Enriquez Saltillo

Bret Harte

In einer früheren Geschichte, welche sich mit den Heldenthaten des kalifornischen Mustang »Chu Chu« beschäftigt, erwähnte ich auch Enriquez Saltillo, welcher mich im Trainieren des Pferdes unterstützte, und der der Bruder Consuelo Saltillos war, jener jungen Dame, der ich gerne beides überließ: mein Rennpferd und mein jugendlich feuriges Herz. Ich betrachte es als ein hervorragendes Zeichen für die Dauerhaftigkeit männlicher Freundschaft, daß weder das Pferd, noch die junge Dame jemals die Ursache auch nur der leisesten Entfremdung zwischen uns jugendlichen Schwärmern wurden. Mit einem gewissen Skepticismus duldete er, daß ich seiner Schwester den Hof machte, und oft genug suchte er seine Ansicht über das ganze weibliche Geschlecht mit spanischer Genauigkeit in der Ausdrucksweise der kalifornischen Sportsmen klarzulegen. »Was die Frauen und ihr Spiel betrifft,« pflegte er zu sagen, »glaub mir, mein Freund, Onkel Enry hält nichts davon. Nein, er wird ewig zurückbleiben, wenn Liebe im Anzuge ist. Warum? Sieh her. Wenn es sich um ein Pferd handelte, würde man sagen: Es wird Bocksprünge machen, es wird scheuen, es wird nicht starten, es wird zu früh starten. Aber die Frauen! Wo bleiben wir da? Wenn wir glauben, sie würden scheuen, gehen sie geradeaus, sie bleiben ruhig, wenn wir bestimmt erwarteten, sie würden Bocksprünge machen; sie starten, und sieh, du willst noch nicht. Du rätst immer falsch. So ist es stets. Mein Vater und sein Bruder warben beide um meine Mutter, als sie noch Mädchen war. Mein Vater glaubte sicher, sie liebte meinen Bruder mehr. So sagte er zu ihr: ›Es ist genug, beruhigt euch, ich gehe und verzichte, lebt wohl.‹ Und was that meine Mutter? Sie heiratete meinen Vater auf der Stelle. Diese Frauen, glaub mir, Pancho, sind immer so, du weißt niemals, woran du bist.«

Ich habe diese charakteristische Sprache wiederholt, um gleich zu Anfang dieser Geschichte Enriquez’ Ansichten zu zeigen. Es bleibt nur noch übrig zu sagen, daß die Art und Weise, wie er gewöhnlich das weibliche Geschlecht behandelte, wenig von dieser scherzhaften Ironie zeigte. Er bewegte sich unter der frivolen und leichtfertigen Rasse mit großer Freiheit und Beliebtheit. Er tanzte gut; wenn er zum Fandango ging, sicherte die Grazie und Leichtigkeit seiner Figuren ihm stets die schönsten Partnerinnen, und weil man allgemein seine oben angeführten Ansichten kannte, war er sicher vor Eifersucht, gebrochenen Herzen und Neid.

In lebhafter Erinnerung steht mir noch die Art und Weise, wie er die Sembicuacua tanzte, deren Figuren zum großen Teil der Erfindung des Tanzenden überlassen blieben. In einer Tour derselben bildet ein buntes Tuch, das mehr oder weniger graziös geschlungen und geschwenkt wird, eine Art Liebessignal, durch welches man imstande war, Bewunderung und Gleichgültigkeit, Schüchternheit und Kühnheit, Furcht und Entzücken, Kälte und Koketterie auszudrücken je nach dem Fortschritt des Tanzes. Ich will nicht sagen, daß Enriquez’ pantomimische Bewegungen besonders extravagant waren, aber alle seine Figuren überschritten niemals die Grenze, welche Würde und Grazie vorschrieben. Zuweilen entschlüpften ihm Seufzer, um die erwachende Leidenschaft auszudrücken, Schnauben der Eifersucht zeigte das Auftauchen eines Rivalen an; der Spott seiner Herzdame erweckte fieberhafte Aufregung und eine einfache ermunternde Geste versetzte ihn in ausgelassene Freude. All dieses war ganz Enriquez, aber bei einer besondern Gelegenheit, an welche ich anknüpfe, war niemand vorbereitet, ihn die bewußte Tour plötzlich mit vier Tüchern beginnen zu sehen. Jedoch er that es, tanzend, hüpfend, sich wiegend und drehend und seine seidenen Shawls schwenkend, schwingend und drehend wie die Ballerina ihre Schärpe, bald langsam würdevoll, bald leidenschaftlich wild, bis zum Schluß; da aber, wo sonst die besiegte und überwältigte Schöne ihrem Partner in die Arme fällt, fand sich der erfindungsreiche Enriquez plötzlich in der Mitte des Saales umringt von vier Tänzerinnen. Er war keineswegs besonders aufgeregt weder über den wütenden Applaus der Menge noch über seinen Erfolg bei dem schönen Geschlecht. »Ach, glaub mir, das ist nichts,« sagte er ruhig und rollte sich eine frische Cigarette, während er sich an die Thür lehnte. »Wahrscheinlich muß ich nun allen vieren Schokolade oder Wein vorsetzen lassen oder unter ihrer Veranda ihnen im Mondenschein eine Promenade machen. Oder, mein Freund,« sagte er, sich plötzlich ganz zu mir drehend, »ausgenommen, mein Freund, du selbst trittst an meine Stelle. Behalt sie, ich geb sie dir, ich verzichte und verschwinde.« Es fehlte nicht viel und er hätte seine Ausgelassenheit so weit getrieben und seine vier Damen gänzlich meiner Fürsorge überlassen. Da teilte sich aber plötzlich die umstehende Menge vor einem hohen schlanken Mädchen, das durch das goldeingefaßte Pincenez ruhig und kühl in das lustige Gewoge hineinsah. Ich starrte in Erstaunen und Verwunderung die schöne Fremde an, denn dieselbe war niemand anders als Miß Urania Mannersley, die Nichte des Gemeindepastors. Jeder in der ganzen Umgegend des Encinal kannte Rainie Mannersley. Sie war ein Gegenstand des Neides für die Töchter der Emigranten, die sich rings im Thals angesiedelt hatten. Sie war vermögend und unabhängig, besaß eine scharfe Beobachtungsgabe und ein klares Urteil, sie war wohlerzogen und gebildet, las und schrieb korrekt Latein und Griechisch; in jedem Blumenstrauß kannte sie die lateinischen Namen sämtlicher Blumen. Sie sprach über Browning und Tennyson, und jedermann glaubte, daß sie dieselben gelesen hatte. Was hatte ein solches Mädchen auf einem öffentlichen Ball zu suchen?

Wenn diese Thatsachen allen Anwesenden bekannt gewesen wären, würde ihre Gegenwart noch mehr Aufsehen, erregt haben. Im Gegensatz zu den in Rot, Schwarz und Gelb gekleideten Tänzerinnen trug sie ein einfaches glattsitzendes Kleid von mattgrauer Farbe und ein gleichfarbiges Hütchen. Ihr schmaler, feinbeschuhter Fuß, dessen Spitze unter dem langen Kleide hervorlugte, machte die Schuhe der Mädchen nur noch plumper und derber aussehen, und ihre schmale, schlanke Taille kontrastierte seltsam mit den schwellenden Formen der Mexikanerinnen, die durch kein Korsett gehalten wurden. Nun erst schien sie zu bemerken, daß sie allein stand, aber ohne Furcht oder Erschrecken darüber zu zeigen, trat sie ein wenig zurück, sah hinter sich, als suche sie dort jemanden, als sie plötzlich meiner ansichtig wurde. Sie lächelte leicht, sah dann aber neugierig zu Enriquez hinüber, der noch neben mir stand. Ich trat zu ihr hin, denn ich glaubte bemerkt zu haben, daß einige Burschen nicht übel Lust hatten, mit ihr anzufangen.

»Ist das nicht das Sonderbarste, was Ihr jemals saht?« sagte sie ruhig. Dann das Erstaunen auf meinem Gesicht bemerkend, fuhr sie im leichten Konversationston fort: »Mein Onkel verließ uns soeben, um noch einen Besuch in der Nachbarschaft zu machen, ich ging mit Jokasta nach Hause, als ich hier die Musik hörte und eintrat. Ich weiß nicht, was aus Jokasta geworden ist; sie schien plötzlich wild geworden zu sein, als sie jenen Menschen dort mit den vier Tüchern tanzen sah. Ihr spracht ja gerade mit ihm. Ist er ganz gesund?«

»Ich denke, ja,« erwiderte ich mit halbem Lächeln.

»Ihr wißt, was ich meine,« sagte sie einfach. »Tanzt er so wild, weil er den Tanz liebt, oder wird er bezahlt dafür?«

Das war zu viel. Ich erzählte ihr, daß er ein Nachkomme einer der ältesten kastilianischen Familien war, daß der Tanz ein Nationaltanz und er selbst mein liebster Freund sei.

»Ihr wollt doch damit nicht sagen, daß alles, was er that, zum Tanz gehörte. Ich glaube, nicht; das war doch seine Erfindung.«

Als ich angesichts dieser Wahrheit mit der Antwort zögerte, fuhr sie fort: »Ich wünschte, er tanzte noch einmal, glaubt Ihr, daß Ihr ihn dazu veranlassen könnt?«

»Vielleicht, wenn Ihr ihn bittet,« entgegnete ich malitiös.

»Das werde ich nicht thun; einerlei, ich glaube, er will schon wieder anfangen. Geht hin.«

Zu meinem Schrecken gewahrte ich, daß Enriquez, wahrscheinlich angeregt durch die Anwesenheit der schönen Fremden selbst, sich seines Rockes entledigte und die vier Tücher zusammengeknüpft um seine Taille schlang, sich so zum neuen Tanz vorbereitend. Ich warf ihm warnende Blicke zu, aber vergebens.

»Ist es nicht zu albern,« sagte sie wieder mit ihrer leisen klaren Stimme. »Ihr wißt, ich sah noch niemals dergleichen, ich habe nicht geglaubt, daß es solche Menschen giebt.«

Ich war sicher, daß jede Warnung meinerseits fruchtlos gewesen wäre. Er ließ sich von einem Musikanten eine Guitarre geben, griff ein paar Töne und bewegte sich im Zickzack in die Mitte des Saales, den Körper nach dem Rhythmus der Musik und den Tönen eines dünnen Tenors langsam und graziös hin und her wiegend. Es war ein einfaches Liebeslied. Vermutlich hatte Miß Mannersley trotz ihrer vielen Sprachkenntnisse keine Ahnung vom Kastilianischen, aber sie mußte bemerken, daß alle Gesten und Bewegungen ihr galten. Er feierte sie in seinem Liede als das schönste Mädchen im Lande, pries die Schönheit ihrer Augen, nannte sich einen Briganten und Straßenräuber, dessen Herz sie gestohlen. Mittlerweile hatte er sich im Tanze ihr genähert, breitete tanzend und singend seinen Shawl vor ihr aus, und mit den letzten Schritten des Tanzes und dem letzten Klang der Guitarre kniete er vor ihr nieder und legte, ihren Fuß küssend, eine Rose vor sie hin.

War ich vorher ärgerlich über ihn, so mußte ich ihn jetzt bemitleiden, als ich bemerkte, wie erzürnt die junge Dame war. Der Applaus der Zuschauer war anhaltend und herzlich; von ihr hörte ich jedoch weiter nichts als: »Ein sonderbarer Mensch!« In meinem Aerger konnte ich nicht umhin, ihr gerade in die Augen zu sehen; sie waren sammetartig braun, wie kurzsichtige Augen gewöhnlich sind; noch immer in Gedanken sagte sie: »Ist er nicht?« und fügte dann hinzu: »Bitte, seht einmal nach Jokasta. Ich glaube, wir müssen jetzt gehen. Ah, da ist sie. Gott, Kind! Wo bist du gewesen?«

Jokasta hob Enriquez’ Rose auf und hielt sie ihrer Herrin entgegen.

»Himmel, ich will sie nicht haben; behalt sie selbst.«

Ich ging mit ihr zur Thür, begleitet von den Blicken der umstehenden Mädchen. Sie schien es nicht zu bemerken, ebensowenig wie sie nicht zu wissen schien, daß Enriquez’ Aufmerksamkeit allein ihr gegolten hatte. Ich fühlte mich deshalb zu einer Erklärung verpflichtet.

»Ihr wißt, daß die niedere Bevölkerung hier zu öffentlichem Tanz zusammentrifft, und ihr Gaffen und Schauen ist nichts Besonderes; es sind ehrliche, hart arbeitende Mädchen, meistens Sklaven und Dienerinnen, die sich hier nach altem Brauch zu amüsieren suchen.«

»Natürlich,« erwiderte die junge Dame gelassen, »ist es ein Maurentanz, der wahrscheinlich durch andalusische Einwanderer hierhergebracht wurde vor circa zweihundert Jahren. Er ist in allen Teilen arabischen Ursprungs, ich fand manches davon zwischen alten Noten in einer Buchhandlung in Boston.«

Ich wandte mich ab, um nach Enriquez zu sehen, der mich, eine Cigarette im Munde, außerhalb des Saales erwartete. Er sah so unzufrieden aus, daß ich zögerte, ihm die verdienten Vorwürfe zu machen. Da kam er mir bereits zuvor und begann, den beiden Mädchen nachsehend: »Dies Mädchen von Boston geht heim und du begleitest sie nicht. Soll ich?« Aber mein Arm hielt ihn zurück, dann setzte ich ihm auseinander, daß sie ihre Sklavin bei sich hätte, daß ich, trotzdem ich ein Bekannter für sie sei, es nicht wagte, sie zu begleiten, und daß er als Fremder sich noch viel weniger diese Freiheit erlauben dürfe; Miß Mannersley sei sehr genau in allem, was die Etikette beträfe, und er als kastilianischer Edelmann dürfe sie ebensowenig aus den Augen lassen.

»Aber wird man sie nicht belästigen?« wagte er einzuwenden, nervös erregt seinen kleinen Schnurrbart drehend.

»Nein, man wird nicht, und dann vergiß nicht, ist sie anders als eure Manuelas und Carmens.«

»Entschuldige, mein Freund, Frauen bleiben sich immer gleich. Einerlei, ob die scharfe Toledoklinge durch Seide oder Baumwolle dringt, die Herzen, die sie verwundet, sind sich immer gleich. Ich bin die Toledoklinge, oder möglicherweise du, mein Freund. Deshalb laß uns beide ihr folgen.«

Ich umspannte fester seinen Arm. Er blieb stehen und stieß den Rauch seiner Cigarette heftig heraus; aber im nächsten Moment strebte er bereits wieder vorwärts: »Laß uns ihr wenigstens aus der Ferne folgen, wir gehen dann an ihrem Hause vorbei und sehen zu ihren Fenstern hinauf, das wird sie rühren.«

So unsinnig es auch war, ich that ihm seinen Willen, vermochte aber nicht, eine nochmalige Warnung zu unterlassen:

»Nach deinem Tanzen hält Miß Mannersley dich für einen Verrückten, mache ihre Meinung über dich nicht noch schlimmer.«

»Du meinst, sie ist ärgerlich?«

Als ich mit der Antwort zögerte, fuhr er bestimmt fort: »Dann ist sie eifersüchtig; siehst du; so ist es.«

Nun schwieg ich nicht länger: »Sie hier, Harry, wissen mußt du es doch, sie hält dich für einen bezahlten Künstler.«

»Ah,« seine Augen blitzten, »der Torero, der den Stier besiegt, ist auch ein Künstler.«

»Ja, aber sie hält dich für einen Clown.«

»So, dann hat sie also über mich gelacht?«

Ich zuckte mit den Achseln.

»Desto besser,« sagte er munter, »Liebe beginnt mit Lachen und endet mit Seufzen.«

Ich sah ihn im Mondlicht an; sein Gesicht zeigte wie immer spanische Ruhe, die bei ihm noch dazu meist ironisch war, seine kleinen schwarzen Augen blitzten und glitten wie immer bald hierhin bald dorthin, ich konnte mir unmöglich denken, daß die unnahbare Kälte Miß Mannersleys irgend welchen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Im Weitergehen suchte ich ihn mehr zu überzeugen. »Natürlich, du hast nur Unsinn gemacht, aber sieh, Miß Mannersley glaubte, es war Ernst und das, was sie sah, deine eigene Natur. Und zuletzt, du wirst doch nicht wünschen, daß sie dich für einen gewöhnlichen Possenreißer hält oder einen berauschten Muchacho.

»Berauscht?« wiederholte Enriquez. »Ja, das ist das richtige Wort; mein Freund, du hast ins Centrum getroffen; es ist ein Rausch, aber nicht von Branntwein. Sieh, ich habe einen Vorfahr, von dem man sich folgende hübsche Geschichte erzählt. Eines Tages bemerkte er in der Kirche ein einfaches Landmädchen. Er sah ihr in die Augen, taumelte und fiel. Man trug ihn nach Hause und hier tanzte und sang er immerfort. Und dabei war das Mädchen nicht einmal schön. Mein Ahne hieß –«

»Don Quixote de la Mancha,« fiel ich ein, »ich weiß genug; »komm mit.«

»Sein Name war,« fuhr Enriquez unbeirrt fort, »Antonio Hermenegildo de Salvatierra. Jener Don Quixote existiert überhaupt nicht.«

»Unsinn. Ums Himmels willen, wir sind dicht vor ihrem Hause, nimm dich zusammen.«

Es war eine wunderschöne Mondnacht. Das hohe Portal des Pfarrhauses im Schatten der Rieseneiche, der größten im ganzen Encimal, erglänzte in Schwarz und Silber. Die beiden Mädchen standen bereits in der Thür, als Miß Urania noch mit einem letzten Blick die Schönheit um sich herum ansah; sie sah uns, als wir vorbeigingen, und nickte sorglos zu mir herüber. Als sie neben mir Enriquez erkannte, sah sie ihn etwas schärfer an. Zu meinem Schrecken begann er allerlei Gesten zu machen, ich ergriff ihn fester am Arm und die Thür schloß sich hinter der jungen Dame.

»Du glaubst es nicht, Freund Pancho,« begann er, »aber diese Augen brennen, wie ein Brennglas durch Papier, durch mich hindurch. Wir wollen uns unter diesen Baum stellen; sie wird ohne Zweifel am Fenster erscheinen, dann wollen wir einen Gutenachtgruß hinaufsenden.«

»Das wollen wir nicht,« entgegnete ich scharf. Und als er merkte, daß ich fest blieb, folgte er mir ruhig. Zu meinem Vergnügen hatte er noch dazu das Fenster angesehen, das, wie ich wußte, zum Studierzimmer des Pfarrers gehörte, während die Schlafzimmer nach hinten hinaus lagen. So hatte glücklicherweise weder Miß Mannersley noch Jokasta etwas von seinem letzten Einfall gemerkt. Aber ich verließ ihn nicht eher, als bis er, Schokolade nippend, zwischen seinen beiden liebsten Tänzerinnen saß.

Die Fandangos fanden meistens am Sonnabend statt, und am nächsten Tag, einem Sonntag, vermißte ich Enriquez. Da er ein eifriger Katholik war, glaubte ich ihn morgens in der Messe und vermutete ihn am Nachmittag beim Stiergefecht in San Antonio. Ich war etwas erstaunt, als ich am Morgen des Montag die Plaza kreuzte und plötzlich vom Reverend Mr. Mannersley angehalten wurde, der mich vertraulich am Arm faßte. Fragend sah ich ihn an. Bis auf den fehlenden humoristischen Zug glich er sonst ganz der Figur des Onkel Sam. Seinen Bart mit drei Fingern streichend, begann er: »Ihr seid, glaube ich, mehr als ich eingeweiht in die Sitten und Gebräuche der hier ansässigen spanischen Bevölkerung.« Ich erschrak; hatte er von Enriquez’ Thorheiten gehört? Hatte Miß Mannersley ihn verraten? »Ich habe mich bisher wenig um ihre Sprache und ihre Sitten gekümmert, weil ich durch das Studium ihrer Religion völlig in Anspruch genommen war. Ich habe mich zu missionären Zwecken sogar mit ihnen verbunden und in der Predigt am letzten Sonntag durch die Klarlegung meiner Absichten großen Erfolg erzielt. Ich habe freilich von katholischer Seite noch keine Kritik über mein Thun gehört, aber ich habe alle Ursache, zu glauben, daß man dort mir sehr geneigt ist und meiner Arbeit Anerkennung zollt.«

Ich wußte noch immer nicht, wo hinaus er wollte. Er fuhr fort:

»Ich bin gänzlich unbekannt mit dem Charakter der spanisch-amerikanischen Rasse. Sie gestikulieren – ja? Sie drücken ihre Freude, ihre Gefühle, Leidenschaften durch Gesten aus? Sie tanzen nach eigener Erfindung – ja?«

Ein furchtbarer Verdacht stieg in mir auf; ich sah ihn hilflos an.

»Ich sehe,« sagte er begütigend, »daß diese Frage etwas sonderbar ist, ich will mich näher erklären. Mir ist in der vorletzten Nacht etwas Sonderbares passiert. Ich hatte einen Besuch gemacht und befand mich allein in meiner Bibliothek, an der Predigt für gestern arbeitend. Es muß sehr spät gewesen sein, als ich aufhörte, denn meine Nichte war mit ihrem Mädchen bereits vor einer Stunde heimgekommen. Da hörte ich von der Straße her die Klänge einer Guitarre, welche ein Lied begleiteten, dessen Worte ich nicht verstand, das dem Ausdruck der Stimme nach jedoch nur eine Huldigung bedeuten konnte. Zuerst schenkte ich dem Ganzen wenig Aufmerksamkeit, trat endlich aber doch neugierig ans Fenster. Selbst ungesehen, bemerkte ich unter der großen Eiche einen jungen Spanier. Er mußte mich jedoch bemerkt haben, denn er kam bei meinem Nähertreten schnell unters Fenster und grüßte hinauf. Ich verstehe mich wenig auf Gestikulation, aber ich bemerkte doch, daß man Dankbarkeit und Ehrerbietung nicht deutlicher ausdrücken konnte. Er legte seine Hände an die Stirn und die Brust und faltete sie dann zusammen.«

Zu meinem Erstaunen imitierte der Reverend Enriquez’ exaltierte Pantomime.

»Ich bekenne,« fuhr er fort, »daß das Ganze mich sehr bewegte; ich öffnete das Fenster, lehnte mich hinaus und sagte ihm, daß es für eine Unterredung zu spät sei, ich mich jedoch freuen würde, ihn am nächsten Morgen vor dem Gottesdienst in der Sakristei zu sehen oder am Abend vor der Bibelstunde. Ich sagte ihm ferner, daß mein Ziel die brüderliche Gemeinschaft im Evangelium sei und die Besiegung aller gelehrten Zwistigkeiten, und daß seine einfache Anerkennung meiner Gründe und meines Arbeitens mich sehr erfreut hätte. Er schien für einen Augenblick heftig erregt, trat dann aber würdevoll zurück und grüßte mit leichter Handbewegung zu mir hinauf.«

Er hielt inne. War es möglich, daß Enriquez’ ironische Ausgelassenheit erkannt war durch einen größeren Meister? Aber ein Blick in des Reverenden selbstzufriedenes Gesicht belehrte mich eines Bessern. Er hatte keinen Argwohn gefaßt und sprach in vollem Ernst. Er hatte die seiner Nichte gewidmete Serenade als ihm zukommend angenommen. Ich war nahe daran, laut aufzulachen; daran hinderten mich zum Glück seine nächsten Worte:

»Am nächsten Morgen beim Frühstück sprach ich mit meiner Nichte über das Ereignis. Sie hatte nichts gehört, meinte aber auch, daß die Huldigung mir und meinen Bestrebungen zum Zwecke einer einigen Mission gelten sollte. Sie brachte mich auch daraus, daß Ihr mir bestimmt Aufklärung darüber geben könntet.«

Ich war starr. Miß Mannersley, die doch bestimmt Enriquez’ Hand darin erkennen mußte, verheimlichte ihre Begegnung, um ihn zu schützen. Oder schwieg sie, weil sie ihre Gegenwart beim Fandango verheimlichen wollte? Das war doch unnötig, da sie niemand Rechenschaft über ihr Thun abzulegen pflegte. Ich war verwirrt, stimmte ihrer Ansicht zu, wünschte ihm Glück, grüßte und entfernte mich. Aber ich brannte darauf, Enriquez zu sehen; er war wohl ausgelassen, aber niemals unwahr. Unglücklicherweise war er nicht zu Hause, sondern auf der Besitzung seines Vetters zu einem Viehtreiben, wobei er seine Meisterschaft zeigte im Fangen und Zähmen des Viehes und zugleich seine Verwandten entzückte durch die Nachahmung der amerikanischen Sprache und Sitten und der Allüren der gebildeten Welt.

Dann eilten meine Gedanken zu Miß Mannersley. Hatte sie Enriquez’ Serenade gehört? Ich beschloß, sie auszufragen, doch wollte ich Enriquez nicht verraten. Das Glück war mir günstig.

Am nächsten Abend traf ich in einer Gesellschaft mit Miß Mannersley zusammen, sie war, wie immer, der am meisten ausgezeichnete Gast und immerfort umgeben von einer Corona von jungen Leuten, Edelleuten und anderen vornehmen Gästen. Sie hatte mit einem Geologen gerade über das Vorhandensein von Gletschern auf dem Mount Shasta diskutiert, als man sie bat, etwas auf dem Piano zu spielen. Sie spielte mit bemerkenswerter Gewandtheit und Präzision, aber kalt und ohne Ausdruck. So saß sie dort in ihrer elegant sitzenden Abendtoilette. Die Regelmäßigkeit ihres Profils und der schlanke Hals auf hohen Schultern erhöhten nur den Eindruck strengen Puritanismus und hoher geistiger Bildung, so daß Enriquez’ ausgelassene Huldigung mir alberner denn je erschien. Was hatte diese gebildete, scharf beobachtende Dame zu thun mit jenem ironischen, cynischen, wilden, romantischen Don Quixote, jenem unmöglichen Enriquez? Sie hörte gerade auf zu spielen; ihr schmaler Fuß ruhte noch auf dem Pedal und die schlanken Finger lagen müßig auf den Tasten, der Kopf war leicht zurückgeworfen, als suchten sie in der Erinnerung eine Melodie zu erfassen.

»Etwas von Chopin,« bat der Geologe.

»Eine berühmte Sonate,« der Doktor.

»Etwas von Rubinstein,« warf ein anderer dazwischen.

Sie schüttelte den Kopf mit leicht geöffneten Lippen und einem Anflug von Koketterie. Dann griffen ihre Finger plötzlich in die Tasten, ein paar Pizzikato-Töne, das Pedal ging nieder und gleichzeitig begann sie leise mitzusingen. Ich staunte, denn ich erkannte eins von Enriquez’ extravaganten Guitarre-Solis; es war barbarisch, ja, ich fürchte sogar – gemein. Es hatte 104 Verse, wovon Enriquez mir keinen ersparte, und handelte, soviel ich erinnerte, von Don Francisco, einem Stutzer und Großprahler aus der Provinz. Und nun sang noch dazu die gebildete, distinguierte Miß Mannersley, in leichter, ruhiger Stimme das Lob dieses Trinkers, Prahlers u. s. w. Aber die Gesellschaft war in anderer Weise als ich erregt. Die fremde wilde Weise und die ebenso wilde Begleitung nahmen jeden gefangen.

Man trat näher ans Piano, man summte die Melodie mit und der Doktor und der Geologe strahlten vor Vergnügen.

»Eine Tarantella,« flüsterte der erstere.

Miß Mannersley schloß und erhob sich. »Es ist ein maurisches Volkslied aus dem 15. Jahrhundert,« sagte sie trocken.

»Es kam mir doch so bekannt vor,« sagte zögernd ein junger Elegant, »gerade – gerade, als hättet Ihr es irgendwo aufgelesen.«

»Das habe ich auch, und zwar in einer Musikalienhandlung in Boston,« sagte die Miß kalt und wandte sich ab. Aber ich war entschlossen, sie nicht so leichten Kaufs loszulassen und trat an ihre Seite.

»Euer Onkel war so gütig, mich nach einem spanischen Besucher zu fragen, der Ihr Haus in der Nacht zum Sonntag aufsuchte.«

Ich sah in ihre braunen Augen, aber konnte nichts Besonderes darin lesen. Noch dazu setzte sie jetzt gerade ihr goldenes Pincenez auf und sagte leicht:

»Oh, Sie sind es? Wie geht’s? Nun, konnten Sie ihm denn Aufklärung geben?«

»Nur allgemein; dies Volk ist impulsiv; das spanische Blut gleicht einer Mischung von Gold und Quecksilber.«

Sie lächelte leicht. »Das erinnert mich an Ihren sonderbaren Freund; tanzt er noch?«

»Und singt auch zuweilen,« fuhr ich heraus, sie scharf ansehend. Aber sie fügte nachdenklich hinzu: »Ein komischer Mensch,« – trat fort und ließ mich um nichts klüger zurück. Ich fühlte, daß Enriquez allein mir Aufklärung geben konnte; ich mußte ihn sehen.

Ich sah ihn auch; aber anders, als ich erwarten konnte. Am nächsten Sonnabend Nachmittag war ein Stiergefecht in San Antonio. Die sonst übliche Sonntags-Vorstellung war, um den amerikanischen Gewohnheiten entgegenzukommen, auf den Sonnabend verlegt worden. Die größte Attraktion desselben sah man in dem Kampf des Stiers mit einem Bären, eine Konzession des amerikanischen Geschmacks. Ich freue mich, daß ich dem Leser die Schrecken der spanischen Stiergefechte ersparen kann, denn in den kalifornischen Kämpfen war wenig von jener Brutalität zu merken, wie sie im Mutterlands üblich war. Die Pferde waren nicht so miserabel und ausgesogen, sondern junge und kräftige Tiere und die Reitkunst der kalifornischen Pikadores war nicht allein bewundernswert, sondern sie bot zugleich die größte Sicherheit für das Leben von Pferd und Reiter. Niemals habe ich ein Pferd verloren gehen sehen; wenn auch ungeschickte Reiter beim schnellen Drehen und Wenden dem angreifenden Stier zuweilen gefährlich nah kamen, das Pferd kam stets ohne Unfall davon.

Die Plaza de Toros wurde erreicht, die verfallenen Straßen einer alten spanischen Vorstadt. Es war ein roh gebautes, ovales Amphitheater mit häßlich weiß getünchten Wänden und nur über den reservierten Plätzen mit einem primitiven Dach versehen. Hier waren die Plätze der Provinz-Notablen, die jetzt jedoch von einigen Kaufleuten und ihren Frauen und wenigen amerikanischen Reisenden eingenommen waren. Der feine Staub der Arena wurde durch den Nachmittagswind aufgewirbelt, der wohlthuend den Knoblauchgeruch und den Dunst und Rauch schlechter Cigarren verteilte.

Ich lehnte mich über die zweite Barriere und wartete auf das Erscheinen der mager ausfallenden Prozession, welche die Schlüssel des Stierkäfigs brachte, als meine Aufmerksamkeit durch das Eintreffen zwei neuer Zuschauer in der reservierten Gallerie abgelenkt wurde. Eine Dame und ein Herr, die entschieden von höherem Rang als die übrigen Anwesenden waren, drängten sich durch die Bänke nach einem der vorderen Sitze. Ich erkannte mit einigem Erstaunen den Geologen und mit noch größerer Verwunderung in der Dame niemand anders als Miß Mannersley in einem eleganten Promenadenkostüm, dessen einfache matte Farbe von den farbensatten Toiletten des Publikums vorzüglich abstach.

Freilich war ich weniger erstaunt als das Publikum, denn ich kannte ihre Grillen so gut wie Enriquez’ Extravaganzen; aber ich war doch zufrieden, daß ihr Onkel ihr erlaubt hatte, zu kommen und dadurch seinen vermeintlichen katholischen Freunden entgegenkam; ich beobachtete sie; der erste Stier trat ein und wurde nach einem prächtigen Scharmützel mit den Pikadores und Banderillos überwältigt. In dem Augenblick, wo der Matador vortrat, um den Stier mit der Waffe niederzustrecken, konnte ich nicht umhin, einen Blick zu Miß Mannersley hinüberzuwerfen. Ihre Hände ruhten im Schoß und ihr Kopf war leicht vornüber geneigt. Ich glaubte schon, daß sie ihre Augen geschlossen hatte, um die brutale Situation in der Arena nicht zu sehen; zu meinem Schrecken aber sah ich in ihrer Hand einen Zeichenblock und sie selbst die Scene zeichnend. Ich wandte mich zu dem sterbenden Stier.

Das zweite Tier wurde herausgeführt, zeigte sich aber ungewiß, närrisch und beunruhigte seine Schlächter. Mit funkelnden argwöhnischen Augen folgte er jeder Bewegung und schlug den Angriff der sich drehenden und ihn reizenden Pikadores ab. Sich gegen die Barriere stemmend, stampfte er wütend mit den Hufen den Boden und hüllte sich in eine dichte undurchdringliche Wolke. Die Pikadores standen abwartend in sicherer Entfernung; das Publikum suchte den lässigen Stier durch allerlei Zurufe zu reizen. Giftige Worte flogen zu ihm hinüber, untermischt mit den Rufen der Espada; der Matador stemmte den Ellenbogen unter dem kurzen Mantel, mit der blitzenden Waffe in der Hand trat er vor und – stand. Der Stier blieb bewegungslos.

Da wirbelte ein heftigerer Wind auf; der Staub erhob sich dichter und wirbelte zwischen die Bänke und Balkons, sodaß die Vorstellung zu stocken schien. Ich hörte einen Ausruf des Geologen, welcher aufgestanden war, gleichzeitig glaubte ich einen schwachen Ruf von Miß Mannersley zu hören, aber im nächsten Moment, als der Staub sich langsam legte, erhob sich ein neuer Wirbelwind und ein Stück weißes Papier wirbelte und flatterte schwankend in die Mitte der Arena. Es war ein Blatt aus Miß Mannersleys Zeichenblock, dasjenige, worauf sie gezeichnet hatte.

In der folgenden Pause hatte der Stier es schon gesehen und sah es mit argwöhnischen Blicken an; wild begann er zu schnauben. Entweder war er mit seinem eigenen Porträt auf der Zeichnung nicht zufrieden, oder er wollte den Eindringling in seinem Revier nicht dulden; der Matador, bemerkend, daß der Stier all sein Sinnen auf das Blatt konzentrierte, trat mit einem Seitenblick in den Zuschauerraum auf das Papier zu. Aber gleichzeitig kletterte ein junger Mann über die Barriere, schwang sich mit leichtem Sprung in die Arena, schob den Matador zur Seite, griff das Papier auf, wandte sich zum Balkon, verneigte sich dann lustig vor dem Stier, kniete nieder vor ihm und hielt ihm die Zeichnung entgegen.

Donnernder Applaus schallte ihm entgegen untermischt mit warnenden Zurufen, denn der gereizte Stier zeigte Lust, den Fremden anzugreifen. Aber gewandt sprang dieser zur Seite, machte dem Matador eine höfliche Geste, als überlasse er ihm das Weitere, kletterte mit dem Papier über die Barriere und erreichte sicher den Zuschauerraum. Mich kümmerte der sterbende Stier nicht weiter; meine Augen folgten dem jungen Mann, der die Stufen zum Balkon hinaufschritt, das Blatt mit ehrerbietigem Gruß in Miß Mannersleys Schoß legte und verschwand. Es war für mich kein Zweifel mehr, die Gestalt, der kleine Schnurrbart, die lustig blitzenden Augen, der schwebende Gang, die Extravaganz des ganzen Auftritts konnten nur Enriquez gehören. Als die sechs Maulesel den Kadaver hinausschleiften, eilte ich zu Miß Mannersley hinauf. Sie legte gerade ruhig, als wisse sie nichts von all den beobachtenden neugierigen Blicken, den Block zurecht. Mich erkennend, lächelte sie leicht. »Ich erzählte Mr. Briggs gerade, was das für ein außergewöhnlicher Mensch sei und daß Sie ihn kennen. Er muß große Erfahrung in solchen Dingen haben, das beweist seine Sicherheit und Ruhe dabei. Thut er so etwas oft? Ich meine nicht gerade das. Aber hebt er vielleicht Cigarren oder andere Dinge auf, die, wie ich sehe, den Matadoren zugeworfen werden?

»Gehört er zur Bedienung? Mr. Briggs hält das Ganze für einen Trick, um den Stier zu reizen,« fügte sie mit einem Blick auf den Geologen hinzu, der etwas betroffen dreinsah.

»Ich fürchte,« sagte ich trocken, »der ganze Auftritt war so unüberlegt und unabsichtlich wie ungewöhnlich.«

»Weshalb fürchten?«

Ich sah meinen Mißgriff ein. War es fein von mir, meinen Freund dieser herzlosen Kokette zu überlassen?

»Ihr seid nicht sehr galant!« sagte sie lächelnd und war mit ihrem Stab verschwunden, ehe ich etwas antworten konnte.

Die Villa Ramon Saltillos, des Cousins von Enriquez, lag im Vorort des Dorfes. Als ich eintraf, fand ich Enriquez’ Mustang, aber obgleich ich von den Dienern sofort eingelassen wurde, fand ich Enriquez behaglich ausgestreckt in einer Hängematte liegen. Seine Arme hingen schlaff herunter, doch konnte ich die Empfindung nicht unterdrücken, als ob der Schurke erst soeben angelangt sei.

»Du bist zu rechter Zeit gekommen, Freund Pancho,« sagte er mit den Zeichen höchster Erschöpfung. »Ich bin vollständig erschöpft. Ich spreche nicht, ich bekümmere mich um nichts, weil ich im Feuer war.«

»Ich sehe, der Stier war die Ursache.«

Er fuhr in der Hängematte auf: »Der Stier? Caramba! Nicht tausend Stiere! Ich rolle meine Cigarette unter seiner Nase.«

»Gut, was war es denn?«

Er legte sich augenblicklich wieder nieder und rief: »Er fragt mich – dieser Freund meiner Seele – dieser Bruder meines Lebens, dieser Pancho, den ich liebe, fragt mich, was es ist. Und doch weiß er, mein Partner – dieser Francisko, daß ich das Mädchen von Boston gesehen habe. Daß ich in ihr Auge sah, ihre Hand berührte und einen Augenblick das Bild besaß, das sie zeichnete. Es war ein schönes Bild, Pancho,« sagte er und setzte sich wieder aufrecht hin, »und hat den Stier eher getötet als das Schwert unseres Freundes.«

»Höre, Enriquez,« sagte ich, »hast du dem Mädchen eine Serenade gebracht?«

Er zuckte seine Schultern ohne das geringste Erstaunen und sagte: »Jawohl. Doch was willst du?«

»Gut,« entgegnete ich, »dann mußt du wissen, daß ihr Onkel alles auf sich bezog.«

Er lachte nicht einmal. »Bueno,« sagte er ernst. »In solchen Sachen muß man mit der Duenna beginnen. Er ist die Duenna.«

»Und,« ich ging unerbittlich vor, »ihre Begleiter sagten ihr soeben, daß dein Reizen des Tieres nur ein Trick war, den du vom Unternehmer bezahlt erhältst.«

»Bah! Ihr Begleiter ist ein Geologe. Natürlich! Sie ist ihm gegenüber ein Stein.«

Ich würde noch fortgefahren haben, aber Enriquez wurde in demselben Augenblick abgerufen, nachdem er mich gebeten hatte, zu warten.

Vollständig unzufrieden wartete ich und legte mich in die Hängematte. Ein Blatt Papier lag in den Maschen. Zuerst schien es mir, als ob es ein Stück Papier sei, aus dem Enriquez seine Cigaretten drehe, bei genauerem Hinsehen aber bemerkte ich, daß es ein Blatt von dem Zeichenpapier war, welches Miß Mannersley, zu benutzen pflegte; es schien mir, als ob die fehlende Hälfte für eine Notiz gebraucht worden war. Ich wußte, daß er die Skizze Miß Mannersley zurückgegeben hatte, denn ich hatte sie in ihrer Hand gesehen. Hatte sie ihm eine andere gegeben? Oder war es der Teil eines Briefes, den er zerstört hatte? Im ersten Augenblick dieser Entdeckung sprang ich auf und ging zum Thorweg, wo ich Enriquez erscheinen sah. Er ging gerade außerhalb des Thores mit einem jungen Mädchen spazieren – es war Jokasta, Miß Mannersleys Magd.

Ueber diese neue Entdeckung empfand ich etwas in meinem Innern, was die Freundschaft Enriquez’ zu mir in ein schlechtes Licht stellte. Die Entschuldigung, daß es nicht meine Sache und daß eine Dame im Spiel sei, gab es für mich nicht; aber ich war um so mehr erstaunt, als die Entdeckung meine ganze Theorie von der Verbindung zwischen Enriquez und Miß Mannersley über den Haufen warf. Ich ging zum Thorweg hinaus, bot Enriquez flüchtig good-bye, entschuldigte meine Eile mit einer andern Verpflichtung und schien das Mädchen gar nicht zu bemerken. Aber der Spitzbube hielt mich an, legte seine Arme um meinen Nacken und flüsterte mir ins Ohr: »Ah – du verstehst mich – du bist ja das Muster von Verschwiegenheit!« und ging zu Jokasta zurück. Ob er eine Botschaft von Miß Mannersley empfangen hatte oder ihr eine geben wollte, weiß ich nicht.

Während der nächsten zwei oder drei Wochen sahen wir uns oft. Eines Nachmittags sagte Enriquez sorglos zu mir:

»Mein Freund, du gehst heute abend zu Mannersley. Ich habe auch eine Einladung. Aber du wirst mein Merkur – mein Leporello sein und dieser Miß Boston sagen, daß ich zermalmt, niedergeschlagen, schlaff bin – daß ich nicht kommen kann, daß ich bei der Großmutter meines Schwagers wachen muß; sie hat die Bräune zum Tode. Traurig!«

Dies war die erste Probe, die ich von Miß Mannersleys Fortschritten erhielt. Ich war gleichfalls sehr überrascht von Enriquez’ Absage.

»Nonsense!« sagte ich, »nichts hält dich vom Gehen ab!«

»Mein Freund!« erwiderte Enriquez, »alles wird mich zurückhalten. Ich bin nicht stark. Ich werde schwach in den Knieen und zittere unter den Augen von Miß Boston. Ich werde dem Geologen an die Gurgel fahren. Nenne mir eine andere Schnurre, die leicht ist.«

Er ging nicht. Aber ich that es. Ich fand Miß Mannersley schön angekleidet und in animierter Stimmung. Die feurige Glut in ihren undurchdringlichen Augen, als sie sich an mich wandte, schmeichelte mir, der ich glaubte, die Verdienste Enriquez’ in Empfang zu nehmen. Ich brachte seine Entschuldigungen vor, so gut ich konnte. Sie schien einen Augenblick um einen Zoll gewachsen. »Ich bin so traurig,« sagte sie in ihrer gewöhnlichen Stimme, »denn ich glaubte, er würde sich amüsiert haben. In der That, hatte ich gehofft, wir würden einen alten maurischen Tanz mit einander tanzen, den ich aufgefunden und eingeübt habe.«

»Er würde erfreut gewesen sein, ich weiß es. Es ist sehr schade, daß er nicht mit mir gekommen ist,« sagte ich schnell und fügte hinzu, »aber er ist solch ein außergewöhnliches Geschöpf, wie Sie wissen.«

»Ich sehe nichts Außergewöhnliches in seiner Verehrung für eine alte Bekannte,« sagte sie im Fortgehen.

Ich wußte nicht, weshalb ich ihm dies nicht erzählte. Möglicherweise hatte ich es aufgegeben, sie zu verstehen, vielleicht auch glaubte ich, sie könnten selbst auf sich achten.

Aber ich war erstaunt, als er nach einigen Tagen, nachdem er mich eingeladen hatte mit zu seinem Onkel zu gehen, zu mir sagte: »du wirst Miß Boston treffen.«

Das Fest bei seinem Onkel, eine jährliche Jagd auf Vieh, um es später zu braten, war ein ziemlich brutales Vergnügen, aber auch ein Familienfest, und Fremde, besonders Amerikaner, fanden es sehr schwer, Zutritt zu erlangen.

»Aber wie hat sie eine Einladung erhalten?« fragte ich.

»Mein Freund!« sagte Enriquez, »die große und respektable Boston selbst und ihr ehrwürdiger Onkel haben mir die Ehre gegeben, meinen papistischen Onkel zu ersuchen, daß sie kommen werden, damit sie mit eigenen Augen die barbarischen Gebräuche unserer Rasse kennen lernen.«

Sein Ton und seine Weise waren so sonderbar, daß ich meine Hand auf seine Schultern legte und ihm ernst ins Gesicht sah. Aber der Teufel in den Augen wich plötzlich. »Ich werde dort sein, Freund Pancho,« sagte er. »Ich werde den Lasso werfen und den Stier zu ihr heranziehen, ich werde das vergrabene Huhn mit voller Schnelligkeit aus dem Boden heben und ihr überreichen.«

Er war so gut als sein Wort. So kam es auch. Enriquez zeigte sich überall als Meister, und immer überreichte er ihr als seiner Herrin die Beutestücke. Sie sah ebenso glücklich aus, wie an jenem Abend, an dem Enriquez nicht erschien.

Aber nie sah ich sie und Enriquez zusammen, sie sprachen kein Wort miteinander. Und obgleich sie Gast seines Onkels war, schienen seine Pflichten ihn aufs Feld und von ihr fortzuführen. Ich wußte, oder glaubte zu wissen, von ihrer näheren Bekanntschaft, sonst hätte man sie für Fremde halten müssen.

Aber ich wußte sicher, daß die Feste sie zusammenbringen würden. Am Abend, als wir alle auf der Veranda saßen und dem Tanze mexikanischer Weiber zusahen, rief Miß Mannersley uns vom Hause. Sie schien von dem barbarischen Tanz abgestoßen, denn sie hatte sich über das Geländer gelegt und die Wange auf ihre Hand gestützt.

Plötzlich schrie sie auf.

»Was ist?« fragten zwei oder drei.

»Nichts – ich habe nur meinen Fächer verloren.« Sie war aufgestanden und wollte hinausgehen.

»Lassen sie mich ihn holen,« rief ein halbes Dutzend Stimmen.

»Nein, danke Ihnen.« Sie ging selbst. Aber das konnte der alte Don Pedro nicht dulden. Wenn er auch nicht selbst ging, mußte doch ihr Kavalier vom Tage, Enriquez, gehen. Aber Enriquez war nirgends zu finden.

Ich sah auf Miß Mannersleys etwas verstörtes Gesicht und bat, den Fächer holen zu dürfen. Sie rief mir noch mit leiser Stimme zu: »Auf dem Steinsitz im Garten,« dann war ich trotz des Protestes des alten Don Pedro verschwunden.

Auf dem Steinsitz lag neben dem Fächer aus grauen Federn ein schwarzer, goldeingefaßter Panzerhandschuh, den Enriquez bei dem Fest getragen hatte.

Ich steckte ihn schnell in meine Tasche und lief zurück.

Am Thorweg sagte ich einem Diener, er möchte Enriquez zu mir bitten. Der Mann starrte mich an und sagte, daß der Herr vor 10 Minuten fortgeritten sei.

Auf der Veranda gab ich Miß Mannersley wortlos den Fächer und erhielt von Don Pedro höchstes Lob.

Miß Mannersley zog sich früh zurück. Ich sagte ihr nichts von meiner Entdeckung, denn ich wollte mich nicht in ihr Geheimnis eindrängen. Es unterlag keinem Zweifel, daß Enriquez und sie zusammengewesen waren, und nach Enriquez’ schnellem Verschwinden fürchtete ich das Schlimmste.

Am andern Morgen stand ich früh auf und ging in das Gesellschaftszimmer, aber da waren auch schon andere Personen. Mit dem Frost der frühen Morgenluft kam eine Furcht über mich, denn Enriquez war noch nicht da. Konnte sich nicht ein Unglück ereignet haben? Vielleicht wußte Miß Mannersley etwas oder konnte sonst eine Auskunft geben.

Ich fragte eine der mexikanischen Frauen, ob Miß Mannersley schon aufgestanden sei, erfuhr aber zu meinem Erstaunen, daß sie und ihre Dienerin in der Nacht gar nicht im Hause gewesen waren.

Einen Augenblick war ich sprachlos, dann ging ich hinaus. Auf dem Korridor berührte mich ein Vaquero an der Schulter. Er war gerade angelangt und noch mit dem Staub der Landstraße bedeckt. Er gab mir einen mit Bleistift auf ein Blatt aus Miß Mannersleys Skizzenbuch geschriebenen Brief.

»Freund Pancho!

Wenn du diesen Brief liest, sollst du an die Möglichkeit denken, daß ich nicht mehr bin. Ich bin viel mehr, ich bin zweimal soviel, denn ich habe Miß Mannersley geheiratet. In der Missionskirche, um fünf Uhr morgens. Karten werden nicht losgelassen. Ich küsse die Hand meines ehrenwerten Schwiegeronkels. Du kannst ihm sagen, daß wir in die südliche Wildnis fliegen, wie alle vereinigten evangelischen Missionare zu den Heiden. Miß Boston selbst sagt es! Ta–ta! Wie ist dir nun?

Dein
Enriquez.«