Die Menschenfresserin von Silberland
oder
Die unterhaltende Geschichte von Prinz Badfellah und Prinz Bulleboye.
Bret Harte
Im zweiten Jahre der Regierung des weltberühmten Kaliphen Lo wohnte in Silberland, welches an sein Gebiet grenzte, eine gewisse schreckliche Menschenfresserin. Sie lebte in den Eingeweiden eines düstern Berges, in dem sie solche unglückliche Reisende, die sich in ihr Reich wagten, einzusperren gewohnt war. Die Gegend war meilenweit ringsum unfruchtbar und öde. An manchen Stellen war sie mit einem weißen Pulver bedeckt, welches in der Sprache des Landes Al Ka Li hieß, und von dem man annahm, daß es die zu Staub zermahlnen Knochen Derer wären, welche in ihren Diensten umgekommen.
Trotzdem widmeten sich jedes Jahr eine große Menge junger Leute dem Dienste der Menschenfresserin in der Hoffnung, von ihr zu Pflegsöhnen angenommen zu werden und sich des Glückes zu erfreuen, welches dieser bevorrechteten Klasse beschieden war. Denn diese Pflegesöhne hatten keine Arbeit zu verrichten, weder im Berge noch sonstwo, sondern trieben sich mit Beglaubigungsschreiben ihrer Verwandten in den Taschen in der Welt herum. Diese Schreiben, welche sie Ac Zia nannten, waren mit dem Stempel der Menschenfresserin gestempelt und mit ihrem Siegel gesiegelt und setzten sie in den Stand, nach Ablauf jedes Mondjahres große Quantitäten von Gold und Silber aus ihrem Schatze zu beziehen. Und die klügsten und am meisten begünstigten dieser Pflegesöhne waren die Prinzen Badfellah und Bulleboye. Sie kannten alle Geheimnisse der Menschenfresserin und wie man ihr schmeicheln und um den Bart gehen mußte. Sie waren auch Lieblinge von Aufa Sichta Rat, welcher ihr Oberkämmerer und erster Minister war, und welcher in Silverland lebte.
Eines Tages sagte Aufa Sichta Rat zu seinen Dienern: »Was ist das, was am sichersten, am geheimsten und am schnellsten reist?«
Und sie alle antworteten wie ein Mann: »Blitz, gnädiger Herr, reist am sichersten, am schnellsten und am geheimsten.«
Da sagte Aufa Sichta Rat: »Laßt Blitz diese Botschaft geheim, schnell und sicher zu meinen lieben Freunden, den Prinzen Badfellah und Bulleboye bringen und ihnen melden, daß ihre Pflegmutter im Sterben liegt und ihnen sich eine andere Pflegmutter suchen oder ihre Ac Zia verkaufen heißt, bevor sie futschi – werthlos wird.«
»Bechesm! Es komme auf unsre Häupter!« antworteten die Diener, und sie liefen mit der Botschaft zu Blitz, der mit ihr nach der Stadt an der See flog und sie im selben Augenblicke den Händen der Prinzen Badfellah und Bulleboye überlieferte.
Nun war der Prinz Badfellah ein gottloser junger Mann, und als er diese Botschaft erhalten, raufte er sich den Bart aus und zerriß sein Gewand und schmähte seine Pflegmutter und seinen Freund Aufa Sichta Rat. Aber bald darauf erhob er sich und kleidete sich in seine schönsten Stoffe und ging fort in die Bazare und unter die Kaufleute, tanzte und machte Bockssprünge, als er hinschritt, und schrie mit lauter Stimme: »O glückseliger Tag! O Tag werth, mit einem weißen Steine bezeichnet zu werden!«
Dies sagte er arglistig, indem er dachte, die Kaufleute und das Volk der Bazare würden sich um ihn versammeln, was sie denn auch bald darnach thaten, indem sie ihn fragten: »Was giebt’s Neues, o Du allerwürdigste und durchlauchtigste Hoheit? Sag’ es uns, auf daß auch wir fröhlich sind.«
Dann erwiderte der verschlagne Prinz: »Gute Nachrichten, o meine Brüder; denn ich habe heute erfahren, daß meine Pflegmutter im Silberland sich wohl befindet.« Die Kaufleute, welche den Inhalt der wirklichen Botschaft nicht kannten, beneideten ihn sehr und sagten zu einander: »Wahrlich, unser Bruder, der Prinz Badfellah ist von Allah vor allen Menschen begünstigt,« und sie waren im Begriffe, sich zu entfernen, als der Prinz sie zurückhielt, indem er sagte: »Harret einen Augenblick. Hier ist mein Beglaubigungsschreiben oder meine Ac Zia. Dieselbige will ich Euch für fünfzigtausend Zechinen verkaufen; denn ich will heute ein Fest geben und werde viel Gold brauchen. Wer will fünfzigtausend dafür geben?« Und wieder begann er Bockssprünge zu machen und zu tanzen. Aber dieses Mal zogen sich die Kaufleute ein wenig von ihm zurück, und einige von den ältesten und klügsten sagten: »Was ist das für Dreck, den der Prinz uns zu fressen geben will? Wenn seine Pflegmutter wohlauf wäre, was sollte er da seine Ac Zia verkaufen? Bismillah! Diese Oliven sind ranzig, und dieser Krug hat ein Loch!«
Als Prinz Badfellah sie mit einander flüstern sah, machte er ein langes Gesicht, und seine Knie schlugen vor Angst zusammen. Aber indem er sich wiederum verstellte, sagte er: »Wohlan, so sei es! Siehe, ich habe viel mehr, als bei mir verbleiben wird; denn meiner Tage sind viel, und meiner Bedürfnisse sind wenige. Sagt vierzigtausend Zechinen für meine Ac Zia und laßt mich in Allahs Namen weggehen! Wer will vierzigtausend Zechinen geben, um der Pflegsohn einer so gesunden Mutter zu werden?« Und abermals begann er Bockssprünge zu machen und zu tanzen, aber nicht so lustig wie vorher; denn sein Herz war betrübt. Die Kaufleute aber zogen sich nur weiter zurück. »Dreißigtausend Zechinen,« schrie Prinz Badfellah. Aber er sprach noch, als sie schon vor seinem Angesicht flohen, indem sie riefen: »Seine Pflegmutter ist todt. Siehe, die Schakals besudeln ihr Grab. Maschallah, er hat keine Pflegmutter mehr!« Und sie suchten Panik, den schnellfüßigen Boten, auf und geboten ihm, durch die Bazare auszurufen, daß die Pflegmutter des Prinzen Badfellah todt sei.
Als der Prinz dies hörte, fiel er auf sein Antlitz und zerriß seine Kleider und bestreute sich mit dem Staube des Marktplatzes. Als er so dasaß, ging ein Lastträger mit Krügen voll Wein auf den Schultern an ihm vorbei, und der Prinz bat ihn, ihm einen Krug zu geben; denn er war über die Maßen durstig und schwach. Aber der Lastträger sagte: »Was wird mein Gebieter mir vorher geben?« Und der Prinz vor lauter Verbitterung des Geistes sagte: »Nimm dies,« und händigte ihm seine Ac Zia ein, die er folglich für einen Krug Wein vertauschte.
Nun war der Prinz Bulleboye von anderer Denkungsart. Als er die Botschaft von Aufa Sichta Rat erhielt, beugte er sein Haupt und sagte: »Es ist der Wille Gottes.« Dann stand er auf und trat ohne ein Wort zu sagen durch die Pforten seines Palastes. Aber seine Gattin, die unvergleichliche Mari Jahann, sagte, als sie den Ernst seines Angesichts bemerkte: »Warum ist mein Herr niedergeschlagen und schweigsam? Warum sind diese seltnen und unbezahlbaren Perlen, seine Worte, so fest verschlossen zwischen jenen prächtigen Austerschalen, seinen Lippen?« Aber er gab darauf keine Antwort. Indem sie weiter ihn zu ergötzen gedachte, holte sie ihre Laute in das Zimmer und trat vor ihn und sang das Lied und tanzte den Tanz von Ben Kotton, welcher »Ibrahims Tochter« genannt wird, aber es gelang ihr nicht, den Schleier der Betrübniß zu lüften, der über seiner Stirn hing.
Als sie aufgehört hatte, erhob sich der Prinz Bulleboye und sagte: »Allah ist groß, und was bin ich, sein Knecht, anders als der Staub der Erde. Siehe, diesen Tag ist meine Pflegmutter auf den Tod erkrankt, und meine Ac Zia ist geworden wie ein verdorrtes Palmblatt. Rufe mir her meine Dienstleute und Kameeltreiber, und die Kaufleute, die mich mit Stoffen versehen haben, und die Bettler, die an meinem Tische geschmaust haben, und heiße sie Alles nehmen, was hier ist; denn es gehört mir nicht mehr!« Bei diesen Worten begrub er sein Haupt in seinen Mantel und weinte laut.
Aber Mari Jahann, seine Gattin, zupfte ihn am Aermel. »Aber ich bitte Dich, mein Herr,« sagte sie, »denke doch nur an den Maklah oder Agenten, der Dich erst gestern noch inständig bat, Deine Ac Zia mit ihm zu theilen, und Dir eine Verschreibung für fünfzigtausend Zechinen gab?«
Der edle Prinz Bulleboye aber erhob sein Haupt und sagte: »Soll ich ihm für fünfzigtausend Zechinen verkaufen, was, wie ich weiß, keinen Su Marki werth ist? Denn ist nicht der ganze Reichthum des Maklah, selbst sein Weib und seine Kinder, auf dieser Verschreibung mitverpfändet? Soll ich ihn zu Grunde richten, um mich zu retten? Allah verhüte das! Lieber laßt mich den gesalznen Fisch ehrlicher Armuth essen, als das Kabab ehrlosen Ueberflusses; lieber will ich mich im Koth tugendsamer Vergessenheit wälzen, als auf dem Divan verschwenderischer Ruchlosigkeit.«
Als der Prinz diesen schönen und erbaulichen Ausspruch gethan, hörte man eine sanfte Musik ertönen, und die hintere Wand des Gemaches, welche erfinderisch wie ein verschiebbarer Bühnenhintergrund construirt war, öffnete sich und ließ in blauem Feuer die Menschenfresserin von Silberland sehen. Sie saß auf einem Triumphwagen, der an zwei Stricke gespannt war, welche mit den beiden auseinandergehenden Wandstücken des Hintergrundes in Verbindung gebracht waren, und war eben dabei, den von nichts wissenden Prinzen zu segnen. Als die Wandstücke sich wieder schlossen, ohne seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, erhob sich Prinz Bulleboye, kleidete sich in seine gröbsten und wohlfeilsten Stoffe und streute Asche auf sein Haupt, und in diesem Anzug ging er, nachdem er seine Gemahlin umarmt, fort in die Bazare. Hieran wird man bemerken, wie verschieden der gute Prinz Bulleboye von dem gottlosen Prinzen Badfellah handelte, der seine prächtigsten Gewänder anlegte, um zu täuschen und zu betrügen.
Als nun der Prinz Bulleboye in den Hauptbazar trat, wo die Kaufleute der Stadt zur Berathung versammelt waren, stand er an seinem gewohnten Platze auf, und Alle, die zugegen waren, hielten ihren Athem an; denn der edle Prinz Bulleboye war sehr geachtet. »Laßt den Maklah, von dem ich eine Verschreibung auf fünfzigtausend Zechinen habe, vortreten!« sagte der Prinz. Und der Maklah trat vor aus der Mitte der Kaufleute. Dann sagte der Prinz: »Hier ist Deine Verschreibung für die fünfzigtausend Zechinen, für welche ich Dir die Hälfte meiner Ac Zia abtreten sollte. Denn wisse, o mein Bruder, – und auch Du, o Aga der Maklahs – daß diese meine Ac Zia, welche ich Dir versprach, werthlos ist. Denn meine Pflegmutter, die Menschenfresserin von Silberland, liegt im Sterben. So erlasse ich Dir hiermit in aller Form Deine Verpflichtung und befreie Dich von der Armuth, welche Dich befallen könnte, wie sie soeben mich befallen hat, Deinen Bruder, den Prinzen Bulleboye.« Und hiermit riß der edle Prinz Bulleboye die Verschreibung des Maklah in Stücken und streute sie in alle vier Winde.
Nun gab es, als der Prinz die Verschreibung zerriß, eine große Bewegung, und Einige sagten: »Wahrlich, der Prinz Bulleboye ist trunken von Wein,« und Andere: »Er ist besessen von einem bösen Geiste,« und seine Freunde machten ihm Vorwürfe und sagten: »Was Du gethan hast, ist nicht Brauch in den Bazaren – siehe, es ist nicht Gesch Aft!« Aber auf alles das antwortete der Prinz mit Würde: »Es ist Recht, es komme auf mein eigen Haupt!«
Aber die ältesten und weisesten der Kaufleute, die, welche diesen selben Morgen mit Prinz Badfellah gesprochen hatten, flüsterten mit einander und sammelten sich um den Maklah, dessen Verschreibung der Prinz Bulleboye in Stücke gerissen hatte.
»Horch auf,« sagten sie, »unser Bruder, der Prinz Bulleboye, ist schlau wie ein Schakal. Was für Bosch ist das, sich selber zu Grunde zu richten, um Dich zu retten? Solch ein Ding ist nie zuvor erhört worden in den Bazars. Es ist ein Kniff, o Du Mondkalb von einem Maklah! Siehst Du denn nicht, daß er gute Nachrichten von seiner Pflegmutter erhalten hat, dieselben, welche uns eben jetzt der Prinz Badfellah, sein Genosse, erzählt, und daß er Deine Verschreibung für fünfzigtausend Zechinen nur deshalb zerstört hat, weil seine Ac Zia hunderttausend werth ist? Laß Dich nicht über’s Ohr hauen, o allzu leichtgläubiger Maklah; denn das, was Dein Bruder, der Prinz, thut, geschieht nicht im Namen Allahs, sondern im Namen von Gesch Aft, dem einzigen Gotte, der in den Bazaren bekannt ist.«
Als der thörichte Maklah diese Dinge hörte, schrie er: »Gerechtigkeit, o Aga der Maklahs, – Gerechtigkeit und die Erfüllung meiner Verschreibung! Laß den Prinzen mir die Ac Zia übergeben. Hier sind meine fünfzigtausend Zechinen.«
Aber der Prinz sprach: »Habe ich Dir nicht gesagt, daß meine Pflegmutter im Sterben liegt, und daß meine Ac Zia werthlos ist?«
Darauf schrie der Maklah nur noch kläglicher nach Gerechtigkeit und Erfüllung seiner Verschreibung.
Da sagte der Aga: »Da die Verschreibung zerstört ist, siehe, so hast Du keinen Anspruch mehr. Geh Deiner Wege!«
Aber der Maklah schrie wieder: »Gerechtigkeit, mein gnädigster Herr Aga! Siehe, ich biete dem Prinzen siebzigtausend. Zechinen für seine Ac Zia.«
Der Prinz aber sagte: »Sie ist nicht eine einzige Zechine werth!«
Da sprach der Aga: »Bismillah! Ich kann das nicht begreifen. Ob Deine Pflegmutter todt oder am Sterben oder unsterblich ist, scheint nichts zu bedeuten zu haben. Deshalb, o Prinz, bist Du nach den Gesetzen Allahs und Gesch Afts von aller Schuld frei. Gieb dem Maklah Deine Ac Zia für siebzigtausend Zechinen und laß ihn in Frieden ziehen. Auf sein eigen Haupt komm’ es!«
Als der Prinz diesen Befehl vernahm, händigte er dem Maklah seine Ac Zia ein, und dieser zählte ihm dafür siebzigtausend Zechinen auf. Aber das Herz des tugendsamen Prinzen jubelte nicht, und das des Maklah auch nicht, als er fand, daß seine Ac Zia werthlos war. Die Kaufleute aber hoben ihre Hände empor vor Verwunderung über die Schlauheit und Weisheit des berühmten Prinzen Bulleboye. Denn keiner wollte glauben, daß es das Gesetz Allahs war, dem der Prinz folgte, und nicht die Regeln Gesch Afts.