Die Höhle am Hügel

Bret Harte

Siebentes Kapitel

Das Wiedererscheinen von Chivers in der Mühle mit Collinson, und die Bekanntmachung, daß der Gefangene sich zu einem befriedigenden Vergleich herbeigelassen habe, wurde von der Gesellschaft zuerst mit einem halb ungläubigen Lächeln ausgenommen. Unter diesen Umständen wurde Chivers’ halb satirischer Vorschlag, daß Collinson den draußen stehenden Wachen eingereiht werden solle, von Riggs unterstützt und von allen anderen angenommen. Chivers selbst erklärte sich bereit, Collinson auf den Posten zu führen, und die beiden verließen gemeinschaftlich die Mühle.

Aber wie sehr Chivers auch der Treue seines Gefährten vertraute, er ließ die schurkische Vorsicht nicht außer acht. Er stellte deshalb Collinson an einen Ort, wo ihm weder von Freund noch Feind besondere Aufgaben gestellt wurden. Dann zog Chivers eine Cigarre aus der Tasche und gab sie Collinson. »Ihr könnt nun rauchen, bis ich gehe, Mr. Collinson, sogar noch nachher, nur müßt Ihr dann die Cigarre hinter einen Felsen halten, damit Euer Mitwächter es nicht sieht. Ihr sagtet, daß Ihr aus Liebe zu Eurem Weibe für sie diesen Platz ausgesucht habt, obgleich Ihr von ihrem Tode überzeugt wart?«

»Ich glaube, daß ich so etwas sagte, Mr. Chivers,« sagte Collinson ausdrucksvoll, »ich wußte nur nicht, was es mit Eurer Benutzung des Hauses zu thun hat.«

»Ich wollte nicht darauf anspielen, Collinson,« sagte Chivers mit einer rhetorischen Handbewegung, »aber es kam mir vor, als ob Eure Bemerkung Zweifel an dem Tod Eurer Frau ausdrücken sollte, und ich weiß, daß diese Zweifel berechtigt sind.«

» Wot’s that? Was ist das?« sagte Collinson mit einem eigenartigen Glanz auf seinem Gesicht.

Chivers blies den Rauch seiner Cigarre nachlässig in die stille Luft. »Hört,« sagte er. »Seit unserer Unterredung vor einigen Augenblicken habe ich einige Entdeckungen gemacht, die Euch interessieren dürften, und ich fand, daß Ihr jede Spur von Eurer Frau im Jahre 1852 in Texas verlort, wo eine Anzahl ihrer Mitauswanderer am gelben Fieber starb. Ist es so?«

»Ja,« sagte Collinson schnell.

»Gut, es ereignete sich, daß einer meiner Freunde,« fuhr Chivers langsam fort, »in dem Zug war, der diesem ersten folgte, und einige der Ueberlebenden aufnahm und mit sich brachte.«

»Das war der Zug, der die Nachricht brachte,« sagte Collinson in seinen alten Zustand verfallend. »Dadurch bekam ich zu wissen, daß sie hatte kommen wollen.«

»Hörtet Ihr je die Namen von einigen der Passagiere?« sagte Chivers mit einem scharfen Blick auf seinen Gefährten.

»Niemals! Ich bekam nur zu hören, daß es ein kleiner Zug von nur zwei Wagen war, und daß er auf einem südlichen Paß in Kalifornien eindringen wollte, ich habe nie wieder etwas von ihm gehört, das war alles.«

»Das war nicht alles, Collinson,« sagte Chivers gleichmütig. »Ich sah den Zug am Südpaß anlangen. Ich wartete auf einen Freund und seine Frau. Da war eine Dame bei ihnen, eine von den Ueberlebenden. Ich hörte ihren Namen nicht, aber ich glaube meines Freundes Frau nannte sie ›Sadie‹. Ich erinnere mich ihrer als eines hübschen Weibes, groß, blond, mit einer geraden Nase, einem vollen Kinn und sehr kleinen Füßen. Ich sah sie nur einen Augenblick, denn sie war auf dem Wege nach Los Angelos, um, wie ich glaube, ihren Mann irgendwo in den Sierras zu suchen.«

Der Spitzbube hatte mit Befriedigung die dunkle Glut in Collinsons Gesicht zurückkehren sehen, deshalb wollte er fortfahren, mit einer teuflischen Befriedigung seine Herrin ihrem Ehemanne zu beschreiben, ganz abgesehen von dem Vergnügen, das es ihm bereitete, diesen Riesen, aus seiner Ruhe aufzuschrecken. Doch sein Triumph war von kurzer Dauer. Das Feuer wich plötzlich aus Collinsons Augen, ebenso die Glut von seinem Gesicht, und der schlaffe Blick der unüberwindlichen Geduld kehrte zurück. »Das ist alles sehr gut und freundlich von Euch, Mr. Chivers,« sagte er ernst, »Ihr habt meiner Frau Erscheinung sehr genau beschrieben. Aber sie war es nicht, denn wenn sie gelebt hätte, oder noch leben würde, so wäre sie jetzt hier.« Dieselbe Furcht und das Wiedererkennen eines unbekannten Etwas in diesem treuen Menschen kam wie früher über Chivers. In seiner ärgerlichen Stimmung hätte er leicht die Untreue der Frau vor ihrem Mann beweisen können, aber er wußte, Collinson würde ihm nicht glauben, und er verfolgte nun einen anderen Zweck. Er verzog seine Lippen in ein süßes Lächeln.

»Ich will nicht falsche Hoffnungen in Euch erwecken, Mr. Collinson,« sagte er sanft, »mein Interesse für Euch zwingt mich, Gegengründe anzuführen. Es giebt tausend Dinge, die Euer Weib vom Kommen haben abhalten können: Krankheit, vielleicht das Resultat ihrer schlechten Lage, Armut, Unbekanntsein mit dem Platze Euch zu treffen, vielleicht die falsche Nachricht von Eurem Tode. Habt Ihr je daran gedacht?«

»Was sagt Ihr?« fragte Collinson in unbestimmter Erwartung.

»Was ich denke. Ihr glaubt Euch zu der Annahme berechtigt, daß Eure Frau tot ist, weil sie Euch hier nicht aufsuchte; kann sie nun nicht dasselbe von Euch denken, da Ihr sie nicht aufsuchtet?«

»Aber wir hatten uns geschrieben, daß sie hierher kommen sollte, und ich wartete auf jeden Auswandererzug!« sagte Collinson mit neuer Ungewißheit.

»Ausgenommen einen, mein teurer Collinson!« bemerkte Chivers und hob lächelnd den Zeigefinger. »Nun hört!« Es giebt noch einen Weg, ihr zu folgen, wenn Ihr wollt. Der Name meiner Freunde war Mr. und Mrs. Barker. Ich bedaure,« fügte er mit einem eigentümlichen Husten hinzu, »daß der arme Barker tot ist. Er war ein ebenso ausgezeichneter Ehemann, als Ihr seid, mein lieber Collinson, er hinterließ mir nicht Mrs. Barkers gegenwärtige Adresse. Aber sie hat eine junge Freundin, die im Kloster zu San Louisa lebt und deren Name Miß Rivers ist, welche die Verbindung mit ihr herstellen kann. Nun eine andere Sache: Ich kann Eure Gefühle verstehen und mir denken, daß Ihr Eure Sehnsucht sofort zu befriedigen wünscht. Ihr habt hier freilich einen wichtigen Posten,« er. sah sich nach allen Seiten um, »aber wenn ich Euch später nicht finden sollte, so weiß ich, weshalb Ihr gingt, und werde Euch in Schutz nehmen.« Weder Scham noch Bedauern zog bei Chivers ein, als er diesen Vorschlag machte, aber die alte Furcht erschien wieder, denn Collinson sagte ernst:

»Ihr habt mir ein neues Leben gegeben, Mr. Chivers, und ich danke Euch. Aber ich habe Euch, dem Kapitän und den Leuten mein Wort gegeben, daß ich hier wachen will, und ich werde es halten. Ich muß und ich werde meine Sadie finden, aber sie würde weniger gut von mir denken, wenn ich, nach diesen langen Jahren der Trennung, wegen einer Nacht mein Wort brechen würde, das Haus zu bewachen, in welchem ich ihrer in Treue gewartet.«

»Wie Ihr wollt,« sagte Chivers, seine Lippen zusammenbeißend. »Dann haltet aber auch Euer Versprechen, denn es kann sein, daß andere Euch von Eurem Posten weglocken wollen. Ich lasse Euch in dem herrlichen Mondschein allein, Ihr könnt Euch ganz Eurer Naturschwärmerei hingeben, Adios, amigo, adios!«

Er lief auf einen großen überhängenden Felsen und winkte mit der Hand.

»Ich würde das nicht thun, Mr. Chivers,« sagte Collinson mit einem besorgten Gesicht, »die Felsen sind sehr schlüpfrig und jener besonders.«

Chivers ging schnell herunter, winkte nochmals mit der Hand und verschwand.

Aber Collinson war nicht länger allein, denn er beschäftigte sich mit seinem fernen Weib und der Hoffnung eines baldigen Wiedersehens. Nun mußte er sie suchen, anstatt daß sie zu ihm kam; es würde nie dasselbe Zusammentreffen für ihn sein fern von dem Hause, das er für sie gebaut hatte. Er ging hin und her und sah auf das Haus hinab, das zu seinen Füßen lag. Das weiße Mondlicht spielte auf seinen Fenstern, aber die Töne von Gelächter und Singen, die sein Ohr trafen, störten ihn in seinen Gedanken. Er begann vor dem dichten Walde auf und ab zu gehen. Plötzlich blieb er stehen und horchte.

Für jeden andern, der nicht so wie er mit den Geheimnissen des Waldes vertraut war, würde das Geräusch gegenstandlos gewesen sein, er bemerkte aber an den gleichmäßigen Intervallen das Näherkommen eines Pferdes. Er nahm die Büchse von seiner Schulter und untersuchte das Schloß. Aber es war keine Ursache vorhanden, Alarm zu schlagen, denn nur ein einzelner Reiter erschien und diesem war er an Stärke gewachsen. Als das Pferd näher kam, erkannte er eine Reiterin auf ihm. Er fiel in die Zügel. Das Pferd stand still. »Was soll’s?« hörte er sie rufen.

Bei dem Ton der Stimme fuhr Collinson zusammen und wandte sich zur Sprecherin: »Sadie!« rief er aus.

»Seth!« sagte sie halb flüsternd.

Sie standen und sahen einander an. Aber Collinson war schon wieder er selbst. Der Mann der biederen Geradheit ohne Einbildung sah nur sein Weib vor sich – etwas atemlos vom schnellen Reiten, wie er sie auch früher zuweilen gesehen hatte, sonst aber unverändert. Sein ernstes Gesicht verzog sich zu einem Lachen, als er ihre Hände in den seinigen hielt. »Ja, sie ist’s, Lordy! morgen wäre ich gekommen um dich zu suchen!«

Sie sah schnell umher. »Mich – mich zu suchen?« sagte sie ungläubig.

»Gewiß! Ich wollte gehen, um nach dir zu fragen – im Kloster.«

»Im Kloster?« wiederholte sie in erschrockenem Erstaunen. »Ja, Sadie, Liebling! Du dachtest, ich sei tot, und ich dachte, du seist tot, das ist die Sache. Aber ich glaubte nie, daß du etwas derartiges denken könntest, bis Chivers mich darauf aufmerksam machte.«

Ihr Gesicht erbleichte im Mondlicht. »Chivers?« sagte sie fragend.

»Natürlich, aber du kennst ihn nicht, Süße. Er sah dich nur einmal. Er sagte mir, daß du glaubtest, ich sei tot, auch teilte er mir mit, wo ich dich finden könne. Er meinte sogar, es wäre besser, wenn ich noch heute nacht aufbrechen würde.«

»Chivers?« wiederholte sie, ihren Mann mit blutlosen Lippen ansehend.

»Ja, du sollst ihn kennen lernen, Sadie, er ist hier mit einigen seiner Leute. Du siehst –«

»Ja, ja, ja!« unterbrach sie; »und dies ist die Mühle?«

»Ja, Liebling, meine Mühle – deine Mühle – das Haus, das ich für dich baute, meine Teure. Ich würde sie dir zeigen, Sadie, aber du siehst, ich muß hier Wache halten.«

»Bist du einer von ihnen?« sagte sie, seine Hand verzweifelnd drückend.

»Nein, Teure,« sagte er sanft, »nur gab ich mein Wort, als ich ihnen mein Haus überließ, für sie zu wachen und sie zu beschützen. Ich weiß, Sadie, du würdest dasselbe gethan haben – für Chivers.«

»Ja, ja!« sagte sie, ihre Hände zusammenschlagend. »Er war so freundlich, mich zu dir zurückzubringen. Du würdest mich ohne ihn nie gefunden haben.«

Sie brach in ein hysterisches Lachen aus, während Thränen über ihr blutloses Gesicht liefen.

»Was ist dir?« sagte er, mit plötzlicher Furcht ihre Hände ergreifend, »das Lachen ist nicht deins, die Stimme ist nicht die deinige. Bist du die alte Sadie, oder bist du es nicht? Hast du etwas gegen mich? Glaubst du, ich verberge etwas?«

»Nein,« sagte sie schnell. Dann fügte sie nach einem leichten Lachen hinzu, »wir haben uns eine solche lange Zeit nicht gesehen, es kommt alles so plötzlich, so unerwartet.«

»Aber du kamst doch jetzt um mich zu finden,« sagte Collinson ernst.

»Ja, ja!« sagte sie, seine Hände noch fest haltend, während ihr Kopf sich in der Richtung der Mühle abwandte.

»Aber wer sagte dir, wo du die Mühle finden würdest?« fragte er mit frommer Geduld.

»Ein Freund,« sagte sie schnell. »Vielleicht,« fügte sie mit einem leichten Lächeln hinzu, »ein Freund von dem Freund, der dir’s erzählte.«

»Ich sehe,« sagte Collinson mit einem gläubigen Gesicht und mit einem breiten Lachen, »es ist eine Art Märchen. Ich will wetten, es war Barkers Frau, die Chivers kannte.«

Ihre Zähne preßten sich aufeinander. »Ja,« sagte sie trocken, »es war Barkers Frau. Sage, Seth,« fügte sie langsam hinzu, »bewachst du diesen Platz allein?«

»Es ist noch eine Wache ausgestellt, aber sie kann uns nicht hören.«

»Hörtest du nicht deinen Freund Chivers sagen, daß der Sheriff mit seiner Mannschaft heute unterwegs ist, um die Bande aufzuheben?«

»Nein, du?«

»Ich glaubte, etwas derartiges bei Skinner zu hören, aber es sollte wohl nur eine Warnung für mich sein, nicht allein zu reisen.«

»Das ist so,« sagte Collinson mit einer zarten Rücksicht. »Aber keiner dieser Straßenräuber hat je einem Weibe etwas zu leide gethan. Und dieser Chivers ist gewiß nicht der Mann, eine zu insultieren.«

»Nein,« sagte sie, und verfiel wieder in ihr hysterisches Lachen. »Wohin gehst du?« sagte sie plötzlich, als sie sah, daß Collinson sich schnell entfernen wollte.

»Ich werde in einer Minute zurück sein, ich will sie nur warnen.«

»Du willst nun gehen und mich verlassen, nachdem wir uns nun eben wiedergefunden haben nach diesen langen Jahren der Trennung?«

»Nur für einen Augenblick. Dann werden wir zu Skinner oder sonst wohin gehen, denn mein Haus habe ich Chivers überlassen.«

»Gehe jetzt nicht,« sagte sie, »störe sie nicht. Du sagst, da ist noch eine andere Wache, die kann sie warnen. Ich bin ermüdet – und krank – sehr krank. Setze dich zu mir, Seth, und warte! Wir können hier zusammen warten – wir haben so lange gewartet, Seth – und nun ist das Ende gekommen.«

»Was fehlt dir, Sadie? Du bist kalt und krank. Höre, laß uns zu Skinner gehen.«

»Warte,« sagte sie sanft, »warte.«

»Oder zur Silberhöhle, sie ist nicht weit.«

Sie hatte seine Hand wiedergenommen, ihr erregtes Gesicht sah in das seine. »Welche Höhle? Sprich,« sagte sie atemlos.

»Die Höhle, wo einer meiner Freunde Silber gräbt, er wird dich aufnehmen.«

Ihr Kopf sank gegen seine Schulter. »Laß mich hier bleiben und warten.«

»Hörtest du etwas, Darling?« sagte er mit betrübtem Gesicht.

»Nein, alles ist totenstill,« sagte sie mit einem erschreckten Flüstern.

Es war alles sehr still. Der Schlaf schien sich über die ganze Landschaft ausgebreitet zu haben, kein Geräusch tönte von der Mühle herauf; geheimnisvolle Ruhe herrschte über dem Walde, sogar das Mondlicht schien regungslos in der Luft zu hängen.

»Es ist wie die Stille vor dem Sturm,« sagte sie mit ihrem fremden Lachen. Dann schrie sie plötzlich auf: »Da! sie sind gekommen, sie sind gekommen!«

»Wer ist gekommen?« fragte Collinson, auf sie starrend.

»Der Sheriff und seine Mannschaft, sie umzingeln sie nun, hörst du?«

Von der Mühle her vernahm man Geräusch wie von Schüssen und wildes Geschrei. Collinson sprang auf seine Füße, aber im nächsten Augenblick wurde er heftig gegen sein Weib geschleudert, und beide flogen hilflos gegen den Baum.

Sie sprang auf ihre Füße und stieß einen Schrei aus, dann lief sie gegen den felsigen Abhang. Collinson rannte ihr schnell nach und rief: »Komm zurück, um Gottes willen, Sadie, komm zurück!«

Aber es war zu spät, sie war bereits verschwunden. Als Collinson an den Felsen kam, vor dem er erst vor wenigen Stunden Chivers gewarnt hatte, fühlte er, daß der Boden unter ihm wich.

Kein Laut schien aus dem Thale heraufzudringen; als die Rauchwolke sich von der Stelle hob, wo die Mühle stand, fand man nur einen leeren Platz. Die Wälder rauschten, und das noch vor einigen Stunden trockene Flußbett