Brief 133. Rica an * * * *.
Ich besuchte neulich eine große Bibliothek in einem Kloster von Derwischen, die gleichsam ihre verantwortlichen Bewahrer sind, aber die Verpflichtung haben, zu gewissen Stunden jedermann hereinzulassen.
Beim Eintritt erblickte ich einen ernsten, würdigen Herrn, der inmitten einer unendlichen Zahl von Büchern, die ringsherum standen, auf und nieder ging. Ich trat auf ihn zu und bat ihn, mir zu sagen, was das für Bücher wären, die mir unter den andern durch ihren bessern Einband auffielen. »Mein Herr,« sagte er, »ich bewohne hier ein fremdes Land: ich kenne hier niemand. Viele Leute stellen mir ähnliche Fragen. Aber Sie sehen wohl ein, daß ich nicht alle die Bücher lesen werde, um sie zufrieden zu stellen. Ich habe meinen Bibliothekar, der Ihnen Rede stehen wird. Denn er beschäftigt sich Tag und Nacht damit, alles, was Sie da sehen, zu entziffern. Er ist sonst zu nichts nutze und uns eine rechte Last, weil er nicht fürs Kloster arbeitet. Doch ich höre die Refektoriumsstunde schlagen. Solche Leute, die wie ich an der Spitze einer Gemeinde stehen, müssen bei allen Übungen die ersten sein.« Indem er dies sagte, schob mich der Mönch zur Tür hinaus, schloß sie hinter mir und verschwand so eilig vor meinen Augen, als wenn er gestohlen hätte.
Brief 134. (Fortsetzung.)
Am andern Morgen ging ich wieder nach dieser Bibliothek und fand diesmal einen ganz anderen Mann als das erstemal. Sein Äußeres war sehr schlicht, sein Gesicht geistvoll und sein Benehmen liebenswürdig entgegenkommend. Sobald ich ihm meinen neugierigen Wunsch kundgegeben hatte, war er diensteifrig bereit, ihn zu erfüllen und mich sogar, sofern ich ein Fremder war, zu unterweisen.
»Mein Vater,« sagte ich zu ihm, »was sind das für dicke Bände, die die eine ganze Seite der Bibliothek einnehmen?« – »Das sind die Erklärer der Schrift.« – »Deren gibt es ja eine große Zahl,« fuhr ich fort, »die Heilige Schrift muß früher sehr dunkel gewesen sein, und jetzt sehr klar. Bleiben noch einige Zweifel? Gibt es noch umstrittene Punkte?« – »Ob es welche gibt! Du lieber Gott! Ob es welche gibt,« antwortete er mir, »es gibt fast ebensoviel wie’s Zeilen gibt!« – »Ja?« sagte ich, »und was haben denn alle diese Autoren da gemacht? – »Diese Autoren«, antwortete er, »haben in der Schrift nicht gesucht, was man glauben muß, sondern was sie selber glauben. Sie haben sie nicht als ein Buch betrachtet, das die Dogmen enthielt, die man annehmen muß, sondern als ein Werk, das ihren eigenen Meinungen Autorität verleihen könnte. Zu dem Zweck haben sie überall den Sinn verdreht und allen Stellen Gewalt angetan. Die Schrift ist gleichsam ein Land, wo alle Sekten anlanden und plündern; ein Schlachtfeld, wo die sich begegnenden feindlichen Parteien sich sehr viele Schlachten liefern, wo man sich angreift, wo man scharmützelt auf mancherlei Weisen.
»Dicht da neben Ihnen stehen die aszetischen oder Erbauungsbücher. Dann die Bücher über Sittenlehre, die viel nützlicher sind. Die theologischen, die zwiefach unverständlich sind, einmal durch den behandelten Gegenstand, ferner durch die Art seiner Behandlung. Dann die Werke der Mystiker, d. h. der Frommen, die zarten Gemütes sind.« – »O, mein Vater,« sagte ich, »einen Augenblick! Nicht so schnell! Sprechen Sie mir von diesen Mystikern.« – »Mein Herr,« antwortete er, »die fromme Hingabe erhitzt ein Herz, das leicht zur Rührung neigt, so, daß es Dünste in das Gehirn emporsendet, die dies gleichfalls erhitzen, und daraus entstehen Ekstasen und Verzückungen. Dieser Zustand ist das Delirium der Frömmigkeit. Oft vervollkommnet es sich, oder entartet vielmehr zum Quietismus: Sie wissen, daß ein Quietist nichts anders ist als ein Mensch, der zugleich verrückt, fromm und ausschweifend ist.
»Da sehen Sie die Kasuisten, die die Geheimnisse der Nacht an den Tag ziehen, die in ihrer Einbildungskraft alle die Ungeheuer formen, welche der Dämon der Liebe erzeugen kann, die sie sammeln, vergleichen und zum unablässigen Gegenstand ihrer Gedanken machen. Glücklich, wenn das Herz nicht mitzureden beginnt und nicht mitschuldig wird an so viel naiv beschriebenen und in aller Nacktheit dargestellten Verirrungen!
»Sie sehen, lieber Herr, daß ich frei denke und Ihnen frei sage, was ich denke. Ich bin von Natur arglos und besonders mit Ihnen, der Sie ein Fremder sind und die Dinge kennen lernen wollen, und zwar so wie sie wirklich sind. Wenn ich wollte, würde ich von alldem zu Ihnen nur mit Bewunderung sprechen. Ich würde unaufhörlich sagen: Das ist göttlich, das ist bewunderungswürdig! Da liegt ein Wunder drin! Und dann würde von zwei Folgen sicher eine eintreten: entweder würde ich Sie täuschen oder ich würde mich vor Ihrer Seele entehren.«
Weiter kamen wir nicht. Der Derwisch wurde durch eine Angelegenheit unterbrochen, die die Fortsetzung unsrer Unterhaltung auf den nächsten Tag verschob.
Brief 135. (Fortsetzung.)
Ich kam zur festgesetzten Stunde wieder und mein Mann führte mich grade an die Stelle, wo wir uns gestern getrennt hatten. »Hier«, sagte er, »kommen nun die Grammatiker, die Glossographen und die Kommentatoren.« – »Ehrwürdiger Vater,« unterbrach ich ihn, »können denn alle diese Leute nicht einfach auf den gesunden Menschenverstand verzichten?« – »Ja,« sagte er, »das können sie, und man merkt es sogar nicht einmal. Ihre Werke sind darum nicht schlechter – was sehr bequem für sie ist.« – »Allerdings,« sagte ich, »ich kenne viele Philosophen, die gut tun würden, derartigen Wissenschaften sich zu widmen.«
»Hier«, fuhr er fort, »kommen die Redner, die die Gabe haben, unabhängig von guten Gründen zu überzeugen, und die Mathematiker, die einen Menschen auch gegen seinen Willen überzeugen und ihn mit wahrer Tyrannei überreden.
»Das sind die Bücher der Metaphysik, die so hochwichtige Fragen behandeln und in denen man bei Schritt und Tritt auf das Ewige stößt; die Bücher über Naturwissenschaft, die in dem Haushalt des gewaltigen Weltalls nichts Wunderbareres finden als in der einfachsten Maschine unserer Arbeiter.
»Die medizinischen Bücher, diese Denkmäler der Gebrechlichkeit der Natur und der Macht der Kunst, die erschüttern, selbst wenn sie von den leichtesten Krankheiten handeln, so nahe rücken sie uns den Tod vor Augen; die uns aber in vollkommene Sicherheit wiegen, wenn sie von der Kraft der Heilmittel sprechen, als wenn wir unsterblich geworden wären.
»Dicht daneben stehen die anatomischen Lehrbücher, die viel weniger eine Beschreibung der menschlichen Körperteile enthalten, als die barbarischen Namen, die man ihnen gegeben hat – eine Sache, die weder den Kranken von seiner Krankheit noch den Arzt von seiner Unwissenheit heilt.
»Hier kommt die Alchimie, die bald in Krankenhäusern, bald in Irrenhäusern wohnt, Wohnungen, die ihr beide gleich gut anstehen.
»Das hier sind die Bücher der geheimen Kunde oder vielmehr Unkunde. Dazu gehören die, welche irgend eine Art Teufelswerk enthalten, fluchwürdig nach mancher Leute Meinung, erbarmungswürdig nach der meinen. Dahin gehören auch die Bücher der Astrologie.« – »Was sagen Sie, mein Vater? Die Bücher der Astrologie!« unterbrach ich ihn mit Feuer. »Das sind die, welche wir bei uns in Persien am höchsten schätzen. Sie regeln alle Wandlungen unseres Lebens, sie bestimmen uns in allen Unternehmungen. Die Astrologen sind recht eigentlich unsere Leiter; mehr noch, sie gehören mit zur Staatsregierung.« – »Wenn dem so ist,« sagte er zu mir, »so lebt ihr unter einem härteren Joche, als das der Vernunft ist. Das ist das seltsamste aller Reiche: ich beklage tief jede Familie und mehr noch ein Volk, das sich von den Planeten lenken läßt.« – »Wir bedienen uns«, erwiderte ich, »der Astrologie wie Sie der Algebra. Jede Nation hat ihre Wissenschaft, nach der sie ihre Politik regelt. Alle Astrologen zusammen haben bei uns in Persien nicht so viel Dummheiten begangen, wie ein einziger eurer Algebristen bei euch angerichtet hat. Glauben Sie, daß die zufälligen Stellungen der Sterne nicht eine ebenso verläßliche Regel geben, wie die schönen Berechnungen Ihrer Systemmacher? Wenn man diese Frage in Frankreich und in Persien zur Abstimmung stellte, würde die Astrologie triumphierend daraus hervorgehen, und Ihre Rechenkünstler würden sehr beschämt werden. Welche überwältigenden Folgerungen könnte man nicht daraus gegen sie ziehen!«
Hier wurde unsere Unterhaltung unterbrochen und wir mußten uns trennen.
Brief 136. (Fortsetzung.)
Bei meinem nächsten Besuch führte mich mein gelehrter Bibliothekar in ein besonderes Zimmer.
»Hier stehen«, sagte er, »die Bücher über moderne Geschichte. Sehen Sie hier zuerst die Geschichtsschreiber der Kirche und der Päpste, Bücher, die ich lese, um mich zu erbauen, die aber manchmal in mir eine ganz gegenteilige Wirkung hervorrufen.
»Da stehen die, welche über den Verfall des gewaltigen Römerreiches geschrieben haben, das sich aus den Trümmern so vieler anderer Reiche bildete und aus dessen eigenen Trümmern so viele neue entstanden. Eine unendliche Zahl barbarischer Völker, die ebenso unbekannt waren wie die von ihnen bewohnten Länder, tauchten plötzlich auf, überschwemmten, verwüsteten, zerstückelten das Römerreich und gründeten all die Reiche, die Sie jetzt in Europa sehen. Diese Völker waren nicht im eigentlichen Sinne barbarisch, da sie frei waren. Doch sind sie es seitdem geworden in dem Maße, wie sie sich einer absoluten Regierung unterwarfen und die süße Freiheit verloren, die der Vernunft, der Menschenwürde und der Natur entspricht.
»Hier sehen Sie die Historiker des Deutschen Kaiserreiches, das nur ein Schatten des ersten Reiches ist. Doch ist es, glaube ich, die einzige auf Erden vorhandene Macht, für welche die Teilung keine Schwächung bedeutet hat; die einzige, so glaube ich ferner, die sich im graden Verhältnis zu ihren Verlusten kräftigt und die, langsam in der Ausnützung ihrer Erfolge, unbezwingbar durch ihre Niederlagen wird.
»Das sind die Geschichtsschreiber Frankreichs. In ihnen liest man, wie sich die Macht der Könige bildet, zweimal stirbt, wieder ersteht und dann mehrere Jahrhunderte hindurch hinsiecht. Dann aber gewinnt sie allmählich an Kraft, wächst nach allen Seiten und erhebt sich zu ihrer letzten Periode – jenen Flüssen vergleichbar, die auf ihrem Lauf ihr Wasser verlieren oder sich unter der Erde verbergen; dann erscheinen sie von neuem, vergrößert durch die Wassermassen ihrer Nebenflüsse, und reißen mit unwiderstehlicher Gewalt alles fort, was sich ihnen in den Weg stellt.
»Dort sehen Sie die spanische Nation. Sie kam aus ihren Bergen, unterwarf die maurischen Fürsten ebenso unmerklich, wie diese sie plötzlich überwältigt hatten. Dann einigen sich die zahlreichen kleinen Königreiche zu einer gewaltigen Monarchie, die fast die einzige auf der Halbinsel wird. Schließlich aber wird sie von ihrer eigenen Größe und einer falschen Wohlhabenheit erdrückt, verliert ihre Kraft und selbst ihr Ansehen und bewahrt nur noch den hochfahrenden Stolz ihrer ursprünglichen Macht.
»Das sind die englischen Geschichtsschreiber, bei denen man die Freiheit immer wieder aus den Gluten der Zwietracht und des Aufstandes neu erstehen sieht – ein Fürst, der auf einem unerschütterlichen Throne nie fest sitzt – eine ungeduldige, aber noch in ihrer Erregung besonnene Nation, die, Herrin über das Meer, es versteht, – eine bis dahin unerhörte Sache – den Welthandel mit der Weltherrschaft zu verbinden.
»Dicht dabei sind die Geschichtsschreiber jener zweiten Beherrscherin der Meere, der Republik Holland, die in Europa so geachtet und in Asien so gefürchtet ist, wo ihre Kaufleute die Könige sich in Scharen vor sich beugen sehen.
»Die Geschichtsschreiber Italiens stellen Ihnen eine Nation vor, die ehemals die Herrin der Welt war, jetzt die Sklavin aller anderen Völker ist, ihre uneinigen und schwachen Fürsten, die kein anderes Kennzeichen der Souveränität besitzen, als eine eitle Politik.
»Hier sind die Historiker der Republiken: der Schweiz, die das Abbild der Freiheit ist; Venedigs, das Hilfsquellen nur in seinen früher gemachten Ersparnissen besitzt; Genuas, das nur stolz durch seine Bauwerke ist.
»Hier sind die nordischen, u. a. die Polens, das von seiner Freiheit und seinem Recht, seine Könige zu wählen, einen so üblen Gebrauch macht, daß es dadurch die benachbarten Völker für den Verlust jener Freiheit und jenes Rechtes trösten zu wollen scheint.«
Daraufhin trennten wir uns bis zum andern Tage.
Brief 137. (Schluß.)
Am andern Tage führte er mich in ein anderes Zimmer und sprach: »Das hier sind die Dichter, d. h. die Autoren, deren Gewerbe es ist, dem gesunden Menschenverstand Handschellen anzulegen und die Vernunft unter täuschenden Gaukelbildern zu ersticken, wie man früher die Frauen unter ihren Schmuck- und Kleidungsstücken vergrub. Die kennen Sie auch, sie sind nicht selten bei den Orientalen, wo eine glühendere Sonne sogar die Einbildungskraft zu erhitzen scheint.
»Hier sind die epischen Gedichte. Ja, was sind denn epische Gedichte? In Wahrheit, ich weiß nichts davon. Die Kenner sagen, daß man niemals mehr als zwei zustande gebracht hat (die Ilias und Odyssee und die Aeneis) und daß die andern, die man unter diesem Namen gibt, ihn nicht verdienen. Sie sagen außerdem, daß es unmöglich sei, neue zu machen, und das ist noch erstaunlicher.
»Das sind die dramatischen Dichter, die meines Erachtens nach die Dichter im eigentlichen Sinne des Wortes sind, und die Meister der Leidenschaften. Deren gibt’s zwei Arten, die Komiker, die uns so behaglich anregen, und die Tragiker, die uns mit solcher Heftigkeit erregen und erschüttern.
»Hier sind die Lyriker, die ich ebenso verachte, wie ich die vorhergehenden achte, die aus ihrer Kunst eine harmonische Übertreibung machen.
»Dann kommen die Verfasser von Idyllen und Eklogen. Diese gefallen sogar den Hofleuten durch die Vorführung eines gewissen, ruhig friedlichen Zustandes, dessen diese sich nicht erfreuen. Sie schildern ihn unter der Maske des Hirtenlebens.
»Hier sind die gefährlichsten von allen Autoren, die wir gesehen haben. Das sind die, welche Epigramme schärfen, eine Art feiner Pfeile, die eine tiefe und den Heilmitteln unzugängliche Wunde erzeugen.
»Sie sehen hier endlich die Romane, deren Verfasser so eine Art Dichter sind, die in gleichem Maße die Sprache des Verstandes wie die des Herzens übertreiben. Sie verbringen ihr Leben damit, die Natur zu suchen, und verfehlen sie immer. Ihre Helden sind ebenso unwahr wie die geflügelten Drachen und Kentauren.«
Da sagte ich zu ihm: »Einige von euren Romanen habe ich gelesen, und wenn Sie die unsern lesen würden, würden Sie ebenso verblüfft sein. Sie sind ebenso unnatürlich und außerdem noch durch unsere Sitten in einer schlimmeren Lage. Denn es kann bei uns zehn Jahre dauern, bis ein Verliebter nur das Gesicht seiner Geliebten zu sehen bekommt. Dennoch sind unsere Romanschreiber gezwungen, ihren Lesern diese langweiligen Vorspiele nicht zu erlassen. Da es nun aber dabei unmöglich ist, eine große Abwechselung in die Ereignisse zu bringen, so nimmt man seine Zuflucht zu einem Mittel, das schlimmer ist als das Übel, das es heilen soll, zu den Wundern. Sie werden es sicherlich nicht billigen, wenn eine Zauberin ein Heer aus den Mauselöchern kriechen läßt, oder ein Held ganz allein eine Stadt von hunderttausend Einwohnern zerstört. So sind indessen unsere Romane; die frostigen, sich ewig wiederholenden Abenteuer ermüden und die übertriebenen Wunder empören uns innerlich.«
Brief 108. Usbek an * * * *.
Es gibt eine Art Bücher hier, die wir in Persien nicht kennen, die mir hier aber sehr an der Mode scheinen, das sind die Zeitschriften. Sie kommen der Trägheit der Leser schmeichelnd entgegen: man ist entzückt darüber, dreißig Bände in einer Viertelstunde durchfliegen zu können.
In der Mehrzahl der Bücher ist der Autor noch nicht über die üblichen Floskeln der Einleitung hinaus, dann liegen seine Leser schon im Todeskampf. Halbtot bringt er sie erst in seine eigentliche Materie hinein, die inmitten eines Meeres von Worten ertrinkt. Dieser ringt nach der Unsterblichkeit in einem Duodezband, jener in einem Quartband. Ein anderer, der höheren Schwung verspürt, liebäugelt mit einem Folioband. So muß er denn seinen Gegenstand entsprechend dehnen – was er auch ohne Erbarmen tut, indem er die Mühe des armen Lesers für nichts anschlägt, der sich totquält, um wieder auf seinen eigentlichen Kern zu reduzieren, was der Verfasser mit unendlicher Mühe breitgetreten hat.
Ich weiß nicht, was für ein Verdienst darin liegt, solche Bücher zu machen. Das könnte ich auch, wenn ich meine Gesundheit und einen Verleger zugrunde richten wollte.
Das große Unrecht, das die Journalisten begehen, ist, daß sie immer nur von »neuen Büchern« sprechen. Als wenn die Wahrheit je neu wäre! Es scheint mir, daß kein Mensch, bis er nicht alle alten Bücher gelesen hat, ein Recht hat, ihnen die neuen vorzuziehen.
Aber wenn sie es sich zum Gesetz machen, nur von Büchern zu reden, deren Druck noch feucht ist, so legen sie sich auch noch ein zweites auf: recht langweilig zu sein. Sie hüten sich, die Bücher zu kritisieren, aus denen sie Auszüge geben, wie berechtigt das auch wäre: und allerdings, wo ist der Mann, der sich alle Monat zehn bis zwölf Feinde machen möchte?
Die Mehrzahl der Autoren gleicht den Dichtern, die ohne zu klagen eine Tracht Prügel hinnehmen, die aber, so wenig eifersüchtig sie ihren Rücken hüten, so eifersüchtig über ihren Werken wachen und nicht die geringste Kritik vertragen würden. Darum muß man sich in acht nehmen, sie nicht an einer so empfindlichen Stelle zu verletzen, und das wissen die Journalisten wohl. Drum tun sie grade das Gegenteil: Sie beginnen damit, die behandelte Materie zu loben – erste Fadheit! – Von da gehen sie zu dem Lobe des Verfassers über – erzwungenes Lob, denn sie haben mit Leuten zu tun, die von eben gehabter Anstrengung noch ganz außer Atem und bereit sind, sich Geltung zu verschaffen und mit Federstrichen einen armen Journalisten zu zerschmettern.