Die Mission Dolores.
Bret Harte
Die Mission Dolores ist bestimmt, »der letzte Seufzer« des eingebornen Californiers zu werden. Wenn der letzte »Schmierfinke« trage dem rührigen Yankee weichen wird, so wird er, wie ich mir vorstellen kann, gleich dem Maurenkönig einen der Missionshügel ersteigen, um seinen letzten Blick auf der hügeligen Stadt verweilen zu lasten. Eine lange Zeit wird er zäh an Pacific Street haften. Er wird in den Felsenburgen des Telegraph Hill forschen, bis der Fortschritt ihn wegschaffen wird. Er wird sich in Vallejo Street und um jene schwarzen Stuben herumtreiben, welche so lebhaft die Herabgekommenheit eines Volkes versinnbilden, aber er wird schließlich der Entwickelung zum Bessern Raum geben. Die Mission wird das Letzte sein, was seinen kraftlosen Fingern entfällt.
Wenn ich an diesem schönen Nachmittage hier stehe und nach der alten Kapelle hinaufblicke – ihre zerlumpte Greisenhaftigkeit contrastirt mit dem flinken Frühlingssonnenschein, ihre beiden gichtbrüchigen Pfeiler zerbröckeln mit dem Bewurf wie zerschlissne Binden, ihre Fenster lassen keinen Strahl durch, ihre Eingänge fallen zusammen, und der Hausschwamm auf ihren weißgetünchten Wänden frißt sich durch den dunkeln Luftziegel hindurch – so gebe ich der armen alten Bettlerin nur noch ein paar Jahre, um an der Straße zu sitzen und im Namen der gesegneten Heiligen um Almosen zu betteln. Schon spukt in der Nachbarschaft der Schatten ihrer Auflösung. Der Pfiff der Locomotive stimmt nicht zur Glocke des Angelus. Eine Kirche der Episcopalians von neubacknem gothischen Styl mit massiven Zinnen von Fichtenholz aus Oregon verhöhnt jetzt schon ihr eisgraues Alter und ersetzt es durch Täuschung. Umsonst, ach! war jenes ländliche Zubehör, die Baumschulen und Marktgärten, die einst um ihre Mauern herumlagen und das Andringen der Stadt hinderten. Auch sie schwinden dahin. Selbst jene wunderlichen kleinen Adobe-Gebäude mit Ziegeldächern, die wie der Länge nach mit Zimmtröhrchen belegt aussehen, und jene ummauerten Höfe, die wie ein Heiligthum ein paar Ochsenhörner und Schnipsel von Fellen bewahren. Umsonst sehe ich mich nach dem halb wilden Mexikaner um, dessen Respectabilität mit seiner Taille aufhörte, und dessen rothe Schärpe unterhalb seiner Weste seine feine Tuchjacke gänzlich ausstach. Ich vermische ferner jene schwarzhaarigen Weiber mit den schwabbelig hin und her schlotternden Brüsten, deren Kleider nach Gewebe und Muster stets der Jahreszeit unangepaßt waren, und deren Art, ein Umschlagtuch zu tragen, ein schreckliches Erwachen aus dem poetischen Traume von der spanischen Mantilla einschloß. Spuren einer andern Nationalität sind sichtbar. Der Eisenbahnarbeiter hat sich seine Hütte neben die Kapelle gebaut und schmaucht seine Pfeife in der Posada. Gurgellaute haben die Stelle von Zungen- und Zischlauten eingenommen. Ich vermisse die halb gesungnen, halb geschleppten Cadenzen, die sich mit dem fröhlichen » All aboard« des Omnibuskutschers in jenen guten alten Tagen mischten, wo die Omnibusse alle Stunden nach der Mission gingen und eine Fahrt dahin ein Ausflug war. Selbst an den Pforten des Tempels, an der Stelle Derer, »die Tauben zum Opfer verkaufen«, hat ein Verkäufer von künstlichen Spinnen mit seinen unheiligen Waaren Halt gemacht. Sogar der alte Padre – der letzte Typus des Missionärs und ein Nachkomme des guten Junipero – ist heute nicht zu finden. Statt seiner liest ein hellhaariger Celte ein Stück aus der Vulgata, welches wunderbar viele doppelte R hat. Sanfter Priester, gedenke in Deinen Gebeten des ketzerischen Fremden.
Ich öffne eine kleine Pforte und trete auf den Missionskirchhof. Hier ist nichts verändert, obwohl vielleicht die Gräber dichter bei einander liegen. Eine Weide, die neben der dicken braunen Mauer wächst, ist in der Fülle des Frühlings in flockige Blüthen aufgeplatzt. Die langen Grashalme auf jedem Hügel zeigen ein seltsames Lebendigwerden des Bodens drunten. Es ist angenehmer hier als auf dem öden Berge nach der See hin, wo verwirrende Winde fortwährend den Streit und Kampf des Oceans herzutragen. Die Missionshügel schließen liebreich den kleinen Friedhof, dessen decorativer Geschmack sich weniger aufdrängt. Es schmeckt stark nach der Fremde: hier sind nie verwelkende Guirlanden von Immortellen mit ihrem Grabesduft, hier sind kleine wohlfeile Zinnmedaillen mit dem Schmuck von drei schwarzen Thränen, die wie die Trefle-Drei in der Karte aussehen würden, wenn die einfache und demüthige Inschrift nicht jedes Gefühl der Lächerlichkeit aufwöge. Hier sind Kindergräber mit Schutzengeln von großer spezifischer Würde, aber hier sind auch die Spielsachen des Kleinen in einem Glasrahmen daneben. Hier ist die Durchschnittsmenge abscheulicher Originalverse; aber eine Stange – über dem Grabe eines Matrosen – fällt auf; denn sie drückt die Hoffnung auf Erlösung durch den »Großadmiral Christus« aus. Ueber den fremden Gräbern mangelt es auffallend an Citaten aus der Schrift, wogegen man auf ihnen, wenn ich so sagen darf, mehr menschliches Gefühl und Zartheit antrifft. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß zu viele von meinen Landsleuten von dem brennenden Wunsche beeinflußt werden, diese Gelegenheit praktisch zu verwerthen und zu leicht hastig ein ganzes Leben voll Unterlassung beim Kulminationspunkte auf einmal gutzumachen. Aber wenn ich die grauen Immortellen einen Grabstein krönen sehe, so weiß ich, daß ich die Geheimnisse der Auferstehung mehr in Symbolen angedeutet und der graphischen Darstellung nur die Liebe überlassen finden werde, die in Seinem neuen Gebot gelehrt wird. Aber »in Frankreich wissen sie diese Sachen besser einzurichten«.
Während meines zwecklosen Umherstreifens ist die Sonne fortwährend an der braunen Wand der Kirche emporgestiegen, und die Luft scheint kalt und rauh zu werden. Das helle Grün erstirbt im Grase, und die tiefe Bronzefarbe kommt von der Wand hernieder. Der Weidenbaum scheint halb geneigt, seinen Blüthenschmuck abzuwerfen, und trägt die niedergeschlagne Miene gebrochner Treue und verletzten Vertrauens. Der Geruch der Immortellen mischt sich mit dem Weihrauch, der sich durch das offne Fenster herausstiehlt. Drinnen sieht das barbarische Gold und Karmoisinroth kalt und wohlfeil aus in dieser prüfenden Luft, bei dieser Beleuchtung ist die Kirche gewiß alt und häßlich. Ich kann nicht umhin, mich zu fragen, ob die alten Väter, wenn sie jemals die Stätte ihrer früheren Arbeiten wieder besuchen, bei ihrem erweiterten Fassungsvermögen die bevorstehende Veränderung mit Bedauern sehen oder über den Tag trauern, wo die Mission Dolores, wie sich’s gehört, zu Grunde gehen wird.