Edgar Wallace

Ins Deutsche übertragen von
Ravi Ravendro.

Bosambo, der Häuptling der Ochoris, war gewohnt, sich in Augenblicken, wenn seine Einbildung den höchsten Stand erreichte, »König der Ochoris, Lordoberherr des Elebiflusses, Oberhirt der unzähmbaren Büffel und aller Ziegen« zu betiteln.

Er legte sich auch noch andere Titel bei, die ich vergessen habe. Aber ich erwähne seine Ansprüche nur, um zu bemerken, daß er sich nicht länger auf die Ziegen seines Landes bezieht. Dafür gibt es einen besonderen Grund.

Hikilari, der weise alte Häuptling der Akasavas, jagte einst auf fremdem Gebiet. Das geschah in dem Jahre, als alles Wild sich in unerklärlicher Weise nach Westen verzog; einige sagten, durch den Zauber M’Shimba Shambas, aber Sanders wußte, es war dazu durch die Überschwemmung veranlaßt worden.

Hikilari und seine Jäger fuhren drei Tage lang auf dem Fluß und durchquerten darauf einen Sumpf, ehe sie auf Elefanten stießen. Dann hatten sie eine gute Jagd, und Hikilaris Träger kamen jauchzend nach Akasavastadt zurück, beladen mit gewaltigen Elefantenzähnen, von denen manche zweihundert Kilo wogen.

Es war ein großer Erfolg, aber Hikilari mußte furchtbar dafür büßen. Denn als er zurückzukehren verlangte, packte ihn eine ungewöhnliche Schlaftrunkenheit, und er hatte sonderbare Schmerzen in seinem Kopf. Er wandte deshalb ein beliebtes Eingeborenenmittel an, das heißt, er band sich ein Stück Draht straff um seinen Kopf. Aber trotzdem wurde es nicht besser mit ihm, und so kam eine Zeit, wo Hikilari, der Weise, mitten in der Nacht aufstand, auf die Hauptstraße des Dorfes hinausging, dort närrische Gesänge und Tänze aufführte und mit seinen Fingern dazu schnappte. Seine Söhne, Neffen und Brüder hielten ein Palaver, und der älteste seiner Söhne, M’Kovo, ein übler Gesell, sprach:

»Mein Vater scheint an der Mongokrankheit zu leiden, denn er ist übergeschnappt und wird bald tot sein. Dennoch wünsche ich, daß Sandi kein Wort davon erfährt. Bringen wir daher meinen Vater sicher weg, verkünden wir, er habe eine lange Reise unternommen. In seiner Abwesenheit können wir dann manches unternehmen und uns vieler unserer Feinde entledigen. Und wenn Sandi mit seinen Soldaten kommt und fragt: ›Warum habt ihr alles dieses getan?‹ werden wir antworten: ›Herr, wer ist hier Häuptling? Ein Wahnsinniger! Wir taten, wie er uns befahl! Die Folgen kommen auf sein Haupt!‹«

Der Bruder des kranken Häuptlings dachte, es wäre am besten, ihn heimlich zu töten, aber dagegen widersetzte sich der Sohn des Häuptlings.

»Solange er lebt, ist er Häuptling«, sagte er anzüglich. »Wenn er tot ist, seid sicher, daß Sanders einen Schuldigen finden wird, und das wäre wahrscheinlich ich.«

Drei Tage lang hielten sie den Häuptling in seiner Hütte; während dieser Zeit beschmierten Zauberdoktoren ihn mit rotem Lehm und Ingolafarbe und legten nassen Lehm auf seine Augen. Nach Verlauf dieser Zeit brachten sie ihn in der Nacht in eine hastig mit Stroh gedeckte Hütte im Urwald, und dort überließ man ihn M’Kovos gefügigen Handlangern.

Sanders wußte über viele Dinge Bescheid, die er, wie man glaubte, nicht kannte; das aber kannte er nicht. Er wußte wohl, daß Hikilari ein kluger Mann sei, daß er auf einer Reise sei, und daß also kein Grund vorlag, warum er, Sanders, nicht auf eine Inspektionsreise ins Akasavaland gehen solle.

Er war gerade im Begriff, die Hüttensteuer im N’Gombiland einzutreiben, von einem einfachen Hirtenvolke, das sich aus Grundsatz weigerte, etwas zu zahlen, als die Nachricht kam, daß eine Anzahl Akasavaleute die Ochorigrenze überschritten habe; sie hatten ein Dorf überfallen, die Männer getötet und schnell die Weiber und Ziegen mit sich geschleppt.

Sanders befand sich inmitten eines endlosen Palavers, als diese Nachricht kam; und das N’Gombivolk, das zu seinen Füßen hockte, betrachtete ihn mit abwartender Hoffnung, mit einer Hoffnung, der ein unbedeutender Häuptling Ausdruck gab, der gerade im Augenblicke das Ohr der Versammlung besaß.

»Herr, das sind böse Nachrichten«, sagte er in der freundlichen Art seines Stammes, »und wir wollen Eure Lordschaft nicht länger mit unseren unbedeutenden Angelegenheiten behelligen. Deshalb, wenn du uns unserer schlechten Ernte halber die Hälfte der Steuer erlassen wolltest, dann würden wir friedlich in unsere Dörfer zurückkehren und viel Freundliches über deine Gerechtigkeit sagen.«

»Ihr werdet eure Steuern voll entrichten«, antwortete Sanders kurz. »Ich verliere nur meine Zeit, wenn ich länger mit euch rede.«

»Erlasse uns ein Drittel«, murmelte der Sprecher schweren Herzens. »Wir sind arme Leute, und der Fluß gab wenig Fische her.«

Sanders erhob sich müde von seinem Sitz. »Ich werde mit Neumond zurückkommen«, sagte er, »und wenn dann die Steuern nicht voll bezahlt sind, wird es in diesem Dorfe traurige Herzen und wunde Rücken geben! Das könnt ihr mir glauben. Das Palaver ist aus!«

Er sandte einen Boten an die Akasavaleute, und er selbst ging auf einem kurzen Wege quer durch den Urwald nach Ochoristadt, denn in diesem lebenswichtigen Augenblicke war ein Zylinderdeckel der »Zaire« geplatzt.

Er erreichte Ochoriland auf dem Wege des Elebiflusses, durch Tunberi hindurch, das dank dem unerwarteten, unzeitgemäßen und hartnäckigen Regen ein Sumpf war. Drei Tage watete er, bald bis an die Knie, bald bis an die Hüften; schließlich schmerzten ihn seine Arme wahnsinnig, weil er ständig seine Büchse über die schwarze Brühe und den Schlamm halten mußte.

Er stieß auf Flußpferde und Wasserschlangen. Einmal schrie sein »Boy«, der vor ihm marschierte, gellend auf und verschwand. Und Sanders selbst wurde durch das Davonrasen eines Alligators beinahe umgerissen, der seine Beute nach dem nahen Flusse trug.

Am Ende des dritten Tages erreichte Sanders höher gelegenes Land, wo man nicht in den Bäumen zu schlafen brauchte, und wo es überdies möglich war, sich in Quellwasser zu baden, die Hemden aus dem auf den Köpfen getragenen Bündel auszupacken und seine Leute zu zählen.

Er war nun einen Tagesmarsch von den Ochoris entfernt, aber bedeutend weniger als einen Tagesmarsch von dem Heere der Ochoris. Denn zwei Stunden, nachdem er seinen Marsch wieder aufgenommen hatte, stieß er auf Bosambo und mit ihm auf tausend Speere.

Bosambo war nackt bis auf einen Lendenschurz aus Affenschwänzen, und in seinem Arme hielt er gleichzeitig mit einem geflochtenen Schild fünf Schlachtspeere. Beim Anblick Sanders’ ließ er sein Heer haltmachen und ging Sanders entgegen.

»Bosambo«, sagte Sanders würdevoll, »du tust mir Ehre dadurch an, daß du mir die Elite deiner Kampftruppen zuführst, um meine Wache zu bilden.«

»Herr, antwortete Bosambo mit löblichem Freimut, »das sollte keine Ehrung für deine Person sein, denn ich habe eine Rechnung mit dem Akasavakönig zu begleichen.«

Sanders stand ihm gegenüber, den Kopf wie ein Vogel nach einer Seite geneigt, während er seinen biegsamen Spazierstock wie abwesend gegen sein Bein klatschen ließ.

»Sieh«, sagte er, »ich bin der, der alle Rechnungen zwischen Häuptling und Häuptling und zwischen Männern und Männern in Ordnung bringt. Und ich befehle dir, in deine Stadt zurückzumarschieren und dort in Geduld zu warten, während ich die Aufgabe erledige, für die mich mein König bestimmt hat.«

Bosambo zögerte. Er war begreiflicherweise unzufrieden.

»Geh in deine Stadt zurück, Bosambo!« befahl Sanders in sanftem Tone.

Der Häuptling zuckte seine breiten Schultern. »Ich bin dein Untertan«, antwortete er und wandte sich von dannen, ohne einen Ton zu sagen.

Sanders rief ihn zurück, ehe er ein halbes Dutzend Schritte gegangen war.

»Laß mir zwanzig Mann hier und zwei Kanus! Dann sollst du deine Leute zurückhalten, während ich in meines Königs Angelegenheit zu tun habe.«

Eine Stunde später fuhr Sanders so schnell flußabwärts, wie ihn ein Strom von fünf Seemeilen Geschwindigkeit die Stunde und seine schnellen Paddler nur bringen konnten. Um die Mittagszeit des folgenden Tages kam er in Akasavastadt an und fand sie friedlich genug vor.

M’Kovo, des Häuptlings Sohn, kam ihm am Strande entgegen.

»Sandi, Gebieter«, sagte er mit einer Gebärde außerordentlicher Überraschung, »ich sehe, der Sommer kommt zweimal in dieser Jahreszeit, denn du . . .«

Sanders befand sich nicht in Stimmung, Komplimente entgegenzunehmen.

»Wo ist der alte Häuptling, dein Vater?« fragte er.

»Herr«, entgegnete M’Kovo ernst, »ich will dich nicht belügen. Mein Vater hat seine Krieger mit in den Busch genommen, und ich fürchte, er wird Übles tun.«

Und er erzählte eine lange und umständliche Geschichte, von dem Aufflammen des Hasses und von Feindseligkeiten eines alten Mannes. Sanders hörte geduldig zu.

Ein niemals irrender Instinkt, den er zu einer Höhe entwickelt hatte, wo er der Vernunft überlegen war, sagte ihm, der Mann log. Der Glaube an sein eigenes Urteil war auch nicht erschüttert, als M’Kovo seine Ältesten und Zeugen von seines Vaters plötzlicher Verworfenheit herbeirief.

Aber Sanders war ein listiger Mann und voller Ränke. Er ließ seine Hand auf die Schulter M’Kovos fallen.

»M’Kovo«, sagte er sanft, »mir scheint dein Vater und Häuptling nichts mehr zu taugen. Darum sollst du im Häuptlingshause sitzen. Dennoch mußt du den Häuptling Hikilari vor mich bringen. Und zwar mußt du ihn mir unverletzt bringen, und er muß seine Augen haben. Bring’ ihn mir schnell, M’Kovo!«

»Herr«, antwortete M’Kovo mürrisch, »er will nicht kommen, und wie kann ich ihn zwingen da er viele Krieger mit sich hat?«

Sanders überlegte sich die Sache.

»Geh nur«, sagte er nach einer Pause, »und rede mit ihm und sage ihm, daß ich ihn erwarte.«

»Herr, das will ich tun«, sagte M’Kovo. »Aber nicht eher als heute nacht, denn ich fürchte, deine Leute werden mir folgen, und sobald mein Vater die sieht, wird er mich töten.«

Sanders nickte.

In dieser Nacht kam M’Kovo reisefertig zu ihm, und Sanders nahm aus seiner Tasche ein rundes silbernes Kästchen.

»Hänge das um deinen Hals, damit dein Vater sieht, daß du in meinem Auftrage kommst!« befahl Sanders.

M’Kovo hing die runde Kapsel mit einem Stück Bindfaden um seinen Hals und ging schnell in den Wald.

Zwei Meilen im Busch traf er auf dem Wege seine Vettern und Brüder: ein höchst besorgte Versammlung.

»Mein Magen ist krank vor Furcht«, sagte sein älterer Vetter, »denn Sandi hat ein Auge, das durch Bäume hindurch sieht.«

»Du bist ein Narr«, knurrte M’Kovo. »Sandi ist eine Fledermaus, die nichts sieht. Und was ist’s mit Hikilari, meinem Vater?«

Sein jüngerer Bruder wies ihm seine Speerspitze, auf der geronnenes Blut klebte.

»Das war das beste«, sagte M’Kovo. »Und jetzt wollen wir schlafen gehen. Morgen früh werde ich zu Sandi zurückgehen und ihm etwas vorlügen.«

Am nächsten Morgen kratzten ihn seine Verwandten mit Dornen und warfen Staub über ihn, und eine Stunde später stolperte er, künstlich erschöpft, zu der Hütte hin, vor der Herr Bezirksamtmann Sanders sein Frühstück einnahm.«

Sanders blickte scharf auf die wegmüde Gestalt.

»Mein Freund«, bemerkte er sanft, »du hast einen langen Weg hinter dir?«

»Herr«, antwortete M’Kovo mit schwacher Stimme, »seit ich dich verließ, habe ich nicht gerastet, außer bei meinem Vater, der mich mit bösen Worten zu Deiner Ehren zurückgesandt hat.«

Und diese genauen und ungekürzten »bösen« Worte berichtete er mit Genugtuung.

Sanders beugte sich nieder und nahm die kleine silberne Kapsel, die auf der schwer atmenden Brust M’Kovos lag.

»Und das hast du deinem Vater gezeigt?« fragte er.

»Herr, ich habe es ihm gezeigt«, wiederholte der Mann.

»Und du bist die ganze Nacht gewandert? Viele Meilen?«

»Herr, ich tat, wie ich dir berichtet habe.«

Sanders berührte eine Feder, und die Kapsel sprang auf. Ein Zifferblatt, wie das einer Uhr, war zu sehen, nur daß es viele kleine Zeiger aufwies. M’Kovo beobachtete neugierig, wie Sanders das Instrument prüfte.

»Sieh mal genau hierher«, sagte Sanders trocken, »denn das ist ein kleiner Teufel, der die Wahrheit redet, und er sagt mir, daß du nicht weiter gegangen bist, als ein Mann in einer Zeit gehen kann, die der Vollmond braucht, um die Höhe eines Baumwipfels zu erreichen.«

Die »Zaire« war während der Nacht angekommen, und ein Haussaposten stand wartend da.

Sanders ließ den Schrittzähler in die Tasche gleiten, warf seinen Kopf in charakteristischer Weise zurück, und Sergeant Abiboo bemächtigte sich des Gefangenen.

»Legt ihn in Eisen!« befahl Sanders auf arabisch, »und nimm sechs Mann mit dir auf den Urwaldpfad! Bringt mir alle Leute, die ihr dort findet!«

Abiboo kam nach einer Stunde mit vier Gefangenen zurück, und alle waren sehr gesprächig, zu gesprächig für die Sicherheit von M’Kovo und dessen jüngerem Bruder; denn in der Nacht hatte Sanders ein Urwaldgrab entdeckt, in dem der weise Häuptling lag. Es lag unter einem Baume mit sich weit ausspannenden Ästen, und der sollte außerordentlich bedeutungsvoll werden für den Ausgang dieses Dramas.

*

Bosambo war nicht für jedes Verbrechen zu tadeln, das man ihm zur Last legte. Er hatte eine Fehde mit den Akasavas, und das nicht ohne Grund. Der Tod M’Kovos genügte ihm nicht, um die Verpflichtung auszulöschen, denn die Akasavas hatten Blut vergossen, und das nagte weiter an seinem Herzen, viele Monde lang. Bosambo war Dieb von Natur, da er ein Kruneger von der liberianischen Küste war, ehe er Häuptling über die naiven und furchtsamen Ochoris wurde.

Daher hatte Sanders, als alle Schwierigkeiten zwischen den Akasavas und Ochoris beigelegt schienen, Veranlassung, in aller Eile zu den Ochoris zu gehen, und der Wasserstand des Flusses war sehr niedrig.

Es gab keine Karte des großen Flusses, die während der Trockenheit zwei Cents wert gewesen wäre. Denn Sandbänke tauchten unerwartet mitten im Fahrwasser auf, und der Fluß hatte weite Strecken mit weniger als einem Faden Tiefe. Manchmal rief der Mann, der vorn am Bug der »Zaire« saß und mit einer biegsamen Stange lotete, in nasalem Tone aus: »Zwei Faden«, während an der Stelle nur ein Faden Wasser vorhanden war.

Der Mann war, wie ich früher schon sagte, ein Kanomann und etwas religiös angehaucht. Er träumte von einer Pilgerfahrt nach Mekka und von einem grünen Band um seinen Tarbusch.

»Ich erkläre dir zum Ruhme Gottes: ein Faden und etwas drüber«, rief er aus.

Bump!

»Mach’, daß du über Bord kommst, du geschwätziger Teufel!« schrie ihn Sanders an, der immer verdrießlicher wurde, da das bereits die vierzehnte Sandbank war, auf die er aufgelaufen war, seitdem er sein Hauptquartier verlassen hatte. Daher sprang die gesamte Mannschaft bis an die Hüften ins Wasser und schob, indem sie ein Lied zu ihrer Arbeit sang, den Dampfer wieder flott.

Sanders rannte auf die neununddreißigste Sandbank auf, kurz ehe er zur Ochoristadt kam, und ging in einer höchst unliebenswürdigen Stimmung an Land.

»Bosambo«, begrüßte er diesen, »ich beabsichtige zweierlei mit dir. Das eine ist, dich für deine viele Missetaten zu hängen, das andere, dich peitschen zu lassen.«

»Master«, antwortete Bosambo mit ernster Frömmigkeit, »alle Dinge kommen so, wie sie vorherbestimmt sind.«

»Habe keine Angst, das eine oder das andere wird es sicher sein«, warnte der Bezirksamtmann. »Ich bin doch kein Hund, um von einem Ende des Bezirks zum anderen Ende zu hetzen, weil ein diebischer Schwarzer in verbotenen Gebieten auf Raub ausgeht!«

Bosambo, dessen schuldbeladenes Gewissen viele Gründe für den unerwarteten Besuch des Bezirksamtmannes erriet, schien weniger tief betroffen.

»Herr, ich bin kein Nigger«, entgegnete er, »ich bin durch Geburt und frühere Heiraten mit mehreren Königen verwandt, auch . . .«

»Du bist ein Lügner«, schäumte Sanders,, »und durch Geburt und Heirat mit dem Vater aller Lügner verwandt. Und ich bin nicht gekommen, um über deine mir durchaus gleichgültige Familie zu reden, sondern um über nächtliche Raubzüge zu sprechen.«

»Was nächtliche Raubzüge anbelangt«, erklärte Bosambo freimütig, »so weiß ich davon nichts. Ich ging mit meinen Ratgebern zu den Akasavas, um den neuen Häuptling zu besuchen, und um ihn meiner Hochachtung zu versichern. Ebenso«, fügte er fromm hinzu, »um gewisse christliche Gebete am Grabe meines Feindes zu verrichten, denn, wie du weißt, Herr, unser Glauben lehrt uns das.«

»Nachts bist du gegangen!« sagte Sanders, der die Herausforderung, die in den Worten »unser Glauben« lag, überging. »Und nach Akasava kann man leicht bei hellichtem Tage gelangen. Und überdies, als die Akasavas dich überfielen, hattest du viele Ziegen in deinen Kanus gefesselt.«

»Das waren meine Ziegen«, antwortete Bosambo mit Würde. »Diese hatte ich mitgebracht als Geschenk für den neuen Häuptling.«

In seinem Zorn fluchte Sanders lange und geläufig.

»Blut hat für Blut gezahlt«, sagte er grimmig. »Es dürfen keine Überfälle mehr stattfinden. Außerdem wirst du in dieser Stadt bleiben und sie nicht verlassen, bis ich dir die Erlaubnis dazu gebe!«

»Lord Sandi«, antwortete Bosambo, »ich höre und werde gehorchen.«

Eine gottlose Freude stahl sich eine Sekunde lang in das Auge des Bezirksamtmanns, flackerte dort einen Augenblick auf, war verschwunden und ließ sein Gesicht undurchdringlich.

»Du weißt, Bosambo«, kam es verhältnismäßig sanft aus seinem Munde, »daß ich ein großes Vertrauen in dich setze. Darum lasse ich dir einen mächtigen Fetisch zurück, der mich in meiner Abwesenheit vertreten soll.«

Damit nahm er aus der Tasche seines Uniformjacketts eine unfehlbare silberne runde Kapsel, die sehr hübsch anzusehen und einem flachgedrückten Ei nicht unähnlich war.

Sanders hatte diesen Morgen seinen Schrittzähler gestellt.

»Nimm dieses und trage es um meinetwillen!« befahl er.

Bosambo fädelte einen Bindfaden durch die Öse und hing sich das Ding um den Hals.

»Herr«, antwortete er dankbar, »du hast mir das Ding vor den Augen meines Volkes zum Geschenk gemacht. Nun werden sie mir alles glauben, was ich ihnen über deine Liebe zu mir gesagt habe.«

Sanders verließ am nächsten Morgen die Ochoristadt.

»Nimm dich in acht und gehe nicht über deine Stadtgrenze hinaus!« warnte er Bosambo nochmals.

»Herr, ich werde fasten und stillsitzen, bis du wiederkommst.«

Bosambo beobachtete die »Zaire«, bis sie nur noch ein weißer Fleck auf dem ruhigen Wasser war; dann ging er in seine Hütte.

Er nahm die Silberkapsel sehr vorsichtig von seinem Halse und legte sie in seine Hand.

»Nun, du kleiner Satan«, redete er die Kapsel an, »der du das Kommen und Gehen der Menschen beobachtest, nun hoffe ich, alles über dich zu erfahren, du Henker M’Kovos.«

Er drückte auf den Knopf – er hatte früher einmal eine Uhr besessen und hatte Erfahrung darin, wie man sie öffnete –, die Kapsel sprang auf und zeigte ihm die kleinen Zifferblätter.

Bosambo schüttelte das Instrument heftig und hörte ein schwaches Ticken. Er sah einen großen Zeiger von einem Strich eines Kreises zum andern wandern. Et schritt hierauf, den Schrittzähler in seiner Hand, die Länge der Dorfstraße entlang. Und bei jedem Schritt tickte das Instrument, und dessen Zeiger bewegte sich. Wenn er stillstand, stand das Instrument ebenfalls.

»Allen Göttern sei Lob!« sagte Bosambo. »Nun kenne ich dich, du Schwätzer! Denn ich habe deine böse Zunge zappeln sehen, und jetzt kenne ich auch die Art, wie du redest.«

Langsam kehrte er nach seiner Hütte zurück.

Vor der Tür krabbelte sein jüngstgeborenes Kind, das Licht seiner Augen, auf einem Fellteppich und krallte sich im Haar der Lieblingsziege, eines ruhigen alten Tieres fest, das alle ihm gestellten Zumutungen eines kleinen braunen Menschenkindes ertrug. Bosambo blieb stehen, um des Kindes braunen Kopf zu liebkosen und den glatten Hals der Ziege zu klopfen.

Danach ging er in seine Hütte, nahm das verräterische Instrument von seinem Halse und verbarg es mit anderen häuslichen Schätzen in einem unter seinem Bett befindlichen Loch.

Um die Zeit des Sonnenunterganges rief der Lokoli, die Sprechtrommel, die Krieger zusammen.

»Wir gehen zu den Akasavas«, redete Bosambo die Krieger kurz an. »Denn ich weiß ein Dorf, das platzt vor Überfluß an Mais und an den Ochoris gestohlenen Ziegen. Auch das Blut unserer erschlagenen Brüder ruft, wenn auch nicht so laut wie die Ziegen.«

Bosambo marschierte und war drei Tage fort. Nach Verlauf dieser Zeit kehrte er zurück – er hatte drei Mann verloren, denn das Akasavadorf hatte seinen Bemühungen heftigen Widerstand geleistet. Aber er hatte beträchtliche Beute mitgebracht.

Neuigkeiten wandern schnell den Fluß entlang, besonders üble Nachrichten. Und diese erreichten Sanders, der das Eintreiben der Hüttensteuer bei den N’Gombis fortsetzte.

Zum Überfluß kam noch ein Bote des Akasavahäuptlings an, und Sanders begab sich, so schnell, wie ihn die »Zaire« tragen konnte, nach Ochoristadt.

Bosambo hörte von seiner Ankunft.

»Bringe, mir, o mein Leben und mein Stolz«, wandte er sich an seine Frau, »ein gewisses Silberkästchen, das sich unter meinem Bett befindet; es ist so groß und hat diese Gestalt.«

»Herr«, antwortete sein Weib, »ich kenne das Ding sehr gut.«

Er legte sich das Band, das die Kapsel hielt, um den Nacken und erwartete in aller Ruhe Sanders’ Ankunft.

Sanders war außerordentlich ärgerlich; so ärgerlich, daß er seinem schuldbeladenen Häuptling gegenüber fast höflich war.

»Herr«, antwortete Bosambo, als die betreffende Frage an ihn gestellt wurde, »ich habe die Stadt weder Tag noch Nacht verlassen. So wie du mich hier siehst, habe ich vor meiner Hütte gesessen, nur an heilige Dinge gedacht und an die Güte deiner Herrlichkeit.«

»Gib mir das Kästchen!« befahl Sanders.

Er nahm es zur Hand und schnappte es. auf. Er sah lange auf das Zifferblatt; dann sah er Bosambo an. Und dieser Werte erwiderte seinen Blick ohne Verlegenheit.

»Bosambo«, sagte Sanders, »mein kleiner Teufel erzählt mir, daß du viele Meilen gewandert bist.«

»Herr«, antwortete der Häuptling aufs höchste betroffen, »wenn er das sagt, dann lügt er.«

»Mir genügt seine Wahrheitsliebe«, antwortete Sanders, »du bist zu weit gegangen! Und deshalb hast du und dein Volk fünfzig Ziegen Strafe zu zahlen. Ebenso erhöhe ich eure Steuern und ziehe die euch gegebene Erlaubnis, im Isisiwalde zu jagen, hiermit zurück. Außerdem habt ihr mir jeden Tag fünfzig Arbeiter zu stellen, die im Dienste des Gouvernements arbeiten.«

»O ko!« stöhnte Bosambo; er stand in seiner Not auf einem Bein. »Das ist gerecht, aber hart, denn ich sage dir, Herr, daß ich die Akasavas überfiel, aber wie dein Teufelskästchen das wissen kann, kann ich nicht begreifen, denn ich habe es in Zeug eingewickelt und unter meinem Bett verborgen.«

»Du hast das nicht bei dir getragen?« fragte Sanders.

»Ich rede die Wahrheit, und mein Weib wird mir’s bezeugen.«

Bosambo rief sein Weib bei ihrem Namen, und das anmutige Kanomädel, das ihn unterm Pantoffel hatte, kam an die Tür seiner Hütte.

»Herr, es ist wahr!« sagte sie. »Denn ich habe es gesehen, gerade während mein Gebieter abwesend war.«

Sie bückte sich und hob ihr wohlgenährtes Baby aus dem Staub.

»Der sah es auch«, sagte sie, während ihr Auge vor Stolz aufleuchtete, »und um dem Söhnchen meines Herrn und Gebieters Bosambo eine Freude zu machen, hing ich das Kästchen Neta, der Ziege, um den Hals. War das unrecht?«

»Mein Sonnenlicht«, erwiderte Bosambo, »du kannst kein Unrecht tun. Aber sage mir, ist Neta weit aus der Stadt gelaufen?«

Das Weib nickte.

»Nur einmal. Sie war einen Tag und eine Nacht fort, und ich hatte Angst wegen des Silberkästchens, denn um diese Jahreszeit sind die Ziegen sehr unruhig.«

Bosambo wandte sich an seinen Gebieter.

»Du hast es gehört, o Sandi. Ich habe schuld und werde die Strafe zahlen.«

»Das wirst du«, sagte Sanders (der ihn als Sündenbock ansah), »denn die andere Ziege hat keine Schuld.«