Meine Vorstadt-Wohnung
Bret Harte
Ich wohne in der Vorstadt. Meine Wohnung ist, um die gefällige Fiction der Anzeige zu citiren, »nicht mehr als fünfzehn Minuten zu gehen vom Rathhause«. Weshalb unter irgendwelchen Umständen gerade das Rathhaus als ein empfehlenswerther Endpunkt des Gehens von irgend jemand betrachtet werden sollte, habe ich mir nicht klar machen können. Da ich niemals von meiner Wohnung nach diesem Orte gegangen bin, so bin ich nicht im Stande, die Behauptung zu verificiren, doch kann ich als rein abstracte und für sich bestehende Ansicht sagen, daß es mich die größere Hälfte einer Stunde kostæet, um Montgomery Street zu erreichen.
Wenn ich diese Oertlichkeit wählte, so war es ein Compromiß zwischen dem Wunsche meiner Frau, aufs Land zu ziehen, und meiner Vorliebe für den Aufenthalt in der Stadt. Wie die meisten Compromisse endigte er damit, daß er die tadelnswerthen Züge beider Vorschläge festhielt: ich verschaffte mir die Unbequemlichkeiten des Landaufenthaltes, ohne die Unbehaglichkeiten der Stadt einzubüßen. Ich vergrößerte meine Entfernung von Fleischern und Krämern, ohne mich Herden und Küchengärten zu nähern. Aber ich anticipire.
Frische Luft war die Hauptsache, nach der wir suchten. Daß es davon zu viel geben könne, trat nicht in den Kreis meiner Berechnungen. Den ersten Tag, an dem ich meine Wohnung betrat, wehte es, am zweiten Tage war es windig, den dritten frisch, und eine starke Brise regte sich, am vierten blies es, am fünften gab es einen Sturm, der bis zu dem Augenblicke fortdauerte, wo ich dies schreibe.
Daß die Luft frisch ist, wird durch die obigen Angaben genügend, festgestellt. Daß sie stärkend ist, schließe ich aus der Thatsache, daß ich es unmöglich finde, die Läden an der Windseite des Hauses zu öffnen. Daß sie gesund ist, bin ich gleichfalls überzeugt, indem ich glaube, daß es keine andere Kraft in der Natur giebt, die jemand so puffen und mißhandeln könnte, ohne ihm ernstlich Schaden zu thun. Gestatte man mir ein Beispiel anzuführen. Der Pfad nach meiner Thür geht über eine kleine Erhöhung. Der arglose Besucher, ein Bischen erschöpft durch das Steigen und die allgemeinen Wirkungen der sanften Winde, denen er bei der Annäherung an mein gastlich Haus Trotz geboten, läßt in seinen Anstrengungen nach, glättet seine Brauen und nähert sich mit einem bezaubernden Lächeln. Vorschneller und allzu vertrauensvoller Mann! Der Wind theilt ihm eine Reihenfolge rascher Stöße zu, und er wird zurückgeworfen. Er stolpert wieder herauf, »lächelnd und zuversichtlich«, wie P. R. sagt. Jetzt macht sich der Wind an einen verwundbaren Punkt und will ihm den Hut nehmen. Nun wird alle Ceremonie bei Seite gethan, der unglückliche Mensch packt seinen Hut mit beiden Händen und stürmt wie toll auf die Vorderthür los. Zoll um Zoll macht ihm der Wind den Grund und Boden streitig, noch ein Ringen, und er steht in der Verandah. Bei solchen Gelegenheiten mache ich mir’s zum Grundsatz, die Thür selbst zu öffnen, und zwar mit einer heiteren Ruhe, die einen merkbaren Gegensatz gegen sein fieberhaft aufgeregtes Wesen bilden und auf ihn den Verdacht werfen soll, betrunken zu sein. Ist er zur Schüchternheit und Aengstlichkeit geneigt, so bleibt er sich den besten Theil des Abends der Verwirrung seines Haares und seiner Halsbinde bewußt. Ist er weniger feinfühlig, so ist das Ergebniß oft noch betrübender. Einst machte mir ein geschätzter älterer Freund seinen Besuch, nachdem er einen doppelten Kampf mit dem Winde und einem großen Neufoundländer (welchen ich aus Gründen halte, die weiter unten angeführt werden sollen) bestanden, und bei dem nicht nur sein Hut, sondern auch seine Perücke gelitten hatte. Er verbrachte den Abend mit mir, durchaus nichts ahnend von der Thatsache, daß sein Haar das seltsame Schauspiel darbot, diagonal von der rechten Schläfegegend nach dem linken Ohr gescheitelt zu sein. Wenn Damen vorsprachen, zog meine Frau vor, sie zu empfangen. Sie waren gewöhnlich hysterisch und oft in Thränen. Ich erinnere mich, wie ich eines Sonntags dadurch erschreckt wurde, daß ein Ding, das wie der Ballon von Heyes Valley aussah, rasch an meinem Observatorium vorbeitrieb, dicht gefolgt von dem Neufoundländer. Ich stürzte nach der Vorderthür, aber meine Frau kam mir zuvor. Eine fremde Dame erschien beim Frühstück, aber das Phänomen blieb sonst unaufgeklärt.
Das Herausgehen aus meiner Wohnung ist viel leichter. Meine Gäste bestehen selten darauf, in bestimmter Reihenfolge zu gehen, sondern gehen ohne Weiteres, wobei der Neufoundländer spielend ihre Nachhut drangsalirt. Eines Tages stand ich, die Hand auf der offnen Vorsaalsthür, in ernstem Gespräch mit dem Prediger des Kirchspiels, als die Hinterthür vorsichtig geöffnet wurde. Der lauernde Wind ergriff die Gelegenheit und stürmte durch den vertheidigungslosen Gang. Die Vorderthür schloß sich heftig mitten in einem Satze und schleuderte den hochwürdigen Herrn in den Garten hinaus. Der Neufoundländer schloß mit dem seine Race auszeichnenden Scharfsinn, daß zwischen mir und dem Besuch ein Zusammenstoß stattgehabt, und eilte zu meiner Vertheidigung herbei. Der hochwürdige Herr machte mir nie wieder einen Besuch.
Der oben erwähnte Neufoundländer gehörte zu einem Vertheidigungssystem, welches meine Heimath in der Vorstadt einmal bedurfte. In der Nachbarschaft kamen häufig Räubereien vor, und mein einziges Huhn fiel der Geschicklichkeit des Beutemachers zum Opfer. Eine Nacht erwachte ich und fand einen Mann in meinem Zimmer. Mit seltnem Zartgefühl und ungewöhnlicher Rücksicht auf die Gefühle Andrer hatte er sich bemüht, keinen der Schläfer zu erwecken, und als ich aufstand, zog er sich zurück, ohne eine Aufforderung dazu abzuwarten. Gerührt von seinem Zartgefühl unterließ ich’s, Lärm zu machen, bevor er seinen Rückzug bewerkstelligt hatte. Ich wollte dann nach einem Schutzmann gehen, aber meine Frau war dagegen, da so das Haus ohne Schutz geblieben wäre. Indem ich mich des anständigen Benehmens des Einbrechers erinnerte, schlug ich vor, ich wolle ihm nachgehen und ihn ersuchen, wenn er in die Stadt käme, die Sache zur Anzeige zu bringen. Aber dieser Vorschlag wurde mit gleicher Ungunst aufgenommen. Den nächsten Tag kaufte ich einen Hund und einen Revolver. Jener lief davon, und dieser ging nicht los. Ich verschaffte mir nun einen neuen Hund und legte ihn an die Kette, und ein Duellpistol mit einem Stecher. Das Ergebniß war insofern zufriedenstellend, als man sich keinem von beiden mit Sicherheit nähern konnte, und eine Zeitlang vergaß ich ihrer gleichgültig während der Nacht. Aber die Kette gab eines Tages nach, und der Hund, der offenbar durch nichts Anderes an das Haus gefesselt war, ergriff die Gelegenheit, sich davon zu machen. Seine Stelle wurde bald durch den Neufoundländer ausgefüllt, dessen Treue und dessen Scharfblick ich soeben berichtet habe.
Raum ist einer von den Charakterzügen meiner Vorstadt-Wohnung, die nichts zu wünschen übrig lassen. Ich weiß nicht, wie viel Acker das Grundstück umfaßt, ich schließe darauf nur von der ungeheuren Menge Schlauch, die zur Bewässerung erforderlich ist. Ich arbeite daran täglich, wie ein guter Hirt, mit einer viertelzölligen Röhre ohne sichtbares Ergebniß und habe schon ernstlich daran gedacht, mit einer auseinander gegangnen Löschcompagnie über ihren Spritzenschlauch und ihre sonstige Ausrüstung einen Contract abzuschließen. Es ist eine förmliche Reise bis zum Holzschuppen. Jeden Tag werden neue Charakterzüge an dem Grundstück entdeckt. Mein jüngster Knabe wurde eines Tages mehrere Stunden vermißt. Sein Kopf, ein besonders ehrwürdiger und ausfallender Gegenstand, wurde zuletzt just über dem Grase in einiger Entfernung vom Hause entdeckt. Bei näherem Zusehen fand man ihn behaglich in einer außer Gebrauch gesetzten Drain-Röhre sitzen, neben sich einen silbernen Löffel und eine todte Ratte. Als man ihn aus dieser Localität entfernte, heulte er schauerlich und wollte sich nicht trösten lassen.
Die Aussicht von meiner Vorstadt-Wohnung ist schön. Lone Mountain mit seinen weißen Obelisken ist ein zum Nachdenken veranlassender, wenn auch nicht froh stimmender Abschluß des Gesichtsfeldes in der einen Richtung, während die alte Armengruft des Yerba Buena-Friedhofs die Aussicht auf einer andern Seite begrenzt. Die meisten Leichenzüge, welche stattfinden, passiren mein Haus. Meine Kinder haben mit der reizenden Nachahmungsgabe, welche der Jugend eigen ist, den Geist dieser vorüberziehenden Proccssionen aufgefaßt und reproduciren im Hinterhofe mit einem Geschick, das ihnen Ehre macht, die hervorstechenden Züge des schwermüthigen Zuges. Eine Puppe, von deren Gesicht alle Spuren von Leben und Ausdruck entfernt worden sind, stellt den Verstorbnen dar. Aber unglücklicherweise bin ich genöthigt worden, ihnen eine thätigere Theilnahme an dieser Ceremonie für die Zukunft zu versprechen, und ich fürchte, sie erwarten mit der glühenden Ungeduld der Jugend begierig das Hinscheiden jemandes aus dem Kreise meiner Freunde. Man hat mir erzählt, daß der Aelteste mit der unverblümten Offenheit, die seinem Alter eigen ist, ein dahin gerichtetes Ersuchen an einen meiner Bekannten stellte. Ein eigenthümliches Ergebniß des häufigen Vorkommens dieser Begräbnisse ist die Entwickelung eines kritischen und anspruchsvollen Geschmacks in solchen Dingen bei mir und meiner Familie. Wenn ich mich ohne Unehrerbietigkeit so ausdrücken darf, so thun’s für uns selten weniger als sechs Kutschen. Jede Zahl darüber hinaus wird gewöhnlich athemlos von Bridget mit den Worten angekündigt: »Hier ist wieder einer, Madam, und ein schöner langer.«
Abgesehen von diesen kleinen Nachtheilen ist meine Vorstadt-Wohnung reizend. Dem ernsten Dichter und Verfasser elegischer Verse flößt der Anblick der Natur von meiner Verandah aus allerlei Gedanken ein. Ich selbst: habe Momente gehabt, wo die »traurige mechanische Uebung« des Versmachen mir eine unendliche Erleichterung gewesen sein würde. Die folgenden Stanzen, von einem jungen Freunde, der zur Verbesserung seiner Gesundheit bei mir wohnte, an eine Ente gerichtet, die einen kleinen Teich in der Nachbarschaft meines Hauses zu besuchen pflegte, mögen des Lesens werth sein. Mir ist, als wäre ich der Idee im ersten Verse irgendwo in Hoods Prosa begegnet; da mein Freund mir aber versichert, daß Hood zu gewissenhaft gewesen sei, um sich etwas anzueignen, was nicht sein eigen gewesen, so nehme ich an, daß ich mich geirrt habe.
An einen Wasservogel.
Huhn, das dort im Tümpel ruft,
In der kühlen Sommerluft,
Giebt’s für Menschenleiden nur
Dort auch eine Wassercur?
Kennst Du Prießnitz? Ei, Potz Daus,
Stößt ja blos ein »Quak, Quak« aus?
Kleopatra’s Bark’ erbleicht,
Wenn Dein Schwanz sich prächtig zeigt,
Auch Dein stolzbemaltes Heck,
Admiral auf hohem Deck.
Selbst Franz Drake’s Galeere wies
Kein Kielwasser auf wie dies.
Dux und Führer auch Du bist,
Nichts schiert Dich, was fällig ist,
Schuld und Mahnung keine Spur,
Eine einz’ge Rechnung nur;
Wenn sich die Dein Schnabel macht,
Ist’s in Ordnung bald gebracht;
Denn die Zahlung liegt zur Hand
An dem nächsten Uferrand.