In Benares, nicht fern vom Gangesufer, saß eine Schar junger Brahmanen mit den Vorbereitungen zu einem großen Opfer beschäftigt. Zu diesem Zwecke hatten sie einen Kreis von Kuhdung um sich gezogen, den nichts Fremdes überschreiten durfte, sollte das ganze Opfer nicht vergeblich sein.

Als nun alles, nach langen Mühen, nach langem Warten der Vollendung sich näherte, als die ersten Zeichen sich einstellten, da geschah es eines Tages, daß nicht gar fern von ihnen der Diener eines weißen Sahib, eines Christen, mit einem Ball spielte. Und von ungefähr geschah es, daß der Ball in den heiligen Kreis jener jungen Brahmanen hineinflog, just als sie meinten, zur „Einigung“ zu kommen. Denn das ist es ja, warum überall geopfert wird: Um zu einer Einigung mit dem Göttlichen zu kommen.

Als jene nun durch diesen Zufall um ihre Sehnsucht und ihre Hoffnungen betrogen waren, stürzten sie wild auf den Diener jenes weißen Sahib, des Christen, los und würden ihn auf der Stelle getötet haben, wenn nicht auf sein Geschrei der Sahib selber herbeigeeilt wäre.

Als der nun jene jungen Brahmanen fragte, warum sie seinen Diener so übel behandelten, antworteten sie:

„Wir waren nach langen Opfermühen gerade im Begriff, zur Einigung mit der höchsten Weltseele zu kommen, da flog der Ball Deines Dieners in unseren heiligen Kreis und hat uns alles verdorben. Darum wollen wir diesen Menschen töten, eben wegen seiner Missetat.“

Da sagte der Sahib:

„Wißt Ihr denn, ob er es böswillig getan hat?“

„Das wissen wir freilich nicht. Trotzdem aber soll er sterben; denn er hat unsere Seelen geschädigt, und was soll es da für eine andere Strafe geben als den Tod?“

„Wißt Ihr nicht, daß das erste Gebot jeder Religion Mitleid ist?“

„Das erste Gebot jeder Religion ist Wahrheit gegen sich selber. Und die üben wir, wenn wir jenen töten. Im übrigen, wie kannst Du von Mitleid reden? Denn hat nicht Deine Religion mitleidlos verbrannt, was sich ihr widersetzte?“

„Wo es uns selber betrifft, da üben wir Mitleid. Wo aber Gott beleidigt wird, da strafen wir erbarmungslos.“

„Ebenso üben wir Mitleid, wo es uns selber betrifft. Wo aber unsere Seelen geschädigt werden, da strafen wir erbarmungslos.“

Indem jener weiße Sahib und jene jungen Brahmanen so miteinander stritten, kam ein buddhistischer Mönch des Wegs daher. Den beschlossen sie als Schiedsrichter zu wählen.

Als nun jede der beiden Parteien ihn den Streitfall vorgetragen hatte, sagte er zu den jungen Brahmanen:

„Kennt Ihr denn jene Weltseele, um derenwillen Ihr andere Wesen schädigen wollt?“

„Nein, wir selber kennen sie nicht, aber die Rishis lehren es und sie wissen mehr als wir.“

Darauf wandte sich der Mönch an den weißen Sahib, den Christen:

„Kennst Du jenen Gott, um dessenwillen Ihr andere Wesen schädigt?“

„Nein, ich selber kenne ihn nicht, aber es gibt Gott-erleuchtete Männer, die von ihm reden und schreiben.“

Auf diese Antworten hin verharrte der Mönch ein Weilchen schweigend. Dann zu den Brahmanen:

„Solange Ihr das nicht kennt, an dem Ihr geschädigt zu sein vermeint, habt Ihr kein Recht, diesen Menschen zu töten.“

Und zu dem Sahib:

„Solange Du den Gott, dessen Hoheit Ihr Christen durch Scheiterhaufen retten wollt, nicht kennst, hast Du kein Recht, Deinen Diener zu schützen. Denn diese Brahmanen tun nichts als was Ihr Christen stets getan habt und stets tun würdet, falls Ihr die Macht dazu hättet.“

Und zu beiden:

„So laßt einstweilen die Sache in der Schwebe, solange bis Ihr beide das kennt, warum Ihr streitet. Habt Ihr es aber erkannt, so kommt wieder zu mir, und ich will Euren Fall schlichten.“