Die Höhle am Hügel.
Bret Harte
Viertes Kapitel.
»Es können noch nicht die drei Pinien sein!« sagte die Stimme eines Reisenden, welchem man noch die Verschlafenheit anmerkte, »oder wir sind über fünf Meilen hinweggeflogen. Ich sehe keine Lichter, weshalb halten wir an?« Die andern Reisenden fuhren in die Höhe. Einer derselben öffnete ein in seiner Nähe befindliches Fenster, sofort wurde ihm eine doppelläufige Flinte entgegengehalten. Durch die Stille hörte man die energisch protestierende Stimme des Führers.
»Was ist das für ‘ne Sache von euch Kerlen, mich hier drei Meilen von der »Drei-Pinien-Station« anzuhalten? Vierzig Menschen!«
Die Frechheit des Ueberfalls hatte den gewöhnlich verschlossenen und phlegmatischen Führer in eine heftige Aufregung versetzt.
»Eure gedankenvolle Betrachtung macht Euch alle Ehre!« sagte eine Stimme aus dem Dunkel, »und soll Eurem Meister mitgeteilt werden, wir bemerken aber gleichzeitig, daß wir nicht zögern werden, unser Geschäft zu vollenden. Zur selben Zeit werdet Ihr die Sache beschleunigen und damit Euren Reisenden Gelegenheit geben, den Thee auf der nächsten Station einnehmen zu können. Gebt ‘mal den Geldkasten und den Postbeutel herunter. Seid achtsam auf die Blunderbüchse, in der letzten Zeit ging es manchmal unglücklich ab, es könnte leicht einer der Passagiere verwundet werden. Unfälle dieser Art, die die Harmonie und das ganze fröhliche Zusammentreffen zwischen uns zerstören, können nicht sorgfältig genug vermieden werden.«
» By Gosh!« rief ein draußen sitzender Passagier mit lautem Seufzen aus.
»Dank Euch, Sir!« sagte die Stimme sanft, »aber ich habe Euch übersehen, und muß Euch nun bitten, mit den andern herunter zu steigen.«
Die Stimme kam näher und bei dem Schein einer Fackel konnte man bemerken, daß sie einem starken Mann von mittlerer Größe angehörte, dessen Gesicht mit einer schwarzen Maske bedeckt war, die jedoch die untere Hälfte eines weichen bartlosen Gesichtes freiließ. Der Sprecher leitete seine Rede mit dem Gewohnheitshusten der praktischen Redner ein, und indem er sich dem Fenster näherte, begann er in demselben geschäftsmäßigen und rednerischen Stil, von dem der Goldgräber gesprochen hatte:
»Verhältnisse, die stärker sind als wir, zwingen uns, Sie zu bitten, abzusteigen, sich an einer Seite im Bogen aufzustellen und Ihre Hände aufzuhalten. Gentlemen, Sie werden diese Stellung nicht unangenehm finden im Vergleich zu der gedrängten im Wagen, während der Wechsel von seiner dumpfen Luft mit der frischen angenehmen Nachtluft der Sierra erfrischend wirkt. Auch sind wir in den Stand gesetzt, Sie von solchen sogenannten Wertsachen und Schätzen, Goldstaub und Gold zu befreien, die oft in schlechten Händen Verderben anrichten, und die, wie die höchsten Lehren der Moral einstimmig verkünden, die Wurzel alles Uebels sind. Ich vergesse nicht, Gentlemen, Sie darauf aufmerksam zu machen, daß Geschwindigkeit die Sache nur fördern wird, und daß vergebliche Gespräche sie unnötig in die Länge ziehen.«
Er zog sich bedächtig zurück und ließ die Mündungen der Gewehre seiner Gefährten auf die Passagiere richten. Im Vergleich mit deren Erstaunen, Bestürzung und Verwirrung schien die angewandte Frechheit und die Darstellung eines humoristischen Beigeschmacks nicht zu entbehren, und ein oder zwei Reisende lachten hysterisch, als sie bereitwillig den Wagen verließen.
Zwei Masken führten die Reisenden in die Nähe des Lichts, und der Sprecher fuhr fort:
»Es muß konstatiert werden, daß viele sehr beschäftigte Reisende, anstatt ihr Eigentum dem eingesetzten Expreß-Agenten in Verwahrung zu geben, es vorziehen, es bei sich zu behalten, ein Gebrauch, der, ohne die Sicherheit der Gegenstände zu erhöhen, eine Ungerechtigkeit gegen die Expreß-Company ist und derselben Schaden zufügt. Diese üble Angewohnheit wünschen wir zu beseitigen, wohingegen wir Gegenstände für den gewöhnlichen persönlichen Gebrauch, als da sind einfache Schmucksachen und Uhren nicht nehmen, und unser Recht auf Einziehung auf Diamanten und nutzlose goldene Uhrketten beschränken.«
Die Plünderung war beinahe vorbei, doch schien der Redner sich auf einen wirksameren Eingriff vorzubereiten. Nachdem er sich geräuspert hatte und einige Schritte auf die ungeduldigen Reisenden zugegangen war, betrachtete er sie ernst. Dann sagte er mit festem Ton, der ein Gemisch von Schmerz und Entschuldigung zeigte, langsam:
»Wir haben sonst keine weiteren Wünsche, aber wir müssen, zu unserm größten Bedauern von einigen unserer gewöhnlichsten Regeln Abstand nehmen. Wir kümmern uns sonst nicht um den Anzug, den unsere hochgeehrten Klienten tragen, aber der Akt der Menschlichkeit gebietet uns, jenen Herrn dort auf der äußersten Linken um seine Stiefel zu bitten, die ihm großen Schmerz bereiten und ihm die ungehinderte Bewegung erschweren. Auch müssen wir von der Regel Abstand nehmen, daß die Reisenden während der Untersuchung die Hände hoch halten, wir machen diese Ausnahme zu Gunsten des Herrn neben dem an der äußersten Linken und gestatten ihm, uns den allzu schweren Halfter zu übergeben, der ihm auf die Hüften drückt. Gentlemen!« sagte der Redner mit erhobener Stimme und einer beschwichtigenden Gebärde, »Sie brauchen nicht zu erschrecken. Die unschuldige Bewegung unseres Freundes wird nicht gemacht, um den Revolver zu ziehen – denn es ist keiner drin!« Er hielt inne, während seine Gefährten schnell die Stiefel des Farmers und den Halfter des Goldgräbers in Empfang nahmen, und sich dann dem Wagen näherten, in welchem nur die Dame verblieben war, die gerade und starr in ihrer Ecke saß.
»Und nun,« sagte er in scheinbarer Unschlüssigkeit, »kommen wir zu der letzten und für uns peinlichsten Abweichung von unseren Gesetzen. Zu jenen leider seltenen Zeiten, da wir mit der Gegenwart des schönen Geschlechts beehrt werden, ist es für uns feststehende Regel, Damen nicht nur im unbeschränkten Besitz ihrer Kostbarkeiten, sondern auch ihres Privateigentums zu belassen. Mit tiefem Schmerz muß ich mitteilen, daß wir heute zu einer Ausnahme gezwungen sind. Denn im gegenwärtigen Fall hat die Dame in der Großmut ihres Herzens und der Unerfahrenheit ihres Geschlechts sich nicht nur mit dem Gewicht, sondern auch mit der Verantwortlichkeit für das Gepäck eines Reisenden belastet. Wir fühlen und wir glauben, Gentlemen, daß die meisten von Ihnen mit uns darin übereinstimmen, daß eine solche Ueberschreitung der Immunität einer Dame nicht gestattet werden darf. In Ihrem eigenen Interesse, madam, sind wir verpflichtet, Sie um Ihren Ranzen zu bitten, der unter Ihrem Sitz liegt. Er wird Ihnen wieder zugestellt werden, wenn wir ihn untersucht haben.«
»Einen Augenblick!« sagte der Advokat niedergeschlagen, »hier ist ein Mann, welchen Ihr verschont habt, ein Mann, der zuletzt zu uns kam. Ist jener Mann,« sich zu dem erstaunten Key wendend, »einer von Euren Verbündeten?«
»Jener Mann,« sagte der Sprecher lachend, »ist der Besitzer der Sylvian Hollow Mine. Wir haben ihn verschont, weil wir ihm einige Genugthuung schuldig sind für die Störung in jener Nacht, als der Sheriff uns suchte.« Er schwieg, und fügte nach einer Pause in gänzlich veränderter Stimme und vollständig anderer Weise rauh hinzu: »Nun hinein alle, schnell! Und Ihr – Sir,« zu Mr. Key, »ich rate Euch, wegzureiten. Und nun, Führer, fahrt drauf los, was das Zeug halten will, wenn Ihr das Signal hört, oder – bei Gott – Ihr werdet sehen, was folgt.« Er trat zurück und schien in der nächsten Minute in der Dunkelheit aufgeflogen zu sein, aber in dem Licht der Fackeln sah man die Gewehrläufe, die wieder auf den Kutscher gerichtet waren.
Einen Augenblick hörte man aus dem Innern des Wagens ein Stimmengewirr, aber der Ruf: »Ruhe!« aus der Dunkelheit machte alle verstummen.
Bange Minuten folgten, alle waren atemlos. Dann klang ein deutlicher Pfiff aus einiger Entfernung an das Ohr der Reisenden, das Licht erlosch plötzlich, die Gewehrläufe verschwanden. Der Kutscher ließ die Peitsche auf den Rücken der Pferde niederfallen, und der Wagen flog vorwärts. Der Stoß warf Key fast hinab, aber im nächsten Augenblick war es noch schwerer, sich zu halten, da die Eile geradezu rasend wurde. Wieder und wieder fiel die Peitsche auf die ermatteten Tiere nieder. Aus dem Innern kamen energische Protestrufe und Angstschreie, aber der Kutscher achtete nicht darauf. Ein Fenster wurde heruntergelassen und die Stimme des Rechtsanwaltes rief: »Weshalb das? Wir werden nicht verfolgt! Ihr gefährdet unser Leben durch diese wahnsinnige Schnelligkeit.« Der Kutscher antwortete nur: »Will nicht einer diesen verd – Narren erdrosseln?« und jagte unbekümmert weiter. Die Bäume an der Seite tauchten auf und verschwanden, ohne Zügel schossen die Pferde dahin und der Wagen folgte mit lawinenartiger Schnelligkeit. Bald war die Drei-Pinien-Station erreicht. Hier brach der Kutscher in ein solch gellendes Geschrei aus, als wolle er die Schnelligkeit der Tiere übertreffen. Lichter erschienen, und vom äußersten Ende der Ansiedlung kamen Leute, die mit verwunderten Gesichtern auf den Kutscher, den Wagen und die Fahrgäste blickten.
»Wir sind auf offener Straße aufgehalten worden,« sagte der Führer, »keine drei Meilen von dem Ort entfernt, an welchem ihr gähnend sitzt. Vorwärts, ehe sie ganz in den Büschen verschwinden.« Nach diesen Worten, die er sich zu sagen verpflichtet fühlte, und mit welchen er alle Verantwortlichkeit seinen feigen Mitangestellten überließ, verfiel er wieder in seinen gewöhnlichen Stumpfsinn, und fuhr ruhiger an die Station heran, wo er seine zerschlagenen Passagiere absetzte. Key konnte bemerken, daß weder des letzten »Redners« Vorschlag zur Wiedererlangung der geraubten Gegenstände, noch die Bestärkung seiner eigenen Ehrenhaftigkeit die Reisenden beruhigte. Ihn belästigte die Sache, aber gleichfalls war er ein wenig gekränkt, daß die schöne Unbekannte so wenig Teilnahme zeigte, und seine erste Höflichkeit machte einer kühlen Gleichgültigkeit Platz. Alle vorher gefaßten Meinungen und Gedanken lebten bei ihm wieder auf. Hatte der Redner der Räuber durch die Entdeckung der Sachen nur seinen Scharfsinn bewiesen? Oder waren ihm die Geheimnisse der Fahrgäste verraten worden? War es möglich, daß sie während sie im Wagen saß, sich mit den Räubern in Verbindung gesetzt hatte? Plötzlich fiel ihm ein, daß sie das Fenster geöffnet hatte. Da konnte sie leicht ein Zeichen gegeben haben. War dies der Fall, so war sie nur eine Gehilfin der Räuber, und zu ihrer eigenen Sicherheit mußte sie den Verdacht auf jemand anders zu lenken suchen.
Sein sterbendes Interesse belebte sich aufs neue, und wenn es vor einigen Augenblicken in seiner Absicht gelegen hatte, nach der Station zurückzukehren, so beschloß er nun, der Dame bis ans Ende zu folgen. Einen Moment dachte er daran, Wiedervergeltung zu üben und den Verdacht auf sie zu lenken, er verwarf aber diesen Gedanken.
Als der Wagen wieder abfuhr, nahm er einen Deckplatz und blieb hier, bis man Jamestown erreicht hatte. Hier stieg eine Anzahl der zerschundenen Gefährten ab, um auf ein Zusammentreffen mit ihren Freunden zu warten. Die ihm widerfahrene Schonung, die seine Reisegefährten aufgebracht hatte, gestattete ihm, ohne eine volle Börse weiter zu reisen. Er war zufrieden, vom Deckplatz aus dann und wann einen bescheidenen Blick auf die Dame werfen zu können.
Bei der Ankunft in Stockton wurde diese Beobachtung schwieriger. Hier war der Ort, wo sich die Wege trennten, man konnte mit der Eisenbahn oder dem Dampfboot weiter reisen. Wenn er glücklich genug war zu erfahren, welchen Weg die Dame einschlug, würde doch seine Gegenwart hervorgetreten sein und ihren Verdacht erregt haben. Aber wieder trat ein Umstand ein, den er als Vorsehung bezeichnete, der ihn unterstützte. Als das Gepäck heruntergebracht wurde, hörte er, wie der Agent zum Gepäckträger sagte, das Luggage der Dame nach San Louis zu expedieren. Es gab zwei Wege nach San Louis, der eine benützte die Straße, der andere Eisenbahn und Dampfschiff über San Francisco. Wenn sie diesen Weg benützte, war für Key weniger Gefahr, entdeckt zu werden, wählte sie aber den Landweg, so erreichte er auf dem andern Wege San Louis eine Stunde früher. Er beschloß deshalb, den Weg mit dem Dampfboot zu wählen. Eine genaue Beobachtung vom Fenster des Warteraums aus sagte ihm, daß sie die Reise mit der Postkutsche vorgezogen hatte. Es lag freilich die Gefahr vor, daß sie ihm auf diesem Wege entfliehen könnte. Aber eine reifliche Ueberlegung, die ihn beeinflußte – nach seiner gewöhnlichen, romantischen, abergläubischen Mode – veranlaßte ihn zu diesem Schritt. Er war augenblicklich bewegt, als er hörte, daß San Louis die Bestimmung der Dame sein würde, denn es war seiner Meinung nach der unangemessenste und unverträglichste Zufluchtsort, den sie wählen konnte. Er bot keine günstige Gelegenheit zum »Verschärfen« der Beute oder für die Verbindung mit der Bande. Es war weniger eine sichere als eine bevölkerte Stadt. Er kannte sie sehr gut, es war die Amme seiner Romantik gewesen, denn hier hatte er die ruhigsten Jahre seiner Jugend verlebt, und die breiten Doppelstraßen von alten Bäumen, welche die Alameda mit dem Kloster Santa Luisa verbanden, waren seine besten Jugenderinnerungen. Es belustigte ihn, daß die Ironie des Schicksals ihn in seiner reiferen Männlichkeit in einer solchen närrischen Angelegenheit an diesen Ort zurückbrachte, von der er mehr angegriffen wurde, als er selbst glaubte.
Er war in größter Sorge über den Ausgang seines Abenteuers, daß er sofort nach seiner Ankunft von einem Balkon des Hotels San José auf die Ankunft der Postkutsche wartete. Sein Herz schlug schneller, als er den Wagen erblickte. Sie war da! Als sie ausstieg, bemerkte er an ihrer Seite den geheimnisvollen Reiter von der Landstraße. Key konnte sich nicht irren, denn wenn auch die Kleidung eine andere war, die wohlgebaute Gestalt war dieselbe. In das Erstaunen dieser Entdeckung mischte sich eine Befriedigung über seinen Entschluß, nicht auch den Wagen benutzt zu haben. Seine Gegenwart würde ohne Zweifel den Fremden gewarnt haben. Es war möglich, daß ihr Gefährte durch Extrapost ihr gefolgt und mit ihr in Stockton zusammengetroffen war. Aber zu welchem Zweck? Der Koffer der Dame konnte doch unmöglich Beute enthalten haben, die in dieser vergessenen Stadt untergebracht werden sollte.
Das Fremdenbuch des Hotels wies nur den einfachen Namen Mrs. Barker aus Stockton auf, gab aber keine Auskunft über ihren Gefährten, der ebenso geheimnisvoll verschwunden zu sein schien, wie er gekommen war. Er wußte nur, daß sie ein Zimmer in demselben Stockwerk wie er erhalten hatte, und daß sie sehr wahrscheinlich während des Restes des Tages bleiben würde. Niemand sonst schien sie zu kennen. Key fühlte beinahe das Bedürfnis, die Dienerschaft nach der geheimnisvollen Fremden auszufragen, verwarf aber diesen Plan wieder. Als er einmal bei ihrer Thür vorbeiging, hörte er solch unschuldiges und herzliches Lachen, das so im Gegensatz zum Ernst der Situation und seinen eigenen Gedanken zu stehen schien, daß es ihn befremdete. Aber er wurde noch mehr gestört durch ein späteres Ereignis. Da er seine Nachbarin scharf überwachen wollte, mußte er auch auf seine eigene Sicherheit sehr bedacht sein, deshalb hatte er nicht nur nicht seinen Namen eingetragen, sondern auch den Wirt, den er kannte, um Bewahrung seines Geheimnisses gebeten. Aber am Morgen nach seiner Ankunft, als der Hausknecht auf sein Läuten nicht sofort erschien, vergaß er sich soweit, an das Treppenhaus zu gehen, das in der Nähe des Zimmers der Dame lag, und rief über die Brüstung nach dem Diener. Als er noch über das Geländer lehnte, hörte er das Knarren einer Thür, er fühlte sich beobachtet, und dies veranlaßte ihn, sich langsam umzuwenden. Aber in diesem Augenblick wurde die Thür geschlossen und er hörte nur noch das Rauschen eines Kleides. Nun erst kam ihm seine thörichte Handlungsweise zum Bewußtsein – aber es war zu spät. Hatte der geheimnisvolle Flüchtling ihn erkannt? Vielleicht nicht, denn ihre Augen hatten sich nicht begegnet und sein Gesicht war abgewendet gewesen.
Er veränderte seine Spionage durch allerlei List, deren Anwendung ihm durch seine Kenntnis der alten Stadt leicht gemacht wurde. Er bewachte den Ausgang des Hotels, selbst ungesehen von dem Fenster eines gegenüberliegenden Billardsaales, wo er früher verkehrt hatte. Doch war er erstaunt, als er an demselben Nachmittage, während er in seinem sicheren Versteck wartete, sie das Hotel wieder betreten sah, da er doch sicher glaubte, sie erst vor wenigen Augenblicken verlassen zu haben. Hatte sie einen andern Ausgang benützt, oder war sie verkleidet gewesen? Aber als er am Abend in sein Zimmer eintrat, war er durch einen Vorfall verwirrt, der ihn von der Identität der Dame zu überzeugen schien, obgleich der Schluß etwas kühn war. Auf seinem Bette lagen einige Blätter einer wohlriechenden Blume, die nur in den Sierras bekannt war. Sie waren mit einem schmalen blauen Band zusammengebunden und waren augenscheinlich hingelegt, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Als er sie in seine Hand nahm, fiel ihm der eigenartige Duft auf, der in der Höhle am Hügel seine Aufmerksamkeit erregt hatte, und es kam wie Erleuchtung über ihn. Er läutete dem Zimmermädchen, es wußte von nichts, auch nicht von jemandem, der das Zimmer betreten hatte. Er ging in den Saal; Mrs. Barkers Thür stand offen – das Zimmer war leer. Die Bewohnerin, sagte das Mädchen, sei am Nachmittage fortgezogen. Nun hielt er den Beweis ihrer Identität in der Hand, sie selbst war verschwunden. Daß sie ihn erkannt hatte, unterlag keinem Zweifel; hatte sie die wirkliche Absicht seiner Verfolgung erkannt und glaubte sich nun vor ihm sicher, oder hatte sie seine Anwesenheit nur als eine sentimentale Galanterie gegen sie aufgefaßt? Auf jeden Fall war er der Dupierte. Er wußte nicht, ob er gekränkt oder ärgerlich sein sollte.
Nichtsdestoweniger verbrachte er den Rest des Zwielichts mit fruchtlosem Wandern durch eine der langen Straßen der Stadt, bis er in die Nähe der Alameda und der sie mit Santa Luisa verbindenden Allee kam. Nach und nach war seine Enttäuschung und sein Aerger vergessen durch die Gedanken an die daselbst verlebten schönen Tage. Der Mond war langsam aufgegangen und goß sein Silberlicht auf den Fahrweg zwischen den herrlichen alten Bäumen. Das leise Klingeln der Glocke eines Pferdebahnwagens rief ihn aus seinen Träumen in die Wirklichkeit zurück. Der Wagen kam näher, überholte ihn und fuhr vorbei, beim Schein der hellerleuchteten Fenster sah er das Profil derjenigen, die er für immer verloren glaubte.
Er hielt einen Augenblick an, nicht um seine Zeit einzuteilen, sondern um einen grimmen Entschluß zu fassen, daß sie ihm nicht entfliehen könne. Der Wagen fuhr langsam, nun war es leicht, ihn einzuholen. Er beschleunigte seine Schritte – eine Dame stieg aus, sie war es! Sie ging in eine Querstraße, die von den Schatten einer vorstädtischen Häuserreihe verdunkelt wurde, und er folgte hastig. Er war entschlossen, ihr Geheimnis zu entdecken, und sie sogar, wenn es nötig sein sollte, zu diesem Zweck anzureden. Er war sich vollständig klar über das, was er zu thun im Begriff war, er hatte alle Folgen wohl erwogen; er kannte die Kühnheit des Unterfangens, aber er fühlte in der Tasche an seiner linken Seite den Zweig, der eine Entschuldigung für ihn bildete; er kannte die Gefahr, der Vertrauten von Straßenräubern zu folgen, aber er unternahm es. Er näherte sich dem Kloster und dem ältesten und zerfallensten Teile der Stadt. Als die Straße rauh und uneben wurde und die düsteren Umrisse der sich beugenden Dächer sich über den lauernden Schatten der zerstörten Thorwege emporstreckten, war er auf das Schlimmste gefaßt. Als die zerfallene, aber noch massive Mauer in Sicht kam, wandte sich die Figur, der er folgte, in den Schatten derselben. Er beschleunigte seine Schritte, damit sie ihm nicht wieder entfliehe. Da blieb sie stehen und verharrte bewegungslos. Auch er stand still. In demselben Moment war sie verschwunden.
Er rannte schnell vorwärts zu der Stelle, wo sie gestanden hatte und befand sich vor einem großen eisernen Thor mit einem kleineren in der Mitte, das sich just in seinen rostigen Angeln bewegt hatte. Er rieb seine Augen – der Platz, das Thor, die Mauer, alle waren ihm sehr bekannt. Dann ging er zum Straßeneingang zurück. Er hatte sich nicht geirrt: er stand vor der Wohnung des Pförtners am Kloster zum »heiligen Herzen«.