Honoré de Balzac

Illustrationen von Gustave Doré

Als der Papst die gute Stadt Avignon verließ, um von neuem seinen Thron in Rom aufzuschlagen, sahen sich viele Pilger recht genasführt und angeschmiert, als welche, in dem Komitat angelangt, sich so wenig am Ziel ihrer Wünsche sahen, daß sie gezwungen waren, den Weg erst recht unter die Füße zu nehmen und die Schneealpen zu übersteigen, um die genannte Stadt Rom zu erreichen, wo sie allein das Remittimus ihrer buntscheckigen Sünden erhoffen durften. Man traf damals auf den Heerstraßen und in den Herbergen eine Menge derer, die den Orden der Kainsbrüder um den Hals oder die Blume der Reu und Buße im Knopfloch trugen, große Missetäter vor dem Herrn, mit einem Wort, deren Seelen über und über bedeckt waren mit dem eklen Aussatz der Sünde und die brannten vor Verlangen nach den pontifikalen Reinigungswassern, nach dem ›Teich von Bethesda‹ in der Sakristei von Sankt Peter. Sie trugen alle nicht wenig Gold und andre Kleinodien bei sich, um sich damit loszukaufen, die Sporteln für die päpstliche Bulle zu bezahlen und an den Altären der Heiligen zu opfern. Wenn sie auf dem Hinweg sich mit Wasser begnügten, so mußte es auf dem Herweg wenigstens Weihwasser sein; aber von dem, das man in den Kellern findet.

Zu dieser Zeit kamen drei Pilger nach der obengenannten Stadt Avignon, die zu ihrem und der Pilger Schaden gerade zur päpstlichen Strohwitwe geworden war. Als sich diese drei Pilger von hier weiter auf den Weg machten, den Fluß Rhodanus entlang, dem Mittelländischen Meer entgegen, war einer davon, der seinen kaum zehnjährigen Sohn mit sich geführt, unvermerkt zurückgeblieben, und erst vor der Stadt Mailand stieß er, aber ohne seinen Sohn, wieder zu den beiden Genossen. In der Herberge feierten sie darauf das Wiedersehen mit einem ordentlichen Gastieren und Trinken; denn sie hatten schon geglaubt, der Verschwundene sei aus Ärger, weil er den Papst nicht in Avignon angetroffen, unbußfertig und unverrichteter Sache wieder umgekehrt.

Von diesen drei Romfahrern kam der eine aus der Stadt Paris, der andre aus Deutschland, und der dritte, der offenbar seinen Sohn auf der Reise hatte unterrichten wollen, stammte aus dem Herzogtum Burgund, wo er ein Lehen innehatte und als der nachgeborene Sohn des Hauses von Villers-la-Faye den Namen von La Vaugrenand führte. Der Baron von jenseits des Rheinstroms war mit dem Bürger aus Paris bei der Stadt Lyon zusammengestoßen, und zu den beiden hatte sich kurz vor Avignon der Edelmann aus Burgund gesellt.

In der genannten Herberge ließen die drei ihrer Zunge freien Lauf und sprachen vor allem darüber, wie sie ungefährdet und wohlbehalten in Rom ankommen und sich bewahren möchten vor den Beutelschneidern, Buschkleppern, Schnapphähnen und anderm lichtscheuen Raubgeziefer, das sich einen Beruf daraus machte, die Pilger einstweilen von dem zu erlösen, was ihnen auf dem Leibe lastete, in Erwartung, daß der Papst sie von dem löste, was ihr Gewissen bedrückte.

Nach dem Trinken ergingen sich die drei Pilger erst recht in heitern Reden, da kein Zauber so sehr die Zunge frei und lebendig macht als der Wein. Und alle drei gestanden übereinstimmend, daß nichts als das Weibszeug oder das Zeug des Weibes schuld sei an ihrem Büßerlos. Die Magd, die ihnen beim Trinken zusah, erklärte verwundert, von hundert, die in der Herberge einkehrten, sei es bei mindestens neunundneunzig ebenso bestellt, woraus die drei erkannten, wie verhängnisvoll das Weib sei für den Mann. Der Baron zeigte eine schwere goldene Kette vor, die er unter seinem Panzerhemd bei sich trug, um sie dem Heiligen Vater in Rom zu verehren; seine Sünde aber sei so groß, sagte er, daß er kaum hoffen dürfe, sich mit dem zehnfachen Wert dieser Kette loszukaufen. Der Pariser Bürger zog seinen Handschuh ab, ließ einen großen Diamanten im Licht der Kerze blitzen und sagte, daß er dem Papst hundertmal soviel bringe, als der Stein wert sei. Der Burgunder nahm aus dem Versteck seiner Mütze zwei große Perlen, so groß wie Taubeneier, die als Ohrgehänge Unserer Lieben Frau von Loreto vortrefflich zu Gesicht stehen mußten. Der Edelmann gestand, daß er sie am Halsband seiner Dame lieber sehen würde, und die Magd der Herberge, ganz geblendet vom Anblick so kostbarer Kleinodien, tat die Äußerung, die Verbrechen der drei Pilger müßten groß sein wie die der Visconti.

So groß seien ihre Übeltaten, gestanden die drei, daß sie geschworen hätten, ein jeder in seiner Seele, nie wieder in ihrem Leben an ein Weib zu rühren, wenn es auch die schönste Dame der Welt wäre, und von dieser Enthaltung nicht abzugehen, was ihnen der Papst auch obendrein zur Buße noch auferlegen möge. Mußte sich die Magd nur wundern, daß sie alle drei dasselbe Gelübde getan. »Allein dieses Gelübde«, erzählte der Burgunder, »war der Grund, warum ich in Avignon mich plötzlich von euch getrennt habe. Ich sah die Gefahr des Weibes meinem Sohn drohen, trotz seinem zarten Alter, und da ich geschworen hatte, im Umkreis meiner Gewalt niemandem mehr, weder Mensch noch Tier, das süße und verderbliche Spiel zu erlauben …«

»Ihr wißt«, erzählte hernach der Burgunder, aufgefordert vom deutschen Baron, »daß die gute Gräfin Jeanne d’Avignon einst eine Verordnung erlassen hat, wonach jene ungefiederten Nachtvögel, die ihr kennt, in eine Vorstadt eingeschlossen wurden, wo sie in bordellierten, id est wohlverzäunten Häuschen mit verschlossenen roten Fensterläden wohnen mußten. Indem ich nun in eurer Gesellschaft durch die verfluchte Vorstadt zog, wurde mein Bube, denn so ein Springinsfeld von zehn Jahren läßt seine Augen überall herumgehen, aufmerksam auf die rotgemalten Läden, zupfte mich am Ärmel und quälte mich mit tausend Fragen über die Häuser und was man darin mache, bis ich ihm, um Ruhe zu bekommen, erklärte, das seien die Orte, wo die Menschen gemacht werden, Männlein und Weiblein, und wo jedem, der von der Sache nichts versteht, gräßliche Gefahren drohten. Ich sprach ihm von fliegenden Kröten, Vampiren und andern Scheusalen, die dem Uneingeweihten dort ins Gesicht flögen und ihn kannibalisch zurichteten. Junge Knaben aber setzten ihr Leben aufs Spiel, wenn sie je ein solches Haus beträten. Da bekam es der Schlingel mit der Angst und wagte keinen Blick mehr nach den verdächtigen Fensterläden zu werfen. Scheu und furchtsam schlich er hinter mir drein nach der Herberge. Als ich aber hier den Stall aufsuchte, um wegen unsrer Pferde nach dem Rechten zu sehen, schlich er sich davon wie ein Dieb, und niemand konnte mir sagen, wo er geblieben. Da hatte ich starke Befürchtungen vor den Weibsen, tröstete mich aber mit der Verordnung, die nicht gestattete, daß Knaben von diesem Alter eingelassen werden. Erst zur Stunde der Mahlzeit erschien der Schlingel wieder. Er machte aber ein verlegeneres Gesicht als unser göttlicher Heiland unter den Schriftgelehrten des Tempels. ›Nun, woher?‹ rief ich ihm zu. ›Von den Häusern mit den roten Läden‹, antwortete der Lausbub. Ich drohte ihm mit der Peitsche, wenn er mir nicht haarklein alles erzählte, was ihm begegnet, und unter Flennen und Greinen beichtete er. Aus Angst vor den fliegenden Kröten habe er nicht gewagt, in ein Haus hineinzugehen, doch habe er sich an einen der roten Läden geschlichen und vorsichtig durch den Spalt geblickt, weil er gar zu gern gewußt hätte, wie die Menschen gemacht werden. ›Und was hast du gesehen?‹ fuhr ich ihn an. ›Oh‹, antwortete er, ›eine schöne Frau war schon fast fertig, es fehlte nur noch ein Zapfen, den der Menschenmacher ihr gerade einfügte. Es war eine sehr anstrengende Arbeit. Dann sprang sie auf, tanzte im Zimmer herum, sprach, lachte und küßte ihren Verfertiger.‹ So, mein Kleiner. Ich aber kehrte noch in der Nacht nach Burgund zurück und ließ dort den Allzuneugierigen lieber in der Obhut seiner Mutter, als es erleben zu müssen, daß er in der nächsten Stadt der ersten besten Dirne mit seinem Zapfen beisprang.«

»Ja, die lieben Kinder haben oft drollige Antworten«, meinte der Pariser. »Der Schlingel meines Nachbarn zu Haus verriet mit einem solchen Wort die Hahnreischaft seines Vaters. Eines Abends wollte ich ihm ein wenig auf den Zahn fühlen, was er bereits in der Religion gelernt habe. ›Sage mir‹, fragte ich, ›was ist die Hoffnung?‹ ›Ein dicker Armbrustschütze des Königs‹, antwortete er, ›der immer zu Muttern kommt, wenn Vater ausgegangen ist.‹ In der Tat war der Schützenweibel in seiner Kompagnie also bespitznamt, und der Herr Nachbar, der die Rede mit angehört hatte, griff sich unwillkürlich nach der Stirne, wo er aber nichts fand, wie alle, die nichts finden wollen.«

»Die Rede dieses Kindes«, sprach der Deutsche, »enthielt in Wahrheit einen tiefen Sinn; denn die Hoffnung ist es, die mit uns zu Bette geht und uns in ihre Arme nimmt, wenn die Wirklichkeit des Lebens uns nicht genugtut.«

»Sind denn auch die Hahnreie nach dem Ebenbild Gottes erschaffen?«

»Nein«, antwortete der Pariser; »denn Gott ist weise und hat sich nie mit einem Weibe abgegeben, so ist er glücklich in Ewigkeit.«

»Aber vorher, ehe sie’s wurden«, sprach die Magd, »waren auch die Hahnreie Ebenbilder Gottes.«

Und abermals konnten es die drei nicht satt bekommen, Übles vom Weibe zu reden als dem Quell und Ursprung alles Unglücks in dieser Welt.

»Ihre Pforte steht öfter offen«, sagte der Burgunder, »als die Türe einer Schenke.«

»Ihr Herz ist aufrichtig wie eine Schlange«, erwiderte der Pariser.

»Warum sieht man so viele Pilger und so wenig Pilgerinnen?« fragte der deutsche Baron.

»Das kommt daher«, antwortete darauf der Pariser, »daß ihr verdammtes Ding nicht zu sündigen vermag. Dieses Ding hat kein Gewissen, es kennt nicht Vater noch Mutter, nicht die Gebote Gottes noch die der Kirche, nicht die menschlichen noch göttlichen Gesetze. Dieses Ding weiß von keinem Dogma und keinem Ketzertum. Dieses Ding kann von niemand zur Rechenschaft gezogen werden. Dieses Ding ist vollkommen unschuldig. Es würde lachen, wenn man ihm einen Vorwurf machte. Weder Verstand noch Vernunft hat dieses Ding, das ich hasse und verabscheue.«

»Ich nicht weniger«, beteuerte der Burgunder, »und ich begreife allmählich die Variante, die ein großer Gelehrter über jene Bibelverse gemacht hat, welche von der Schöpfung handeln. Aus dieser Variante, die wir bei uns zulande eine Legende nennen, wird es klar wie Hutzelbrühe, warum das genannte Ding also unchristlich beschaffen ist, daß kein Mann je seinen höllischen Durst zu stillen vermag, allwas allein vom menschlichen Weibe gilt und nicht von den Weibchen der Tiere. Folgendes aber ist die genannte Legende. Als Gott der Herr just an der Eva bosselte, sah er einmal, weil, zum erstenmal im Paradies, gerade ein Esel seine Kehle stimmte zum Gesang, einen Augenblick weg von seinem Werk. Diesen Augenblick benutzte der Teufel und brachte mit seiner roten Kralle der lieblichen Kreatur eine tiefe Wunde bei, die der liebe Gott sofort wieder – daher die Jungfrauen – verklebte, so gut es gehen wollte. Damit tat der Herr seine Absicht kund, daß das Weib verschlossen bleiben und die Kinder nach den gleichen Regeln geformt und gedrechselt werden sollten, wonach er bereits seine Engel erschaffen, nämlich in Akten der Schöpfung, deren Wonnen und Seligkeiten über denen der fleischlichen Zeugung so erhaben sein sollten, wie der Himmel erhaben ist über der Erde. Als aber der betrogene Teufel sah, wie der Herr seine Tücke vereitelt, machte er sich heimlich an den schlafenden Adam, zupfte mit zwei Fingern an der Haut und formte ihm ein Anhängsel nach dem Ebenbild seines teuflischen Schwanzes, das aber dem Herrn Adam nach vorn hing, weil er auf dem Rücken geschlafen hatte. Diese beiden Teufeleien nun strebten zusammen mit unbezwinglicher Gier, nach dem Gesetz, das Gott gemacht hat zur Erhaltung der Schöpfung, und durch sie kam die Sünde in die Welt und alles Unheil; denn der liebe Gott, als er die Machenschaften des Teufels erkannte, war selber begierig, was daraus entstehen möchte.«

Dem allem hatte die Magd zugehört.

»Ach ja«, sagte sie seufzend, »die Herren haben recht, das Weib ist ein gar schlechtes Haustier, und mehrere kenne ich, die ich lieber unter dem Rasen als zu den Basen haben möchte.«

Sie war aber eine hübsche dralle Dirne, und die drei Pilgrime, denen bei ihrem Anblick um ihr Gelübde bange zu werden anfing, erhoben sich und gingen eiligst zu Bett. Unterdessen lief die Magd zu ihrer Herrin und erzählte ihr die weiberfeindlichen Gespräche der Fremden.

»Dummes Mensch«, sagte die, »was kümmern mich die Gedanken im Gehirn meiner Gäste; die Hauptsache ist, daß sie Gold im Beutel haben.«

Aber als ihr das Mädchen von den Kleinodien der Pilger gesprochen, erklärte sie voll Feuer und Flamme:

»Das ist etwas andres, die müssen wir bekehren. Weißt du was, ich nehme die zwei Edelleute auf mich, den Bürgerlichen lasse ich dir.«

Begab sich also die Frau Wirtin, die als die größte Kupplerin im ganzen Herzogtum Mailand bekannt war, nach der Kammer, wo der burgundische Edelmann und der deutsche Baron untergebracht waren, und beglückwünschte die Herren zu ihrem Gelübde.

»Mir scheint übrigens«, sagte sie lachend, »daß wir Frauen dabei nicht viel verlieren; denn was so ein Gelübde wert ist, kann man erst wissen, wenn man es ein wenig auf die Probe gestellt hat.«

Zu diesem Zweck erbot sie sich, bei den Herren zu schlafen. Sie sei zu neugierig, setzte sie hinzu, ob sie wirklich unberührt bleiben werde. Dieser Schimpf sei ihr noch von keinem Manne angetan worden.

Am andern Morgen beim Frühstück hatte die Magd den Diamanten am Finger, und die Wirtin trug das Perlengehänge an den Ohren und die goldene Kette um den Hals. Die drei Pilgrime aber blieben fast einen Monat in der genannten Stadt, gaben ihre ganze Barschaft dahin bis zum letzten Kreuzer und erklärten zuletzt, daß, sie ihre unbesonnenen bösen Reden wider die Frauen nur getan, weil sie die Mailänderinnen nicht gekannt hatten.

Als der deutsche Baron in seiner Heimat anlangte, meinte er, nur eine Dummheit in seinem Leben begangen zu haben, nämlich die: allzu eilig heimgekehrt zu sein. Der Pariser Bürger kam über und über mit Muscheln bedeckt in seine geliebte Stadt zurück und traf bei seiner Frau den genannten Weibel, der in seiner Kompagnie ›die Hoffnung‹ hieß. Dagegen fand der burgundische Edelmann seine Dame dergestalt in der Trübsal, daß ihm die zahlreichen Tröstungen, die er ihr zukommen ließ, wenn er es auch nicht wahrhaben wollte, fast übel bekommen wären.

Daraus können wir lernen, in Herbergen keine Reden zu halten.