In der Nähe von dem klaren Strome Gudenau in Nordjütland, im Walde, welcher sich an dessen Ufern hin und weit in das Land hinein erstreckt, erhebt sich ein großer Landrücken und zieht sich, einem Walle gleich, durch den Wald, An diesem liegt westwärts ein Bauernhaus, umgeben von magerem Ackerlande; der Sandboden schimmert durch die spärlichen Roggen- und Gerstenhalme, die hier wachsen. – Es sind einige Jahre her; die Leute, die hier wohnten, bebauten das Feld, hatten außerdem drei Schafe, ein Schwein und zwei Ochsen; kurz, sie nährten sich ganz gut, hatten zu leben, wenn man das Leben nimmt wie es kommt, ja, sie hätten es wohl gar dahin bringen können, zwei Pferde zu halten, aber sie sagten wie die andern Bauern der Gegend: »das Pferd frißt sich selber!« – es zehrt so viel wie es nährt. Jeppe-Jäns bestellte sein Feld im Sommer; im Winter machte er Holzschuhe, und alsdann hatte er auch einen Gehilfen, einen Burschen, der, wie er, es verstand die hölzernen Schuhe stark aber leicht und »mit Façon« zu machen; sie schnitzelten Schuhe und Löffel, und das brachte Geld, man würde Jeppe-Jansens Unrecht gethan haben, hätte man sie arme Leute genannt.

Der kleine Ib, der siebenjährige Knabe, das einzige Kind im Hause, saß dabei und sah den Arbeitern zu, schnitzelte an einem Stocke, und schnitt sich wohl auch zuweilen in den Finger; aber eines Tages hatte es Ib mit zwei Stückchen Holz so weit gebracht, daß sie wie kleine Holzschuhe aussahen, und diese wollte er Christinchen schenken; und wer war Christinchen? Sie war des Kahnführers Töchterlein, fein und zart, wie ein herrschaftliches Kind; hätte sie Kleider darnach gehabt, es würde Niemand geglaubt haben sie sei aus der Hütte von der nahen Haide. – Dort wohnte ihr Vater, welcher Witwer war und sich davon nährte, daß er auf seinem großen Boote Brennholz aus dem Walde nach dem nahen Gute Silkeborg mit seinem großartigen Aalfange und Aalwehr, zuweilen auch gar bis nach dem entfernten Städtchen Randers fuhr. Er hatte Niemand, der Christinchen hätte unter seine Obhut nehmen können; deshalb war denn auch das Mädchen fast immer bei ihm im Boote oder im Walde zwischen Haidekraut und Heidelbeergesträuch; mußte er einmal ganz nach dem Städtchen hinauf, nun so brachte er Christinchen, das ein Jahr jünger als Ib war, über die Haide zu Jeppe-Jänsens hinüber.

Ib und Christinchen vertrugen sich in allen Stücken, sie theilten sich in Brot und Beeren, wenn sie hungrig waren, sie wühlten gemeinschaftlich in der Erde, sie liefen und krochen spielend überall umher; und eines Tages wagten sie sich gar, Beide ganz allein, auf den großen Landrücken hinauf und eine weite Strecke in den Wald hinein; einmal fanden sie dort einige Schnepfeneier, und das war ein großes Ereigniß.

Ib war noch nie auf der Haide gewesen, wo Christinchens Vater wohnte und auch nicht auf dem Strome gefahren; aber endlich einmal sollte das auch geschehen; Christinchens Vater hatte ihn dazu eingeladen und am Abende vorher folgte er diesem über die Haide nach dessen Hause.

Am nächsten frühen Morgen saßen die beiden Kinder hoch auf dem im Boote aufgeschichteten Brennholze und aßen Brot und Heidelbeeren. Christinchens Vater und sein Gehilfe trieben das Boot durch Stangen vorwärts, sie hatten die Strömung mit sich, und in schneller Fahrt ging es den Strom entlang, durch die Seen, welche derselbe bildet, und die oft durch Wald, Schilf und Röhricht wie verschlossen erschienen, aber doch immer die Durchfahrt gestatteten, wenn auch die alten Bäume sich über die Gewässer neigten, und die Eichen ihre abgeschälten Zweige hervorstreckten, als wenn sie die Hemdärmel abgestreift hätten und ihre knorrigen, nackten Arme zeigen wollten; alte Erlen, welche der Strom vom Ufer losgeschwemmt, klammerten sich mit ihren Wurzeln fest am Uferboden an und sahen aus, als wären sie kleine Waldinseln; die Wasserlilien wiegten sich auf dem Strome; es war eine herrliche Fahrt! – und endlich gelangte man bis an das große Aalwehr, wo das Wasser durch die Schleusen brauste; – das war zu schön, meinten Ib und Christinchen.

Damals war dort keine Fabrik und auch kein Städtchen; nur das alte große Gehöft mit seinem kärglichen Ackerbetrieb mit wenigen Leuten und wenigem Vieh war dort zu sehen, und das Gebrause des Wassers durch die Schleuse, das Schreien der wilden Enten war das ganze rege Leben Silkeborgs. – Nachdem das Brennholz ausgeladen war, kaufte der Vater Christinchens sich ein Bündel Aale und ein geschlachtetes Ferkel, welches Alles in einen Korb gethan und hinten in das Boot gestellt wurde. Darauf ging es stromaufwärts wieder zurück, aber der Wind war günstig und da man die Segel aufzog, war es so gut als hätte man zwei Pferde vorgespannt.

Als man sich auf dem Strome ungefähr dem Orte gegenüber befand, wo der Gehilfe des Kahnführers landeinwärts nur eine kurze Strecke vom Ufer entfernt wohnte, wurde das Boot vertäuet und die beiden Männer gingen ans Land, nachdem sie zuvor den Kindern eingeschärft hatten, sich ruhig zu verhalten. Aber das thaten die Kinder nicht, wenigstens nur sehr kurze Zeit, mußten sie doch m den Korb hinein gucken, m welchem die Aale und das Ferkel lagen; das Ferkel mußten sie haben, in der Hand halten, befühlen, betasten, und da sie dies zu gleicher Zeit thun wollten, so geschah es, daß sie es ins Wasser fallen ließen, dort trieb nun das Ferkel mit der Strömung davon, und das war eine entsetzliche Begebenheit.

Ib sprang ans Land und lief vom Boote eine kleine Strecke fort, und Christinchen sprang ihm nach; »nimm mich mit Dir!« rief sie, und in wenigen Augenblicken befanden sie sich tief im Gebüsch, sie sahen nichts mehr, weder das Boot, noch den Strand; sie liefen noch eine kleine Strecke weiter, dann fiel Christinchen zu Boden und weinte; Ib hob sie aber wieder auf.

»Folge mir!« sagte er. »Drüben liegt das Haus!« – Aber das Haus lag nicht drüben. Sie wanderten immer weiter, über das dürre, raschelnde, vorjährige Laub, über herabgefallene Baumzweige, und es knackte unter ihren kleinen Füßen; bald darauf hörten sie ein lautes durchdringendes Rufen, – sie blieben lauschend stehen, darauf schrillte der Schrei eines Adlers durch den Wald, es war ein garstiger Schrei und sie erschraken dabei, aber vor ihnen, drinnen im Walde, wuchsen die schönsten Blaubeeren in unglaublicher Menge; das war zu einladend als daß sie nicht hätten bleiben sollen, sie blieben auch und aßen von den Beeren und bekamen einen blauen Mund und blaue Wangen. Aber nun hörten sie von Neuem das frühere Rufen.

»Es setzt was für das Ferkel!« sagte Christinchen.

»Komm wir gehen nach unserm Hause!« sagte Ib, »das ist hier im Walde!« und sie gingen weiter; sie geriethen auf einen Fahrweg, aber nach Hause führte der Weg nicht und es wurde finster und sie fürchteten sich. Die wunderbare Stille, welche ringsum herrschte, wurde durch garstiges Schreien der großen Horneule oder anderer Vögel unterbrochen; endlich verliefen sie sich Beide in ein Gebüsch; Christinchen weinte und Ib weinte, und als sie sodann eine Weile geweint hatten, streckten sie sich in das dürre Laub und schliefen ein.

Die Sonne stand hoch am Himmel als die beiden Kinder erwachten, es fror sie, aber in der Nähe von ihrer Lagerstätte, auf dem Hügel, strahlte die Sonne durch die Bäume, dort wollten sie sich wieder erwärmen, und von dort aus, meinte Ib, würden sie das Haus seiner Eltern sehen können; aber sie waren weit von dem Hause entfernt, in einem ganz andern Theile des Waldes. Sie kletterten diese Anhöhe hinan und befanden sich an einem Abhange, einem klaren durchsichtigen See gegenüber; die Fische standen darin in großen Schaaren an dem Wasserspiegel, von den Sonnenstrahlen beleuchtet; was sie hier Alles erblickten, kam ihnen ebenso unerwartet als plötzlich; aber dicht neben ihnen prangte ein Haselnußstrauch voll der schönsten Nüsse, und nun pflückten sie die Nüsse ab, knackten sie auf und aßen die feinen jungen Kerne, die sich erst kürzlich gebildet hatten – aber es war ihnen doch noch eine Ueberraschung, ein Schrecken vorbehalten. Aus dem Gebüsche trat eine große, alte Frau hervor, deren Haar tief schwarz und glänzend war; das Weiße in ihren Augen leuchtete wie bei Mohren; auf dem Rücken trug sie ein Bündel, in der Hand einen Knotenstock; sie war eine Zigeunerin. Die Kinder verstanden nicht gleich, was sie sagte; sie zog drei große Nüsse aus der Tasche hervor; drinnen in diesen, erzählte sie, lägen die schönsten, herrlichsten Dinge, es seien Wünschelnüsse.

Ib blickte sie an, sie sprach so freundlich, daß er sich zusammen nahm und sie fragte, ob sie ihm die Nüsse schenken wollte, und die Frau gab sie ihm und pflückte sich vom Haselnußstrauche andere, eine Tasche voll.

Ib und Christinchen blickten die drei Wünschelnüsse mit großen Augen an.

»Ist wohl in dieser Nuß ein Wagen mit zwei Pferden?« fragte Ib.

»Ib, da drinnen ist eine goldene Carosse mit goldenen Pferden!« sagte die Frau.

»Dann gieb mir die Nuß;« sagte Christinchen, und Ib gab sie ihr, die fremde Frau knüpfte die Nuß in ihr Halstuch ein.

»Ist wohl in dieser Nuß hier so ein kleines hübsches Tuch wie Christinchen da um den Hals hat?« fragte Ib.

»Es sind zehn Halstücher darin!« sagte die Frau, »es sind feine Kleider, Strümpfe, Hut und Schleier drin.«

»Dann will ich auch die haben!« sagte Christinchen, und Ib gab ihr auch die zweite Nuß; die dritte war ein kleines schwarzes Ding.

»Die mußt Du behalten,« sagte Christinchen, »und die ist auch schön.

»Und was ist denn darin?«

»Das Allerbeste für Dich!« antwortete die Zigeunerin.

Und Ib hielt die Nuß recht fest. – Die Frau versprach, sie wolle die Kinder auf den richtigen Weg führen, damit sie sich nach Hause finden könnten, und nun ging es weiter, freilich in einer ganz andern Richtung als sie hätten gehen müssen, aber deshalb darf man noch lange nicht der alten Frau nachsagen, daß sie die Kinder stehlen wollte.

Auf dem wilden Waldpfade begegneten sie dem Waldvoigt, derselbe kannte Ib, und durch seine Hilfe kamen denn auch Ib und Christinchen nach Hause; wo man sich ihretwegen sehr geängstigt hatte; es wurde ihnen verziehen und vergeben, obgleich sie allerdings Beide in der That verdient hätten, daß »es was gesetzt hätte« erstens weil sie das Ferkel ins Wasser hatten fallen lassen, und zweitens weil sie davongelaufen waren.

Christinchen brachte man zu ihrem Vater auf der Haide und Ib blieb in dem Bauernhäuschen am Saume des Waldes und des großen Landrückens. Das Erste, was er nun Abends that, war, die kleine schwarze Nuß aus seiner Tasche hervorzuholen, welche das »Allerbeste« in sich schließen sollte; – er legte sie vorsichtig zwischen Thür und Thürangel nieder, klemmte darauf die Thüre zu, und die Nuß knackte richtig auf, aber Kern war nicht viel darin zu sehen: sie war wie mit Schnupftabak oder schwarzer, fetter Erde gefüllt; sie war taub oder wurmstichig wie man sagt.

»Ja, das dachte ich mir gleich!« sagte Ib, »wie sollte auch in der kleinen Nuß Platz sein für das Allerbeste! Christinchen wird eben so wenig herauskriegen aus ihren zwei Nüssen, weder feine Kleider, noch eine goldene Karosse!«

Der Winter kam heran, und das neue Jahr trat ein; ja es verstrichen mehrere Jahre.

Ib sollte endlich confirmirt und eingesegnet werden, und ging deshalb einen Winter zu dem Pfarrer weit im Dorfe drüben, um zu lernen. Um diese Zeit besuchte der Bootsmann eines Tages die Eltern Ib’s und erzählte, daß Christinchen nun in Dienst zöge und daß es ein wahres Glück für sie sei, in solche Hände zu fallen und einen solchen Dienst bei solch’ braven Leuten zu bekommen: denkt einmal! sie zieht zu den reichen Wirthsleuten in Herning-Krug, weit gen Westen, viele Meilen von Ib entfernt; dort soll sie der Krügerin zur Hand gehen und in der Wirtschaft beistehen, und später, wenn sie sich wohl anläßt und dort confirmirt und eingesegnet ist, wollen die Leute sie behalten als ihre Tochter.

Und Ib und Christinchen nahmen Abschied von einander. »Die Brautleute« nannte man sie, und sie zeigte ihm beim Abschiede, daß sie noch die zwei Nüsse habe, die er ihr damals bei ihrer Irrfahrt im Walde gegeben, und sie sagte ferner, daß sie in ihrer Truhe die kleinen hölzernen Schuhe aufbewahre, die er als Knabe geschnitzelt und ihr geschenkt habe. Darauf trennten sie sich.

Ib wurde eingesegnet; aber er blieb im Hause seiner Mutter, er war ein flinker Holzschuhmacher geworden; im Sommer bestellte er das Feld, seine Mutter hielt keinen Knecht mehr dazu, er that es allein, denn sein Vater war längst gestorben.

Nur selten, und alsdann höchstens durch einen Postillon oder einen Aalbauern erfuhr man etwas über Christinchen. Es erging ihr jedoch wohl bei den reichen Krügersleuten, und als sie eingesegnet war, schrieb sie einen Brief an ihren Vater und darin auch einen Gruß an Ib und dessen Mutter; im Briefe stand geschrieben von sechs neuen Hemden und einem schönen Kleide, welches Alles Christinchen von ihrer Herrschaft zum Geschenke erhalten habe. Das waren freilich gute Nachrichten.

Im nächsten Frühjahr klopfte es eines Tages an die Thüre der alten Mutter unseres Ib, und siehe da, der Kahnführer und Christinchen traten ein; sie war auf einen Tag zum Besuch angekommen, ein Wagen war vom Herning-Kruge nach dem nächsten Kirchdorfe abgeschickt, und die Gelegenheit hatte sie benutzt, um einmal wieder die Ihrigen zu sehen. Schön war sie wie ein feines Fräulein, und hübsche Kleider hatte sie an, die gut gearbeitet und zwar eigens für sie gemacht waren. Sie stand da im vollen Putze, und Ib war in seinen Alltagskleidern. Er konnte kein Wort hervorbringen; zwar ergriff er ihre Hand und hielt dieselbe fest in der seinigen und war recht innig erfreut, aber den Mund konnte er nicht in Gang bringen; das konnte aber Christinchen, sie sprach und erzählte immer fort, und küßte auch Ib ohne Weiteres gerade auf den Mund.

»Kanntest Du mich gleich wieder, Ib?« sagte sie; aber selbst als sie später unter vier Augen waren, und er noch immer dastand und ihre Hand in der seinigen hielt, vermochte er nur zu sagen: »Du bist ganz wie eine feine Dame geworden, und ich sehe so zottig aus! Wie habe ich an Dich, Christinchen, und an die alten Zeiten gedacht!«

Und Arm in Arm wanderten sie den großen Landrücken hinan und schauten über den Strom hinaus nach der Haide hinüber, nach den großen mit Ginster überwucherten Hügeln; aber Ib sagte nichts; doch als sie sich trennten, war es ihm klar geworden, daß Christinchen seine Frau werden müsse, hatte man sie doch von Kindesbeinen an die Brautleute genannt; sie seien, so schien es ihm, ein verlobtes Paar, wenn auch Keiner von Ihnen es jemals ausgesprochen hatte.

Nur noch einige Stunden konnten sie beisammen bleiben, Christinnen mußte wieder ins Nachbardorf zurückkehren, von wo der Wagen am nächsten Morgen zeitig nach Herning abgehen sollte. Ihr Vater und Ib begleiteten sie bis ans Dorf, es war ein schöner, mondheller Abend, und als sie im Dorfe anlangten und Ib noch die Hand Christinchens in der seinigen hielt, konnte er sie nicht lassen, seine Augen leuchteten, aber die Worte flossen ihm spärlich über die Lippen; doch sie flossen aus seinem tiefinnersten Herzen, und er sagte: »Wenn Du nicht zu fein gewöhnt worden bist, Christinchen, und Du Dich darin finden kannst, im Hause der Mutter mit mir zusammen als meine Ehefrau zu leben, so werden wir Beide einmal Mann und Frau! – – aber wir können es noch ein wenig damit anstehen lassen.«

»Ja, sehen wir es noch einige Zeit damit an, Ib!« sagte sie, dabei drückte sie seine Hand und er küßte sie auf den Mund. »Ich vertraue Dir, Ib!« sagte Christinchen »und ich glaube auch, daß ich Dich lieb habe, – aber ich will es mir beschlafen!«

Darauf trennten sie sich. Auf dem Rückwege sagte Ib dem Kahnführer, daß er und Christinchen nun so gut wie verlobt seien, und der Kahnführer fand, daß das gerade so sei, wie er sich stets gedacht; er ging den Abend mit Ib nach Hause und blieb die Nacht über dort. Nun wurde nichts weiter von der Verlobung gesprochen.

Ein Jahr verstrich, während dessen zwei Briefe zwischen Ib und Christinchen gewechselt wurden. »Treu bis in den Tod!« lautete die Unterschrift. – Eines Tages trat der Kahnführer zu Ib herein, er brachte ihm einen Gruß von Christinchen; was er sonst noch mehr zu sagen hatte, damit ging es nun allerdings etwas langsam von Statten, allein es lautete dahin, daß es Christinchen wohl, fast mehr denn wohl erginge, sie sei ja ein hübsches Mädchen, gefeiert und geliebt; der Sohn des Krügers sei auf Besuch zu Hause gewesen, er sei bei irgend einer großen Anstalt in einem Bureau in Kopenhagen angestellt, – und ihm gefiele Christinchen gar sehr, – sie fände ihn auch nach ihrem Sinne, seine Eltern seien zwar auch nicht unwillig, allein es läge nun doch Christinchen im Herzen, daß Ib wohl gar sehr ihrer gedenke, und so habe sie daran gedacht, sie wolle das Glück von sich stoßen, sagte der Kahnführer.

Anfänglich sprach Ib kein Wort, aber er wurde so blaß wie die Wand, schüttelte den Kopf ein wenig, und darauf erst sagte er: »Christinchen darf das Glück nicht von sich stoßen!«

»Nun, so schreibe ihr die paar Worte,« sagte der Kahnführer.

Und Ib setzte sich zum Schreiben nieder, aber er vermochte es nicht, die Worte so zu stellen, wie er es wollte, und er strich aus und zerriß, – am folgenden Morgen jedoch lag ein Brief an Christinchen fertig da, und hier ist er:

– »Den Brief, welchen Du Deinem Vater geschrieben hast, habe ich gelesen und sehe daraus, daß es Dir gut geht in allen Dingen und daß Du es noch besser bekommen kannst. Frage Dein Herz, Christinchen, und überlege es Dir genau, was Deiner wartet, wenn Du mich nimmst; was ich habe, ist nur wenig. Denke nicht an mich, oder an meinen Zustand, sondern denke an Dein ewiges Wohl! An mich bist Du durch kein Versprechen gebunden, und hast Du mir in Deinem Herzen ein solches gegeben, so entbinde ich Dich desselben. Die Freude schütte ihr Füllhorn über Dich aus, Christinchen! Der liebe Gott wird wohl Trost für mein Herz wissen.

Immer Dein inniger Freund

Jb.«

Der Brief wurde abgesendet, Christinchen bekam ihn richtig.

Im Verlaufe des Novembers wurde sie aufgeboten, in der Kirche auf der Haide und drüben in Kopenhagen, wo der Bräutigam wohnte, und nach Kopenhagen reiste sie in Begleitung ihrer Schwiegermutter ab, weil der Bräutigam seiner Geschäfte halber die weite Reise tief in Jütland hinein nicht unternehmen konnte. Christinchen traf in einem Dorfe auf der Reise mit ihrem Vater zusammen; hier nahmen die Beiden von einander Abschied. Hiervon fielen nun gelegentlich einige Worte vor, aber Ib sagte nichts dazu, er wäre sehr nachdenkend geworden, hätte seine alte Mutter gesagt; ja nachdenkend war er geworden, und deshalb kamen ihm auch die drei Nüsse in den Sinn, welche er als Kind von der Zigeunerin geschenkt erhalten, und von welchen er Christinchen zwei gegeben hatte; es seien Wünschelnüsse, in der einen, der ihrigen läge ja eine goldene Carosse mit Goldfüchsen, in der andern wären die prächtigsten Kleider; das sei richtig! all die Herrlichkeit bekäme sie nun drüben in der Hauptstadt. Ihr ging es in Erfüllung –! ihm, Ib, habe die Nuß nur schwarze Erde gespendet. »Das Allerbeste« für ihn, habe die Zigeunerin gesagt, – ja, richtig, auch das ginge in Erfüllung! Die schwarze Erde sei ihm das Beste. Jetzt begreife er deutlich, was die Frau gemeint habe. In der schwarzen Erde, in der finstern Gruft sei ihm am allerbesten!

Und es verstrichen Jahre, nicht gerade viele, aber lange Jahre, so schien es dem Ib; die alten Krügersleute starben, Eins nach dem Andern; der ganze Nachlaß, viele tausend Thaler, vererbte auf den Sohn. Ja, jetzt konnte Christinchen die goldene Carosse und seine Kleider genug bekommen.

Zwei lange Jahre, welche darauf folgten, lief kein Brief von Christinchen ein, und als dann endlich der Vater einen bekam, war derselbe durchaus nicht in Wohlstand und Freuden geschrieben. Das arme Christinchen! weder sie noch ihr Mann hatten es verstanden, den Reichthum zu Rathe zu halten, es war kein Segen an ihm, – weil sie es selbst nicht so wollten.

Die Haideblumen prangten und das Haidekraut verdorrte wieder; der Schnee strich schon viele Winter über die Haide, über den Landrücken dahin, unter welchem Ib in Schutz gegen die rauhen Winde wohnte; die Frühlingssonne schien, und Ib ließ den Pflug durch seinen Acker schneiden, da schnitt derselbe, wie er wähnte, über einen Feuerstein dahin, es kam ein großer, schwarzer Hobelspan aus dem Boden heraus, und als Ib ihn erfaßte, war es ein Metall, und die Stelle, wo der Pflug in dasselbe eineingeschnitten hatte, flimmerte ihm entgegen. Es war eine große, schwere goldene Armspange aus dem Alterthume; das Hünengrab war hier geschleift, und jetzt war sein köstlicher Schmuck gefunden. Ib zeigte es dem Pfarrer, der ihm nun den Werth des Fundes auseinander setzte, und darauf begab sich Ib zum Landrichter, welcher den Vorsteher des Museums von seinem Funde benachrichtigte, und Ib den Rath ertheilte, persönlich den Schatz zu überbringen.

»Du hast in der Erde das Beste gefunden, was Du finden konntest,« sagte der Landrichter.

»Das Beste!« dachte Ib. »Das Allerbeste für mich, und in der Erde! nun, wenn das das Beste ist, so hatte die Zigeunerin Recht in dem, was sie mir wahrsagte.«

Ib ging mit der Fähre von Aarhus nach Kopenhagen; ihm, der nur einige Male über den heimathlichen Strom hinübergesetzt war, schien dies eine Reise über das Weltmeer zu sein. Er langte in Kopenhagen an.

Der Werth des gefundenen Geldes wurde ihm ausgezahlt, es war eine große Summe; sechshundert Thaler. In der großen Stadt ging Ib von der Haide umher.

Gerade am Abende vor seiner auf den nächsten Morgen mit dem Schiffer bestimmten Abreise, verirrte Ib sich mit den Straßen, und schlug eine andere Richtung ein, als er wollte; er hatte sich in die Nebenstadt, Christianshafen, in eine ärmliche Gasse verlaufen. Kein Mensch war zu sehen. Da trat endlich ein ganz kleines Mädchen aus einem der armseligen Häuser heraus; Ib fragte die Kleine nach der Straße, die er suchte; sie blickte ihn aber schüchtern an und weinte heftig. Nun fragte er sie, was ihr fehle, sie gab jedoch eine ihm unverständliche Antwort; aber indem sie die Straße entlang schritten und sich Beide unter einer Laterne befanden, deren Schein dem Mädchen gerade ins Gesicht siel, wurde ihm wunderbar zu Muthe, denn es war leibhaftig Christinchen, welches vor ihm stand, ganz wie er sich ihrer aus der Kindheit erinnerte.

Er trat mit dem kleinen Mädchen in das ärmliche Haus, stieg die enge, wacklige Treppe hinauf, welche zu einer kleinen schrägen Kammer hoch oben unter dem Dache führte. Drinnen war die Luft schwer und fast erstickend, kein Licht brannte, in einem Winkel seufzte und athmete es schwer auf. Ib machte Licht durch Hilfe eines Streichhölzchens. Es war die Mutter des Kindes, welche seufzend auf dem ärmlichen Lager ruhte.

»Kann ich Euch mit Etwas unterstützen?« fragte Ib. »Die Kleine hat mich heraufgeführt, allein ich bin fremd in der Stadt. Sind hier keine Nachbarn oder sonst Jemand, den ich rufen könnte?« Er richtete den Kopf der Kranken auf und schob ihr das Kissen zurecht.

Es war Christinchen von der Haide.

Seit Jahren war drüben ihr Name nicht genannt, das würde den stillen Sinn unsers Ib gestört haben, und was das Gerücht und die Wahrheit erzählte, war auch nichts Gutes: das viele Geld, welches ihr Mann von seinen Eltern geerbt, hatte ihn beirrt und übermüthig gemacht; er hatte seine feste Stellung aufgegeben, war ein halbes Jahr in fremden Ländern umhergereist, und hatte, zurückgekehrt, Schulden gemacht und doch auf einem großen Fuße gelebt; der Wagen neigte sich immer mehr und mehr, und zuletzt schlug er um. Die vielen lustigen Freunde und Tischgenossen sagten von ihm, er habe es so verdient, er habe ja wie ein Toller gewirthschaftet! – Eines Morgens habe man seine Leiche im Canal gefunden.

Christinchen trug schon den Tod im Herzen, ihr jüngstes Kind, nur wenige Wochen alt, in Wohlstand getragen, in Elend geboren, lag bereits im Grabe, und jetzt war es so weit mit Christinchen selbst gekommen, daß sie todtkrank, verlassen in einer elenden Kammer lag; so dürftig wie sie es in ihren jüngern Jahren wohl hätte verschmerzen können, jetzt aber, besser gewöhnt, recht schmerzlich empfand. Es war ihr ältestes Kind auch sein kleines Christinchen, welches mit ihr Noth und Hunger litt, und welches Ib zu ihr hinaufgeführt hatte.

»Ich ängstige mich, daß ich sterbe und das arme Kind hier zurücklasse,« seufzte sie, »ach wo soll denn das arme Kind hin!« – mehr vermochte sie nicht zu sagen.

Ib zog nochmals ein Streichhölzchen hervor, zündete ein Stückchen Licht an, welches er in der Kammer fand, und die Flamme erhellte die elende Wohnung.

Dann betrachtete er das kleine Mädchen und dachte an Christinchen als sie jung war, ihretwillen könne er dieses Kind, das er nicht kannte, lieb haben. Die Sterbende blickte ihn an, ihre Augen wurden immer größer – erkannte sie ihn? Er wußte es nicht, kein Wort ging über ihre Lippen.

Und es war im Walde an dem Strome Gudenau, in der Haidegegend; die Luft war dick und finster, das Haidekraut trug keine Blüthen zu Schau, herbstliche Stürme trieben das gelbe Laub vom Walde in den Strom hinaus über die Haide dahin, wo die Hütte des Kahnführers stand, in welcher jetzt fremde Leute hausten; aber unter dem Landrücken, schön im Schutze hoher Bäume stand das Bauernhäuschen geweißt und angestrichen, drinnen flammte der Haidetorf im Kamin, drinnen war Sonnenschein, der leuchtende Schein zweier Kinderaugen, des Lenzes Lerchentöne klangen in der Rede von des Kindes rothen, lächelnden Lippen; Leben und Freude herrschte drinnen, Christinchen war dort; sie saß auf Ib’s Knieen. Ib war ihr Vater und Mutter, diese waren ihr entschwunden, wie das Traumbild dem Kinde und dem Erwachsenen entschwindet, Ib saß drinnen in dem hübschen, geputzten Hause, er war ein wohlhabender Mann, die Mutter des kleinen Mädchens ruhte auf dem Friedhofe bei Kopenhagen – in Elend gestorben.

Ib hatte Geld, hatte sein Schäfchen ins Trockne gebracht, und – er hatte ja auch Christinchen.