DIE VERWANDLUNG
Alfred Döblin
Erna Reiß gewidmet
Die ersten Jahre der Ehe dieser beiden, der Königin und des Prinzgemahls, waren friedlos verlaufen. Als aber das Kind, der Thronerbe, in dem alten Schlosse schrie, öffneten sich die eisernen Torflügel des Seitenportals; auf den Steinen des Schloßhofes stand die schlanke, blasse Königin, sie schwang sich in den Sattel, jagte, von einer kleinen Kavalkade gefolgt, auf dem Schimmel durch die winkligen Straßen, zwischen den gebückten Häusern, über den Marktplatz, auf die gelben Wälder. Nun sprengte die wilde Königin wieder durch die verschlungenen Waldungen; auf den Nachbardörfern fanden Picknicks statt, Maskerade und Mummenscherz in Dorfsälen, bei denen stets ein reserviertes Nebenzimmer voll war von den glühenden Wangen ihrer königlichen Majestät, von dem Zittern ihres frechen Leibes wie der prustenden Laune ihres Mundes, von der verhüllten Süße ihrer abgehackten Stimme, prunkvolle Feste, bei denen ein leiser kranker Kavalier ihr Flieder reichte, das Gesicht in ihre Brust vergrub und an ihrem Hals weinte, vor Glück, Angst und Selbstverachtung. Auch der Prinzgemahl zog wieder einsam seines Wegs wie ein Mönch. Mit traurig gekräuselten Lippen sah man die dicke Gestalt durch die Säle schlendern, ihn, bald zutunlich wie ein Kätzchen, bald träge und faul, fließend von Ironien und Selbstspötteleien. Er war wortkarg; man hörte aufbrausende Worte aus seinem Munde. Abends schlich er ohne Diener in den Damenflügel, legte seinen wunden Kopf in den Schoß eines schmächtigen, schwarzen Hoffräuleins mit strahlenden Augen. Jetzt sah man nicht mehr die Röcke der Königin schief sitzen; keine Haarnadeln, die sie verloren hatte, lagen auf den Korridoren; die Treppen fühlten nicht mehr ihre müden verzagten Füße; lachend gingen diese beiden, Königin und Prinzgemahl, durch die dunklen Säle nebeneinander. Sie trug eine blaue Schleife aus Seide über dem rechten Ohr; aus dem Haar hing sie herab; ihr Geliebter hatte sie gebunden. Im Knopfloche des Prinzen steckte die Purpurnelke, daran flatterten offen zwei schwarze Frauenhaare.
Es war eines Mittags, daß nach fröhlichem Plaudern erst die Königin, dann der Prinz verstummte, daß die Königin langsam aufstand, durch die Reihe der Lakaien wortlos hindurch aus dem Speisesaal ging, daß der Prinz mit einem versunkenen Blick auf seine linke Hand sitzen blieb, die neben ihrer rechten gelegen hatte, sein Besteck zusammenschob, wortlos auf sein Zimmer ging. Die Adjutanten und Damen des Gefolges speisten rasch ab. Die Gemächer der Königin waren geschlossen; die Königin, hieß es, stände seit ihrer Rückkehr am Fenster, sei garnicht erregt; sie würde ihr Zimmer bald öffnen. Der rote Hofrat, ein massiver riesenstarker Jurist, mit strohblondem Vollbart, gütigen Augen, brummte, es werde doch einmal zu einem offenen Eklat kommen. Das gelbe Knochengesicht neben ihm mit pechschwarzen Augen und Haaren, vorgeschobener Unterlippe, ein Männlein mit einer Hakennase, der Hofarzt, zerknautschte sich zu einem hoffnungsvollen Lächeln.
An der Abendtafel saßen sie ernst beieinander. Es war ihnen nichts abzumerken; nicht bei den Gesellschaften des nächsten Tages. Sie berührten sich nicht, sie rückten mit den Stühlen voneinander ab, sie sprachen freundlich mit abgewandtem Gesicht zu ihrer Umgebung; kaum ein Wort wechselten sie miteinander. Beider Stimmen klangen höher, und es schien, als ob einer zu dem andern hinüberlauschte.
Es war ein furchtbarer Moment, als sie sich am dritten Tage auf dem Gang zu den Gemächern der Königin trafen, stehenblieben und sich die Hände gaben, eines Morgens, eines grauen Morgens. Der Prinz hielt sie an der Schulter; minutenlang sahen sie sich und sahen immer wieder zur Seite. Jedes zitterte; das taten sie sonst nur bei geschlossenen Augen. »Geh, geh,« bettelte sie, huschte den schmalen Korridor zurück.
Er saß auf seinem Zimmer. Der dicke Prinz nahm einen Schemel und setzte sich vor seinen Kostümschrank. Als er seufzte und sich reckte, stieß er einen Blumenständer mit einer ungeheuren Vase um. Das Wasser spritzte an seine Stiefel; er rückte weg, schüttelte gedankenlos den Kopf, setzte sich dicht an den geöffneten Schrank, wühlte in den Sachen.
»Geh, geh«; das klang wie »komm, komm«. Eine blonde Perücke hielt er in den Händen und drehte sie. Sie ist gut, dachte er, recht gut; eine gute Perücke. Sie störte ihn gar nicht, das wunderte ihn, machte ihn eigentümlich ruhig. Er setzte sie sich auf. Er ließ sein Gefühl ganz strömen in die Kopfhaut, an die Perücke, um sie wohlig auszukosten. Was noch? Mokka trinken. Kein Mokka, nichts trinken, nichts. Er lief auf den Zehenspitzen zur Tür, schloß auf, versperrte den ganzen Korridor, stellte die Klingel ab, hielt den Pendel der hohen Wanduhr an. Sah sich dann wieder in seinem Zimmer um, summte durch die Zähne. Er saß tiefsinnig auf dem Taburett. Stück um Stück der Gewänder zog er zu sich heran, tastete sie ab. Ein Wams gefiel ihm, das legte er sich über das Gesicht; es roch nach Flieder. Er legte es sich an, band sich einen dünnen Kavalierdegen um, strich vor dem Spiegel an seinen Kleidern herunter. »Komm, komm«. Er schauerte zusammen, schloß leise die Tür auf und schlich, immer durch die Zähne summend, den Korridor entlang. In der Mitte blieb er plötzlich stehen, lief auf sein Zimmer zurück, suchte am Boden einen Büschel roter Purpurnelken aus den Scherben auf, legte ihn behutsam über den linken Arm. Er ging über die Schwelle; als sich eine Klinke am Ende des Ganges rührte. Die Tür schloß leise auf; ein helles Tageslicht fiel schräg aus dem Gemach der Königin auf den engen Gang; leichte rauschende Schritte näherten sich, das schmale, herrische Gesicht der Königin. Sie trug eine schwarze Perrücke, deren störrische Locken ihr über die totblassen Wangen fielen; eng lag ihr ein höfisches schwarzes Seidenkleid an. Sie gingen Arm in Arm, sie gingen spazieren durch die leeren Gemächer, sie gingen stumm die spiegelglatten Empfangssäle, die Speisesäle; sie gingen durch die dunklen Bildersäle. Wie frei er sie führte, wie gut ihre Schritte Takt hielten. Sie hatte das Gesicht von ihm abgewandt, die wilde Königin. Nur als sich ihre Arme an der Türe der Königin lösten, wurden ihre Wangen glühend, ihr Atem flog. Er legte behutsam auf ihre Schwelle den Nelkenbusch nieder; die wilde Königin nahm seine warme Hand, führte ihn über die roten Blumen hinweg in ihr Zimmer; vor einem Haufen von Briefen, Blättern und Bändern standen sie mit gesenkten Köpfen, hielten sie sich an den Schultern, berührten sich ihre Stirnen.
Die Tür schloß sich hinter ihm; er saß auf dem Taburett vor seinem Spiegel, strich an seinen Kleidern herunter. Er wollte sie ablegen; es widerstrebte ihm irgend etwas; die Ärmel schienen festzukleben. Er erschrak vor seinem kurzgeschorenen blonden Haar; als er seine eigene Uniform angelegt hatte, fuhr er liebkosend über die fremden Gewande, die er auf dem Teppich ausgebreitet hatte. Heimlich stieß er von hinten mit dem Hacken in den Spiegel, schlug Nägel in das bloße Holz, hing das fremde Kostüm offen auf.
Sie saßen bei der Mittagstafel beisammen; jetzt lenkten sie ihre Blicke zusammen. Er fuhr manchmal mit der Hand über sein Gesicht, seinen Kopf, riß an seinem hohen Uniformkragen, suchte die Arme unter den Tisch zu verstecken; kam sich maskiert vor. Die herrische Königin spöttelte mit ihm; mit einmal legte sie ihr Besteck hin; die Tränen stürzten ihr aus den Augen; sie knirschte mit den Zähnen. Man lief ihr nach, als sie sich jede Frage verbat. Sie lag nach einer Stunde ruhig lesend im Bett und bemerkte nur, daß sie das Geschrei ihres Kindes störe; man solle das Kind in einem andern Teil des Schlosses unterbringen. Sie würde morgen den Hofarzt fragen, ob nicht vielleicht der Meeresaufenthalt für das schwächliche Kind besser sei als die Schloßluft. Die alte Hofdame, die auf einem Stuhle bekümmert neben ihr saß, wollte erschreckt etwas erwidern, aber die Königin wiederholte, sehr bestimmt sie anblickend, ihre Frage, ob sie nicht auch die Meeresluft für das Kind besser halte als das Gebirge. Worauf die alte Dame auf ihrem Stuhle rückte, an ihrer langen Goldkette nestelte und mit beherrschter Stimme beipflichtete.
Entsetzt aber stand sie am Abend auf, — es mochte bald zehn Uhr sein, — als die junge Königin, die sich an den Flügel gesetzt hatte, sich nach einigen klimpernden Tönen von ihrem Sessel erhob und sagte, man möchte den Grafen Hagen, den Dichter, auf der Stelle zu ihr befehlen. Sofort und ohne Verzug wolle sie ihn auf ihrem Zimmer empfangen, und zwar allein, ohne Zeugen. Die junge Majestät schrie, indem sie krachend den Flügeldeckel herunterwarf, sie werde die alte Hofdame ohrfeigen, wenn sie überhaupt noch einmal den ledernen Mund aufzumachen wage, und sie auf den Gänsehof jagen, auf den sie gehöre. Sie werde allein den Kavalier empfangen, auf ihrem dunklen Zimmer, nachdem sie sich zu Bett gelegt habe, und sie könne den Ministerrat und alle Gichtiker des Landes davon benachrichtigen, sofort, telephonisch, heute, morgen, übermorgen, wann sie wolle. Sie blieben schweigend in dem hellerleuchteten Musikzimmer sitzen; die Königin hob den schwarzen Flügeldeckel auf, spielte eine hastige Mazurka, die alte Hofdame hielt sich das Spitzentuch vor die Augen. Um halb zwölf Uhr meldete man den Grafen Hagen. Die Königin hatte ihn schon einmal in diesem Zimmer empfangen, zwei Tage vor ihrer Hochzeit war es, in einer späten Nacht. Der bleiche Kavalier war gebeugt in das finstere Zimmer getreten, in dem nur eine matte Flügelkerze brannte; die Königin lag versunken in ihrem weichen Lehnstuhl. Auf dem Teppich standen viele Hochzeitsgeschenke herum, Vasen, Bilder, Truhen. Er sah nichts als die Königin; kein Wort schenkte er ihr, die seinen heißen Kopf im Schoß hielt, als: »Mich ekelt’s vor dir, mich ekelt’s vor dir.« Dabei schauerte er immer und konnte den Blick nicht von ihren tiefliegenden Augen reißen. Auch sie schaute auf nichts als auf den Dichter; und was sie ihm sagte, unter Küssen auf Hände, Finger, Mund, Wange, Haar, unter Liebkosen und Wiegen, war eines: »Lebewohl«. Jetzt schlug der Graf die Portiere zurück; die erschrockene alte Dame wollte, als er sich tief verneigte, mit einem verzweifelten Händeringen ins Nebenzimmer gehen; die Königin aber fixierte sie starr, sagte nach einer Weile: dies sei nicht nötig. Sie ließ den blonden Kavalier unter dem blitzenden Kronleuchter stehen, fragte ihn nach den Ergebnissen der letzten Jagd, die sie zusammen gemacht hatten, ob er sich schon wegen seines Avancements im Regiment umgesehen hätte. Dann erhob sie sich, dankte für seinen Besuch, wünschte ihm gute Nacht. Fragte die alte Dame lachend, die Hände in die Hüften gestemmt, wie lange sie hier noch sitzen wolle, wann sie denn die Depeschen abzuschicken gedenke. Die schüttelte den Kopf.
In dem alten Schloß blieb es stille, bis zu dem Morgen, an dem der Graf trotz des Verbots der Königin in ihr Zimmer drang; er weinte vor ihr am Boden liegend, sie schlug ihn mit der Gerte ins Gesicht. Mit Aufglühen und Erbleichen, knirschenden Zähnen und Zittern hörte sie ihn an in ihrem Lehnstuhle, als er sie bei aller verflossenen Süße und Zärtlichkeit beschwor; er taumelte mit einer blutigen Strieme im Gesicht aus dem Zimmer; reiste am Mittag ab. Schon über eine Woche sah man den Graf nicht; da meldete der Hofmarschall der Königin sein Verschwinden; sie lachte höhnisch; die Dienstboten müßte man noch öfter wechseln. Ob er noch lebe; als der Marschall bejahte, brach sie in ein ganz wildes Gelächter aus: »Sie sehen, Marschall, wie richtig Schiller singt: Oh Königin, das Leben ist doch schön.«
Das schmächtige schwarze Hoffräulein verließ ihr Zimmer nicht mehr. Der gelbe Hofarzt behandelte sie wegen einer plötzlichen Geistesverwirrtheit und ließ sie bewachen. Sie hatte einen Brand auf ihrem Zimmer verursacht, als sie in einer Nacht ihre gesamten schwarzen Kleider mitten auf dem Boden aufhäufte und mit Briefen anzündete. Der Qualm war bis in die Gemächer der Königin gedrungen. Nach einigen Wochen wurde sie klarer, war zum Skelett abgemagert, trug der Königin einen Wunsch auf Heimatsurlaub vor. Zwei Tage später fand man sie ertränkt in dem Teiche ihres väterlichen Gutes.
Aber die wilde Königin und der dicke Prinz gingen stundenlang in dem weiten Park hinter dem Schloß spazieren; der Diener, der ihnen folgte, berichtete nur, daß sie selten miteinander Worte wechselten. Sie nahm jeden Ruf und jede Hoffnung von seinen müden Augen, seinen Mienen ab, sie prägte sich selbst ihm ein mit unverwandten Blicken, senkte ihn vor sich hin zu demütiger Zärtlichkeit. Kein Gebüsch war so still, daß die Wandelnden das Rauschen nicht störte, wenn sie zueinander hinüberlauschten. Als sie eines Abends vom Garten hinauf in das Musikzimmer gingen, schleppte ein langes Geraune über die Korridore vor ihnen her. Wie in Decken gehüllt glitten sie über die Gänge. Vor einem kleinen Kreis drin öffneten sich die Flügeltüren, und herein traten über das spiegelnde Parkett Königin und Prinzgemahl, ohne Masken, wie Gespenster, ähnelnd den entschwundenen beiden, Grafen und Komteß. Aus den Augen der strengen Königin leuchtete die schwarze Wildheit der Toten, über der schwermütigen Ruhe des Prinzen lag ein gebeugtes Leiden. Der glattrasierte Hofprediger seufzte: die beiden trügen offenbar schwer an ihrer Vergangenheit; spitz formte der mongolische Mischling, der Hofarzt, den Mund, legte das Kinn auf das weiße Vorhemd, indem er die beiden fixierte; ihn chokiere weniger die merkwürdige Art, wie das Vergangene an ihnen arbeite, als wie sie die Gegenwart, die augenblickliche Gegenwart vergäßen. Dies chokiere ihn ernstlich des Lebens dieser beiden willen.
Die beiden hatten unablässig nebeneinander zu sitzen, unablässig miteinander zu flüstern. Die Königin zog sich von den notwendigen Regierungsgeschäften zurück; sie übertrug wichtige Funktionen den alten Männern ihres Staatsrates; sie sagte die öffentlichen Empfänge ab, sie erschien nicht bei den Hoftafeln. Eines Morgens stürzte sie in schneeigem Kleid den engen Gang zu seinem Zimmer hin; die schwarze Glut in ihren Augen war verblichen, sie riß mit fahrigen Händen die Türen seines Kostümschrankes auf, wühlte, wühlte am Boden liegend, während er sie tröstete, in den Sachen. Mörderische Griffe ihrer Finger zerfetzten die blonde Perücke, zerknäulten, zerlumpten das fliederduftige Wams. Auf ihrem linken Oberarm hatte sie eine alte tiefe Bißwunde. Sie stand auf, nahm einen blanken Perserdolch von seinem Tisch, schnitt die Narbe aus ihrem Fleisch heraus, stieß das Leinen zurück, mit dem er das spritzende Blut stillen wollte. Sie warf sich in Krämpfen auf den Boden hin, schlug mit den Fäusten gegen ihren Mund, gegen ihre Brust, bettelte: »Du mußt hingehen; du mußt das Kind umbringen. Es ist nicht meines, es ist eine lebendige Lüge. Wenn du es gut mit mir meinst, mußt du das Kind umbringen. Ich kann es nicht.« Dann fuhren sie verzweifelt auf, suchten in den Mienen, tasteten die Gesichter ab. Sein Kopf hing über ihre Schulter, sie weinte ein trostloses: »Du, du.«
In langen Tagen flossen ihre Tränen ab. Als sie wieder den weiten Park hinter dem Schloß gingen, war unvermerkt der bunte Herbst gekommen. Über die Gesichter dieser beiden, der wilden Königin und des schwermütigen Prinzen, hatte sich ein dichter Schleier gelegt. Eine tiefe unnahbare Ruhe schritt wie ein gepanzerter Wächter um sie herum. Sie zogen auf die Jagd, sie schossen die klagenden Rebhühner auf den struppigen Feldern; in Lachen und Glut ritten sie nebeneinander zurück. Aber wer sie im Dunkeln heimreiten sah, erkannte, daß die gleiche Verschlossenheit über ihren Gesichtern hing, wie das glitzernde, spinnwebdünne Gewand, das über die Meerfrauen fließt und mit Anbruch der Nacht phosphoresziert. Zum Erstaunen des Hofes trennten sich die beiden eines Tages. Der Prinzgemahl verschwand, ohne daß jemand wußte wohin. Als er nach drei Tagen zurückkehrte, erklärte er gelassen, daß er eine geheime Sendung der Königin ausgeführt hatte; in den internen Kreisen war man über die Maßen bestürzt und beunruhigt. Ein Gerede erhob sich im Lande.
Bis eines Tages beide völlig des Landes verschwunden waren. Indessen in der Hauptstadt das Militär in den Kasernen blieb, die Polizei fieberhaft arbeitete, der Ministerrat zusammentrat, stieß von der Küste ein Dampfer ab, der seit einer Woche dort geankert hatte. Nur eine kleine Mannschaft grüßte ehrfurchtsvoll die fremde Königin und den Prinzen, die in weiße Mäntel gehüllt, sich auf dem Deck ergingen. Das Schiff fuhr über den Ozean fünf Tage; dann ankerte es vor einer kleinen Insel; ein Boot setzte die fremde Königin und den Prinzen an Land.
Es war eine Insel, an dessen Strand nur arme Fischer wohnten; meilenweit entfernt an der anderen Küste lag ein kleines Dorf. Was sich damals zwischen der jungen Königin und dem schwermütigen Prinzen begab, bei den Fischersleuten auf der kleinen Insel im blauen Ozean, ist schwer mit Worten zu erzählen; daß sie am Fuß der weißen Kalkfelsen saßen, oder weiter zurück unter den hohen Palmbäumen, daß sie sich kaum minutenlang aus den Augen verloren; daß die Königin, blasser und blasser, nur selten schluchzend den Kopf auf ihre Brust fallen ließ, und der Prinz die Hand vor seine Stirn hielt. Die Blicke der Frau wanderten hin und her zwischen dem Meer und seinem Angesicht; wenn er das blaue Wasser nicht sah, wußte er nicht, ob er in ihre Augen oder in sich schaute. So fest sie sich umschlangen, so tief sie sich küßten, die Schwermut der beiden, ihre Angst zueinander, kannte kein Ende.
Die Abendröte lohte über dem glatten Meer. Sie saßen tagelang in ihren weißen Mänteln unter den Felsen. Nur die Hände streichelten sie sich manchmal. Ihre Blicke hingen an dem glitzernden grenzenlosen Wasser. Ihre stillen Gesichter hellten sich auf. Eine unermeßliche Ruhe atmete das Meer, die dehnte sich über die Ufer, nahm den Strand, die Kiesel, Muscheln, Felsen in sich hinein, rührte an die Stirne der beiden.
Bis morgens die gelbe Sonne über den kleinen Strand schien. Da raschelten die Kiesel, klangen die feinen Steinchen. Über den Sand schleppte der Purpurmantel der wilden Königin. Die ging einsam, in voller Pracht, langsam nach dem blauen Meere zu. Auf dem blonden Haar trug sie die goldene Krone. Von den strengen Schultern fiel der Purpurmantel mit breitem Brokat. Ihr schmales Gesicht war glatt und süß. So ging die junge Königin allein über den dünnen Sand in der flimmernden Luft nach dem blauen Meere zu. Zwei graue Seemöven watschelten im Sand hinter ihr; sie folgten der Königin auf Schritt und Tritt.
Von einer weißen Klippe stieg der schwermutige Prinz herab, mit bloßem Haupt, in einem blauen Samtmantel; seine schwarzen Kniehosen waren aus blankem Atlas, silberweiß waren die Schnallen seiner Schuhe. Er trug einen runden hohen Stab in der rechten Hand.
Kaum eine Welle warf der blitzende Ozean, als von der Insel heranschritten die blasse junge Königin und der stille Prinz. Die Wellen schaukelten; mit flachem Handteller strich der Wind über das glückliche Meer. Dicht schossen die Möven über die kühl hauchende Fläche.
Oben auf dem flinkernden Wasser schwammen nebeneinander ein runder Stab und eine goldene Königskrone.