Die Höhle am Hügel.
Bret Harte
Fünftes Kapitel
Der Tag, der dem Postkutschenraub folgte, fand Collinson wie gewöhnlich in seiner Abgeschiedenheit. Keine Kunde von den Ereignissen des gestrigen Abends war zu ihm gedrungen. In gewohnter Weise verging ihm der Tag. Gegen Abend erhob sich der Wind – zuerst ein leises Murmeln auf der Hügelseite, dann stärker und immer stärker, gefolgt von dem eigentümlichen Geräusch, das vor wenigen Wochen Onkel Dick und seine Gefährten vor die Thür getrieben hatte. Aber ihn störte dies nicht, er fiel in tiefen Schlaf.
Ungefähr um Mitternacht erwachte er durch ein neues heftiges Geräusch, das die Straße herunter zu kommen schien. Nie zuvor hatte er etwas ähnliches gehört, aber er glaubte, es sei dieselbe Erscheinung, die er schon so oft bemerkt hatte, deshalb wandte er sich um, weiter zu schlafen. Aber die Thür wurde eingeschlagen, und vor ihm stand eine Gestalt, die eine geladene Flinte an seinen Kopf hielt.
Er sprang seitwärts, um sein Gewehr zu ergreifen, das am Herd stand. Aber die Flinte wurde von einem zweiten Mann nach oben geschlagen, und der einzige Schuß ging unschädlich in das Dach. Seine Arme wurden ihm auf den Rücken gelegt, und durch den Rauch sah er, daß der Raum von maskierten und bewaffneten Menschen angefüllt war. Im nächsten Augenblick waren ihm Handfesseln angelegt und er in den leeren Armstuhl geworfen. Auf ein Signal verließen drei Männer das Zimmer, und er konnte hören, wie sie die andern Räumlichkeiten durchsuchten. Zwei von den Männern, die neben ihm gestanden hatten, gingen mit einer gewissen Disziplin auf einen Mann zu, der soeben zur Thür eingetreten war. Er ging an die Schenke, füllte ein Glas mit Whisky und trank es langsam aus; stellte sich dann Collinson gegenüber und lehnte seine Schultern gegen den Schornstein, während seine Hand sich leicht auf seine Hüfte stützte. Wäre Collinson ein Beobachter gewesen, so hätte er bemerkt, daß die beiden Männer ihre Augen hoben und ihre Füße ungeduldig bewegten. Hätte er an dem Postkutschenüberfall passiven Anteil genommen, so würde er in dem einen Mann mit dem weichen Gesicht sofort den »Redner« wieder erkannt haben. Aber so starrte er auf ihn nur mit seiner unerschöpflichen Geduld.
»Wir bedauern außerordentlich, einem Gentleman gegenüber in seinem eigenen Hause Gewalt angewendet zu haben,« begann der Redner sanft, »aber wir halten es für unsere Pflicht, damit sich der unglückliche Vorfall nicht wieder ereignen kann, der bei unserm Eintritt stattfand. Wir wünschen, daß Ihr einige Fragen beantwortet, und sind sehr dankbar, wenn Ihr die Güte habt, welches vor einigen Augenblicken noch nicht der Fall zu sein schien.« Er hielt an, hustete und lehnte sich gegen den Schornstein zurück. »Wie viele Personen wohnen hier noch bei Euch?«
»Keine!« sagte Collinson.
Der Frager sah auf die andern Männer, die soeben wieder eingetreten waren. Sie nickten zustimmend. »Gut,« sagte er, »Ihr spracht die Wahrheit. Eine gute Angewohnheit, erleichtert die Arbeit. Ist hier irgend ein Raum mit einer Thür, die schließt? Eure Hausthür thut’s nicht.«
»Nein!«
»Kein Keller oder sonst etwas?«
»Nein!«
»Das bedauern wir; es entspricht durchaus nicht unseren Wünschen, Euch gebunden zu lassen, wie Ihr augenblicklich seid. Die Sache ist einfach die: Umstände sehr dringender Art veranlassen uns, von diesem Hause auf einige Tage, vielleicht für längere Zeit Besitz zu ergreifen. Wir respektieren die heiligen Gesetze der Gastfreundschaft zu sehr, um Euch einfach an die frische Luft zu setzen. Wir müssen Euch deshalb als Gefangenen behandeln, aber wir machen Euch einen Vorschlag. Es ist dieser: wir zahlen Euch 500 Dollars für das Besitztum, so wie es hier steht, vorausgesetzt, daß Ihr es verlaßt und morgen früh einen Gepäckzug durch Thompsons Paß begleitet. Ihr verpflichtet Euch, den Staat auf drei Monate zu verlassen und diese Sache geheim zu halten. Drei von diesen Männern werden mit Euch gehen. Sie werden Euch an Eure Pflicht erinnern, ihre Gewehre werden jede Abweichung von derselben verhindern. Was sagt Ihr dazu?«
»Wer spricht eigentlich mit mir?« sagte Collinson mit matter Stimme.
»Ihr erinnert uns,« sagte der Redner anklagend, »daß wir noch nicht das Vergnügen haben, einander zu kennen.«
»Mein Name ist Seth Collinson.
Totenstille herrschte im Zimmer, jedes Auge war auf die beiden Männer gerichtet. Des Redners Lächeln erstarrte.
»Woher?« fragte er sanft.
»Missouri!«
»Das ist ein sehr guter Platz, um dorthin zurückzukehren durch – Thompsons Paß. Aber Ihr habt unsern Vorschlag noch nicht beantwortet!«
»Ich beabsichtige mein Haus weder zu verkaufen, noch es zu verlassen,« sagte Collinson einfach.
»Ihr wollt uns doch nicht das Glück bedauern lassen, daß Euch vorhin kein Unfall betroffen hat, Mr. Collinson,« sagte der Redner lächelnd. »Darf ich fragen, weshalb Ihr nicht verkaufen wollt?«
»Das Haus gehört mir nicht,« sagte Collinson. »Ich baute es für mein Weib, das ich in Missouri ließ. Es ist ihr’s. Ich behalte es und lebe darin, bis es kommt! Wenn ich Euch sage, daß meine Frau tot ist, werdet Ihr ermessen können, welche Aussichten Ihr auf seinen Besitz habt!«
Eine plötzliche Stille trat ein, so tief, daß man das Stöhnen des Windes deutlich hören konnte. Ein wohlgebauter Mann mit einer Maske, die kaum seinen starken Schnurrbart verdeckte, der bisher in halb höhnischer Geduld hinter dem Redner gestanden hatte, machte plötzlich einen Schritt vorwärts, als ob er zwischen Frager und Befragten treten wollte. Eine Stimme aus der Ecke rief »Bei –«
»Ruhe!« sagte der Redner scharf. Dann wandte er sich noch heftiger an die andern. »Nehmt ihn, bringt ihn hinaus und stellt eine Wache neben ihn. Und dann alle hinaus!«
Der Gefangene wurde hinausgebracht, im nächsten Augenblick war das Zimmer leer. Nur der Redner und der Mann, der vorwärts gegangen war, blieben zurück. Gleichzeitig nahmen sie die Masken vom Gesicht und standen einander gegenüber. Des Redners Gesicht war weich, die vollen, sinnlichen Lippen umspielte Humor; der Mann, der ihm gegenüber stand, schien physisch und moralisch sein Vorgesetzter zu sein. Er warf einen raschen Blick umher, um sich zu versichern, daß sie allein seien, dann zog er seine Augbrauen hoch, als er an den Schornstein zurückging und sagte:
»Verd–, wenn ich dies liebe, Chivers! Es ist Eure Angelegenheit, aber eine ziemlich schmutzige für einen Mann.«
»Ihr hättet es leichter gehabt, wenn Ihr nicht Brycés Flinte in die Höhe geschlagen hättet. Das würde die Sache beendet haben, obschon ich nicht vermutete, daß der Hund ihr Mann ist,« sagte Chivers hitzig.
»Wenn Ihr wünschtet, daß die Sache diesen Verlauf nimmt, ist es noch Zeit!« entgegnete der andere mit einem leichten Hohngelächter. »Ihr braucht ihm nur zu sagen, daß Ihr der Mann seid, der mit seiner Frau durchging, dann werdet Ihr seine Meinung kennen lernen. In der That,« fügte er mit tieferem Hohngelächter hinzu, »das ist’s, glaube ich, was unsere Burschen erwarten.«
»Danke Euch, Mr. Jack Riggs,« sagte Chivers sarkastisch. »Ich glaube, es ist noch andern Leuten angenehm so kurz vor der Verteilung der Beute, wenn ich durch einen Büchsenschuß niedergestreckt würde. Aber ich betrachte es nicht in diesem Sinne, weder als Mann, noch als Euer Teilhaber. Ich glaube nicht, daß Ihr mich ganz versteht, mein teurer Jack. Wenn Ihr den Mann nicht schätzt, der in ganz Kalifornien als der Führer dieser Bande gilt, den Mann, dessen Stil und Rede sie volkstümlich gemacht hat – ja, volkstümlich, bei Gott, für jeden, Mann, Frau und Kind, die je von ihm hörten; von dessen Thaten und Reden die Zeitungen reden, zu dem Leute meilenweit laufen, um ihn zu sehen – wenn Ihr den Nutzen eines solchen Mannes nicht seht, ich sehe ihn. Ueber unsern letzten Raub finden sich im »Sacramento Union« 1½ Spalten, ich werde der ›Claude Duval‹ der Sierras genannt; von meiner Höflichkeit gegen Damen wird gesprochen! Eine Dame! sein Weib! Bei Jingo – unsere Verbündete. Mein teurer Jack, Ihr scheint nicht nur keine Ahnung vom Geschäft zu haben, sondern auch von Humor nichts wissen zu wollen.«
Ueber allem cynischen Leichtsinn war eine unverkennbare, sogar klägliche Eitelkeit in seiner Stimme und eine Selbstzufriedenheit, die seine breiten Wangen überzog und seinen vollen Mund verzog, aber das Stirnrunzeln auf Riggs Gesicht vertiefte.
»Ihr wißt, das Weib haßt es und würde damit herausplatzen,« sagte Riggs eifrig. »Bedenkt, was sie thun würde, wenn sie wüßte, daß ihr Mann hier ist. Ich sage Euch, sie hält unser Leben in ihrer Hand.«
»Das ist Euer Fehler, Mr. Jack Riggs, Ihr brachtet Eure Schwester mit ihrer klösterlichen Unschuld und Einfachheit in unsere Hütte in der Höhle. Sie war vorher freundlich genug. Aber dies ist reiner Unsinn. Ich habe keine Furcht vor ihr. Die Frau lebt nicht, die nicht zu Godfrey Chivers zurückkehren würde. Außerdem ging sie nur, um Eure Schwester im Kloster zu sehen. Denkt an ihre Reise mit dem verd – Advokaten, den ganzen Weg bis Stockton und seine Staatspapiere, der die ganze Zeit neben ihr saß, mit ihr plauderte und ihr den Brief gab, den sie für ihn auf die Post bringen sollte! Wir haben Zeit genug, ihren Mann an die Seite zu bringen, ehe sie zurückkommt. Wenn er nicht freiwillig geht – gut –«
»Nichts davon, Chivers, Ihr versteht, einer für alle!« unterbrach Riggs bestimmt. »Wenn Ihr nicht einseht, daß Eure Art, den Mann jener Frau beiseite zu schaffen, uns unsern guten Namen nehmen würde, von dem Ihr soviel Aufhebens macht, und jeden Menschen gegen uns aufbringen müßte, ich sehe es ein; ich gestatte es deshalb nicht. Es ist schon ein schlechtes Geschäft, daß wir auf diese Weise hier eingedrungen sind, und wenn es nicht der einzige sichere Ort wäre, an dem wir unsere Beute ungestört teilen können, ich würde sofort von hier gehen.«
»Dann laßt sie im Kloster bleiben,« sagte Chivers rauh. »Sie wird sich freuen, mit Eurer Schwester zusammen sein zu können, und dort kommt sie mit niemandem in Berührung.«
»Aber ich wünsche dem Verhältnis ein Ende zu machen!« entgegnete Riggs scharf. »Ich liebe es nicht, daß meine Schwester länger unter dem Einfluß unserer Verbündeten oder Eurer Herrin steht. Nichts mehr davon – habt Ihr mich verstanden?«
Die beiden Männer standen Seite an Seite am Schornstein. Nun warf Chivers einen Blick auf das Gesicht seines Gefährten und ein tückisches Lächeln umspielte seine Mundwinkel.
»Ich glaube Euch zu verstehen, Mr. Jack Riggs oder – bitte um Entschuldigung – Rivers oder wie Euer wirklicher Name sein mag,« begann er langsam. »Lady Collinson, die Herrin von Judge Godfrey Chivers, früher in Kentucky, war gut genug zu Eurer Gesellschaft, als Ihr eines Tages in unser kleines Haus in der Höhle kamt. Wir lebten dort ein stilles, friedliches Leben, war’s nicht so? verborgen vor dem kritischen Auge der menschlichen Gesellschaft und vor Collinson; wir gehorchten nur der Stimme der Natur und den kleinen Vögeln. Es war eine glückliche Zeit,« fuhr er mit erregter Stimme fort, ohne sich um die ungeduldige Miene seines Gefährten zu bekümmern. »Ihr wart damals jung, wagtet den Kampf gegen die Gesellschaft, und frisch – ungewöhnlich frisch will ich sagen – von Eurer ersten Heldenthat. Es war eine sehr dumme, plumpe Heldenthat, Mr. Riggs, wenn Ihr mir meine Freiheit verzeiht. Ihr wünschtet Geld und wart in schlechter Laune. Ihr hattet beides im Spiel verloren, deshalb beraubtet Ihr die Postkutsche, und tötetet zwei Menschen, um Eure lumpigen tausend Dollars wieder zu erhalten. Ihr erschrecktet eine vollbesetzte Postkutsche und ließet doch den Geldkasten von Wells, Fargo und Co. mit 5000 Dollars entschlüpfen. Es war ein dummer, ein grausamer Akt, Mr. Riggs, und ich glaube, ich habe es Euch auch damals gesagt. Die That machte Euch nicht zum Helden, sondern zum Verbannten. Ich glaube, ich hielt Euch dies vor und zeigte Euch auch gleichzeitig, wie Ihr es hättet machen müssen.«
»Hört auf damit!« unterbrach Riggs ungeduldig, »Ihr botet mir an, mein Teilhaber zu werden, und Ihr wurdet es auch.«
»Bitte um Entschuldigung! Beachtet, mein stürmischer Freund, meine Ansicht ist, daß Ihr, ja Ihr, unser ungestörtes Eden in der Höhle zerstörtet, daß Ihr unsere Schlange wart, und daß diese Lady Collinson, über die Ihr Euch so erregt, die Ihr als meine Herrin kanntet, unsere Verbündete werden mußte. Ihr fragtet sie nicht, als Ihr die Bande begründetet, ihr Haus wurde unser Zufluchtsort. Ihr benutztet ihren Verstand und ihr Benehmen, um unsere Beute zu verschärfen. Ihr benutztet sie ebenso wie mich – Euren unterthänigen Diener –, als Euer eigenes Gesicht dem Sheriff bekannt und Eure Methode als brutal und gemein verschrieen wurde. Entschuldigt, aber ich mußte auf diese Umstände zurückkommen, und daß Ihr auf mich und Lady Collinson genau so herabgesehen habt, wie auf ihren Mann.«
»Genug!« sagte Riggs ärgerlich, »das Weib ist Teilnehmerin der Bande und erhält ihren Anteil, oder Ihr erhaltet ihn für sie,« fügte er höhnisch hinzu – »aber dies giebt ihr kein Recht, sich in meine Familienangelegenheiten zu mischen.«
»Entschuldigt wieder!« unterbrach Chivers sanft, »Euer Gedächtnis, mein teurer Riggs, ist vollständig defekt. Wir wußten, daß Ihr eine junge Schwester in den Bergen hattet, von der Ihr Eure gesellschaftliche Stellung wiedererlangen wolltet. Wir ehrten, und ich werde es immer thun, Eure edle Abstammung. Aber erinnert Euch der Nacht, als wir Eure Schwester auf die Schule zu Santa Clara brachten, es war zwei Tage vor dem Feuer – als wir auf der Landstraße entdeckt wurden und um unser Leben fliehen mußten, und sie zu uns brachten – Euren beiden alten Freunden – Mr. und Mrs. Barker aus Chicago – die ein stilles Haus im Walde hatten. Ihr erinnert Euch, daß wir sie aufnahmen, freundlich aufnahmen und Euer Geheimnis bewahrten. Erinnert Euch auch dieses Weibes, meiner Herrin, unserer Verbündeten, welche während des Feuers, als wir fort waren, Eure Schwester auf unserem einzigen Pferd vor dem Feuer rettete, die Postkutsche abwartete und sie ins Kloster brachte.«
Riggs ging ans Fenster, wandte sich um, kam zurück und streckte seine Hand aus. »Ja, sie that es, und ich dankte ihr, wie ich Euch danke.« Er hielt inne, während der andere seine Hand nahm. »Aber bedenkt, Chivers, Alice ist ein junges Mädchen, und diese Frau – Ihr wißt was ich sagen will. Jemand könnte sie entdecken, dies wäre schlimm für Alice, so schlimm, als wenn man erfahren würde, wer Alicens Bruder war. Gott! Wenn diese beiden Dinge zusammen kommen würden, wäre das Mädchen für immer ruiniert.«
»Jack!« sagte Chivers plötzlich: »Ihr wünscht dies Weib aus dem Wege. Gut – sie hat uns beinahe getrennt; ich will offen zu Euch sein wie ein Mann gegen den andern. Ich will sie aufgeben. Es giebt genug Weiber auf der Welt. Wir sind Gefährten und wollen es bleiben.« – »Dann wollt Ihr ihr entsagen?« fragte Riggs langsam und heftete seine Augen auf seinen Gefährten. – »Ja. Sie ist mir übrigens in letzter Zeit recht albern geworden. Es wird ein schweres Stück Arbeit werden, denn sie weiß zu viel, aber es wird gehen. Hier ist meine Hand.«
Riggs nahm nicht nur keine Notiz von der angebotenen Hand, sondern der frühere Blick der Unzufriedenheit erschien wieder, diesmal deutlich untermischt mit Zeichen des Abscheus und Ekels. »Wir wollen diesen Gegenstand verlassen,« sagte er kurz, »wir haben uns nun lange genug darüber unterhalten. Unsere Leute warten auf uns.« Er wandte sich nach dem Innern des Zimmers. Chivers blieb am Schornstein stehen, wandte sich dann zur Schenke und goß sich noch ein Glas Whiskey ein, das er langsam austrank.
Die Leute, mit Ausnahme der Wachen und des Mannes, der bei Collinson geblieben war, saßen inmitten eines Haufens Satteldecken und Manteltaschen und verteilten die bei ihrem letzten Raubzuge gemachte Beute. Die meisten ihrer Anteile bestanden in Päckchen Goldstaub, und es schien ein heftiger Streit ausgebrochen zu sein, wie sie ihre Anteile in den nächsten Gebirgsstädtchen am besten unterbringen könnten. Der Plan lief darauf hinaus, die Beute durch einen Maultiertransport in das Thal zurückzubringen und dann sie mit einem Auswandererzug in die südlichen Staaten zu schaffen. Nur ein Kasten mit barem Geld hatte sich zwischen den Beutestücken befunden, der Inhalt desselben war sofort unter die Mitglieder verteilt worden. Wechsel, Rechnungen und Wertpapiere wurden »Charles«, einem Agenten eines obskuren Maklers in Sakramento, übergeben, der die Rolle eines »Schutzengels« der Bande spielte. Es war Chivers’ Pflicht, das delikate Geschäft zu beaufsichtigen, wie es gleichfalls seine Pflicht war, alle Briefe und Dokumente zu öffnen. Er hatte dies immer mit sarkastischen und humoristischen Bemerkungen über den Inhalt gethan. Der rauhe, schlechtgeschriebene Brief des Goldgräbers an sein Weib, der einen Wechsel enthielt, oder die sentimentalen Ergüsse eines Auswanderers an seine Geliebte hatten immer in der Hand dieses eleganten Humoristen Aufmerksamkeit erregt. Aber heute wurde die Beschäftigung mit geschäftsmäßiger Einfachheit und Stille erledigt. Die beiden Führer saßen einander gegenüber, jeder mit seinen Gedanken beschäftigt, während die Bande glaubte, ihre Meister beschäftigten sich mit dem Plan eines neuen Unternehmens. Als die Verteilung und Prüfung vorüber war und man die wertvolleren Stücke beiseite geschafft hatte, wurden die vernichteten Briefe ins Feuer geworfen. Hell flammten sie auf und veranlaßten einen heftigen Ausruf.
»Das ist eine närrische Handlungsweise!« sagte French Pete über seinen Karten.
»Weshalb?« fragte Chivers scharf.
»Weshalb? Weil man die Papierfunken irgendwo sehen und damit einen Weg zu uns angeben kann.«
»Wir sind vier Meilen von irgend einer Landstraße entfernt,« erwiderte Chivers empfindlich, »und derjenige, der den Schein sehen und den Rauch riechen würde, wäre schon auf dem Wege hierher.«
»Das erinnert mich daran, daß der Bursche, den Ihr fesseln ließet, daß Collinson Euch zu sprechen wünscht,« fuhr French Pete fort.
» Mich zu sehen?« wiederholte Chivers, »Ihr meint den Anführer!«
»Nein, er meint Euch!« entgegnete French Pete, »er sagte, den Mann, der mit ihm sprach.«
Die Männer sahen sich in einem Vorgefühl kommender Ereignisse lächelnd an und legten ihre Karten beiseite. Chivers ging zur Thür, zwei oder drei machten Miene ihm zu folgen, aber Riggs hielt sie auf. »Setzt euch!« sagte er rauh, und rief dann Chivers, der bei ihm vorbeiging, leise zu: »Erinnert Euch!«
Chivers trat hinaus. Collinson war unter das überhängende Dach gebracht worden, mehr zur Bequemlichkeit seines Wächters, als zu seiner eigenen. Den Mann mit einer Gebärde entlassend, trat Chivers vor seinen Gefangenen.
»Wir bedauern tief, dear sir, daß Eure unglückselige Antwort uns des Vergnügens Eurer Gesellschaft beraubt hat und Euch Eure Freiheit kostete, aber wir dürfen nun wohl die Hoffnung hegen, daß Eure Meinung sich zu unsern Gunsten geändert hat.«
»Ich danke,« sagte Collinson und hob seine Augen zu seinem Besieger auf, der einen Schein von Bewunderung bemerkte, »es kommt weniger auf dies an, was Ihr sagt, sondern wie Ihr es sagt. Deshalb habe ich bei mir selbst gedacht: »Collinson, es giebt kein anderes Haus zwischen Bald Top und Skinner, wo die armen Burschen einen Bissen essen oder einen Schluck trinken können, und du wirst ihnen dies nie mehr anbieten. Es ist deine Pflicht, so lange du dies Haus besitzest, so für Wanderer zu sorgen! Ich habe nicht Eure sanfte Sprache mir gegenüber vergessen, als Ihr vorhin kamt. Ich sandte zu Euch, um Euch zu sagen, daß Ihr und Eure Leute dies Haus und alles, das in ihm ist, solange bewohnen mögt, als Ihr wollt. Ich habe Euch gesagt, weshalb ich das Haus nicht verkaufen kann, und weshalb ich es nicht verlassen will. Aber Ihr könnt es benützen, und wenn Ihr hier seid, und wenn Ihr geht, Collinson wird es niemandem verraten. Ich weiß nicht, was Ihr meint mit Eurem ›binden, nichts zu verraten‹, wenn Collinson etwas sagt, so hält er es, und wenn er jemandem sein Wort giebt, oder jemand giebt ihm das seinige, so bedarf es wahrlich keines Fetzen Papiers.«
Ein Zweifel an die Wahrheit dieser Worte war unmöglich. In dem ernsten Gesicht seines Gefangenen las Chivers, daß er diesem Manne vollständig vertrauen konnte, mehr, als jedem von den Männern, die das Haus augenblicklich in Besitz hatten. Aber diese Gewißheit, bei aller Sicherheit für ihn, erfüllte ihn nicht mit Gewissensbissen, sondern mit einem Gefühl von einer unerklärlichen Macht, die er bisher nicht gekannt hatte. Er bedauerte den Mann nicht, der ihm vertraute, er fühlte auch keine Scham, von ihm etwas zu empfangen, er fühlte ihm gegenüber sogar etwas wie intellektuelle Ueberlegenheit, aber doch fühlte er sich geschlagen, beleidigt und erschreckt. Zuerst, wie alle Schurken, hatte er den Mann nach sich selbst beurteilt, er war auf Widerstand gefaßt, aber das ernste Vertrauen in Collinsons Augen machte ihn hilflos. Er war gebeugt durch einen unbekannten Faktor. Das Rechte, das ringen und kämpfen muß, reizt oft den Gegner, aber das Recht, das gewährt, läßt den Sieger unbefriedigt. Chivers hätte in seinem Aerger Collinson töten können, aber ein unbestimmtes Etwas sagte ihm, daß er diesen Weg nicht einschlagen dürfe. Das war’s, weshalb der abgefeimte Schurke seine schlaffen Wangen erröten und seine geschmeidige Zunge vor seinem Gefangenen straucheln fühlte.
Aber Collinson, der viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt war, nahm von allem keine Notiz, und Chivers fand seinen alten Witz, wenn auch nicht seine alte Künstlichkeit wieder.
» All right,« sagte er mit einem schnellen Blick auf die Thür hinter ihm, »nun, da Ihr besser über den Vorschlag denkt, will ich ganz offen zu Euch sein, und Euch sagen, daß ich Euer Freund bin. Ihr versteht – Euer Freund. Sprecht nicht zu viel zu diesen Menschen, gebt Euch ihnen nicht hin; sprecht nicht von Eurer Frau und von diesem Haus, sondern sagt, daß Ihr die Sache mit mir geordnet habt, mit mir, hört Ihr, und ich werde Euch helfen.« Der Gedanke, daß er den offenen Collinson für seine eigenen Zwecke benützen könne, stimmte ihn heiter, aber diese Freude wurde durch Collinsons nächste Worte bedeutend erhöht.
»Wenn ich nicht gefesselt wäre, würde ich Euch dafür die Hand schütteln. Ihr seid der freundliche Mann, Mr. Chivers, für den ich Euch vom ersten Augenblick an gehalten habe. Wenn dies Haus nicht das ihrige wäre, würde ich auf Euren Vorschlag eingehen, oder bei Euch bleiben, denn Eure Art und die meinige scheinen zu einander zu passen. Wir brauchen für unsere Abmachung kein Papier, keinen Händedruck. Eure Geheimnisse und die Geheimnisse Eurer Leute sind die meinigen, und nie werde ich dieselben verraten.«
Eine plötzliche Eingebung zwang Chivers, die Stricke, mit welchen Collinson gefesselt war, zu durchschneiden. Als der befreite Mann sich zu seiner ganzen Größe ausgestreckt hatte, hielt er Chivers seine starke rechte Hand entgegen, die dieser nahm.
Ob da irgend eine geheimnisvolle Macht in dem ernsten Gesicht des ehrlichen Wirtes lag, oder ob sonst etwas Chivers beeinflußte, genug, er hatte plötzlich den Gedanken, daß er sich seiner Herrin Lady Collinson am leichtesten dadurch entledigen könne, indem er sie in die Arme und das Haus ihres Gatten zurückführe, und durch diese Idee fühlte der Schurke etwas wie Tugend sich in seine Brust senken.