Maxim Gorky

Die Geschichte eines Müllers

II.

»Wohin soll ich gehen? Zu wem?« fragte sich Tichon Pawlowitsch, als er den Bahnhof verlassen und bereits planlos durch eine Reihe von Straßen gegangen war. Er verspürte gar keine Lust, irgend jemand von seinen Bekannten aufzusuchen, ja, und überhaupt, er hatte zu gar nichts Lust.

Unterwegs hatte er geschlafen; einmal in der Stadt angekommen, war er in ein Gasthaus gegangen, hatte dort eine warme Brühe gegessen und Tee getrunken und dann in den Regen hinausgeschaut.

Es regnete stark und lange – fast drei Stunden lang, und all die drei Stunden hatte der Müller am Fenster gesessen, wie erstarrt in seinen Gedanken. Dann hatte er sich entschlossen, wieder nach Hause zu fahren, und war an den Bahnhof gegangen, aber der Zug war schon fort.

Er blieb am Bahnhof sitzen und schaute zu, wie die Waggons und Lokomotiven hin und her bugsiert wurden und wie die Kondukteure der Lastzüge, die Weichensteller, die Heizer und andere Bahnarbeiter, lauter bräunliche, nach Fett und Kohle riechende Gesellen, eilig hantierten, schrien, umherliefen und gestikulierten. Züge kamen und gingen, und dies wirre, eilige Treiben kam Tichon Pawlowitsch entsetzlich unnütz und unüberlegt vor. Wozu in aller Welt arbeitet man so viel und so hastig, wozu schleppt man so viel Waren von einer Stadt in die andere und wieder zurück, wenn doch alle Menschen sterben müssen – wenn einmal ihre Stunde kommt. Und sie kommt vielleicht schon morgen . . . Man sollte mehr um seine Ruhe besorgt sein . . . Und wieder stieg in ihm der Wunsch nach Ruhe auf, nach so einer tiefen, schlafähnlichen Ruhe, ohne Gedanken und ohne Sorgen. Und dieser Wunsch zog ihn vom Bahnhof fort. Er ging wieder in die Stadt und schritt jetzt kalt und gleichgültig durch die Straßen. Ihn bewegte jetzt nur noch das, was sich so dumpf in seiner Seele rührte und ihn am Leben hinderte.

Auf der Straße war es still und dunkel. Die Laternen waren noch nicht angezündet, und doch ging schon der Mond auf. Über den Himmel segelten eilig die letzten fetzenartigen Überbleibsel der Gewitterwolken, und an den Häusermauern und über das Pflaster krochen dichte Schatten. Die Luft war feucht und schwül; es roch nach frischem Grün und fauliger Erde, und dazu kam noch ein eigentümlich schwerer Geruch, so etwas spezifisch Städtisches. Im Stadtgarten spielte der Wind leicht in den Zweigen, und dadurch entstand ein leises, flüsterndes Geräusch. Und dies leise Flüstern und die Schatten der Gewitterwolken gaben dem ganzen Bilde etwas Trauriges, Müdes. Die Straße war eng, leer, wie erdrückt von dieser nachdenklichen Stille. Irgendwo in der Ferne rollte ein Wagen, und das Rollen der Räder klang in der Stille herausfordernd frech, es tat beinahe weh.

Der Müller ging langsam, mit auf dem Rücken gekreuzten Händen die Straße hinauf. Unaufhörlich beschäftigte er sich mit seinen schweren, nebelhaften Halbgedanken und Halbgefühlen, die ihm das Herz bedrückten und die Seele.

Und plötzlich brach in die Stille ein Gewirr von Tönen ein.

Es waren die Klänge von Blasinstrumenten; sie klammerten sich förmlich ineinander und stiegen in einem wirbelnden lauten und doch harmonischen Walzer auf. Nur die eine Note war schwer und wie abgehackt – »uff, uff,« klang es. Sie fand keinen Zusammenhang mit den andern und stieg immer höher als die übrigen . . . Es war, als wollte sich etwas Großes, Schweres in ungeschickten Sprüngen befreien . . . aber es ging nicht.

»Hineingehen? Soll ich?« fragte sich der Müller und blieb vor einem offenen Tor mit zwei hellbrennenden Laternen stehen. Hinter dem Tor zog sich schnurgerade eine Akazienallee. Und während er noch überlegte, ob er hineingehen solle oder nicht, schritt der Müller schon durch die Akazienallee und musterte die Laternen, die an einem Seil längs der Bäume hingen. Die Laternen schaukelten im Winde und warfen scheckige Flecke auf den bräunlichen Weg. Die Allee machte plötzlich eine scharfe Schwenkung nach rechts, und Tichon Pawlowitsch erblickte eine Estrade, auf der die Militärmusik spielte; vor der Estrade standen kleine Bänke und auf ihnen sah er dunkle Gestalten. Aber er wollte nicht hingehen und setzte sich auf eine der Bänke, die zu beiden Seiten der Allee standen.

Die Bäume rauschten und über ihnen zogen immer rascher die Wolkenfetzen . . . Eine Frau kam an Tichon Pawlowitsch vorüber . . . Er schaute ihr gleichgültig nach; da drehte sie sich um und ging wieder an ihm vorbei. Er schickte ihr in Gedanken ein Schimpfwort nach – aber sie machte plötzlich wieder kehrt und setzte sich direkt neben ihn und schaute ihm ins Gesicht.

Dunkle, forschende Augen blitzten vor ihm auf; dann sah er aufgeworfene, rote Lippen und eine gerade, schöne Nase.

Angeekelt, wie es einem gesetzten Manne geziemt, zog er sich zurück, und ihm wurde noch öder zumute.

»Langweilst dich, Kaufmann?« fragte seine Nachbarin.

»Ja–a!« antwortete er in langgezogenem Ton und fügte ärgerlich hinzu: »Geh zum Teufel und stell nicht hier umsonst deine Netze auf . . . Bin kein solcher.«

Sie lachte auf. Und sie hatte ein tiefes, angenehmes Lachen.

»Wie böse! . . . Hab keine Angst, geschieht dir nichts. Ich langweil mich auch und deswegen hab ich gefragt . . .«

Er antwortete nicht und hoffte, sie werde bald gehen. Aber sie ging nicht. Sie gähnte nur ein paarmal leise und blieb ruhig neben ihm auf der Bank sitzen. Er schielte ein wenig zu ihr hinüber und sah, daß sie noch sehr jung und schön war. Lange schwiegen sie beide. Die Musik machte eine Pause und fing dann wieder zu spielen an, aber es klang diesmal weniger laut.

»Was fängst du denn hier Maulaffen, wenn du dich langweilst?« fragte der Müller plötzlich seine Nachbarin.

»Und warum sitzest du denn hier?« fragte sie kurz zurück, ohne ihn anzuschauen.

»Ich bin ein Fremder . . . Wohin soll ich gehen? . . .«

»Geh ins Hotel, wo du abgestiegen bist, oder sonst in eine Schenke.«

»Ach was,« antwortete Tichon Pawlowitsch und fügte nach einer Weile hinzu: »Allein langweile ich mich dort . . .«

»Such dir Gesellschaft . . .«

»Soll ich sie vielleicht auf der Straße zusammenlesen?«

»Im Wirtshaus findet sich immer was.«

»Hm, das ist schon richtig . . .«

»Und wirklich, warum sollte ich nicht in eine Schenke gehen?« dachte Tichon Pawlowitsch . . . »Und die da . . . dies Weibsbild mitnehmen . . . Vielleicht zerstreut mich das . . .«

Und plötzlich war sein Entschluß gefaßt.

»Kommst du mit, wenn ich in eine Schenke geh’?«

Sie antwortete nicht sofort, und sagte dann zögernd:

»Meinetwegen . . . Aber mich wird hier ein Mensch suchen.«

»Was für ‘n Mensch denn wieder?« fragte er ungläubig.

»Nein, wirklich . . . ein Handwerker.«

»Was brauchst ihn? . . . Spuck auf ihn und komm!«

Der Gedanke an einen lustigen Abend kam ihm immer verlockender vor.

»Na ja, ich geh schon . . . Er wird uns vielleicht entgegenkommen.«

»Ist gar nicht nötig,« brummte der Müller und stand auf, »also vorwärts!«

Sie stand auf und ging neben ihm her. Groß und schlank war sie und trug ein weißes Kopftuch, und er war ein dicker Mann und seine Poddewka ging ihm weit über die Knie.

»Nein, wenn wir ihm begegnen würden, wär’s gut,« sagte sie und fügte erklärend hinzu:

»Er hat keine Hände.«

»Wieso?«

»Die Maschine hat ihm die Hände fortgerissen.«

»Wozu brauchst du ihn dann?« wunderte sich Tichon Pawlowitsch.

»Er singt aber schön.«

»Nu?«

»Wir wollten heut zusammen in den Wald am Fluß gehen.«

»So? . . .« lächelte der Müller. »Nun, und was jetzt?«

»Nichts,« antwortete sie kurz.

Sie traten aus dem Garten; der Müller fragte sie nach einer Schenke und rief dann eine Droschke herbei.

Der Wagen stolperte und polterte über das unregelmäßige Pflaster zwischen zwei Häuserreihen. Es war noch nicht spät. Aus den Fenstern drang Lampenschimmer und Stimmengeräusch auf die Straße. Sie kamen an einem kleinen weißen Hause vorbei, und der Müller hörte das dröhnende Lachen einer tiefen Baßstimme, dem das leise, hübsche Kichern einer Frau antwortete.

»Die Menschen lieben alle . . . und machen sich keine Sorgen und denken nicht nach,« dachte er, und wieder stieg so ein bitteres Gefühl in ihm auf. Und es war auch Mitleid mit sich selber dabei.

»Du sagst, er hat keine Hände?« fragte er nach einer Pause das Weib.

Sie hatte sich fest an ihn geschmiegt; mit der einen Hand hielt sie sich am Wagen fest und mit der anderen umklammerte sie sein Knie.

»Wer? Mischa? Ja . . .,« antwortete sie.

»So. Und was ist er dir, ein lieber Freund oder was?«

»Nu–u. So was. Er ist schon alt und krank. Er ist ein alter Bekannter von mir, hat mich auf den Händen rumgeschleppt, als ich klein war.«

»Sieh mal einer an. Und was ist dein Vater?«

»Er war ein Maler.«

»Er ist tot?«

»An der Cholera ist er gestorben . . . Wir sind bald da.«

»So . . . Und vorher, womit hast du dich da beschäftigt?« fragte der Müller neugierig. Ihm wurde wohler, wenn er sprach.

»’ne Schneiderin war ich,« antwortete sie.

»Sieh mal an!«

Einige Minuten später saßen sie in einer Ecke des großen Wirtshaussaales. Die Schenke war schmutzig und eng und es stank. In der Mitte lärmte eine Gesellschaft betrunkener Fuhrleute um einen Tisch; an einem Fenster, auf dem blühender Geranium und Fuchsien standen, tranken zwei verdächtige Individuen Tee. Der eine war kahlköpfig, hatte eine Habichtnase und hustete fortwährend. Der andere sah wie ein Soldat aus und hatte einen schwarzen Schnurrbart. Er pfiff melancholisch durch die Zähne und schaute in sein Glas. In der Ecke hinter dem Kachelofen hockte ein alter Mann mit weißen Haaren; er hatte ein müdes, frommes Gesicht und zwinkerte süßlich mit seinen kleinen Augen. Und dann waren noch ein paar Menschen da – sie saßen sonderbar verstreut in dem großen, rauchgeschwärzten Zimmer, und keiner scherte sich viel um den andern.

Der Müller und seine Freundin setzten sich in eine dunkle Ecke an der Türe, in einen kleinen abgegrenzten Raum, von dem aus sie das ganze Zimmer gut übersehen konnten. Die Schenke war durch fünf Hängelampen beleuchtet. Ihr Tisch stand am offenen Fenster und von der Straße wehte ein warmer Wind hinein. Er brachte auch verschiedene sonderbare Gerüche mit.

»Wie heißest du, Schöne?«

»Anna.«

»Na also, Anuschka, trinken wir eins zur Bekanntschaft.«

Vor ihnen stand eine Flasche Branntwein; er schenkte zwei Gläschen ein und sie stießen an. Anuschka nahm das Kopftuch ab und wurde noch schöner. Ihr Haar war dicht, kastanienfarbig und wellig; längliche braune Augen hatte sie, und tief drinnen in ihnen steckte so ein lebhafter, flackernder Funke. Sie kniff sie zusammen und öffnete sie dann wieder weit, während sie mit der weißen vollen Hand die Falten glättete, die ihre Perkaljacke auf der Brust warf.

»Kannst auch ‘nen Russischen tanzen?« fragte der Müller und betrachtete sie aufmerksam. Er dachte, daß sie gut aussehen müsse beim Tanzen, namentlich dann, wenn sie ihrem Partner halb den Rücken zuwandte und dabei so mit den Augen lockte.

»Ich tanze,« antwortete sie und schenkte sich von neuem ein.

»Und trinkst auch?« lachte Tichon Pawlowitsch.

»Bei unserem Geschäft muß man trinken,« antwortete sie ruhig, »es geht nicht anders.«

»Ist das denn so schwer?« fragte der Müller, ohne ein gewisses Mißtrauen zu verbergen, mit ironischem Lächeln.

Sie antwortete nicht sofort. Erst zuckte sie nur mit den Schultern und glättete ihr Haar. Dann brach sie ein kleines Stück Schwarzbrot ab, roch daran mit der Miene einer Gewohnheitstrinkerin, legte es schließlich in den Mund und begann dann langsam kauend:

»Hei, wenn man euch zwingen wollte, jedes Weibsbild zu küssen, die’s von euch verlangen wollte, ‘s würde euch auch übel werden, wenn ihr auch Männer seid. Und unsereins muß – denn es ist unser Brot. Und hübsche gibt’s wenig unter euch, die meisten schauen aus, daß einen ekelt . . . Und dann ist’s auch eine Sünde. Wir sind nicht gefühllos . . . Wenn wir an Gott denken, schämen wir uns. Manchmal, so im Katzenjammer, drückt’s einen so, daß man am liebsten den Kopf in eine Schlinge stecken möchte . . . Na, dann nimmt man gleich ein halbes Maß und spült das ‘runter . . . Dann kommt man wieder ‘rein . . . Ohne Branntwein geht’s nicht . . . so ‘n Leben.«

Schon als sie zu sprechen begann, fühlte Tichon Pawlowitsch, wie der Funke in ihren Augen ihn am Herzen packte und kniff. Und die Augen wühlten so sonderbar in seinem Gesicht, wie um sich seine Züge einzuprägen. Und als sie dann von denen begann, die sie anekelten, und eine Pause machte, fühlte er, daß etwas Beleidigendes darin für ihn lag. Und zuletzt sprach sie gar von Gott. Dazu hatte er sie wahrhaftig nicht eingeladen.

Eine dumpfe Wut gegen dies Weibsbild stieg in ihm auf, und er antwortete streng und hart:

»Wem was beschieden ist, der hat auch sein Kreuz zu tragen . . . N’ ja. Und ich bin mit dir hergekommen, um mich zu amüsieren und nicht um Fastenpredigten zu hören. So ‘n Gespräch ist gar nicht am Platze bei unserem Geschäft. Ich wünsche mich zu erheitern und mit Lärm . . . verstehst? Hundert Silberrubel schmeiß ich auf den Tisch, aber meine Seele soll Ruhe haben. Sturm soll sein. Kannst du mir bei diesem Geschäft helfen, so sollst du einen Papierzehner bekommen. Aber so soll’s sein.«

Seine Augen flackerten plötzlich in wildem Feuer auf und er fuhr sich mit der Hand über die Kehle, dann schüttelte er den Kopf und zwinkerte.

Sie verstand ihn, und ihr ganzes Wesen war im Moment verändert. Bis jetzt war er ihr wie ein Waschlappen vorgekommen, wie ein solider Familienvater, der auch die Sünde nur bis zu einer gewissen Grenze treiben wollte, aber jetzt begriff sie, daß die Sache sich noch ganz anders gestalten konnte. Ihre Augen blitzten, als sie jetzt rasch vom Stuhl aufsprang und das Kopftuch überwarf.

»Das hätten Sie gleich sagen sollen,« rief sie lebhaft, »aber Sie mahlen mit Ihrer Zunge, kein Mensch begreift was und warum. Warten Sie, ich komme gleich wieder. Ein Harmonikaspieler wird gleich hier sein; wir werden Lieder singen und tanzen. Und gehen Sie inzwischen dahin« – sie wies mit dem Finger ins Nebenzimmer – »und bestellen Sie Tee und Branntwein und was dazu. Na, ich gieß auch noch eins ‘runter.«

Sie stürzte rasch noch ein Glas herunter, lächelte und verschwand.

Tichon Pawlowitsch rief nach dem Kellner, richtete ihm alles aus, was sie aufgetragen hatte, und ging in den Nebenraum. Es war eine Art Korridor, sonderbar eng und rauchig. Die drei Fenster gingen auf die Straße hinaus; an der einen Zwischenwand hing ein Bild, das eine Jagd darstellte, an der anderen – eine nackte Frau. Tichon Pawlowitsch betrachtete aufmerksam beide Bilder und setzte, sich dann an einen runden, kleinen Tisch, der vor einem breiten Lederdiwan stand, über dem wieder ein Bild hing. Aber man konnte nicht recht unterscheiden, was es darstellte; es konnte eine gemähte Wiese sein, aber ebensogut das Meer bei stillem Wetter. In der Mitte des Bildes war ein großer brauner Fleck; das konnte eine Hütte sein, aber auch ein Schiff, nach Belieben. Zu beiden Seiten des Bildes brannten zwei Lampen. Im großen Zimmer lärmte das Publikum; es kamen immer mehr Leute; die Gläser klirrten und die Stöpsel flogen krachend aus den Flaschenhälsen.

»Wollen ‘mal versuchen, uns aufzurappeln,« dachte Tichon Pawlowitsch und schenkte sich von neuem Branntwein ein.

»Und nach der Rappelei werden wir wieder leben. Vielleicht geht’s dann wieder. Hab mich genug mit mir rumgequält. Wenn ich verstehen könnte, was und wie – das wär’ was anderes. Aber verstehen kann ich’s nicht. Es drückt mich und ich weiß nicht, was mich drückt. Es saugt an mir – und fertig . . . Also sagen wir, ein Mensch stirbt – was ist denn dabei? Ist doch sehr einfach, er hat gelebt und darum ist er auch gestorben. Ich werde auch sterben . . . Seine Seele soll man nicht vergessen – das ist schon richtig. Aber was will sie? Wenn ich das verstehen könnte!«

Ihm fiel Kuska ein.

»Der weiß sich zu helfen und gibt sich freie Bahn. Lebt und will von nichts wissen . . . und Gedanken quälen ihn nicht. Und er hat doch auch eine Seele, wenn man sich’s recht überlegt. Und der Lehrer hat eine Seele. Und doch, alle Menschen sind verschieden. Und diese da – dies Frauenzimmerchen sagt auch – es ist eine Schande zu leben. Und warum eine Schande, wenn’s das Schicksal so will? Ohne Gottes Wille fällt kein Haar von deinem Kopf . . .« Und wieder fiel ihm etwas Unklares, Fernes ein, was ihm wieder Kopf und Herz wie mit einem feuchten, schweren Nebel bedeckte.

Er seufzte schwer, leerte sein Glas von neuem und lehnte sich gegen das Sofa.

Und wieder lauschte er auf seine Gedanken.

Ganz deutlich sah er plötzlich die große Trompete der Militärkapelle vorhin im Garten.

»Uf, Uf,« brüllte sie und schien aus dem Kreise der anderen Töne fliehen zu wollen. Und dann fiel ihm plötzlich das Wagengerassel ein, das so roh die Stille des Abends unterbrochen hatte.

»Kann man sich denn selbst verstehen, wenn der Mensch wie ‘ne Mühle ist? Den ganzen Tag schüttet man alles Mögliche auf seinen Verstand auf!« Tichon Pawlowitsch war förmlich aufgebracht, aber er wußte nicht recht gegen wen.

»Die haben’s gut, die verstehen können. Aber wir, was sollen wir denn tun? Wir sind kleine Leute, unwissend. Die Seele . . . ich verstehe. Aber wo ist mein richtiger Weg . . . wo soll ich den finden? Da sitzt der Nagel.«

Aber tief in seinem Innern quälte ihn noch etwas, so etwas Scharfes, Ätzendes, und es stach wie mit Nadeln. Und ihm war, als hatte er sich in zwei geteilt: die eine Hälfte wollte die andere irgendwohin stoßen; er mußte sich selbst vorsichtig aus dem Wege gehen, sowie er oft verschiedenen Bauern aus dem Wege gehen mußte, mit denen er Abmachungen getroffen hatte.

»Streit ich denn mit ihm?« bewies er sich selber und runzelte die Stirn. »Ich habe gesündigt und mein Herz ist versteinert – ich verstehe . . . Aber was soll ich denn jetzt tun? Wenn die Fastenzeit kommt – werde ich Buße tun, und bis dahin muß ich’s halt tragen – so oder so.«

Und doch begriff er zuletzt klar, daß er unmöglich lange hier allein bleiben könnte, sonst mußte der Gram ihn wieder packen. Und er fürchtete sich davor. Dort drüben im Garten und auf dem Wege hierher hatte er ihn nicht mehr gespürt, aber jetzt stand er wieder deutlich vor ihm; er wuchs und umklammerte ihn fester und fester.

Der Müller fühlte sich wieder unbehaglich, fast verlegen. Er stürzte noch ein Glas Branntwein hinunter und ging dann in das große Zimmer hinüber, wo er schon vorher gesessen hatte.

»Und wohin hat sich diese Teufelspuppe denn versteckt?« dachte er empört.

Man betrachtete ihn draußen mit neugierigen Blicken und der Mann mit dem Soldatengesicht beobachtete ihn mit einem Paar Augen, die nichts Gutes zu prophezeien schienen.

Der Müller machte kehrt und fuhr zurück. Vor ihm stand ein großer Mann in einem roten Hemde, dessen Ärmel baumelnd von den Schultern herabfielen. Sie waren leer. Ein keilförmiger, blonder Bart verlängerte noch das blasse, vertrunkene Gesicht mit den fieberhaft glänzenden grauen Augen. Der Hals war sehr lang, mit stark vortretendem Adamsapfel, was der ganzen Gestalt etwas Kranichartiges gab. An den Füßen trug er Filzstiefel und Plüschhosen, die an den Knien stark abgerieben waren. Er war sicherlich schon gegen fünfzig Jahre alt; aber die glänzenden Augen ließen ihn jünger erscheinen. Er maß Tichon Pawlowitsch mit einem durchdringenden Blick und ging dann an ihm vorüber in das lange Zimmer.

»Also Sie sind der Kaufmann?« sagte er, als er sah, daß der Müller ihm folgte.

»Ich . . .«

»Schenken Sie mir ein Gläschen ein.«

»Mit Vergnügen.«

»Und reichen Sie’s mir.«

Der Müller schenkte ein Gläschen Branntwein ein und führte es an die Lippen des Krüppels. Der zog erst unter sonderbarem Pfeifen die Luft ein und schlürfte dann den Schnaps, bis auf den letzten Tropfen.

»Nimmst du was dazu?«

»Nach dem ersten Glase noch nicht.«

»Soll ich noch einschenken?«

»Danke untertänigst.«

Der Krüppel sprach mit hoher, metallartiger Stimme, und nach den ersten zwei Gläsern glänzten seine Augen noch mehr und auf den Wangen traten zwei grelle Flecke hervor. Tichon Pawlowitsch reichte ihm ein Stück Brot mit gesalzenem Fisch. Der Krüppel griff mit den Lippen danach, setzte sich auf den Diwan und legte das Brot auf den Rand des Tisches. Er aß, indem er tief den Hals bückte. Wenn er ein Stück abbiß, mußte er die Unterlippe weit vorschieben, um auf diese Weise das Brot am Hinunterfallen zu hindern.

Tichon Pawlowitsch schaute ihm zu, und dieser verstümmelte Mensch tat ihm leid.

»Wie ist denn das gekommen mit den Händen?« fragte er mitleidig.

»Sehr einfach. Ich war mal betrunken und kam unter den Treibriemen – eins, zwei, drei – drei Monate Spital, und dann war der Bettler fertig.« Der Krüppel sprach hastig und maß den Müller mit scharfen, stechenden Augen.

»Weh tat’s wohl sehr, was?« rief der Müller und schnalzte mit den Lippen.

»Ja . . . aber das ist vorüber. Und was vorüber ist, das ist eben nicht mehr da. Schlimm ist nur das, was da ist, und auf alles andere kann man spucken.«

»Das heißt?« fragte Tichon Pawlowitsch unsicher.

»Sehr einfach. Ohne Hände kann man nicht leben. Sogar Almosen kann man nicht annehmen – und das ist schon eine Gemeinheit. Wenn man den Mund vorstreckt, können sie einem die Zähne ausschlagen.«

»Das ist richtig.« Tichon Pawlowitsch lachte.

Der Krüppel hatte was Lebhaftes, Keckes an sich, und seine Augen glänzten so klug. Und Tichon Pawlowitsch dachte im stillen, daß er gewiß ein lustiger, guter Bursch sei, wenn ihm auch die Arme fehlten.

»Nichts ist wahrer,« nickte der Krüppel und hustete laut.

»Und wo bleibt Anuschka?« fragte der Müller.

»Wo haben Sie sie . . . abgefangen?« fragte der Krüppel.

»Hab sie im Stadtgarten . . . getroffen.« Der Müller erachtete es als notwendig, seiner Stimme einen merkwürdig langen Klang zu geben.

»Ah! . . .«

»Was denn? . . .«

»So . . .«

»Ein schönes Mädchen . . .« sagte Tichon Pawlowitsch. Er fühlte dunkel, daß das feindliche Gefühl seines Zechkumpans gegen ihn immer mehr wuchs.

»Die ist auch ein Krüppel,« warf der andere ein.

»Wieso denn?«

»Sie hat keine Seele. Mir hat die Maschine die Arme entzweigemacht und ihr hat das Leben die Seele entzweigemacht. Das Leben armer Leute ist ein verfluchtes; es macht alle zu Krüppeln ohne Grund. Verflucht!«

Sie schwiegen. Der Krüppel bewegte sich unruhig auf dem Diwan hin und her, wie von Ungeduld gepeinigt. Und der Müller beobachtete ihn verstohlen und fühlte sich immer unbehaglicher. Er fürchtete sich beinahe; die bekannten Nadelstiche in seinem Innern begannen wieder. Denn man fühlt sich wohler während eines Gespräches und man merkt nicht, was in einem vorgeht, wenn man von äußerlichen Dingen redet.

»Noch ein Gläschen?«

»Geben Sie her. Aber das ist das letzte, sonst kann ich nicht singen.«

»Warst du mal Sänger?«

»Ich? Ich war schon alles. Uhrmacher war ich, Sänger war ich, Weichensteller an der Eisenbahn. Mit Hornarbeiten hab ich gehandelt; Ladendiener war ich . . . ich weiß nicht mehr alles. Hab lang gelebt.«

»N’ ja . . . So! . . .« murmelte der Müller, von der Vielseitigkeit des andern betroffen. Wieder schwiegen sie.

»Warum Anuschka gar nicht kommt?«

»Aniuta?« Der Krüppel krümmte sich förmlich. »Die wird schon kommen.« Er lachte trocken. »Seien Sie nur ganz ruhig . . . Sie haben ihr ja zehn Rubel versprochen und sie tut’s auch für einen . . .« Er wand krampfhaft seinen langen Körper und hustete.

»Wissen Sie, ich kenn diese Aniuta seit ihrem sechsten Jahr. N’ ja. Wie gefällt Ihnen das? Ich hab sie auf meinen Händen getragen und ihr Pfefferkuchen gekauft, und jetzt leb ich selbst unter ihrem Schutz . . . Ich hab ihr Pfefferkuchen gebracht, und jetzt bringt sie mir Brot und Schnaps . . . Die Zeiten sind veränderlich und die Menschen sind Viecher. Übrigens geht alles nach seinen Gesetzen, und der Mensch ist auf Erden nichts anderes als ein faulender Wurm. Alles ist in Ordnung – weinen und klagen führt zu nichts. Leb und warte, bis es dich zerbricht, und wenn’s dich zerbrochen hat, wart auf deinen Tod. Das ist alles, was man an klugen Worten hat. Verstanden? Aniuta und ich und Sie – wir alle haben in unserer Kindheit alles verloren und bis jetzt nichts gefunden, nicht mal nen trockenen Holzapfel. Richtig. Weiter ist nichts zu sagen. Alle Gespräche sind Blödsinn und Unsinn. Früher hatte ich mal ne andere Meinung vom Leben, hab mich sehr viel gekümmert um meines und um das von anderen Leuten – was und wie . . . Heut spuck ich auf alles. Das Leben geht seinen vorgeschriebenen Weg, und es muß so gehen, ich kann nichts dazu tun . . . Das sind Gesetze, läßt sich nichts dagegen machen . . . Und ‘s ist auch nicht nötig, denn sogar der, der alles weiß, weiß nichts. Glauben Sie mir . . . Ich hab mit den klügsten Menschen darüber gesprochen, mit Studenten und mit vielen Dienern der heiligen Kirche. Che, che! Räsonieren tun die Leute über das und vieles andere. Dumm, ganz dumm ist’s. Wozu räsonieren, wenn Gesetze und Kräfte da sind? Und was soll man dagegen tun, wenn all unsere Hilfsmittel im Kopfe liegen und der auch den Gesetzen unterliegt und den Kräften? Verstehen Sie? Das ist sehr einfach. Das heißt, leb und rühr dich nicht, sonst wirft dich die Kraft gleich zu Boden, und sie besteht aus deinen eignen Eigenschaften und den Plänen und den Bewegungen des Lebens. Das nennt man – Phi–lo–so–phie des wirklichen Lebens . . . Verstanden?«

Und der Krüppel geriet immer mehr in Eifer, während er dem Müller seine abgerissenen, nebelhaften Phrasen ins Gesicht schleuderte. Der Ton seiner Stimme war sonderbar. Tiefe Bitternis klang darin und vollkommene Trostlosigkeit und ätzender Spott, und dazu kam noch eine fast mystische Furcht vor den Gesetzen und Kräften, von denen er sprach. Er sagte diese Worte mit sonderbarer Betonung und dämpfte die Stimme, wenn er sie aussprach; aber ihren Sinn verstand er schwerlich.

Tichon Pawlowitsch verstand wenig von den wirren Worten des anderen; aber eine nervöse Bangigkeit überkam ihn, und er fühlte dunkel, daß sie ihm etwas erklärten. Und als der Krüppel jetzt atemlos eine Pause machte, fragte er schüchtern und nachdenklich:

»Das heißt, der Mensch kann sich nirgends hintun.«

»Nicht einen Zoll weit,« nickte der Krüppel und beugte sich dann mit dem ganzen Körper zu Tichon Pawlowitsch hinüber.

»Die Gesetze,« sagte er mit strenger und gedämpfter Stimme, »die geheimen Gesetze und Kräfte, verstehen Sie?«

Er zog die Brauen zusammen und schüttelte vielsagend den Kopf:

»Niemand weiß was . . . Nebel.«

Er machte wieder einige hastige Bewegungen und zog den Kopf ein, und der Müller dachte, daß sein Zechkumpan ihm jetzt sicherlich mit dem Finger drohen würde – wenn er Arme hätte. Aber er hatte ja keine Arme.

»Das heißt also: Leb und beklag dich nicht und ergib dich. Weiter nichts.«

»N’ ja–a–a!« antwortete der Müller und runzelte nachdenklich die Stirn.

»Nun – und die Seele?« fragte er dann schüchtern.

»Die Seele . . . Haben Sie schon Säuglinge und kleine Kinder in Schenken und ähnlichen Orten gesehen? Das ist die Seele auf Erden. Eine Prüfung wird ihr auferlegt . . .«

»Nun, und wenn dann das Gewissen? . . .«

»Da kommen sie . . .« nickte der Krüppel.

In der offenen Tür stand schweratmend und erhitzt Anuschka; hinter ihr sah man ein Gesicht mit spöttisch-blinzelnden Augen und einem kecken Schnurrbart.

»Michail Antonitsch . . . Kostia ist gekommen . . . Und ich bin müde.«

»Kostia,« rief der Krüppel freudig, »das ist gut. Das wird gut werden, großartig. Kostia, komm her . . . Schau dir den an, Kaufmann; das ist ein Talent. Das ist die Seele.«

Hinter Anuschkas Ellbogen kroch noch ein magerer, gelber Mann hervor. Er war buckelig und hatte eine eingefallene Brust. Seine dünnen Lippen standen halboffen und zeigten zwei Reihen schwarzer, mit Weinstein bedeckter Zähne.

Es wurde laut im Zimmer.

Der Schnurrbärtige mit den spöttischen Augen entpuppte sich als Harmonikaspieler. Er setzte sich sofort in eine Sofaecke und nahm seine Harmonika auf den Schoß; sie war groß und mit unzähligen Klappen versehen. Er griff einen merkwürdig hohen, schrillen Akkord, warf Tichon Pawlowitsch einen triumphierenden Blick zu und goß sich ein Gläschen Branntwein ein.

Außer Anuschka war noch ein zweites Mädchen gekommen; Tania nannte sie ein junger Mensch in einem städtischen Rock, der halb wie ein sauberer Handwerker und halb wie ein Kommis aus einem kleinen Laden aussah. Sie setzten sich ans Fenster, während Anuschka, der Harmonikaspieler, Kostia, der Krüppel und Tichon Pawlowitsch eine Gruppe um den Tisch bildeten. In dem großen Nebenraum waren jetzt auch beinahe alle Tische besetzt; lauter, trunkener Lärm drang herein und mischte sich in die ohrenbetäubenden Töne der Harmonika.

Der Krüppel und Kostia flüsterten halblaut miteinander. In Kostias Gesicht leuchteten ein Paar tiefliegende Augen und unter ihnen lagen große, dunkle Flecke. Er trug eine lange Poddewka, wie der Müller, und darüber ein rotes Hemd. An den Füßen hatte er Stiefel. Anuschka sprach eifrig mit dem Harmonikaspieler und lächelte listig; aber er blickte nur einmal gleichgültig zu dem Müller hinüber und schwieg.

Alle fühlten sich etwas verlegen, und Tichon Pawlowitsch verlor seine ganze Haltung, als er sich plötzlich von soviel Fremden umringt sah, die sich dazu noch alle so wenig um ihn kümmerten. Er kam sich wie hinausgestoßen vor, wohin, wußte er selbst nicht recht; aber trotz des Nebels, der sich infolge des genossenen Branntweins und des Gesprächs mit dem Krüppel auf sein Gehirn gelegt hatte, fühlte er doch dunkel, daß er die Rolle des Gastgebers übernehmen müsse. Jetzt zwinkerten Anuschka und Tania einander zu und begannen zu kichern, und der Mann im städtischen Rock lachte laut und gutmütig mit. Der Harmonikaspieler entlockte seinem Instrument lange, quietschende Töne, und Kostia und der Krüppel sprachen noch immer miteinander.

Tichon Pawlowitsch räusperte sich, um die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und die anderen verstanden ihn. Alle scharten sich enger um den Tisch; Anuschka sprang vom Sofa auf und setzte sich neben ihn auf einen Stuhl, und auch das andere Paar kam vom Fenster in die Mitte des Zimmers.

»Zum Anfang trinken wir eins, meine Herrschaften,« erklärte Tichon Pawlowitsch, und es gefiel ihm, daß er diese Worte so gesetzt, beinahe solid gesagt hatte.

Und sie tranken. Dem Krüppel reichte Kostia das Glas, denn er saß neben ihm.

»Sie,« wandte sich Tichon Pawlowitsch an den Krüppel. »Sie, als solch ein Mensch.« Er stockte und starrte die armlosen Schultern des Krüppels an.

»Übernehmen Sie das Kommando. Lustig soll’s sein; daß sich alles im Kreise dreht, will ich . . . Trinken wir noch eins, um reinzukommen.«

»Das geht,« nickte der Krüppel mit dem Kopf. Je mehr er trank, je größer wurden seine Augen, und der Adamsapfel begann zu zucken.

»Trinken wir und dann singen wir im Chor. Was? Du, Kostia, fängst an und singst die erste Stimme, Anuschka hilft und Sie, Mark Iwanitsch, spielen auf der Harmonika.«

Jetzt sprachen alle durcheinander. Der junge Mann im städtischen Rock behauptete, daß sie zu einem Chor zu wenig Stimmen hätten; der Harmonikaspieler war derselben Ansicht und unterstützte sie durch eine Menge technischer Ausdrücke.

»Es geht nicht, denn Sie haben alle Dur–, das heißt laute Stimmen. Es wird nichts als Geschrei herauskommen. Ein Trio wird grad gut sein; also zu dritt muß man singen.«

Anuschka schmiegte sich wie ein Kätzchen an den Müller; sie war schon etwas angeheitert und erregt. Er bemühte sich noch, eine gewisse Gesetztheit zu wahren, lächelte aber schon trunken und zwickte sie in die Hüften; dann kreischte sie leise und klopfte ihn auf die Hände. Sie vergaßen sich schon ein wenig, und um sie wogte der Streit, was und wie man singen solle.

Zur Türe schauten diverse typische Wirtshausphysiognomien hinein; sie betrachteten eine Weile die erregte Gesellschaft und verschwanden dann, um wieder anderen Platz zu machen.

»Mark Iwanitsch, das ist aber falsch,« rief der Krüppel bekümmert.

»Nein, nein,« antwortete der Harmonikaspieler in tiefem Baß.

Nur Kostia nahm an dem Streit nicht teil. Er hatte sich in eine Ecke des Diwans gekauert und saß mit vorgestreckter Brust und halbgeschlossenen Augen. Er war plötzlich sehr blaß geworden.

»Kustiuschka, stimm an,« rief Tania mit hoher Sopranstimme und stützte beide Arme auf den Tisch. Ihr Kavalier flüsterte ihr etwas ins Ohr und wies dabei nach dem Müller, der seine Nachbarin um die Taille gefaßt hatte und ihr ein Gläschen Likör an die Lippen führte. Sie zierte sich und wandte den Kopf weg. Tania warf den beiden einen trägen Blick aus ihren stumpfen, blauen Augen zu und nahm wieder ihre alte Stellung ein:

»Also fangt doch mal an,« rief sie dem Harmonikaspieler zu.

Aber der Krüppel bog seinen ganzen Körper zu ihm herüber und rief mit lauter, tönender Stimme, während ihm der Speichel aus dem Munde spritzte:

»Das ist wieder falsch. Man muß mit Trauer anfangen; das bringt die Seele erst in Ordnung, und dann zwingt man sie zuzuhören.«

»Was heißt denn das?« fragte der Harmonikaspieler skeptisch und zog die Brauen zusammen.

»So – Trauer ist sie gleich zugänglich . . . Verstehen Sie? Ihr müßt ihr eine Schlinge hinwerfen, zum Beispiel »Die Sonne geht rot unter«, dann bleibt sie stehen und erstarrt ganz. Und dann packt Ihr sie wieder mit was anderem, »Auf den Wiesen« vielleicht; aber mit Wirbel und Flammen und Tanz – brennen muß es. Brennen müßt Ihr sie, damit sie in Bewegung kommt, ordentlich. Dann geht schon alles seinen Gang. Dann beginnt die richtige Raserei. Man will etwas und braucht doch nichts. Sehnsucht und Freude . . . das spielt so alles zusammen im Regenbogen.«

Der Krüppel sprach beinahe atemlos vor Erregung und bewegte sonderbar den ganzen Körper, als wollte er gleich auf den Boden hinuntergleiten und sich dem Harmonikaspieler vor die Füße werfen. Und der Lärm in der Schenke wuchs immer mehr; chaotisch trunken wurde er jetzt.

Plötzlich brach eine hohe Tenorstimme durch den Lärm. Sie vibrierte krankhaft und der Ton war langgezogen, traurig.

»Ach, bei U-unwetter . . .«

»Sch-sch-sch,« zischte der Krüppel und warf den Kopf zurück. Er ließ einen Blick über das Publikum gleiten, bittend und ängstlich zugleich und dabei auch erfreut. Aber das Publikum war schon still und starrte Kostia an. Der saß noch immer auf dem Diwan, mit blassem Gesicht und krampfhaft zitternden Lippen. Die Töne rangen sich von diesen Lippen los, immer höher, stärker; aber sie waren wie gebrochen und sie kamen aus einer kranken Brust.

»Tania, mein Täubchen, sing mit,« flüsterte der Krüppel flehend.

»Weht der Wind und stöhnt,«

ging Kostia plötzlich in einen erzählenden Ton über.

Gleichgültig, als wollte sie sagen: »Ich kann’s, mir ist’s ganz egal,« schaute Tania zu Kostia hinüber und stemmte die Hand fest gegen die rechte Backe. Und noch ehe er mit seinen gesprochenen Worten fertig war, begann sie:

»Und meinen Ko-opf«

»Quält ein böser Schmerz,«

fuhr Kostia fort, noch immer unbeweglich, wie in sich selbst versunken. Er war klein, hager und gelb, und es war sonderbar, daß diese gekrümmte Gestalt so schöne, starke Töne hervorbringen konnte. Das Lied ging weiter, Ton um Ton. Kostias hoher, metallischer Tenor vibrierte, schluchzte und erstarrte plötzlich; aber immer, ehe er ganz verklungen war, griff Tanias Sopran ein; er stieg nachdenklich, traurig aus ihrer Kehle auf; gleichmäßig, trostlos ruhig klang er, fast fatalistisch eintönig, was die Worte noch trauriger machte. In der Türe des Zimmers stand eine Schar von Menschen mit roten, schwitzenden, erregten Gesichtern; hinter ihr im Schanksaal klirrten die Gläser und lärmten trunkene Stimmen; aber sie wurden immer stiller, und die Menge an der Türe drängte sich mehr und mehr ins Zimmer.

»Ach, dann geh ich in die Steppe«

erzählte Kostia traurig, mit roten Flecken im Gesicht.

»Ste-eppe«

fing Tania das Wort auf, aber ihre Stimme klang wie das gleichgültige Echo eines fremden Schmerzes. »Suche dort mein Los . . .«

Die Stimmen flossen ineinander und stiegen in einer einzigen, warmen Welle auf. Sie ließen die mit Fuselgeruch und Schweiß und Tabak geschwängerte Luft des Zimmers erbeben, schmeichelten sich in die Seelen der Zuschauer, erzitterten dann plötzlich und bebten und schluchzten, als wäre ihnen der Raum zu eng, zu drückend. Dann brach Kostias Stimme ab und schwieg, und Tania fuhr allein fort:

»Mütterchen, du Ste-eppe,
Mütterchen, du Steppe.«

Wieder begann Kostia mit einem Sehnsuchtsschrei:

»Nimm die Waise auf.
Nimm die Waise auf.«

Eine neue, dritte Stimme griff ein.

Es war beinahe eine Fistelstimme, aber sie schluchzte so aufrichtig und war Kostias Stimme so verwandt; sie flehte förmlich um Aufnahme. Sie verschmolz ganz mit Kostias Stimme; biegsam und zitternd wie jene bildete sie ihr Echo, den Schatten ihrer Haupttöne, und sie weinte und schluchzte, sang aber nur die Selbstlaute mit.

Es war der Krüppel, der mitsang, mit geschlossenen Augen und vorgestrecktem Adamsapfel.

Gleichmäßig, tief klang wieder Tanias Sopran dazwischen; wie ein breiter, dichter Sammetstreifen rollte er sich irgendwo im Raume auf, und darauf tanzten in phantastischen Mustern goldene und silberne Faden, Kostias und des Krüppels Stimmen.

Das Publikum lauschte gierig auf die traurige Geschichte der Waise, die in der Steppe ihr Los sucht. Tichon Pawlowitsch saß unbeweglich auf seinem Stuhl, ließ den Kopf hängen und saugte förmlich jeden Ton ein. Der alte Gram war bei den Klängen wieder erwacht; aber etwas Neues war dazugetreten, etwas Ätzend-Süßes, das ihm das Herz angenehm kitzelte. Ihm war, als begösse man ihn mit etwas Warmem, Dichtem. Wie frischgemolkene Milch war es. Und es drang in sein Inneres ein und füllte alle Adern; es reinigte sein Blut, es scheuchte seinen Gram auf und vergrößerte, erweiterte ihn noch; aber er wurde ganz weich und tat nicht mehr so weh. In jeder dieser Empfindungen war noch etwas Brennendes, Zwickendes; aber vereint riefen sie in der Seele des Müllers einen sonderbaren, süßen Schmerz hervor. Wie ein großer Eisklumpen lag es auf seinem Herzen, und er schmolz jetzt und zerfiel in kleine Stücke, und die stachen ihn.

Anuschka hatte den Kopf auf die Schulter ihres Nachbars gelegt und blieb unbeweglich in dieser Stellung. Die Augen hatte sie auf den Boden geheftet. Der Harmonikaspieler zupfte nachdenklich an seinem Schnurrbart, und der Mann im städtischen Rock stand wieder am Fenster und lehnte sich gegen die Wand. Er streckte komisch den Kopf vor, als wollte er die Töne mit dem Munde auffangen, und die Menge in der Türe scharrte und bewegte sich dumpf wie ein einziges, großes Tier.

Die drei sangen und berauschten sich an ihrem eigenen Lied.

Es klang schwer und leidenschaftlich, wie das Gebet eines büßenden Sünders; es war traurig und sanft wie das Weinen eines kranken Kindes; es war voll verzweifelten, hoffnungslosen Grams, wie jedes gute russische Lied.

»O, ich si-itze am Me-ere.«

schluchzte Kostia, dem der Schweiß auf die Stirne trat und wie Tränen über die Backen lief.

»O-o-a, o-o-o-o-a,«

begleitete ihn der Krüppel. Er hatte die Augen fest zusammengeklemmt und seine Nasenflügel zitterten nervös, und auch die Lippen und das Kinn zitterten.

»Und ich su-uche mein Lo-os«

Das war Tanias verzweifelte Stimme, und sie schüttelte den Kopf und lächelte so sehnsüchtig, so bitter.

»Meine Seele«,

sang Kostias schluchzender Tenor,

»– wa-aschen Tränen,
Bittre Trä-änen wa-aschen sie,«

zitterte die Stimme des Krüppels.

Die Töne schluchzten und schwebten weiter, immer weiter. Sie schienen abzureißen und zu ersterben; aber sie wurden wieder stärker, sie griffen den letzten sterbenden Klang auf und schwangen ihn wieder empor in die Höhe, und dort weinte und schluchzte und sank er wieder; der Fistelton des Krüppels verdeckte ihre Agonie, und Tania sang und Kostia schluchzte; er holte ihre Worte ein, er fing sie auf und wiederholte sie, und es war, als sollte das Lied kein Ende nehmen, als sollte die Waise in Ewigkeit ihr Los in der Steppe bei Sturm und Regen suchen, als der Müller plötzlich aufsprang.

»Brüder,« ächzte er dumpf, »Brüder, um Christi willen, ich kann nicht mehr.«

Sein Gesicht war rot und mit Tränen bedeckt; der Bart war von den herabrollenden Tränen durchnäßt und hatte sich zu einem Knäuel zusammengeballt; in den erschrockenen, weitgeöffneten Augen lag etwas Wildes, Begeistertes, das zugleich kläglich und brennend war. Beim Aufstehen hatte er Anuschka fortgestoßen und sie war beinahe gefallen. Jetzt starrte sie den Krüppel mit stumpfen, trüben Augen an – wie ein müdes Tier.

»Meine Seele habt ihr mir durchstochen. Genug – mein Gram. An mein krankes Herz habt ihr gerührt. Seit ich lebe, hatte ich so eine Stunde noch nicht.«

Tania warf ihm einen stumpfen Blick zu, und aus ihrer Kehle stiegen noch immer die gleichmäßigen, saftigen Töne auf; sie waren warm, diese Töne, aber ohne Feuer.

»Brüder, es brennt jetzt wie Kohlen in mir, so stark ist mein Gram. Was soll ich jetzt tun? Nach dem Messer könnt ich greifen.« Der Müller stöhnte noch immer dumpf und rollte die Augen, während er sich mit beiden Händen die Brust rieb.

»Trinken wir. Aber mit Gebraus und Tosen. Ach du, Leben!«

Der Krüppel und Tania brachen ab. Tania schenkte sich sofort ein halbes Glas Branntwein ein und goß es rasch hinunter, als hätte sie brennende Kohlen in ihrem Innern und müßte sie löschen. Der Krüppel atmete schwer. Er war plötzlich zusammengebrochen; die Wangen waren eingefallen und die Augen blickten stumpf und trüb, wie die der beiden Dirnen,.

»Schenk auch mir ein, Mark Iwanowitsch,« sagte er.

»Ihr habt prächtig gesungen,« sagte der Harmonikaspieler leise, und führte das Glas an seine Lippen.

Die Menge an der Türe bewegte sich und erhob einen chaotischen Lärm. Aufmunternde Ausrufe wurden laut und dazwischen liebkosende Schimpfworte.

»Glü-ück, ach du mein Glü-ück,«

schluchzte plötzlich Kostias Tenor dazwischen.

Er sang die ganze Zeit mit geschlossenen Augen und mußte von seinen eigenen Tönen hypnotisiert worden sein. Denn er, hatte das Geschrei überhört – er hatte einfach eine Pause gemacht, und jetzt sang er weiter. Man lachte. Die Menge an der Türe brüllte vor Vergnügen, und Tania lachte mit. Kostias Begeisterung kam ihnen unendlich komisch vor. Aber ihr Lachen weckte ihn auf. Er riß die Augen auf, nervös und erhitzt, schaute die lachenden Gesichter an und zog sich förmlich in sich zusammen; dabei wurde sein Gesicht blaß, es verlöschte fast. Jetzt war er wieder das kleine, gelbe Männchen von früher.

»Mädel, trink,« traktierte Tichon Pawlowitsch Anuschka. »Trink, amüsier dich. Ich rase heut, mich selbst würd ich zerstören.«

Der Harmonikaspieler griff nach seinem Instrument, dachte einen Moment nach, warf den Kopf zurück und spielte etwas Lustiges.

»Seht Ihr, wie wir des Kaufmanns Seele gerührt haben?« flüsterte ihm der Krüppel zu und stieß ihn mit dem Fuß an. Der Harmonikaspieler nickte nur schweigend mit dem Kopf. Tania war verschwunden und der Mann im städtischen Rock stand an der Tür und musterte das lärmende Publikum. Freche Gesellen tauchten an Tichon Pawlowitsch’ Tisch auf und tranken seinen Branntwein. Er stieß mit allen an und war schon leicht berauscht. Und auch Anuschka war nicht mehr ganz nüchtern.

»Tanzen will ich. Mark, spiel den Komorinsker Marsch,« rief sie, die Schultern bewegend. Der Krüppel beobachtete sie mürrisch vom Diwan aus und biß sich auf die Lippen.

»Nu, Michail Antonitsch, sei nicht böse. Ist ja alles eins,« lächelte sie ihm zu. »Man lebt nur einmal in der Welt! . . .«

»Und wenn das Weib viermal leben würde, wär es doch viermal ein Vieh,« antwortete er grimmig.

»Freund, schimpfe nicht. Sie ist ein liebreizendes Mädchen und ich liebe sie,« brauste der Müller auf. »Ihr habt meine Seele gerührt und sie gereinigt. Ich fühl mich jetzt so, ach! Ins Feuer würd ich laufen.«

»Der Mensch hat nirgends hinzulaufen . . . Schenk mir lieber ein.«

»Nicht laufen? Nirgends? Das ist richtig. Deine Hand. Ja, also Hände hast du nicht . . . Dann küssen wir uns.«

Er umarmte den Krüppel und küßte ihn. Kostia schenkte sich Branntwein ein und trank ein Glas nach dem andern, denn niemand kümmerte sich um ihn.

»’nen Russischen spiel. Tanzen will ich,« schrie Anuschka wieder. Der Harmonikaspieler griff einen merkwürdigen Akkord und begann dann »Über die Straße, die Straße«.

Anuschka stemmte die Arme in die Hüften und bewegte die Schultern. Erhitzt und verführerisch schön, glitt sie mit langsamen, pfauartigen Bewegungen vor dem vom Wein erregten Müller hin und her und warf ihm lockende Blicke zu.

»Ach du! Ich komm dir nach!« schrie er und stampfte mit beiden Füßen auf. Dann tanzte er ihr nach.

Und der Krüppel beobachtete ihn mit gefletschten Zähnen und verdrehte seine Augen.

Wieder staute sich eine lärmende Menge in der Türe und schaute den Tanzenden zu.

»Tichon rast,« schrie der Müller drohend, »ein Mensch hat sich erneuert. Ech – ma.«

***

Vier Tage darauf fuhr Tichon Pawlowitsch des Nachts von der Eisenbahnstation nach Hause.

Der Kopf tat ihm weh; er war verstimmt und zerschlagen und der Wagen schüttelte ihn hin und her. Von dem viertägigen, wüsten Rausch war ihm ein ekelhaftes, bitteres Gefühl in der Brust zurückgeblieben, und jetzt stellte er sich seine Frau vor und den Empfang, den sie ihm wohl bereiten würde. »Was, Väterchen,« würde sie sagen, »hast du dich wieder von der Kette losgerissen?« Und dann würde sie natürlich vom Alter sprechen und von seinen grauen Haaren, und von den Kindern und von der Schande und von ihrem unglücklichen Leben. Tichon Pawlowitsch schauderte und spuckte auf die Straße. Dann brummte er:

»Auch ‘n Leben!«

»Was sagt Ihr?« fragte sein Fuhrmann der redselige »Pantelej von der Eisenbahnstation«. Er hieß so zum Unterschied von einem andern Pantelej »dem Eingewanderten.«

»Nichts, fahr zu und kümmere dich um nichts,« antwortete Tichon Pawlowitsch wütend.

»Aha. Das kommt vor. Der Mensch denkt und denkt, und plötzlich spricht er mit sich selber laut. Das kommt vom vielen Denken, wenn . . .«

»Schweig!« unterbrach ihn Tichon Pawlowitsch.

»Na ja. Ich kann auch schweigen,« antwortete Pantelej nachgiebig und fing nach einigen Minuten wieder an.

Die Nacht war dunkel und die Steppe in tiefe Dämmerung gehüllt; am Himmel lagen unbeweglich graue Wolken. Nur an einer Stelle glänzte ein weißlicher, sonderbarer Fleck; das war der Mond, der durch die schweren Wolken durchbrechen wollte und es doch nicht konnte.

Sie kamen bis an den Zaun.

»Halt!« rief Tichon Pawlowitsch und kletterte vom Wagen herunter. Er schaute sich um.

Vierzig Schritt vor ihm lag sein Haus, wie ein dunkler, kantiger Haufen, rechts davon der gestaute Damm. Das dunkle Wasser war unbeweglich und sah unheimlich aus. Und alles war so still und drückend. Die Weidenbäume waren in dichte Schatten gehüllt und standen so gerade da und blickten so streng und so ernst. Irgendwo fielen Tropfen . . . Jetzt kam plötzlich der Wind vom Walde her; das Wasser bewegte sich erschrocken und plätscherte einmal auf, ganz leise, kläglich . . . Und die Weiden schüttelten den Schlaf ab und rauschten feierlich.

Tichon Pawlowitsch sah, wie das vom Winde bewegte Wasser wieder ruhig wurde. Ganz allmählich geschah’s. Jetzt bewegte sich nur noch die oberste Fläche ganz leise.

Und Tichon Pawlowitsch seufzte tief auf und ging ins Haus. Er murmelte: »Das Leben . . . ist nur ein Schwanken . . . Verstehst du, daß das nicht das ist . . . ja freilich . . .«

Aber das beruhigte ihn nicht.

Schuldig fühlte er sich plötzlich vor aller Welt und vor sich selbst, und bevor er ins Haus trat, blieb er stehen und griff nach seinem Bart. Er zerrte ihn und schüttelte dabei den Kopf, und dann sagte er laut:

»Du bist ein alter, schmutziger Teufel, Tichon.«

»Was?« schrie Pantelej »von der Eisenbahnstation« aus dem Dunkel.

»Nichts, mach daß du weiterkommst.«

Irgendwo krähten die Hähne.