort erhoffen liess. Man hatte offenbar auf mein Erwachen gewartet, um mit der Mahlzeit zu beginnen. Ich war sehr hungrig und griff zu. Man ermunterte mich besonders zum Trinken, war überhaupt sehr höflich und zuvorkommend. Ein altes Weib, das nicht anders als „Skelett“ angeredet wurde, bediente uns mit dem, was es selbst gekocht zu haben schien. Ich hätte allzu gerne gewusst, wie ich hierher gekommen und wer diese Menschen waren, aber ich fürchtete, mir eine Blösse zu geben, wenn ich fragte. (Um übrigens keinen unberechtigten Hoffnungen im Leser Raum zu geben, bemerke ich gleich, dass ich es niemals erfahren habe.) Ich suchte meine lange Geistesabwesenheit nach Kräften zu verheimlichen. Nachdem wir gespeist, und ich mich, ohne betrunken zu sein, in jener gehobenen Nachtischstimmung befand, schlugen meine Wirte vor, mir ihre Wohnung zu zeigen, in der, wie sie sagten, von den Schätzen der Erde das Beste und Kurioseste aufgestapelt sei. Wir traten mit Fackeln in einen der Stollen, dessen beide Wände von eisernen Türen durchbrochen waren.
„Wir können Ihnen unmöglich alles zeigen,“ sagte einer, „aber Sie werden sich immerhin einen Begriff von unsern Sammlungen machen können.“
Man öffnete die erste Pforte. Ich will nicht mit der Beschreibung der kostbaren und seltsamen Dinge in den Felsenkammern ermüden. Die Aufsätze, die ich in den folgenden fünfzig Jahren aus allen Teilen der Welt an die *** Zeitung schickte, geben deutliches Zeugnis davon. Nur kurz einiges allgemeine: ich sah die abendliche Pracht der Wüste, das starre Trandasein der Eskimos, ich sah Bayreuth mit den wieder lebendig gewordenen nordischen Göttern, um die sich der Reichtum beider Welten schart. (Ich muss bemerken, dass dies in den vierziger Jahren geschah, als noch kein Mensch an Bayreuth dachte). Ich sah die Schlachtfelder des Deutsch-Französischen Kriegs, aber ich entdeckte noch mehr: leibhaftige Gedanken, die in zeitweiligen oder lebenslänglichen Ruhestand versetzt, auf köstlichen Polstern lagen, menschheitbeglückende und weltzerstörende Ideen; kommunistische Systeme sassen liebenswert um Teetische, Revolutionen wälzten sich knurrend an der Kette; Dichterträume gingen in fabelhafter Nacktheit — ich muss gestehen etwas dreist — zwischen anständig, wenn auch dürftig gekleideten bureaukratischen Schrullen umher; Hoffnungen, die stets in der Hoffnung waren, schrien nach Wöchnerinnen, die man ihnen versagte; einige neue Laster machten sich von weitem angenehm bemerkbar, rochen aber in der Nähe schlecht, weshalb ich nicht dazukam, mir ihre Gestalt ordentlich einzuprägen. Lues, eine Schöne, grämte sich, weil man sie nicht zu den assyrischen Lasterkönigen liess, aber das Schicksal, vor dem die Schmuggler ungeheuren Respekt zu haben schienen, wollte es nicht so, wie man mir versicherte. Auch fixe Ideen drängten unverschämt heran. Nur diesen gegenüber musste ich mich unhöflicher Worte, einer, die einen Lorbeerkranz trug, sogar meiner Fäuste bedienen, sonst benahmen sich selbst die Leidenschaften und die Todsünden recht gut, wenn auch etwas verlegen, wie derbe Leute, die sich einmal in den Zwang eines Salons fügen, um sich später anderwärts schadlos zu halten.
Man kann sich denken, mit welchem Staunen ich zwischen all’ diesen Kuriositäten umherging, aber meine Verwunderung wuchs, als mich einer meiner Begleiter, geschmeichelt durch das Gefallen, das ich an den Sammlungen fand, höflich aufforderte, ich solle mir von dem Gesehenen einiges aussuchen, was mir besonders gefiele. Da liess ich denn die Blicke unentschlossen umherschweifen. Wieder drängten sich die fixen Ideen ungezogen heran. Aber ich brach mir Bahn nach einem halb offenstehenden rotschimmernden Gemach, in dem — obwohl es gar nicht gross war — fünfhundert (so sagte man mir) wundervolle, nackte Frauen lagerten, die still vor sich hin lächelten, als wollten sie sagen: wir brauchen uns nicht vorzudrängen, man kommt zu uns. Ich war von dem weissen Schimmer der Leiber geblendet; solche Formen hatte ich bisher nur in Gips gesehen, ich meinte, die wirklichen Frauen seien nun einmal immer hässlich, aber wer ein rechter Dichter sei, der setze sich darüber hinweg. Die Schmuggler freuten sich offenbar an meiner Verwirrung, in die mich besonders die zunächst liegende durch ihre brennenden Blicke versetzte.
„Die will ich haben . . . alle 500,“ rief ich gierig und wurde gleich sehr verlegen.
Nichts sei leichter als das, antwortete man mir vergnügt, ich solle noch einmal wählen. Man öffnete vor mir eine andere Tür, durch die ein heftiges gelbes Licht herausfiel, das mir in den Augen weh tat. Als ich mich daran gewöhnt hatte, sah ich, dass Wände, Boden und Decke des geöffneten Gemaches mit geprägten Goldstücken gepflastert waren. Ich wollte weiter gehen.
„Es ist rund eine Million,“ sagte man mir.
„So?“ erwiderte ich gleichgültig und blickte bald lüstern zurück in das Gemach zu den 500 Frauen, bald schweifte mein Blick suchend über den andern Kostbarkeiten umher.
„Es ist eine Million,“ wiederholte der Schmuggler erstaunt, „wollen Sie die nicht . . .?“
„Ach nein, geben Sie mir lieber die Wüste mit den Kamelen und Oasen oder sonst etwas Romantisches . . .“
„Sie sind ein Narr, mein Herr. Erst lassen Sie sich 500 Weiber schenken und nun verschmähen Sie das lumpige Milliönchen. Was wollen Sie denn ohne Geld mit Ihren Weibern anfangen? Glauben Sie, die werden Ihnen Ruhe lassen? Dieses Volk will beschenkt sein mit Schmuck und Kleidern . . .“ „Aber nackt gefallen sie mir viel besser.“
„Das ist den Weibern gleich; wenn Sie ihnen nichts geben, werden sie sich schon von andern etwas schenken lassen.“
Ich erschrak sehr bei diesen Worten und liess mir nun ruhig die Million versprechen. Die Schmuggler waren sehr zufrieden und sagten, nun dürfe ich noch ein letztes Mal wählen. Dieses Mal wolle man mich nicht beeinflussen, aber sie müssten mir doch vorher noch etwas zeigen, was mir gewiss ganz besonders gefallen würde. Sie schoben eine Tapetentür auf, die sich ohne Schlüssel öffnen liess, während alle andern Pforten von Eisen waren und schwere Schlösser hatten. Dafür war diese Tür so kunstvoll verborgen, dass sie nur ein Eingeweihter finden konnte. Wir traten in ein Zimmer, in dem offenbar niemals aufgeräumt wurde. Ein Haufe Metaphern, Anaphern, Symbole, Allegorien, geprägte Redensarten, Zitate, Sprichwörter, in Fäulnis übergegangene Witze lagen wie Kraut und Rüben durcheinander. An den Mauern hingen ohne Ordnung poetische Bilder und Vergleiche in festen Rahmen, Tropen und Metonymien blickten verwirrend dazwischen hervor. Um die vier Wände des Zimmers ging nahe der Decke ein Wandbrett, auf dem zwischen Windöfchen, Kolben, Retorten und anderen Apparaten der Schwarzkunst hohe Gläser voll Flüssigkeit standen; darin lagen, wie Tiere in Spiritus, Gedanken, ganz gute Gedanken, die sich im Zustand langsamer Auflösung befanden, manche waren noch deutlich erkennbar und hatten die umgebende Flüssigkeit nur leise gefärbt, andere waren bereits formlos, gallertartig geworden, während die Flüssigkeit immer trüber schien; in einzelnen Gläsern befand sich nichts als ein formloser, missfarbiger Brei.
Auf meine Frage, was diese Gedankenverdünnung bedeute, wollten mir die Schmuggler keine rechte Auskunft geben; ich würde das schon eines Tages begreifen; wenn nicht, so wäre mir nur um so wohler. Ich muss gestehen, dass mir das verdächtig vorkam. Ich wurde unwillkürlich an die Wirtshausküche erinnert, wo aus ein paar Pfund Fleisch soviel Brühe gewonnen werden kann, als — Wasser da ist. Es wurden hier offenbar Fälschungen vorgenommen. Und woher bezogen die Leute die zur Verdünnung benutzten Gedanken? Ich schwur mir, ihnen beileibe keine von meinen Versen vorzulegen, was mir sonst gar leicht passieren konnte. Vielleicht würden sie daraus eine Wassersuppe kochen. — Indessen schweiften meine Blicke wieder über die Merkwürdigkeiten am Boden und an den Wänden; mein Herz ging auf, als ich darunter zwischen vielem Unrat reine Dichterworte, tiefsinnige Symbole, erhabene Weisheitssprüche hervorschimmern sah.
„Wer dahinein Ordnung brächte!“ rief ich begeistert aus, „würde das Zeug zu der wundervollsten Dichtung finden, schenken Sie mir das Gerümpel, mich soll die Mühe nicht verdriessen!“
Die Schmuggler erklärten sich gerne bereit.
Indessen waren wir wieder hungrig geworden. Wir speisten zusammen in dem Felsenviereck. Bei Tisch erfuhr ich bemerkenswerte Einzelheiten über das Dasein dieser Menschen. Sie lebten vom Tauschhandel. Klein hatten sie angefangen; einige ihrer Kostbarkeiten wollten sie am Weg gefunden haben. Sie vermehrten ihren Besitz durch vorteilhafte Tauschgeschäfte. Ich gewann immer mehr den Eindruck, als ob das alles nicht immer redlich zuginge.
„Sie werden uns doch auch etwas als Entgelt für unsere Gaben zurücklassen?“ fragte man mich.
Ich erschrak, denn ich hatte nichts bei mir als eine recht miserable deutsche Dichterzigarre.
„Beunruhigen Sie sich nicht; Sie lassen uns drei Ihrer Träume ab und wir sind zufrieden.“
„Träume?“ rief ich aufatmend, „davon habe ich genug; wenn Sie ein Mittel wissen, mich schmerzlos von einigen zu befreien . . .“
Wir kamen dann auf andere Gesprächsthemen, auf Politik, auf die damals herrschende Unzufriedenheit der Völker mit ihren Herrschern. Die Schmuggler taten so, als hätten sie dabei irgendwie die Hand im Spiel.
„Nein, nein,“ rief einer aus, „die echte Revolution geben wir so bald nicht wieder her. Wir haben sie nur mühsam zurückbekommen gegen die Heuchelei, die doch sonst so hoch im Preise stand. Aus Frankreich erhalten wir fast täglich Briefe, wir möchten sie wieder hergeben, sie wollen uns dafür die Glorie Bonapartes ungeschmälert ausliefern. Aber wir tun es nicht. Sie bekommen höchstens ein paar Barrikadenkämpfe.“ (Ich bemerke, dass das Jahr 48 vor der Tür stand.)
Ein über alle Massen widerliches, trockenes Lachen tönte aus der Ecke. Es war ein Heiterkeitsausbruch des Skeletts.
„Grossmäuler Ihr,“ rief die Alte, „Ihr müsst sie ja doch hergeben, wenn die Dame Schicksal kommt und es verlangt. Hi . . . hi . . . Gut, dass die Euch ein wenig überwacht, sonst würdet Ihr die ganze Welt auf den Kopf stellen. Hi . . . hi . . .“
Der Schmuggler, der vorher gesprochen hatte, fasste schweigend die Alte an einem Strick, den sie stets um den linken Knöchel trug und hängte sie damit, den Kopf nach unten, an einen Nagel, der hoch aus der Felswand ragte. Sie wimmerte ein wenig, schien aber an diese wohlverdiente Züchtigungsart gewohnt. Die 500 Frauen, zu denen die Pforte noch offen stand, jauchzten, die zunächst liegende sagte mit etwas fremdländischem Akzent, sie würde sich so etwas nicht bieten lassen. Mit ihr hätte es aber wohl kaum einer versucht. Sie hatte königliche Formen.
Meine üble Meinung von diesen Leuten bestätigte sich immer mehr. Sie schienen Kenner der Echtheit zu sein, in deren Besitz sie sich zu setzen wussten, um sie zu entwürdigen. Natürlich machten sie glänzende Geschäfte, wenn sie die grosse Revolution in zahllose Barrikadenkämpfe verzettelten, die sie einzeln feilboten. Ich konnte mir vorstellen, wie viel besonnene Gedanken und ehrwürdige Empfindungen sie sich für solche Nichtigkeiten bezahlen liessen, und es dämmerte mir, auf welchen unlauteren Kniffen das Geschäft dieser Menschen beruhte. Ein unheimlicher Gedanke stieg in mir auf: wenn sie noch eine Zeitlang so weiter wirtschafteten, würden sie schliesslich alles Wertvolle aus der Welt herausgezogen und ihre Scheinwerte und Verdünnungen hineingeschmuggelt haben. Mir graute vor der Feigheit, Heuchelei, Unwahrheit, Bedrückung, die dann zur Herrschaft kämen, während die Freiheit, die Schönheit, die Erkenntnis in Felsenkammern als Kuriositäten moderten oder alchimistisch entstellt würden. Es war nur gut, dass sie wenigstens vor dem Schicksal Angst hatten, vielleicht weil es das einzige auf der Welt ist, womit man nicht Handel treiben kann.
Man muss mir etwas Einschläferndes in das Getränk gegossen haben, denn nur mit Mühe bemerkte ich noch, wie das Skelett wieder abgehängt wurde, einen überkochenden Kessel aus einem Stollen holen und in die Mitte rücken musste und unter Höllenlärm der ganzen Schmugglerbande darin herumquirlte; man warf mir unerkennbare Gegenstände hinein, Flaschen wurden darüber ausgegossen; wenn der Kessel zu voll war, stellte man ihn einfach schräg, bis ein Teil der Flüssigkeit überlief, die sich wie kriechendes Gewürm lautlos und dick in die Stollen verteilte. Dann wurde weiter gepantscht. Zuletzt klebte die Alte auf einer Etikette das Datum des folgenden Tages an den Kessel, den mehrere Schmuggler verschlossen. Man schob ihn bis vor eine eiserne Tür. Durch den geöffneten Flügel sah ich nichts als den gestirnten Himmel. Ich merkte, dass wir uns sehr hoch befinden mussten. Der Kessel wurde bis auf die Schwelle geschoben, das Skelett gab ihm einen Tritt und nun rollte er auf einer Art Rutschbahn ins Tal. Die ganze Schmugglerbande heulte ihm die gröbsten Ausdrücke nach, spie hinunter und verunreinigte überhaupt die Rutschbahn aufs unflätigste.
„Er ist geplatzt,“ rief einer entzückt, und ich stellte mir lebhaft vor, wie dieses elende Gebräu die Welt am folgenden Morgen überschwemmen würde. Offenbar gab es jeden Tag solch eine Portion.
Nun schien der Zweck erreicht zu sein, man schloss die Tür. Ich aber tat als ob ich schlief, denn ich verhehlte mir nicht, dass ich in einen ungewöhnlichen Kreis geraten war, dessen Tun und Treiben ich weiter beobachten wollte. Bald aber geriet ich, wie sehr ich auch dagegen kämpfte, in Halbschlummer. Ich träumte lebhaft, doch ich wusste, dass es Träume waren.
Zuerst sah ich Manolitha, göttlich schön, wie sie in meiner Phantasie lebte, mit ihrer Krone goldener Haare und den Sternen im Antlitz. Ich wusste, dass es ein Traumbild war, aber ich freute mich daran; doch da kam einer der Schmuggler, suchte mit den Händen etwas über dem Haupte Manolithas, rollte behutsam das ganze Bild zusammen und reichte es der Alten, die es in einen der Stollen trug. An Stelle des Bildes sah ich eine merkwürdige Haustür mit grünen Jalousien. Darüber hing eine transparent erleuchtete Hausnummer in der Grösse einer Fensterscheibe. Daneben stand zwischen zwei ordinären Amoretten auf einem Schild:
Nachtschelle für
Mlle Rose, Modes.
Ich war so keck, auf die Klingel zu drücken; da sah ich hinter den Jalousien zwei spähende Augen. Ein Spalt der Tür wurde geöffnet und ein recht anständig gekleidetes Mädchen mit etwas pockennarbigem Gesicht flüsterte:
„Sie sind doch empfohlen . . . durch Dr. M., nicht? . . . Sie wissen, nur auf Empfehlungen lassen wir . . .“
Ich nickte bloss und trat ein. Am Ende des Korridors sah ich wieder in das halboffene rote Gemach, in dem die 500 nackten Frauen lagerten, die nun mir gehörten. Aber die Tür flog gleich zu.
Das anständige Mädchen schob mich auf eine breite verschnörkelte Holztreppe, wie sie in alten Bürgerhäusern sind. Ich ging hinauf. Es roch nach samstäglicher Putzerei. Im vierten Stock war eine Glastür, vor der auf einem Schildchen mein Name stand. Ich öffnete mit meinem Hausschlüssel, der genau in das Schloss passte. Im Zimmer war ein Kaffeetisch gedeckt, beim Schein einer geblümten Petroleumlampe strikte Manolitha Socken. Hinter dem Tisch stand ein Ledersofa mit einem gehäkelten, kranzförmigen Pfühl; darüber hingen Familienporträts in ovalen Rahmen. Manolitha stand auf; sie nahm sich als Hausfrau ganz gut aus.
„Alter,“ sagte sie, „es ist gut, dass du kommst; schon dreimal war der Metzger mit der Rechnung . . .“
Ich wollte auf sie zugehen und ihr schlicht gescheiteltes Haar küssen, aber da kam wieder der Schmuggler, machte sich über Manolithas Kopf zu schaffen und rollte das ganze Traumbild auf, das die Alte wieder in den Stollen trug. Statt in dem altmodischen Zimmer mit dem Kaffeegeruch befand ich mich in einem kleinen Gemach voll orientalischer Teppiche am Boden und an den Wänden. Ein Diener erwartete mich mit Tee. Neben meiner Tasse lag ein Haufen eingelaufener Briefe und Telegramme, nach denen ich griff, während der Diener mir die Stiefel auszog. Im Nebenzimmer brannten zahllose Kerzen vor Spiegeln. In der Mitte war ein Tisch mit reichem Silber und Porzellan gedeckt, seltene Blumen dufteten in bunten Vasen. Der Diener bemerkte bescheiden, alles sei für das Diner angeordnet, wie ich es befohlen hätte. In diesem Augenblick schellte es; ich wurde ans Telephon gerufen.
Als ich aber die Hörmuschel ans Ohr legte, bemerkte ich, dass ich einen Guckkasten vor mir hatte. Ich sah darin ein wundervolles Bild. Tief im Abgrund wand sich ein Fluss zwischen südländisch üppig bewachsenen Ufern, an denen ein fast schwarzer Lorbeerhain zwischen hellerem Grün hervorstach. Aus diesem Hain erhob sich eine Gestalt, die immer höher schwebte, bis sie ganz dicht vor mir war. Ich erkannte Manolithas Züge, schön wie sie in mir lebten. Sie trug ein antikes Gewand. Gemessen schritt sie auf mich zu, hob ihre beiden Arme und wollte mir einen Lorbeerkranz auf die Schläfen drücken, aber zum dritten Male erschien der Schmuggler, rollte das Bild auf, gab es dem Skelett, das damit in dem Stollen verschwand. In dem Guckkasten aber gewahrte ich ein anderes Schauspiel. Ein Herr, der meinem Vater ähnlich sah, nur viel vornehmer erschien, sprach von einer Rednerbühne herab zu einer festlichen Versammlung. Man jubelte ihm zu, er schien seine Rede gerade beendet zu haben. Ich hörte noch, wie er die Worte sagte:
„Und für diese Broschüre, in der ich sein Land in den wahrsten und hellsten Farben zugleich geschildert, geruhten Seine Hoheit der Bey von Tunis mir seinen Sonnenorden zu verleihen. Mein Souverän — Gott erhalte ihn — konnte mir aus geheimen Gründen der Staatsräson das Tragen dieser Auszeichnung nicht gestatten, und so bin ich genötigt, diesen Beweis seiner Gunst dem hohen Bey — auch ihn erhalte Gott — zurückzusenden. Vorher aber kann ich mir die Genugtuung nicht versagen, Ihnen, verehrte Zuhörer, und — wie ich mir wohl schmeicheln darf — Freunde, dieses Kleinod zu zeigen!“
In diesen Worten öffnete der vornehme Mann eine Kiste, die ihm derselbe Diener brachte, der mich vorher mit Tee bedient und mir die Stiefel ausgezogen hatte, und entnahm daraus goldene Sterne und seidene Schleifen, die er der laut jubelnden Menge zeigte; ja er konnte sich nicht enthalten, sie einen Augenblick anzulegen.
In diesem Augenblick klingelte es wieder am Telephon. Jemand rief: „Schluss!“ Ich hängte die Hörmuschel an, und als ich mich umsah, war es heller Morgen. Die Schmuggler sassen beim Mahl in ihrer Felsenstube.
Man wünschte mir einen guten Tag, das Skelett brachte einen ganz erträglichen Morgenkaffee an mein Lager. Ich erfuhr, dass die Schmuggler nach dem Frühstück an ihr Tagewerk zu gehen beabsichtigten, d. h. einige Streifzüge in der Umgegend machen wollten, weil heute der Fürst Metternich, auf einer Italienreise begriffen, durchkommen müsse und sie ihm einige freiheitliche Ideen aufschwindeln wollten. Sie hofften durch derartige Manipulationen die Revolution nicht hergeben zu brauchen. Man brach auf, und mir blieb nichts anderes übrig als mitzugehen. Die Schmuggler bemerkten meine enttäuschte Miene.
„Ach so, die Geschenke,“ sagte einer, „Sie müssen wissen, dass Sie das nicht alles auf einmal erhalten, es wird auf Ihr ganzes Leben verteilt werden. Aber Sie werden noch heute spüren, dass wir Wort halten.“
Ich glaubte natürlich kein Wort und war überzeugt, dass man mich betrogen hatte.
Wir gingen durch einen endlos scheinenden Stollen, der uns schließlich an eine Stelle des Sees führte, wo zwischen Wasser und Felsen kein Pfad ging. Ein breites Warenboot, wie es die Schiffer benutzen, lag in einer kleinen natürlichen Bucht. Ich wurde eine halbe Stunde weit gerudert und dann an der mir bekannten Uferstrasse abgesetzt. Die Schmuggler hielten sich keine volle Minute auf, sondern fuhren mit unbegreiflicher Geschwindigkeit zurück.
Ohne im geringsten Klarheit über das Erlebnis zu finden, ging ich der Stadt zu. Von weitem sah ich Manolitha, die vom Markt kam, wo sie Fische gekauft hatte. Sie trug sie in einem Korb. Pfui! wie hässlich sie war, sie schien mir krankhaft mager, und wie mussten erst ihre Hände nach Fischen riechen! Glücklicherweise führte der Weg über eine Brücke, unter die ich leicht durch einen Graben neben der Strasse gelangen konnte. Dort verbarg ich mich, bis Manolitha vorbei war. Ich habe sie niemals wieder gesehen.
Als ich auf den Marktplatz der Stadt kam, fand ich vor dem vornehmsten Gasthaus ein grosses Gedränge, das von galonierten Bedienten zurückgehalten wurde. Ich glaubte unter denen, die aus dem Haus kamen, einen der Schmuggler zu gewahren, der sofort in der Menge verschwand. Auf meine Erkundigung erfuhr ich von meinem Nachbar, es sei eine hohe Persönlichkeit auf der Durchreise nach Italien angekommen, man wisse aber nicht wer, da die Personnage unerkannt bleiben wolle. Ich wusste sofort, dass es niemand anders als Fürst Metternich sein konnte. Mit einer mir sonst gar nicht eigenen Gewandtheit verstand ich mich durch den Garten von hinten ins Haus zu schleichen. Vor einer Tapetentür im ersten Stock blieb ich, der sonst eher schüchtern war, so ungeniert stehen, dass alle Vorübergehenden meinen mussten, ich gehörte dahin. Durch die Tür aber vernahm ich die Stimme des Fürsten im Gespräch mit dem Bürgermeister der Stadt. Ich verstand nur abgerissene Sätze. Vor allem wünschte er ganz unerkannt durchzureisen, da er leidend war, im übrigen sei er der Stadt sehr gewogen; er habe nichts einzuwenden gegen die Ernennung des beliebten X. zum Oberpostmeister, obgleich der Mann im Geruche des Liberalismus stehe; man solle überhaupt ihn (den Fürsten) doch ja nicht für einen Währwolf halten, er beabsichtige auch im Lauf der Jahre die Zensur und die Pressgesetze, selbst in den Grenzdistrikten, etwas milder zu handhaben etc. etc.
Als ich hörte, dass der Bürgermeister verabschiedet wurde, eilte ich fort, um nicht entdeckt zu werden. Mein Weg ging geradeaus auf die Redaktion der ersten Zeitung, wo ich meine ganze Wissenschaft verriet.
„Metternich hier?“ rief der Redakteur, „wenn Sie sich nur nicht täuschen . . .“
„Aber Herr Redakteur,“ erwiderte ich, „was glauben Sie von mir, ich kenne Fürst Metternichs Stimme wie die meines Vaters.“
Ich erschrak über diese mir selbst unbegreifliche Frechheit, denn ich hatte Metternich nie gesehen, noch früher je sprechen gehört.
„Nun, so schreiben Sie einmal alles auf, was Sie wissen,“ erwiderte der Redakteur, durch meine Sicherheit überzeugt. „Hier ist ein Pult, Tinte und Feder . . .“
Während ich schrieb, flossen mir — ich wusste nicht wie — Bilder und Sprachwendungen zu, die ich in dem Gemach der Schmuggler bemerkt hatte. In einer Viertelstunde waren zwei Spalten geschrieben in einem, wie ich selbst fand, äusserst brillanten Stil. Mit grossem Selbstbewusstsein überreichte ich dem Redakteur die Blätter, der sie überflog und erstaunt rief:
„Sie sind der geborene Journalist, junger Mann . . . Ihre Findigkeit ist nichts gegen Ihren Stil, und alles beides verschwindet wieder vor Ihrer Schnelligkeit. Seit wann sind Sie bei der Presse?“
„Das ist mein erster Versuch,“ erwiderte ich etwas schüchtern.
„Was waren Sie denn früher? Jeder Journalist war früher etwas anders.“
„Dichter,“ sagte ich beschämt.
„Na, das haben Sie sich glücklich abgewöhnt. Ich habe Beschäftigung für Sie. Heute abend singt die Rubini die Cenerontola. Gehen Sie in die Oper und bringen Sie mir nachts noch die Kritik.“
„Aber Herr Redakteur, ich bin ja ganz unmusikalisch.“
„Unsinn,“ antwortete er grob, „solche Bedenken gewöhnen Sie sich nur ja ab, mit Ihrem Stil ist man musikalisch, agronomisch, geographisch, theosophisch . . . was verlangt wird . . . verstehen Sie? Ich sehe übrigens, dass Sie, um in die Oper zu gehen, Ihre Toilette etwas vervollständigen müssen. Hier haben Sie hundert Gulden Vorschuss und unterschreiben Sie dieses Blatt.“
Er reichte mir einen Zettel, den ich unterschrieb, ohne zu beachten, was darauf stand. Ich empfahl mich und ging in die Modemagazine, wo ich mich völlig ausrüstete. Als Stutzer kam ich nach Hause. Vor meiner Zimmertür stand eine pompöse, übermässig elegant gekleidete Dame.
„O . . . Sie kommen endlich . . .“ rief sie in einem gebrochenen Deutsch. „Ich bin Rubini . . ., Carlotta Rubini . . . ich höre, dass Sie heute abend die Kritik schreiben.“
Ich geriet etwas in Verlegenheit.
„Verzeihen Sie . . . Signora . . .“ stammelte ich . . . „ich wohne nur vorübergehend in dieser Höhle . . . bis ich eine Wohnung nach meinem Geschmack finde.“
„O ich begreife . . . ich begreife . . .“ sagte die Rubini und trat ein.
Sie nahm ihren Schleier ab und ich erkannte in ihr diejenige von den 500 Frauen, die mir in der Schmugglerhöhle zunächst gelegen hatte.
„Ach . . . ich hin so müde . . .“ sagte sie . . . „darf ich ein wenig ausruhen . . . seit einer halben Stunde stehe ich auf der Treppe.“
„Gewiss . . . gewiss . . . Signora, wenn ich Ihnen nur etwas anbieten könnte . . .“
„Ach ja, mein Herr . . . bieten Sie mir etwas an . . . lassen Sie etwas holen.“
Ich ging hinaus und gab einem Jungen, der nebenan bei einem Schuster arbeitete, den Rest meines Geldes und beauftragte ihn, aus dem Kaffeehaus Champagner heraufzubringen. Wie recht gab ich jetzt den Schmugglern, die ihr Versprechen hielten, und mir zu den 500 Frauen nach und nach die so unentbehrliche Million zukommen lassen würden.
Als ich wieder in die Kammer trat, hatte sich’s die Rubini sehr bequem gemacht. Es war ihr so heiss. Und als der Champagner kam, hielt ich bereits besorgt ihre Hand, denn sie hatte einen übermässig starken Pulsschlag . . .
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