Guy de Maupassant
Der alte Arzt und die junge Kranke schwatzten am Feuer. Besonders leidend war sie nicht. Sie litt nur an jenen weiblichen Verstimmungen, die oft hübschen Frauen eigen sind: ein wenig Blutarmut, Nerven, etwas von jener Müdigkeit Jungvermählter, die sich aus Liebe geheiratet haben.
Sie lag auf dem Sopha ausgestreckt und meinte:
– Nein, Doktor, daß eine Frau ihren Mann betrügt, werde ich nie begreifen. Ich will sogar annehmen, daß sie ihn nicht liebt, daß sie ihre Versprechungen, ihren Eid nicht achtet! Aber wie kann sie es wagen sich einem anderen Manne hinzugeben? Wie soll sie das einem fremden Auge verbergen?
Wie kann sie lieben bei Lüge und Verrat?
Der Arzt lächelte:
– Was das betrifft, so will das nicht viel sagen. Ich versichere Sie, daß man an all diese Spitzfindigkeiten gar nicht denkt, wenn einen mal die Lust überkommt, einen Fehltritt zu thun. Ich glaube sogar bestimmt, daß eine Frau erst dann reif ist für die wahre Liebe, wenn sie allen Ekel und alle Gemeinsamkeiten der Ehe durchgemacht hat, die, wie ein berühmter Mann einmal gesagt hat nur ein Austausch sind schlechter Laune während des Tages und schlechten Geruchs während der Nacht. Das ist ganz richtig. Eine Frau kann leidenschaftlich nur lieben, wenn sie verheiratet gewesen ist. Wenn ich sie einem Hause vergleichen darf, so würde ich sagen: erst bewohnbar, nachdem der Gatte den Trockenwohner gespielt hat.
Was nun endlich die Verstellung anlangt, so glaube ich – alle Frauen haben davon das nötige Quantum, wenn’s darauf ankommt. Die Einfältigsten sind bewundernswert und wissen sich in den schwierigsten Fällen ganz genial zu helfen.
Aber die junge Frau schien zu zweifeln:
– Nein, Doktor, was man im Augenblicke der Gefahr hätte thun sollen, das weiß man erst hinterher. Und die Frauen verlieren gewiß noch leichter den Kopf als die Männer.
Der Arzt hob abwehrend die Hände:
– Hinterher, sagen Sie? Bei uns, bei uns kommt die Weisheit erst hinterdrein, aber Sie …
Wissen Sie was, ich werde Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die einer meiner Patientinnen passiert ist, von der ich geglaubt hätte, sie könnte kein Wässerchen trüben, wie man zu sagen pflegt.
Es geschah in einer Provinzialstadt.
Als ich eines Abends fest schlief, so in jenem ersten Schlummer, aus dem man kaum geweckt werden kann, war mir’s im Traum, als ob die Glocken in der Stadt Sturm läuteten.
Ich wachte plötzlich auf: an meiner Nachtglocke wurde verzweifelt gerissen. Da mein Diener nicht wach zu werden schien, klingelte ich ihm. Bald gingen Thüren, und Schritte schreckten das schlafende Haus aus dem Schlummer. Dann erschien Johann mit einem Brief des Inhalts: »Frau Lelièvre bittet Herrn Dr. Siméon dringend, sofort bei ihr vorsprechen zu wollen.«
Ich überlegte ein paar Augenblicke und dachte: kaputte Nerven, krankhafte Laune und so weiter. Ach was, ich bin zu müde. So antwortete ich denn: »Dr. Siméon bittet Frau Lelièvre, da er selbst nicht wohl ist, freundlichst, seinen Kollegen, Herrn Bonnet, bemühen zu wollen.«
Dann steckte ich die Karte in einen Umschlag, gab sie zurück und schlief wieder ein.
Etwa eine halbe Stunde später klang die Nachtglocke wieder und Johann meldete:
– Irgend jemand, ich kann nicht erkennen, ob’s ein Mann ist oder eine Frau, möchte Herrn Doktor schnell sprechen. Er meint, es handelt sich um’s Leben zweier Menschen.
Ich richtete mich auf:
– Er soll eintreten!
Aufrecht im Bett sitzend wartete ich.
So eine Art schwarzes Gespenst tauchte auf und enthüllte sich sobald Johann das Zimmer verlassen hatte. Es war Frau Betha Lelièvre, eine ganz junge Frau, die erst seit drei Jahren mit einem dicken Kaufmann verheiratet war, der, wie man meinte, in ihr das hübscheste Mädchen der Provinz erwischt hatte.
Sie war totenbleich. Mit verstörtem Ausdruck und zitternden Händen versuchte sie zwei Mal zu sprechen, ohne einen Laut hervorzubringen. Endlich stotterte sie:
– Herr Doktor … schnell, schnell … kommen Sie … mein … mein Liebhaber ist in meinem Zimmer gestorben …
Sie hielt inne, bis sie mit erstickter Stimme fortfuhr:
– Mein Mann … kommt bald aus dem Club zurück …
Ich sprang aus dem Bett ohne daran zu denken, daß ich im Hemd war, und zog mich in ein paar Sekunden an. Dann fragte ich:
– Waren Sie vorhin selbst da?
Sie blieb in ihrer fürchterlichen Angst starr stehen wie eine Bildsäule und murmelte:
– Nein … es war mein Mädchen … sie weiß …
Dann nach einer Pause:
– Ich war … bei ihm geblieben …
Und sie stieß einen halbunterdrückten Schmerzensschrei aus, rang nach Luft, röchelte, weinte, weinte wie rasend, mit lautem, krampfartigem Schluchzen, während ein oder zwei Minuten. Dann blieben ihre Thränen plötzlich aus und versiegten als seien sie ausgezehrt von innerem Feuer. Furchtbare Ruhe überkam sie und sie sprach:
– Schnell. Wir wollen gehen.
Ich war fertig, doch ich rief:
– Sakrament, ich habe meinen Wagen nicht anspannen lassen!
Sie antwortete:
– Ich habe einen. Seiner, der auf ihn wartete.
Sie mummte sich ein bis zu den Augen. Wir gingen.
Als wir nebeneinander im Dunkel des Wagens saßen, ergriff sie plötzlich meine Hand, preßte sie in ihren schmalen Fingern und stammelte mit bebender Stimme:
– Ach, wenn Sie ahnten, was ich leide! Ich liebte ihn ja, liebte ihn rasend, wie wahnsinnig, seit einem halben Jahre!
Ich fragte:
– Sind Ihre Leute auf?
Sie antwortete:
– Nein, nur Rosa, die alles weiß.
Wir hielten vor der Thür. Sie hatte recht: das ganze Hans schlief. Lautlos traten wir ein und stiegen auf den Fußspitzen die Treppe hinauf. Das Mädchen saß ganz verstört mit einem brennenden Licht auf der Treppe. Sie fürchtete sich bei dem Toten zu bleiben.
Und ich trat in’s Zimmer. Es war um und um gewühlt, als habe ein Kampf stattgefunden. Das zerknitterte, in Unordnung gebrachte Bett war aufgedeckt geblieben, als erwartete es jemand. Das Bettuch hing auf den Teppich herab. Nasse Handtücher, mit denen man die Schläfen des jungen Mannes betupft, lagen neben einem Waschbecken und einem Glase am Boden. Und ein eigentümlicher Geruch von Essig und Eau de Lubin schlug einem beim Eintreten betäubend entgegen.
Mitten im Zimmer lag die Leiche der Länge nach auf dem Rücken ausgestreckt.
Ich trat heran. Ich betrachtete sie, betastete sie, öffnete die Augen, fühlte die Hände an. Dann wandte ich mich zu den beiden Frauen, die wie vor Kälte bebten und sagte:
– Helfen Sie mir ihn auf’s Bett tragen.
Und er ward vorsichtig hingelegt. Da behorchte ich das Herz und hielt ihm einen Spiegel vor den Mund.
Dann murmelte ich:
– Es ist aus! Wir wollen ihn schnell ankleiden.
Das war greulich!
Jedes Glied packte ich einzeln wie bei einer riesigen Puppe und steckte es in die Kleidungsstücke, die die Frauen brachten. Wir zogen ihm Strümpfe, Unterzeug, Beinkleider und Weste an. Endlich den Rock, in den wir die Arme mit äußerster Mühe zwängten.
Die beiden knieten nieder, um die Stiefel zuzuknöpfen, während ich ihnen leuchtete. Da nun die Füße ein wenig geschwollen waren, so gelang das nur schwer. Sie hatten den Stiefelknöpfer nicht finden können und nahmen ihre Haarnadeln dazu.
Sobald die gräßliche Toilette beendet war, sah ich noch einmal alles nach und sagte:
– Die Haare müssen in Ordnung gebracht werden!
Das Mädchen holte Kamm und Bürste ihrer Herrin. Da sie aber zitterte und, ohne es zu wollen, die langen, verwirrten Haare ausriß, nahm ihr Frau Lelièvre den Kamm weg und brachte sanft das Haar in Ordnung, als streichelte sie ihn. Sie zog ihm den Scheitel, bürstete den Bart, dann drehte sie ihm die Schnurrbartspitzen wie sie es wohl in Kosestunden einst gethan.
Plötzlich ließ sie ihn los, nahm den starren Kopf ihres Lieblings zwischen die Hände und blickte lange verzweifelt dies Totenantlitz an, das ihr nicht mehr lächeln konnte Dann warf sie sich über ihn, nahm ihn in die Arme und küßte ihn leidenschaftlich. Ihre Küsse regneten auf seinen geschlossenen Mund, die erloschenen Augen, die Schläfen, die Stirn. Dann näherte sie sich seinem Ohr, als hörte er sie noch, als wollte sie ihm zum Abschied Worte der Liebe sagen und wiederholte ein Dutzend Mal mit herzzerreißender Stimme: »Adieu, mein Schatz!«
Aber die Uhr schlug Mitternacht.
Ich fuhr auf:
– Donnerwetter zwölf! Da wird der Club geschlossen. Nun vorwärts gnädige Frau, jetzt Mut!
Sie richtete sich auf. Ich befahl:
– Wir wollen ihn in den Salon tragen.
Wir hoben ihn alle drei. Drüben setzte ich ihn auf’s Sofa. Dann steckte ich den Kronleuchter an.
Das Hausthor unten ging auf und fiel schwer zu. Er war es schon. Ich rief:
– Rosa, schnell, bringen Sie mir die Handtücher und das Waschbecken. Dann machen Sie das Zimmer. Fix, fix, zum Donner nochmal. Herr Lelièvre kommt nach Haus.
Ich hörte seine Schritte, wie er heraufkam, immer näher. In der Dunkelheit tastete er sich an der Wand hin. Da rief ich:
– Hierher Verehrtester. Ein Unglück ist passiert.
Und ganz bestürzt erschien, eine Cigarre im Mund, der Gemahl auf der Schwelle. Er fragte:
– Was? Was giebts denn? Was ist denn los?
Ich ging ihm entgegen:
– Lieber Freund, wir befinden uns in scheußlicher Verlegenheit. Ihr Freund, der mich in seinem Wagen hergefahren, und ich hatten uns hier mit Ihrer Gattin verschwatzt. Da klappt er plötzlich zusammen und ist schon seit zwei Stunden trotz aller Bemühungen ohne Besinnung. Einen Fremden wollte ich nicht dazurufen. Helfen Sie mir doch ihn hinunterschaffen. Ich kann ihn in seiner Wohnung besser auf den Damm bringen.
Der Gemahl legte erstaunt, doch ahnungslos, den Hut bei Seite. Dann packte er seinen, nun ungefährlichen, Nebenbuhler unter die Arme. Ich spannte mich zwischen die Beine wie ‘n Gaul in der Gabeldeichsel. So gingen wir die Treppe hinab, während die Frau leuchtete.
Als wir vorm Thore standen, richtete ich den Körper auf und redete ihm zu, um den Kutscher hinter’s Licht zu führen:
– Ach was, lieber Freund, es wird weiter nichts sein. Nicht wahr, Ihnen ist schon wohler? Nur Mut, nur Mut! Rappeln Sie sich mal zusammen. Es ist ja gleich gut.
Da ich fühlte, daß er meinen Händen entglitt und zu fallen drohte, gab ich ihm einen tüchtigen Rippenstoß, daß er vornüberkippte und in den Wagen schnellte. Dann stieg ich ihm nach.
Der Gemahl fragte mich besorgt:
– Glauben Sie, daß es ernst ist?
Ich antwortete lächelnd:
– Nein!, und blickte seine Frau an. Sie hatte sich in den Arm ihres rechtmäßigen Gatten gehängt und starrte in das Dunkel des Wagens.
Ich drückte ihnen die Hand und befahl fortzufahren. Während des ganzen Weges fiel mir der Tote auf die rechte Schulter.
Als wir bei ihm angekommen waren, sagte ich, er sei unterwegs ohnmächtig geworden. Ich half ihn in sein Zimmer schaffen. Dann stellte ich seinen Tod fest. Vor seiner erschrockenen Familie mußte ich eine neue Komödie spielen. Endlich konnte ich mich wieder in mein Bett legen, aber ich fluchte allen Liebespaaren!
Der Arzt schwieg lächelnd.
Die junge Frau fragte starr vor Entsetzen:
– Wozu haben Sie mir nur diese fürchterliche Geschichte erzählt?
Er verneigte sich artig:
– Um Ihnen im Bedarfsfall meine Dienste anzubieten.