Das Auge der schönen Dame glänzt wieder; aber der Wind mag ihr noch zu heftig sein, sie hat die Kapuze noch immer nicht zurückgeschoben. Der dicke Mann sucht ein Gespräch mit ihr anzuknüpfen; aber sie antwortet einsilbig, und diese Zurückhaltung freut mich; denn ich kann den feisten Holländer, seit er Spanisch sprach, noch weniger leiden als zuvor. Er fährt übrigens mit großer Ruhe fort, ihr den Namen jedes Dorfes zu nennen, das man an der Landstraße sieht, und weiß einige Anekdoten von dem Maire von Fouligny, welches eben hinter uns liegt, zu erzählen. Dabei lacht er aber immer zuerst, legt, wenn die Schneide der Anekdote kommt, seine Hand zutraulich auf den Arm der jungen Dame, um sie gleichsam einzuladen, sich ebenfalls mit ihm und den Böhmen halb tot zu lachen, und hält es für keine Beleidigung, wenn sie (offenbar mit einem Seitenblick auf mich) unwillig ihren Arm zurückzieht.
Der dicke Mann befand sich gerade mitten in einer Geschichte, die zu meiner großen Besorgnis für das zarte Ohr der jungen Dame etwas obszön zu werden drohte, als man hinter dem Wagen einige Male heftig: » Halte, postillon! halte!« rufen hörte; zugleich jagte ein Reiter vorüber, der einen großen Brief emporhielt. Der Wagen hielt, Kondukteur und Postillion fluchten; der erstere schwang sich nach einigem Wortwechsel von seiner Imperiale herab und trat dann mit dem großen Brief an unseren Schlag herauf, musterte die Gesellschaft aufmerksam, zog seine Mütze und bot den Brief herein. Ich saß zunächst, nahm ihm den Brief aus der Hand und las die Überschrift: A Monsieur Monsieur le Comte Blankenspeer, à Saarbruk, poste restante, citissimo. Da stieg der schlafende Schneider auf einmal bei mir im Preis; denn niemand anders konnte der Graf sein; des Kondukteurs: Allons, Monsieur! und ein Stoß, den ich ihm in die Seite gab, weckten ihn; ich überreichte ihm den Brief, er starrte ihn gedankenlos an und gab ihn dann kopfschüttelnd und murrend zurück. Der Kondukteur wurde ungeduldig über die Zögerung: » Allez, Messieurs,« rief er, » qui est donc Monsieur le Comte de Blanquenspeer?«
»Ist der Brief an mich?« fragte der Holländer verwundert, riß ihn mir aus der Hand, las flüchtig die Adresse – und erbrach das Siegel. Schnell zog er darauf die Börse, befriedigte den Kurier, den man ihm nachgeschickt hatte, und der Wagen fuhr weiter. Aber ich sah mich zum zweitenmal getäuscht, und um so bitterer, als der Herr Graf zwar nach wie vor die Miene eines holländischen Käsekrämers behielt, aber das Mädchen mit den schwarzen Augen es jetzt gar nicht mehr bemerken zu wollen schien, daß seine Hand schwer auf ihrem runden Arme ruhe; ja, zu meinem Ärger lachte sie sogar einige Male mit heller Stimme auf, als der Herr Graf die Gnade hatte, einige Schnurren aus seinem Leben zu erzählen.
Von neun bis zehn Uhr.
In Courcelles wurde zum Frühstück angehalten. Wir traten in das freundliche Zimmer, wo bereits auf dem großen Roste die Koteletten knisterten; die Männer legten Mützen und Mäntel ab; das Gewölk, das um das Haupt der Jungfrau hing, zerriß plötzlich, und mir war, als erwache ich jählings aus einem schmeichelnden Traume. Wer sah nicht schon ein unbekanntes Schloß aus dem Morgennebel tauchen? Man mustert es; es ist bewohnt, ist nicht übel gebaut, ist vollständig unter Dach; aber der Totaleindruck und hier eine Efeuranke, dort eine unvermauerte Ritze, hier ein Krähennest, dort ein schlimmer einspringender Winkel am Dachstuhl verkünden laut, es habe seine schönste Zeit gesehen. Wenn ein solcher Zustand einer Baulichkeit herkömmlichermaßen etwas Poetisches hat, war der analoge Zustand meiner Reisegefährtin nur zu sehr geeignet, mich in die platte Wirklichkeit zurückzuwerfen; kurz, ich hatte ein ziemlich erhaltenes Exemplar einer alten Jungfer vor mir, und die schönen schwarzen Sterne, die Verführer meiner Einbildungskraft und die Reminiszenzen einer Jugendblüte, die keine Früchte getragen, preßten mir jetzt nur den Seufzer aus: Warum kann man solche Brillanten nicht aus der alten Hülse brechen und modern fassen lassen? Wie mancher Seigneur châtelaina mit jedem Quader, der von den Zinnen seines Erbsitzes in den Graben stürzt, froher und lebenslustiger wird, so war meine Unbekannte, wie dies so gewöhnlich ist, mit den Breschen, welche in den Wall ihrer Zähne gefallen waren, regsamer, ihre Zunge geläufiger geworden; denn kaum hatte sich der General-Glashändler einen Zipfel der Serviette in das Ordensknopfloch gesteckt, kaum standen die duftenden Koteletten auf dem Tisch, so sagte mir die Kadenz ihres quiekenden Sprachinstruments, daß sie eine meiner südlichen Landsmänninnen aus den Grenzmarken von Schwaben und Franken sei, und unbefragt gab sie uns zum besten, wie sie ihren Herrn Bruder, den Kaufmann Morgenstern zu Paris, in einer wichtigen Angelegenheit besuche. Ihr Herr Bruder habe im vorigen Jahre durch die grobe Unwissenheit der französischen Hebammen den Stammhalter des französischen Zweiges des Morgensternschen Hauses verloren; da nun jetzt wiederum nahe Hoffnung zum Aufgang eines neuen Morgensternes sei, so habe er sich entschlossen, trotz der französischen Erziehungskunst, trotz der Protestationen von Madame, denselben à l’allemand aufgehen zu lassen und deshalb sie, seine Schwester, berufen, die durch langjährige Praxis sich damit vertraut gemacht habe, wie in der Morgensternschen Familie die Sauglappen gebunden und der Kinderbrei gebraut werde. Zur Bekräftigung ihrer Aussage, und damit in keinem Winkel unserer Herzen ein Argwohn über ihren wahren Charakter bleibe, teilte sie uns mit triumphierender Miene lithographierte Karten aus, auf denen in gotischen Buchstaben zu lesen stand: Jules Morgenstern, marchand tailleur, palais royal, galerie de bois Nro. 65 à Paris usw. Unter diesem interessanten Gespräche ging das schmackhafte Frühstück vorwärts, alle Details einer deutschen Wochenstube wurden besprochen, mit den französischen Instituten derselben Art verglichen. Der Herr Graf, überhaupt ein sehr leutseliger Herr, ging mit Herablassung und Sachkenntnis in die populäre Materie ein, und selbst die Böhmen fanden beim Artikel der Milchgläser und Saugflaschen Gelegenheit, ein kritisches Wort anzubringen. Auf diese Weise war die Genesis sämtlicher gräflich Blankenspeerschen und Schneider Morgensternschen Sprossen abgehandelt worden, und schon begann ich zu befürchten, daß nun die Reihe an die böhmische Deszendenz kommen möchte, als sich der Kondukteur den Mund wischte und Madeleine mit ihrem Teller und ihrem: » Messieurs, n’oubliez pas la fille!« das Zeichen zum Aufbruch gab. –