Der Geschichtsroman
Die Literatur der Kamakura-Zeit ist eine Literatur des Krieges. Buddhistische ritterliche Chroniken überliefern uns die Kämpfe um die Nachfolge der Shogune von Kioto: zunächst das Hogen und das Heiji Monogatari noch vom Ausgang der Heian-Zeit. Danach das Heike-Monogatari und das Gempei Seisuki, das sind die Geschichte der Hei und die »Geschichte der Größe und des Falls der Gen und Hei«, nämlich des Kampfes zwischen den Häusern Minamoto (auf chinesisch Gen) und Taira (auf chinesisch Hei) bis zum Endsieg der Minamoto in der Seeschlacht von Dannoura (1185), deren Bericht hier von uns mitgeteilt ist.
Verfasser und genaue Abfassungszeit aller dieser Werke sind unbekannt. Man kann nur annehmen, daß die beiden letztgenannten Schriften ungefähr gleichzeitig in der ersten Hälfte der neuen Zeit erschienen sind. Beide Werke sind ausgesprochene Geschichtsromane; das Heike-Monogatari ist vom Standpunkt eines Anhängers der Hei oder Taira, das Gempei-Monogatari ist vom politischen oder besser Gefühlsstandpunkt eines Anhängers der siegreichen Gen-Minamoto geschrieben. Das Heike-Monogatari zeigt jedoch älteren Sprachcharakter, eine Art rhythmischer Prosa mit eingestreuten Versen von fünf und sieben Silben. Sicherlich wurde es rezitiert in einem Sprechgesang, von einer Klasse blinder Sänger, genannt Biwa hoshi, den »Lauten-Bonzen«, den Nachfolgern älterer Rezitatoren, Fahrenden also.
Durch diesen Vortrag ist das Heike-Monogatari besonders volkstümlich geworden und bis auf den heutigen Tag geblieben. Es ist das eigentliche »Chanson de geste« der Japaner. Die Übertragung von Karl Florenz, die wir hier abdrucken, folgt allerdings nicht diesem Stile. Im Original ist jedes auf das kaiserliche Haus bezügliche Substantiv offiziös wie im Kojiki mit dem Epitheton »göttlich-erhaben« versehen sowie der Ausdruck für jede Aktion mit dem Adverb »ehrfurchtsvoll« (so versenken die Wellen ehrfurchtsvoll den göttlich-erhabenen Leib des Kaiserkindes, das Schloß ist göttlich-erhaben usw.), welche Phraseologie in der Florenzschen Übertragung weggefallen ist. (Die in der Erzählung erwähnten »zehn Tugenden« Ju-sen sind die zehn buddhistischen Tugenden, die drei körperlichen: nichts Lebendiges zu töten, nichts zu entwenden, keinen Ehebruch zu begehen, dann die »vier Tugenden der Zunge«, nämlich: nicht lügen, nicht übertreiben, nichts Übles reden, nicht doppelzüngig sein, und endlich die »drei Tugenden des Geistes«, das ist: nicht heftig begehren, nicht der Leidenschaft nachgeben, keiner Irrlehre oder Zweifelsucht folgen.)
Aus dem Gempei Seisuki, dem künstlerisch höherstehenden der beiden Werke, dessen Sprache den Übergang von dem den heutigen Japanern unverständlichen Altjapanisch zum Neujapanischen bildet, bringen wir die für den romantischen und reich individualisierenden Charakter bezeichnende Erzählung von dem ritterlichen Ende eines Samurai. (Die Erzählung hat in dem Original einen [vielleicht interpolierten] Nachsatz, die Anspielung auf eine chinesische Legende, deren Mitteilung wir uns nicht versagen können: Der Chinese Kioyu, ein Weiser Chinas, dessen Lebenszeit die Legende in das vierte Jahrtausend v. Chr. hinaufrückt, genießt einen so hohen Ruf, daß der Kaiser Yao ihn durch Abgesandte auffordern läßt, an seiner Stelle die Herrschaft oder Regierung zu übernehmen. Kioyu geht wortlos zum Flusse, um seine Ohren von dem Schmutz, der in dieser Botschaft notwendig enthalten ist, zu reinigen oder vielleicht zu entsühnen. Sofu, ein Genosse des Weisen, führt eben seinen Ochsen zur Tränke und zieht ihn sogleich von dem Wasser zurück, das nun die Verunreinigung und Sünde der kaiserlichen Botschaft enthält. Diese taoistische Geschichte erreicht wohl an Kraft alles Indische, soweit sie nicht etwa selbst unmittelbar indisch beeinflußt ist.)
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