LINIE DRESDEN-BUKAREST
Alfred Döblin
Vor der Abfahrt des Zuges lächelte Frau Barinianu auf dem Bahnhof Bukarest. Ihr Mann der Oberst, neben ihr promenierend, schob einen Zeitungsausrufer beiseite, blähte die Nase, straffte seinen Uniformrock, indem er seinem kolossalen Brustkasten einen scharfen Ruck gab: „Liebe Cesarine, ich weiß, daß du von einer Last befreit bist, aber wir sind auf dem Hauptbahnhof und du gehst in Trauer. Es brauchen nicht alle Leute sehen, daß dir mein seliger Vater nichts bedeutet hat.“
Sie nahm sich kaum zusammen; mit heiter verwirrtem Ausdruck hauchte sie hinter ihrem schwarzen Schleier: „Verzeih, ich geh heute zum ersten Male ein paar Schritt.“
Er zog ein Portefeuille mit braunen Banknoten aus der Brusttasche. Als die Maschine pfiff, rief er ins Coupéfenster hinauf, sie solle gleich ein paar Aussteuersachen für Matilda in Dresden besorgen. Die Wagen rollten. Der Oberst klappte etwas zusammen. Sie winkte und nickte. Er, träumerisch mit dem Säbelknauf spielend, fuhr in der Kalesche ins Kasino zum Festdiner.
Frau Barinianu saß in dem schmetternden Zug auf dem roten Polster der ersten Klasse. Das Coupé leer. Runde Backen hatte sie und sehr kleine Füße in grauen Gamaschen. Der Hut neben ihr rutschte vom Sitz; sie beugte sich zur Seite, um ihn festzuhalten. Sich aufrichtend sah sie im Rundspiegel drüben, daß das Haar ihr über die Stirn gesunken war und vor der koketten Nase wehte, ebenholzschwarz und ohne einen einzigen grauen Faden. Dunkler Flaum auf der Oberlippe. Das Gesicht gerötet und weiß und so kindlich lebendig, daß sie sich freudig zurücklehnte, den Hut hinuntergleiten ließ und die metallstrahlenden Augen schloß. Den Gang kamen dauernd Menschen herauf, Kinder sprangen vorbei, der Kellner warf eine Speisekarte herein. Sie gähnte und zog sich die langen Lederhandschuhe ab.
Herr Fortunesku stieg in Plojescht ein und sah sie sitzen. Er schlenkerte in seiner ausbaldowernden Art herum und drückte sein breites Gesicht draußen viermal gegen die Scheibe. Seine durchgestoßenen Hosen rutschten hoch. Als der Kontrolleur vorbeikam, las er angestrengt die Bestimmungen über das Verhalten des Publikums bei Unglücksfällen. Mit festem Entschluß sagte er: „Diese oder keine.“ Er ging mit seinem Köfferchen auf die Toilette, zog sich um, eleganter, etwas knapp sitzender Cutaway, schwarze Samtweste, gestreifte braune Hosen, eng um die Kniee. Das braune Haar klebte er mit Wasser in dünner Lage auf den Schädel. Gebürstet, mit übertriebenen Bewegungen, die seine athletischen Muskeln hervortreten ließen, spazierte er in das Nachbarcoupé Cesarines.
Während sanfter Fahrt stürzte plötzlich der Dame eine Hutschachtel über die Arme und knallte vor ihre Füße. Sie schrie leise auf, sah über sich. Die Türe des Abteils öffnete sich; ein gescheitelter Kopf streckte sich vor: „Was ist? Um Gottes willen, ich eile zu Hilfe. Oh!“ Und Herr Fortunesku sammelte den Deckel, den Hut und die Apfelsinen auf, die unter die Sitze gerollt waren; auch ein langer Lederhandschuh lag da. Sie rückte in die Ecke, als er um ihre Füße herum tastete. Er stellte sich mit glatten Worten als Verlagsdirektor aus Jassy vor, jawohl aus Jassy. Er schnalzte, flüsterte, schmatzte, schon am Boden, in einer naiven Art. Es sei eine zu lächerliche Geschichte; sie sei ihm schon mal passiert, vor vier fünf Monaten, hinter Braila, zwischen Lanza und Braila; doch damals sei es keine Hutschachtel gewesen, sondern in der Hutschachtel eine Bombe, so groß wie ein Schneeball oder eine gewisse Sorte von Zwergäpfeln; freilich sei sie nicht explodiert, die Bombe; es hat ja auch in der Zeitung davon gestanden. Aber dieser Knall, es war unvergeßlich. Und so sang er bis Kronstadt in Ungarn, wo er ihr ein Glas Milch brachte. Er beteuerte, daß sich manche Damen bei dem Sturz von Hutschachteln verletzten; aber diese hätten dann weniger volles Haar, als die Gnädige. Langes Haar mache es nicht, es müsse auch volles sein.
Wie er sich vom Fenster zur Tür, von der Tür zum Gepäckhalter bewegte, entwickelte er eine außerordentliche Grazie. Er hatte großartige formvolle Bewegungen. Sie verfolgte ihn aus ihrer Ecke mit den Blicken und sagte es ihm. Er verkroch sich geschmeichelt in seinen Halskragen, so daß sie erstaunte. Er sei nämlich Turner, Springer, Fechter, Stafettenläufer, natürlich im Nebenberuf aus Sportleidenschaft. Auch wette er gelegentlich bei schöner Sommerluft, alles Temperamentssache. „Und was sind Sie im Hauptberuf?“
„Verlagsdirektor, meine Gnädige, ich sagte es schon.“
„Ah so.“
„Ich verlege Zeitungen, Broschüren, Bücher, am liebsten aus meinem Interessengebiet. Turnen geht mir über alles; Müllerei, Müllerei erhält mich. Sehn Sie so —“
Er begann eine Kniebeuge zu machen und den Rumpf zu verdrehen.
„Und sehen Sie so.“
Sie prustete heraus und versteckte sich hinter ihrer Muffe.
„Meine Übungen scheinen Sie zu belustigen.“
„Nein, Ihr Ärmel ist ja geplatzt.“
Er erstarrte, wurde lang: „Ah so, schlechter Stoff. Ziehen wir aus. Gestatten Gnädige?“ Noch als der Rock lag, boxte er ihn mit mißtrauischen beleidigten Mienen: „Ziehen wir aus. Ein unerhörter Stoff. Gekauft in Braila; schlechte Industrie, wo die Stoffe platzen.“
Er agierte in Hemdsärmeln langsam weiter, öfter mit Blicken auf den Rock. Als sie ihn aufforderte, sich zu ruhen, machte er einen beschämten Hüpfer ans Fenster: „Es ist dieselbe Stadt, wo die Bombe fiel. Dieser Ort ist mir verhängnisvoll. Ich ruhe jetzt, meine Gnädige.“
Er plumpste keuchend auf den Sitz ihr gegenüber: „Nun ruhe ich.“
Inzwischen rutschte unter seinen Hemdsärmeln ein braunes dickes Flanellhemd an den Knöcheln vor; leicht errötend nahm sie die Jacke auf, legte sie ihm über: „Sie sind Junggeselle, Herr Fortunesku?“
Sein Mund verbreiterte sich, eine Feuchtigkeit schwamm über die drehenden Augen, er fuhr nach ihrem Handgelenk: „Ein liebes Wesen starb mir vor Jahresfrist; sagen wir rund ein Jahr und zwei Monate. Sie ist mir entrissen worden.“
„Und warum schweigen Sie jetzt, mein Herr?“
„Situationen gibt es, die nicht nachlassen, an einem Männerherz zu pressen. Bis es schwillt, schwillt; überschwillt.“
Sie klopfte warm seine Finger. Er schüttelte sich, wischte sich die Stirn mit dem Zeigefinger, machte eine krampfhafte Klimmzugbewegung. Hin und her wandernd stöhnte er. Die Schwermut riß ihn hin. Er beugte sich zu ihr; im Nu hatte er sie an seiner Brust, saß eng bei ihr. Die Tropfen aus den Augen des trostlosen Mannes fielen auf ihren Rock. Betäubt hielt sie still. „Was ist das?“ dachte sie, „ich kann mir das nicht gefallen lassen. Das ist ja entsetzlich.“ Sie brachte aber nur seufzend heraus: „Es ging aber doch recht schnell. Sie halten mich fest, mein Herr.“
Triumphierend glänzte sein Gesicht. Sie flüsterte ängstlich: „Schließen Sie wenigstens die Tür; ich habe Kaffee bestellt.“
Ein Zug am Riegel, Einschnappen des Schlosses. Sie hing gehoben auf seinem Schoß, so daß sie die weichen Patschen faltete, befangen lächelte: „Es ist wunderbar. Man muß das erlebt haben.“
An ihrem Spiegelbild sah sie vorbei. Die Wagen ratterten. Heller und dumpfer klirrten die Scheiben in ihren Holzrahmen. Er strich sich den Schnurrbart. Auch ihr Gesicht fing an zu glühen. Seine Brauen waren borstig, seine Augen klein wie Murmeltiere. Ihr dicker runder Körper sackte, von ihm losgelassen, gegen den roten Plüsch. Zwei Männerarme schlossen sich um ihren atmenden widerstandslosen Rumpf, drückten ihn hoch; eine stopplige nasse Haut rieb gegen ihre Wange. Während ihre Lippen einander benetzten, Zähne über Zähne strichen, schwindelte ihr leicht hinter der Stirn. Entfernt schnaubte die Lokomotive; sie fühlte das Stoßen der Räder herauf. Seine Knie unter ihr zitterten.
Da kam ihr vor, als ob es seitlich von ihr irgendwo knackte. Und wie sie den Kopf über seine Schulter schob und mit dem rechten Auge herunterschielte an seinem Rücken, blinkte auf dem Polster eine kleine Beißzange an ihrem Handgelenk, ihr Armband lag frei daneben. Unwillkürlich zuckte ihr Arm. Blitzschnell waren Zange und Schmuck in seinem gebauschten Hemdsärmel verschwunden, Schlaff wölbte sich ihr Rücken nach einem tiefen Atemzug. Ihr Mund fiel auf seine knochige Schulter und mahlte das blaue Westenfutter. Er, von unten den Blick zu ihr drehend, bettelte, ob ihr schlecht wäre, ob er sie legen sollte. Sie fixierte ihn halb ohnmächtig aus den schmalen Augenschlitzen: „Ist das ein Lump. Es ist ein Hochstapler, ein Eisenbahnräuber. Ich setze mich in den Zug, um nach Dresden zu fahren und er sieht mich und stiehlt meine Brillanten.“
Er kratzte sich mit der freien rechten Hand den Scheitel, so daß sich eine Haarsträhne wie ein gebogenes Horn aufstellte: „Seelische Strapazen peinigen mich, meine schöne Dame. Nennen Sie mir Ihren Namen, Ihren Vornamen, geschwind, geschwind.“
Angstvoll, ohne ein Glied zu bewegen, lag sie. Sie dachte: „Es geschieht mir recht. Wo ist er denn jetzt? Ich habe goldene Strumpfschnallen.“
Und schon knackte es wieder. Sie weinte halb, warf jammernde Blicke gegen die Notbremse: „Ich kann nichts machen gegen ihn. Er kompromittiert mich, wenn das Bahnpersonal kommt. Und diese Hemdsärmeln. Er ist solch Lump.“
„Ihren Vornamen, geschwind, geschwind.“
Sein Haar war dünn; seine Ohren standen ab, braune Büschel wuchsen daraus: „Er ist vielleicht ausgebrochen aus dem Zuchthaus. Er hat im Zuchthaus gesessen. — Wie schrecklich wäre es, wenn er ein anständiger Mensch wäre und ich mich so gehen ließe. Was würde er von mir denken, von mir erzählen. Wo würde ich ihm begegnen können. Dem werde ich nie begegnen, dem Strolch. Bei ihm bin ich gut aufgehoben.“
Sie drückte Auge und Nase fester gegen seinen Gummikragen: „Der prahlt höchstens mit mir. In einer Kaschemme rühmt er sich.“
Sie spürte, wie er die Knie vorsichtig unter ihr wegzog, bog den spitzenverhüllten Arm um seinen Hals: „Du prahlst mit mir, nicht wahr? Wenn du mit deinen Freunden bist? Wo bist du her? Du mußt mir erzählen.“
Er fuhr hoch. Diese Frau duzte ihn. In einer Zuckung streckten sich seine Beine quer über den Gang; sein linker Arm stemmte sich auf den Plüsch. Es kollerte und klirrte etwas über seine Füße. Sie hielt ihn, ließ ihn nicht los, Stirn dicht auf Stirn: „Ist dir was hingefallen? Hebs später auf. Laß doch liegen. Du mußt mich nachher noch so lange begleiten. Ich fahre nach Dresden. Ich hole meine Tochter aus dem Pensionat. Ja, ich bin verheiratet, und mein Mann ist Offizier in Bukarest. Aber unseren Namen sag ich dir nicht, denn du bist solch Strolch, ich durchschaue dich, solch frecher, frecher Strolch.“
Fortunesku atemlos unter ihrem Drängen, schnitt ungeschickte Grimassen; er gaffte aus dem Ring ihrer Arme auf die Leiste des Spiegels: „Das ist eine besondere Frau. Sie bringt mich um. Ich will ihr alles wiedergeben.“
„Madame,“ öffnete er indigniert den schlecht rasierten Mund. Aber sie hatte ihn schon mit vergnügtem Gelächter um die Taille gefaßt. Sie kniff ihm in den Arm, quietschte: „Bin ich froh, bin ich froh über dich, du Lump. Weil du solch Lump bist.“ Er wand sich, verdrehte sich schlangenhaft. Sie stand zugleich mit ihm auf. Sie packte ihn bei den Hüften, ließ ihn nicht los, ließ ihn nicht los. —
Als Cesarine zwischen Znaim und Iglau, wohlig ausgestreckt, sich von dem Zug ab- und auffedern ließ, plauderte sie von Dresden, von ihrer Familie. Sie blinzelte gegen die grelle Deckenbeleuchtung, lobte Matilda und ihren Verlobten. „Madame,“ fing Fortunesku an, von Zärtlichkeit und Gewissensbissen überwältigt, während er sich ihr gegenüber den Schnürsenkel festzog, „wollen Sie zwei Worte von mir anhören. Ich bin, wie Sie sehen, Kavalier und Ritter. Ein Mann von meinem Temperament und Gewandtheit, in meinem Gesellschaftsrang ist natürlich von einer Vielseitigkeit, die anderen Berufsarten fremd erscheint. Ich hebe Lasten, öffne Schlösser. Ich mache Scherze als Turner, die Uneingeweihte mißverstehen.“
Sie zog den Fenstervorhang vor ihr Gesicht: „Ja, Sie können turnen wie kein Mensch auf der ganzen Erde.“ Die Bremse knarrte, die Wagen schaukelten; ein südlicher Vorort Dresdens blitzte. Cesarine rauschte hoch, stieß mit den Füßen gegen Metall.
„Aber heben Sie doch Ihre Sachen auf.“
Unsicher lächelnd stemmte Fortunesku, noch sitzend, die Arme in die Weichen; er streifte sich die geborstene Jacke über.
Der lange Ruck, die weiße Wölbung der Bahnhofshalle. Gepäckträger brüllten in die Fenster.
Sie drehte sich sanft, in Trauerhut und Schleier, zu ihm, der gebückt stand, hauchte: „Sind Sie fertig?“
Herr Fortunesku war edles Halbblut; seine Mutter hatte es ihm oft gesagt. Beleidigt schnellte er durch das Coupé, tauchte unter die Sitze, kehrte ihr den Rücken zu. Sie beobachtete ihn entzückt. Plötzlich scharrte er, giftig ausspeiend, die Sachen zusammen, legte das Armband mit einer noblen Geste offen um sein linkes Handgelenk. Sie bat ihn um ihren Handschuh, schwebte duftend voran; der Trauerschleier wallte um sie; Arm in Arm verließen sie den Bahnhof.
Sie nahmen Wohnung im Hotel „Zur goldenen Eintracht“. Verlagsdirektor Fortunesku aus Jassy nebst Gemahlin. In ihrem Zimmer warf er, als sie Licht knipste, Armband und Brillanten in der Ecke oben auf die Hutschachtel. Schelmisch besänftigte sie ihn vom Lavoir her; was er gegen die Hutschachtel habe. Sie bot ihm vor der Ausfahrt ihr Portemonnaie an. Er schob den schwarzen Samthut in den Nacken, schob ihre Hand zurück, zeigte voll unterdrückter Wut sein eigenes Portemonnaie. Mit einer heimtückischen Süßigkeit schmeichelte er ihr in dem offenen Landauer. Sie sog die abendliche Luft auf Lößnitz ein. Die Menschen murmelten, lachten, murmelten. Glücklich rauschten die Akazien im Sommerwind. Wie seine Augen grell seitlich funkelten, in einer fürchterlichen Drohung, schauerte ihr über den Rücken. Dieser Mensch konnte morden, wie gut war sie bei ihm angekommen.
Matilda hieß die Tochter Cesarinens; sie war achtzehn Jahr. Blonde Ponys hingen ihr in die Stirn, die Nase kräftig geschwungen, graue stolze Augen. Im weißen schlanken Sportkleid trat sie am Morgen der Mutter entgegen, die ihr Fortunesku vorstellte, einen weitläufigen Verwandten in Jassy und zufälligen Reisebegleiter. Fortunesku schwang den Hut. Das Silbergehenk am gelben Ledergürtel Matildas klapperte, als sie sich zusammen an den Frühstückstisch setzten. Die elegante Pensionswirtin zog Frau Barinianu hinaus zu einer Besprechung.
Rasch drückte Fortunesku seinen veilchenblauen Selbstbinder fest, pfiff hoch zwischen zwei Fingern, hob den Daumen. Das junge Mädchen legte das Messer auf die Marmeladenschale.
„Ein Wink,“ flüsterte er, schloß die faltige Portiere zur Bibliothek, „ein Wink: Grigor Papiu, Petru Kostin.“
Dicht rückte er seinen Korbsessel an ihren: „Legen Sie die Serviette hin. Sie wissen nicht, was die gnädige Frau mit Ihnen vorhat. Ich bin nicht Fortunesku, wie sie sagte. Petru Kostin, heiße ich, Sekondeleutnant im zweiten Infanterieregiment zu Jassy, Freund Ihres Verlobten Papiu. Ich habe eine geheime Botschaft zu überbringen. Sie müssen schwören.“
„Petru Kostin?“
„Nicht sprechen, um Gottes willen nicht sprechen. Ich bin ohne Urlaub gefahren. Kommen Sie in die Ecke, auf die Loggia; Ihre Mutter erschrickt, wenn sie uns hört.“
„Mein lieber Gott, was ist das! Was will Grigor?“
Mit gefahrdrohenden Schritten ging er über den Teppich: „Sie haben Grund, sich zu ängstigen. Auf der Hut sein vor der gnädigen Frau. Ich warne Sie vor ihr.“
Ein Stelzen um das Büfett, Sprung, schlangenhaftes Umschleichen der Stühle.
„Sie kennen sie nicht. Niemand kennt Weiber. Sie hat sich mir anvertraut auf der Fahrt. Mit Galanterie, mit bestrickendem Wesen habe ich alles erreicht. Ich habe ihr entlockt, was sie für sich behalten wollte. Aus Mitleid für Sie, deren Photographie sie mir zeigte, aus Kameraderie für meinen Freund habe ich mich ins Zeug gelegt.“
„Mama hat doch keine Photographie von mir.“
Finster hielt er an der Anrichte und schwenkte ein Bein: „Dann war es eine Täuschung, der Sie dankbar sein müssen.“
„Es war Olga.“
„Mag sein. Ich verwechsele Olga mit Ihnen. Auch Olga wird es nicht gut haben. Sie sollen mit Ihrem Vetter verheiratet werden aus Bukarest; sie wird es Ihnen auf der Reise sagen.“
„Nein, das ist nicht wahr.“ Sie war erst starr, dann schluchzte sie und krümmte sich über ihren Schoß.
„Es ist kein Zufall, daß ich mit Ihrer Mutter zugleich hier eintraf. Ihr Verlobter Grigor hat es mir auf die Seele gebunden, vor Ihrer Heimreise mit Ihnen zu sprechen, Ihnen alles vorzustellen, was auf dem Spiele steht, seine Liebe, sein Leben, sein ganzes Dasein.“
Er zog aus der Hosentasche ein zerbrochenes Bild: „Sie sehen den Namenszug Ihres Verlobten. Sie zweifeln nicht mehr an meiner Legitimation, mich Ihnen vertraulich zu nähern.“
Matilda kniff ein böses Gesicht. Versunken stand sie auf, schleifte zwei Schritt um den Tisch, befahl Fortunesku: „Setzen Sie sich.“ Und dann das harte Gesicht gegen die Hängelampe hebend, deren grüner Perlenbehang ihr über die Nasenwurzel spielte: „Die letzten Briefe vom Vater klangen sehr fremd. Ich dachte, es wäre wegen der Krankheit Großpapas.“
Fortunesku tobte durch das winklige verstellte Zimmer: „Weg von hier! Wie können Sie daran zweifeln? Diese Frau im Stich lassen. Ich verlange das von Ihnen im Namen meines Kameraden. Oh diese Frau will ich strafen für die schlechte nichtsachtende Gesinnung, die schlechte Gesinnung, die sie mir offenbart hat. Über Leichen geht sie, ein Ehrgefühl hat sie nicht.“
Matilda bewahrte kühle Haltung zur Mutter. Sobald sie allein war und sich ausgeweint hatte, entschloß sie sich; sie stieg mit Fortunesku in den Zug nach Bukarest.
„Ich bin jetzt wieder glücklich,“ sagte Matilda, „und ich bin Ihnen so dankbar.“
Sie drang in ihn, warum er so still wäre. Er redete von Aufgaben, denen manche Menschen nicht gewachsen wären, ein liebes Wesen sei ihm vor einem Jahr gestorben, vor etwa einem Jahr. Plötzlich erklärte er, daß er schwitze. Sein breites Gesicht, — die grauen Augenlider, die faltigen Wangen mit den Narben am Kieferwinkel, die striemig rote Stirnhaut vibrierten. Er zog mit ihrer Erlaubnis den Cutaway aus, streichelte vorsichtig über ihre Ponys. Sie kicherte: „Sie sind doch nicht solch guter Freund, wie Sie sagten, zu Grigor.“
„Es sind Wallungen, mein Fräulein, schmerzliche Wallungen. Ich glaube freilich, daß sich manches Gefühl aus Wallungen zusammensetzt.“
Und dann nach einer Pause: „Der gute Grigor ist freilich etwas zahm.“
Sie warf sich in die Brust, machte einen spitzen Mund: „Aber das ist so hübsch an einem jungen Mann, wenn er ernst und zahm ist. Und wenn er nicht so frech ist wie —“
„Wie wer denn, meine Gnädige?“
„Wie Sie.“
Sie senkte umfaßt ihren lachenden Kopf an seine fleckige Samtweste: „Was glauben Sie, Fräulein Matilda, was mich Grigor beneidet um diesen Augenblick. Um meinen Schneid. Um meine Courage.“
Während er sie herzog und sie folgsam ihren geschmeidigen Oberkörper wiegen ließ von ihm, sagte sie: „Aber viel Schneid hat Grigor doch auch. Und so lieb ist mein Grigor.“ Ihre Arme legten sich um seinen Gummikragen: „Und so froh bin ich, daß Sie mich zu ihm führen, Herr Petru, lieber Herr Petru.“
Sie lachte und seufzte und lachte. —
Bei der kleinen Umsteigestation Beneschau, eine Minute Aufenthalt, kroch aus dem letzten Waggon ein Mann, mit zerbeultem steifen Hut, gelbem Sommerpaletot, durchgestoßenen Hosen, in der Hand einen kleinen platten Koffer. Fortunesku schluckte auf dem Bahnsteig sein Glas Helles, rückte matt seinen Stuhl aus der Sonne und sah die blanken Geleise entlang: „Es ist nichts mit der Familie Barinianu.“ Sein Magen kam ihm leer und schwindlig vor; er bestellte einen Schnaps: „Strapazen, Strapazen; keinen Pfennig verdient. Es geht abwärts mit dir, Franz; lauter Gefühle. Mutter hat recht; aus mir wird nichts.“
Er flegelte am Schanktisch, schmatzte, massierte seine Waden, seinen Arm, schlich in das Dorf.
Eine blonde junge Dame verließ unter allgemeiner Aufmerksamkeit in Tabor ein Coupé erster Klasse. Sie schluchzte über den Perron; ein Bahnhofsbeamter führte sie am Arm, trug ihren Handkoffer und grauen Reisemantel. Sie schien betäubt oder wirr. Im Stationsgebäude erholte sich Matilda etwas, als die Frau des Bahnhofswirts ihr zusprach, heißen Kaffee brachte. Das Fräulein stieß mehrmals hervor, man möchte nach Dresden in das Hotel „Eintracht“ telephonieren, daß sie hier warte.
Nach fünf Stunden kam die Mutter im Auto. Sie nahmen den nächsten Zug nach Bukarest. Im Coupé legte Frau Barinianu den Hut nicht ab; den Trauerschleier knautschte sie in die Höhe, riß Matilda an sich. Cesarines Gesicht war verschwollen; ihre kleine Nase dick und naß. Sie ließ von dem Kind nicht ab, zitterte, schrie leise: „Ich habe gedacht, du bist ermordet, ich hab gedacht, der Lump hat dich ermordet.“
Matilda rutschte mit dem Kopf an ihre Brust, schwieg, streichelte ihren Rücken.
„Nein, du lebst, Matilda, du bist ja wieder da.“
Sei gut zu mir, Mama. Sage nichts zu Hause. Bitte. Nichts zu Grigor. Sein Freund hat mir den Kopf verdreht. Ich habe mich rechtzeitig besonnen, sag Grigor so.“
„Es war ja ein Lump, ein Strolch. Es war nicht Grigors Freund. Ich weiß gar nicht, wie er heißt.“
Die Tochter drängte sich an das zerpresste Jabot Cesarines: „Er war solch Lügner, dieser Mann. Er war so flink mit Lügen und allem. So flink.“
Das Mädchen schlug sich die Hände vors Gesicht und stöhnte, stöhnte.
Frau Barinianu steckte die Haarnadeln Matildas zurecht, umarmte sie heftiger. Dann ließ sie das Kind los, atmete tief. Sie rieb sich die Stirn. Lange sprachen sie nicht.
Der Zug schwebte über den Schienen. Von Zeit zu Zeit kam ein Stoß der Räder. Der Dampf der Lokomotive flog vorbei.
Langsam löste nun Frau Barinianu ihren Hut, wischte sanft über den Schleier, während ihr Kopf zurück auf das Polster fiel. Sie lächelte mit weichem Mund, indem sie träumerisch vor sich in den Spiegel sah: „Er ist in die Welt verschwunden und kehrt nicht wieder. Oh, er konnte turnen, dieser Lump. Ich habe noch nie einen Menschen so turnen sehen.“
Lauter und zärtlicher vibrierte ihre Stimme vor Vergnügen. Wie eine schöne Bratsche klang es aus ihr. Sie drückte das zerzauste Fräulein an sich. Und während die noch leise weinte, lachte die Mutter aus tiefem Herzen über sie her: „Er war ein geborener Springer.“ Bis auch die stolze Matilda mit verschämter Bewegung hoch blinzelte: „Ja nicht wahr, Mutter, so springen konnte er?“ Die Stimme wie eine Hirtenflöte dünn und süß.
Und sie küßten sich. Der Wagen schmetterte über eine Eisenbahnbrücke. Sie wiegten sich Wange an Wange.