Jack London
Ich möchte nur wissen, ob Sie einfach eigensinnig sind, oder ob Sie tatsächlich gedenken, Pflanzer auf den Salomons zu werden«, sagte Scheldon am nächsten Morgen beim Frühstück.
»Ich wünschte, Sie könnten sich besser in meine Lage versetzen«, sagte Joan. »Sie haben mehr Vorurteile, als ich je bei einem Manne gefunden habe. Warum können Sie bei allem gesunden Menschenverstand und guten Willen nicht in Ihren Kopf bekommen, daß ich anders denke als die Frauen, die Sie kennen, und daß Sie mich demgemäß behandeln müssen. Sie sollten es eigentlich wissen. Ich habe meinen eigenen Schoner hierher gefahren, und zwar als Schiffer, wenn ich bitten darf! Ich kam hierher, um mir meinen Lebensunterhalt zu verdienen. Das wissen Sie. Ich habe es Ihnen oft genug erzählt. Es war der Plan meines Vaters, und ich führe ihn aus, gerade wie Sie versuchen, den Plan Ihres Hughie auszuführen. Mein Vater gedachte solange zu segeln, bis er eine für seine Pflanzung geeignete Insel fand. Er starb, und ich segelte und segelte, bis ich hier landete. Jetzt –« sie zuckte die Achseln – »liegt der Schoner auf dem Meeresgrunde. Ich kann nicht weiter segeln, und deshalb bleibe ich hier. Und Pflanzer werde ich bestimmt.«
»Sehen Sie –« begann er.
»Ich bin noch nicht beim Kern der Sache angelangt«, unterbrach sie ihn. »Wenn ich daran denke, wie ich mich von dem Augenblick an, als ich meinen Fuß auf Ihren Strand setzte, benommen habe, kann ich nicht sehen, daß ich Ihnen irgendwelche falschen Angaben über mich oder meine Absichten gemacht hätte. Vom ersten Augenblick an habe ich mich gegeben, wie ich bin, und Ihnen meine Absichten offen mitgeteilt. Und da erzählen Sie mir jetzt ganz ruhig, Sie wüßten nicht, ob ich wirklich Pflanzer werden wolle, oder ob alles nur Eigensinn sei. Ich versichere Ihnen jetzt zum letztenmal, daß ich Pflanzer werden will, ob Sie Ihre Einwilligung dazu geben oder nicht. Wollen Sie mich zum Teilhaber?«
»Bedenken Sie aber auch, daß man mich für den närrischsten Kauz in der ganzen Südsee halten würde, wenn ich ein junges Mädchen wie Sie in Berande aufnähme?« fragte er.
»Nein, bestimmt nicht. Aber jetzt machen Sie sich schon wieder Sorgen, was die Idioten und die Leute, die hinter allem etwas Schlechtes suchen, denken werden. Ich sollte meinen, Sie hätten auf Berande Selbstvertrauen gelernt, statt der moralischen Stütze eines jeden whiskysaufenden, belanglosen Südseevagabunden zu bedürfen.«
Er lächelte und sagte:
»Ja, das ist das Schlimmste. Man kann Ihnen nicht beikommen. Sie haben die Logik der Jugend, und die kann kein Mensch widerlegen. Die Erfahrungen des Lebens könnten es, aber für die hat die Logik der Jugend keinem Raum. Die Jugend muß eben versuchen, nach ihrer Logik zu leben. Das ist die einzige Möglichkeit, zu lernen und besser zu machen.«
»Schaden könnte der Versuch doch nicht?« warf sie ein.
»Doch. Das ist es eben. Die Tatsachen werfen die Logik der Jugend stets über den Haufen und brechen ihr auch meistens das Herz. Es geht damit wie mit platonischer Freundschaft . . . und all solchen Dingen; in der Theorie sind sie schön und gut, aber verwirklichen lassen sie sich nicht. Ich habe auch einmal an diese Dinge geglaubt. Das ist der Grund, weshalb ich jetzt in den Salomons bin.«
Joan war ungeduldig. Er sah ein, daß sie ihn nicht verstehen konnte. Sie nahm das Leben so einfach. Es war nur die Jugend, die mit ihm stritt, die Jugend mit ihrer unbezwinglichen klaren Beweisführung. Sie besaß die Seele eines Knaben im Körper eines Weibes. Er blickte in ihr gerötetes, erregtes Gesicht, auf die dicken, um ihr Köpfchen gelegten Flechten, die sanfte Linie ihrer Gestalt, die deutlich durch das selbstverfertigte Kleidchen hindurchschimmerte, und in die Augen – knabenhafte Augen unter ruhigen, geraden Brauen –, und er wunderte sich, warum ein Geschöpf, das so viele weibliche Reize besaß, durchaus nicht Weib sein wollte. Warum in aller Welt war sie nicht rothaarig, warum schielte sie nicht, warum hatte sie keine Hasenscharte?
»Angenommen, wir würden Teilhaber auf Berande,« sagte er und hatte bei dieser Aussicht ein Gefühl von Angst und Freude zugleich, »entweder würde ich mich in Sie verlieben oder Sie sich in mich. Das enge Zusammenleben ist gefährlich. Gerade das ist es meistens, was die Logik der Jugend über den Haufen wirft.«
»Wenn Sie glauben, daß ich in die Salomons gekommen sei, um zu heiraten –« begann sie wütend. »In Hawai gibt es bessere Männer. Wissen Sie, daß die Art, wie Sie andauernd auf demselben Gegenstand herumreiten, einen vorurteilslosen Zuhörer tatsächlich zu dem Glauben bringen könnte, daß Sie schmutzige Gedanken haben –«
Erschrocken hielt sie inne. Sein Gesicht war erst rot und dann blaß geworden, und zwar so plötzlich, daß sie erschrak. Er war offenbar höchst gereizt. Sie schlürfte den Rest ihres Kaffees, stand auf und sagte: »Ich werde warten, bis Sie besserer Laune sind, ehe ich die Unterhaltung wieder aufnehme. So sind Sie nun. Sie werden immer gleich böse. Wollen Sie mitkommen zum Schwimmen? Wir haben gerade Flut.«
Wenn sie ein Mann wäre, würde ich sie nebst ihrem Boot, ihren Tahitianern, ihren Sovereigns und allem übrigen zum Teufel jagen – sagte er sich, als sie den Raum verlassen hatte.
Aber das war es ja gerade: sie war kein Mann; wohin sollte sie gehen, und was konnte ihr zustoßen?
Er sprang auf und zündete sich eine Zigarette an. Sein Blick fiel auf den Cowboyhut, der über ihrem Revolvergürtel an der Wand hing. Der ist auch mit schuld daran. Er wünschte nicht, daß sie fortginge. Alles in allem war sie ja noch nicht erwachsen. Deshalb war ihre Logik auch so verletzend. Es war zwar nur die Logik der Jugend, aber sie konnte zuzeiten recht unangenehm sein. Jedenfalls nahm er sich eines vor: sich nie wieder von ihr aus der Ruhe bringen zu lassen. Sie war ein Kind, und das mußte er berücksichtigen. Er seufzte schwer, aber warum mußte dieses Kind auch die Gestalt dieses Weibes haben!
Und während er noch auf ihren Hut starrte und grübelte, vergaß er die ihm angetane Kränkung und ertappte sich dabei, wie er sich selbst den Kopf zerbrach, um einen Ausweg zu finden, sie auf Berande behalten zu können. Eine Anstandsdame! Warum nicht? Mit dem nächsten Dampfer könnte er sie von Sydney kommen lassen. Er könnte – –
Ihr schallendes Gelächter scheuchte ihn aus seinen Träumen auf, und er trat in die Tür. Er sah sie den Weg zum Strande hinablaufen; zwei ihrer Seeleute, Papahara und Mahameme, folgten ihr auf den Fersen mit scharlachroten Lendentüchern und mit Messern, deren bloße Klingen in ihren Gürteln blitzten. Das war wieder ein Beispiel ihres Eigensinns. Trotz seiner dringenden Bitten, Befehle und Warnungen vor Haifischen bestand sie darauf, zu jeder beliebigen Zeit zu schwimmen, und mit ganz besonderer Vorliebe, wie ihm schien, unmittelbar nach dem Essen.
Er beobachtete sie, wie sie ins Wasser ging: wie ein Knabe mit einem Kopfsprung vom Ende der kleinen Anlegebrücke; und er beobachtete ferner, wie sie weit mit den Armen ausgriff, und wie ihre Leibdiener je drei Meter von ihr entfernt neben ihr schwammen. Er hatte nicht viel Vertrauen zu der Fähigkeit der Leute, einen hungrigen Hai abzuwehren, wenn er auch überzeugt war, daß sie im Falle eines Angriffs tapfer ihr Leben für sie geben würden.
Sie schwammen gerade hinaus, und ihre Köpfe wurden immer kleiner. Eine leichte, unruhige Dünung stand, und die drei Köpfe verschwanden immer häufiger dahinter.
Er strengte die Augen an, um sie in Sicht zu behalten, und holte sich schließlich das Fernrohr auf die Veranda. Eine Bö kam von Florida herüber, aber sie und ihre Leute pflegten ja Böen und die durch sie verursachte weiße, hohe See zu verlachen. Schwimmen konnte sie wirklich, das hatte er längst gemerkt Sie hatte es in Hawai gelernt. Aber Haie waren Haie, und er wußte von mehr als einem guten Schwimmer, der in einer Flutwelle ertrunken war.
Die Bö verdunkelte den Himmel, peitschte dort, wo er zuletzt die drei Köpfe gesehen, den Ozean zu weißem Schaum und vermengte Meer und Himmel durch einen wolkenbruchartigen Regen.
Die Bö schoß vorüber, und Berande tauchte in hellem Sonnenschein auf, zugleich mit den drei Schwimmern aus der See. Scheldon ging mit dem Glas ins Haus und beobachtete durch die Tür, wie sie den Weg zum Süßwasserschuppen heraufkam und ihr Haar herunterschüttelte.
Nachmittags brachte er auf der Veranda das Gespräch so vorsichtig wie möglich auf seinen Plan mit der Anstandsdame, indem er auf die Notwendigkeit hinwies, daß Berande eine Wirtschafterin brauchte, um den Hausboys und dem Lager vorzustehen und andere nützliche Funktionen zu verrichten. Als er geendet hatte, wartete er ängstlich, was Joan dazu sagen würde.
»Sie sind also mit meiner Leitung des Haushaltes unzufrieden«, war ihr erster Einwurf; dann winkte sie seinen Versuch einer Erklärung mit folgenden Worten ab: »Die Folge wäre entweder, daß ich unseren Teilhabervertrag für ungültig erklärte, fortginge und es Ihnen überließe, sich eine zweite Anstandsdame kommen zu lassen, um die erste zu bemuttern, oder ich würde die alte Henne im Boot hinausfahren und ersäufen. Bilden Sie sich wirklich ein, daß ich meinen Schoner bis zu diesem unzivilisiertem Ende der Welt gefahren habe, um mich hier von einer Anstandsdame kuschen zu lassen?«
»Aber wirklich, wissen Sie, eine Anstandsdame ist ein notwendiges Übel«, entgegnete er.
»Wir sind bis jetzt ganz gut ohne sie ausgekommen. Hatte ich etwa auf der Miélé eine? Und doch war ich die einzige Frau an Bord. Es gibt dreierlei auf der Welt, vor dem ich Angst habe: Hummeln, Scharlach und Anstandsdamen. Ach, diese ewig bemutternden, bösartigen Ungeheuer, die überall ein Unrecht wittern, in der unschuldigsten Handlung eine Sünde sehen und dabei selbst zur Sünde verleiten, ja, zur Sünde verleiten durch ihre krankhafte Phantasie.«
»Puh!« Scheldon rückte in erheuchelter Furcht vom Tisch ab. »Sie brauchen sich wirklich keine Sorge um Ihre Existenz zu machen; wenn Sie kein Glück als Pflanzer haben, können Sie es als Schriftsteller versuchen und Tendenzromane schreiben.«
»Ich glaube nicht, daß ich in den Salomons Leser finden würde«, gab sie zurück. »Höchstens Ihre Tugendwächterin.«
Er zuckte zusammen, aber Joan sprach weiter mit der offenen Rücksichtslosigkeit der Jugend.
»Als ob etwas nur gut wäre, wenn es bewacht und an Händen und Füßen gefesselt werden müßte, um sich gut zu erhalten. Sie scheinen mich ja so einzuschätzen, das beweist Ihr Wunsch nach einer Anstandsdame. Ich ziehe es vor, aus eigenem Antrieb gut zu sein und nicht, weil eine alte Schachtel mit Argusaugen mir keine Gelegenheit gibt, schlecht zu werden.«
»Aber das – das ist es ja nicht«, warf er ein. »Es handelt sich darum, was andere denken.«
»Die mögen denken, was sie wollen, diese Mucker. Aber das kommt daher, daß Männer wie Sie gerade diese Mucker fürchten, Ihnen die Macht zugestehen, Ihre Handlungen zu beurteilen.«
»Ich fürchte, Sie sind ein weiblicher Shelley,« erwiderte er, »und als ein solcher bringen Sie mich wirklich dazu, Sie als Teilhaber zu nehmen, nur, um Sie zu beschützen.«
»Wenn Sie es nur darum tun wollen, will ich überhaupt nicht Ihr Teilhaber werden. Dann zwingen Sie mich, Pari-Sulay doch zu kaufen.«
Um so mehr Grund –« versuchte er einzuwerfen.
»Wissen Sie, was ich tun werde?« fragte sie. »Ich werde einen Mann in den Salomons suchen, der nicht den Wunsch hat, mich zu beschützen.«
Scheldon konnte den Schrecken, den ihre Worte in ihm hervorriefen, nicht verbergen.
»Das meinen Sie doch nicht so, nicht wahr?« fragte er.
»Doch, wirklich. Ich habe das Gerede von Beschützung herzlich satt. Vergessen Sie doch nicht, daß ich ganz allein imstande bin, für mich zu sorgen. Und dazu habe ich acht der besten Beschützer der Welt – meine Seeleute.«
»Sie hätten tausend Jahre früher leben sollen,« lachte er, »oder tausend Jahre später. Sie sind sehr primitiv und hypermodern dazu. Das zwanzigste Jahrhundert hat keinen Raum für Sie.«
»Aber die Salomons. Als ich herkam, lebten Sie wie ein Wilder – Sie aßen nur Büchsenfleisch und Brot, das den Magen eines Kamels ruiniert hätte. Schön. Das habe ich auch geändert, und da wir Teilhaber sein werden, bleibt es dabei. Sie werden nicht an Unterernährung zugrunde gehen, dessen können Sie sicher sein.«
»Wenn wir eine Teilhaberschaft eingehen,« erklärte er, »müssen Sie sich vollkommen klar darüber sein, daß Sie den Schoner nicht führen dürfen. Sie können nach Sydney fahren und einen Schoner kaufen, aber einen Kapitän müssen wir haben.«
»Und mehr Kosten. Und höchstwahrscheinlich einen whiskysaufenden, unfähigen, unzurechnungsfähigen Menschen obendrein. Zudem werde ich mehr Geschäftsinteresse haben als ein Mann, den wir anstellen. Ich wiederhole Ihnen, daß ich es mit jedem heruntergekommenen Kapitän oder hochgekommenen Matrosen in der Südsee aufnehmen kann.«
»Aber wenn Sie auch mein Teilhaber sind,« sagte er kühl, »so bleiben Sie dennoch eine Dame.«
»Sie wollen mir also erzählen, daß meine Pläne sich nicht für eine Dame schicken – vielen Dank!«
Mit Tränen in den Augen vor Ärger stand sie auf und trat zum Grammophon.
»Ich möchte nur wissen, ob alle Männer sich so lächerlich benehmen wie Sie«, sagte sie.
Er zuckte die Achseln und lächelte, Erörterungen waren zwecklos – das hatte er schon gelernt; und er war entschlossen, sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Und ehe der Tag zur Neige ging, hatte sie nachgegeben. Sie sollte mit dem nächsten Dampfer nach Sydney fahren, einen Schoner kaufen und mit einem Kapitän wiederkommen. Sie entlockte Scheldon noch die Zustimmung, daß sie selbst gelegentliche Fahrten zwischen den Inseln unternehmen könnte, als aber die Rede auf eine Werbefahrt nach Malaita kam, war er hart wie Diamant. Das war und blieb verboten.
Und als alles vorüber und (auf ihr Drängen) ein kurzer, geschäftsmäßiger Vertrag aufgesetzt und unterzeichnet war, lief Scheldon eine volle Stunde auf und ab und dachte darüber nach, was für eine Dummheit er gemacht hatte. Die Situation war unmöglich, und doch nicht mehr als die bisherige, und auch nicht mehr als die, welche eingetreten wäre, wenn sie auf eigene Faust losgezogen wäre und Pari-Sulay gekauft hätte. Nie hatte er eine selbständigere Frau gesehen, die einen Beschützer so nötig gehabt hätte, wie dieses knabenhafte Mädchen, das mit acht malerischen Wilden, einem langläufigen Revolver, einem Sack voll Gold und einem ganzen Ballen voll Romantik und Abenteuern auf einer Insel gelandet war.
Nie hatte er etwas derartiges gelesen. Die Romanschreiber wurden, wie gewöhnlich, durch die Wirklichkeit übertrumpft. Die ganze Geschichte war zu unsinnig, um wirklich wahr zu sein. Er nagte an seinem Schnurrbart und rauchte eine Zigarette nach der andern. Satan, der von einem Streifzug durch das Grundstück zurückgekehrt war, lief auf ihn zu und berührte mit der kalten feuchten Nase seine Hand. Scheldon streichelte dem Tier die Ohren, warf sich dann auf einen Stuhl und lachte herzlich. Was würde der Regierungskommissar der Salomons denken? Und dabei freute er sich, daß die Teilhaberschaft zustande gekommen war, und bedauerte im selben Augenblick wieder, daß Joan Lackland überhaupt ihren Weg nach den Salomons gelenkt hatte. Dann ging er hinein und betrachtete sich in einem Handspiegel. Lange studierte er sinnend und verwundert sein Spiegelbild.