Guy de Maupassant
Der preußische Befehlshaber Major Graf von Farlsberg durchflog die eingelaufenen Postsachen. Er war in einem großen gestickten Fauteuil versunken und hatte die Stiefel auf den eleganten Marmor des Kamins gelegt, in den seine Sporen seit den drei Monaten, die er nun im Schloß von Uville lag, zwei tiefe Löcher gebohrt. Von Tag zu Tag wurden sie tiefer.
Eine Tasse Kaffee dampfte auf einem kleinen eingelegten Tischchen, das durch Likör beschmutzt, von Cigarren verbrannt und mit dem Federmesser des als Sieger hausenden Offiziers zerschnitten war. Wenn er seinen Bleistift spitzte, hielt er oft in Gedanken inne und kritzelte Buchstaben oder Figuren auf dem zierlichen Möbel.
Als er seine Briefe zu Ende gelesen und die deutschen Zeitungen durchflogen, die ihm der Wachtmeister gebracht, stand er auf. Er warf drei oder vier mächtige Kloben frischen Holzes ins Feuer – denn die Herren fällten allmählich, um sich zu wärmen, den ganzen Park – und trat ans Fenster.
In Strömen ging der Regen nieder, ein echter Regen der Normandie, als ob er im Zorn heruntergeschüttet worden, schief, wie ein dichter Vorhang, eine schräge gestreifte Mauer. Ein Regen, der das Gesicht peitschte, mit Kot bespritzte, alles ersäufte, ein Regen, wie er nur um Rouen fallen kann, dem Nachtgeschirr Frankreichs.
Der Offizier sah lange auf die überschwemmten Rasenflächen hinaus und weiterhin auf die angeschwollene Andelle, die über die Ufer getreten. Er trommelte einen rheinischen Walzer an den Scheiben, als er Lärm hörte. Er drehte sich um: der zweitälteste Offizier war gekommen: Rittmeister Freiherr von Kelweingstein.
Der Major war ein breitschultriger Riese mit langem Vollbart, der sich fächerartig auf der Brust ausbreitete. Seine mächtige gravitätische Erscheinung machte den Eindruck eines militärischen Pfaues, aber eines Pfaues, dessen Schweif unter dem Kinn wuchs und dort ein Rad schlug. Er hatte kühle, mildblickende blaue Augen, eine Backe war ihm im österreichischen Feldzuge durch einen Säbelhieb gespalten. Er galt für einen braven Mann und guten Soldaten.
Der Rittmeister dagegen war klein, rotwangig mit dickem Bauch und gebremster Taille. Kurz geschoren trug er sein feuerrotes Haar, dessen Stoppeln ihm bei gewisser Beleuchtung einige Ähnlichkeit mit einer Streichholzkuppe gaben. In einer Bummelnacht hatte er einmal, weiß Gott wie, zwei Zähne eingebüßt, sodaß man ihn nun bei seiner Sprechweise schlecht verstand. Dazu trug er eine Glatze, gleich einer Mönchstonsur, um deren nackten Kreis ein Fell goldglänzender kleiner Härchen stand.
Der Befehlshaber gab ihm die Hand und schüttete auf einen Zug seinen Kaffee hinab (die sechste Tasse seit heute früh), indem er die Meldung seines Untergebenen über die Vorkommnisse im Dienst anhörte. Dann traten beide ans Fenster und meinten, es sei hier nicht gerade zum Totlachen. Der Major, eine ruhige Natur, der eine Frau daheim besaß, fügte sich in alles, aber der freiherrliche Rittmeister, ein großer Bummler und Mädchenjäger, war wütend, nun seit drei Monaten auf diesem verlorenen Posten zur Enthaltsamkeit gezwungen zu sein.
Da sie an der Thür Lärm vernahmen, rief der Major »herein« und ein Mensch – einer ihrer steifen Soldaten – erschien in der Öffnung, durch seine stumme Gegenwart das Frühstück meldend.
Im Eßsaal fanden sie drei andere Offiziere vor: Premierleutnant Otto von Großling, die Leutnants Fritz Schönauburg und Wilhelm Reichsgraf von Eyrik, ein winziges, blondes Kerlchen, das stolz und roh gegen seine Leute war, schroff gegen die Besiegten, und heftig wie ein Gewehr, das immerfort losgeht.
Seitdem sie sich in Frankreich befanden, nannten ihn seine Kameraden nur noch »Fräulein Fifi«. Ein Spitzname, den er seinem gezierten Wesen verdankte, seiner engen Taille, die den Eindruck machte, als trüge er ein Korsett und seinem bleichen Gesicht, auf dem man kaum den ersten Bartflaum sah. Vor allem aber, weil er es sich angewöhnt hatte, um seine allerhöchste Verachtung von Menschen und Dingen auszudrücken, fortwährend die französische Redensart zu gebrauchen » fi donc«, deren » fi« er leise pfeifend aussprach.
Der Eßsaal des Schlosses Uville war ein großer, fürstlich ausgestatteter Raum. Seine mit Kugellöchern besäten, alten Kristallspiegel, seine hohen, flandrischen Gobelins, die von Säbelhieben zerfetzt hier und da herunterhingen, zeugten von Fräulein Fifis Beschäftigung in seinen Mußestunden.
An der Wand hingen drei Familienbilder, ein gepanzerter Krieger, ein Kardinal und ein Staatsmann. Sie rauchten lange Porzellanpfeifen, während eine Edelfrau in enganschließendem Gewand aus ihrem durch die Jahre etwas goldverblichenen Rahmen anmaßend mit einem mächtigen Kohleschnurrbart herausschaute.
Die Offiziere nahmen beinahe schweigend das Frühstück ein in diesem verwüsteten, bei dem Regenwetter düsteren Gemach, das traurig dreinschaute angesichts der Sieger und dessen altes Eichengetäfel abgetreten war wie die Diele einer Kneipe.
Nach Tisch rauchten sie, tranken und sprachen wie alltäglich von ihrer Langeweile. Cognac und Schnaps ging reihum, sie lehnten sich in den Stühlen zurück, und bliesen in kleinen Wölkchen den Dampf aus ihren im Mundwinkel baumelnden, langen Pfeifen mit den Porzellanköpfen, auf denen Bilder geklext waren, um Hottentotten zu berücken.
Sobald die Gläser leer wurden, füllten sie sie müde von neuem. Aber Fräulein Fifi zerbrach alle Augenblicke das seine, und sofort reichte ihm ein Soldat ein anderes.
Schwarzer Tabakrauch hüllte sie ein wie in eine Wolke, und sie brüteten hier in trauriger, schläfriger Trunkenheit, jener stumpfsinnigen Sauferei von Leuten, die nichts zu thun haben.
Aber der Freiherr raffte sich plötzlich auf. Er ärgerte sich und fluchte:
– Gott verdamm’ mich, das kann nicht so weiter gehen! Wir müssen irgend was aushecken!
Premierleutnant von Großling und Leutnant Schönauburg, zwei echt deutsche, schwerfällige, ernste Menschen, antworteten zugleich:
– Was denn Herr Rittmeister?
Er sann einen Augenblick nach, bis er zurückgab:
– Was? Nun, wenn der Herr Major nichts dagegen hat müßten wir irgend ein Fest veranstalten.
Der Major nahm seine Pfeife aus dem Mund:
– Was für’n Fest meinen Sie, Kelweingstein?
Der Freiherr erklärte sich näher:
– Herr Major ich übernehme alles. Ich schicke den » Befehl« nach Rouen. Der wird uns Weiber holen. Ich weiß schon woher. Wir veranstalten ein kleines Souper. Wir haben alles dazu hier. Jedenfalls giebt’s einen ganz netten Abend!
Graf Farlsberg zuckte lächelnd die Achseln.
– Sie sind verdreht, lieber Freund!
Aber die Offiziere waren alle aufgesprungen, umringten den Major und baten:
– Herr Major müssen’s dem Herrn Rittmeister erlauben! Es ist zu ledern hier!
Endlich willigte der Major ein:
– Meinetwegen.
Da ließ der Freiherr den »Befehl« kommen, einen alten Unteroffizier, der nie eine Miene verzog, und für jeden Auftrag seiner Vorgesetzten nur ein »Befehl« hatte.
Unbeweglich nahm er des Rittmeisters Auseinandersetzung entgegen, ging, und fünf Minuten später jagte im strömenden Regen ein mit vier Pferden bespannter Trainwagen, über den man die Plane eines Müllerwagens gespannt, im Galopp davon.
Da schienen sie sofort aufzuwachen, sie richteten sich aus ihren müden Stellungen auf, ihre Mienen wurden lebhaft und man begann zu schwatzen.
Der Major behauptete, obgleich es noch immer weiter goß, es sei schon heller geworden. Premierleutnant von Großling kündigte mit Bestimmtheit an, der Himmel würde sich aufklären. Selbst Fräulein Fifi schien erregt, stand auf, setzte sich. Sein hartes, klares Auge suchte nach einem Zerstörungsobjekt. Der junge Blondkopf sah plötzlich die Dame mit dem Schnurrbart scharf an, zog seinen Revolver und sagte:
– Du sollst das nicht mit ansehen!
Ohne aufzustehen zielte er, und schoß mit zwei Kugeln scharf hintereinander dem Bilde die Augen aus. Dann rief er:
– Jetzt wollen wir ‘ne Mine legen!
Sofort schwieg das Gespräch als ob alle einen neuen, wichtigen Unterhaltungsstoff gefunden.
»Die Mine« war seine Erfindung, Seine Vernichtungsart, sein Hauptvergnügen.
Graf Ferdinand d’Amoys d’Uville, der rechtmäßige Besitzer, hatte, ehe er das Schloß verließ, keine Zeit gehabt, irgend etwas mitzunehmen oder zu verstecken. Nur das Silber war in der Mauer in einem Loch verborgen. Da er nun sehr reich war und prachtliebend, so schaute sein großer Salon neben dem Eßsaal vor der schleunigen Flucht seines Herrn, wie ein Museum aus.
An den Wänden hingen kostbare Ölgemälde, Handzeichnungen und Aquarelle. Auf den Möbeln, Etagèren, in eleganten Glasschränken, standen tausend Nippsachen, Vasen, Statuen, Figürchen aus Altmeißen, chinesische Pagoden, alte Elfenbeinschnitzereien und Venezianische Gläser wertvoll und wundervoll.
Viel war nicht mehr übrig. Nicht daß man sie hätte mitgehen heißen – das hätte Major Graf Farlsberg nie geduldet – aber Fräulein Fifi legte ab und zu eine »Mine«. Und an diesem Tage unterhielten sich alle Offiziere einmal wirklich fünf Minuten lang.
Der kleine Reichsgraf holte aus dem Salon was er brauchte. Er brachte eine reizende, kleine chinesische Theekanne mit, füllte sie mit Schießpulver, steckte vorsichtig ein langes Stück Feuerschwamm in die Schnauze, zündete es an und trug die Höllenmaschine schnell in das Nebengemach.
Dann kehrte er eiligst zurück und schloß die Thür. Die Deutschen blieben stehen und warteten mit lächelnder Miene neugierig wie die Kinder. Sobald die Explosion das Schloß hatte erzittern machen, liefen sie alle herbei.
Fräulein Fifi war zuerst eingetreten und schlug vor Freude die Hände zusammen angesichts einer Venus aus Terrakotta, deren Kopf endlich abgesprungen. Jeder hob Porzellanstücke auf, bestaunte die seltsamen Sprünge der Splitter, betrachtete die neuen Verwüstungen, stellte gewisse Verheerungen, als eben entstanden, fest, und der Major besah väterlichen Auges den großen Salon, der durch diesen Vandalismus um und um geworfen war und besät mit Überresten von Kunstwerken. Er entfernte sich zuerst, indem er gutmütig erklärte:
– Dies Mal hat die Geschichte gut geklappt!
Aber in den Eßsaal war eine solche Rauchwolke gedrungen und mischte sich nun mit dem Tabakdunst, daß man kaum atmen konnte. Der Major riß ein Fenster auf, und die Offiziere, die herübergekommen waren, um noch einen letzten Schluck Cognac zu trinken, stellten sich dazu.
Die feuchte Luft strömte ins Zimmer, indem sie die Bärte mit Wasserdunst beschlug. Ein Überschwemmungsgeruch verbreitete sich. Vor ihnen lagen die großen Bäume, die sich förmlich bogen unter den Regengüssen, das weite, durch die triefenden, tiefhängenden, dunkeln Wolken nebelerfüllte Thal, und in der Ferne den aus dem peitschenden Regen wie eine graue Nadel ragenden Kirchturm.
Seitdem sie im Lande waren, hatte sein Geläut geschwiegen, der einzige Widerstand, den die Eindringlinge weit und breit gefunden. Der Pfarrer hatte sich nicht geweigert, preußische Soldaten bei sich aufzunehmen und zu verpflegen. Er hatte sogar ein paar Mal mit dem feindlichen Befehlshaber, der sich seiner oft als wohlwollende Mittelsperson bediente, eine Flasche Bier oder Rotwein getrunken. Aber nicht einen Ton seiner Glocke durfte man von ihm verlangen. Lieber hätte er sich totschießen lassen. So protestierte er gegen den feindlichen Einbruch auf seine eigne Art, friedlich, still, die einzige Form, die, wie er sagte, dem Priester zustand, als Mann des Friedens und nicht des Krieges. Und Jedermann zehn Meilen in der Runde rühmte die Festigkeit und den Mut des Abbé Chantavoine, der durch das beharrliche Schweigen seiner Kirche die öffentliche Trauer einzugestehen und zu verkünden wagte.
Das ganze Dorf fühlte sich gehoben durch diesen Widerstand. Sie waren bereit durch Dick und Dünn mit ihrem Pfarrer zu gehen und betrachteten diesen stillschweigenden Protest als Rettung der Nationalehre. Die Bauern glaubten sich so mehr ums Vaterland verdient zu machen als Belfort und Straßburg, meinten, sie hätten ein gleich hohes Beispiel gegeben, so daß der Name ihres Dorfes nun unsterblich geworden. Sonst fügten sie sich den siegreichen Preußen.
Der Major und seine Offiziere lachten über diesen harmlosen Mut. Da sich sonst die ganze Gegend gefällig und nachgiebig gegen sie zeigte, so duldeten sie diesen stummen Patriotismus.
Nur der kleine Reichsgraf hätte die Glocke gern zum Läuten gebracht. Er ärgerte sich über die Nachgiebigkeit seines Vorgesetzten gegen den Pfarrer. Täglich bat er den Major, ihn doch ein einziges Mal »Bim-bam« machen zu lassen, einmal nur, ein einziges Mal, damit es was zu lachen gäbe. Katzenfreundlich, weibisch schmeichelnd bat er darum, mit weicher Stimme, wie eine, die von ihrem Liebhaber die Erfüllung irgend eines sehnlichen Wunsches begehrt. Aber der Major gab nicht nach und Fräulein Fifi legte im Schlosse von Uville weiter »Minen« als Trost.
Die fünf Männer atmeten am Fenster einige Minuten hindurch die feuchte Luft ein. Endlich sagte Leutnant Schönauburg mit halbem Lächeln:
– Na, schönes Wetter haben die Damen zu ihrem Ausfluge gerade nicht!
Darauf trennte man sich. Jeder mußte zu seinem Dienst und der Rittmeister hatte für das Diner zu sorgen.
Als sie sich bei Einbruch der Dämmerung wieder zusammenfanden und einander ansahen alle pomadisiert, parfümiert, frisch hergerichtet strahlend wie zur Parade, herrschte allgemeine Heiterkeit. Des Majors Haare schauten weniger grau aus, als am Morgen, und der Rittmeister hatte sich rasiert. Nur der Schnurrbart war stehen geblieben, wie eine Flamme unter der Nase.
Trotz des Regens blieb das Fenster offen und einer der Herren horchte bisweilen. Um sechs Uhr zehn Minuten verkündigte der Rittmeister, er höre ein fernes Rollen. Alle liefen herbei und bald darauf erschien im Galopp der große Wagen, dessen rauchende, schnaubende Pferde bis zum Rücken hinauf bespritzt waren.
Fünf Frauenzimmer stiegen aus, schöne Mädchen, die ein Kamerad des Rittmeisters, dem der »Befehl« eine diesbezügliche Karte seines Schwadronschefs gebracht, sorgfältig ausgewählt.
Sie hatten sich nicht weiter nötigen lassen, denn sie wußten, daß sie gut bezahlt werden würden. Im übrigen kannten sie die Preußen nun seit drei Monaten, die sie mit ihnen in Berührung waren und nahmen Männer und Dinge wie sie nun einmal lagen. – Das Geschäft bringt es so mit sich! sagten sie sich unterwegs um letzte Gewissensregungen zu betäuben.
Gleich ging’s in den Eßsaal, der erleuchtet in seinem kläglichen Zustande noch trauriger aussah.
Der mit Speisen, reichem Geschirr und dem Silber gedeckte Tisch, das in dem Loch aufgestöbert worden, wo es der Besitzer versteckt, gab dem Raum das Aussehen einer Schenke, in der Räuber nach einer Plünderung tafeln. Der Rittmeister strahlte. Er nahm von den Mädchen Besitz, wie von etwas altvertrautem, beguckte, umarmte, beschnupperte sie, und tarierte sie dabei auf ihren Wert als Dirne. Die drei jungen Leute wollten nun jeder eine in Besitz nehmen. Aber da widersprach er energisch, indem er sich die Teilung vorbehielt, nach Recht und Gerechtigkeit genau nach der Anciennetät, damit nicht gegen die militärische Ordnung verstoßen würde.
Um nun Streit und Widerrede, auch um den Schimmer von Parteilichkeit zu vermeiden, ordnete er sie nach der Größe und fragte den rechten Flügelmann im Befehlstone:
– Wie heißt Du?
Sie antwortete mit rauher Stimme.
– Pamela.
Da bestimmte er:
– Nummero Eins, namens Pamela, zur Dienstleistung beim Herrn Major.
Nachdem er dann Blondine, die zweite, durch einen Kuß in Besitz genommen, teilte er Premierleutnant von Großling die dicke Amanda und Leutnant Schönauburg die Tomaten-Eva zu. Rahel, die kleinste, braun, blutjung, mit kohlschwarzen Augen, eine Jüdin, deren Regennase die Regel bestätigte, wonach ihre Rasse krumme Schnäbel trägt, erhielt der jüngste Offizier, der gebrechliche Reichsgraf Wilhelm von Eyrik.
Übrigens waren sie alle hübsch und rundlich, ohne besonderen Ausdruck, an Teint und Äußerem etwa gleich geworden durch tägliche Ausübung ihres Berufes und durch das gemeinsame Leben im öffentlichen Hause.
Die drei jungen Leute wollten, unter dem Vorwand, ihnen Seife und Bürsten zum Reinigen anzubieten, ihre Mädchen sofort mit sich nehmen, doch der Rittmeister war schlauerweise dagegen. Er meinte, sie wären reinlich genug, um sich zu Tisch zu setzen und die, die hinaus gegangen, würden, nachdem sie wieder gekommen, tauschen wollen und so die anderen stören. Seine Erfahrenheit drang durch. Man küßte sich nur viel, küßte sich und wartete.
Plötzlich bekam Rahel einen Erstickungsanfall, und ließ hustend den Zigarrenrauch durch die Nase entweichen. Der Reichsgraf hatte gethan, als wollte er sie umarmen und ihr dabei eine Tabakswolke in den Mund geblasen. Sie ward nicht böse, sprach kein Wort, aber sie blickte ihren Inhaber starr an und in der Tiefe ihres Schwarzen Auges stieg leiser Zorn empor.
Man nahm Platz. Selbst der Major schien sich zu unterhalten. Er ließ Pamela rechts, Blondine links von sich sitzen und meinte, indem er seine Serviette auseinandersetze:
– Das ist ‘ne famose Idee von Ihnen, Kelweingstein!
Die Leutnants von Großling und Schönauburg waren höflich wie gegen Damen der Gesellschaft, und setzten dadurch ihre Nachbarinnen ein wenig in Verlegenheit. Aber der Rittmeister ließ sich gehen. Er strahlte über’s ganze Gesicht, warf mit zweifelhaften Redensarten um sich und sah mit seiner roten Haarkrone aus, als ob er in Flammen stünde. In rheinisch gefärbtem Französisch schnitt er die Cour und bestürmte die Mädchen unter einem regelrechten Speichelfeuer durch die Lücke seiner beiden zerbrochenen Zähne mit seinen Kneipenkomplimenten.
Aber sie begriffen nichts davon und ihr Verständnis schien erst zu erwachen, als er anfing, unanständige Worte vorzubringen, Zoten, die er durch seine Aussprache verstümmelte. Da fingen sie alle an, wie die Blödsinnigen zu lachen, lehnten sich an ihre Nachbarn an und wiederholten die Ausdrücke, die der Rittmeister dann im Scherze noch mehr verdrehte, damit sie Schweinereien reden sollten. Sie waren angeheitert von der ersten Flasche ab und nun zeigten sie ihre wahre Natur, ließen sich gehen, küßten nach rechts nach links, kniffen in den Arm, schrieen wie besessen, tranken aus allen Gläsern, sangen französische Couplets und abgerissene Stücke deutscher Lieder, die sie durch den täglichen Verkehr mit dem Feinde gelernt hatten.
Bald wurden auch die Männer verrückt durch diese Weiberkörper vor ihren Augen und in ihren Armen. Sie schrieen und zerschlugen Teller und Gläser, während die Soldaten hinter ihnen, sie ohne eine Miene zu verziehen, bedienten.
Nur der Major beherrschte sich.
Fräulein Fifi hatte Rahel auf den Schoß genommen und regte sich unnütz auf, indem er einmal wie verrückt die rabenschwarzen Härchen am Halse küßte, wobei er durch den Spalt zwischen Kleid und Haut die süße Wärme und den Odem ihres Leibes einsog, indem er sie dann wieder von geiler Wut und seinem Radautriebe gepackt, durch den Stoff hindurch wütend kniff, bis sie schrie. Dann wieder hielt er sie umfaßt, sie an sich pressend als sollte sie eins mit ihm sein, drückte lange seinen Mund auf der Jüdin frische Lippen, und küßte sie, daß sie nicht mehr atmen konnte. Plötzlich aber biß er sie so stark, daß ihr ein Blutstrom über das Kinn lief und auf die Taille tropfte.
Wieder sah sie ihn scharf an und zischte:
– Das zahl’ ich Dir heim!
Er lachte hart:
– Ich werde zahlen.
Der Nachtisch wurde aufgetragen, und Sekt eingeschenkt. Der Major erhob sich und sagte im selben Tone, als wenn er im Casino ein Hoch ausgebracht hätte:
– Auf das Wohl unserer Damen.
Eine ganze Reihe von Toasten begann, Toaste im Ton besoffener Soldateska, voll gemeiner Witze, die bei der Unkenntnis des Französischen noch roher klangen. Einer erhob sich nach dem anderen, indem er geistreich und komisch zu sein suchte. Die Weiber waren so betrunken, daß sie sich kaum aufrecht halten konnten. – Mit verglasten Augen und schleimigen Lippen klatschten sie jedes Mal wie rasend Beifall.
Der Rittmeister hob, um der Orgie einen galanten Anstrich zu geben, noch einmal sein Glas und rief:
– Auf unsere Siege über die Weiberherzen!
Da richtete sich Premierleutnant von Großling, eine Art Schwarzwaldbär, auf und der Wein stieg ihm so zu Kopf, daß er plötzlich in trunkenem Patriotismus rief:
– Auf unsere Siege über Frankreich!
Die Weiber schwiegen in ihrer Trunkenheit, nur Rahel drehte sich zusammenzuckend um:
– Du hör’ mal, ich kenne Franzosen vor denen Du so was nicht sagen würdest.
Der kleine Reichsgras, der sie noch immer auf den Knieen hielt, fing an zu lachen. Der Wein machte ihn fröhlich:
– Oho! Oho! Ich habe noch keinen gesehen! Sobald wir kommen – reißen sie aus!
Das Mädchen warf ihm verzweifelt in’s Gesicht:
– Du lügst, Du Lump!
Während einer Sekunde ließ er auf ihr sein kühles Auge ruhen, wie auf den Gemälden, nach denen er mit dem Revolver schoß, dann fing er an zu lachen:
– Na davon wollen wir mal lieber schweigen, Verehrteste! Säßen wir etwa hier, wenn sie tapfer wären?
Und er ward lebhafter.
– Wir sind die Herren. Frankreich gehört uns!
Sie ließ sich mit einem Ruck von seinem Schoß herunter auf den Stuhl. Er stand auf, hob sein Glas über den Tisch und wiederholte:
– Uns gehört Frankreich und die Franzosen, die französischen Wälder, Felder, Häuser, alles!
Die anderen ergriff plötzlich in ihrer Trunkenheit unsinnige militärische Begeisterung. Sie hoben ihre Gläser, mit dem Ruf:
– Es lebe Preußen!
Und leerten sie auf einen Zug. Die Mädchen widersprachen nicht, gezwungen zu schweigen und von Angst gepackt. Selbst Rahel war nicht im Stande zu antworten.
Da setzte der kleine Reichsgraf der Jüdin sein frisch gefülltes Sektglas auf den Kopf und schrie:
– Uns sollen auch alle französischen Frauen gehören!
Sie sprang so schnell auf, daß die Krystallschale kippte, indem sich wie zur Taufe der goldperlende Wein über ihr Haar ergoß, fiel und am Boden zerschellte. Mit bebenden Lippen hielt sie des Offiziers noch immer lächelndem Blicke stand und stammelte mit vor Wut erstickter Stimme:
– Das … das … das ist nicht wahr! Hörst Du! Die französischen Frauen kriegt ihr nicht!
Er setzte sich und wollte sich ausschütten vor Lachen:
– Das ist gut, wirklich gut, was suchst Du denn dann hier, Kleine?
Das brachte sie außer Fassung. Sie war so verdutzt, daß sie zuerst gar nicht recht begriff und schwieg. Als sie dann aber verstanden hatte was er gesagt, schrie sie ihm empört in’s Gesicht:
– Ich … ich … ich bin keine Frau, ich bin eine Hure! Nur so eine paßt für die Preußen!
Kaum hatte sie ausgesprochen, als er ihr mit aller Kraft eine Ohrfeige gab. Aber als er, sinnlos vor Wut die Hand zum zweiten Male hob, ergriff sie vom Tisch ein Dessertmesser mit silberner Klinge und rannte es ihm so schnell, daß man kaum gewahr wurde was vor sich ging, in den Hals, genau in die Höhlung wo die Brust ansetzt.
Das Wort blieb ihm in der Kehle stecken und fürchterlichen Blickes stand sein Mund offen.
Alle schrieen, und sprangen mit Getöse auf. Rahel aber warf ihren Stuhl Premierleutnant von Großling zwischen die Beine, sodaß er der Länge nach hinschlug, lief an’s Fenster, riß es auf ehe man ihr folgen konnte und schwang sich in die Nacht hinaus, in den noch immer strömenden Regen.
Nach zwei Minuten war Fräulein Fifi tot. Da griffen Schönauburg und Großling nach den Waffen, um die Weiber, die ihnen zu Füßen lagen niederzumachen. Der Major hatte Mühe Blutvergießen zu hindern. Er ließ die vier bestürzten Mädchen unter Bewachung von zwei Mann in ein Zimmer sperren. Dann befahl er seinen Leuten die Verfolgung der Flüchtigen, indem er sie verteilte wie zum Gefecht. Und er war gewiß sie zu fangen.
Fünfzig Mann wurden mit strengsten Befehlen in den Park entsandt, zweihundert mußten den Wald und alle Häuser im Thal durchsuchen.
Der schnell abgeräumte Tisch, diente nun als Totenbett. Die vier Offiziere blieben starr, entnüchtert, mit ernstem Dienstgesicht an den Fenstern stehen und spähten in die Nacht hinaus.
Immer weiter strömte der Regen. Es plätscherte im Nebel, wie unbestimmtes Murmeln von Wasser das niederströmt, Wasser das fließt, Wasser das abtropft, Wasser das zurückspritzt.
Plötzlich fiel ein Schuß, dann weit entfernt ein zweiter und so vernahm man vier Stunden lang ab und zu weiter oder näher Entladungen, Rufe zum Sammeln, und seltsame Kehllaute als Anruf.
Früh rückte alles wieder ein. Im Eifer des Gefechts und der Aufregung der nächtlichen Verfolgung waren zwei Soldaten getötet und drei andere durch ihre Kameraden verwundet worden.
Rahel hatte man nicht wiedergefunden.
Da wurden die Einwohner bedroht, die Wohnungen um und umgeworfen, die ganze Gegend durchspäht, abgetrieben, umgewälzt. Die Jüdin schien keine Spur auf ihrem Wege hinterlassen zu haben.
Der General, dem Meldung erstattet worden, befahl die Sache niederzuschlagen um der Armee kein schlechtes Beispiel zu geben. Der Major erhielt eine Disziplinarstrafe und der wiederum bestrafte seine Untergebenen. Der General hatte gesagt: »Zum Scherz und um Weibergeschichten führen wir nicht Krieg.« Graf Farlsberg war erbittert und beschloß sich an der Gegend zu rächen.
Da er einen Vorwand brauchte um in seiner Maßregelung nicht behindert zu sein, ließ er den Pfarrer kommen und befahl ihm, beim Begräbnis des Reichsgrafen von Eyrik, die Glocke läuten zu lassen.
Ganz wider Erwarten fügte sich der Pfarrer, war unterwürfig und zu allem bereit. Und als die Leiche des Fräulein Fifi, von Soldaten mit geladenem Gewehr getragen, geführt, umgeben, gefolgt, das Schloß von Uville verließ um zum Kirchhof gebracht zu werden, stimmte die Glocke zum ersten Mal ihr Totengeläute an. Und sie klang beinahe munter, als ob eine freundliche Hand sie gestreichelt.
Abends klang sie wieder und am andern Morgen und alle Tage. So oft es verlangt ward bimmelte sie. Sogar manchmal Nachts setzte sie sich von selbst in Bewegung, und von seltsamer Fröhlichkeit gepackt, wach geworden, man wußte nicht warum, ließ sie zwei oder drei Töne in die Nacht hinausschallen. Da meinten alle Ortseinwohner sie sei verhext und außer dem Pfarrer und dem Meßner wagte sich niemand mehr an den Turm heran.
Ein armes Mädchen nämlich lebte in Angst und Einsamkeit dort oben und wurde heimlich von den beiden Männern mit Essen versorgt.
Bis zum Abmarsch der deutschen Truppen blieb sie dort. Dann brachte sie der Pfarrer selbst mit dem vom Bäcker geborgten Wagen, eines Abends an die Thore von Rouen. Dort umarmte sie der Geistliche. Sie stieg aus und kehrte zu Fuß zu dem öffentlichen Hause zurück, deren Inhaberin sie schon tot geglaubt.
Einige Zeit später nahm sie ein vorurteilsloser Vaterlandsfreund heraus, der sie zuerst wegen ihrer schönen That, dann um ihrer selbst willen, liebgewonnen. Er heiratete sie und sie ward eine Frau, nicht schlechter denn manche andere.