Guy de Maupassant
Autorisierte Übersetzung von Fr. von Oppeln-Bronikowski
I
Vater Taille hatte drei Töchter. Anna, die älteste, von der man in der Familie nicht weiter sprach, Rosa, die zweite, achtzehn Jahre alt, und Clara, die jüngste, noch Backfisch – eben fünfzehn geworden.
Vater Taille war Witwer und arbeitete als Maschinenmeister in der Knopffabrik des Herrn Lebrument. Er war ein braver, sehr achtbarer, sehr grader, nüchterner Mann: das Muster eines Arbeiters. Er wohnte in Havre, auf der rue d’Angoulème.
Als Anna sich auf die schlechte Seite geworfen, wie man sagt, hatte den Alten eine fürchterliche Wut überfallen. Er hatte gedroht, den Verführer, einen jungen Grünschnabel, der Abteilungschef in einem großen Konfektionsgeschäft der Stadt war, totzuschlagen. Dann ward ihm von verschiedenen Seiten berichtet daß die Kleine ordentlich geworden, Geld auf die hohe Kante legte, nicht bummelte, sondern jetzt ein festes Verhältnis hatte mit einem gesetzten Herrn, dem Handelsrichter Dubois. Und der Vater beruhigte sich.
Er erkundigte sich sogar, was sie triebe und wie es ihr ginge, bei einzelnen ihrer einstigen Kolleginnen, die sie besucht hatten. Und als man ihm sagte, sie sei fein möbliert, hätte einen Haufen bunte Vasen auf dem Kamin stehen, Ölgemälde an den Wänden, vergoldete Standuhren, Teppiche überall, da glitt ihm ein zufriedenes Lächeln über das Gesicht. Er arbeitete seit dreißig Jahren, um fünf- oder sechstausend armselige Franken zusammenzuscharren! Das Mädel war nicht dumm! Immerhin!
Da hielt eines Morgens der junge Touchard, dessen Vater ein Böttchergeschäft in der Nachbarschaft betrieb, um seine zweite, die Rosa, an. Hoch schlug des Alten Herz. Die Touchards waren reiche, wohlangesehene Leute. Er hatte mit seinen Mädeln entschieden Glück.
Die Hochzeit wurde festgesetzt und man kam überein, sie sehr großartig auszurichten. Sie sollte in Sainte-Adresse, im Restaurant von Mutter Jusa stattfinden. Das würde zwar ‘n Haufen Geld kosten, aber – ach was – es war nicht alle Tage Sonntag.
Da eines Tages, als der Alte zum Mittag nach Haus gekommen war, und sich eben mit seinen beiden Töchtern zu Tisch setzte, ging plötzlich die Thür auf und Anna erschien. Sie war riesig elegant angezogen, trug Ringe und einen Hut mit Federn. Dabei war sie herzlich und reizend, fiel dem Vater um den Hals, der nicht einmal Zeit hatte auch nur »uff« zu sagen, und umarmte dann weinend ihre beiden Schwestern. Darauf wischte sie sich die Augen, setzte sich und bat um einen Teller, um mit der Familie die Suppe zu essen. Da ward es Vater Taille so weich um’s Herz, daß ihm die Thränen nur so herunterliefen und er mehrmals rief:
– Ist recht so, Kleine! Ist recht so! Recht so!
Nun rückte sie mit ihrem Anliegen heraus. Sie wollte nicht, daß man Rosa’s Hochzeit in Sainte-Adresse feierte. Nein, auf keinen Fall. Sie wollte sie bei sich zu Hause ausrichten, und dem Vater dürfte es nichts kosten. Sie hatte schon alles geordnet und geregelt. Sie würde für alles sorgen. Das war es.
Der Alte wiederholte:
– Ist recht so, Kleine! Recht so!
Aber ein Zweifel kam ihm. Würden die Touchards einverstanden sein? Rosa, die Braut, fragte erstaunt:
– Warum sollen Se denn nicht wollen. Laßt mich’s nur machen. Ich will’s schon übernehmen. Ich werde mit Philipp reden.
Und in der That sprach sie noch denselben Tag mit ihrem Verlobten. Und Philipp erklärte, er hätte nichts dagegen. Vater und Mutter Touchard freuten sich gleichfalls, einmal umsonst gut zu essen und sagten:
– Gut wird’s schon sein, denn der Herr Dubois wälzt sich ja im Golde.
Sie baten noch um die Erlaubnis, eine Freundin einzuladen, Fräulein Florence, die Köchin aus der ersten Etage ihres Hauses. Anna war mit allem einverstanden.
Und die Hochzeit ward auf den letzten Dienstag im Monat angesetzt.
II
Nach der Civil- und der kirchlichen Trauung ging der Hochzeitszug zu Anna’s Haus. Tailles hatten von ihrer Seite noch einen Vetter, Herrn Sauvetanin, mitgebracht. Es war ein älterer Herr, gemessen und würdig, dabei voll philosophischer Weisheit. Dazu Frau Lamondois, eine alte Tante.
Herr Sauvetanin sollte Anna führen. Man hatte sie einander bestimmt, als die beiden wichtigsten und vornehmsten Teilnehmer des Festes.
Sobald man an Anna’s Thür kam, ließ sie sofort ihren Herrn los und lief mit den Worten voraus:
– Ich werde den Weg zeigen!
Sie stürmte die Treppe hinauf, während der Zug der Gäste langsam folgte.
Als das junge Mädchen ihre Wohnung geöffnet hatte, machte sie Platz und ließ die Anderen an sich vorbei, die mit aufgerissenen Augen sich nach allen Seiten den Hals verdrehten, um den geheimnisvollen Luxus zu sehen.
Im Salon stand der Tisch gedeckt. Das Eßzimmer war zu klein befunden worden. Ein Restaurateur aus der Nachbarschaft hatte die Bestecke geliehen und in den Karaffen glitzerte der Wein, von einem Sonnenstrahl, der durch ein Fenster fiel, beleuchtet.
Die Damen gingen in’s Schlafzimmer um ihre Sachen abzulegen und der alte Touchard, der auf der Schwelle stehen geblieben war, zwinkerte mit den Augen gegen das breite, niedrige Bett, und gab den Männern im Scherze kleine Zeichen. Vater Taille schaute sehr würdig aus und besah mit heimlichem Stolze die kostbare Einrichtung seiner Tochter. Er ging von Zimmer zu Zimmer, immer den Hut in der Hand, indem er mit einem Blick alles überflog und dahinschritt wie der Küster in der Kirche.
Anna kam, ging, lief, gab Befehle und trieb in der Küche zum Anrichten.
Endlich erschien sie auf der Schwelle des Eßzimmers, aus dem man die Möbel ausgeräumt, und rief:
– Kommen Sie mal alle ‘nen Augenblick hierher!
Die zwölf Eingeladenen eilten herbei und gewahrten auf einem runden Tischchen zwölf Madeiragläser im Kreise aufgestellt.
Rosa und ihr Mann hielten sich umschlungen und küßten sich in einer Ecke. Herr Sauvetanin ließ Anna keinen Moment aus den Augen, in jenem Gefühl der Aufregung und Erwartung, das sogar alte, häßliche Männer in Gegenwart von Mädchen beschleicht, die der Liebe dienen. Als ob es ihr Beruf mit sich brächte, allen Männern etwas von sich zu gönnen.
Dann setzte man sich und die Mahlzeit begann. Die Eltern saßen an einem Ende, die jungen Eheleute am anderen. Die alte Frau Touchard präsidierte rechts, die junge Frau links. Anna sah nach allem und jedem, hielt darauf, daß die Gläser immer voll waren und etwas auf den Tellern lag. Eine Art respektvollen Zwanges, eine Art Schüchternheit, wegen der Pracht der Wohnung und der Feierlichkeit des Diners, hielt die Gäste im Bann. Man aß viel und gut, aber man war nicht lustig und ulkte nicht, wie’s bei einer Hochzeit sein soll. Man fühlte sich befangen in der zu vornehmen Umgebung. Die alte Frau Touchard die gern lachte, suchte die Stimmung in Gang zu bringen und rief, als man beim Nachtisch war:
– Hör’ mal, Philipp! Sing uns doch mal was vor!
Man behauptete in ihrer Straße, daß ihr Sohn eine der hübschesten Stimmen in Havre besäße.
Sofort stand der junge Mann lächelnd auf und wandte sich galant und höflich zu seiner Schwägerin. Er suchte etwas Passendes, Ernstes, Anständiges, das zu dem Feierlichen des heutigen Diners stimmte.
Anna machte eine zufriedene Miene und lehnte sich im Stuhle zurück um zuzuhören. Aller Gesichter nahmen einen aufmerksamen, erwartungsvoll-lächelnden Ausdruck an.
Der Vortragende kündigte an: »Das Sündenbrot!« Er krümmte den rechten Arm, sodaß sein Kragen hochstieg und begann:
»Es giebt ein Segensbrot, das wir der kargen Erde
Abringen müssen hart, mit unserm sauren Schweiß:
Das ist das Brot der Arbeit, zum heimatlichen Herde
Bringt es der brave Mann, als seiner Mühe Preis!
Doch giebt’s ein andres Brot, es kommt aus Höllenlande
:,: Ein Sündenbrot, der Teufel, der grinst daraus uns an: :,:
Oh Kinder nehmt es nicht, es ist das Brot der Schande!
:,: Oh Kinder hütet Euch und faßt das Brot nicht an!« :,:
Die ganze Gesellschaft klatschte eifrig Beifall. Vater Touchard erklärte: »Das paßt gut!« Die Köchin, die eingeladen worden, drehte zwischen den Fingern eine Brotrinde die sie zärtlich betrachtete. Herr Sauvetanin brummte »Sehr gut!« Und Tante Lamondois wischte sich schon mit der Serviette die Augen.
Der junge Ehemann kündigte die zweite Strophe an und trug sie mit erhöhtem Schwunge vor:
»Respekt vor allen Armen, die Alter beugte nieder,
Die nun mit krummem Rücken, bitten an Weges Rand,
Doch Fluch ihm, dem Natur verliehn gesunde Glieder,
Der trotzdem bettelnd wagt zu strecken seine Hand.
Denn betteln ohne Not, das heißt dem Alter stehlen,
:,: Und wer es thut beraubt den braven Arbeitsmann. :,:
Schmach dem, der will dies Brot, das Brot der Faulheit wählen,
:,: Oh Kinder hütet Euch, und faßt das Brot nicht an!« :,:
Alle, selbst die beiden Leute, die servierten und nun an der Wand lehnten, gröhlten im Chor den Kehrreim mit. Der falsche, scharfe Gesang der Frauen übertönte noch die Brummstimmen der Männer.
Die Tante und die junge Frau heulten laut auf. Vater Taille schneuzte sich mit Posaunengewalt und Vater Touchard gestikulierte völlig außer Rand und Band mit einem ganzen Brot über dem Tisch. Die befreundete Köchin ließ auf ihre Rinde, die sie noch immer in Händen hielt, ein paar stille Thränchen fallen.
Herr Sauvetanin sagte inmitten der allgemeinen Rührung:
– Das ist mal ‘n gesunder Inhalt, und nicht die ewigen Zoten.
Anna war auch bewegt. Sie warf ihrer Schwester Kußhändchen zu und deutete mit freundlicher Geberde auf ihren Mann, als wollte sie sagen: ich gratuliere Dir zu ihm.
Dem jungen Mann war der Erfolg zu Kopf gestiegen und er begann von neuem:
»Wenn der Versucher kommt und klopft an Deine Pforte,
Du hübsches Kind da droben, im stillen Kämmerlein,
O höre nicht auf ihn, o glaube meinem Worte:
Die armen Eltern haben nur Dich, nur Dich allein.
Im Luxus Deiner Schande, willst Du Dich glücklich wähnen?
:,: Der Dir bei seinem Tod des Vaters Fluch gewann? :,:
Das Sündenbrot genetzt ward mit der Deinen Thränen
:,: Oh Kinder hütet Euch, und faßt das Brot nicht an!« :,:
Vater Touchard und die beiden Diener wiederholten den Kehrreim. Anna war erblaßt und schlug die Augen nieder. Der junge Ehemann sah sich bestürzt um, ohne die Ursache dieser plötzlichen Kälte zu begreifen. Die Köchin hatte die Brotrinde losgelassen, als sei sie mit einem Male vergiftet.
Herr Sauvetanin erklärte gewichtig, um über die Lage hinwegzuhelfen:
– Der letzte Vers war überflüssig!
Vater Taille war rot geworden bis über die Ohren und warf wütende Blicke um sich.
Da sagte Anna zu den Dienern mit thränenden Augen und erstickter Stimme, wie eine Frau die weint:
– Bringen Sie den Champagner.
Sofort durchzuckte die Gäste allgemeine Freude. Alle Gesichter klärten sich auf. Und als Vater Touchard, der nichts gesehen, nichts bemerkt, nichts verstanden, noch immer mit seinem Brot gestikulierte und es den anderen hinhielt, indem er sang:
»Oh Kinder hütet Euch und faßt das Brot nicht an!«
da fing die ganze Hochzeitsgesellschaft, begeistert durch den Anblick der silberglänzenden Sektflaschen, mit Donnerstimme an zu singen:
»Oh Kinder hütet Euch und faßt das Brot nicht an!«