Edgar Wallace
Ins Deutsche übertragen von
Ravi Ravendro.
Nichts überraschte Sanders mehr als die Unwissenheit des niemals »draußen« gewesenen Durchschnittsengländers in allen Fragen, die die afrikanischen Völker betrafen. Sonderbare Dinge gingen in dem »Schwarzen Fleck«, wie die Beamten an der Küste den Sanders unterstellten Bezirk nannten, vor sich; an Wunder grenzende Dinge, geheimnisvolle Dinge, aber Sanders war davon niemals überrascht. Er hatte es mit einem Volk zu tun, das an Geister und an den Gottseibeiuns in Gestalt glaubte; und Sanders fühlte mit ihnen, denn er sah ein, daß es nicht angeht, alles Böse nur menschlichem Wirken zuzuschreiben.
Sanders war ein unruhiger Geist, wenigstens hielten ihn seine Untertanen dafür, und ein klein wenig verrückt, auch das war die Meinung der Eingeborenen. Das schlimmste von allem aber war, in seinem Wahnsinn lag keine Methode.
Bei anderen Bezirksamtleuten konnte man sicher sein, daß sie nach der großen Regenzeit kamen. Sie pflegten ihre Ankunft vorher anzukündigen; das hatte doch seine Art. Darin waren sich die Isisis, die Ochoris, die N’Gombis, die doch sonst untereinander in Streit lagen, einig. Wenn man zeitig genug von der bevorstehenden Ankunft des Bezirksamtmanns Wind bekam, war es möglich, die häßlichen Beweise einer Übeltat zu beseitigen, alles sauber zu machen und vom Schlamm des Bösen zu reinigen.
Es war schlimm, verkatert, mit all den Anzeichen einer wüst durchtobten Nacht an sich, die wider einen zeugten, aus seiner Hütte zu treten und sich den kalten forschenden Augen des kleinen braun gebrannten Mannes, der in tadellosem Weiß vor einem stand, gegenüber zu sehen. Die Gerte, die er gewöhnlich in der Hand trug, schwippte dabei ab und zu an seine Beine, als ob sie auch ein Wort mitzureden hätte. Und da waren immer vier Polizeihaussas, in blaue und rote Uniform gekleidet, in seinem Hintergrund; unbeweglich, aber wachsam und winkbereit.
Einmal kam Sanders in ein N’Gombidorf, als er nach menschlichem Ermessen in seinem bequemen Bungalow dreihundert englische Meilen flußabwärts hätte sein müssen.
Sanders schlenderte durch die Dorfstraße, gerade als die Sonne über die Wipfel der Bäume schielte und lange Schatten vor dem zitronengelben Licht längs des Erdbodens liefen.
Das Dorf lag still und verlassen. Das war ein böses Zeichen. Es redete von nächtlichen Orgien. Sanders ging weiter, bis er zu dem großen Viereck kam, in dessen Nähe das Palaverhaus stand. Dort schwelten noch die verkohlten Überbleibsel eines erloschenen Feuers.
Sanders bemerkte etwas, das ihn veranlaßte, zwischen der Asche herumzustochern.
»Pah!« entfuhr es ihm; er schnitt ein Gesicht.
Er schickte nach seinem Dampfer, um alle Polizeisoldaten zu holen, die er mit sich hatte. Dann ging er in des Häuptlings Hütte und trat diesen, bis er erwachte.
Der Häuptling kam heraus, blinzelnd und fröstelnd, obwohl der Morgen warm war.
»Telemi, Sohn des O’ari, sage mir, weshalb ich dich nicht hängen soll, du Biest von einem Menschenfresser!«
»Herr«, entgegnete der Häuptling, »wir aßen diesen Mann, weil er unser Feind war, weil er nachts ins Dorf einbrach und unsere Ziegen und Hunde stahl. Außerdem haben wir nicht gewußt, daß du in der Nähe warst.«
»Das glaube ich schon«, meinte Sanders.
Die Sprechtrommel rief die Dörfer aus dem Schlaf, und vor einer schweigenden Zuschauerschaft wurde der Häuptling des N’Gombidorf es nach allen Regeln der Kunst geknutet. Dann rief Sanders die Ältesten zusammen und sagte ihnen einige Worte des Trostes und der Ermunterung.
»Nur Hyänen und Krokodile und gewisse Fische fressen ihresgleichen auf!« – Ein allgemeiner Schauer überlief die Versammlung, denn mit einem Fisch verglichen zu werden, ist für die N’Gombis eine tödliche Beleidigung. – »Ich hasse Menschenfresser, und des Königs Regierung haßt sie auch! Wenn mir noch einmal zu Ohren kommt, daß ihr Menschen freßt – und ich habe viel Spione –, gleichgültig ob Feind oder Freund, werde ich schnell hier sein und euch bis aufs Blut peitschen lassen. Und wenn es dann noch einmal passieren sollte, dann werde ich einen Strick und Block mit mir bringen, ich werde einen Baum finden, und da werden zerstörte Hütten im Lande sein.«
Bei der Drohung der zerstörten Hütten erschauerten die N’Gombis von neuem, denn es war ihre Stammessitte, die Hütte eines Toten niederzureißen, um dessen Seele aus der Hütte ins Freie zu lassen.
Sanders führte den Häuptling in Eisen mit sich, und im Laufe der Zeit kam der Gefangene in eine kleine Hafenkolonie an der Küste, wo er fünf Jahre Zwangsarbeit in Gesellschaft anderer unbotmäßiger Häuptlinge abmachte.
In den Bezirken, die am Oberlauf des Flusses lagen, nannte man Sanders mit dem langen und klangvollen Namen »Der Mann, der ein treuloses Weib hat«; ein kleiner Scherz Bosambos, und sehr zutreffend, denn Sanders war mit seinen Untertanen verheiratet.
In Nord und Süd und Ost und West streifte er umher. Er marschierte Tag und Nacht, manchmal sauste sein kleiner Dampfer flußaufwärts und wurde von den Bösewichten in den kleinen Fischerdörfern verfolgt, bis er außer Sicht war.
»Geht!« befahl Sarala, ein kleiner Häuptling der Akasavas, zweien seiner jungen Leute. »Fahrt drei Stunden in eurem Kanu stromaufwärts und beobachtet den Fluß wegen Sandis Rückkehr. Beim ersten Zeichen des Dampfers, den ihr vom Hügel an der Flußkrümmung sehen müßt, kommt zurück und warnt mich, denn ich möchte einer gewissen Sitte meiner Väter folgen, an der Sandi keine Freude hat.«
In dieser Nacht brachte der Sohn des Häuptlings beim Schein des Feuers und bei Tanz und Trommelschlag seinen kaum zehn Stunden alten Erstgeborenen und legte ihn zu seines Vaters Füßen. Das Kind schrie kläglich, als ob es sein Schicksal ahnte.
»Leute!« rief der kleine Häuptling. »Es geht eine Sage, so alt wie die Zeit, daß dem Erstgeborenen eine besondere Kraft innewohnt, und wenn wir ihn verschiedenen Göttern und Dämonen opfern, wird uns Glück in allem, was wir tun, beschert sein!«
Er sagte seinem Sohne ein Wort; dieser nahm einen Speer mit breitem Blatt und grub ein kleines Grab. In dieses wurde das lebende Kind gelegt. Die kleinen Füße stießen gegen die lose Erde.
»O Gott und Teufel«, betete der Alte, »wir vergießen kein Blut, damit dieses Kind unbefleckt zu euch komme.«
Der Sohn stieß einen Haufen loser Erde mit dem Fuß so, daß sie die Beinchen des Säuglings bedeckte. In diesem Augenblick trat Sanders in den Lichtkreis des Feuers, und der Häuptlingssohn fuhr zurück.
Sanders rauchte eine dünne Zigarre; er rauchte eine volle Minute, ohne ein Wort zu sagen, und eine Minute ist eine lange Zeit. Dann trat er an das Grab, bückte sich und hob das Kind unbeholfen heraus, denn er war mehr gewohnt, Männer zu behandeln als Säuglinge; er schüttelte das Kind, um es von der Erde zu befreien, dann übergab er es einem Weibe.
»Nimm das Kind zu seiner Mutter und sage ihr, sie solle es mir morgen wieder lebendig zuschicken, sonst soll sie sich nach einem anderen Mann umsehen.«
Dann wandte er sich an den alten Häuptling und seinen Sohn.
»Alter Mann, wieviel Jahre hast du noch zu leben?«
»Herr«, erwiderte der Alte, »das steht bei dir.«
Sanders kratzte sich nachdenklich am Kinn, der Alte beobachtete ihn, Furcht im Blick.
»Du wirst zu Bosambo, dem Ochorihäuptling, gehen und wirst ihm sagen, ich sende dich zu ihm. Dort magst du seinen Garten pflegen und Wasser tragen, bis du stirbst.«
»Das wird bald sein, ich bin so alt.«
»Wenn du jünger wärst, würde es noch früher sein. Was deinen Sohn anbetrifft, so wollen wir den Morgen abwarten.«
Die Haussas brachten den jungen Mann ins Lager, das Sanders am Flusse aufgeschlagen hätte. Sein Dampfer war nur deshalb vorbeigefahren, um den verdächtigten Häuptling zu täuschen. Am Morgen, als die Nachricht kam, daß der Säugling tot sei – Sanders nahm sich nicht die Mühe, festzustellen, ob durch Schreck, Verletzung oder Erkältung –, wurde der Häuptlingssohn gehängt.
Ich erzähle diese Geschichte von Sanders, damit man den Charakter des Mannes und das Werk, das er zu vollbringen hatte, ganz erfaßt. Wenn er schnell zu handeln pflegte, so war das dem geistigen Niveau der Menschen angepaßt, die er regierte. Denn für ihre Missetaten hatten sie kein Gedächtnis, und das Gestern mit seinen Fehltritten, Irrtümern und Lehren lag für sie schon weit zurück, und ein Mann rächt eine Bestrafung, wenn er sie für ein Verbrechen erhält, das er längst vergessen hat, und sie deshalb als ungerecht empfindet.
Es ist da leicht möglich, einen bösen Fehler zu begehen, aber Sanders beging niemals einen solchen, obwohl er einmal sehr nahe daran war.
Als eines Tages der hervorragende Gelehrte Professor Sir George Carsley unerwartet am Sitz des Gouvernements erschien, um im Auftrage der britischen Regierung Tropenkrankheiten an der Quelle zu studieren, erklärte Sanders ihm seine Ansichten über die Eingeborenen.
Sir George war ein alter Mann mit einem außergewöhnlich bleichen Gesicht und einem schneeweißen Bart.
»Da war ein Berichterstatter hier«, erzählte Sanders langsam, als ob er eine fremde Sprache spreche – er sprach Englisch, für das er hier wenig Verwendung hatte –, »dieser Berichterstatter behauptete, ich behandle meine Eingeborenen wie Hunde. Ich glaube, das stimmt. Das heißt, ich behandle sie wie wirklich gute Hunde, die man nicht in der einen Minute liebkost und in der nächsten mit dem Fuße tritt, die man nicht einen Tag auffordert, auf dem Wohnzimmerteppich zu liegen, und am nächsten Tage vom Kaminteppich wegstößt.«
Sir George antwortete nicht. Er war ein schweigsamer Mann, der bereits einige Erfahrungen an der Küste, gesammelt und mehrere Jahre in der Einsamkeit eines zentralafrikanischen Bezirks zugebracht hatte, wo er die Gewohnheiten der Malariamücke erforscht hatte.
Sanders selbst war niemals ein großer Unterhaltungsmensch, und die drei Tage, die der Professor mit ihm unter, einem Dach wohnte, waren von tödlicher Langweile für den Bezirksamtmann.
Nur bei einem Thema wurde der Professor gesprächig.
»Ich möchte gern den Zauberdoktor studieren«, sagte er plötzlich. »Keine Ernennung in der Welt könnte mir ein größeres Machtbewußtsein einflößen als die Ernennung zu dieser Würde durch die Eingeborenen.«
Sanders dachte, der Gelehrte scherze, aber der andere kam immer wieder auf dieses Thema zurück, ernst, würdevoll, aber hartnäckig, und um ihn zu unterhalten, erzählte ihm Sanders alle Geschichten, die er jemals über diese Zauberdoktoren und ihren Stand gehört hatte.
»Aber Sie erwarten doch nicht etwa, von diesen Leuten etwas zu lernen?« fragte Sanders halb im Scherz.
»Im Gegenteil«, antwortete der Professor ernst, »ich nehme es von vornherein für verbürgt an, daß ich wertvolle wissenschaftliche Entdeckungen durch den Umgang mit ihnen machen werde.«
»Dann bist du ein alter verrückter Esel«, sagte Sanders – aber nur zu sich selbst.
Der bleiche Professor verließ Sanders am Abend des vierten Tages, und außer einem amtlichen Bericht, daß er sich an der Grenze niedergelassen habe, kamen während der nächsten sechs Monate keine Nachrichten von dem Gelehrten, bis eines Abends die Botschaft anlangte, der blasse alte Mann sei beim Kentern eines Kanus ertrunken. Er hatte ganz allein unter Mitnahme eines wissenschaftlichen Apparates einen Ausflug unternommen. Seitdem wurde nichts wieder von ihm gehört, bis man sein Birkenrindenkanu kieloben im Fluß treibend entdeckte.
Keine Spur fand sich mehr von ihm, und später sammelte Sanders die Habseligkeiten des Toten und schickte sie nach England.
Bei dieser Tragödie zeigten sich zwei auffallende Tatsachen. Die erste war, Sanders fand nirgends den Nachweis von dem Ergebnis irgendeiner wissenschaftlichen Forschung in den Papieren oder im Tagebuch des Toten. Nichts als ein kleines Notizbuch fand sich vor. Der zweite Umstand war der, daß der Gelehrte alle Geschichten, die Sanders ihm über die Fetischdoktoren erzählt hatte, in diesem Notizbuch sorgfältig niedergeschrieben hatte.
Sanders erkannte wenigstens eine der Geschichten wieder, die er damals unter dem Impuls des Augenblickes zur Unterhaltung des Professors selbst erfunden hatte.
Sechs mehr oder weniger friedliche Monate waren vergangen, da begann jene Reihe von Ereignissen, die die Sage vom Teufelsmenschen bildeten.
Am Kleinen Flusse begann es.
Dort lebte eine Isisifrau, die ihren Mann haßte, obwohl dieser sehr gut zu ihr war, ihr eine Hütte gebaut und ein älteres Weib als Dienerin gegeben hatte. Er gab ihr viele Geschenke, darunter einen Halsring aus Messing, der mehrere Pfund wog und sie zum meistbeneideten Weibe am Isisifluß machte. Aber ihr Haß gegen ihren Mann wurde darum nicht geringer, und eines Morgens kam sie aus ihrer Hütte, sah verstört und erschrocken aus und begann mit zitternder Stimme den Totengesang anzustimmen, während sie mechanisch kleine Hände voll Staub auf ihr Haupt streute.
Die Dörfler traten in ihre Hütte und fanden dort den Mann steif und starr mit verzerrtem Gesicht und Höllenqualen im erloschenen Blick. Nach zwei Tagen begrub man den Toten in der Mitte des Flusses, und als das Kanu mit dem Leichnam bei der Flußkrümmung außer Sicht kam, trat das Weib ins Wasser, wusch den Staub von ihrem schmierigen Körper und streifte die grünen Blätter der Trauer von ihren Hüften.
Dann ging sie mit tänzelndem Schritt nach ihrer Hütte zurück, denn der Mann, den sie am meisten gehaßt hatte, war tot – und sie frei.
Vier Tage später kam Sanders.
»M’Fasa«, sagte er, während er an ihrer Hütte stand und an ihr heruntersah, wie sie mit erkünstelter Gleichgültigkeit ihren Mais zwischen den Steinen zerkleinerte, »man erzählt mir, dein Mann ist gestorben.«
»Herr, das ist wahr, er starb ganz plötzlich.«
»Zu plötzlich für meinen Geschmack«, sagte Sanders und verschwand im Innern ihrer Hütte. Nach einiger Zeit kam Sanders wieder heraus und sah sie an. In seinen Händen hielt er eine kleine Glasphiole, wie sie wohl unter Europäern allgemein bekannt sind, deren Vorhandensein in einem Heidendorf aber mindestens merkwürdig war.
»Ich habe hier einen Fetischzauber, M’Fasa, und mein Fetisch sagt mir, daß du deinen Mann vergiftet hast.«
»Dein Fetisch lügt.« Sie sah nicht auf.
»Wir wollen das nicht erörtern«, sagte Sanders vorsichtig, denn über seinen Verdacht hinaus hatte er keine Beweise. Er ließ sich sofort den Dorfhäuptling kommen.
Eine kleine Pause entstand. Das Weib mahlte langsam ihr Korn weiter mit niedergeschlagenen Augen und ab und zu mit dem Handrücken den Schweiß von ihrer Stirn wischend, während Sanders, den Tropenhelm im Nacken, eine halb gerauchte Zigarre im Mund, die Hände tief in den Jackentaschen vergraben, ihr mit einem ärgerlichen, finsteren Gesichtsausdruck zusah. Nach einer Weile kam der Häuptling zögernd an. Er hatte sich beim Suchen nach einem scharlachroten Uniformrock verspätet, den er bei festlichen Gelegenheiten zu tragen pflegte.
»Herr, du hast nach mir gesandt.«
Sanders wechselte seinen Gesichtsausdruck.
»Ich hab mir’s überlegt, ich bedarf deiner nicht.«
Der Häuptling entfernte sich mit einem Dankgebet im Herzen, denn es waren gewisse verborgene Geschichten da oben am Fluß passiert, für die er Tadel erwartete.
»M’Fasa, du wirst an Bord meines Dampfers gehen«, befahl Sanders.
Die Frau stellte ihren Mörser hin, erhob sich und ging gehorsam an Bord. Sanders folgte ihr langsam; eine Menge Dinge gingen ihm durch den Kopf. Wenn er dieses Weib bei den Dorfältesten angab, würde sie zu Tode gesteinigt werden. Wenn er sie mit sich zum Gouvernement nahm und sie dort verhört würde, gab es keine Beweise, auf die hin ein Urteilsspruch erfolgen konnte. Er wußte keinen Platz, wohin er sie hätte bringen können, und doch, wenn er sie hier zurückließ, war der Weg für weitere Übeltaten offen.
Sie erwartete ihn an Deck der »Zaire«; ein gerade gewachsenes Mädchen von achtzehn Jahren, furchtlos und trotzig.
»M’Fasa, warum hast du deinen Mann getötet?«
»Herr, ich habe ihn nicht getötet, er starb an einer Krankheit«, sagte sie so störrisch wie zuvor.
Sanders schritt das schmale Deck auf und nieder, den Kopf auf die Brust gesenkt, denn dieses war ein schwieriges Problem; dann sah er auf.
»Du kannst gehen«, sagte er, und das Weib, etwas erstaunt, ging über die Laufplanke, die Boot und Land verband, und verschwand im Dickicht.
Drei Wochen später brachten seine Spione Nachrichten, daß Leute am oberen Fluß in rätselhafter Weise starben. Niemand wußte, warum sie starben. Mancher saß noch voll Leben bei seiner Abendmahlzeit, und am Morgen, wenn seine Leute ihn wecken wollten, war er hinüber, eines elenden Todes gestorben.
Das passierte in vielen Dörfern am Kleinen Fluß.
»Die Sache wird eintönig«, meinte Sanders zum Hauptmann der Schutztruppe, »Da droben geht eine Massenvergiftung vor sich, und ich werde hinaufgehen, um den Gentleman ausfindig zu machen, der die Dosis verabreicht.«
Der erste Fall, der nach Untersuchung verlangte, geschah in der Isisistadt. Ein Weib war gestorben, und Sanders hatte den Ehemann, einen berüchtigten Bösewicht, im Verdacht.
»Okali«, fragte er, gleich zur Sache kommend, »warum hast du dein Weib vergiftet?«
»Herr«, sagte der Mann, »sie starb an einer Krankheit. Am Abend war sie noch wohl, aber im Morgengrauen wälzte sie sich im Schlaf, rief ah und oh und starb gleich darauf.«
Sanders holte einen tiefen Atemzug.
»Strick her!« befahl, er und als der Strick da war, kletterte Abiboo auf den untersten Ast eines Gummibaumes und befestigte Block und Flaschenzug, wie es sich gehörte.
»Okali«, redete Sanders diesen an, »ich hänge dich jetzt auf: wegen Mordes, begangen an deinem Weibe, denn ich bin ein vielbeschäftigter Mann und habe keine Zeit, lange Nachforschungen anzustellen. Und wenn du an ihrem Morde nicht schuldig bist, so hast du doch so viele verabscheuungswürdige Taten auf dem Gewissen, daß ich gerechtfertigt bin, wenn ich dich hänge.«
Der Mann war grau vor Furcht, als sie ihm die Schlinge um den Nacken legten und seine Hände fesselten.
»Herr, sie war ein böses Weib und hatte viele Liebhaber«, stammelte er; »ich habe sie nicht töten wollen, aber der Teufelsmann sagte, daß diese Medizin sie ihre Liebhaber vergessen mache.«
»Teufelsmann? Welcher Teufelsmann?« fragte Sanders hastig.
»Herr, hier lebt ein Teufel, der in dieser Gegend sehr verehrt wird. Der wandert im Urwald herum und gibt viele sonderbare Tränke.«
»Wo findet man den?«
»Herr, keiner weiß es. Er kommt und geht wie ein grauer Geist, und er hat einen Fetisch, der ist machtvoller als tausend gewöhnliche Teufel! Herr, ich habe meinem Weibe das gegeben, was er mir gab, und sie starb daran. Wie konnte ich wissen, daß sie sterben würde?«
»Cheg’li!« rief Sanders kurz den Leuten zu, die den Strick hielten, und »Cheg’li« bedeutet im Dialekt des Flusses »Zieht!«
*
»Halt!«
Sanders befand sich in wechselnder Stimmung und war etwas gereizt durch das Sichbewußtsein dieses Umstandes.
»Wie hast du die Medizin erhalten? War es ein Pulver, war es flüssig oder –?«
Des Mannes Mund war trocken, er konnte nur hilflos den Kopf schütteln.
»Laßt ihn los!« befahl Sanders. Abiboo nahm dem Mann die Schlinge ab und löste seine Hände.
»Wenn du mich belogen hast, stirbst du bei Sonnenuntergang! Zunächst lasse mich aber mehr von diesem Teufelsmann wissen, denn ich bin neugierig, seine Bekanntschaft zu machen.«
Er gab dem Mann zehn Minuten Zeit, sich von seinem Schrecken zu erholen; dann ließ er ihn kommen.
»Herr, ich weiß nichts von dem Teufelsmann, außer daß er der größte Zauberdoktor der Welt ist; und nachts, wenn der Mond scheint und gewisse Sterne an ihrem Platz stehen, kommt er wie ein Geist, und wir alle haben dann Angst. Dann gehen die von uns, die ihn brauchen, zu ihm in den Urwald, und er gibt uns, was wir von ihm fordern.«
»Worin trägt er denn die Medizin?«
»Herr, in einer Glasstange, wie die Weißen ihre Medizin zu tragen pflegen; ich will sie dir bringen.«
Er ging in seine Hütte zurück und kam wenige Minuten später mit einem Medizinfläschchen zurück, dem Gegenstück zu dem, das Sanders bereits hatte. Der Bezirksamtmann öffnete es und roch daran. Ein sehr scharfer Duft von bitteren Mandeln machte sich bemerkbar. Sanders stieß einen Pfiff aus. Er erkannte den Nachgeruch von Zyankali, und das ist keine Droge, die ungelehrte Zauberdoktoren kennen, oder gar anzuwenden verstehen.
*
»Ich kann nur annehmen«, schrieb Sanders an den Gouverneur, »daß die Medizinkiste des verstorbenen Sir George Carsley durch bösen Zufall in den Besitz eines Eingeborenen-»Doktors« übergegangen ist. Sie werden sich entsinnen, daß der Professor die Kiste bei sich hatte, als er ertrank.
Wahrscheinlich wurde sie ans Ufer gespült und aufgefunden . . . Inzwischen mache ich fleißig Nachforschungen nach der Identität des Teufelsmenschen, der so urplötzlich zu großem Ruf gelangt zu sein scheint.«
Schlaflose Nächte lagen vor Sanders; Nächte mit Gewaltmärschen kreuz und quer, mit schnellen Fahrten stromaufwärts, voll überraschenden Erscheinens in den Dörfern und einsamen Nachtwachen im Busch und an unbekannten Wassern. Aber er fand nie eine direkte Spur vom Teufelsmann, soviel Interessantes er auch über ihn hörte.
Das wirkungsvollste unter dessen Zaubergerätschaften war ein Kästchen, »soo klein«, sagte einer, der es gesehen hatte. In diesem Kästchen wohne ein kleiner boshafter Dämon, der zwickte und kratzte, aber ohne eine Spur zu hinterlassen; ein böser Geist, der Nadeln in den menschlichen Körper stechen könnte, ohne jemals Blut fließen zu machen.
»Ich geb’s auf«, sagte Sanders verzweifelt und kehrte an seinen Wohnsitz zurück, nur um dort weiterzugrübeln.
Eines Abends, als er beim Essen saß, hörte er vom Fluß her fernen Trommelschlag. Es war nicht der regelmäßige Wirbel des Lokoli, der Sprechtrommel, sondern eine Reihe kurzer Schläge. Der Bezirksamtmann trat leise an die Tür und horchte.
Er hatte sich vom Gouvernement die Signalabteilung der Haussasoldaten kommen lassen und diese in Zwischenräumen am Flußufer postiert. In einer stillen Nacht hört man den Trommelschlag auf große Entfernung; aber das Rasseln von Eisenholzschlägeln auf einem hohlen Baumstumpf hört man am weitesten.
»Klok – klok, klockitty – klock!«
Es klang wie das ferne Quaken des Ochsenfrosches, aber Sanders las sich die Buchstaben zusammen:
»Teufelsmann opfert morgen nacht im Wald der Träume.«
Gerade als er die Botschaft auf dem Ärmel seiner weißen Jacke niederschrieb, kam Abiboo den Weg heraufgelaufen.
»Wir sind fertig, Herr!« rief der Mann.
Sanders griff nach dem Revolver, der an der Wand hing, und warf seinen Mantel über den Arm, denn seine sonstige Reiseausrüstung befand sich bereits seit drei Tagen an Bord der »Zaire«.
Der scharfe Bug des Dampfers schwenkte nach der Mitte des Stromes zu, und zehn Minuten nach dem Trommelsignal stürmte das Boot in voller Fahrt gegen das Gefälle des Stromes an.
Die ganze Nacht dauerte die Fahrt, oft von einem Ufer zum anderen lavierend, um die Untiefen zu vermeiden. Der Tagesanbruch fand das Fahrzeug an einem Platz, wo man Holz zum Feuern des Kessels einnahm. Die Mannschaft türmte in fieberhafter Hast Holzstoß auf Holzstoß an Deck auf, so daß die »Zaire« bald wie ein Holzschlepper aussah.
Dann fuhr das Schiff wieder los und hielt nur, um von den Spähern, die flußauf- und -abwärts stationiert waren, Nachrichten über das kommende Opferfest entgegenzunehmen.
Sanders erreichte den Rand des Traumwaldes um Mitternacht und machte den Dampfer fest. Er hatte zehn Haussas bei sich, und an ihrer Spitze trat er an Land und in das Dunkel des Urwaldes ein. Einer der Soldaten voran, um den Pfad zu finden und die Führung zu übernehmen, und im Gänsemarsch trat die Gruppe ihren zweistündigen Marsch an. Einmal stießen sie auf zwei kämpfende Leoparden, einmal stolperten sie über einen mitten im Weg schlafenden Büffel, dann stöberten sie unbekannte Tiere auf, die sich in den Busch trollten, als sie an ihnen vorbeikamen, und die hinter ihnen herschnüffelten, bis Sanders ihnen den weißen Strahl seiner elektrischen Lampe entgegenschickte. Schließlich gelangten sie ungesehen an den Ort, wo das Opfer stattfinden sollte.
Dort hockten mindestens sechshundert Leute im Halbkreis um einen rohen Altar aus Baumstämmen. Zwei riesige Feuer loderten und knisterten auf jeder Seite des Altars. Sanders’ Blicke hefteten sich auf den Teufelsmann, der sich über den Körper eines anscheinend im Schlaf befindlichen jungen Mädchens beugte, das auf dem Holzaltar ausgestreckt lag.
Einst hatte dieser Teufelsmann das Kleid der Zivilisation getragen, nun war er in Fetzen gekleidet. In schmutzigen Hemdsärmeln stand er da, den weißen Bart wirr und ungekämmt, das bleiche Gesicht verfärbt und ein sonderbares Licht in den Augen. In seiner Hand blitzte ein Seziermesser, und er sprach – seltsam genug vor dieser Zuhörerschaft – Englisch.
»Dieses, Gentlemen«, sagte er, indem er sich leicht gegen den Altar lehnte und mit der Sicherheit eines Mannes redete, der viele solcher Vorträge gehalten hat, »ist ein böser Fall von Schlafkrankheit; die Entfärbung der Haut wird Ihnen auffallen, ebenso die opalschimmernden Pupillen, und nun, da ich die Patientin in Narkose versetzt habe, werden Sie die Verschiebung der Zervikaldrüsen bemerken, die ein sicheres Kennzeichen sind.«
Hier machte er eine Pause und sah sich mit einem gütigen Gesichtsausdruck um.
»Ich darf wohl sagen«, fuhr er fort, »daß ich lange Zeit unter den Eingeborenen gelebt habe. Ich habe die ehrenvolle Stellung eines Zauberdoktors in Zentralafrika bekleidet –«
Er brach ab und strich mit der Hand über seine Stirn, als wollte er einen Gedanken zurückrufen; dann nahm er den Faden seiner Rede wieder auf.
Während der ganzen Zeit, die er sprach, saß die halbnackte Zuhörerschaft stumm und furchtbefangen da, begriff nichts, als daß der Zauberer mit dem weißen Gesicht, der wer weiß woher gekommen war und viele wunderbare Dinge vollbracht hatte (sein Zauberkästchen erwies sich als eine galvanische Batterie), im Begriff stand, sonderbare Gebräuche eines fremden Kults zu üben.
»Gentlemen«, fuhr der alte Mann fort, indem er die Brust seines Opfers mit dem Griff seines Messers beklopfte, »ich werde hier einen Einschnitt machen.«
Hier verließ Sanders sein Versteck und ging festen Schrittes auf den improvisierten Operationstisch zu.
»Professor«, sagte er sanft.
Der Wahnsinnige sah ihn mit einem betroffenen Stirnrunzeln an.
»Sie unterbrechen die Untersuchung«, antwortete er ungehalten, »ich beweise eben –«
»Ich weiß, Herr.«
Sanders nahm seinen Arm, und Sir George Carsley, der große Gelehrte, Chefarzt des St.-Markus-Hospitals in London und Verfasser vieler Bücher über tropische Krankheiten, folgte ihm wie ein Kind.
Der Einsame
Bezirksamtmann Sanders hatte so lange zwischen den Eingeborenen gelebt, daß er nicht wenig von ihrer Naivität in sich aufgenommen hatte. Überdies hatte er die unheimliche Macht, Dinge zu wissen, die er nicht gewußt hätte, nicht hätte wissen können, wenn er nicht mit der Gabe des Vorherwissens begabt gewesen wäre, auf die jeder Eingeborene von Geburt an ein Anrecht hat.
Er hatte drei Kundschafter ins Isisiland geschickt, das weit vom Gouvernement entfernt liegt, und zu dem der Zugang schwierig ist. Nach zwei Monaten Wartens kamen sie alle drei zurück und brachten gute Nachrichten.
Das beunruhigte Sanders in einer ganz ungerechtfertigten Weise.
»Herr, ich sage dir, die Isisi sind ruhig«, protestierte einer der Kundschafter, »und da ist nicht die geringste Rede von Krieg.« »Hm!« grunzte Sanders ungnädig. »Und du?« wandte er sich an den zweiten Kundschafter.
»Herr«, sagte dieser, »ich ging in den Urwald und an die Grenze des Landes, und nirgends ist die Rede von Krieg. Die Häuptlinge und Ältesten sagten mir das.«
»Wirklich, du bist ein großartiger Kundschafter«, höhnte Sanders.
»Und wie kamen dir die Häuptlinge und Ältesten entgegen? Wie haben sie dich begrüßt? ›Heil dir, geheimer Spion Sandis!?‹ Hu!«
Er entließ die Leute mit einer Handbewegung, setzte seinen Tropenhelm auf und ging ins Haussalager, wo die blau uniformierten Soldaten im Schatten ihrer sauberen weißen Baracken spielten.
Der Hauptmann der Schutztruppe war im Begriff, mit Hilfe von Zigarettenpapier und einer Sechs-Unzen-Flasche schwefelsauren Chinins eine schmackhafte Medizin zu bereiten.
Sanders bemerkte, wie dem Hauptmann dabei vor Fieber die Hand zitterte, und er sprach in gereiztem Tone:
»Da ist was los in Isisi! Ich wittere das! Ich weiß nicht, was es ist, aber irgendeine Teufelei geht da vor sich!«
»Geheimbündler?«
»Geheime Großmütter«, äffte Sanders nach. »Wieviel Leute haben Sie zur Verfügung?«
»Sechzig, die Lahmen eingeschlossen!« sagte der Schutztruppenoffizier und verschluckte mit einer Grimasse ein Paket Chinin.
Sanders schlug mit der Spitze seines dünnen Spazierstockes aus Ebenholz an seine Gamaschen und war sehr nachdenklich.
»Möglich, daß ich sie brauche. Ich werde herausfinden, was bei den Isisis los ist!«
*
Am Kleinen Fluß, der plötzlich vom Geisterfluß abbiegt, hatte Imgani, der Einsame, sein Haus.
Er baute es, wie sich’s gehört, indem er das Holz in einem fünf Meilen entfernten Dorfe stahl. Dank einer Epidemie hatte es viele Tote in diesem Dorfe gegeben, und es ist Sitte am Oberen Fluß, daß, wenn jemand stirbt, das Haus, in dem er starb, auch zerstört wird.
Niemand sucht Schutz unter dem verfluchten Dache, unter dem der Geist der Toten umgeht. Die Waffen des Toten werden zerbrochen und auf sein seichtes Grab zerstreut und die Kochtöpfe seiner Weiber ebenso.
Nach und nach senkt sich das Bambusdach unter dem vereinten Einfluß von Wind und Regen und sinkt. Die Türpfosten faulen, Elefantengras, grob und scharf, schießt zwischen den Rissen in Wand und Dach auf, dann kommt ein starker Regen und Wind, und der Wald hat bald den Fleck voll Unrat ausgetilgt.
Imgani, der behauptete, er sei ein N’Gombimann und fürchte keinen Teufel – auf jeden Fall keinen Isisiteufel –, stahl furchtlos Türpfosten und Stricke aus Lianen. Er stahl sie nachts, wenn der Mond hinter den Bäumen stand, spottete der toten Geister und nannte sie bei schlimmen und herausfordernden Namen. Dennoch ging er behutsam vor; denn während er mit den Geistern der Toten nicht rechnete, hatte er eine gesunde Achtung vor den lebenden Isisis, die ihn getötet hätten, wäre seine Schändung entdeckt worden, obwohl, sonderbar genug, der Tod das letzte war, was er fürchtete.
So stahl er die verhexten Stützen und Dachsparren und hätte auch die Dächer gestohlen, wären diese nicht sehr alt und voll von Spinnen gewesen.
Alles das nahm er und trug es fünf Meilen weit zur Flußbiegung und baute dort mit Muße seine kleine Hütte. Tagsüber schlief er, und nachts fing er Tiere in Fallen und Fische; aber er machte keinen Versuch, die großen Fledermäuse zu fangen, die von der Insel mitten im Fluß kamen; obwohl diese sehr schmackhaft sind und als Delikatesse betrachtet werden.
Eines Tages, gerade als die Sonne unterging, betrat er den Urwald auf der Spur eines Wildes. Er trug zwei große Jagdspeere, wie sie die N’Gombis so meisterhaft zu machen verstehen, einen geflochtenen Bambusschild an einem Hautstreifen an seiner Seite und ein Bündel getrockneter Fische, die er im Fluß gefangen hatte.
Imgani war von mittlerer Größe, leicht gebaut, aber doch breitschultrig; seine Haut leuchtete in gesundem Glanz, und sein Schritt war elastisch. Wenn er ging, sah man die Rückenmuskeln wiegen und wogen wie die Sehnen eines Rennpferdes in bestem Training.
Nach halbstündigem Marsch im Urwald stieß er auf ein Mädchen; sie trug ein Bündel Maniokwurzeln in ihrer Hand und schritt anmutig dahin.
Als sie Imgani erblickte, blieb sie betroffen stehen. Todesangst und Schlimmeres sah ihr aus den Augen, denn sie wußte, daß er ein Ausgestoßener war. Solche Menschen werden mehr gefürchtet als die Ingali, die große Giftschlange, die vom Gras aufschnellt und ihre Giftzähne in die Beine schlägt.
Sie beobachteten einander, der Mann mit beiden Händen auf seine Speere, die Wangen dagegen gelehnt, das Mädchen zitternd.
»Weib, wohin gehst du?«
»Herr, ich gehe zum Dorf nahe am Fluß, und dieses ist der Pfad dorthin«, stammelte sie.
»Was hast du da?«
»Maniok zum Brot«, flüsterte sie.
Imgani nickte. »Du bist ein Wurzelesser!«
»Herr, laß mich gehen!« Sie starrte ihn an.
Imgani warf den Kopf zurück.
»Ich sehe, du hast Angst vor mir, obwohl ich nichts von dir haben will. Ich bin Imgani, das heißt der Einsame. Ich habe kein Gelüst nach Weibern! Über solche Narrheiten bin ich erhaben. Vor mir bist du sicher, Wurzelesserin, denn wenn ich wollte, könnte ich den Wald füllen mit schönen Häuptlingstöchtern, die sich alle nach mir sehnen!«
Die Furcht verschwand bei ihr. Neugierig betrachtete sie ihn, außerdem erkannte sie seine Herbheit. Möglich, daß sie etwas verletzt war, denn sie antwortete patzig genug, indem sie sich eines Isisisprichwortes bediente:
»Nur die Ziegen meckern am Eingang zur Leopardenhöhle – die Isisis werden fett von den Fremden.«
Er sah sie an, den Kopf ein wenig zur Seite geneigt.
»Im Unterland erzählt man sich, die Isisis verkauften Leute an die Araber«, sagte er sinnend, »aber das ist wohl bloß Geschwätz. Geh!«
Mit einem weiteren Zurückwerfen des Kopfes entließ er sie.
Sie hatte sich bereits ein Stück entfernt, als er sie nochmals zurückrief.
»Wurzelesserin, wenn dich die Leute fragen, wer ich sei, dann sagst du, ich sei Imgani, der Einsame, der ein Fürst unter Fürsten ist; auch daß ich viele Männer in meinen Tagen erschlagen habe, so viele, daß ich sie nicht zu zählen vermag. Sag’ auch, daß so weit, wie ein Mann von meinem Haus, das ich mir am Fluß gebaut habe, nach jeder Richtung hin sehen kann, sich mein Königreich erstreckt, und daß keiner sich da hereinwagen soll, es sei denn mit Geschenken in der Hand, denn ich bin sehr schrecklich und sehr habgierig.«
»Herr, ich werde das alles ausrichten.«
Sie ging, halb im Lauf, in der Dorfrichtung und verließ Imgani, der seinen Weg fortsetzte.
Nun waren in diesem Dorf manche junge Burschen, die gern der Wurzelträgerin gefallen hätten, denn sie war eine Häuptlingstochter und überdies vierzehn Jahre alt, also im heiratsfähigen Alter. Als sie nun die Dorfstraße entlang gelaufen kam, fast nervös vor Aufregung und Furcht, schreiend und Unzusammenhängendes stammelnd, fehlte es ihr nicht an Mitgefühl noch an tapferen Rittern, die gewillt waren, die Beleidigung zu rächen.
Sechs junge Männer, mit Speer und Kreuzschwert bewaffnet, tanzten vor dem Häuptling und dessen Tochter. (Wie wichtig sich diese vorkam, kann man von jedem Weib irgendeiner Rasse erfahren.) Einer unter diesen, E’Kebi mit Namen, ein Mann mit Rednertalent, beschrieb von Sonnenuntergang bis Mondaufgang, also oberflächlich geschätzt vier Stunden lang, genau, was Imgani geschehen werde, wenn sie, die Isisileute, über ihn kämen; wie seine Augen zusammenschrumpften wie vor einem großen schrecklichen Feuer, wie seine Glieder dahinwelkten, und noch einige andere körperliche Veränderungen, die es besser ist nicht näher zu beschreiben.
»Das ist eine gute Rede«, meinte der Häuptling. »Dennoch vergießt kein Blut, da Sandi überall seine Kundschafter hat; denn Blutgeruch dringt weiter, als ein Mann sehen kann, und Sandi ist höllisch schnell mit dem Aufhängen. Überdies, der Einsame ist ein Fremder, und wenn wir ihn lebendig fangen, können wir ihn ja an die Araber verkaufen, die uns Zeug und Schnaps für ihn geben.«
Darauf opferten sie eine junge Ziege und gingen. Sie stießen auf Imganis Hütte, aber der Einsame war nicht da, denn er stellte Fallen im Urwald. Deshalb verbrannten sie seine Hütte und verwüsteten seinen spärlichen Garten. Viele andere Isisileute waren ihnen in achtungsvoller Entfernung gefolgt für den Fall, daß Imganis Schätzung seiner eigenen Tapferkeit durch den Erfolg gerechtfertigt würde. Sie hielten eine Orgie, bis die Sonne plötzlich über der Insel am Fluß erschien und alle die kleinen Sterne am Himmel erloschen.
Imgani sah dies alles im Busch auf seinen Speer gelehnt; aber er begnügte sich, diesmal nur den Zuschauer zu spielen, denn, folgerte er, wenn er gegen sie alle fechte, würden sie versuchen, ihn zu ermorden oder mit Ruten zu peitschen, und den Gedanken daran konnte sein hochfliegender Geist nicht ertragen.
Er sah die Flammen die Hütte zerstören, die er mit so viel Mühe erbaut hatte.
»Dummes Volk«, dachte er, »zerstören ihr Eigentum, und vielleicht zürnen die Geister der Toten und segnen sie mit der Beulenpest.«
Als von seiner Wohnstätte nur noch ein Haufen weißer Asche und dunkelrote Glut übrig war und ein nebliger Rauch darüber lag, wandte Imgani sein Gesicht gegen den Urwald.
Er wanderte den ganzen Tag und rastete nur, um von dem Fisch zu essen, den er bei sich trug. Zur Nacht gelangte er an ein anderes Isisidorf, das O’Fasi hieß.
Er kam durch die Dorfstraße, breitschultrig, den Kopf in die Höhe geworfen und prahlerisch seinen Speer schwingend. Er sah weder rechts noch links, und die Dörfler drängten sich an ihren Hüttentüren, hielten die Knöchel ihrer geballten Fäuste gegen den Mund und riefen: »Oho!« Das hieß, daß er Eindruck machte.
So schlenderte er durch die ganze Länge des Dorfes und ging auf den Waldweg jenseits des Dorfes zu, als ein Bote hinter ihm herjagte.
»Herr, der Häuptling, der der Regierung für alle Fremden, die hier durchkommen, verantwortlich ist, und besonders für die Flüchtlinge aus der Strafniederlassung, wünscht dich zu sehen. Er ist sicher, daß du kein Dieb bist, sondern ein bedeutender Mann, dem er Ehre erweisen will.«
So berichtete er; und da er ein friedlicher Geselle war, der für diese Rolle gewählt wurde, weil er ein Verwandter der Lieblingsfrau des Häuptlings war, warf er einen vorsichtigen Blick auf den Breitblattspeer und sah sich schon im Geiste nach einer Richtung um, nach der er fliehen könnte.
»Geh zu deinem Herrn zurück, Sklave«, antwortete Imgani, »und sage ihm, ich möchte einen Ort finden, dessen Einsamkeit mich befriedigt; einen Ort, wo ich diese Nacht schlafen und mich hohen Gedanken hingeben kann. Sobald ich diesen Platz gefunden habe, komme ich zurück. Sage, auch ich sei ein Fürst meines eigenen Volkes, und daß mein Vater Legionen von Kriegern hat, und wenn jeder Krieger dieser Legionen nur eine Hand voll Sand vom Grunde dieses Flusses nähme, wäre dieser Fluß bodenlos! Sag’ dem Häuptling ferner, ich hieße Imgani und liebte mich selber mehr, als sich irgendein Mann jemals selbst geliebt hat, seit der Mond weiß wurde, damit er der Sonne nicht ähnlich sehe.«
Er schritt weiter, den Boten nachdenklich zurücklassend.
Seinem Versprechen getreu, kehrte Imgani zurück. Bei seiner Rückkehr bemerkte er, daß ein Palaver stattfand, dessen Gegenstand der unglückliche Verwandte der Häuptlingsfrau war.
»Wer«, fragte der Häuptling, »hat Schande über mich gebracht, weil er ein so großer Narr ist wie seine Base, meine Frau?«
»Herr«, entgegnete der arme Verwandte demütig, »ich habe ihn gebeten, zurückzukehren, aber er war ein Mann von großem Stolze und überdies auf dem Sprunge, weiterzugehen.«
»Deine Mutter war eine Närrin«, schimpfte der Häuptling, »die Mutter deiner Mutter war eine Törin, und dein Vater, wer immer er war, und den kein Mensch kennt, war ebenfalls ein großer Narr.«
Dieser interessante Anfang eines rohen Vortrags über erbliche Narrheit wurde durch die Ankunft Imganis unterbrochen. Als er langsam den Hügel heraufgeschritten kam, glitten die Blicke der Versammlung an ihm herunter, von dem rasiermesserscharfen Stahl in der knapp sitzenden Scheide von Leopardenfell bis zu den dünnen Messingringen an seinen Knöcheln. Der Häuptling, ein stattlicher Mann, aber von wenig Mut, bemerkte die Speere und sah, daß ihre Schäfte wie glatt poliert vom vielen Gebrauch waren.
»Herr«, sagte er unterwürfig, »ich bin der Häuptling des Dorfes und vom Gouvernement eingesetzt. Dieses gab mir als Halsschmuck eine Münze, die auf einer Seite das Bild eines Mannes mit einem großen Bart trägt und auf der anderen Seite gewisse Teufelszeichen und eine Zauberschrift von großer Gewalt. Das wurde mir gegeben, damit das Volk wüßte, daß ich Häuptling sei, aber ich habe die Medaille verloren. Nichtsdestoweniger bin ich der Häuptling, wie ich dir gleich zeigen werde.«
Damit suchte er in seinem Überwurf und holte einen Beutel von Schlangenhaut hervor, dem er ein sehr schmutziges Papier entnahm. Er faltete dies sorgfältig auseinander und enthüllte einen amtlichen Briefbogen mit einigen daraufgekritzelten Sätzen in der Handschrift des Bezirksamtmanns Sanders. Diese lauteten:
»An alle Stationsleiter, Polizeioffiziere und Chefs von Militärposten! Verhaften Sie und halten Sie den Träger dieses Papiers fest, sobald er sich woanders als im Isisibezirk aufhält.«
Mit diesem eigenartigen Dokument war eine kleine Geschichte verknüpft. Es betraf einen willkürlichen Beutezug gegen ein gewisses Ochoridorf und eine darauf folgende Gerichtsverhandlung, in der ein Häuptling zitternd vor banger Erwartung einer kleinen, aber wissenswerten Prophezeiung lauschte, welches Schicksal ihn erwartete, wenn er sich außerhalb der Grenzen seines Bannkreises sehen ließe.
Imgani nahm das Papier, drehte es um, rieb es leicht mit seinen Fingern, um zu sehen, ob die Schrift von Dauer sei, und gab es dem Häuptling zurück.
»Das ist voll Zauberkraft, obwohl ich solchen Zauber nicht fürchte, ausgenommen eine besondere Art, wie er von einem gewissen Zauberdoktor meines Vaters geübt wird. Ich kenne auch keine Regierung, die mich regieren kann.«
Danach erzählte er ihnen von seinem Vater, von dessen Legionen von Kriegern und Weibern und von verschiedenen anderen Dingen von gleichem Interesse.
»Ich zweifle nicht, daß ihr mich verstehen werdet«, sagte er. »Ich bin der Einsame! Ich hasse die Gesellschaft der Menschen, die so veränderlich ist wie der Schnee auf den Bergen! Darum habe ich mein Haus und meine Weiber verlassen, die so treu waren, wie Weiber treu sein können, und habe keine Krieger mitgenommen, da diese meinem Vater gehören.«
Der Häuptling war betroffen.
»Warum du einsam bist, kann ich nicht sagen. Gewiß aber warst du im Recht, deines Vaters Legionen zu verlassen. Das alles ist schwer zu verstehen und erfordert ein Palaver der Ältesten!«
Darauf gab er Befehl, den Lokoli, die Sprechtrommel, zu rühren und die Dorfältesten zu versammeln.
Diese kamen, brachten ihre eigenen geschnitzten Hocker mit sich und saßen unter dem Schutzdach, wo der Häuptling das Präsidium übernahm.
Wieder erzählte Imgani seine Geschichte über die fünfzig Weiber, die zahllosen Legionen, und die gläubigen Isisis hörten zu – und glaubten ihm.
»Und was ich haben muß, ist das«, fuhr Imgani in seiner Rede fort. »Ein kleines Haus am Flußufer an einer Stelle, wo kein Weg vorbeiführt und mir kein lebendes Wesen zu Gesicht kommt, denn ich bin ein Einsamer von Natur und ein großer Menschenfeind überdies.«
Imgani wohnte in einer Lichtung, die die Natur dort für ihn geschaffen hatte, und in einer Hütte, die seine neugefundenen Freunde für ihn errichtet hatten. Andere Beweise ihrer Gastfreundschaft verschmähte er.
»Ich habe kein Verlangen nach Weibern«, bekannte er. »Ich bin voll von großen Plänen, um mein Königreich aus den Klauen von Bösewichtern zu retten, die meines Vaters Ratgeber sind.«
Einsam war er in der Tat, denn niemand sah ihn, außer an ganz besonderen Gelegenheiten. Nachts ging er jagen, und die heißen Tage verschlief er. Zuweilen, wenn der rote Sonnenball hinter den Bäumen des westlichen Flußufers verschwunden war, sahen die Dörfler die gerade, blaue, dünne Rauchfahne seines Herdfeuers aufsteigen, wenn er sein Abendmahl bereitete. Manchmal sah ein zurückkehrender Kanufahrer ihn geräuschlos auf dem Wege zur Jagd durch den lichten Rand des Urwalds gleiten.
Sie nannten ihn den »Schweigsamen«, und er genoß diesen bescheidenen Ruhm. Mehr als das, er genoß das Vertrauen seiner Wirte.
Das Isisiland liegt im Bereich des Fremden Flusses, auf dem fremdartig gebaute Fahrzeuge tags leer hinunterfuhren und nachts gefüllt mit Hals an Hals geketteten Menschen wieder stromaufwärts kamen. Die Beamten von Französisch-Westafrika, das an Isisi anstößt, erhielten Gerüchte von Überfällen und von verbrannten Dörfern, Geschichten, die sie nicht nachprüfen konnten, denn die Isisigrenze ist nahe an sechshundert Meilen vom Sitz der französischen Regierung entfernt und liegt in einer Wildnis.
Imgani sah auf seinen Jagdzügen Dinge, die ihn mit Bestürzung hätten erfüllen müssen, wenn er nicht ein Mann gewesen wäre, der der Rührung unzugänglich war.
Er sah kleine Karawanen aus der Richtung des französischen Gebietes durchschleichen, Karawanen von wimmernden Weibern und Männern, die unter ihren Ketten stöhnten. Er sah sonderbare Verschiffungen von Menschenseelen um Mitternacht und lernte die weiß gekleideten Araber kennen, die die Peitsche, gar grausam zu handhaben verstanden.
Eines Nachts, als er alle diese Vorgänge beobachtete, erspähte ihn El Mahmud, der berüchtigte Sklavenhändler, im Mondlicht und sah, daß Imgani kein Isisimann war.
»Von welchem Stamme bist du?« fragte er.
»Herr«, antwortete Imgani, »ich gehöre einem fremden Stamm an. Ich bin ein N’Gombi.«
»Das lügst du«, antwortete der Sklavenhändler, »denn du hast nicht die Gesichtstätowierung wie die N’Gombis! Du bist ein Arabermischling!« redete er ihn auf arabisch an.
Imgani schüttelte den Kopf.
»Er versteht mich nicht«, sagte der Sklavenhändler zu seinem Unterführer. »Finde heraus, wo dieses Mannes Hütte steht. Eines Tages werden wir ihn holen; der Kerl ist Geld wert.«
Er sprach Arabisch. Sein Untergebener nickte.
Als der Sklavenhändler wiederkam, besuchten drei Männer Imganis Hütte; aber der war auf der Jagd, und so war es jedesmal, wenn die Langboote nachts nach O’Fasi kamen.
*
Sanders ging während sechs Monaten nicht nach O’Fasi. Es mag betont werden, daß sich während dieser Zeit nichts ereignete, was auch in der kühnsten Phantasie für einen Verlust britischen Ansehens hätte gelten können.
Sein halbjährlicher Besuch in Isisi war fällig. Die Ernte war gut gewesen, der Fischfang reichlich, die Regenzeit nicht zu lang, und es hatte keine Epidemien gegeben.
Eines Morgens, als sich Fetzen grauen Nebels von Wipfel zu Wipfel schwangen und es im Osten grau zu dämmern begann, kam Imgani vom Urwald zurück, auf den Schultern einen kleinen Bock, den er in der Nacht im Netz gefangen hatte.
Als er ein kleines Feuer vor seiner Hütte und einen Mann davor hocken sah, drehte er lustig die Speere in der Hand, denn er fürchtete niemand.
»Gab es woanders keinen Platz für dich, daß du hierherkommst, um meine Einsamkeit zu stören?« fragte er. »Ich habe große Lust, dich zu töten und dein Herz zu braten, denn ich mag dich nicht beim Feuer vor meiner Hütte sehen.«
Er sagte das alles mit einem wütenden Gesicht. Der Mann vor ihm wurde unruhig.
»Herr, ich habe das erwartet, denn ich sehe, du bist ein ganz Stolzer, aber gerade um dieses Stolzes willen komme ich, denn ich kenne deine Weisheit.«
Imgani schleuderte den Bock zur Erde, und setzte sich mit drohender Miene und hielt den Schaft seiner Speere quer über die bloßen Knie.
Dann beugte der andere seinen Nacken zu ihm und sprach eifrig auf ihn los.
Die Sonne ging auf und warf ihren roten Schein über alles, und noch immer sprach der Fremde mit großer Eindringlichkeit, und Imgani horchte zu.
»Deshalb, Herr«, schloß der andere, »wollen wir Sandi töten, wenn er hier herauf zum Palaver kommt. Ifiba, N’Bwka und ein Vetter meiner Mutter werden ihn schnell durchbohren, und wir werden ein großes Volk sein.«
Imgani nickte zustimmend mit dem Kopf.
»Das ist wahr«, sagte er. »Leute, die einen Weißen töten, müssen auch sehr geehrt werden, denn alle andern Stämme werden sagen: ›Seht, das sind die Leute, die weiße Männer töten!‹«
»Und wenn er tot ist«, fuhr der Bote fort, »werden viele junge Männer auf das Boot gehen, das raucht, und alle erschlagen, die mit Sandi gekommen sind.«
»Auch das ist klug«, sagte Imgani, »denn wenn ich weiße Männer erschlage, erschlage ich auch deren Freunde.«
Er erörterte seine Taten des langen und breiten.
Nachdem sich der Mann entfernt hatte, aß Imgani Fisch und Maniok, putzte die Stahlblätter seiner Speere mit nassem Sand, trocknete sie sorgfältig mit Gras und legte sich in den Schatten der Hütte, um zu schlafen.
Am frühen Nachmittag erwachte er, tauchte in den Fluß und schwamm weit bis in die Mitte des Stromes in großen, starken Stößen. Dann schwamm er ans Land zurück, ließ sich von der Sonne trocknen und kleidete sich in sein Leopardenfell.
Langsam schlenderte er zum Dorf. Dort fand er alles in Aufregung, am meisten den Häuptling, denn Nachrichten sagten, daß Sandi in der Nacht ankäme, und daß eben jetzt sein Dampfer um die Biegung des Flusses führe. Ein Plan war mißlungen. Sanders kam zwei Tage früher an, als er sollte, und Ifiba und M’Bwka, des Häuptlings Getreue, waren fort in besonderer Mission. Die Zeit bis zu Sandis Ankunft war zu kurz, um Zuverlässige als Meuchelmörder zu dingen.
Der Dampfer trieb breitseit an Land. Ein Heckrad drehte sich noch lässig, und dann sahen sie, Imgani zwischen ihnen, daß das Deck voll von Soldaten war, kaltblütig aussehenden braunen Männern in blauer Uniform und Fes.
Die Laufplanke fiel, und ihre Gewehre hoch haltend, kamen die Soldaten ans Land gepatscht, mit ihnen ein weißer Offizier – aber nicht Sandi.
Es war ein barscher, weißer Mann.
»Wer ist hier Häuptling?« fragte er rauh.
»Herr, ich bin’s«, sagte der fette Häuptling; alles an ihm war in einer einzigen Aufregung.
»Packt den Kerl!«
Ein Sergeant packte den Häuptling und drehte ihn um. Ein Korporal schnappte die Handeisen um seine Handknöchel.
»Herr«, winselte er, »was für eine Schande!«
»Weil du ein großer Dieb bist«, antwortete der Schutztruppenoffizier. »Ein Aufrührer und Sklavenhändler!«
»Wenn jemand das behauptet, dann lügt er!« erwiderte der Häuptling. »Denn kein Gouvernementsbeamter hat mich solche Scheußlichkeiten verüben sehen!«
Da trat Imgani vor.
»Häuptling, ich habe sie gesehen!«
»Du bist ein großer Lügner!« schäumte der stattliche Häuptling, vor Wut zitternd. »Sandi, der mein Freund ist, wird dir nicht glauben!«
»Ich bin Sandi!« antwortete Imgani und lächelte verschmitzt.