Honoré de Balzac
3. Berthas schauervolle Kasteiungen, ihre Sühne und ihr sanftseliges Ende.
Die Zofe der Frau von Bastarnay, die damals just fünfunddreißig Jahr alt war, verliebte sich in einen der Mannen im Schlosse und war so dumm, ihn aus ihrem Ofen einige Brötlein holen zu lassen, so daß sie am Ende jene natürliche Schwellung erlitt, die manche Spaßvögel ›die neunmonatliche Bauchwassersucht‹ zu nennen pflegen. Das arme Ding bat seine Herrin kniefällig, bei ihrem Manne dahin zu vermitteln, daß er den Verführer zwänge, vor dem Altar zu Ende zu führen, was er im Bette begonnen hatte. Frau von Bastarnay konnte das bei ihrem Gatten leicht erreichen und so ging zunächst alles gut: der greise Haudegen, der immer noch ein verteufelt grober Kerl war, langte sich zunächst seinen Feldwaibel, ließ ein Unwetter auf seinen Kopf niederrasseln und drohte ihm mit dem Galgen, wenn er die Zofe nicht heiratete; und da der Mann letzten Endes mehr an seinem Halse als an seiner Ruhe hing, so war ihm letzterer Ausweg immerhin lieber. So ließ sich denn Bastarnay zum zweiten das Frauenzimmer kommen. Aber er hielt es der Ehre seines Hauses für recht zuträglich, wenn er ihr zunächst erst mal die Leviten läse und ihr in Form eines Blütenstraußes klangvoller Beinamen und prasselnder Donnerwetter zu verstehen gäbe, sie verdiene nicht zu heiraten, sondern gehöre zur Strafe ins Kerkerloch. Darob bildete sich das Weibsbild ein, ihre Herrin wollte sie abtun, um so das Geheimnis von der Geburt ihres Lieblingssohnes für immer zu begraben. Und wie ihr der alte Affe immer weitere Liebenswürdigkeiten sagte, wie etwa: man müßte ja ein Narr sein, solche Hure in seinem Hause zu behalten, da kreischte sie ihm ins Gesicht, er sei ein noch viel schlimmerer Narr, denn sein Weib sei schon seit langer Zeit verhurt und das habe noch dazu ein Mönch fertig gebracht (das war nämlich schon das schlimmste, was einem Kriegsmann widerfahren konnte). Stellt euch bitte das fürchterlichste Donnerwetter vor, das ihr in eurem Leben mit angesehen habt: das wäre immer noch das reinste Zephyrgesäusel gegen den flammensprühenden Wutausbruch, in den der Greis verfiel, den man mitten in die dreifachempfindlichste Stelle seines Herzens getroffen hatte. Er packte das Weibsstück an der Gurgel und hätte es auf der Stelle umgebracht, wenn selbiges ihm nicht alle Wie und Was dargelegt hätte, um sich reinzuwaschen. Zum Schluß sagte sie: wenn er ihr nicht glauben wolle, so brauche er sich nur ruhig aufs Ohr zu legen und bis zu dem Tage zu warten. wo Johann von Sacché ,der Prior von Marmoustier, wiederkäme; dann möge er sich nur verbergen und er könnte dann hören, wie der glückliche Vater sich von dem einjährigen Fasten erhole, wie er seinen Sohn einen Tag lang auf Vorrat für ein ganzes Jahr küsse. Darob befahl Imbert dem Weib, das Schloß auf der Stelle zu verlassen, denn gleichgültig, ob sie die Wahrheit sage oder lüge, er würde sie in jedem Falle töten. Einen Augenblick später aber gab er ihr hundert Gülden in die eine Hand, den Feldwaibel in die andere, verbot ihnen beiden, das Tourer Land fürder noch einmal zu betreten und ließ sie der Sicherheit halber gleich durch einen seiner Offiziere nach Burgund expedieren. Seiner Frau erzählte er dann,
er habe die beiden weggejagt, weil die Zofe ein verdorbenes Weibsstück sei, das nicht ins Haus gehöre. Er habe ihr aber hundert Gülden gegeben und ihrem Mann am Hofe von Burgund einen Posten verschafft. Bertha war zwar erstaunt, daß er die Zofe zum Teufel gejagt hatte ohne sie zu fragen, obwohl jene doch in ihren Diensten stand. Aber sie sagte nichts und bald hatte sie ihren Kopf mit anderen Sorgen voll, die ihr auf die Nägel brannten: denn der Hausherr änderte plötzlich seine Tonart, begann Vergleiche zwischen seinem viellieben jüngsten Sohne und sich selbst anzustellen: er, dem sein ältester so glich, fand bei dem anderen weder seine Nase, noch seine Stirn, noch dies, noch das.
»Er gleicht mir ganz und gar,« entgegnete Bertha eines Tages, da er wieder mit diesem Singsang anfing. »Wißt Ihr nicht, daß in guten Ehen die Söhne von Vater und Mutter gleichermaßen gemacht werden und doch der eine so, der andere so gerät? Einmal hat einer das Gesicht von einem der Eltern, dann wieder gleicht einer beiden, und manche Mutter rühmt sich, daß keines ihrer Kinder einem seiner Eltern gleicht und sagt dann, das Geheimnisvolle dabei sei die Folge göttlichen Willens.«
»Wie seid Ihr weise geworden, meine Liebe,« spottete Bastarnay. »Ich bin leider ganz unwissend und dachte immer, wenn ein Kind einem Mönche gleicht …«
»Dann sei der Mönch der Vater?« setzte Bertha seine Frage fort und blickte ihm furchtlos ins Gesicht, obgleich es ihr wie Eis durch die Adern rann.
Ihr Mann vermeinte darob, er sei auf dem falschen Wege, und verfluchte die Zofe, aber sein Wunsch, die Sache aufzuklären, wurde nur um so glühender. Bertha hingegen war mißtrauisch geworden und schrieb an Johann, der in den nächsten Tagen kommen sollte: er möge dies Jahr wegbleiben, weshalb, das würde sie ihn später wissen lassen. Dann suchte sie die ›Dorfnärrin‹ in Losches auf und bat sie, diesen Brief dem Dom Johann zu bringen. So glaubte sie sich gerettet und war um so froher, als Imbert sonst um diese Zeit, wo das Mönchlein kam, zu seinen Gütern in der Provinz Maine reiste, diesmal aber nicht unter dem Vorgeben, die Vorbereitungen seien daran schuld, die der Herre Ludwig zum Aufstand wider seinen Vater traf. (Dieser ärmste starb bekanntlich aus Gram über selbigen Überfall.) Der Vorwand war so gut gewählt, daß Bertha darauf hineinfiel und sich in Ruhe wiegte. Als aber der bewußte Tag kam, da kam auch pünktlich der Prior. Bei seinem Anblick erblich Bertha und fragte ihn, ob er ihre Botschaft nicht erhalten habe.
»Welche Botschaft?« fragte Johann.
»So sind wir verloren, das Kind, du und ich,« ächzte sie.
»Warum?« fragte der Prior erstaunt.
»Ich weiß nicht! Ich weiß nur, daß nun unser Stündlein geschlagen hat!«
Sie fragte ihren Lieblingssohn, wo Bastarnay sei. Der Knabe erwiderte, sein Vater sei durch einen Eilboten nach Losches gerufen worden und würde nicht vor der Vesperstunde zurückkehren. Daraufhin erklärte Johann trotz aller Vorstellungen seiner Liebsten, er wolle bei ihr und seinem Söhnlein bleiben, denn er sei ganz sicher, daß man nach zwölf Jahren keinerlei Unheil mehr zu befürchten brauche. Wie immer an den Tagen, wo sie die Wiederkehr der ersten Liebesnacht begingen, verblieb die arme Bertha mit dem beklagenswerten Mönche in ihrem Zimmer bis zum Abendessen. Da nun aber Bertha diesmal so in Ängsten war und Johann auch davon angesteckt wurde, so nahmen sie die Mittagsmahlzeit früher ein. Immerhin suchte der Prior von Marmoustier Berthas Gemüt aufzurichten, indem er auf die Vorrechte der Kirche verwies und sie daran erinnerte, wie schlecht Bastarnay zurzeit bei Hofe angeschrieben sei und wie sehr er sich darum vor einer Gewalttat wider einen hochgestellten Mönch des Klosters hüten müsse. Dann setzten sie sich zu Tische, derweile der Knabe gerade beim Spielen war und trotz der wiederholten Mahnungen der Mutter nicht davon abließ, auf einem spanischen Hengste, einem Geschenk des Herrn Karl von Burgund, im Schloßhofe herumzutollen. Denn wie die Kleinen immer schon recht erwachsen scheinen wollen, so wollte auch dieser seinem Freund, dem Mönch, zeigen, wie groß er bereits sei: er ließ also den Hengst wie einen Floh auf dem Laken hin und her springen und blieb dabei mit einem Eigensinn, als sei er im Harnisch ergraut. »Laß ihm denn seinen Willen, du mein liebster Schatz,« sagte der Mönch zu Bertha. »Eigensinnige Kinder werden oft große, feste Charaktere.«
Bertha nippte nur am Essen, denn ihr Herz war aufgequollen wie ein nasser Schwamm. Der Mönch hingegen war ein gelehrter Mann und so merkte er gleich nach dem ersten Bissen etwas Verdächtiges in seinem Magen vorgehen und am Gaumen ein Prickeln und Zusammenziehen, wie von einem Gift. Sofort stieg ihm der Verdacht auf, daß der Herre von Bastarnay ihnen dreien das Essen vergiftet habe; aber schon hatte Bertha davon gegessen und so sprang der Mönch jählings auf, raffte das Tischtuch zusammen und warf es mit allem, was darauf stand, in den Herd. Zugleich enthüllte er Bertha seinen Verdacht. Diese dankte der heiligen Jungfrau dafür, daß ihr Sohn derart aufs Spielen versessen gewesen war. Johann aber behielt seine fünf Sinne gar fest beisammen, sprang, als sei er noch immer ein Page wie ehedem, in den Hof hinab, riß seinen Sohn von dem Hengst, warf sich selbst darauf und jagte nach Losches wie der Teufel. Gleich einer Sternschnuppe langte er dort an, suchte die Dorfnärrin auf, erzählte ihr in zwei Worten den Fall und bat sie um ein Gegenmittel gegen das Gift, davon ihm schon das Gedärm brannte. »Ach!« klagte die Hexe, »wenn ich gewußt hätte, daß dies Gift Euch galt, das ich da verkauft habe, dann hätte ich mir lieber die Kehle von dem Dolche durchbohren lassen, damit ich bedroht war, um solchermaßen mein Leben für das eines Gottesknechtes und das entzückendste Weib des Erdenrundes dahinzuopfern. Denn wißt, lieber Freund, mir bleibt nur dieser Rest, den ich von dem Gegengift in der Phiole hier habe.”
»Reicht es für sie?«
»Ja, aber sputet Euch!«
So sprengte der Mönch noch schneller zurück, als er zuvor hergejagt war, sodaß der Hengst im Schloßhof tot unter ihm zusammenbrach. Als er in das Zimmer stürzte, da fühlte er bereits sein Ende nahen: während er sein Kind küßte, wand er sich wie eine Eidechse im Feuer; aber er verbiß sich den rasenden Schmerz, vergaß im Gram über sie und über das Kind, die nun rettungslos dem Grimme Bastarnays ausgesetzt blieben, seine eigenen Qualen und rief Bertha zu: »Trink‹ schnell! mein Leben ist schon gerettet.« Und er hatte den stolzen Mut, sein Gesicht ruhig erscheinen zu lassen, während er schon die Krallen desTodes sein Herz umklammern fühlte. Kaum aber hatte sie getrunken, da brach er tot zusammen, nachdem er noch seinen Sohn ein letztes Mal geküßt, auf seine Liebste einen letzten Blick gerichtet hatte, der sich auch nicht abwandte, als Johann seinen letzten Seufzer ausgehaucht hatte. Ob dieses Anblickes erstarrte Bertha vor Entsetzen zu Marmelstein; bewegungslos blieb sie vor dem Toten stehen, der zu ihren Füßen lag und preßte nur die Hand ihres Kinder, das in Tränen ausbrach, derweile ihr Auge so trocken blieb wie das rote Meer damals, als die Juden unter Moses’ Führung hindurchschritten: denn ihr war, als ob trockener Sand ihr die Lider brannte. Betet für sie, mitleidige Seelen, denn nie litt ein Weib ärgere Folterqualen als Bertha, da sie inne ward, daß ihr Freund sein Leben geopfert hatte, um das ihre zu retten. Ihr Sohn half ihr, den Mönch auf‹s Bett zu legen, kniete mit ihr zu Füßen der Leiche nieder und betete mit ihr, die ihm nunmehr sagte, daß dies sein wirklicher Vater gewesen war. Und solchermaßen harrte sie der Unglücksstunde, die nur allzu bald hereinbrach: denn gegen elf Uhr kam Bastarnay, dem am Gatter mitgeteilt wurde, der Mönch sei gestorben, nicht aber die Frau und das Kind. Dann erblickte er den toten Hengst und wutschnaubend, nur von dem einen Wunsch beseelt die beiden zu erschlagen, stürmte er mit zwei Sprüngen die Treppe hinaus. Als er dann aber den Toten sah und vor ihm sein Weib und den Knaben, die ihre Litaneien sprachen ohne auf seine wilden Vorwürfe und Drohungen, noch auf sein rasendes Gebaren zu achten, da schwand ihm der Mut, seine schwarze Missetat zu Ende zu führen. Als die erste Wut verraucht war, wurde er unentschlossen und stürmte im Saale auf und ab wie ein Mann, der auf schlimmen Wegen ertappt wurde und dem sein Gewissen zusetzt. Denn die Gebete, die jene ohn’ jede Unterbrechung für den Mönch sprachen, gingen ihm an die Nieren. So verlief die Nacht unter Weinen, Wimmern und Beten. Die Schloßfrau hatte eilends eine Zofe nach Losches gesandt, die ihr ein Edelfrauengewand, dem Knaben ein Pferdlein und eine Knappenausrüstung kaufen mußte. Darob war der Herre Bastarnay arg verdutzt. Eilends ließ er sein Weib und das Kind des Mönches zu sich rufen, aber die beiden gaben gar keine Antwort, sondern machten sich mit den gekauften Sachen zu schaffen. Die gleiche Magd mußte auf Berthas Geheiß die Abrechnung für die Wirtschaft im Hause abschließen und ihrer Herrin Gewänder, Perlen, Geschmeide und Edelsteine so zurecht legen, wie man das tut, wenn eine Witwe auf all ihre Rechte verzichtet. Obendrauf mußte dann ihre Geldtasche gelegt werden, damit die Zeremonie vollständig war; und bald wußte das ganze Haus, was sich begab: alle sahen dann auch, wie die Schloßfrau von dem Hause Abschied nahm und darob wurden aller Herzen von tiefer Trauer bewegt — selbst ein kleiner Balg, der erst in dieser Woche zur Welt gekommen war, heulte aus Leibeskräften, sintemalen ihm die Schloßfrau auch schon ein freundlichesWort gesagt hatte. Der alte Bastarnay aber war über diese Vorbereitungen einfach aus dem Häuschen vor Entsetzen; er lief in das Zimmer seines Weibes und fand sie schluchzend bei der Leiche Johanns, denn die Tränen waren ihr endlich wiedergekommen. Aber als sie ihren Mann sah, trocknete sie ihre Augen und auf seine zahllosen Fragen antwortete sie nur kurz mit dem Geständnis ihrer Schuld; sagte ihm, wie sie überlistet worden, wie der arme Edelknabe darüber in Verzweiflung geraten war; zeigte die Narbe auf seiner Brust. beschrieb die langsame Heilung und erzählte dann, wie er aus Gehorsam zu ihr und aus reuiger Zerknirschung sein stolzes Leben als Rittersmann gelassen hatte und in ein Kloster gegangen war ; wie sie zwar seine (Bastarnays) Ehre zu rächen willens gewesen sei, aber dennoch bedacht habe, daß Gott selbst diesem Manne nicht verweigert haben würde, einmal jährlich seinen Sohn zu sehen, dem er alles opferte, und daß sie nicht mit einem Mörder unter einem Dache leben wolle, deshalb sein Haus verließe und all ihr Gut dalasse; fände er, daß der Bastarnay Ehre beschmutzt sei, so möge er bedenken, daß er selbst es sei, der seinem Hause Schande gemacht habe, indem sie ja alles getan hätte, um das Unheil wieder gut zu machen; und dann enthüllte sie ihm endlich, daß sie mit ihrem Sohne eine Wallfahrt über Berg und Tal machen wolle, bis alle Schuld gesühnt sei, maßen sie sehr wohl wisse, wie sie Buße zu tun habe.
Nachdem sie solch schöne Worte bleich und voll Adel gesprochen hatte, nahm sie ihren Sohn bei der Hand und ging hinaus, und in ihrem tiefen Grame war sie noch erhabener, noch schöner als Hagar, als sie von dem greisen Patriarchen Abraham hinwegging. Ja, sie schaute sogar ehrfurchtgebietend aus, daß die Hausleute niederknieten, als sie vorbeischritt, und die Hände gefaltet zu ihr emporhoben wie zu Unserer Lieben Fraue. Wie gar kläglich schaute dagegen der Herre von Bastarnay aus, als er weinend hinterdreinging , sintemalen er ja nun seine Schuld eingesehen hatte und so verzweifelt war wie ein Mann, den man zur Hinrichtung auf das Blutgerüst schleppt.
Bertha wollte nichts hören. In ihrem Grame beschleunigte sie sogar den Schritt, als sie die Zugbrücke niedergelassen fand, um sie noch schnell zu überschreiten, so sehr fürchtete sie, man könne die Brücke plötzlich hochziehen. Dann machte sie am Grabengeländer halt, während alle Schloßbewohner auf sie hinblickten und sie unter Tränen baten zu bleiben; und vornan stand der arme Ehemann, aufrecht die Hand auf den Gatterpfosten gestützt und stumm in seinem Schmerze wie einer der Heiligen aus Stein, die in den Mauernischen des Vorhofes standen. Aber er mußte mitansehen, wie der Knabe auf Berthas Geheiß bei der Brücke den Staub von seinen Schuhen schüttelte, um damit zu besagen, daß er mit den Bastarnays nichts mehr zu tun habe. Und gleichermaßen tat Bertha, die sodann voller Würde auf ihren Mann wies und zu ihrem Sohne folgendermaßen sprach:
»Dies, mein Kind, ist der Mörder deines Vaters, welch letzterer, wie du weißt, ein armer Prior war. So kam es, daß du jenes Mannes Namen annähmest: Darum sieh zu, daß du ihm dereinst seinen Namen zurückgibst so wie du hier den Staub seines Grund und Bodens von deinen Schuhen geschüttelt hast. Was deines Leibes Nahrung und Unterhalt bis heute ausmachte, das werden wir, so Gott will, gleichermaßen mit seiner Hilfe zurückbezahlen.«
Ob dieser vorwurfsvollen Worte hätte der alte Bastarnay seinem Weibe gern ein ganzes Kloster voller Mönche gegönnt, wenn nur dafür sie und der Knabe bei ihm geblieben wären. So stand er gebeugten Hauptes wider den Pfosten gelehnt da, während Bertha fortfuhr, ohne sich ihre Worte recht klar zu machen: »Du Dämon, bist du nun zufrieden? Mögen diesem zusammenbrechenden Hause denn fortan Gott, die Heiligen und alle Engel beistehen, zu denen ich immer so heiß gebetet habe!«
Und dann füllte sich ihr Herz mit heiligem Troste, denn sie sah das Klosterbanner an der Wegbiegung hinter dem Ackerfeld hervortauchen, und schon erklangen die Kirchengesänge wie himmlische Musik. Die Mönche hatten nämlich ihres viellieben Priors Ermordung erfahren und kamen nun in feierlichem Zuge, um seine Leiche zu holen, und mit ihnen kamen die Kirchenrichter. Kaum sah das der Herre von Bastarnay, da warf er sich aufs Roß, und er hatte gerade noch Zeit, mit seinen Mannen durch das Ausfallstor davonzujagen und zum Herrn Ludwig zu enteilen, indem er alles im Stich ließ. Die arme Bertha wanderte, auf ihren Sohn gestützt, nach Montbazon, um dort von ihrem Vater Abschied zu nehmen, sintemalen sie von diesem Schicksalsschlage zu sterben erwartete. Aber ihre Familie tröstete sie und alle waren, wenn auch ohne großen Erfolg, bemüht, ihren Lebensmut wieder zu heben. Der alte Herre von Rohan steckte seinen Enkelsohn in ein schmuckes Gewaffen und hieß ihn seine reichen Gaben wohl zu verwenden, um Ruhm und Ehre zu gewinnen und solchermaßen seiner Mutter Schuld in ewiges Glück umzuwandeln. Auch des Knaben Mutter wiederholte ihm immer und immer von neuem, er müsse alles wieder gut machen, um solchermaßen sie und Johann vor ewiger Verdammnis zu erretten. So zogen denn beide in die Gegend, wo der Aufstand tobte, denn sie ließen sich von dem Wunsche leiten, dem Herrn von Bastarnay einen Dienst zu erweisen, der ihm noch mehr wert sei, als sein Leben. Nun weiß jeder, daß die Flamme des Aufruhrs am stärksten um Engoulesme und Bordeaux in Guyenne loderte. Die Hauptschlacht die den Krieg entschied, wurde zwischen Ruffec und Engoulesme geschlagen, allwo man auch die Gefangenen henkte und hinrichtete. In dieser Schlacht führte Bastarnay den Oberbefehl und sie fand etwa im November, das heißt sieben Monate nach Johanns Ermordung statt. Der greise Edelmann wußte, daß man auf seinen Kopf einen Preis ausgesetzt hatte, weil er des Herrn Ludwig hauptsächlichster Ratgeber war. Und richtig: als feine Leute sich verirrt hatten, sah er sich plötzlich von sechs Gewappneten umdrängt, die ihn gefangen zunehmen trachteten. Alsbald begriff er, daß man ihn lebend ergreifen wollte, um ihm den Prozeß zu machen, sein Eigen mit Beschlag zu belegen und seinen Namen zu Schanden zu machen. Der Ärmste wollte natürlich lieber sterben, wenn er nur dadurch seine Familie retten und seine Habe seinem Sohne hinterlassen konnte. So verteidigte er sich denn mit seinem ganzen Löwenmute, und trotz ihrer Übermacht sahen die Gegner bereits drei der ihren fallen.
Schließlich beschlossen sie, ihn niederzuschlagen auf die Gefahr hin, daß er dabei getötet würde. Schon hatten sie seine zwei Knappen und einen Pagen erschlagen, schon warfen sie sich zu dritt gleichzeitig auf ihn, als plötzlich ein Knappe mit dem Wappen derer von Rohan wie ein Blitz auf die Mörder einstürmte, zwei tötete und sich mit dem Rufe: »Gott errette die Bastarnays!« wider den dritten wandte. Der saß dem alten Bastarnay bereits am Kragen; aber der Knappe setzte ihm so zu, daß er von jenem ablassen mußte, sich jetzt wider diesen wandte und ihm den Dolch in das Halsstück des Harnisches bohrte. Bastarnay war ein viel zu wackerer Kämpe, als daß er geflohen wäre, ohne dem Retter seines Namens und seines Lebens beizustehen. Mit einem Hiebe seines Streitkolbens schmetterte er den Angreifer nieder, und als er den Knappen sterbend niedersinken sah, da riß er ihn quer über den Sattel und jagte zum Schlosse Roche-Foucauld, das ihm ein Mann wies. Es war bereits Nacht, als er dort anlangte. Im Saale aber fand er Bertha, die ihm diesen Zufluchtsort hatte zeigen lassen; und als er nun seinem Retter das Visier abnahm, da erkannte er den Sohn Johann’s, der nur noch seine Mutter küssen und ihr zurufen konnte: »Mutter, unsere Schuld an ihm ist getilgt!« und dann brach er tot zusammen.
Die Mutter aber warf sich ob dieser Worte über ihren Sohn und küßte ihn und ward für immer mit ihm vereinigt, denn sie gab vor Schmerz ihren Geist auf und verschied, ohne Bastarnays Reue und Verzeihung abzuwarten.
Dies seltsame Mißgeschick beschleunigte so sehr das Ende des armen Edelmannes, daß er die Thronbesteigung des guten Königs Ludwigs des Elften nicht mehr erlebte. Er stiftete eine tägliche Seelenmesse in der Kirche von Roche-Foucauld, woselbst er in das gleiche Grab Sohn und Mutter beisetzen ließ und verfaßte eine Grabinschrift, die in wohlgesetzten lateinischen Worten beider Tugenden preist.
Daraus mag jedermann gar vielerlei gute Ratschläge ableiten; vor allem, daß Edelleute ihrer Frauen Liebste höflich behandeln sollen, des ferneren aber, daß alle Kinder von Gott verliehene Schätze sind und daß kein Vater, mag er nun der richtige sein oder nicht, das Recht haben darf, Mordtaten deshalb zu begehen, wie dies einstens im heidnischen Rom ein schändliches Gesetz erlaubte. Denn so etwas paßt nicht zu unserem Christentum, wo wir alle Kinder Gottes sind.