WODURCH DIE MENSCHEN LEBEN.

Leo Tolstoi

Deutsch von Hanny Brentano

Mit Bildschmuck von Professor A. Brentano

Wir wissen, daß wir aus dem Tode in das Leben übergegangen sind, weil wir die Brüder lieben. Wer nicht liebt, bleibt im Tode.

(I. Joh. 3, 14.)

Wer die Güter dieser Welt hat und, wenn er seinen Bruder Not leiden sieht, sein Herz vor ihm verschließt, wie bleibt die Liebe Gottes in ihm?

(17.)

Meine Kindlein, laßt uns nicht mit Worten noch mit der Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit.

(18.)

Geliebte! laßt uns einander lieben, denn die Liebe ist aus Gott und jeder, der liebt, ist aus Gott geboren und erkennt Gott.

(I. Joh. 4, 7.)

Wer nicht liebt, hat Gott nicht erkannt, denn Gott ist Liebe. (8.)

Gott hat niemand jemals geschaut. Wenn wir einander lieben, so bleibt Gott in uns und seine Liebe ist in uns vollkommen.

(12.)

Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott in ihm.

(16.)

Wenn jemand sagt: Ich liebe Gott, und haßt seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder, den er sieht, nicht liebt, wie vermag der Gott zu lieben, den er nicht sieht?

(20.)

 

I.

Es lebte ein Schuster mit seiner Frau und seinen Kindern bei einem Bauern zur Miete. Er besaß weder ein eigenes Haus noch ein Stück Land und ernährte sich und seine Familie mit der Arbeit seiner Hände. Das Brot war teuer, die Arbeit billig, und was er verdiente, das wurde aufgezehrt. Der Schuster und seine Frau hatten nur einen Pelz, und auch der war schon arg zerfetzt. Seit zwei Jahren schon hatte der Schuster die Absicht, Schaffelle zu einem neuen zu kaufen.

Als es zum Herbst ging, hatte der Schuster ein kleines Sümmchen beisammen: ein Dreirubelschein lag im Koffer der Frau und fünf Rubel zwanzig Kopeken schuldeten ihm die Bauern im Dorf.

Eines schönen Morgens machte der Schuster sich auf ins Dorf, um einen Pelz zu kaufen. Er zog eine wattierte, baumwollene Jacke seiner Frau über das Hemd und darüber einen langen Tuchrock, steckte den Dreirubelschein in die Tasche, brach sich einen Wanderstab ab und machte sich gleich nach dem Frühstück auf den Weg. »Fünf Rubel bekomme ich von den Bauern,« dachte er, »meine drei lege ich dazu und kaufe mir Schaffelle zum Pelz.«

Der Schuster kam ins Dorf und ging zu einem der Bauern – der war nicht zu Hause. Die Frau versprach, den Mann noch in derselben Woche mit dem Gelde hinzuschicken, gab aber kein Geld her. Der Schuster ging zu einem andern Bauern – der schwor hoch und heilig, daß er kein Geld habe, und gab ihm nur zwanzig Kopeken für das Flicken seiner Stiefel. Nun dachte der Schuster die Schaffelle auf Borg zu nehmen; der Gerber aber traute ihm nicht und gab nichts her.

»Bring’ mir das Geld,« sagte er, »dann kannst du dir auswählen, welche Felle du willst. Ich weiß, wie schwer man Schulden einkassiert.«

So mußte der Schuster unverrichteter Sache wieder abziehen. Nur die zwanzig Kopeken für die Flickarbeit hatte er bekommen und von einem Bauern alte Filzstiefel mitgenommen, die er mit Leder benähen sollte.

Aus Gram trank der Schuster für die ganzen zwanzig Kopeken Schnaps und machte sich ohne Pelz wieder auf den Heimweg. Am Morgen hatte er gefröstelt, jetzt nach dem Trinken erschien es ihm auch ohne Pelz warm genug. So geht er nun seines Weges; mit der einen Hand klopft er mit dem Stecken an die mit Eis bedeckten Steinchen, mit der andern schwenkt er die Filzstiefel hin und her, und dabei spricht er mit sich selber.

»Auch ohne Pelz ist mir warm,« sagt er, »hab’ ein Gläschen getrunken, das treibt das Blut durch die Adern. Ich brauch’ keinen Pelz, ich geh’ meiner Wege und vergesse meinen Kummer. Was bin ich doch für ein Mensch! Was fehlt mir denn? Ich werde auch ohne Pelz auskommen, mein Lebtag brauch’ ich keinen Pelz. Nur eines: die Alte wird sich kränken. Und kränkend ist es auch: du arbeitest für ihn und er hält dich zum Narren. Wart’ einmal: Bringst du mir kein Geld, so werd’ ich’s dir zeigen. Was soll denn das heißen? Zwanzig Kopeken gibt er mir, was fang’ ich mit zwanzig Kopeken an? Das Einzige ist, man vertrinkt es; ich leide Not, sagt er; gut, du leidest Not, leide ich denn keine Not? Du hast ein Haus und Vieh und alles, ich aber hab’ nur mich selbst; du hast dein eigenes Brot, ich muß es kaufen; ich mag es hernehmen, wo ich will, drei Rubel in der Woche brauche ich für Brot allein. Wenn ich nach Hause komme, ist das Brot schon alle, und ich kann wieder anderthalb Rubel hergeben, so gib mir auch das, was du mir schuldig bist!«

So kommt der Schuster zu einer kleinen Kapelle an der Straßenbiegung und sieht gleich hinter der Kapelle etwas Weißes schimmern. Es dämmert schon, der Schuster sieht und sieht, kann aber nicht unterscheiden, was es ist. »Ein Stein«, denkt er, »hat hier nie gelegen, vielleicht ein Tier? Aber es sieht doch nicht aus wie ein Tier. Der Kopf sieht aus wie ein Menschenkopf, aber so weiß ist das Ganze, und warum auch sollte ein Mensch hier sein?«

Er geht näher heran und sieht nun ganz deutlich – welch ein Wunder! – es ist wirklich ein Mensch. Er sitzt da, lebendig oder tot, vollständig nackt, an die Kapelle gelehnt und rührt sich nicht. Dem Schuster wird angst und bang; er denkt sich: Der Mensch muß getötet worden sein, ist ausgeplündert und liegen gelassen; wenn man in seine Nähe kommt, kann man in die Geschichte verwickelt werden.

Und er ging vorüber. Als er um die Kapelle herum war, sah er den Menschen nicht mehr. Er ging weiter, blickte sich um, und schau, der Mensch ist nicht mehr an die Kapelle gelehnt, sondern bewegt sich, als wollte er etwas sehen. Der Schuster erschrak noch mehr. »Soll ich herangehen,« dachte er, »oder soll ich weiter? Wenn ich herangehe, kann es ein Unglück geben; wer weiß denn, was für ein Mensch das ist? Den hat nichts Gutes hergeführt. Wenn ich mich ihm nähere, springt er vielleicht auf und erwürgt mich, ohne daß ich mir helfen kann; erwürgt er mich aber nicht, schau, so werd’ ich ihn vielleicht nicht mehr los. Was soll ich mit einem Nackten anfangen? Ich kann doch nicht meine letzten Kleider vom Leibe ziehen und ihm geben. Gott helfe mir weiter!«

Und der Schuster beschleunigte seine Schritte. Schon war er weit weg von der Kapelle, als sein Gewissen erwachte und er mitten auf dem Wege stehen blieb. »Was tust du denn, Ssemjon?« sagte er zu sich selbst; »da stirbt ein Mensch im Elend, du aber bist feig und gehst vorüber. Du bist wohl plötzlich sehr reich geworden und fürchtest, daß man dir deinen Reichtum raube? Ei Ssemjon, das ist nicht hübsch von dir!«

 

II.

Ssemjon kehrte um und ging auf den Menschen zu. Er betrachtet ihn von allen Seiten und sieht, das ist ein junger, kräftiger Mann, am ganzen Körper keine Wunde, nur erfroren und erschreckt ist der Mensch. Er sitzt da, an die Mauer gelehnt, und blickt nicht auf, als wäre er zu schwach, um die Augen zu öffnen. Ssemjon trat dicht an ihn heran, und da plötzlich war es, als ob der Mensch zu sich käme; er wendet den Kopf, öffnet die Augen und blickt Ssemjon an – und durch diesen Blick gewann Ssemjon den Menschen lieb. Er warf die Filzstiefel auf den Boden, nahm seinen Gürtel ab, legte ihn auf die Filzstiefel und zog den langen Rock aus. »Da nimm,« sagte er, »laß das Reden, zieh’ dich an, schnell! So!«

Ssemjon faßte den Menschen unter die Arme und richtete ihn empor. Der Mensch erhob sich. Ssemjon sieht, es ist ein feiner, reiner Körper; die Hände und Füße sind zart und unversehrt, das Gesicht ist rührend und hold. Ssemjon warf ihm den Rock über die Schultern; der Jüngling aber fand nicht in die Ärmel hinein. Ssemjon half ihm die Hände hineinbringen, schlug den Rock zusammen und band ihm den Gürtel um.

Dann nahm Ssemjon seine zerrissene Mütze vom Kopf und wollte sie dem Nackten aufsetzen, aber es fror ihn selbst am Kopfe. Da dachte er: »Ich hab’ eine Glatze, er aber hat lange lockige Haare!« und er drückte sich die Mütze wieder aufs Haupt; »ich ziehe ihm lieber die Stiefel an!« Er setzte ihn nieder und zog ihm die Filzstiefel an die Füße.

Nachdem der Schuster den Fremden so bekleidet hatte, sprach er:

»Nun, Bruder, setz’ dich in Bewegung, dann wird dir warm werden. Diese ganze Sache wird sich auch ohne uns aufklären. Kannst du gehen?«

Der Mensch steht da, blickt Ssemjon freundlich an, kann aber kein Wort hervorbringen.

»Warum sprichst du denn nicht? Wir können hier doch nicht überwintern. Wir müssen ein Unterkommen suchen. Da nimm meinen Stock und stütz’ dich darauf, wenn du ermattet bist. Vorwärts, Bruder!«

Und der Mensch ging. Und er ging leicht, ohne zurückzubleiben.

So ziehen sie ihres Weges und Ssemjon fragt:

»Also wo bist du wohl her?«

»Ich bin nicht von hier.«

»Die hiesigen Leute kenne ich; wie bist du also hierher geraten, grade zur Kapelle?«

»Ich kann es nicht sagen.«

»Wahrscheinlich haben dir die Leute etwas angetan?«

»Niemand hat mir etwas angetan; Gott hat mich gestraft.«

»Versteht sich, alles macht Gott; aber immerhin, du mußt doch irgendwo ein Unterkommen haben. Wohin führt dein Weg?«

»Das ist mir einerlei.«

Ssemjon wundert sich. Wie ein Vagabund sieht der Fremde nicht aus. Seine Rede ist sanft, aber er sagt nichts über sich. Und Ssemjon denkt, es kommt vielerlei vor in der Welt, und sagt zu dem Jüngling:

»Also komm mit mir ins Haus, kannst dich wenigstens etwas erholen.«

Ssemjon geht weiter; der Fremde hält Schritt mit ihm und geht neben ihm her. Inzwischen hat sich ein Wind erhoben, der bläst Ssemjon nun kalt unter das Hemd; sein Rausch verfliegt und es fröstelt ihn wieder. Laut atmend schreitet er daher, zieht die Weiberjacke fester um sich und denkt:

»Da hab ich’s nun, einen Pelz zu kaufen ging ich aus, und ohne Rock komme ich heim und bringe mir noch einen Nackten mit! Matrjona wird mich nicht loben.«

Und bei dem Gedanken an seine Frau wird ihm unbehaglich zumute. Wenn er aber den Fremdling ansieht und sich erinnert, wie der ihn dort hinter der Kapelle angeblickt hat, dann hüpft sein Herz vor Freude.

 

III.

Ssemjons Frau hatte die Wohnung früh in Ordnung gebracht. Sie hatte Holz gehackt, Wasser herbeigeschleppt, die Kinder gefüttert und selbst ein wenig gegessen; nun dachte sie darüber nach, wann sie frischen Brotteig machen sollte, heute oder morgen? Es war noch ein großes Stück Brot übrig geblieben.

»Wenn Ssemjon dort Mittag ißt,« dachte sie, »und zum Nachtmahl nicht mehr viel verzehrt, dann reicht das Brot bis morgen.«

Sie drehte das Brot hin und her und kam zu dem Entschluß: »Ich mach’ heute keinen Teig. Hab’ ohnehin nicht mehr viel Mehl im Haus, bis Freitag komm’ ich schon noch durch.«

Matrjona legt das Brot fort und setzt sich an den Tisch, um das Hemd ihres Mannes zu flicken. Sie näht und denkt daran, wie Ssemjon die Schaffelle zum Pelz einkauft.

»Wenn ihn der Gerber nur nicht betrügt! Er ist doch gar zu einfältig, mein Alter; er selbst betrügt niemand, aber ihn kann jedes kleine Kind an der Nase herumführen. Acht Rubel sind nicht wenig Geld. Da kann man schon einen guten Pelz haben. Wenn auch kein gegerbter, wird es doch ein Pelz sein. Wie haben wir uns vorigen Winter ohne Pelz quälen müssen! Konnten nicht an den Fluß gehen, nirgendwohin. Da ist er nun fortgegangen und hat alles angezogen; für mich ist nichts zurückgeblieben. Früh genug ist er fortgegangen, es wäre schon Zeit, daß er heimkehrt. Wenn er nur nicht irgendwo hängen geblieben ist, mein lieber Alter.«

Kaum hatte Matrjona das gedacht, so knarrten die Stufen der Treppe, und jemand trat in den Flur. Matrjona steckte die Nadel in die Arbeit und ging hinaus. Da sieht sie, zwei Menschen sind da: Ssemjon und mit ihm ein Fremder, ohne Mütze und in Filzstiefeln.

Matrjona spürte sofort den Branntweingeruch, der von ihrem Manne ausging. »Na also,« denkt sie, »es ist, wie ich fürchtete.« Und als sie sieht, daß er ohne Rock dasteht, nur in der Jacke, und daß er nichts mitgebracht hat und ein verlegenes Gesicht macht und schweigt, da will ihr das Herz stillstehen. »Vertrunken hat er das Geld,« denkt sie, »ist mit irgend einem Vagabunden in der Schenke gewesen und bringt ihn noch gar mit sich nach Haus.«

Sie läßt die beiden in die Stube treten, geht selbst hinein und sieht nun: der Fremde ist ein junger, hagerer Mann und trägt den Rock ihres Mannes. Ein Hemd ist unter dem Rock nicht zu sehen; eine Mütze hat er nicht. Wie er eingetreten ist, so bleibt er stehen, rührt sich nicht und blickt nicht auf. »Das ist kein guter Mensch,« denkt Matrjona, »er fürchtet sich.«

Sie machte ein finsteres Gesicht, ging zum Ofen und wartete, was die beiden tun würden. Ssemjon nahm die Mütze ab und setzte sich auf die Bank, als wäre gar nichts Besonderes geschehen.

»Na, Matrjona,« sagte er, »richte uns was zum Nachtmahl.«

Matrjona brummt etwas vor sich hin. Sie bleibt unbeweglich am Ofen stehen, blickt bald den einen, bald den andern an und schüttelt nur den Kopf. Ssemjon sieht, daß seine Alte verstimmt ist; nichts zu machen! Als wenn er gar nichts bemerke, nimmt er den Fremdling bei der Hand.

»Setz’ dich, Bruder,« sagt er, »wir werden nachtmahlen.«

Der Fremdling setzt sich auf die Bank.

»Oder hast du nichts gekocht, was, Matrjona?«

Matrjona packt die Wut.

»Gekocht hab’ ich schon, aber nicht für dich. Du hast den Verstand vertrunken, sehe ich. Gehst fort, um einen Pelz zu kaufen, und kommst ohne Rock zurück und schleppst noch gar irgend einen nackten Landstreicher mit ins Haus. Für euch Trunkenbolde hab’ ich kein Nachtmahl.«

»Still, Matrjona, was schwätzest du da für unnützes Zeug! Frag’ doch zuerst, wer der Mann ist.«

»Du aber sag’, wo du das Geld gelassen hast?«

Ssemjon steckte die Hand in die Tasche, zog den Dreirubelschein heraus und faltete ihn auseinander.

»Das Geld? Da ist es; Trofimow aber hat nicht gezahlt, hat mich auf morgen vertröstet.«

Matrjona wurde noch wütender: den Pelz also hatte er nicht gekauft, den letzten Rock irgend einem Habenichts gegeben und den Kerl mit ins Haus gebracht. Sie nahm das Geld vom Tisch, brachte es in Sicherheit und rief:

»Ich hab’ kein Nachtmahl; ich kann nicht alle nackten Trunkenbolde füttern.«

»Ach, Matrjona, halt doch deine Zunge im Zaum! Hör’ doch erst, was man dir sagt.«

»Als wenn man von einem betrunkenen Narren etwas Gescheites zu hören bekäme! Nicht ohne Grund hab’ ich dich nicht heiraten wollen, du Trunkenbold! Mütterchen hat mir Leinwand mitgegeben – du hast’s vertrunken; bist gegangen, einen Pelz zu kaufen, hast dich betrunken.«

Ssemjon will seiner Frau klarmachen, daß er nur zwanzig Kopeken für Schnaps ausgegeben hat. Er will ihr sagen, wo er den Fremden gefunden hat; aber Matrjona läßt ihn nicht zu Worte kommen. Sie schimpft ununterbrochen, ihre Worte überstürzen sich. Was schon vor zehn Jahren geschehen ist, tischt sie wieder auf. Sie spricht und spricht; endlich springt sie auf Ssemjon zu und ergreift ihn am Ärmel:

»Gib mir meine Jacke! Es ist die einzige, die mir geblieben ist, und auch die hast du mir genommen und hast sie selbst angezogen. Gib sie her, du bunter Hund! daß dich der Schlag rühre!«

Ssemjon begann die Jacke auszuziehen und drehte dabei den Ärmel um. Das Weib riß daran, daß alle Nähte krachten. Matrjona ergriff die Jacke, warf sie sich über den Kopf und rannte zur Tür. Sie wollte fort, blieb aber plötzlich stehen: ihr Herz war voller Wut; sie hätte aber doch gerne gewußt, wer der Fremde war.

 

IV.

Matrjona blieb also stehen und sprach:

»Wenn’s ein guter Mensch wäre, wär’ er doch nicht nackt. Der da hat ja nicht einmal ein Hemd an! Und wenn du ein reines Gewissen hättest, würdest du doch sagen, wo du den feinen Herrn gefunden.«

»Das sage ich dir gern: ich geh’ meines Weges, da sitzt dieser Mann nackt an der Kapelle, halb erfroren. Es ist ja doch nicht Sommer. Gott hat mich zu ihm geführt, sonst wäre er umgekommen. Was tun? Es kommt viel vor in der Welt! Ich nahm ihn also, bekleidete ihn und brachte ihn her. Beruhige dich doch, Matrjona, sündige nicht, denke an die Stunde des Todes.«

Matrjona wollte wieder losschimpfen; da fiel ihr Blick auf den Fremdling und sie verstummte. Der Fremde sitzt da, unbeweglich, so wie er sich auf den Rand der Bank niedergelassen hat. Seine Hände sind auf den Knien gefaltet, sein Kopf ist auf die Brust herabgesunken, die Augen sind geschlossen, die Brauen zusammengezogen, als bedrücke ihn etwas. – Matrjona sprach kein Wort; Ssemjon aber sagte:

»Matrjona, hast du denn keinen Gott in dir?«

Matrjona hörte das Wort, blickte noch einmal auf den Fremdling, und plötzlich wurde ihr das Herz weich. Sie entfernte sich von der Tür, ging in die Ofenecke und holte das Nachtmahl, stellte eine Schüssel auf den Tisch, goß Kwas Säuerliches Getränk aus Wasser und Schwarzbrotteig. (Anm. d. Übers.)hinein, brachte das letzte Stück Brot herbei und reichte Messer und Löffel.

»Eßt!« sagte sie.

Ssemjon schob den Fremdling zum Tisch.

»Komm’ näher, Bursche,« sagte er. Dabei schnitt er Brot ab, brockte es in die Schüssel, und sie begannen zu essen. Matrjona aber setzte sich an die Ecke des Tisches, stützte den Kopf in die Hände und blickte den Fremdling an. Und da erfaßte sie Mitleid mit dem Jüngling und sie gewann ihn lieb. Und plötzlich erheiterte sich das Gesicht des Fremden; er heftete seine Augen auf Matrjona und lächelte.

Sie hatten genachtmahlt. Die Alte räumte den Tisch ab und begann den Fremden auszufragen.

»Wo bist du wohl her?«

»Ich bin kein Hiesiger.«

»Wie bist du denn auf die Straße geraten?«

»Ich kann es nicht sagen.«

»Wer hat dich denn ausgeraubt?«

»Mich hat Gott gestraft.«

»Ganz nackt hast du also dagelegen?«

»Nackt lag ich da und fror. Ssemjon sah mich, erbarmte sich meiner, zog seinen Rock aus, gab ihn mir und hieß mich mit ihm gehen. Hier aber hast du mir zu essen und zu trinken gegeben und hast Mitleid mit mir gehabt, und Gott wird es euch lohnen.«

Matrjona stand auf, nahm das Hemd ihres Mannes, das sie eben geflickt hatte, und gab es dem Fremdling. Sie fand auch noch ein Paar Beinkleider und gab es ihm ebenfalls.

»Da nimm, ich sehe ja, du hast nicht einmal ein Hemd an. Kleide dich an und leg’ dich nieder, wo du willst, auf der Bank oder auf dem Ofen.«

Der Fremdling zog den Rock aus, bekleidete sich mit dem Hemd und den Hosen und legte sich auf die Bank. Matrjona löschte das Licht, nahm den Rock und suchte die Lagerstatt auf, wo ihr Mann es sich bereits bequem gemacht hatte. Sie bedeckte sich mit dem Zipfel des Rockes, lag da und schlief nicht; der Fremde ging ihr nicht aus dem Kopf. Wenn sie daran denkt, daß er das letzte Stück Brot aufgegessen hat und daß für morgen gar nichts übrig geblieben ist, wenn sie daran denkt, daß sie ihm Hemd und Hosen geschenkt hat, so ärgert sie sich; wenn sie sich aber erinnert, wie er sie angelächelt hat, so hüpft ihr Herz vor Freude.

Lange lag Matrjona wach da; sie merkte, daß Ssemjon auch nicht schlief; er zog den Rock zu sich hinüber.

»Ssemjon!«

»Ja?«

»Das letzte Brot haben wir aufgegessen, und ich habe keinen frischen Teig angerührt. Weiß nicht, was ich morgen machen soll. Ich werde wohl bei der Gevatterin Melanie eines leihen müssen.«

»Wenn wir leben, werden wir auch zu essen haben.«

Das Weib lag eine Weile still und sprach kein Wort, dann begann sie wieder:

»Scheint doch ein guter Mensch zu sein, – aber warum erzählt er nichts von sich?«

»Wahrscheinlich kann er nicht.«

»Ssemjon!«

»Ja?«

»Wir geben den andern, aber warum gibt uns denn niemand etwas?«

Ssemjon wußte nicht, was er antworten sollte.

»Genug des Redens!« sagte er, drehte sich um und schlief ein.

 

V.

Am andern Morgen erwacht Ssemjon. Die Kinder schlafen noch; die Frau ist zu den Nachbarn gegangen, um Brot zu leihen. Nur der Fremdling von gestern sitzt in den alten Hosen und im Hemd auf der Bank und schaut nach oben. Und sein Gesicht ist nicht so düster wie gestern. Da sagt Ssemjon:

»Nun, mein Lieber, der Magen verlangt Brot und der nackte Körper Kleidung; man muß sich doch ernähren. Kannst du etwas arbeiten, was?«

»Ich kann nichts.«

Ssemjon wunderte sich und sprach: »Wenn du nur Lust dazu hast, der Mensch kann alles erlernen.«

»Der Mensch arbeitet, so werde auch ich arbeiten.«

»Wie heißt du denn?«

»Michael.«

»Nun, Michael, du willst mir nichts über dich sagen, das ist deine Sache; aber essen muß der Mensch. Wenn du arbeiten willst, was ich dir auftrage, so werde ich dir zu essen geben.«

»Vergelt’s dir Gott! Ich werde lernen. Zeig’ mir nur, was ich machen soll.«

Ssemjon nahm Pechdraht, legte ihn um den Finger und machte einen Knoten.

»Die Sache ist nicht schwer, sieh nur zu.«

Michael sah zu, nahm ebenfalls Pechdraht und machte alles genau so wie der Schuster.

Nun zeigte ihm Ssemjon, wie man die Sohle anbringt. Auch das begriff Michael sofort. Der Meister zeigte ihm alle Handgriffe, und alles begriff Michael; so ging es mit jeder Arbeit, und vom dritten Tage an arbeitete er, als wenn er sein Lebtag Schuster gewesen wäre. Er arbeitet ununterbrochen, ißt nur wenig. Fehlt es an Arbeit, so sitzt er schweigend da und schaut nach oben. Er geht nicht auf die Gasse hinaus, er spricht kein unnützes Wort, er scherzt nicht und lacht nicht. Nur einmal hatten sie ihn lächeln sehen, damals am ersten Abend, als die Frau ihm das Nachtmahl gereicht hatte.

 

VI.

Es verging ein Tag nach dem andern – eine Woche nach der andern, ein ganzes Jahr. Michael lebte bei Ssemjon und arbeitete, und man begann von Ssemjons Gesellen zu erzählen, daß niemand so saubere und so feste Stiefel nähen könne wie er. Aus der ganzen Umgebung kamen die Leute, um bei Ssemjon Stiefel zu bestellen, und der Wohlstand des Schusters nahm immer zu.

Eines Tages im Winter sitzen Ssemjon und Michael bei der Arbeit. Da kommt eine Schlittenkutsche, von drei Pferden gezogen, mit Schellengeklingel vor das Häuschen gefahren. Sie schauen zum Fenster hinaus; der Schlitten hält gerade vor der Tür, ein junger Bursche springt vom Kutschbock und öffnet den Schlag. Aus dem Schlitten steigt ein Herr im Pelz; steigt heraus, geht auf Ssemjons Haus zu, schreitet die Treppe hinauf. Matrjona springt auf und öffnet die Tür weit. Der Herr bückt sich, tritt ins Zimmer und richtet sich wieder auf, so daß sein Kopf beinahe die Decke berührt. Die ganze Zimmerecke nimmt er ein.

Ssemjon erhob sich, verbeugte sich und staunte den Herrn an. Noch nie hatte er einen solchen Menschen gesehen. Er selbst war mager; auch Michael war schmächtig, und Matrjona gar, die war ausgetrocknet wie ein Span. Dieser Fremde aber sah aus wie ein Mensch aus einer andern Welt: ein dickes, rotes Gesicht, ein Nacken wie ein Stier, der ganze Mann wie aus Eisen gegossen.

Der Herr verschnaufte sich, zog den Pelz aus, setzte sich auf die Bank und sagte:

»Wer ist der Meister Schuster?

Ssemjon trat vor: »Ich, Euer Gnaden.«

Da ruft der Herr seinem Burschen zu: »He, Fedja, bring mal die Ware herein!«

Der Bursche eilte herbei und brachte ein Bündel. Der Herr nahm es und legte es auf den Tisch.

»Binde es auf!« sagte er.

Der Bursche gehorchte. Der Herr berührte mit dem Finger die Lederware und sagte zu Ssemjon:

»Na hör’ mal, Schuster, siehst du diese Ware?«

»Ich sehe sie, Euer Wohlgeboren.«

»Und verstehst du auch, was das für eine Ware ist?«

Ssemjon befühlte das Leder und sagte:

»Die Ware ist gut.«

»Und ob sie gut ist! Du dummer Kerl hast gewiß noch nie eine solche gesehen. Deutsche Ware ist es, und fünfundzwanzig Rubel hat sie gekostet.«

Eingeschüchtert sagte Ssemjon:

»Wo soll unsereiner so was sehen!«

»Na also, kannst du aus diesem Leder für mich Stiefel machen?«

»Ich kann schon, Euer Gnaden.«

Da schreit ihn der Herr an:

»Kannst du’s? Bedenke, für wen du arbeitest und aus welchem Leder! Mach’ mir ein Paar Stiefel, die ein Jahr lang halten, ohne schief zu werden und ohne zu platzen. Wenn du das kannst, so mach’ dich an die Arbeit, schneide das Leder zu. Kannst du es aber nicht, so laß es sein und zerschneide das Leder nicht. Ich sage dir’s, wenn die Stiefel vor einem Jahr schief werden und platzen, so lasse ich dich ins Gefängnis stecken. Werden sie nicht schief und platzen sie nicht vor einem Jahr, so zahle ich dir zehn Rubel für die Arbeit.«

Ssemjon wird ängstlich und weiß nicht, was er sagen soll. Er blickt zu Michael hinüber, stößt ihn mit dem Ellenbogen an und flüstert:

»Sollen wir’s annehmen?«

Michael nickt mit dem Kopf: »Nimm’s nur an.«

Ssemjon gehorchte ihm und übernahm es, Stiefel zu machen, die ein Jahr lang nicht schief werden und nicht platzen.

Der Herr rief wieder seinen Burschen herbei, hieß ihn, ihm den linken Stiefel auszuziehen, und streckte den Fuß aus.

»Nimm mir Maß,« befahl er dem Schuster.

Ssemjon nähte sich einen Papierstreifen, etwa eine halbe Elle lang, glättete ihn, kniete nieder, wischte die Hände ordentlich an seiner Schürze ab, um den Strumpf des Herrn nicht schmutzig zu machen, und begann Maß zu nehmen. Er maß erst die Sohle, dann das Blatt, dann wollte er die Wade messen, doch da reicht der Papierstreifen nicht aus. Der Fuß ist in der Wade so dick wie ein Balken.

»Paß’ auf, daß du den Stiefelschaft nicht zu eng machst.«

Ssemjon näht noch ein Papier an den Streifen an. Der Herr sitzt unterdessen da, bewegt die Zehen im Strumpf und betrachtet die Leute im Zimmer. Da bemerkt er Michael.

»Wer ist denn der da?«

»Das ist ja mein Werkmeister, der wird auch die Stiefel nähen.«

»Also paß’ auf,« sagt der Herr zu Michael, »vergiß nicht, daß die Stiefel ein Jahr lang halten müssen.«

Auch Ssemjon blickt Michael an; da sieht er, daß Michael den Herrn gar nicht anschaut, sondern den Blick in die Ecke hinter dem Herrn heftet, als wenn er dort jemand sehe. Er schaut und schaut und plötzlich – lächelt er und sein ganzes Gesicht erhellt sich.

»Was grinst du denn, Dummkopf? Paß’ lieber auf, daß die Stiefel zur Zeit fertig sind.«

Und Michael antwortet: »Sie werden gerade zur Zeit fertig sein.«

»Na also!«

Der Herr zog seinen Stiefel und den Pelz wieder an, hüllte sich tüchtig ein und ging zur Tür. Er vergaß aber, sich zu bücken, und stieß mit dem Kopf an den Türbalken. Schimpfend rieb er sich den Kopf, stieg in den Schlitten und fuhr davon. Als er fort war, sagte Ssemjon:

»Der ist hart wie Kieselstein. Hat mit dem Kopf fast den Balken krumm gebogen und merkt das kaum.«

Matrjona aber spricht: »Bei solchem Leben, wie soll man da nicht kräftig sein! So einen Klotz wird auch der Tod nicht bezwingen.«

 

VII.

Und Ssemjon sagt zu Michael:

»Übernommen haben wir die Arbeit, wenn’s nur kein Malheur gibt. Das Leder ist teuer und der Herr böse, – wenn wir nur keinen Fehler machen. Weißt du, du hast ein schärferes Auge und auch mehr Geschicklichkeit in den Händen als ich; da hast du das Maß, schneide du das Leder zu, ich werde unterdessen an den Kappen weiter arbeiten.«

Michael gehorchte, nahm das Leder, das der Herr gebracht hatte, breitete es auf dem Tisch aus, legte es doppelt zusammen, ergriff das Messer und begann zuzuschneiden. Matrjona kam herzu. Sie sieht, wie Michael schneidet, und wundert sich, was er da eigentlich macht. Sie kennt doch die Schusterarbeit schon, schaut hin und sieht, daß Michael das Leder nicht zu Stiefeln schneidet, sondern eher zu Pantoffeln.

Matrjona wollte es sagen, dachte sich aber: »Wahrscheinlich habe ich nicht verstanden, was für Stiefel der Herr bestellt hat. Michael weiß es jedenfalls bester, ich werde mich nicht hineinmischen.«

Michael schnitt das Paar zu, nahm das Ende und fing an zu nähen, aber nicht wie man Stiefel näht, mit zwei Fäden, sondern nur mit einem Faden, wie man Schuhe näht, die auf bloßem Fuß getragen werden. Wieder wunderte sich Matrjona, wollte sich aber nicht einmischen.

Und Michael näht und näht. Die Vesperzeit kommt heran: Ssemjon steht auf und sieht, Michael hat aus dem Leder des Herrn statt der Stiefel – niedrige Schuhe genäht. Ssemjon stöhnt auf. »Wie,« denkt er, »ein ganzes Jahr lebt Michael schon bei mir und hat sich noch nie irgendwie geirrt, und jetzt richtet er mir so ein Unheil an! Der Herr hat Schaftenstiefel mit Randsohlen bestellt, er aber näht Schuhe ohne Sohlen und hat das ganze Leder verdorben. Wie werde ich mich nun mit dem Herrn auseinandersetzen? Eine solche Ware finde ich ja nirgends.«

Und er spricht zu Michael: »Aber lieber Freund, was hast du denn da gemacht? du bringst mich ja um! Der Herr hat doch Stiefel bestellt, und was hast du genäht?«

Kaum hat er angefangen, Michael zu schelten, da klopft es an die Tür. Sie sehen zum Fenster hinaus: ein Reiter ist da, bindet gerade sein Pferd an. Sie öffnen. Derselbe Bursche tritt herein, der mit dem Herrn da war.

Guten Tag.«

»Guten Tag. Was gibt’s?«

»Die Herrin schickt mich her wegen der Stiefel.«

»Was ist’s mit den Stiefeln?«

»Was es ist? Der Herr braucht keine Stiefel mehr, er wünscht euch ein langes Leben.«

»Was sagst du?«

»Er ist von euch gar nicht lebend nach Hause gekommen. Ist im Schlitten gestorben. Als wir zu Hause vorfuhren und ihm aus dem Schlitten helfen wollten, da lag er schon wie ein Sack; tot lag er da und war bereits erstarrt. Wir konnten ihn nur mit Mühe aus dem Schlitten heben. Daher schickt mich die Herrin her. Sage dem Schuster, so befahl sie mir, es ist eben ein Herr bei euch gewesen, hat Stiefel bestellt und Leder dagelassen. Sage, die Stiefel sind nicht mehr nötig, aber Leichenschuhe sollen schnell aus dem Leder genäht werden. Warte, bis sie fertig sind, und bring sie gleich mit. So bin ich denn hergeritten.«

Michael nahm vom Tisch die Lederreste, rollte sie zusammen, nahm auch die fertigen Leichenschuhe, schlug einen an den andern, wischte sie mit der Schürze ab und reichte sie dem Burschen. Der Bursche nahm die Schuhe.

»Lebt wohl, Meister.«

»Guten Tag.«

 

VIII.

Es verging noch ein Jahr und auch ein zweites. Jetzt lebt Michael schon das sechste Jahr bei Ssemjon. Er lebt nach alter Art, geht nicht aus, spricht kein unnützes Wort und hat die ganze Zeit nur zweimal gelächelt: das erste Mal damals, als die Frau ihm das Nachtmahl reichte, das zweite Mal, als der Herr die Stiefel bestellte. Ssemjon kann sich nicht genug freuen über seinen Gesellen. Er fragt ihn auch nicht weiter, woher er sei. Er fürchtet nur das Eine, daß Michael am Ende von ihm fortgehen werde.

Eines Tages sitzen sie daheim. Die Hausfrau stellt die eisernen Töpfe in den Ofen, die Kinder laufen auf der Wandbank herum und schauen zum Fenster hinaus. Ssemjon hämmert an dem einen Fenster, Michael sitzt an dem andern und befestigt gerade einen Absatz.

Der Knabe lief über die Bank zu Michael hin, stützte sich auf seine Schulter und sah zum Fenster hinaus.

»Onkel Michael, sieh’ mal, die Kaufmannsfrau mit den Mädels da, kommt die nicht zu uns? Eines der Mädchen hinkt.«

Kaum hatte der Knabe das gesagt, als Michael die Arbeit hinwarf, sich zum Fenster wandte und auf die Straße blickte.

Ssemjon wunderte sich. Sonst schaut Michael doch niemals auf die Straße hinaus. Jetzt aber hat er das Gesicht an die Scheiben gedrückt und starrt auf etwas hin. Auch Ssemjon blickt hinaus und sieht, es kommt in der Tat eine Frau auf sein Haus zu, ist nett angezogen und führt an jeder Hand ein kleines Mädchen, in Pelzchen und gewirkte Tücher gehüllt. Die Mädchen gleichen sich wie ein Ei dem andern; man kann sie kaum unterscheiden. Das eine aber hinkt auf dem linken Fuß.

Die Frau kam die Treppe herauf in den Flur, tastete nach der Tür, drückte auf die Klinke und öffnete. Die beiden Mädchen ließ sie vorangehen und betrat dann selbst die Stube.

»Guten Tag, Meister und Meisterin.«

»Bitte einzutreten! Was steht zu Diensten?«

Die Frau setzte sich an den Tisch. Die Mädchen schmiegten sich an ihre Knie, sie fürchteten die fremden Leute.

»Den Mädchen da möchte ich zum Frühling Lederstiefelchen bestellen.«

»Warum nicht, das kann geschehen. Wir haben zwar noch nie so kleine Stiefelchen genäht, aber es geht schon. Es können Randschuhe sein, es können auch umgewendete und auf Leinwand gearbeitete sein. Der Michael ist geschickt in allem.«

Dabei sah Ssemjon sich nach Michael um und sieht, Michael hat die Arbeit fallen lassen, sitzt da und wendet den Blick nicht von den Mädchen.

Und Ssemjon wundert sich über Michael. Es ist wahr, die Mädchen sind hübsch, dunkeläugig, rotwangig, rundlich, sie haben auch schöne Pelzchen und Tücherchen an, aber dennoch kann Ssemjon nicht begreifen, warum Michael sie so unausgesetzt anblickt. Es ist fast, als kenne er sie.

Ssemjon wundert sich und fängt an, mit der Frau zu verhandeln, um einig zu werden. Dann richtet er das Maß her. Die Frau hebt das lahme Kind auf den Schoß und spricht:

»Nimm hier von dieser Kleinen das Maß, für das lahme Füßchen mach’ ein Stiefelchen, fürs gerade drei, denn sie haben ganz gleiche Füßchen. Die eine genau wie die andere. Sind ja Zwillinge.«

Ssemjon nimmt das Maß und spricht, indem er auf die Lahme deutet:

»Wie ist denn das mit ihr so gekommen? Ist doch so ein hübsches Mädel! Hat sie das von Geburt?«

»Nein, die Mutter hat sie gequetscht.«

Nun mischt sich auch Matrjona ein, sie hätte gerne gewußt, wer die Frau ist und wessen Kinder das sind, und fragt: »Bist du denn nicht die Mutter?«

»Ich bin weder ihre Mutter noch ihre Verwandte, Frau Meisterin. Sind ganz fremde – angenommene Kinder.«

»Fremde Kinder – und hast sie doch so lieb?«

»Wie soll ich sie nicht lieb haben, ich habe sie beide an meiner Brust genährt. Ich hatte auch ein eigenes Kindchen, das hat Gott zu sich genommen. Ich habe es nicht so lieb gehabt als ich diese liebe.«

»Ja wessen Kinder sind’s denn?«

 

IX.

Nun wurde die Frau gesprächig und begann zu erzählen:

»Vor sechs Jahren etwa,« sagte sie, »da wurden diese Kinder in einer Woche Waisen. Den Vater beerdigten wir am Dienstag, die Mutter starb am Freitag darauf. Drei Tage nach dem Tode des Vaters wurden diese Kleinen geboren und die Mutter lebte nach der Geburt kaum einen Tag. Mein Mann und ich, wir lebten damals als Bauern. Es waren unsere Nachbarn, wir wohnten Hof an Hof. Der Vater der Kinder arbeitete im Walde; da fiel eines Tages ein Baum auf ihn, quer über seinen Körper, so daß das ganze Innere herausquoll. Man hatte ihn kaum nach Hause geführt, da hauchte er seine Seele aus. Sein Weib aber gebar in derselben Woche Zwillinge, eben diese Mädchen. Sie war arm und verlassen, stand ganz allein da, hatte weder eine alte Frau, noch irgend ein Mädel bei sich. Allein war sie in der schweren Stunde, allein ist sie auch gestorben. Am andern Morgen ging ich hin, um mich nach der Nachbarin umzuschauen; ich komme in die Stube, sie aber, die Arme, ist schon tot und kalt. Im Todeskampf war sie auf das Mädchen gesunken, hatte es gequetscht und das Füßchen verrenkt. Die Leute liefen zusammen, die Tote wurde gewaschen, angezogen, in den Sarg gelegt, begraben. Alles besorgten die guten Menschen. Nun waren die Mädelchen allein auf der Welt. Wohin mit ihnen? Und von allen den Frauen war ich die einzige, die ein Kind an der Brust hatte. Meinen erstgeborenen Knaben nährte ich seit acht Wochen. So nahm ich sie denn einstweilen zu mir. Die Bauern kamen zusammen und überlegten, wo man sie lassen sollte. Da sagten sie zu mir: ›Du, Maria, behalte doch vorläufig die Mädchen bei dir. Inzwischen werden wir Rat finden.‹ Ich gab zuerst dem gesunden Kinde die Brust, das lahme aber wollte ich gar nicht nähren, ich glaubte, es würde ja doch nicht am Leben bleiben; dann aber dachte ich, warum soll das Engelseelchen verlöschen? Und es tat mir auch das kranke Kind leid. Ich fing an, es zu nähren, und so hatte ich mein eigenes und diese zwei, also drei an der Brust und zog sie alle groß. Ich war jung, kräftig und hatte reichlich Nahrung. So gab mir denn der liebe Gott so viel Milch, daß ich mehr als nötig hatte. Es kam vor, daß ich zwei Kinder stillte, während das dritte wartete; hatte eines von den zweien genug, so kam das dritte an die Reihe. Aber der liebe Gott hat’s gefügt, daß ich diese hier großgezogen hab’, mein eigenes Kind aber im zweiten Jahr begraben mußte. Nachher hat mir Gott kein Kind mehr geschenkt, unser Wohlstand aber nahm zu. Jetzt leben wir hier in der Mühle beim Kaufmann. Der Gehalt ist groß, das Leben bequem und Kinder haben wir nicht. Wie sollte ich nun allein leben, wenn ich diese Mädchen nicht hätte? Wie soll ich sie also nicht lieb haben? Sie sind ja mein ein und mein alles!«

Und die Frau zog mit einer Hand das lahme Kind an sich, während sie sich mit der andern die Tränen von den Wangen wischte.

Matrjona seufzte auf und sagte: »Ja, ohne Vater und Mutter kann der Mensch leben, ohne Gott kann er nicht leben.«

So sprachen sie miteinander, dann erhob sich die Frau, um fortzugehen; die Schustersleute wollten sie begleiten und sahen sich nach Michael um. Der aber sitzt, die Hände auf die Knie gestützt, schaut nach oben und lächelt.

 

X.

Ssemjon ging zu ihm heran.

»Was hast du denn, Michael?«

Michael erhob sich von der Bank, legte die Arbeit beiseite, nahm die Schürze ab, verbeugte sich vor Ssemjon und dessen Frau und sprach:

»Verzeiht mir, Meister und Meisterin; Gott hat mir verziehen, also verzeiht auch ihr.«

Und die beiden sehen, daß von Michael ein Licht ausgeht. Da erhob sich Ssemjon, verneigte sich vor Michael und sagte:

»Ich sehe, Michael, du bist kein gewöhnlicher Mensch, und ich darf dich nicht halten und ich darf dich nicht ausfragen. Sag’ mir nur das Eine: Warum warst du so düster, als ich dich fand und in mein Haus führte? Als aber mein Weib dir das Nachtmahl reichte, da lächeltest du, und von jener Stunde an wurdest du heller. Dann, als der Herr die Stiefel bestellte, lächeltest du zum zweitenmal und wurdest noch heller, und jetzt, als die Frau die kleinen Mädchen herführte, lächeltest du zum drittenmal und stehst nun da in hellem Licht. Sage mir, Michael, wie kommt es, daß ein solches Licht von dir ausstrahlt, und warum lächeltest du die drei Male?«

Und Michael antwortete: »Das Licht strahlt von mir aus, weil ich gestraft war und Gott mir jetzt verziehen hat. Und gelächelt habe ich die drei Male, weil ich drei Worte Gottes verstehen sollte – und ich habe diese Worte Gottes verstanden. Das eine Wort habe ich verstanden, als deine Frau Mitleid mit mir hatte, daher lächelte ich damals zum erstenmal. Das zweite Wort habe ich verstanden, als der reiche Mann seine Stiefel bestellte, da lächelte ich zum zweitenmal, und jetzt, als ich die Mädchen sah, verstand ich das letzte, das dritte Wort Gottes, und ich lächelte zum drittenmal.«

Da sprach Ssemjon: »Sage mir, Michael, wofür hat Gott dich gestraft und was sind das für Worte Gottes, damit ich sie kenne?«

Und Michael erwiderte: »Gestraft hat mich Gott, weil ich ihm ungehorsam war. Ich war ein Engel im Himmel und war ungehorsam gegen Gott. Ein Engel im Himmel war ich, und der Herr hatte mich auf die Erde gesandt, auf daß ich einer Frau die Seele nehme. Ich flog zur Erde, da sah ich: die Frau liegt da, krank, hat eben Zwillinge geboren, zwei Mädchen. Die Kinder zappeln an der Seite der Mutter, die Mutter aber kann sie nicht an die Brust nehmen. Da sah mich die Frau, begriff, daß Gott mich geschickt hatte, ihre Seele zu holen, fing an zu weinen und sprach: ›O Engel Gottes, eben erst haben sie meinen Mann begraben, ein Baum im Walde hat ihn erschlagen; ich habe weder Schwester, noch Tante, noch Großmutter; niemand ist da, der meine Waisen erziehen könnte. Nimm doch meine arme Seele nicht! Vergönne es mir, meine Kinder selbst großzuziehen und auf die Füße zu stellen. Die Kleinen können doch nicht ohne Vater, ohne Mutter leben.‹ – Und ich hörte auf die Mutter und legte eines der Mägdlein an ihre Brust, gab ihr das andere in den Arm und stieg wieder empor zum Herrn des Himmels. Und als ich zum Herrn geflogen kam, sprach ich: ›ich konnte der Wöchnerin die Seele nicht nehmen; der Vater ist von einem Baum erschlagen, die Mutter hat Zwillinge geboren und flehte mich an, ihre Seele nicht zu nehmen; laß mich meine Kinder ernähren, großziehen, auf die Füße stellen, sagte sie, die Kinder können nicht ohne Vater, ohne Mutter leben. Da ließ ich ihr die Seele.‹ Der Herr aber sprach: ›Gehe hin und hole die Seele der Wöchnerin, und du wirst drei Worte begreifen. Du wirst begreifen, was in den Menschen ist, was den Menschen nicht gegeben ist und wodurch die Menschen leben. Wenn du das begriffen hast, dann kehre wieder in den Himmel zurück.‹ Und ich flog zurück zur Erde und holte die Seele der Wöchnerin. Die Kinder sanken von ihrer Brust, der leblose Körper fiel schwer aufs Lager, drückte das eine Kind und verrenkte ihm das Füßchen. Ich flog empor über dem Dorf und wollte die Seele zu Gott bringen. Da ergriff mich ein Windstoß, meine Flügel sanken matt hernieder und fielen von mir ab; die Seele stieg allein zu Gott empor, ich aber sank auf die Erde und blieb am Wegrande liegen.«

 

XI.

Nun begriffen Ssemjon und Matrjona, wen sie gekleidet und ernährt hatten und wer mit ihnen gelebt hatte, und sie weinten vor Schreck und Freude. Der Engel aber sprach weiter:

»Einsam und nackt lag ich auf dem Felde, ich hatte bis dahin die Not der Menschen nicht gekannt. Frost und Hunger waren mir fremd, und nun war ich ein Mensch geworden. Ich war hungrig, ich fror und wußte nicht, was ich anfangen sollte. Da sah ich, im Felde steht eine Kapelle, für Gott erbaut. Und ich ging an die Kapelle Gottes heran, um mich in ihr zu verbergen. Doch die Kapelle war verschlossen, und ich konnte nicht hinein. Und ich setzte mich hinter die Kapelle, um mich gegen den Wind zu schützen. Der Abend kam. Der Hunger quälte mich, ich war erstarrt vor Kälte und litt Schmerzen am ganzen Körper. Plötzlich höre ich, es kommt ein Mensch den Weg entlang. Er trägt Stiefel in der Hand und spricht mit sich selbst. So sah ich denn zum erstenmal das Gesicht eines sterblichen Menschen, seit ich selbst ein Mensch geworden war, und mich ergriff Angst vor diesem Gesicht; ich wandte mich zur Seite. Ich höre, daß dieser Mensch mit sich selbst davon spricht, wie er seinen Körper im Winter vor der Kälte bewahren solle, wie er für Weib und Kinder Nahrung schaffen könne, und ich dachte mir: ich vergehe vor Kälte und Hunger, und da kommt ein Mensch und denkt nur daran, wie er sich und seiner Frau einen Pelz schaffen soll, wie er sich ernähren soll. Der kann mir nicht helfen. – Der Mensch aber erblickte mich, machte ein finsteres Gesicht, sah noch schrecklicher aus und ging vorüber. Ich verzweifelte. Plötzlich höre ich, der Mensch kommt zurück. Ich blickte auf und erkannte den Mann kaum wieder. Erst lag der Tod in seinen Zügen, jetzt aber war er lebendig geworden, und in seinem Antlitz erkannte ich Gott. Er trat an mich heran, bekleidete mich, nahm mich mit sich und führte mich in sein Haus. Ich kam in sein Haus, da trat uns eine Frau entgegen und begann zu sprechen; die Frau war noch schrecklicher als der Mann. Ein Hauch des Todes kam aus ihrem Munde und ich konnte kaum atmen vor diesem Hauch. Sie wollte mich hinausjagen in die Kälte; ich aber wußte, daß sie sterben müsse, wenn sie das tat. Da plötzlich erinnerte ihr Mann sie an Gott, und die Frau wurde mit einemmal eine ganz andere; und als sie uns das Abendessen reichte und mich anblickte, da sah ich sie auch an. Der Tod war von ihr gewichen, sie war lebendig, und ich erkannte auch in ihr Gott den Herrn. Da erinnerte ich mich des ersten Wortes Gottes: ›Du wirst begreifen, was in den Menschen ist.‹ Und ich begriff, daß in den Menschen die Liebe ist. Freude ergriff mich, weil Gott schon begann, mir zu entdecken, was er versprochen hatte, und ich lächelte zum erstenmal; aber alles konnte ich noch nicht begreifen. Ich wußte noch nicht, was den Menschen nicht gegeben ist, und wodurch sie leben. Ich blieb bei euch, und es verging ein ganzes Jahr. Da kam der reiche Mann, der die Stiefel bestellte. Die Stiefel, die ein Jahr halten sollten, ohne zu reißen, ohne schief zu werden. Ich schaute ihn an und erblickte plötzlich hinter ihm meinen Gefährten, den Todesengel. Niemand außer mir sah diesen Engel. Ich aber kannte ihn, und ich wußte: ehe die Sonne untergeht, wird die Seele des reichen Mannes von ihm genommen sein, und ich dachte, der Mensch sorgt vor für ein ganzes Jahr und weiß nicht, daß er nicht einmal den Abend erleben wird. Da erinnerte ich mich des zweiten Wortes Gottes: ›Du wirst begreifen, was den Menschen nicht gegeben ist.‹ Was in den Menschen ist, das wußte ich bereits; jetzt erfuhr ich, was ihnen nicht gegeben ist. Es ist den Menschen nicht gegeben, zu wissen, was sie für ihres Lebens Notdurft brauchen, – und ich lächelte zum zweitenmal. Ich freute mich, daß ich meinen Gefährten, den Engel, gesehen hatte, und freute mich, daß Gott mir auch das zweite Wort offenbart hatte. Alles aber konnte ich noch nicht verstehen, ich wußte noch nicht, wodurch die Menschen leben. So lebte ich dahin und wartete, wann Gott mir auch das dritte Wort offenbaren werde. Im sechsten Jahre meines Hierseins kamen die Zwillingsschwestern mit der Frau, und ich erkannte die Mädchen und erfuhr nun, wie diese Kleinen am Leben geblieben waren. Ich erfuhr es und dachte: die Mutter bat mich damals um der Kinder willen; ich glaubte der Mutter, meinte, ohne Vater und Mutter können die Kinder nicht leben, und doch hat eine fremde Frau sie genährt und großgezogen. Und als die Frau aus Liebe zu den fremden Kindern zu weinen begann, da erblickte ich in ihr den lebendigen Gott, und ich begriff, wodurch die Menschen leben. Ich begriff, daß Gott mir nun auch das letzte Wort offenbart hatte und daß er mir verziehen hatte. Da lächelte ich zum drittenmal.«

 

XII.

Die Gewänder fielen von dem Körper des Engels herab, helles Licht umstrahlte ihn, so daß das menschliche Auge ihn nicht anblicken konnte. Seine Stimme wurde mächtig, als käme sie nicht aus ihm, sondern vom Himmel herab, und der Engel sprach:

»Ich begriff, daß ein jeder Mensch nicht durch die Sorge um sich selbst lebt, sondern durch die Liebe. Es war der Mutter nicht gegeben, zu wissen, was ihre Kinder fürs Leben brauchen. Es war dem reichen Manne nicht gegeben, zu wissen, was er selber brauchte, und keinem einzigen Menschen ist es gegeben, zu wissen, ob er noch Stiefel braucht, oder ob er schon Leichenschuhe anziehen muß, ehe der Tag sich neiget. Und ich selbst, als ich ein Mensch geworden war, ich blieb am Leben nicht dadurch, daß ich für mich selber sorgte, sondern dadurch, daß ein vorübergehender Wanderer und dessen Frau Nächstenliebe empfanden, daß sie Mitleid mit mir hatten und mich lieb gewannen. Und die Waisen, sie blieben am Leben nicht dadurch, daß andere für sie sorgten, sondern dadurch, daß im Herzen einer fremden Frau die Liebe wohnte, daß sie Mitleid mit ihnen hatte, sie lieb gewann. Und alle Menschen, sie leben nicht, weil sie selber für sich sorgen, sondern weil Liebe in den Menschen wohnet. Früher wußte ich nur, daß Gott den Menschen das Leben gegeben hat und daß er will, sie sollen leben; jetzt habe ich auch noch ein anderes begriffen. Ich habe begriffen: Gott hat nicht wollen, daß die Menschen jeder für sich leben, daher hat er ihnen nicht offenbart, was jeder für sich braucht: er wollte, daß sie gemeinsam leben, und daher zeigt er ihnen, was sie alle brauchen für sich und für die andern. Und ich verstand: es scheint den Menschen nur so, als wenn sie durch die Sorge für ihr eigenes Ich leben, in Wahrheit aber leben sie nur durch die Liebe. Wer in der Liebe lebt, der lebt in Gott und Gott in ihm, denn Gott ist die Liebe.«

Und der Engel begann das Lob Gottes zu singen, und von seiner Stimme erbebte das Haus, die Decke tat sich auf und eine Feuersäule erhob sich von der Erde bis zum Himmel. Ssemjon aber und seine Frau und die Kinder sanken auf die Knie. Auf dem Rücken des Engels entfalteten sich Flügel und er flog empor zum Himmel.

Als Ssemjon zu sich kam, war alles im Zimmer wie früher und niemand war da als er und die Seinen.