Guy de Maupassant

Vor der Ehe hatten sie sich ideal geliebt. Sie lernten sich in einem reizenden Seebade kennen. Er hatte das rosige, junge Mädchen, das am Strande immer mit hellem Sonnenschirm in hellen, luftigen Kleidern vorüberging, reizend gefunden: zart, blond, wie sie war mit dem Hintergrund von Wogen und riesigem Himmel! So hatte er sie lieben gelernt. Den Eindruck dieser kaum aufgeblühten Menschenknospe auf seine Seele hob unbewußt die mächtige Natur: die frische, windbewegte, salzige Luft, die weite Landschaft mit ihrem strahlenden Sonnenschein und den brandenden Meereswogen.

Sie hatte ihn lieb gewonnen, weil er ihr den Hof machte, weil er jung war, ziemlich vermögend, nett und liebenswürdig. Sie hatte ihn geliebt, wie eben ein junges Mädchen einen jungen Mann liebt, der ihr Artigkeiten sagt.

So waren sie ein Vierteljahr lang Seite an Seite gegangen, Auge in Auge und Hand in Hand. Und der Morgengruß, den sie sich vor dem Bade in der Frische des jungen Tages zuriefen, und der Abschied, den sie abends am Strande unter dem Sternenzelt in der ruhigen, stillen Nacht von einander nahmen, mit leisen, ganz leisen Worten, hatte schon einen Vorgeschmack von Küssen, obgleich sich ihre Lippen noch nie begegnet.

Wenn sie eingeschlafen waren, träumten sie von einander und wenn sie erwachten, trafen sich ihre Gedanken. Ohne es sich noch zu gestehen, begehrten sie einander von ganzer Seele, mit allen Sinnen.

Nach der Hochzeit kam das reale Glück dieser Erde, zuerst eine Art unerschöpflicher, sinnlicher Wut, übertriebene Zärtlichkeit und greifbare Poesie, schon ziemlich raffinierte Liebkosung, allerlei Scherze und Streiche. Ihre Blicke hatten etwas Unreines, ihre Bewegungen erinnerten an die Annäherung während der Nacht.

Aber jetzt fingen sie schon an, ohne es sich einzugestehen, vielleicht ohne es selbst zu merken, einander satt zu bekommen. Und doch liebten sie sich noch. Aber sie hatten sich nichts mehr Neues zu sagen, nichts zu thun, was sie nicht schon oft gethan, einer vom andern nichts mehr zu lernen, nicht einmal ein neues Wort der Liebe, einen neuen Ansturm, irgend einen neuen Ton, der das oft Gesagte wieder aufgefrischt hätte.

Und doch mühten sie sich, die schwächer glimmende Glut neu zu entfachen. Jeden Tag erfanden sie neue Zärtlichkeiten und mühten sich verzweifelt, in ihren Herzen das unstillbare Feuer der ersten Zeit wieder auflodern zu lassen, in ihren Adern die heiße Flamme des Honigmondes neu zu entzünden.

Ab und zu fanden sie durch Anstachelung ihrer Begierden eine Stunde künstlicher Erregung, der sofort Lässigkeit und Ekel folgten.

Sie hatten es mit Schwärmen im Mondenschein versucht, mit Spaziergängen an warmen Abenden im Walde, am nebelbedeckten Flußufer, dann waren sie miteinander auf öffentliche Festlichkeiten gegangen.

Da sagte eines Morgens Henriette zu Paul:

– Geh doch mal mit mir in’s Restaurant essen.

– Gewiß, liebes Kind.

– Aber in ein sehr bekanntes.

– Gut.

Er sah sie forschend an. Er merkte, daß sie etwas wünschte, was sie nicht sagen wollte.

Sie begann von neuem:

– Weißt Du, in ein Restaurant, – ja, wie soll ich Dir das erklären – in ein Restaurant, wo – wo man sich trifft, wo man Rendezvous hat.

Er lächelte:

– Gut, ich verstehe schon, in ein großes Restaurant, und zwar ins Cabinet particulier.

– Ja, das ist es! Aber nicht wahr, in ein ganz großes Restaurant, wo man Dich kennt. Wo Du schon mal soupiert hast, nein, ich meine gegessen, kurzum, Du weißt. Weißt Du, ich möchte gern – ach, das kann ich Dir nicht sagen.

– Nu, sag es doch, unter uns – was schad’t denn das, wir haben doch keine Geheimnisse voreinander.

– Nee, das wage ich nicht.

– Ach, verstelle Dich mal nicht, sag doch.

– Gut, also ich möchte nämlich gern – ich möchte gern, daß man mich für Dein Verhältnis hält, und daß der Kellner, der nicht weiß, daß Du verheiratet bist, mich auch für Dein Verhältnis hält und daß auch Du, . . . . . daß Du mal ‘ne Stunde lang so thust an diesem Ort, an dem doch gewisse Erinnerungen für Dich hängen. Weiter will ich nichts. Und dann will ich mir mal selbst einbilden, daß ich Dein Verhältnis wäre. Ich werde was ganz Schlimmes thun: ich werde Dich betrügen – aber weißt Du – mit Dir! So! Das ist sehr schlecht von mir, aber ich möchte es zu gern. Nu, mache mich nicht rot, ich fühle ja schon, daß ich rot werde! Du hast ja keine Ahnung, wie mir das Spaß machen würde, mit Dir mal irgendwo zu essen, wo man eigentlich nicht gut hingehen kann, in ein Cabinet particulier, wo sich die Liebespärchen abends treffen. Jeden Abend! Das ist sehr häßlich von mir, nicht wahr? Ich sehe schon, ich bin rot, rot wie ‘n Puter. Bitte, sieh mich nicht an.

Er lachte, die Geschichte machte ihm Spaß und er antwortete:

– Gut, wir wollen mal heute abend in ein chices Restaurant gehen, wo ich bekannt bin.

Gegen sieben Uhr stiegen sie die Treppe eines großen Restaurants auf dem Boulevard hinauf. Er lächelnd mit unternehmendem Blick, sie verlegen und entzückt, tief verschleiert. Sobald sie in ein kleines Zimmer getreten waren, wo vier Stühle standen und ein großes Sofa mit rotem Samtbezug, trat der Oberkellner ein und legte die Karte vor. Paul gab sie seiner Frau:

– Was willst Du essen?

– Ja, ich weiß nicht, was man hier ißt.

Da las er, während er den Überzieher ablegte, den er dem Kellner übergab, die ganze lange Reihe von Speisen herunter und sagte:

– Wir wollen mal ein kräftiges Menü zusammenstellen: Potage bisque – Poulet à la diable – Hasenrücken, Hummer à l’Américaine, Salat und recht stark gewürztes Gemüse, Dessert. Sekt natürlich . . . .

Der Kellner betrachtete lächelnd die junge Frau. Dann nahm er die Karte entgegen und fragte, indem er Paul beim Namen nannte, ob er süßen oder herben Sekt wünsche.

– Extra dry . . . .

Henriette war glückselig, als sie hörte daß der Kellner den Namen ihres Mannes kannte. Sie setzten sich nebeneinander auf das Sofa und fingen an zu essen.

Ein Dutzend Lichter leuchtete ihnen. Ein großer Spiegel warf matt ihren Glanz zurück, ganz blind von ein Paar hundert Namen, die mit Diamant in das Glas eingekritzelt worden, sodaß er nun aussah, wie mit Spinngeweben überzogen.

Henriette leerte ein Glas nach dem andern, um in Stimmung zu kommen, obgleich sie fühlte, wie ihr der Wein vom ersten Schluck ab zu Kopfe stieg. Paul, dem allerlei Erinnerungen wieder kamen, küßte ihr alle Augenblicke die Hand. Seine Augen glänzten.

Das verdächtige Lokal berührte sie ganz eigenartig. Sie war sehr erregt, zufrieden, aber fühlte sich doch ein wenig am falschen Fleck. Zwei andere Kellner kamen und gingen, stumm, schnell und leise. Sie waren schon daran gewöhnt, Alles zu sehen und Alles zu vergessen, und in Augenblicken, wo die Pärchen die Zärtlichkeit überkam, zu verschwinden.

Gegen Mitte des Diners war Henriette betrunken, vollkommen betrunken. Paul, angeheitert, preßte ihr mit aller Gewalt das Knie. Jetzt schwatzte sie etwas unbefangener, mit roten Backen und leuchtendem halb verschleiertem Blick:

– Hör’ mal, Paul, jetzt mußt Du mir aber beichten, weißt Du, ich muß alles wissen.

– Was denn, Liebchen?

– Ja, das wage ich nicht zu sagen.

– Na, sag nur immer.

– Hast Du früher ein Verhältnis gehabt, oder viele vor mir?

Er war erschrocken und zögerte ein wenig. Er wußte nicht, sollte er seine Eroberungen vor ihr verheimlichen oder sich ihrer rühmen.

Sie begann von neuem:

– O bitte, sag mir mal, hast Du viele gehabt?

– Na, einige.

– Wieviel?

– Ja, das weiß ich nicht mehr! So was weiß man doch nicht mehr.

– Hast Du sie nicht gezählt?

– Aber nein.

– Du hast also viele gehabt?

– Nu ja.

– Wieviel denn etwa, bloß so etwa?

– Ja aber liebes Kind, das weiß ich doch nicht, in manchen Jahren viele und dann mal wieder sehr viel weniger.

– Ja wieviel denn etwa jährlich?

– Na, manchmal zwanzig bis dreißig, manchmal bloß vier oder fünf.

– O, das macht ja im Ganzen mehr wie hundert.

– Nu ja, so etwa.

– Das ist aber ekelhaft.

– Warum denn ekelhaft?

– Ja, weil das ekelhaft ist, wenn man daran denkt, alle diese Frauen nackt und immer, immer dann, nein, das ist doch ekelhaft, mehr wie hundert!

Er war empört, daß sie das ekelhaft fände und antwortete mit jener Überhebung in der Stimme, die die Männer annehmen, wenn sie den Frauen begreiflich machen wollen, daß sie eine Dummheit gesagt haben:

– Nu, das ist aber doch einfach lächerlich; wenn es ekelhaft ist, hundert Frauen gehabt zu haben, da ist doch eine ebenso ekelhaft.

– O durchaus nicht.

– Warum denn nicht?

– Weil eine Frau eine wirkliche Verbindung ist! Mit der muß einen doch Liebe verknüpfen. Aber hundert Frauen,, das ist schmutzig und unanständig. Ich kann nicht begreifen, wie ein Mann sich mit solchen Mädchen einlassen kann, die so schmutzig sind.

– Durchaus nicht, sie sind sehr reinlich.

– Bei dem Handwerk kann man nicht reinlich sein.

– Im Gegenteil, gerade wegen ihres Handwerkes sind sie reinlich.

– Pfui Teufel! wenn man denkt, daß sie sich am Tage vorher mit einem Anderen eingelassen haben, das ist unerhört.

– Das ist nicht unerhörter, als wenn ich aus einem Glase trinke, aus dem irgend jemand schon vor mir getrunken hat, heute morgen vielleicht, und das man sicher weniger gut gewaschen hat, als . . .

– Bitte, jetzt sei ruhig, das empört mich.

– Ja warum fragst Du mich denn dann, ob ich Verhältnisse gehabt habe!

– Sag mal, waren Deine Verhältnisse eigentlich immer Dirnen, alle?

– Nein, durchaus nicht, durchaus nicht.

– Ja, was waren’s denn dann?

– Na, Schauspielerinnen oder kleine Konfektionösen oder Damen aus der Gesellschaft.

– Wieviel Damen aus der Gesellschaft?

– Sechs.

– Nur sechs?

– Ja.

– Waren sie hübsch?

– Nu ja.

– Hübscher als die andern.

– Nee.

– Wer ist Dir denn lieber, die andern Mädchen oder die Damen aus der Gesellschaft?

– Die Mädchen.

– Pfui, bist Du schmutzig. Warum denn?

– Weil ich Dilettanten nicht mag.

– Nu hört’s aber auf, Du bist ja gräßlich, hör mal! Sag mal, hat Dir das Spaß gemacht, so von einer zur andern zu laufen?

– O ja.

– Viel Spaß?

– Sehr viel.

– Ja, was hat Dir denn Spaß gemacht, waren sie nicht eine wie die andere?

– O nein.

– Ach, also die Frauen sind nicht eine wie die andere?

– Durchaus nicht.

– In keiner Beziehung?

– In keiner Beziehung.

– Nein, ist das komisch! Worin sind sie denn verschieden?

– In allem.

– Der Körper?

– Nu ja, der Körper.

– Der ganze Körper?

– Der ganze Körper.

– Und was denn noch?

– Nu die Art und Weise zu küssen, zu sprechen, die geringsten Kleinigkeiten zu sagen.

– So, es ist also sehr amüsant, zu wechseln?

– Nu ja.

– Sind denn die Männer auch verschieden?

– Ja, das weiß ich nicht.

– Das weißt Du nicht?

– Nein.

– Sie müssen doch auch verschieden sein!

– Ja, ohne Zweifel.

Nachdenklich blieb sie sitzen, ihr Champagnerglas in der Hand. Es war voll und sie schüttete es ohne Absetzen hinab. Als sie es dann auf den Tisch niedergesetzt, umschlang sie ihren Mann mit beiden Armen und flüsterte, an seinem Munde hängend:

– Ach, ich habe Dich so lieb.

Er umarmte sie mit plötzlich entflammter Leidenschaft.

Ein Kellner, der eben eintreten wollte, fuhr sofort zurück und schloß die Thür.

Und während etwa fünf Minuten wurde nicht weiter serviert.

Als der Oberkellner endlich mit ernster, würdiger Miene erschien, und die Früchte zum Dessert brachte, hielt sie wieder ein volles Glas in der Hand, blickte in das gelbe durchsichtige Naß, als ob sie dort unten neue unbekannte Dinge sehe, und murmelte mit träumerischem Ausdruck:

– Ach, nett muß es doch sein!