Jack London

Und so will ich sechs Decken geben, doppelte, warme Decken; sechs große und harte Feilen; sechs scharfe und lange Hudson-Buchtmesser; zwei Kanus, von Mogum verfertigt, der viele Dinge machen kann; zehn breitschultrige, kräftige Zughunde und drei Büchsen – der Drücker der einen ist abgebrochen, aber es ist eine gute Büchse und sie kann ohne Zweifel wieder gemacht werden.«

Keesh schwieg und ließ die Blicke über die aufmerksamen Gesichter im Kreise schweifen. Es war die Zeit des großen Fischfangs, und er machte Gnob ein Gebot auf seine Tochter Su-Su. Der Ort war die St.-Georg-Mission am Yukon, wo sich die Stämme aus einem Umkreis von vielen hundert Meilen versammelten. Von Norden, Süden, Osten und Westen waren sie gekommen, sogar aus Tozikatat und dem fernen Tana-naw.

»Und ferner, o Gnob, bist du der Häuptling der Tana-naws, und ich, Keesh, Sohn des Keesh, bin der Häuptling der Thlungets. Und wenn daher den Lenden deiner Tochter Nachkommenschaft entspringt, so wird Freundschaft sein zwischen den Stämmen, große Freundschaft, und Tana-naw und Thlunget werden Blutsbrüder sein in kommenden Zeiten. Was ich gesagt habe, das will ich tun, das tue ich. Und was sagst du, o Gnob, nun in dieser Sache?«

Gnob nickte ernsthaft mit dem Kopfe, und sein knorriges und altersgerunzeltes Gesicht lag wie eine undurchdringliche Maske vor der Seele, die dahinter wohnte. Seine kleinen Augen brannten wie glühende Kohlen hinter ihren engen Spalten, als er mit hoher, brüchiger Stimme quäkte: »Aber das ist nicht alles.«

»Was mehr?« fragte Keesh. »Habe ich dir nicht volles Maß geboten? Ist je ein Tana-naw-Mädchen gewesen, für das ein so hoher Preis geboten wurde? So nenne sie!«

Ein offenes Hohngelächter durchlief den Kreis, und Keesh wußte, daß er vor diesen Leuten zum Hohn wurde.

»Nein, nein, guter Keesh, du verstehst mich nicht«, sagte Gnob mit einer beruhigenden Handbewegung. »Der Preis ist anständig. Es ist ein guter Preis. Ich sage auch nichts über den abgebrochenen Drücker. Aber das ist nicht alles. Wie steht es mit dem Manne?«

»Ja, wie steht es mit dem Mann?« knurrte der Kreis.

»Es heißt,« quäkte Gnobs schrille Stimme, »es heißt, daß Keesh nicht den Weg seiner Väter wandert. Es heißt, daß er in die Finsternis fremden Göttern nachzieht, und daß er furchtsam geworden ist.«

Keesh’s Antlitz verdüsterte sich. »Das ist Lüge«, donnerte er. »Keesh fürchtet sich vor keinem Manne!«

»Es heißt,« quäkte der alte Gnob weiter, »daß er der Rede des weißen Mannes droben in dem großen Hause gelauscht hat, und daß er sein Haupt vor dem Gott des weißen Mannes beugt, und ferner, daß der Gott des weißen Mannes kein Blut liebt.«

Keesh schlug die Augen nieder, und seine Faust ballte sich leidenschaftlich. Der wilde Kreis lachte spöttisch, und Madwan, der Schamane, der Hohepriester und Medizinmann des Stammes, flüsterte Gnob etwas ins Ohr.

Der Schamane stöberte zwischen den Schatten am Rande des Feuerscheins und scheuchte einen kleinen schmächtigen Knaben auf. Er zerrte ihn vor Keesh, und in Keesh’s Hand legte er ein Messer.

Gnob beugte sich vor. »Keesh! O Keesh! Wagst du, einen Menschen zu töten? Sieh! Dies ist Kitz-noo, ein Sklave. Stoß zu. O Keesh, stoß zu mit der Kraft deines Armes!«

Der Knabe zitterte und erwartete den Stoß. Keesh sah ihn an; Gedanken an Mr. Browns höhere Morallehre durchflogen seine Seele, und er sah deutlich die tanzenden Flammen in Mr. Browns Lieblings-Höllenfeuer vor sich. Das Messer fiel zu Boden, und der Knabe atmete tief auf und schlich mit zitternden Knien aus dem Lichtkreise. Zu Gnobs Füßen lag ein Wolfshund, der die schlimmen Zähne zeigte und sich anschickte, dem Knaben nachzuspringen. Aber der Schamane stieß dem Tiere seinen Fuß in den Leib und brachte Gnob damit auf einen Gedanken.

»Und was würdest du tun, o Keesh, wenn jemand dich so behandelte?« Und mit diesen Worten reichte Gnob Weißzahn, dem Hunde, einen Streifen Lachs, und als das Tier ihn nehmen wollte, gab er ihm mit einem Stock einen scharfen Schlag über die Schnauze. »Würdest du es hinterher ebenso machen, Keesh?«

Weißzahn kam zitternd auf dem Bauche angekrochen und leckte Gnob die Hand.

»Hör’ mich an!« Gnob hatte sich, auf Madwans Arm gelehnt, erhoben. »Ich bin sehr alt, und weil ich sehr alt bin, will ich dir etwas erzählen. Dein Vater, Keesh, war ein mächtiger Mann. Und er liebte den Gesang der Bogensehne in der Schlacht, und diese meine Augen haben ihn einen Speer werfen sehen, daß die Spitze zum Rücken des Mannes hinausfuhr. Aber du gleichst ihm nicht. Seit du den Raben verlassen hast, um den Wolf anzubeten, fürchtest du dich vor Blut und hast auch dein Volk furchtsam gemacht. Das ist nicht gut. Denn sieh, als ich ein Knabe war, wie Kitz-noo dort, gab es nicht einen weißen Mann im ganzen Lande. Aber sie kamen, einer nach dem andern, diese weißen Männer, und jetzt sind ihrer viele. Und sie sind ein rastloses Geschlecht und begnügen sich nie damit, sich mit vollem Magen am Feuer zur Ruhe zu begeben und den nächsten Tag wieder raten zu lassen. Es ist, als ob ein Fluch auf ihnen liege, den sie mit Arbeit und Mühe sühnen müssen.«

Keesh war verblüfft. Die Erinnerung an eine nur halb verstandene Geschichte, die Mr. Brown ihm erzählt hatte von einem gewissen Adam in alten Tagen, tauchte vor ihm auf, und es schien, daß der Missionar die Wahrheit gesprochen hatte.

»Und darum legen sie die Hand auf alles, was sie sehen, diese weißen Männer, und gehen überall hin und sehen alles. Und es kommen immer mehr auf ihren Spuren, so daß sie, wenn wir nichts unternehmen, das ganze Land besitzen werden und es keinen Platz mehr für die Stämme des Raben geben wird. Und darum müssen wir sie bekämpfen, bis keiner von ihnen übrig ist. Dann wollen wir die Pässe und das Land besetzen, und vielleicht werden dann unsere Kinder und Kindeskinder gedeihen und dick werden. Es wird ein großer Kampf, wenn Wolf und Rabe aneinandergeraten; aber Keesh wird nicht kämpfen, und er wird auch sein Volk nicht kämpfen lassen. Daher wäre es nicht gut, wenn er meine Tochter bekäme. So habe ich gesprochen, ich, Gnob, der Häuptling der Tana-naws.«

»Aber die weißen Männer sind gut und groß«, antwortete Keesh. »Die weißen Männer haben uns viele Dinge gelehrt. Die weißen Männer haben uns Decken und Messer und Büchsen gegeben, wie wir sie nie verfertigt haben und nie verfertigen könnten. Ich weiß gut, wie wir lebten, ehe sie kamen. Ja, ich war damals noch nicht geboren, aber ich habe es von meinem Vater gehört. Wenn wir auf die Jagd gingen, mußten wir uns dicht an den Elch heranpürschen, daß wir ihn mit dem Wurfspeer treffen konnten. Heute gebrauchen wir die Büchse des weißen Mannes, die weiter reicht, als der Schrei eines Kindes zu hören ist. Wir aßen Fisch und Fleisch und Beeren – es gab nichts anderes zu essen –, und wir aßen es ohne Salz. Wie viele sind unter euch, die Lust haben, zu Fisch und Fleisch ohne Salz zurückzukehren?«

Das hätte gewirkt, wäre Madwan nicht plötzlich aufgesprungen, ehe es noch still geworden war. »Zunächst eine Frage an dich, Keesh. Der große Mann droben in dem großen Hause sagt euch, daß es unrecht sei, zu töten. Aber wissen wir nicht, daß die weißen Männer auch töten? Haben wir den großen Kampf bei Koyokuk vergessen? Oder den großen Kampf bei Nuklukyeto, wo drei weiße Männer zwanzig Tozikakats töteten? Meinst du, wir dächten nicht mehr an die drei Männer vom Tana-naw-Stamme, die der weiße Mann Macklewrath tötete? Sage mir, Keesh, warum lehrt der Schamane Brown euch, daß es unrecht sei zu töten, wenn alle seine Brüder kämpfen?«

»Nein, nein, du brauchst nicht zu antworten«, quäkte Gnob, während Keesh einen Ausweg aus diesen Widersprüchen suchte. »Es ist ganz leicht zu verstehen. Der gute Mann Brown möchte gern den Raben festhalten, damit seine Brüder ihm die Federn ausrupfen können.« Er hob die Stimme. »Aber solange es einen einzigen Tana-naw, der dreinschlagen, ein einziges Mädchen gibt, das einen Knaben gebären kann, so lange soll der Rabe nicht gerupft werden!«

Gnob wandte sich an einen heiseren jungen Mann auf der andern Seite des Feuers. »Und was sagst du, Makamuk, der du der Bruder Su-Sus bist?«

Makamuk erhob sich. Eine lange Narbe, die über das Gesicht lief, zog seine Oberlippe in die Höhe, daß er unaufhörlich zu grinsen schien, was der glühenden Wildheit seiner Augen widersprach. »Heute«, begann er mit scheinbarer Gleichgültigkeit, »kam ich an der Hütte des Händlers Macklewrath vorbei. Und in der Tür sah ich ein Kind, das der Sonne zulachte. Und das Kind sah mich mit den Augen des Händlers Macklewrath an und wurde bange vor mir. Die Mutter lief herbei und beschwichtigte es sofort. Die Mutter war Ziska, ein Thlungetweib.«

Ein Knurren von Wut erhob sich und übertönte seine Stimme; er beschwichtigte den Lärm, indem er sich theatralisch mit ausgestrecktem Arm und anklagendem Zeigefinger gegen Keesh wandte.

»So? Ihr gebt eure Frauen fort, ihr Thlungets, und dann kommt ihr zu den Tana-naws, um euch andere zu holen? Aber wir brauchen unsere Frauen selber, Keesh, denn wir müssen Männer zeugen, viele Männer, für den Tag, da der Rabe und der Wolf aneinandergeraten.« – Durch den Beifallssturm schrillte deutlich die Stimme Gnobs: »Und du, Nossabok, der du ihr Lieblingsbruder bist?«

Der junge Mann war schlank und anmutig und besaß die kräftige Adlernase und die hohe Stirn seiner Rasse; aber infolge einer nervösen Schwäche fiel das eine Augenlid hin und wieder herab, so daß er schelmisch zu blinzeln schien. Als er sich erhob, fiel es herab und ruhte einen Augenblick auf seiner Wange. Aber das wurde nicht mit dem üblichen Lachen begrüßt. Alle Gesichter waren ernst. »Ich ging auch an der Hütte des Händlers Macklewrath vorbei«, sagte er mit einer weichen, mädchenhaften Stimme, die in hohem Maße der seiner Schwester glich. »Und ich sah Indianer, denen der Schweiß in die Augen lief und die Knie vor Müdigkeit zitterten – ich sage, ich sah Indianer, die stöhnten, während sie Balken zu dem Lager schleppten, das der Händler Macklewrath sich baut. Und meine Augen sahen andere, die Brennholz schlugen, damit das Haus des Schamanen Brown in der Kälte der langen Nächte warm gehalten werden kann. Das ist Frauenarbeit. Nie werden die Tananaws solches tun. Wir wollen Blutsbrüder sein von Männern und nicht von Squaws, und die Thlungets sind Squaws.«

Tiefe Stille trat ein, und aller Augen hefteten sich auf Keesh. Er blickte sich sorgfältig und langsam um, sah jedem erwachsenen Manne gerade ins Gesicht. »So«, sagte er leidenschaftslos. »So«, wiederholte er. Dann drehte er sich um und ging ins Dunkel hinaus.

Über spielende Kinder und knurrende Wolfshunde hinweg wanderte er durch das große Lager, und an dessen Rande fand er eine Frau, die im Schein eines Feuers bei ihrer Arbeit saß. Sie war im Begriff, Schnüre zum Fischfang aus der Rinde der langen Wurzeln von Schlingpflanzen und Ranken zu drehen.

Eine Zeitlang stand er neben der Frau, ohne ein Wort zu sagen, und sah auf ihre gewandten Hände, die Ordnung in die wirre Masse verwickelter Fasern brachten. Sie war schön anzusehen, wie sie hier bei ihrer Arbeit saß, kräftig gebaut, breitbrüstig und mit Hüften, die wie geschaffen schienen, Kinder zu gebären. Und der Bronzeton ihres Antlitzes leuchtete golden in dem flimmernden Licht, ihr Haar schimmerte blauschwarz, und ihre Augen glichen Kohlenperlen.

»O Su-Su,« sagte er endlich, »du hast mich freundlich angesehen in Tagen, die entschwunden sind, aber noch nicht lange –«

»Ich habe dich freundlich angesehen, weil du der Häuptling der Thlungets bist,« antwortete sie schnell, »und weil du groß und stark bist.«

»Ja –«

»Aber das war in den alten Tagen des Fischfangs,« beeilte sie sich hinzuzufügen, »ehe der Schamane Brown kam, dich schlechte Dinge lehrte und deinen Fuß auf fremde Wege führte.«

»Aber ich will dir sagen –«

Sie hob die Hand mit einer Bewegung, die an ihren Vater erinnerte.

»Nein, ich kenne die Worte, die sich in deiner Kehle jetzt regen, o Keesh, und ich antworte darauf. Es ist so, daß die Fische im Wasser und die Tiere im Walde Kinder von ihrer eigenen Art zeugen. Und das ist gut so. Ebenso ist es mit den Frauen. Sie sollen Kinder von ihrer Art zeugen, und selbst eine Jungfrau fühlt trotz ihrer Jungfrauschaft die Geburtswehen und die Schmerzen in der Brust und die kleinen Hände um ihren Hals. Und wenn ein solches Gefühl stark ist, dann sieht die Jungfrau sich verstohlen nach dem Manne um – dem Manne, der zum Vater für ihre Art taugt. Das habe ich gefühlt. Das fühlte ich, als ich dich sah und fand, daß du groß und stark warst, ein Kämpfer gegen Tiere und Menschen, wohl imstande, mir das Fleisch zu schaffen, sollte ich auch zwei ernähren mit meinem Munde, und die Gefahr von mir fernzuhalten, wenn ich hilflos wäre. Aber das war vor dem Tage, da der Schamane Brown ins Land kam und dich lehrte –«

»Das ist nicht richtig, Su-Su. Es sind gute Worte, die ich von ihm gehört habe –«

»Daß es nicht recht sei, zu töten. Ich weiß, was du sagen willst. So zeuge du Kinder von deiner Art, von der Art, die nicht tötet; aber suche sie nicht unter den Tana-naws. Denn es heißt, daß in den kommenden Tagen der Rabe mit dem Wolfe ringen wird. Ich verstehe nichts davon, denn das sind Männersachen; aber ich weiß, daß es meine Sache ist, Männer für jene Zeit zu gebären.«

»Su-Su,« unterbrach Keesh sie, »du mußt mich anhören –«

»Ein Mann würde mich mit einem Stock schlagen und mich zwingen, ihn anzuhören«, spottete sie. »Aber du . . . hier!« Sie steckte ihm ein Bündel Bast in die Hand. »Mich kann ich dir nicht geben, aber nimm dieses. Das paßt am besten in deine Hände. Es ist Squaws-Arbeit, flicht!«

Er warf es hin, und das zornige Blut bahnte sich einen dunklen Weg unter seiner bronzefarbenen Haut.

»Noch eins«, fuhr sie fort. »Es ist ein alter Brauch, der deinem Vater wie meinem nicht fremd ist. Wenn ein Mann im Kampfe fällt, wird sein Skalp als Siegeszeichen genommen. Schön. Aber du, der du dem Raben abgeschworen hast, mußt mehr tun. Du mußt mir nicht Skalpe, sondern Köpfe bringen, zwei Köpfe, dann will ich dir keinen Bast geben, sondern einen perlgestickten Gürtel und darin ein langes russisches Messer mit Scheide. Und dann werde ich dich wieder freundlich ansehen, und alles wird gut sein.«

»So«, grübelte der Mann. »So.« Dann drehte er sich um und trat aus dem Lichtschein.

»Nein, o Keesh!« rief sie ihm nach. »Nicht zwei Köpfe, sondern mindestens drei!«

Aber Keesh blieb seiner Bekehrung treu, lebte ein rechtschaffenes Leben und brachte seine Stammesgenossen dahin, daß sie dem Evangelium gehorchten, wie es ihnen von Pastor Jackson Brown ausgelegt wurde. In der ganzen Fischfangzeit kümmerte er sich nicht um die Tana-naws und nahm keine Notiz von den Witzen, die umliefen, oder dem Lachen der Frauen in den vielen Stämmen. Nach Beendigung des Fischfangs zogen Gnob und sein Volk mit großen Vorräten an sonnengedörrtem und geräuchertem Lachs heim, um auf den weiten Ebenen der Tana-naws zu jagen.

Keesh sah sie fortziehen, ließ aber nicht nach in seiner Aufmerksamkeit bei dem Gottesdienst in der Mission, wo er sich regelmäßig zu den Gebetsstunden einstellte und den Chorgesang mit seinem tiefen Baß führte.

Pastor Jackson Brown war begeistert von diesem tiefen Baß und erklärte Keesh wegen seiner vortrefflichen Eigenschaften für den meistversprechenden aller Bekehrten. Macklewrath war anderer Meinung. Er glaubte nicht, daß die Bekehrung der Heiden sehr tief säße, und hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berge. Aber Pastor Brown war auf seine Weise ein bedeutender Mann, und er disputierte die Sache so überzeugend einen langen Winterabend lang, daß der Händler, von einer Stellung zur andern getrieben, schließlich desperat erklärte: »Sie können mir den Schädel einschlagen, Brown, oder ich lasse mich selber bekehren, wenn Keesh zwei Jahre lang bei seiner Bekehrung beharrt!«

Herr Brown ließ nie eine Gelegenheit unbenutzt, und daher schlug er sofort mit männlichem Handschlag ein, und von diesem Augenblick an war Keesh’s Verhalten entscheidend für das schließliche Wohl und Wehe von Macklewraths Seele.

Aber eines Tages, als der Winterfrost sich auf das Land niedergelassen und den Boden hart genug zum Reisen gemacht hatte, gab es eine große Neuigkeit.

Ein Tana-naw, der nach der St.-Georgs-Mission kam, um Munition zu kaufen, erzählte, daß Su-Su ihr Auge auf Nee-Koo geworfen hatte, einen starken jungen Jäger, der am Feuer des alten Gnob ein glänzendes Gebot für sie gemacht hatte. Um diese Zeit war es, daß Pastor Jackson Brown eines Tages Keesh auf dem Holzwege begegnete, der zum Flusse hinabführt. Keesh hatte seine besten Hunde vor den Schlitten gespannt und seine feinsten Schneeschuhe unter die Laschen gesteckt.

»Wo gehst du hin, o Keesh? Auf die Jagd?« fragte Mr. Brown in der Art der Indianer.

Keesh blickte ihm eine ganze Minute starr in die Augen und trieb seine Hunde an. Dann wandte er wieder seinen ruhigen Blick auf den Missionar und antwortete:

»Nein, ich gehe zur Hölle.«

Auf einer Lichtung lagen, wie zusammengekauert im Schnee, drei traurige Zelte, als suchten sie Schutz vor der unheimlichen Einsamkeit. Rings lag, ein Dutzend Schritte entfernt, der finstere Wald. Über ihnen war nicht die Leere eines klaren, blauen Himmels, sondern ein undeutlicher, schneedrohender Nebelhang. Kein Hauch, kein Laut, nichts als Schnee und Stille. Nicht einmal das Leben, das gewöhnlich über einem Lager liegt; denn die Jagdgesellschaft war einer Renntierherde in die Flanke gekommen und hatte große Beute gemacht. So war nach einer Hungerperiode eine Zeit der Fülle und der Feste gekommen, und daher lagen sie nun bei hellichtem Tage in ihren Elchfellzelten und schliefen fest.

An einem Feuer vor einem Zelt standen fünf Paar Schneeschuhe aufrecht in ihrem Element, und an dem Feuer saß Su-Su. Die Kappe ihrer Eichhörnchenfell-Parka war über den Kopf gezogen und um ihren Hals zugebunden; ihre Hände aber trugen keine Handschuhe und waren eifrig beschäftigt, mit Nadel und Sehnenfaden einen mit hochrotem Stoff verzierten Ledergürtel als Abschluß phantastisch zu besticken. Hinter einem der Zelte stieß ein Hund ein kurzes, scharfes Kläffen aus und schwieg ebenso plötzlich, wie er begonnen. Einmal gurgelte und grunzte ihr Vater in dem Zelte hinter ihr im Schlafe. »Böse Träume«, lächelte sie bei sich. »Er wird alt und aß zuviel von der letzten Keule.« Sie befestigte die letzte Perle, machte einen Knoten in den Sehnenfaden und legte neues Holz aufs Feuer. Nachdem sie lange in die Flammen gestarrt hatte, hob sie schließlich den Kopf, als sie das scharfe Knirschen eines Mokassins auf dem steinharten körnigen Schnee hörte. Neben ihr stand Keesh, leicht gebückt unter einer Last, die er auf dem Rücken trug. Sie war lose in weichgegerbtes Elchleder gepackt, und er warf sie gleichgültig in den Schnee und ließ sich nieder. Lange blickten sie sich an, ohne zu reden.

»Es ist ein weiter Weg, o Keesh,« sagte sie schließlich, »ein weiter Weg von der St.-Georgs-Mission am Yukon.«

»Ja«, antwortete er abwesend und heftete den Blick starr auf den Gürtel, als wollte er seinen Umfang messen. »Aber wo ist das Messer?« fragte er.

»Hier.« Sie zog es unter ihrer Parka hervor und ließ die bloße Klinge im Schein des Feuers spielen. »Es ist ein gutes Messer.«

»Gib es mir!« befahl er.

»Nein, o Keesh«, lachte sie. »Es könnte sein, daß du nicht geboren wärest, es zu tragen.«

»Gib es mir!« wiederholte er, ohne den Ton zu ändern. »Ich bin geboren, es zu tragen.«

Da sahen ihre Augen, wie der Schnee sich dort langsam rötete. »Ist das Blut, Keesh?« fragte sie.

»Ja, es ist Blut. Aber gib mir den Gürtel und das lange russische Messer.«

Sie fühlte sich plötzlich von Furcht ergriffen und erschauerte, als er ihr den Gürtel mit rauhem Griff entriß, erschauerte über seine Rauheit. Sie blickte ihn sanft an und spürte einen Schmerz in der Brust und kleine Händchen um ihren Hals.

»Er ist für einen kleineren Mann gemacht«, bemerkte er grimmig, indem er ihn um seinen Leib schnallte.

Su-Su lächelte, und ihre Augen wurden noch sanfter. Wieder spürte sie die weichen Händchen an ihrem Halse. Er sah gut aus, und der Gürtel war unleugbar zu eng und für einen kleineren Mann gemacht. Aber was tat das? Sie konnte viele Gürtel nähen.

»Aber das Blut?« fragte sie unter dem Zwange einer neuentstandenen, wachsenden Hoffnung. »Das Blut, Keesh? Sind es . . . sind es . . . Köpfe?«

»Ja.«

»Sie müssen noch ganz frisch sein, sonst wäre das Blut gefroren.«

»Ja, es ist nicht kalt, und sie sind frisch, ganz frisch.«

»O Keesh!« Ihr Antlitz war warm und strahlte.

»Und für mich?«

»Ja. Für dich.«

Er faßte eine Ecke des Fells, riß es mit einer schnellen Bewegung auseinander und rollte die Köpfe vor ihre Füße.

»Drei«, flüsterte er wild. »Nein, wenigstens vier.«

Aber sie saß erstarrt da. Dort lagen sie – das sanfte Antlitz Nee-Koos; das verwitterte Greisengesicht Gnobs; Makamuk, sie mit hochgezogener Oberlippe angrinsend, und endlich Nossabok, das Augenlid wie gewöhnlich schelmisch blinzelnd auf die mädchenhafte Wange gesunken. Dort lagen sie, während der Schein des Feuers über sie hinspielte und um jeden ein wachsender Kreis den Schnee rötete.

Vom Feuer aufgetaut, gab die weiße Kruste unter Gnobs Kopf nach, er rollte sich herum, als wäre er lebendig, und blieb zu ihren Füßen liegen.

Im Walde schüttelte eine überbürdete Kiefer ihre Schneelast ab, und das Echo scholl hohl durch die Schlucht. Der Tag schwand schnell, und Finsternis senkte sich über das Lager, als Weißzahn zum Feuer getrabt kam. Seine Schnauze wandte sich schnell seitwärts, seine Nüstern zitterten, und die Haare sträubten sich auf seinem Rücken; er folgte der Blutspur bis zum Kopfe seines Herrn. Er schnupperte zuerst vorsichtig, dann leckte er die Stirn mit seiner roten, heraushängenden Zunge. Plötzlich setzte er sich nieder, hob die Schnauze zum ersten matten Stern empor und ließ ein langgezogenes Wolfsgeheul ertönen.

Das brachte Su-Su zu sich. Sie warf einen Blick auf Keesh, der das russische Messer gezogen hatte und sie aufmerksam betrachtete. Sein Gesicht war fest und entschlossen, und sie las das Gesetz darin. Sie ließ die Kappe ihrer Parka zurückfallen, entblößte ihren Hals und erhob sich. Dann hielt sie inne und warf einen langen Blick um sich her, auf den Wald, die matten Sterne am Himmel, das Lager, die Schneeschuhe im Schnee – einen langen umfassenden Blick auf das Leben. Ein leichter Windhauch bewegte ihr Haar, und einen Augenblick wandte sie den Kopf, so daß es ihr gerade ins Gesicht wehte.

Dann dachte sie an ihre Kinder, die immer ungeboren bleiben sollten, schritt zu Keesh hinüber und sagte: »Ich bin bereit.«