Guy de Maupassant

Autorisierte Übersetzung von Fr. von Oppeln-Bronikowski

Das Haus des Notars lag mit der Front nach dem Platze. Auf der Rückseite dehnte sich, bis zu einem wenig benutzten Straßendurchgang, ein wohlbestellter schöner Garten, den eine Mauer begrenzte.

Dort hatte die Frau des Rechtsanwalts Moreau dem Rittmeister Sommerive, der ihr schon lange nachstellte, das erste Stelldichein gegeben.

Ihr Gatte war auf acht Tage nach Paris gefahren, so war sie die ganze Woche ungestört. Der Rittmeister hatte so sehr gebeten und sie mit süßen Reden umgarnt! Sie war überzeugt, daß er sie rasend liebe und sie fühlte sich so einsam, so unverstanden, so zur zweiten Rolle verurteilt neben den Berufsgeschäften, mit denen sich ihr Mann allein befaßte, daß sie ihr Herz verschenkt, ohne sich klar zu sein, ob sie eines Tages noch mehr geben würde.

Nachdem sie sich Monate lang platonisch geliebt, sich die Hand gepreßt und er ihr verstohlen einmal einen Kuß geraubt, hatte der Rittmeister erklärt, daß er sofort die Stadt verlassen und um Versetzung einkommen würde, wenn sie ihm nicht ein Stelldichein gäbe. Aber es mußte ein wirkliches Stelldichein sein im Dunkel der Bäume während des Gatten Abwesenheit.

Sie war schwach gewesen und hatte es zugesagt.

Nun erwartete sie ihn, gegen die Wand gepreßt, mit bebendem Herzen, und zuckte zusammen beim geringsten Geräusch.

Da hörte sie jemand über die Mauer klettern. Sie wollte fliehen. Wenn es nun nicht er, wenn’s ein Dieb wäre? Aber nein. Eine Stimme rief leise: »Mathilde!« Sie antwortete: »Stephan!« Und ein Mann sprang säbelklirrend herab auf den Weg.

Er war es und küßte sie heiß.

Lange blieben sie stehen, sich umschlungen haltend, die Lippen aufeinander gepreßt. Aber plötzlich fing es leise an zu regnen, und die von den Blättern fallenden Tropfen rauschten in der Dunkelheit. Als ihr der erste Tropfen in den Nacken fiel, zuckte sie zusammen.

Er sprach:

– Mathilde, Engel, ich bete Dich an! Süße Freundin, komm wir wollen in’s Haus. Es ist Mitternacht, und nicht die geringste Gefahr dabei. Wir wollen hineingehen, bitte, bitte.

Sie antwortete:

– Nein mein Liebling, ich fürchte mich. Wer weiß was uns passiert.

Aber er hielt sie in den Armen und flüsterte ihr in’s Ohr:

– Die Dienstboten schlafen nach vorn heraus im dritten Stock. Dein Zimmer liegt im ersten nach dem Garten. Da kann uns ja kein Mensch hören. Ich liebe Dich. Ich will Dich ganz lieben, ganz, ganz.

Und er preßte sie an sich und bedeckte sie mit Küssen. Noch widerstand sie in Furcht und Scham. Aber er faßte sie um die Taille, hob sie hoch und trug sie in dem immer stärker strömenden Regen davon.

Die Thür war offen geblieben. Auf den Zehen schlichen sie die Treppe hinauf. Als sie im Zimmer standen, riegelte sie zu und er brannte ein Streichholz an.

Aber sie ließ sich halb ohnmächtig in einen Stuhl sinken. Er kniete vor ihr nieder und entkleidete sie langsam. Mit Schuhen und Strümpfen fing er an, um ihre Füße zu küssen.

Sie sagte tief atmend:

– Nein, nein, Stephan, bitte laß mich anständig bleiben. Ich werde es Dir nie vergessen. Das ist so häßlich, so roh! Man kann sich auch ohne das lieben, Stephan . . .

Er knöpfte und schnürte auf, löste Schleifen und Haken wie eine geschickte Zofe und wie ein Mann, der es eilig hat. Und als sie aufstehen wollte, um seiner Keckheit zu entfliehen, verlor sie jäh Kleider, Röcke, Wäsche wie eine unbehandschuhte Hand aus dem Muff fährt.

Erschrocken stürzte sie zum Bett um sich hinter den Vorhängen zu verbergen. Der Rückzug dorthin war gefährlich. Er folgte ihr. Aber als er eilig den Säbel ablegen wollte, fiel die Waffe rasselnd zu Boden.

Da vernahm man sofort aus dem Nebenzimmer, dessen Thür offen geblieben war, durchdringendes, langgedehntes Kindergeschrei.

Sie flüsterte:

– Ach Du hast Andreas aufgeweckt. Nun wird er nicht wieder einschlafen!

Ihr Sohn war fünfzehn Monate alt und schlief bei der Mutter, damit sie ihn immer bewachen könnte.

Der Rittmeister wollte in seiner Aufregung nichts davon hören:

– Das ist ja ganz egal, ganz egal! Ich liebe Dich, Du bist mein, Mathilde.

Aber sie wehrte sich in Furcht und Verzweiflung:

– Nein, nein, höre doch wie er schreit. Er wird das Kindermädchen aufwecken. Was soll denn werden, wenn sie kommt? Dann sind wir verloren. Stephan hör’ mal. Wenn er schreit, so nimmt ihn sein Vater in unser Bett, um ihn zu beruhigen. Dann ist er gleich still, sofort. Ein anderes Mittel giebt es nicht. Ich will ihn holen, Stephan.

Das Kind brüllte als ob es am Spieße steckte, daß man es durch die dicksten Mauern, ja sogar auf der Straße hören mußte.

Der Rittmeister stand bestürzt wieder auf. Mathilde lief in’s Nebenzimmer und kam mit dem Wurm zurück. Sie legte den Jungen in’s Bett. Er wurde still.

Stephan setzte sich rittlings auf einen Stuhl und drehte sich eine Cigarette. Nach kaum fünf Minuten schlief Andreas. Die Mutter flüsterte:

– Ich will ihn wieder zurücktragen.

Und sie legte das Kind so behutsam als nur möglich in die Wiege zurück.

Als sie wiederkam, erwartete sie der Rittmeister mit offenen Armen. Er preßte sie wie rasend an sich. Und sie fühlte sich besiegt und gab seine Umarmung zurück, indem sie stammelte:

– Stephan, Stephan . . . ich liebe Dich, ach wenn Du wüßtest wie . . . wie . . .

Da fing Andreas wieder an zu brüllen. Der Rittmeister fluchte wütend:

– Gott verdamm’ mich noch mal, die Rotznase wird nicht ‘s Maul halten.

Nein, die Rotznase war nicht still, sondern brüllte aus Leibeskräften.

Mathilde meinte in der Etage unter ihnen Lärm zu hören. Wahrscheinlich kam das Kindermädchen. Sie holte eiligst ihren Sohn wieder in ihr Bett und er war sofort still.

Drei Mal nach einander wurde er in seine Wiege zurückgebracht, drei Mal nach einander mußte er wieder geholt werden.

Rittmeister Sommerive ging eine Stunde, ehe es hell wurde, fluchend und schimpfend davon. Aber Mathilde hatte ihm versprochen, um ihn zu beruhigen, ihm noch am selben Abend wiederum ein Stelldichein zu geben.

Wie Tags zuvor kam er, aber noch ungeduldiger und drängender, weil ihn das Warten aufgeregt.

Vorsichtig legte er seinen Säbel über die Armlehnen eines Stuhles. Wie ein Dieb zog er die Stiefel aus und sprach so leise, daß ihn Mathilde kaum verstand. Endlich sollte ihm das Glück hold sein, als plötzlich irgend etwas – vielleicht das Parkett oder ein Möbel oder gar das Bett selbst – knackte. Es war ein Krachen als ob irgend ein Träger gebrochen sei. Und sofort antwortete ein Schrei, erst schwach, dann hell und schneidend. Andreas war aufgewacht.

Er kläffte wie ein Fuchs. Wenn das so fortging, mußte das ganze Haus wach werden.

Die Mutter holte ihn schnell. Der Rittmeister stand nicht auf. Er kochte vor Wut. Und so streckte er vorsichtig die Hand aus, nahm ein bißchen Fleisch des Wurmes zwischen die Finger, wo er’s gerade erwischte, an Bein oder Hinterteil und kniff. Das Kind wehrte sich und heulte ohrzerreißend. Der Rittmeister war außer sich und kniff weiter, stärker, wo er nur konnte wie rasend. Er packte das Fleischpolster und zog daran und drückte aus Leibeskräften, dann ließ er los, nahm eine andere Stelle, dann noch eine daneben, und wieder eine.

Das Kind gab Laute von sich wie ein Huhn, das geschlachtet wird, oder wie ein Hund, der die Peitsche bekommt. Die Mutter weinte und küßte es, streichelte es, suchte es zu beruhigen und mit ihren Küssen sein Schreien zu ersticken. Aber Andreas ward lila als ob er in Krämpfe fallen sollte und strampelte mit Händen und Füßen aus Leibeskräften.

Der Rittmeister sagte weich:

– Bring’ ihn doch in seine Wiege zurück, dann wird er vielleicht ruhig.

Und Mathilde ging in’s Nebenzimmer, das Kind im Arm.

Sobald er aus dem Bett seiner Mutter war, schrie er weniger und als er in seinem eigenen lag, schwieg er, und schluchzte nur noch ein bißchen ab und zu.

Der Rest der Nacht war ruhig. Und der Rittmeister ward glücklich.

Die folgende Nacht kam er wieder. Da er etwas laut sprach, wachte Andreas wieder auf und begann zu kreischen. Schnell holte ihn die Mutter, aber der Rittmeister kniff so gut, so stark und so lange, daß das Wurm mit verdrehten Augen und Schaum vor dem Munde beinahe erstickte.

Andreas kam in seine Wiege zurück und beruhigte sich sofort.

Nach vier Tagen hatte er es sich abgewöhnt zu weinen, um in’s mütterliche Bett geholt zu werden.

Sonnabend abend kehrte der Notar heim, und nahm seinen Platz im Haus und im ehelichen Schlafgemache wieder ein.

Da er müde war von der Reise, ging er zeitig schlafen. Als er sich dann wieder in alle seine Gewohnheiten geschickt und sorgfältig seinen Pflichten als braver und ordnungsliebender Mann nachgekommen, sagte er erstaunt:

– Nein so was! Andreas weint ja gar nicht heute abend. Hol’ ihn doch ein bißchen Mathilde, ich fühle ihn gern zwischen uns.

Sofort stand die Frau auf und holte das Kind. Aber sobald dieses in dem Bett lag, in dem es vor ein paar Tagen noch so gern eingeschlafen, krümmte sich das Wurm in fürchterlicher Angst und schrie derart, daß es in die Wiege zurück mußte.

Herr Moreau konnte sich gar nicht beruhigen:

– Das ist doch eigentümlich! Was hat er denn heute abend? Vielleicht ist er müde?

Seine Frau antwortete:

– Während Du fort warst, ist er immer so gewesen. Ich konnte ihn kein einziges Mal zu mir nehmen.

Am nächsten Morgen wachte das Kind auf und spielte und lachte, indem es in die Händchen schlug. Der Notar freute sich an seinem Jungen, küßte ihn und trug ihn in das eheliche Bett. Andreas lachte, nach Art kleiner Kinder, über nichts. Da sah er das Bett, in dem noch die Mutter lag und sein glücklich lächelndes Gesichtchen ward ernst, verzog sich und er fing fürchterlich an zu brüllen und sich zu winden, als ob man ihn gepeinigt hätte.

Der erstaunte Vater brummte:

– Dem Kinde fehlt etwas.

Und er hob in natürlicher Regung Andreas’ Hemd.

Da stieß er einen Ruf des Entsetzens aus. Waden und Schenkel, das ganze kleine Hinterteil des Kleinen war marmoriert mit blauen, thalergroßen Flecken.

Der Notar schrie:

– Mathilde, sieh mal her, das ist ja fürchterlich! Die Mutter lief erschrocken herbei. Über die Mitte jedes Fleckchens zog sich eine lila Linie, wo das Blut ausgetreten war. Das war sicher irgend eine grauenhafte seltsame Krankheit, der Anfang einer Art Lepra, bei der die Haut manchmal pockenartig wird wie der Rücken einer Kröte, manchmal geschuppt wie bei einem Krokodil.

Die Eltern sahen sich erschrocken an. Der Notar rief:

– Wir müssen zum Doktor schicken!

Aber Mathilde betrachtete totenbleich ihren gleich einem Leoparden getigerten Sohn. Und plötzlich stieß sie einen lauten Schrei aus, als ob sie jemand erblickt, der ihr Entsetzen einflößte und rief:

– O der Elende!

Herr Moreau fragte erstaunt:

– Wie? Von wem sprichst Du? Welcher Elende?

Sie ward rot bis unter die Haarwurzeln und stammelte:

– Nichts . . . es ist . . . weißt Du . . . ich errate . . . die . . . Wir brauchen den Doktor nicht . . . das elende Kindermädchen kneift wahrscheinlich den Kleinen, damit er nicht schreien soll.

Der Notar war außer sich. Er schleppte das Mädchen herbei und hätte es fast geschlagen. Es leugnete unverschämt, aber es wurde weggejagt.

Und seine Aufführung, die der Gemeinde angezeigt ward, bewirkte, daß es keine andere Stelle bekam.