DER VERTAUSCHTE KNECHT

Alfred Döblin

Der junge Graf Bertran vertrieb sich in Abwesenheit seines Vaters auf der Burg Beaucair die Zeit mit Spielleuten, Seiltänzern, Gauklern und anderem fahren-den Volk. Hinter dem Frauenhaus stand eine niedrige Halle mit kleinen Gale-rien, in der er das zweifelhafte Gesindel amüsierte mit Kampfwachteln, flinken kräftigen Tierchen, die sich in der Arena eines roten Holzbottichs anfielen. Die Wartung dieser Vögel unterlag einem Knecht, namens Philipp. Der alte Graf schätzte den dicken zuverlässigen Mann sehr, der jahrzehntelang in seiner un-mittelbaren Umgebung gelebt hatte. Und Bertran, der Sohn, behandelte ihn gut wie alle Leute aus den niederen Ständen; ignorierte Verstöße, die sich Philipp herausnahm im Hinblick auf seine angeblichen Verdienste um die herrschenden Grafen, so als er sich weigerte, die damals beliebten anderen Kampfvögel an-zuschaffen und zu pflegen. Sogar die schlimme Sitte des Philipp, viel von gestohlenem Cypernwein zu trinken, beachtete Bertran nicht.

Dies wurde auch zunächst nicht anders nach der plötzlichen Abreise des re-gierenden Grafen. Die Ringkämpfer, Balanciermeister, Taschenspieler, Rezi-tatoren füllten das Haus Bertrans täglich; elegante Courtisanen wurden mit ih-nen eingeführt und Philipp verfehlte nicht, seine Abneigung gegen diese Ge-sellschaft zu äußern, die sich auf der Burg den Leib vollstopfte, stahl, und offen über Bertran lustig machte. Die Schimpfszenen zwischen ihm und den geschäftskundigen Leuten waren an der Tagesordnung. Es gehörte zu den un-vermeidlichen Späßen für die Besucher, den Neulingen Philipp als ehemaligen Burgvogt vorzustellen, der durch seine Wettleidenschaft bei Wachtelkämpfen sein Vermögen, seinen Rang, und was hinreichend laut gesagt wurde, seinen Verstand verloren hätte.

Einmal führten die Schauspieler nachmittags aus einem Kriegsstück eine Szene auf, in der der Sohn eines regierenden Grafen anscheinend schlafend ei-ner Verschwörung gegen den Vater beiwohnt. Man suchte den Schauspieler, der diese Rolle zu übernehmen pflegte. Über den hinteren Hof in den Schnee-ballgärten laufend sahen zwei der Burschen Philipp vor seinem Wachtelstall schlafen, betrunken, in der Sonne.

Sie hoben ihn, noch zwei hinzurufend, auf, schleppten ihn in die Theater-garderobe, schminkten und putzten ihn, und als die Szene herankam, saß Phi-lipp in dem prächtigsten braunen Pelzrock mit fliegenden Ärmeln auf der Büh-ne; seine schmutzigen Strohsandalen hatte man ihm angelassen, der edelsteinbe-setzte Säbel hing am Silbergehenke über seine Brust; friedlich daneben der zerschlissene Strohhutteller des Tierwärters.

Das so harmlos und spaßhaft begonnene Spiel erhielt durch das ganz außerordentliche Vergnügen, das der vornehme Bertran an dem Anblick nahm, eine erregtere Wendung. Bertran ließ, als Philipp zu rülpsen und erwachen be-gann, das Spiel abbrechen, rief fünf Diener, befahl Philipp zu behandeln als wäre er ein Sohn des regierenden Herrn, man solle ihn rasch von der Bühne herunter in den Saal tragen; er selbst werde die Vorgänge durch einen Seiten-vorhang beobachten.

Die Durchführung des Einfalls wurde im Beginn gehindert durch einen wasserköpfigen Meßdiener. Der klagte, man dürfe nicht Scherze treiben mit der Seele eines Christenmenschen, und suchte Philipp mit seinem dünnen Körper zu decken. Die Gaukler stülpten ihm einen Sack über, rollten ihn auf den Hof.

Leicht gelang dann alles bei dem eitlen, halb schwachsinnigen angetrunke-nen Mann. Nach der ersten Verwunderung wurde mit starkem Realismus von dem Hofmeister Bertrans vorgetragen: Bertran sei in völlige Ungnade beim re-gierenden Herren gefallen; ein Kurier habe aus Toulouse einen gnädigen Brief gebracht, wonach dem alten verdienten Philipp der Rang eines Grafensohnes verliehen und das ehemalige Besitztum Bertrans übertragen sei. Ein Sch-riftstück mit dem hängenden Siegel, das in italienischer Sprache gehalten war, zeigte er dem glotzenden Fettwanst vor, der nicht italienisch lesen konnte und nur den gräflichen Siegel an der Rolle, einem Steuererlaß, erkannte.

Überaus rasch ernüchterte er sich; nahm das Schreiben des gnädigen Herrn mit Ehrfurcht an sich, riß sich den Strohhut ab, schimpfte grob über die unsau-bere oberfächliche Art, mit der man ihn angezogen hatte; wo der Hut mit der Seidenbinde sei, und zeigte sich in seinem Benehmen derart völlig seiner Rolle gewachsen.

Bertran zog sich zurück, sobald er sah, wie rasch sich Philipp in die Situa-tion einlebte, und gab Auftrag, die Täuschung nach Möglichkeit zwei drei Tage durchzuführen. Ihn fesselte die ungewollte Travestie auf sich.

Der Knecht warf den größten Teil der Lumpen und Schauspieler, der Nimmersatts heraus, rieb den vielen Bedienten ihre Unterschlagungen und sons-tige Betrügereien unter die Nase, keifte über die eingerissene Lotterwirtschaft, war besorgt, seinen Stall in gute Hände zu bringen. Er ging in die Backstube, sah dem Werkmeister in den Teig, er zählte das Schlachtvieh, forschte nach den Frohngaben der Bauern.

Der schwachsinnige Mensch zeigte sich in einer bald langweilenden Weise vernünftig, mäklig. Er führte den Namen seines gräflichen Beschützers mit ei-ner peinlichen Häufigkeit im Munde, trug sich damit, einen Besuch bei dem alten Herrn in Toulouse vorzubereiten, um ihn zu trösten über das schimpfliche Verhalten Bertrans, Äußerungen, die Bertran bestimmten, am dritten Tage sei-nen Spielgefährten den Auftrag zur Beendigung der Sache zu geben.

Man wollte nun den Spaß so enden, wie er begonnen hatte, aber dieser Plan scheiterte an der Entschiedenheit, mit der Philipp die Einladung zum Saufgelage ablehnte, sich sogar piquiert fühlte und einem von den Schauspie-lern, der ihm besonders zusetzte, einen derben Backenstreich überzog. Der Geschlagene, in Wut versetzt, fing an auf Philipp zu schimpfen, als wenn er noch Tierwärter wäre, ließ sich durch die Flüsterworte der beiden Kameraden nicht begütigen. Als der Knecht, außer sich, sein Schwert zog, blieb freilich auch diesen beiden nichts weiter übrig, als über ihn herzufallen. Und nun benü-tzten sie die Gelegenheit, um ganze Arbeit zu machen: der feiste Mann wurde halbnackt ausgezogen, zwei Dirnen liefen, hinzu und halfen kreischend und kichernd, den Fettwanst durch den Kot zu rollen. Mit Schmutz beschmiert, verprügelt, warfen sie den Hilflosen auf den Hof vor seinen Stall.

Diese Szene hatte Bertran nicht mit angesehen; er wohnte wieder in seinem Palaste, nachdem er die beiden Tage vorher bei dem Burgvogt logiert hatte, und dachte nicht mehr an den langweiligen Einfall. Gegen Abend öffnete heimlich jemand ohne Anmeldung die Tür seines Zimmer. Im Dunkel schlich etwas Großes über den Teppich und der ganz entstellte Philipp, der alte Tierwärter, flegelte sich, die Arme über sein stinkendes Lumpenkleid, seinen Arbeitskittel verschränkend, vor den Grafen hin, der in eine Ecke gewichen war, aus Angst vor der Berührung. Philipp brach in lautes Höhnen und Lachen aus; also das sei die Ursache! Das verstoßene degradierte Gräflein habe die Abwesenheit seines Vaters benutzt und sich mit Hilfe seiner lausigen Spießgesellen wieder in den Besitz des Hauses gesetzt.

Bertran wehrte ab; er bat Philipp zu gehen; die Gaukler hätten sich einen Spaß mit ihm gemacht, und es sei doch das ganze Grafenspielen nur ein Scherz gewesen.

Das versetzte den Mann in die größte Heiterkeit, die in Wut umschlug; es sei vielmehr ein Übermaß von Frechheit, jetzt die Sache noch damit zu krönen, daß er behauptete, auch das gräfliche Siegel mit der Ernennung sei falsch. Er habe lange genug in Treue, Anhänglichkeit neben dem gnädigen Herrn gelebt, um sein Siegel zu kennen. Was soll denn noch alles falsch sein? Vielleicht, sei er, Philipp, schon gar tot?

Bertran bat ihn wieder, doch zu gehen, er sei mit Cypernwein wie so oft betrunken gelegen, die Urkunde enthielte einen Steuererlaß in italienischer Sprache. Aber Philipp blieb ungerührt, der das alles nur als Ausflüchte ansah, den jungen Grafen ruhig betteln ließ, und ihn angrinste: ob es nicht wahrsche-inlicher sei, daß Bertran degradiert als daß er selbst betrogen sei, er der Günst-ling des gnädigen Herrn, wie der Dummkopf sich in diesen Tagen nannte. Kurz und gut, schloß er violett vor Zorn, Bertran solle keine Umstände machen und seiner Wege gehen.

Als er dabei die Schulter des Herrn berührte, sank dieser halb um und sch-lotterte aus dem Zimmer.

Philipps Freude war kurz; er wurde nach einer Viertelstunde in den Stall gesperrt, erhielt zwanzig Hiebe auf die Hände mit dem Stecken.

Es konnte bei dieser Strafe nicht bleiben. Dem jungen Grafen, der nach di-esem Abend in den entsetzlichsten Zuständen lebte, konnte keiner helfen; nichts beruhigte ihn; der Gedanke, daß der schmutzige Tierwärter ihn angefaßt hatte, brachte ihn fast um.

Dann entwich der Knecht nach einer Woche aus dem Stall. Der rasende, von seinem Recht überzeugte Schwachsinnige wurde noch innerhalb der Burg festgenommen, wo er sich bei dem schmächtigen Meßdiener aufhielt; er wollte wirklich nach Toulouse hin, um seinen alten Herrn aufzuklären.

Der Jungherr raste, weil der Mensch schon unter dem Gesinde von der an-geblichen Degradation Bertrans erzählt hatte, von seiner eigenen Beförderung; diesen Gerüchten mußte Einhalt geboten werden. Es ging nicht an, Philipp da-uernd in seinem Stall festzuhalten. Ehe Bertran in seinen Zweifeln noch zu ei-ner Entscheidung gekommen war, erzwang Philipp selber einen raschen Besch-luß und ein Ende.

Nachdem die Schauspieler ihn in seinem lärmenden übelduftenden Vogels-tall besucht hatten, ihn anflehend, die Verneigungen und Begrüßungen der Wachteln huldvoll anzunehmen und sich in diesem wahrhaft gräflichen Palast bei herrlichem Gesang und Geruch wohlzufühlen, wurde er vor Bertran geführt, der dem gereizten, gehässigen Mann freundlich zuredete, ihm Beloh-nungen versprach. Wie ein Käufer, der merkt, daß er übertölpelt werden soll, schüttelte der giftige Alte schlau seinen kugligen Kopf. Er stellte sich in eine gewisse vornehme Positur, die er dem alten Herrn abgesehen hatte, den Hals eingezogen, das Gesicht in strenge Falten geworfen, die Hände in die Hüften gestützt, einen Fuß vor den andern geschoben, lächelte ab und zu verständnisin-nig. Dieses Benehmen des Mannes vor den Bedienten und Schauspielern ertrug Bertran nicht. Er stampfte mit dem Fuß, drehte sich um, gab einen raschen Befehl. Nach wenigen Stunden, vor Anbruch des Abends, schrillten hohe grau-envolle Töne über die Höfe.

Man hatte Philipp mit Tüchern umhüllt, mit Wachs begossen, wie ein Licht angezündet.

Der Meßdiener, allein mit ihm auf dem Hof, wirbelte die Arme vor dem Balkon, wie ein Wechselbalg anzusehen, einen grauenvollen Fluch schmetternd auf die, die einem Christenmenschen die Seele gestohlen hätten und den Leib als eine Teufelskerze ansteckten. Er sprang tränenüberströmend um die lodern-de Puppe, küßte sie und wurde halb verbrannt mit Zangen von ihr losgerissen.

Der große Bischof von Toulouse erschien nach einer Woche mit fünfhun-dert Mann vor Beaucair; den Meßdiener trug man dem Heere voran. Graf Bert-ran ließ die Fallbrücken herunter, öffnete die Tore der Burg und setzte sich an die Spitze seiner Knechte und der jubilierenden Gauklerbande. In einem bluti-gen Treffen schlug er wider alles Erwarten den Bischof auf der schönen Wiese Langedraine. Er zeigte mit seiner Lanze nach der Bahre, auf der jener ange-sengte Freund Philipps lag; unter Gelächter und kampfberauscht zog man mit ihm zurück auf die Burg. Als der wehleidige bigotte Geselle dort trotzig tat, geiferndes Gerede machte von der sündhaft vertauschten Seele des Knechts, ließ Bertran ihn zunächst in den Wachtelstall einsperren. Am Sonntag wurde dann die Glocke der Kapelle geläutet, aber statt in die Kirche, wie die Strolche unter Grinsen dem Mann versprochen hatten, führten sie ihn in einen runden Käfig, eine Art großen Vogelbauer, der vor der Kapellentür aufgestellt war im Grü-nen. Der Boden des Käfigs war aus Eisen, und wie die Orgelmusik drin anfing zu spielen, tanzte der gläubige Ankläger sonderbar, weil ein paar klingelnde Spielleute ein sanftes Holzfeuer schürten unter seinen Fußsohlen. Da über dem Kopf des Meßners die blanken Knochen des alten Philipp von den Käfigstangen herabhingen, so sah es aus, als ob ein Vogel nach den Knochen schnappte. Am Schluß der Andacht klirrte Graf Bertran waffenstrahlend an der Spitze seiner bunten Spießgesellen her, ließ den Mann fragen, da er sich vor ihm ekelte, ob also dieser betrunkene Philipp mit Recht gegen seine Behandlung protestiert hätte. Auf das bejahende Geschrei zuckte er mit der Achsel und ging weiter. Die Spielleute ließen den Meßner höher hüpfen. Eintönig brüllte der Krüppel seine Flüche, rief den Himmel an zur Bestrafung der teuflischen Sünder. Die Gaukler fiedelten.

Die Rückkehr des alten Grafen machte dem allen ein Ende. Er hatte schon von dem Sieg gehört und freute sich über seinen Sohn. Der alte Philipp tat ihm leid, und als er von dem Getu des Meßners hörte, sah er sich im Vorübergehen den krummen Narren an. Das Hüpfen langweilte ihn, auch das wichtigtuerische Beten des Menschen langweilte ihn, und so ließ er denn die springende Heusch-recke, wie er sich ausdrückte, auf eine neumodische Art mittels Rädern umb-ringen, auch für ein paar Tage in den Käfig hängen zu den andern Knochen. Dem Bischof von Toulouse nahm er noch ein Stück Land weg, das lange strit-tig war, so daß er schließlich meinte, im ganzen bliebe es doch erstaunlich, wie die Wege des Himmels seien. Und es hätte wohl niemand gedacht, wozu letzten Endes der abgelebte schwachsinnige Philipp gut wäre, angesichts der fünfzig Morgen Weideland und dieses reich bestandenen Weinberges.