Isolde Kurz

Das kleine Städtchen, wo ich meine Kindheit verbrachte, wimmelte von wunderlichen Originalen.

Eines der auffallendsten war das alte Fräulein Susanne Gutbrot, pensionirte Lehrerin an der Mädchenschule, eine Gestalt von so beängstigender Häßlichkeit, daß sie noch Jahre lang, nachdem ihre Leiblichkeit schon vom Erdboden verschwunden war, als böser Geist durch meine Träume schlich.

Sie hatte ein Gesicht, das fast nur Nase war, dünnes, weißes Haar, ein graues, stachliges Schnurrbärtchen und pflegte im Gehen mit einer tiefen, rauhen Stimme vor sich hin zu brummen. Sommer und Winter trug sie ein schmieriges, schwarzseidenes Fransentüchlein um den Kopf und einen verschossenen, türkischen Shawl um die Schultern, beides sorgfältig nach hinten ins Dreieck gelegt, so daß sie, vom Rücken gesehen, einer wandelnden geometrischen Zeichnung glich.

Im Herbst und Frühjahr sah man sie häufig an Hecken und Zäunen hinstreichen und eifrig das ausgejätete, liegen gebliebene Unkraut in ein Körbchen sammeln. Mit diesem Unkraut bepflanzte sie einen kleinen Fleck Erde vor der Stadt, den sie ihren Garten nannte. Es war nur ein Stück umgeschortes Wiesenland von wenigen Schritten im Geviert, an einem Feldweg gelegen und von einer Berberitzenhecke umzäunt, die eine rohe Lattenthür abschloß. Ein Cornelkirschbaum stand darin, dessen säuerliche Früchte – in dortiger Gegend Dürrlitzen genannt – ihr immer von der Schuljugend weggenascht wurden, bevor sie ganz ausreiften. In diesem mit der Schere ganz unbekannten Gehege, das aus unregelmäßigen Beeten und schmalen, grasdurchwachsenen Kieswegen bestand, sproßte ein Wirrsal von Nesseln, Knöterichen, Wegwarten, der rothe Fuchsschwanz wucherte massenhaft, fast mannshoch stand der giftige Eisenhut, wilde Malwen und kleine, unschuldig lächelnde Stiefmütterchen krochen über alle Wege, denn Niemand hinderte diese bunt zusammengewürfelte Gesellschaft, sich ganz nach ihrem Belieben auszubreiten.

Wenn Jemand die Alte beim Sammeln dieser Auswürflinge anredete, so stieß sie heiser heraus:

»Die Menschen sind ungerecht – ja ungerecht« – als ob sie eine ganz neue Wahrheit ausspräche.

Hielt man ihr dann vor, daß das Alles nur Unkraut sei, so wurde sie zornig und antwortete:

»In der Botanik gibt es kein Unkraut, es sind Pflanzen wie andere« – und ging weg, indem sie unverständliche, aber keinesfalls schmeichelhafte Reden vor sich hinmurmelte.

Man sah sie stets allein, denn sie haßte Alles, was Menschenantlitz trug, und ihren Verwandten, deren noch verschiedene im Städtchen lebten, wich sie auf Straßenweite aus. Nur der Tod vermochte sie auszusöhnen mit aller Creatur, denn so oft Jemand starb, sei es Mann, Weib oder Kind, folgte Susanne Gutbrot in einem dreieckigen, schwarzen Kaschmir dem Geleite und stand mitten unter den Leidtragenden am offenen Grabe. War’s Neugier, Schadenfreude oder wollte sie dadurch ausdrücken, daß zwischen ihr und ihren Mitmenschen nichts gemeinsam sei als die Vergänglichkeit? Ich weiß es nicht; ihr Erscheinen bei diesen Anlässen war jedenfalls eine so bekannte Gewohnheit, daß sie keiner Seele zu denken gab.

Ein gegenseitiges tiefes Mißtrauen herrschte zwischen der Jugend und dieser verbitterten Gestalt. Sie lauerte hinter ihrem Zaun und schlug nach uns mit Stecken, sobald eine Hand sich nach ihren Berberitzen ausstreckte; wir dagegen warfen ihr im Vorbeigehen Steine in ihre Unkrautrabatten und rissen aus ihrem Zaun die Latten weg.

Weshalb wir diesen Krieg mit ihr führten, hätten wir selbst nicht zu sagen vermocht. Der Hang, das wunderliche Fräulein Gutbrot zu quälen, war uns schon von der vorhergegangenen Generation vererbt. Wir wußten nichts von ihr, als daß sie eben immer da gewesen war in ihrem schwarzen Fransentüchlein und dem verschossenen türkischen Shawl, daß sie von jeher mit den Kindern auf schlechtem Fuß gestanden, und daß wir nur ein verjährtes Recht brauchten, indem wir ihr öffentlich Grimassen schnitten und ihr heimlich ihre Beete ausrauften oder ihre Dürrlitzen aufaßen, bevor sie reif waren.

Erst als ich herangewachsen war und man dieser seltsamen Gestalt schon lange nicht mehr in den Straßen begegnete, erkundigte ich mich einmal näher nach dem absonderlichen alten Wesen.

Da erfuhr ich, woran ich nie gedacht hatte, daß die alte Susanne einmal jung gewesen war und nicht nur jung, sondern auch hübsch, ja geradezu das hübscheste Mädchen der Stadt. Aber ein lächerliches Mißgeschick, das von den Uebelwollenden ausgebeutet und immer aufs neue in das Gedächtniß der Menschen zurückgerufen wurde, hatte ihr ganzes Leben vergiftet.

Sie war als Waise bei ihrem Halbbruder, dem Kaufmann Christian Gutbrot, aufgewachsen, der sie ihrer flinken Manieren und ihres guten Kopfes wegen gern im Laden verwendete. Dabei hatte sie Zeit, zwischen der Bedienung der Kunden Romane aus der Leihbibliothek zu lesen, die sie unter dem Ladentisch versteckt hielt. Die paar tausend Gulden Kapital – man rechnete damals noch nach Gulden –, die ihr von Mutterseite gehörten, steckten im Geschäft und hätten ihr im Fall ihrer Verheiratung herausgezahlt werden müssen, was Herr Christian Gutbrot und seine Gattin Auguste, eine böse Sieben, durchaus nicht für sehr eilig hielten.

Susanne aber dachte über diesen Punkt anders. Ein junger Provisor an der Volksschule, den sie von der Tanzstunde her kannte, hatte ihr Herz gewonnen, und beide suchten eifrig Gelegenheit, einander zu sprechen.

Dem Kaufmann fiel der starke Bedarf des jungen Provisors an Mandelseifen und Malzbonbons auf, und er fand es räthlich, seine Schwester vom Ladentisch zu entfernen.

Aber erfinderisch, wie Liebende sind, wußte das Pärchen sich zu helfen. Zwischen des Provisors hohem Dachstübchen und der Speicherluke des Gutbrot’schen Hauses begann ein Verkehr, der bei den Nachbarn nicht unbemerkt blieb. Schräg über ein Gewinkel von Innenhöfen und niedrigen Dächern wanderten an einem Bindfaden, der unter unsäglichen Schwierigkeiten an beiden Endstationen befestigt worden war, Briefe, Blumen und andere Liebeszeichen hin und her. Als aber die jungen Leute ihre Unvorsichtigkeit noch weiter trieben und eine nächtliche Zusammenkunft über den Dächern ins Werk setzen wollten, ereignete sich die verhängnißvolle Katastrophe.

Der Provisor sollte, wie es scheint, auf Katzenwegen von dem anstoßenden Dachvorsprung eines Nachbarhauses aus die Bodenluke erklimmen; aber es war dabei ein, wenn nicht hoher, so doch steiler Giebel zu übersteigen, wo er den Muth verlor. Er blieb, vom Schwindel gepackt, stecken und stieß ein jämmerliches Hülfegeschrei aus, das die schlafenden Nachbarn aus den Betten trieb. Der unglückliche Romeo mußte unter allgemeinem Halloh mit einer Feuerwehrleiter herabgeholt werden. Er schützte freilich vor, daß er an Mondsucht leide und im Schlafwandel sich auf den Dachfirst verstiegen habe, aber man glaubte ihm nicht; denn Viele wollten im Mondschein das tapfere Susannchen an der Dachluke erkannt haben, wie sie sich anschickte, ihrem furchtsamen Liebhaber zu Hülfe zu kommen.

Die Nachricht von diesem Vorfall flog wie Feuer durch die kleine Stadt, der jeder Skandal eine hochwillkommene Abwechselung war. Am Morgen strömte Groß und Klein hinter dem Gutbrot’schen Laden zusammen, um den Schauplatz des Ereignisses zu besichtigen. Man zeigte sich unter Gejohle das Dach, an dem der Provisor sich schreiend mit Händen und Füßen angeklammert hatte, und Susanne’s Bodenluke, von der noch ein zum Heraufziehen des Ritters angeknüpftes Seil herabhing.

Der Lärm war ungeheuer. Die Familie Gutbrot gebärdete sich wie bei einem Trauerfall. Die Krämerin lief selber von Haus zu Haus, um den Klatsch recht breit zu treten und mit heuchlerischem Gesicht heuchlerische Condolenzen entgegen zu nehmen. Am nächsten Sonntag spielte sogar der Pfarrer von der Kanzel herab auf das große Aergerniß an, daß Susanne vor der ganzen Gemeinde dasaß wie eine Geächtete.

Der Provisor und Susannchen getrauten sich nicht mehr über die Straße, denn wo eins von beiden sich blicken ließ, sang ihnen die Gassenjugend ein plötzlich entstandenes Spottlied nach, das sich bis auf unsere Tage erhielt, nur daß wir seine ursprüngliche Bedeutung nicht mehr verstanden. Es hob an:

»Der Provisor auf dem Dach

Ach, ach, ach!«

und es war ein besonderer Trumpf, dieses »Ach«, das bald die Sehnsucht der Liebhaberin, bald die Todesfurcht des Ritters, bald das Gelächter der Zuschauer darstellen mußte, mit immer wechselndem Ausdruck zu moduliren.

Da der Lärm sich nicht beruhigen wollte, beschloß ein Familienrath, die Zerknirschte auf ein ganzes Jahr von der Vaterstadt zu entfernen, und Susannchen wurde in einer Genfer Pastorenfamilie untergebracht, wo sie in sich gehen, zugleich aber auch das Französische gründlich erlernen sollte.

Dieser verfehlte Schritt, zu dem die Verwandten sie drängten, entschied über ihr ganzes künftiges Schicksal. Es saß damals in dem kleinen Städtchen eine heilige Vehme von älteren Frauen, den Müttern heiratsfähiger, aber häßlicher Töchter beisammen, deren Ziel es war, den Ruf und die Zukunft hübscher junger Mädchen zu untergraben. In geheimen Sitzungen, bei Strickzeug und Kaffeetasse, wurden die Opfer ausgewählt, und von dort aus verbreitete sich die Verleumdung durch unsichtbare Kanäle über die ganze Stadt. Diese Vehme saß jetzt zu Gericht über die abwesende Susanne, die durch kein Familieninteresse gedeckt war, und der man ohnehin nicht traute, weil sie für klüger galt als andere; man stellte fest, daß ihr Leben sittenlos und ihr Charakter verwerflich sei. Aus dem einen verunglückten Stelldichein machte man eine gewohnheitsmäßige Liebelei auf dem Dachboden, und der darauf folgenden Abreise gab man durch Achselzucken und halbe Worte die bedenklichste Deutung.

Als Susanne nach einem Jahre zurückkam, etwas abgemagert durch die dürftige Kost und eingeschüchtert von der strengen Behandlung in dem Pastorenhause, tauschte man in der Stadt heimliche Blicke und Winke. Gesprochen wurde nichts, und das Gerücht, das umging, hatte weder Form noch Namen, aber die anderen Mädchen zogen sich von Susanne zurück, und in die guten Familien wurde sie nicht mehr eingeladen. Jeden jungen Mann, der sich ihr zu nähern suchte, schreckte die Vehme durch geheimnißvolle Andeutungen zurück, und wer nicht verstehen wollte, wurde geradezu gewarnt oder erhielt anonyme Briefe. Der Provisor war schon lange aus der Stadt verschwunden, und dieser verdächtige Umstand kam der Verleumdung zu Hülfe. Wenn Einer nur auf der Straße den Kopf nach ihr drehte, so erzählte man ihm die schreckliche Geschichte von dem Stelldichein auf dem Dachboden und brach dann bedeutungsvoll ab, als ob noch viel zu sagen wäre, was man aus Nächstenliebe besser verschweige.

Susanne konnte sich nicht wehren, denn sie wußte gar nicht, welche Gerüchte über sie im Umlauf waren. Um sich in der Achtung der Leute wieder herzustellen, behielt sie die puritanische Haltung bei, die man ihr in dem Pastorenhaus angewöhnt hatte, und schreckte dadurch die jungen Männer vollends ganz von sich ab, ohne bei den Frauen etwas zu gewinnen; denn nun hieß es: »Sie wird wohl wissen, warum sie Buße thut,« oder »Merkt ihr das schlechte Gewissen?« – Die Dummen und Bösartigen, die in der Stadt die Oberhand hatten, hielten den Klatsch aufrecht, und die verständige Minderheit gab sich keine Mühe, ihn zu widerlegen. So blieb Susanne in der Acht, und als sie sich nach vielen vergeblichen Bemühungen, wieder einen Anschluß zu finden, mißtrauisch und verbittert in sich selbst zurückzog, wurden ihr die Leute erst recht aufsässig. Ihr Bruder gab ihr längst kein gutes Wort mehr, und die Schwägerin behandelte sie mit heuchlerischer Sanftmuth wie eine Verirrte, während sie insgeheim die üble Nachrede am Einschlafen verhinderte.

Unter dieser allgemeinen und fortgesetzten Mißhandlung verwandelte sich Susanne’s ganzer Charakter; sie wurde scheu und mißtrauisch wie ein Elephant, der aus der Herde ausgestoßen ist, und würgte schweigend die ganze Dosis Gift hinunter, die sie in ihrem späteren Leben tropfenweise wieder von sich gab.

Sobald sie großjährig war, brach sie mit ihren Verwandten, zog allen Vorstellungen zum Trotz ihr Geld aus dem Geschäft und ließ der habgierigen Schwägerin das Nachsehen. Schon damals miethete sie sich in der dürftigen Mansardenwohnung ein, in der sie ihr Leben lang mutterseelenallein ohne Hund, Katze oder Vogel gehaust hat.

Dann kündigte sie im Wochenblättchen an, daß sie die Agentur eines großen Modewaarengeschäfts aus der Residenz übernommen habe, und daß in ihrer Wohnung eine reichhaltige Musterkarte von Kleiderstoffen sowie die neuesten Hutformen zur Ansicht ausgelegt seien. Dies war ein Ereigniß in der kleinen Stadt, denn bisher hatten die Honoratiorenfrauen ihren Bedarf aus dem Gutbrot’schen Ellen- und Kurzwaarengeschäft bezogen, das Jahr für Jahr die gleichen Artikel auf Lager hatte, oder mit ihren Einkäufen auf die große Frühjahrsmesse gewartet, wo ihnen der Ausschuß der Fabriken verhandelt wurde.

Alles, was weiblichen Geschlechts war, stieg die abgetretene Holztreppe zu Fräulein Gutbrot hinauf, um ihre Musterauslage zu sehen. Auch die heilige Vehme kam und sparte nicht mit freundlichen Reden; denn die Neugier war doch noch stärker als die sittliche Empfindung.

Das Geschäft erforderte eine grenzenlose Geduld, denn die Kunden waren sparsame Leute, und oft, wenn sie alle Muster durchgeblättert und sich umständlich nach Preis und Breite der Stoffe erkundigt hatten, entschlossen sie sich am Ende, mit dem Kauf des neuen Kleides bis zur nächsten Saison zu warten. Doch Susanne blieb immer höflich und dienstfertig, und ihr bittersüßes Lächeln verließ sie nie. Ihr war es nicht um den Gewinn, sie wollte nur das Gutbrot’sche Kurz- und Ellenwaarengeschäft schädigen.

So winzig demnach ihr Erwerb aus den Prozenten war, sie setzte es durch, die Zinsen ihres Kapitals zurückzulegen, und es blieb nicht unbekannt, daß sie bei ihren Geschäftsreisen in die Residenz zuweilen Papiere ankaufte, die sie auf einer dortigen Bank deponirte.

Als endlich nach Jahren die Stelle einer französischen Lehrerin an der Mädchenschule frei wurde, gab man sie Fräulein Gutbrot, die seit der Genfer Reise für eine Autorität im Französischen galt, und meinte, sie dadurch für das erlittene Unrecht entschädigt zu haben. Denn die Verleumdung war zum Schweigen gekommen, sobald Susanne über die Jahre hinaus war, in denen sie ihr schaden konnte. Seit ihr verblühtes Gesicht keinen Mann mehr anzog, wurde sie wieder mit Achtung gegrüßt, und man erkannte sie für eine Persönlichkeit an, mit der man verkehren konnte, ohne an seinem moralischen Charakter Einbuße zu erleiden. Auch das »Ach, ach, ach« verstummte mit den Jahren, nachdem Susanne unzählige Male den Griff ihres Sonnenschirms an den kleinen Schreiern zerschlagen hatte; wer es noch einmal in Gang zu bringen suchte, der wurde durch kräftige Ohrfeigen von Seiten der Eltern oder Lehrer still gemacht.

Aber die zerstörten schönen Jahre konnte man ihr nicht zurückgeben, und ebenso wenig konnte Susanne vergessen, was ihr widerfahren war. Unauslöschlicher Groll und Gram erfüllten jeden Winkel ihrer Seele.

Jeden Abend, wenn ihre Rechnungen eingetragen und ihre Schulhefte corrigirt waren, legte sie sich bei herabgelassenen Rouleaux die Karten und befragte ängstlich das Schicksal, ob noch ein Glück für sie auf Erden blühen wolle. Aber die Tage flossen trüb und gleichmäßig vorüber, wie das Flüßchen vor ihrem Fenster, und Jugend, Hoffnung und Sehnsucht rannen allmählich mit hinab.

Am Ausgang der zwanziger Jahre kam noch eine Art Nachsommer über sie. Der muntere Oberförster, der seiner Frau bei der Auswahl der Hüte und Kleider half, sagte der Einsamen zuweilen ein artiges Wort, und der Prinzipal der Firma, für deren Rechnung sie die Stoffe verkaufte, behandelte sie, wenn sie nach der Residenz kam, mit einer gewissen Auszeichnung. Sie blühte wieder auf und wurde sogar vorübergehend etwas menschenfreundlicher, doch kam auch ihre erzwungene Resignation ins Wanken. Sie hatte mystische Stunden, wo sie sich in einen geheimnißvollen Seelenrapport mit älteren verwittweten Notaren oder hagestolzen Kanzleisekretären hinein träumte. Aber diese hatten nur Augen für die jüngste Jugend und würden Susanne’s stille Wünsche sehr anmaßend gefunden haben. Dann schlug das dreißigste, und unerbitterlich fiel die Pforte des Paradieses zu. Jetzt wurde ihre Verbitterung zum Menschenhaß.

Es lebte zwar in der Nachbarschaft ein pensionirter Major, der jeden Tag durch ihre Straße ging und sich seit zwölf Jahren mit dem Vorsatz trug, einmal früher oder später um Susanne zu werben; denn es lag auch jetzt noch, wenn sie gerade etwas milder gestimmt war, ein wehmüthiger Nachglanz der Jugend über ihr. Der Major war der einzige vorurtheilsfreie Mann im ganzen Städtchen und hatte nie auf die Verleumdung hingehört. Aber leider war er so umständlicher Natur, daß bei ihm zwischen Vorhaben und Ausführung eine unübersteigliche Kluft lag.

Hätte Susanne nur von seinen Gefühlen gewußt, so wäre vielleicht ihre Herbigkeit in etwas gelindert worden, auch wenn der Vorsatz ewig ein Vorsatz blieb. Aber der Major starb, und Susanne folgte seiner Leiche, ohne von der unwandelbaren Verehrung, deren Gegenstand sie gewesen, jemals eine Ahnung gehabt zu haben. Hoffnungslos und unversöhnlich brütete sie über den Trümmern ihres Lebens.

Zwischen ihr und ihren Schülerinnen wurde ein heimlicher Krieg mit bissigen Redensarten geführt; der Anblick der jungen Mädchen war der alternden Lehrerin ein quälender Stachel, und diese zahlten ihr jede Bosheit mit Zinsen zurück. Susanne’s einziger Trost war die Gewißheit, daß auch diese prangenden Blüthen in kurzer Frist hinwelken und einem neuen Mädchenfrühling Platz machen mußten, der dereinst ebenso rücksichtslos über ihre Ansprüche weggehen würde, wie sie selbst mit den ihrigen von diesem anmaßenden Nachwuchs zur Seite geschoben worden war. Mit grausamer Lust beobachtete sie an Anderen die Verwandlung, die sie selber hatte durchmachen müssen, und es war jedesmal ein Fest für sie, wenn eine der Jüngeren unverheirathet in das dreißigste trat.

Der ohnmächtige Haß, der sich in ihr wand und krümmte, verzehrte Alles, was ihr noch von Anmuthsresten geblieben war; sie mergelte bis auf die Knochen ab, ihre Nase zog sich in die Länge, und die Augen verkrochen sich hinter ein Netz von Runzeln. Mit vierzig wuchs ihr das Bärtchen, und mit fünfzig war der Kinderschreck vollends fertig, als den wir alle das Fräulein Susanne Gutbrot gekannt haben.

Die bösen Weiber, denen sie ihr Unglück dankte, waren mit Ausnahme ihrer Schwägerin schon alle vom Leben zerquetscht ins Grab gesunken; ihre Altersgenossen gingen denselben Weg, aber Susanne fuhr fort zu hassen, als ob die Beleidigung von gestern wäre.

Alle fünf Jahre kam eine neue Generation, die in die Geheimnisse der französischen Grammatik eingeführt werden mußte, und Susanne ergrimmte, daß die Welt nicht aussterben wollte. Der bloße Anblick der Kinder erregte ihre Galle, was ihr von den Kleinen durch instinctmäßige Abneigung vergolten wurde.

Sobald sie pensionirt war, gab sie auch ihr Mustergeschäft auf, denn die Konkurrenz, die sie ihren Verwandten machte, war schon längst überflüssig geworden. Eine Reihe neuer stattlicher Läden hatte sich aufgethan und die Gutbrot’sche Kurz- und Ellenwaarenhandlung in den dritten oder vierten Rang herabgedrückt.

Susanne schloß sich vor aller Welt in ihrer Mansarde ab. Was sie da trieb, wußte Niemand, und die Menschen fragten auch nicht nach ihr. Wenn man sie vor Gärten und Aeckern stehen und abgeschnittene Stecklinge oder anderes Grünzeug zusammenlesen sah, schüttelte man den Kopf über die närrische Alte und ging vorüber. Erst der Ankauf des Gärtchens machte ihre Mitbürger wieder auf Susanne Gutbrot aufmerksam, und dieser und jener war jetzt der Meinung, die Alte müsse bei ihrer sparsamen Lebensweise doch nach und nach ein ganz hübsches Sümmchen zurückgelegt haben.

Die Frau Steuerrathsschreiberin vertraute es der Frau Cameralverwalterin an, und durch diese kam es unter die Leute, daß das alte Fräulein eine Kapitalsteuer bezahlte, die sie den wohlhabendsten Personen der Stadt nahezu gleich stellte. Neugierige Nachbarinnen machten sich mit Fragen an Susanne heran, und je ängstlicher diese sich ereiferte, daß sie gar kein Geld habe, und über ihre Armuth klagte, desto höher schätzte man insgeheim ihr Vermögen.

Der Familie Gutbrot fiel es jetzt ein, daß es doch nicht christlich sei, die alte, gebrechlich werdende Person so ganz sich selber zu überlassen. Die Schwägerin Auguste, die unterdessen Wittwe geworden war, that den ersten Schritt. Sie schickte ihre Fanny mit einem großen, vom Gärtner gebundenen, in steife Papierspitzen gehüllten Blumenstrauß zu der Tante Susanne und ließ ihr zum Geburtstag gratuliren.

Susanne sah sich die Nichte an, die sie noch gar nicht kannte, denn es war der Nestling des Hauses und lang nach ihrem Zerwürfniß mit der Familie geboren. Sie gewahrte zu ihrer Ueberraschung, daß Fanny ihr selber glich; es war, als habe sie ihr diese röthlichblonden Zöpfe und das weiße, lächelnde Gesicht gestohlen. Da erwachte ihr Ingrimm mit verstärkter Gewalt; sie stellte sich taub, hieß die Nichte nicht einmal sitzen und warf, sobald sie gegangen war, die Blumen in den Straßenkehricht.

Die Schwägerin ließ sich jedoch nicht so leicht abschrecken. Wenige Tage später sah man sie selbst in eigener korpulenter Person keuchend die steilen Treppen zu Susanne’s Mansarde hinaufsteigen mit einem Körbchen am Arm, zu dem der Zipfel einer weißen Serviette heraushing, und das angenehm nach süßer Speise duftete. Aber sie erhielt gar keinen Einlaß. Susanne, die mittelst einer am Fenster angebrachten Spiegelscheibe die ganze Straße überblickte, hatte sie von Weitem kommen sehen und in Erkenntniß ihrer Absicht die Thür verriegelt. Als die alte Gutbrot klopfte und zu öffnen suchte, gebärdete sich Susanne wie besessen, sie rannte im Zimmer auf und ab und schrie mit ihrer rauhen Stimme: »Hülfe! Diebe! Man will mich morden!« daß die Hausbewohner zusammenliefen, und Frau Gutbrot genöthigt wurde, unverrichteter Sache abzuziehen.

Darauf ließ Susanne vom Schlosser eine starke eiserne Sperrkette für ihre Thür anfertigen, und diese in dortiger friedlicher Gegend noch ganz unbekannte Vorrichtung erregte allgemeines Aufsehen. So oft künftig Jemand klopfte, legte Susanne ihre Kette vor, öffnete die Thür einen Zoll breit und behandelte den Ankömmling, den sie nicht sehen konnte, als einen Einbrecher. Besonders wenn Eines aus ihrer Verwandtschaft sie besuchen wollte, tobte sie mit Schimpfreden wie ein böser alter Papagei hinter seinem Käfig. Ueberall sprach man davon, daß Susanne Gutbrot steinreich sei und sich vor Dieben fürchte..

Das Gerede kam auch dem Stadtschultheißen zu Ohren. Dieser war ein noch jüngerer, sehr thatenlustiger Mann, in dem sich natürlicher Fortschrittsdrang und etwas Streberthum dergestalt mischten, daß er die Geschicke der Stadt liebend im Herzen trug und dabei auch sein eigenes Interesse nicht vergaß. Er hatte gleich nach seinem Amtsantritt unter Mitwirkung des Pfarrers, des Oberförsters und anderer Honoratioren einen Verschönerungsverein gegründet, dessen vornehmste Obliegenheit bis jetzt gewesen war, romantische Waldpfade anzulegen und die schöne Natur mit grün angestrichenen Bänken zu versehen. Aber dem Stadtschultheißen standen die Gedanken höher. Der alte, geschmacklose Röhrenbrunnen, der vor dem Rathhaus stand, war ihm längst ein Dorn im Auge. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, ihn abzureißen und an seiner Stelle einen Monumentalbrunnen zu errichten; daneben sollte der ganze öde Platz den nur an zwei Tagen der Woche die Stände der Marktweiber zu zieren pflegten, mit Bäumen bepflanzt und in eine öffentliche Anlage verwandelt werden. Von diesem Plane versprach sich der Stadtschultheiß nicht allein die Förderung des Geschmacks und der Bildung unter der Bürgerschaft, sondern auch einen vermehrten Zustrom von Sommergästen nach der kleinen, hochgelegenen Stadt und damit die Hebung des städtischen Wohlstands. Für ihn persönlich knüpfte sich noch die Hoffnung daran, zur Belohnung für außerordentliche Verdienste den Titel eines Bürgermeisters zu erhalten. Doch das Unternehmen, das ein Zusammenwirken aller Kräfte verlangt hätte, stieß in der Stadt auf Widerstand und verursachte auch im Schoß des Verschönerungsvereins eine Spaltung. Ein Theil der Mitglieder, der sich auf so tiefgreifende Veränderungen nicht einlassen wollte, schied aus, an ihrer Spitze der Pfarrer, was der Sache von vornherein einen empfindlichen Stoß versetzte.

Zwar stand der Gemeinderath wie ein Mann zu seinem Oberhaupt, es wurden öffentliche Vorträge und Konzerte veranstaltet, deren Ertrag dem Brunnenprojekte zufiel, und das Tagblatt, das an die Stelle des alten Wochenblättchens getreten war, veröffentlichte inspirirte Artikel über die veredelnde Wirkung der Kunst und über die Nothwendigkeit, sich den begünstigteren Nachbarstädten, die ihre öffentlichen Anlagen und Monumentalbauten besaßen, gleichstellen. Aber eine starke Gegenströmung, die ihren Ursprung im geistlichen Lager hatte, hemmte diese fortschrittliche Thätigkeit. Aus welcher Ursache, war den Tieferblickenden nicht verborgen.

Der Pfarrer strebte schon seit Jahren eine Verschönerung seiner Kirche an, die mit ihren trüben Fenstern und nackten Wänden allerdings ein Unicum an nüchterner Werktäglichkeit war.

Vom Consistorium, dem die Mittel fehlten, war er an die Opferwilligkeit seiner Gemeinde verwiesen worden. So hatte er denn mit Bewilligung des Oberamts eine Sammlung zu Gunsten gemalter Kirchenscheiben veranstaltet und nahm häufig in seinen Predigten Anlaß, von dem würdelosen Zustand des Gotteshauses zu reden und die Anwesenden zu Spenden aufzufordern, wäre es auch nur das kleinste Scherflein. Eine Sammelbüchse war immer an den Sonntagen vor der Kirchenthüre aufgestellt. Aber die Gemeinde, die großenteils arm und schon mit anderen Lasten überbürdet war, nahm des Pfarrers Wort vom »kleinsten Scherflein« allzu buchstäblich, und seit nun gar die zweite, mit der ganzen Rührigkeit des Stadtschultheißenamts betriebene Sammlung im Gange war, versiegten die Spenden für die Kirchenscheiben mehr und mehr. Weil er dies vorausgesehen, hatte sich der Pfarrer von allem Anfang an dem neuen Unternehmen feindlich entgegengestellt. Zwar kam es nicht zum öffentlichen Zerwürfniß, aber die geistlichen Waffen trafen im Verborgenen, und mit all seiner Energie konnte es der Stadtvorsteher nicht hindern, daß fromme Seelen an dem geplanten plastischen Brunnenschmuck, der, wie man sich zuraunte, in einer nur halbbekleideten weiblichen Figur bestehen sollte, Aergerniß nahmen und aus der öffentlichen Anlage einen Rückgang der öffentlichen Sittlichkeit prophezeiten.

Die Partei des Stadtschultheißen dagegen kämpfte mit offenem Visier und hatte die Presse auf ihrer Seite. Sie zog das Projekt der Kirchenverschönerung und besonders die gemalten Scheiben ins Lächerliche und behauptete, solche wären durchaus stilwidrig, da sie dem ganzen Charakter der alten, ehrwürdigen Kirche widersprächen, deren Schönheit gerade in ihrer ernsten, schmucklosen Einfachheit liege. Diese Auslassungen der städtischen Presse übten eine für die Hoffnungen des Pfarrers geradezu verheerende Wirkung aus, denn sie wurden in den Zeitungen der Hauptstadt nachgedruckt und fanden ihr Echo sogar im Landtag, an den das Consistorium, der ewigen Klagen des Pfarrers müde, den Antrag gestellt hatte, die Verschönerung der Kirche aus Staatsmitteln zu bewilligen. Den gedruckten Beweis, daß die Gemeinde mit ihrer Kirche ganz zufrieden war, benutzte die Opposition, um den Antrag mit Glanz zu Falle zu bringen, und der übereifrige Pfarrer erhielt noch obendrein von seinem Consistorium eine Rüge.

Der Streit um Monumentalbrunnen und Kirchenscheiben brannte eben lichterloh, als der unternehmende Stadtvorsteher seine Augen auf Susanne Gutbrot warf. Wenn es ihm gelänge, die alte, mit ihren Anverwandten zerfallene Rentnerin zu einer ausgiebigen Stiftung für das Brunnenprojekt zu bereden! Bei ihrer »Vergangenheit«, von der sich eine dunkle Sage unter der jüngeren Generation erhalten hatte, konnte man sie von vornherein unter die Vorurtheilslosen rechnen. Und da sie keine natürlichen Erben hatte, mußte ihr eine Gelegenheit, sich das dankbare Andenken ihrer Mitbürger zu sichern, am Ende ganz willkommen sein. Es kam nur darauf an, ihr die Sache im rechten Lichte zu zeigen.

Der Oberförster, ihr Freund von altersher, wurde zuerst ins Treffen geschickt. Er hatte ihr schon vor etlichen Jahren, als er sie einmal beim Unkrautsammeln vor seinem Garten traf, ein paar Ableger von seinen Obstbäumen geschenkt, nach deren Ergehen er sich schicklich erkundigen konnte. Dann begann der alte Jäger sein Wild vorsichtig zu umschleichen. Ob sie schon die neue Aussichtsbank auf dem Schafbühl gesehen habe mit dem schönen Blick ins Lauterthal, die kürzlich von dem Verein dort aufgestellt worden sei? – Nein, Susanne hatte nichts gesehen; sie ging nie weiter als bis zu ihrem Gärtchen. – Das sei schade; die Umgegend mache sich jetzt recht stattlich heraus, und auch das Städtlein dürfe nicht mehr lange dahinter bleiben. So kam er allmählich auf das Brunnenprojekt.

Susanne hatte wieder von gar nichts gehört, obwohl sie täglich das Amtsblatt las. Also einen großen Brunnen wollte man bauen, wie die in der Residenz, mit fließendem Wasser und einem schönen Weiher rund umher, mit Bäumen eingefaßt und mit Bänken zum Sitzen dabei? – Das sei gewiß ein schöner Gedanke; wo denn aber all das mächtig viele Geld hernehmen? Ob denn der Verschönerungsverein so reich sei?

Leider nein, war die Antwort, aber eben darum müssen Alle, die Sinn fürs Schöne haben, zusammenstehen, und auch von ihr erwarte man einen Beitrag. Es sei ja an leitender Stelle nicht unbekannt, daß sie ein Stück Welt gesehen habe und über einen hierorts beim weiblichen Geschlecht nicht gewöhnlichen Bildungsgrad verfüge, weshalb von ihr vorausgesetzt werde, daß sie die Bestrebungen des Verschönerungsvereins zu würdigen wisse.

Susanne knurrte geschmeichelt, ließ sich aber auf keine Versprechungen ein.

Jetzt rückte der Stadtschultheiß selber zur Verstärkung heran. Er kannte das alte Fräulein nur vom Ansehen; auf seinen Abendspaziergängen vor die Stadt hatte er zuweilen ihr Treiben hinter der Berberitzenhecke beobachtet.

Als sie eben einmal zwei Gießkannen voll Wasser aus dem nahen Bach über den Weg schleppte, redete er sie leutselig an und lobte ihre Sorge für das kleine Eigenthum, wobei er bemerkte, wenn Alle wären wie Fräulein Gutbrot, so hätte die Obrigkeit nicht so viel Unordnung und Schlendrian zu bekämpfen.

Trotz ihres Menschenhasses war Susanne nicht unempfindlich für die Ehre, die ihr widerfuhr. Wenn sie einmal wollte, konnte sie auch ganz milde und demüthig sein. Sie zog ihre aufgekrempelten Aermel herunter und stand dem Gestrengen geziemend Rede.

Dieser rückte ihr in liebenswürdiger Zudringlichkeit ohne Weiteres auf den Leib. Mit einer Beredtsamkeit, die ihn selbst und Andere zu berauschen pflegte, entwickelte er ihr sein Lieblingsthema von dem Einfluß schöner Monumente und Anlagen auf die Volksbildung, und in das Spiel der künftigen Wasserwerke, das er vor ihrem Geiste aufführte, mischte er persönliche Schmeicheleien, die stark mit geheimer Ironie unterlegt waren. Er verstieg sich bis zu der Bemerkung, daß sie Ehrenmitglied des Verschönerungsvereins werden müsse, denn man brauche nicht nur ihre materielle, sondern auch ihre moralische Unterstützung, und was dergleichen Reden mehr waren, die sie mit einem stillen, boshaften Gesicht anhörte. Da sie aber in ihren Antworten dem Stadtschultheißen seine eigenen Meinungen und Behauptungen wieder zu hören gab, erreichte sie, daß der Hochmögende ganz angeregt nach Hause kam und die alte Susanne Gutbrot für eine der gebildetsten und verständigsten Damen erklärte, die er in seinem Leben kennen gelernt habe.

Er setzte über die Berberitzenhecke hinweg seine Belagerung fort. Wenn sie ihn kommen sah, trat Susanne von innen ans Gehege, wie eine Nonne an ihr Sprechgitter; denn das Gärtchen betreten durfte Niemand. Sie sonnte sich in der Auszeichnung, die ihr auf ihre alten Tage erwiesen wurde, und nickte eifrig zu allen Reden des Stadtschultheißen. Nur wenn er geradezu in sie drang, mit ihrem Gelde herauszurücken, schrumpfte sie zusammen und versicherte kläglich, daß man ihr Vermögen in ganz unbegreiflicher Weise überschätze. Sie besitze nur ein ganz geringfügiges Kapital von ihren Eltern her und wisse nicht, wovon sie weiter leben sollte, wenn sie diese kleine Summe angriffe.

Auf solche Reden antwortete der Stadtschultheiß nur mit einem Lächeln, denn er kannte die Geheimnisse des Steueramts.

Kaum wurden seine Absichten ruchbar, als auch sein geistlicher Gegner sich zum Wettkampf rüstete. Zwar gehörte Susanne nicht zu den frommen Schafen der pfarrherrlichen Hürde. Seit jenem Sonntag, wo er als junger Prediger in seinem Uebereifer die Unglückliche vor versammelter Gemeinde an den Pranger gestellt hatte, war sie dem Gotteshaus fern geblieben. Sie mied es noch immer, nachdem das Ereigniß und seine Veranlassung längst aus dem öffentlichen Andenken geschwunden waren. Ihr Wegbleiben aus der Kirche war eine verjährte Gewohnheit geworden, die Susanne sogar während ihrer Thätigkeit an der Mädchenschule durchzuführen gewußt hatte. Denn nachdem sie einmal als Original gestempelt und geaicht war, konnte sie sich ungestraft jede Abweichung von der allgemeinen Regel erlauben. Dagegen lief sie, wie bekannt, zu jedem Begräbniß, und in pfarrherrlichen Kreisen neigte man, wenigstens neuerdings, der Ansicht zu, daß die regelmäßige Theilnahme an dieser religiösen Handlung dem ständigen Besuch des Gottesdienstes gleich zu achten sei.

Ein paar fromme Seelen aus der Nachbarschaft trugen Susanne zu, welch gute Meinung man von ihrem Charakter und Wandel im Pfarrhaus hege, und daß dort stets, wenn von christlichen Beispielen die Rede sei, ihrer zuerst gedacht werde. Danach ergab es sich ganz von selbst, daß die Pfarrerin Susanne gelegentlich auf der Straße stellte, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln, und daß sich dann auch der Pfarrer einmal hinzufand.

Er versicherte ihr mit väterlichem Ton, daß es seinem Herzen jedesmal eine Genugthuung sei, sie zu sehen; denn man lebe jetzt in einer Zeit, wo alle Guten gegen den neuen, gefährlichen Geist der Weltlichkeit und des Materialismus zusammentreten müssen. Sie gehöre ja auch zur alten Garde und werde doch gewiß keine sittengefährlichen Bestrebungen unterstützen. Ob es denn wahr sei, daß sie einen Beitrag für den Brunnenbau des Verschönerungsvereins gegeben habe?

Susanne konnte mit gutem Gewissen das Gegentheil versichern, denn soeben war die Stadtschultheißin, eine ihrer ehemaligen Schülerinnen, in eigener Person mit der Sammelliste bei ihr erschienen und war zwar nicht wie Susannes Verwandte vor die Thür gesetzt worden, hatte aber die gewesene Lehrerin so taub und unbeweglich gefunden, daß sie unverrichteter Dinge abgezogen war, im Glauben, die Alte sei gar nicht mehr zurechnungsfähig.

Doch blühte auch dem Küster, als er sich im Auftrag des Pfarrers wegen einer Beisteuer für die Kirchenscheiben zu Fräulein Gutbrot begab, kein besseres Glück. Susanne verfügte bei solcher Gelegenheit über eine Verstocktheit und Schwerfälligkeit, die dem Stumpfsinn des Greisenalters täuschend ähnlich sah. Es gab kein Mittel, sich ihr verständlich zu machen. Nicht einmal durch das Gesicht war ihr beizukommen; denn sie hatte stets in solchen Fällen die Brille verlegt und wußte daher auch mit dem Geschriebenen nichts anzufangen. Sobald man aber kein Geld mehr von ihr wollte, kam sie wieder in Fluß und verstand es, die geknickten Hoffnungen gleich aufs Neue zu beleben.

Wie eine ausgelernte Kokette hielt sie die Nebenbuhler am langen Faden. Die Herren vom Comité des Verschönerungsvereins fingen an, ihr sammt und sonders den Hof zu machen. Die geistlichen Interessen wurden dagegen mehr vom weiblichen Geschlecht, besonders von ihren Hausgenossinnen, zwei alten Jungfern gleich ihr selbst, vertreten, aus deren Kramladen sie ihren kleinen Bedarf bezog, und die ihr dabei jedesmal die Kirchenscheiben zu Gemüth führten.

Der Nimbus ihres Reichthums und das Beispiel der Anderen zog auch solche an, die gar nichts von ihr zu erwarten hatten, und die nicht einmal etwas bei ihr suchten. So wurde Fräulein Susanne Gutbrot eine der gefeiertsten Persönlichkeiten im ganzen Städtchen.

Seit ihr Weizen blühte, war sie auch viel zugänglicher, so daß jetzt Jedermann an sie heran konnte. Nur aus ihren Gewohnheiten trat sie nicht heraus. Sie blieb trotz der Freundlichkeiten, die ihr Pfarrer und Pfarrerin erwiesen, von der Kirche fern, und ebenso widerstand sie den Einladungen zum Kaffee, mit denen die Frau Oberförsterin sie beehrte. Damit der Wettlauf um ihre Gunst nicht erlahmte, ließ sie sich gelegentlich vernehmen, sie sei alt, sie habe keine Erben; wenn sie einmal sterbe, so wisse sie jetzt wenigstens, wem ihr Geld lassen. Nur etwas Baares durfte man nicht von ihr verlangen, sonst fiel sie in einen weinerlichen Ton. Man solle doch Geduld haben, sie werde es ja so nicht mehr lange treiben; wenn sie todt sei, werde man sehen, wie sie an ihrer Vaterstadt gehangen und nur für Andere gespart und gedarbt habe.

Mit solchen Reden erzielte sie schon deshalb einen Eindruck, weil man sie ihrem Aussehen nach für bedeutend älter halten mußte, als sie war. Und nebenbei erkundigte sie sich immer heimlich, aber an Stellen, wo es weitergesagt wurde, nach einer sicheren Geldanlage in Staatspapieren.

Unterdessen waren auch ihre Verwandten nicht müßig. Ihr Neffe Albert, der jetzt das Gutbrot’sche Kurz- und Ellenwaarengeschäft führte, hatte dem Fiasco seiner Mutter und Schwester zuerst ganz ruhig zugesehen, denn bei seiner phlegmatischen Gemüthsart hielt er es gar nicht für möglich, daß das Vermögen der Tante Susanne, deren natürlicher Erbe er war, in fremde Hände fallen konnte. Erst als er die Anstrengungen sah, die von anderer Seite gemacht wurden, überzeugte er sich, daß Gefahr im Verzuge war, und eines Tages stieg auch er langsam und gewichtig die drei Treppen zu Susanne’s Wohnung hinauf, um sich der Tante in Erinnerung zu bringen.

Albert war ein Kind von sechs Jahren gewesen, als Susanne das Haus verließ, und sie hatte damals den feisten, rothwangigen Jungen gut leiden können. Als er jetzt in ihrem gepolsterten Lehnstuhl saß, die Beine von sich gestreckt und die breiten Daumen über einander geschlagen, hatte er fast noch dasselbe feiste, rothe Gesicht und dieselben langsamen Bewegungen wie damals. Eine kleine weiße Schramme auf der Stirn erinnerte die Tante daran, daß sie ihn einst aus dem Arm in das Schuheisen vor der Hausthür hatte fallen lassen. Etwas wie Wehmuth schien sie bei dieser Betrachtung zu überkommen. Sie behandelte ihn nicht mit offener Feindseligkeit wie die Anderen, sondern nur mit einem abwartenden Mißtrauen, das durch sein dickes Fell gar nicht bis in sein Bewußtsein drang. Auch ihre Schwerhörigkeit bildete für ihn kein Hinderniß, da er ihr nichts zu sagen hatte. Er ließ nur in langen Zwischenräumen einige gemeinplätzliche Reden vernehmen und musterte mit bedächtigen Blicken den aufgestapelten Altjungfernkram. Besonders zog eine messingbeschlagene Schatulle, die auf der Kommode stand, seine Augen auf sich, und er wog die zwei Möglichkeiten gegen einander ab: entweder mit dem Inhalt dereinst sein Geschäft wieder in die Höhe zu bringen oder den Handel ganz aufzugeben und sich nur noch mit dem Abschneiden der Coupons zu beschäftigen. Nachdem er eine halbe Stunde in Susanne’s Polsterstuhl gesessen, empfahl er sich, aber nur, um schon nach wenigen Tagen mit seiner Gattin Elise wieder zu kommen. Diese war eine Auswärtige, deren Anblick die Tante an keine erlittene Unbill erinnern konnte, denn sie hatte das alte Fräulein nie als Kind mit Steinen verfolgt, noch sie als junges Mädchen bei der französischen Grammatik geärgert. Aber erst als die Zwei auf den glücklichen Gedanken kamen, ihr Mäxchen mitzubringen, einen drallen, blauäugigen Bengel von drei Jahren, begann das Eis zu thauen.

Tante Susanne setzte ihre Brille auf, um den Großneffen genau zu betrachten, sie wollte ihm sogar ein freundliches Gesicht machen; da aber ihre Gesichtsmuskeln das Lächeln seit lange verlernt hatten, kam nur eine Grimasse heraus, über die der Kleine in lautes Geschrei ausbrach.

Doch die Mutter beschwichtigte ihn mit einem Stück Kandelzucker, und beim nächsten Besuch ließ er sich sogar durch einen Apfel bewegen, eine halbe Minute auf dem Schoß der Großtante zu sitzen. An diesem Tage fiel ein Sonnenblick in das verknöcherte Herz der Alten, und als sie mit runzligen Fingern die glatten, runden Wänglein des Kindes streichelte, verspürte sie ein Behagen, das ihr selber unverzeihlich erschien. Wenn Mäxchen von nun an mit seinen Eltern kam, fand er immer schon einen Apfel, der auf ihn wartete, und den er nach einem stillschweigenden Uebereinkommen auf dem Schoß der Tante Susanne verzehrte.

Von dieser Annäherung war es nur noch ein Schritt bis zur völligen Aussöhnung. Es gab ein Friedens- und Freudenfest, als Susanne nach beinahe vierzig Jahren zum ersten Mal wieder den Schauplatz ihrer Kindheit betrat. Im Hause war noch Alles, wie sie es damals verlassen hatte, nur etwas herabgekommen und unordentlich. Der Ladentisch, hinter dem sie die Malzbonbons zu verkaufen pflegte, stand an der alten Stelle, Kisten versperrten wie damals das Magazin, aber sie waren verstaubt und leer, und allenthalben roch es nach Dürftigkeit. In Susanne’s einstigem Schlafstübchen unter dem Giebel ging der Schatten ihrer eigenen Jugend in Gestalt der blonden Fanny aus und ein.

Zwischen Frau Gutbrot senior und ihrer Schwiegertochter herrschte ein etwas gespanntes Verhältniß, weshalb die zwei Parteien genöthigt waren, getrennte Wirthschaft zu führen. Aber in Gegenwart der Tante Susanne war Alles Eintracht und Liebe. Wenn sie erschien, war auch gleich ihre Nichte Fanny da und half bei der Aufwartung, denn die Gutbrot’schen griffen sich mächtig an, um die Tante Susanne zu ehren. Die verwittwete Krämerin schleppte ihre Corpulenz herunter in den ersten Stock und redete seufzend von den schönen Zeiten, wo sie mit ihrem Seligen und ihrer lieben Susanne so glücklich hier zusammen gehaust hatte.

Es versteht sich, daß jetzt auch in Susanne’s eigenem Haus die Schranke fiel, und daß die Sperrkette völlig außer Gebrauch kam. Es verging kaum mehr ein Tag, an dem nicht das eine oder das andere ihrer Angehörigen mit einem Körbchen am Arm oder einer verdeckten Schüssel ihre Treppen heraufstieg. Bald gab es einen Topf Eingemachtes von der Schwägerin, bald ein Gebäck Elisen’s zu versuchen. Fanny stickte ihr Pantoffeln und Brillenfutterale, und an den Sonntagen aß Susanne regelmäßig in der Familie. Wenn ihre guten Freunde sie besuchen wollten, so fanden sie die Alte von ihren Verwandten wie von einer Leibwache umgeben, und an ein Gespräch über Stadtbrunnen oder Kirchenscheiben war nicht mehr zu denken.

Doch auch für die Angehörigen war der Verkehr mit dem alten Fräulein nicht leicht. Was man ihr mittheilen wollte, das mußte ihr mehrmals in die Ohren geschrieen werden, und dann gab sie meist noch eine verkehrte Antwort. Natürlich nahm man sich bald nicht mehr vor ihr in Acht, und es fielen häufig Bemerkungen, die nicht für ihre Ohren berechnet waren. Besonders Fanny, die eine spitze Zunge hatte, ließ ihrer Spottsucht den Lauf, wozu das Aussehen der Tante, ihr Unkrautgärtlein und vor Allem ihr Geiz immer reichlichen Anlaß gaben. Denn die Alte nahm zwar Alles an, was man ihr brachte, und speicherte es in ihren Schubladen auf, aber sie gab niemals auch nur stecknadelgroß dagegen. Mäxchen allein bekam regelmäßig seinen Apfel, aber in weitere Unkosten stürzte sie sich auch um seinetwillen nicht.

Sich selber gönnte sie freilich ebenso wenig. Sie lebte noch genau so sparsam wie zu Anfang, sie ließ sich das Essen aus einem nahen Wirthshaus holen, wusch selber die Teller auf und trug noch immer das gleiche schmierige Fransentüchlein auf den schneeweißen Haaren.

Auch sonst behielt sie ihre alten Gewohnheiten bei. Sie legte sich noch immer nach dem Abendessen ihre fettgewordenen Karten, um die Zukunft zu befragen, und wenn ihre Nichte sie bei dieser Beschäftigung fand, gab es regelmäßig für die Umstehenden einen Riesenspaß.

Das junge Mädchen sah ihr über die Schulter und sagte, ohne die Stimme zu erhöhen:

»Ist der Bräutigam schon unterwegs, Tante Susanne?«

»Was sagst Du, Fanny?«

»Ich frage, ob die Karten gut stehen?« schrie nun diese aus vollem Halse.

»Ich hörte doch etwas von ›unterwegs‹,« sagte die Tante mißtrauisch.

..Ich fragte, ob heute keine schlechten Karten um den Weg sind,« schrie die Nichte abermals.

»Freilich, die da, die schwarze, war mir immer im Weg.« Dabei zeigte sie auf Piquedame und schoß zugleich einen tückischen Blick nach der schwarzgekleideten Schwägerin.

»Sie wird eifersüchtig auf Dich sein, alte Vogelscheuche,« antwortete das Mädchen wieder mit seiner natürlichen Stimme und setzte unter dem heimlichen Kichern der Anderen diese Posse fort, bis Susanne ihr Spiel zusammenpackte und ärgerlich sagte:

»Es geht nicht auf. Soll ich Dir die Karten legen, Fanny?«

Nun reckte Alles die Hälse. Susanne breitete ein neues Spiel aus, legte mit unendlicher Geduld die Karten von rechts nach links und von links nach rechts und orakelte dabei von einer Heirathsaussicht, der noch Schwierigkeiten im Wege stünden. Aber gewöhnlich kamen die glücklichen Rothen dazwischen und brachten eine große Erbschaft oder einen Geldbrief, wodurch sich Alles nach Wunsch gestaltete.

»Wenn nur die Tante wollte,« pflegte alsdann die alte Krämerin, die nicht die Zartfühlendste war, zu äußern, »so hätten wir bald eine Hochzeit im Hause.«

Es verkehrte seit einiger Zeit ein eleganter junger Assessor in der Familie, der der hübschen Fanny die Cour machte und offenbar nur auf den Tod der Tante wartete, um sich zu erklären. Fanny war über Hals und Kopf in des Assessors feine Wäsche und gewandte Manieren verschossen und wollte von keiner anderen Partie etwas wissen. Tante Susanne fragte häufig in wohlwollendem Tone nach ihm, als ob sie die jungen Leute in ihren Hoffnungen bestärken wollte. Deshalb war die alte Gutbrot, die sich in den Assessor mit verliebt hatte, sobald sie der Tante unter vier Augen habhaft werden konnte, mit Anspielungen hinter ihr her, daß sie ihrer Nichte noch zu Lebzeiten eine Mitgift aussetze – Anspielungen, die trotz ihrer Deutlichkeit nie verstanden wurden.

Nur Frau Elise verstand sie und lebte in beständiger Furcht, Fanny könnte bei der Theilung vor ihrem Bruder bevorzugt werden. Daher lag sie immer auf der Lauer, um ihre Schwiegermutter nicht mit Susanne allein zu lassen, und wenn sie diese der Alten schönthun sah, äußerte sie halblaut in bissigem Ton:

»Meint Ihr, wir haben für Euch die Kastanien aus dem Feuer geholt?«

Susanne mit dem Strickzeug in der Hand ließ gute und böse Reden über sich hinweg gehen. Sie saß hinter ihrer Brille, ihren Runzeln und ihrer Schwerhörigkeit wie hinter einer dreifachen Schanze und beobachtete still.

Der Einzige, der in seinem Verkehr mit der Tante Susanne einen Schein von Uneigennützigkeit wahrte, war ihr Neffe Albert. Er lachte auch niemals mit, wenn Fanny ihre Späße machte; sein feistes unbewegliches Gesicht war gar nicht im Stand, eine humoristische Regung auszudrücken. Auf diesem Gesicht ruhten die Augen der Tante Susanne oft mit einem forschenden Ausdruck.

Das Innere der Tante Susanne durchschaute Keiner. Man wußte nicht, wen sie bevorzugte, noch wer ihr mißfiel, man wußte überhaupt nicht, was in ihr vorging.

Oft schien es, als ob sie mißtrauisch die Mienen ihrer Anverwandten beobachte und tückische Gedanken spinne; dann wieder saß sie da, als könnte sie kein Wässerlein trüben. Mitunter konnte man glauben, es mache ihr ein boshaftes Vergnügen, die Leute sich blau schreien zu lassen; denn es kam vor, daß sie sich ein und dasselbe Wort ein halbes Dutzend Mal wiederholen ließ, ein andres Mal aber, als Fanny mit ihrer natürlichen Stimme gegen Dritte eine gleichgültige Bemerkung gemacht hatte, drehte sie sich um und sagte: »So!«

»Hast Du mich denn verstanden, Tante?« fragte Fanny verblüfft.

»Ja freilich, bei Ostwind verstehe ich Alles,« antwortete Susanne gelassen.

Fanny wurde roth und blaß, denn sie wußte nicht, ob sie nicht auch zuweilen bei Ostwind eine ihrer impertinenten Bemerkungen gemacht hatte; aber das runzlige Gesicht der Alten blieb undurchdringlich.

Die viele Pflege, die sie jetzt genoß, schlug ihr sichtlich an, ihre Gesundheit besserte sich, und sie sah zuweilen aus, als könnte es ihr einfallen, achtzig Jahre alt zu werden.

Eines Tags, als Mäxchen allein bei ihr in der Mansarde saß, hörte der Kleine plötzlich zu spielen auf und sagte:

»Tante!«

»Was willst Du, Mäxchen?« fragte sie.

»Wann wirst Du denn abkratzen, Tante?«

»Was verstehst Du unter Abkratzen, liebes Mäxchen?« fragte die Tante, indem sie herzutrat.

Das Kind sah sie mit starren Augen an und vermochte keine Erklärung zu geben. Endlich sagte es:

»Papa hat neulich gesagt: Wann wird denn die alte Schachtel einmal abkratzen?«

Der Apfel, den die Tante soeben vom Schrank heruntergelangt hatte, wanderte wieder unter den Vorrath zurück.

»So, so,« sagte sie mit ihrem boshaften Lächeln und sah den Kleinen aufmerksam an, um in dem kindlichen Gesicht die ihr so tief verhaßten Gutbrotschen Familienzüge zu suchen.

»So, so,« wiederholte sie noch ein paar mal ganz befriedigt, wie wenn sie etwas sehr Angenehmes vernommen hätte. Es war, als wäre sie durch Mäxchens Mittheilung erst so recht mit sich selber in Harmonie gesetzt worden.

»Wird es Dir nicht leid thun, Mäxchen,« fragte sie dann im freundlichsten Ton, den sie aufbringen konnte, »wenn die schwarzen Männer Deine arme alte Tante auf den Kirchhof tragen?«

Doch der Kleine zeigte keinerlei Bewegung, sondern fragte begierig dagegen:

»Nimmst Du alle Deine Sachen mit, wenn Du in dem schwarzen Koffer auf den Kirchhof fährst?«

»Jawohl, alle,« antwortete die Tante.

Am Morgen nach jenem Gespräch legte Tante Susanne ihren schwarzen Kaschmir an und fuhr in die Residenz.

Als sie von dort zurück war, änderte sie ihre ganze Lebensweise. Sie nahm ein Dienstmädchen, richtete sich eine Küche ein und ließ das Essen nicht mehr tragen, sondern kochte selbst. Auch ein neues Fransentüchlein nebst einem guten warmen Castormantel hatte sie mitgebracht, und – worüber ihre Bekannten fast auf dem Kopf standen – sie hatte sich in der Residenz beim ersten Photographen photographiren lassen; in ganz großem Cabinetformat, mit ihrer langen Nase und ihrem Bärtchen, mit Shawl und Fransentüchlein, den Regenschirm in der Hand stand sie da, wie sie leibte und lebte. Sie zeigte das Bild Jedem, der es sehen wollte, und erzielte damit im ganzen Städtchen einen unerhörten Heiterkeitserfolg.

Nur der Familie Gutbrot verging das Lachen. Sie rechneten sich aus, was alle diese Neuanschaffungen gekostet hatten, und jammerten laut über die Extravaganzen der alten Närrin; »denn,« sagten sie, »es geht ja Alles vom Unsrigen.« Die Frauen lagen ihrem Albert in den Ohren, daß er die Verschwenderin unter Curatel stellen lasse, bevor sie ihr Geld vollends gar für die Hirngespinnste des Verschönerungsvereins oder für die Erfüllung pfarrherrlicher Wünsche verplempere. Und da Albert der unvernünftigen Forderung seinen passiven Widerstand entgegensetzte, kehrten die Drei, die ohnehin von seiner Energie nicht die günstigste Meinung hatten, ihre ganze Galle gegen ihn und redeten von dem Familienhaupt nur noch als »Dummerjahn« und »Schlafmütze«.

Unter Susannen’s Bekannten wollte man ganz bestimmt wissen, daß ihr jetzt noch zu all’ ihrem Reichthum hin eine große Erbschaft zugefallen sei. Die jüngeren Leute, die weiter gar nichts von ihr wußten, als daß sie einen Flecken in ihrer Vergangenheit und sehr viel Geld habe, brachten diese beiden Dinge mit einander in Verbindung und erzählten, der Besitzer jener Firma, deren Agentur sie innegehabt, sei in früheren Jahren ihr Liebhaber gewesen und habe sie bei seinem Tode zur Universalerbin gemacht.

Sie selber ließ sich auf keine Erklärung ein; sie sagte bloß, wenn ihr Jemand auf den Zahn fühlen wollte, sie sei jetzt, Gottlob, so gestellt, daß sie sich etwas erlauben dürfe.

Aber die Aenderung all’ ihrer Lebensweise kam ihr schlecht zu statten, und noch hatte sie es nicht lange so getrieben, als es mit ihrer Gesundheit bergab ging.

Eines Morgens fand man sie auf einer Seite gelähmt, aber bei klarem Bewußtsein. Sie verlangte, ins Spital gebracht zu werden, doch die Familie widersetzte sich. Der Gedanke an den Arzt und die Krankenschwestern flößte den guten Leuten einen wahren Schrecken ein, und jede Person, die das Zimmer der Kranken betrat, stand bei ihnen im Verdacht der Erbschleicherei. Sie trieben die herbeigeeilten Freunde fast mit Gewalt von hinnen und quartierten sich in einer Kammer der elenden Mansardenwohnung ein, um abwechselnd bei der Kranken zu wachen.

Und das muß man ihnen lassen: was nur die zärtlichste Liebe vermocht hätte, das thaten die drei Frauen für die zänkische alte Tante. Ihre Schwägerin schleppte sie mit Fannys Hülfe von einem Bette zum andern und gab ihr löffelweise die Nahrung ein. Aber auch Elise pflanzte sich am Krankenlager auf und war nicht zu vertreiben. Sie köchelte für die Patientin und brachte ihr feine Weine. Und indem Susanne immer die Eine gegen die Andere ausspielte, nährte sie eine stete Eifersucht, die sich zwar in ihrer Gegenwart nur durch den Wettstreit der Aufmerksamkeiten äußerte, aber hinter der Thür des Krankenzimmers oft genug in scharfen Worten und feindseligem Betragen losbrach.

Nur wenn von außen Jemand erschien, um nach Susannen’s Ergehen zu fragen, standen die Drei zusammen und wehrten wie Löwinnen jeden Eindringling ab. Keine fremde Hand durfte ihre Patientin berühren, ja sie duldeten nicht einmal die Handreichungen des Dienstmädchens. Den Pfarrer, dessen Besuch sie nicht verhindern konnten, beobachteten sie unter tausend Aengsten und erschwerten es ihm wenigstens durch fortgesetzte Unterbrechungen, von seinen Kirchenscheiben zu reden.

Die Frage, wem Tante Susanne ihren Besitz vermachen werde, beschäftigte die ganze Stadt, am meisten, wie begreiflich, die Familie Gutbrot. Die messingbeschlagene Schatulle, die auf der Kommode stand, war das Ziel aller Gedanken und häufig genug der Gegenstand wechselseitiger feindseliger Anspielungen der Verwandten. Keines gönnte dem Anderen sein Theil, und doch mußte, nach den Zinsen zu schließen, die jeden Ersten auf der Residenz eintrafen, das Kapital groß genug sein, um Alle glücklich zu machen. Diese Zinsen schloß Susanne, sowie sie ankamen, eigenhändig in der Schatulle ein, die man ihr vors Bett stellen mußte, und beim Oeffnen konnte man sehen, wie hoch die Schatulle mit Werthpapieren angefüllt war, lauter wohlsortirten einzelnen Päckchen in blauen Umschlägen.

Susanne schwelgte jetzt förmlich in Bosheit und genoß ihre Macht noch einmal aus dem Vollen. Sie war mit nichts zufrieden, klingelte hundertmal des Tags, warf die Kissen auf den Boden, goß die Suppe um, ließ sich auskleiden, ankleiden, vom Bett aufs Kanapee und vom Kanapee nach dem Bette tragen, daß ihre Umgebung der Mühsal beinahe erlag. Die alte Gutbrot brach auch wirklich zusammen und wurde selber bettlägerig, aber die Jungen setzten ihren Wettlauf fort, ohne sich um ihre Mutter und Schwiegermutter zu kümmern, die jetzt hülflos zu Hause lag.

Durch die ständige Drohung: »Ich lasse mich ins Spital tragen,« erhielt Susanne ihre Pflegerinnen willfährig. Aber nicht nur gepflegt wollte sie sein, sondern auch unterhalten. Sie ließ sich von Elise die Zeitung vorlesen vom ersten bis zum letzten Wort, und Fanny mußte mit ihr Damen ziehen oder die schmutzigen Karten auf der Bettdecke ausbreiten, und sobald das Geringste versehen wurde, gab es die schnödesten Reden.

Dabei durfte man keinen Gegenstand im Zimmer berühren, sonst schrie sie gleich, man wolle sie bei lebendigem Leibe beerben. Das baare Geld nahm sie recht auffällig wieder aus der Schatulle, als ob es dort nicht sicher wäre, und versteckte es unter ihr Kopfkissen. Durch dieses Gebahren machte sie die beiden Wärterinnen so mißtrauisch gegen einander, daß immer eine der anderen auf die Finger sah.

Sie lag wie ein Teufel in ihrem Bett mit ihren Runzeln und ihrer spitzigen Nase, daß, wer sie sah, sich vor ihr fürchtete.

Der Assessor kam täglich, sich nach ihrem Befinden zu erkundigen und brachte ihr Blumen, an denen sie sich zu ergötzen schien.

Da noch eine vorübergehende Besserung eintrat, ließ sie sich eine Krücke anfertigen, mit der sie durchs Zimmer gehen wollte; aber ihre Wärterinnen duldeten es nicht, und vier jugendliche Arme waren immer bereit, sie zu heben und zu stützen.

Eines Tages endlich, als sie sich etwas besser fühlte, begehrte sie ihr Testament zu machen. In aller Stille wurde der Notar mit den Zeugen geholt, und sie bestand darauf, daß auch der Arzt zugegen sei, um die geistige Gesundheit der Erblasserin zu beglaubigen. Denn, sagte sie jeder Partei geheimnißvoll, es müsse bei Zeiten ein Riegel vorgeschoben werden, daß nicht der andere Theil nach ihrem Hingang sich herausnehme, das Testament anzufechten.

Als das vorüber war, schien sie eine große Erleichterung zu empfinden. Sie ließ die Familienmitglieder nach einander vor ihr Bett kommen, dankte Allen und versicherte Jedem einzeln, daß sich die Größe ihrer Dankbarkeit erst nach ihrem Tode offenbaren werde.

Zu Fanny sagte sie:

»Du bist zu edel, ich verdien’ es gar nicht um Dich, denn ich habe Dich nie leiden können.«

Worauf diese gutmüthig erwiderte: »Ach, Tante, mach Dir doch keine Gedanken darüber,« denn ihr eigenes Gewissen war auch nicht rein.

Darauf rief sie Albert und Elise und führte mit diesen die gleiche Scene auf.

Nachdem sie ihre Umgebung noch wochenlang bis aufs Blut gequält hatte, verschied sie einmal ganz plötzlich über ihren Karten.

Ein zahlreiches Geleit folgte ihrer Bahre. Der Verschönerungsverein legte durch die Hand des Oberförsters seiner Gönnerin einen schönen Kranz aufs Grab. Unter den vielen Blumenspenden fiel auch ein sinniges, aus weißen Rosen gebundenes Bouquet des Assessors mit reichen Schleifen auf. Als der Pfarrer am offenen Grabe, wie gewöhnlich, den Lebensgang der Verblichenen erzählte, streifte er schonend über das Mißverständniß hin, das sie eine Zeitlang ihren Mitbürgern entfremdet hatte, und verweilte um so eingehender bei der Darstellung ihrer Tugenden und Verdienste.

»Wie oft haben wir sie hier stehen sehen,« sagte er, »bei Wind und Wetter, bei Sonne und Regen, in ihrem bescheidenen schwarzen Trauergewand, wenn es galt, einem Mitbürger die letzte Ehre zu erweisen, und ihre Thräne fehlte auch dem Aermsten nicht. Wir werden sie hier nie wieder stehen sehen. Aber freuen wir uns, meine Geliebten, daß wir sie dereinst wiedersehen werden im Glanze, dort, wo die irdischen Gebrechen verschwunden sind und die Seele in fleckenloser Reinheit ihrem himmlischen Bräutigam entgegenschwebt.«

Unserm guten Pfarrer war es ohne Zweifel Ernst mit dem, was er sagte; denn der Glanz, in dem er die verewigte Susanne stehen sah, ging von den gemalten Kirchenscheiben aus, die sie ihm noch auf dem Todtenbette vorgespiegelt hatte.

Aber für uns Kinder war es eine schwere Aufgabe, uns die böse, zänkische Alte im weißen Unschuldsgewand mit Flügeln an den Schultern vorzustellen. Ich erinnere mich noch genau des Eindrucks, denn ich war aus Neugier heimlich von Hause weggelaufen, um beim Begräbniß der alten Susanne zuzusehen. Und noch etwas Anderes ist mir ganz lebhaft im Gedächtniß: als die erste Erdscholle, von der Hand des Herrn Albert Gutbrot geworfen, auf Susannen’s Sarg niederkollerte, da scholl es wie ein rauhes, polterndes Gelächter aus dem offenen Grabe, und ich lief in hellem Schrecken davon, bevor die Ceremonie zu Ende war.

Einige Tage nach der Beerdigung wurde auf dem Amtsgericht das Testament verlesen. Dasselbe war dem Notar in Gegenwart der Zeugen von der Erblasserin verschlossen übergeben worden, und keine Seele hatte von dem Inhalt Kenntniß. Nur die gesetzlichen Erben waren geladen. Aber eine Anzahl Neugieriger, die durch die Geschwätzigkeit des Amtsdieners den Termin erfahren hatten, drängte sich in den Vorraum ein, und einige von ihnen wußten es bei der mangelnden Aufsicht einzurichten, daß sie hinter der Thür die Verlesung des Testaments mit anhörten. Durch diese verbreitete sich der Inhalt blitzschnell über die ganze Stadt und wurde zu allererst dem Assessor mitgetheilt, der in dem gegenüber liegenden Kaffeehaus die Zeitung las.

Das Testament lautete:

»Ich, Anna Susanna Gutbrot, pensionirte Lehrerin an der Mädchenschule, setze bei voller geistiger Gesundheit nachstehend meinen letzten Willen auf und bedaure nur, daß ich nicht persönlich zugegen sein kann, wenn dieses Schriftstück verlesen wird.

»Nachdem ich mein kleines, von den Eltern ererbtes und durch meine Sparsamkeit verdoppeltes Baarvermögen in eine Rente verwandelt habe, die mit meinem Tode erlischt, wäre ich der Mühe enthoben, noch ein Testament zu machen, wenn ich nicht zum Dank für erwiesene große Liebesdienste einige Legate auszusetzen gedächte.

»Zuvor aber habe ich noch ein Wort mit meinen Mitbürgern und Verwandten zu reden.

»Durch Euren Neid und Geiz, Eure Bosheit und Dummheit habt Ihr mich um meine Jugend betrogen und mein Leben vergiftet. Als ich jung und hübsch war, habt Ihr mich verleumdet und verfehmt. Als ich alt und häßlich wurde, habt Ihr mich verfolgt und verspottet. Weil ich blonde Haare hatte und ein feines Gesicht, wurde ich aus der Gemeinschaft der Menschen ausgestoßen. Weil ich weiße Haare und eine spitzige Nase bekam, warf man mit Steinen nach mir.

»Ihr Junge werdet sagen: das war lange vor unserer Zeit. Aber das ist mir gleichgültig. Ihr zwitschert ja doch nur, wie Eure Alten gesungen haben, denn Neid und Geiz, Bosheit und Dummheit sind unter Euch unsterblich, sie wechseln nur die Person. Darum habt Ihr meinen Haß in gerader Linie von Euren Eltern geerbt. Ich habe ihn vierzig Jahre lang in mir angesammelt und Zinsen zu Zinsen geschlagen. Vom Haß gegen Euch habe ich mich genährt, wenn ich darbte, und wenn eine Krankheit mich niederwarf, der Haß machte mich wieder gesund. Man hat mir vorgeworfen, daß ich nicht einmal die Thiere liebte, wie es einer rechtschaffenen alten Jungfer zukommt, und es ist wahr: ich konnte sie nicht leiden, weil sie Euch ähnlich sind. In Katzen und Möpsen, in Papageien und Affen sah ich immer Eure Züge und Eure Art. Nur die Pflanzen habe ich geliebt, die stillen, unschuldigen, und am meisten die, von denen ihr nichts wissen wollt. Mein einziges Glück war mein Gärtlein, das Ihr so lächerlich fandet: das Asyl für die verstoßenen Kinder der Pflanzenwelt.

»Ich habe gelebt von der Hoffnung auf eine späte Genugthuung, die ich mir langsam vorbereitet habe, und Eure Habsucht hat sie mir glänzender beschert, als ich erwartete. So wisset denn: die falschen Gerüchte von meinem Reichthum habe ich selber in Gang gebracht. Fragt nur auf dem Steueramt, wo ich Kapitalien fatirte, die ich nie besaß. Uebrigens habe ich Euch nie über meine Vermögensverhältnisse belogen. Man täuscht Euch ja am bestem, wenn man Euch die Wahrheit sagt. Euer eigener Geiz hätte es Euch bestätigen müssen, was ich Euch immer wiederholte, daß eine alte, unglückliche Person nicht in der Lage ist, Reichthümer zu sammeln. Aber Ihr seid dumm und blind ins Garn gelaufen, und es war mir ein königliches Vergnügen, mich so in meinen späten Jahren umschmeichelt und umkrochen zu sehen.

»Die Herren vom Verschönerungsverein und der Herr Pfarrer werden es vielleicht nach dem Gesagten verstehen, warum ich für gut fand, mein bißchen Geld einer Leibrentenanstalt zu schenken. An den paar Tagen Wohlleben lag mir nichts mehr, und ohnehin sorgte die späte Zärtlichkeit meiner Verwandten für meine Bedürfnisse. Aber es könnte ja sein, daß die Menschen wirklich durch den Anblick eines schönen Brunnens und gemalter Kirchenscheiben besser würden, und das thäte mir leid. Ich wünsche, daß Dummheit und Bosheit weiter blühen wie bisher, denn ich sehe nicht ein, warum Andere glücklicher sein sollen als ich. Vielmehr hoffe ich zu Gott, daß Ihr fortfahren werdet, Euch gegenseitig all’ das Leid anzuthun, das ich Euch von ganzem Herzen wünsche.

»Damit aber doch meine Freunde nicht völlig leer ausgehen, hinterlasse ich dem löblichen Verschönerungsverein meine Photographie, die er ausstellen mag, wo er es für gut findet, und meinen verehrten Seelsorger bitte ich, meine Brille anzunehmen, damit er Menschen und Dinge etwas deutlicher erkennen lernt.

»Zur Bestreitung der Leichenkosten wird die noch vorhandene kleine Baarschaft nebst dem Erlös aus meinen Möbeln genügen.

»Und jetzt zu Euch, meine lieben Angehörigen!

»Mein Gehör, das, Gottlob, immer vortrefflich gewesen ist, hat mich in den Stand gesetzt, Euch gründlich kennen zu lernen. Es freut mich, sagen zu dürfen, daß Ihr Einer des Anderen würdig seid und Keiner unter Euch war, der mich gezwungen hätte, meine Meinung von den Menschen im Allgemeinen und von den Gliedern meiner Familie insbesondere zu ändern.

»Ueber den Rest meiner Habe verfüge ich zu Euren Gunsten wie folgt:

»Die Schatulle, die auf meiner Commode steht, und die Euch Alle so viel beschäftigt hat, soll mit ihrem ganzen Inhalt an meinen Neffen Albert als das jetzige Haupt der Familie übergehen. Doch stelle ich die ausdrückliche Bedingung, daß er die darin befindlichen Papiere nicht zu persönlichen Zwecken, sondern nur in das Geschäft verwenden darf.

»Und damit er sich den Kopf nicht zu zerbrechen braucht, will ich ihm sogleich sagen: er findet in der Schatulle die alten Schulhefte meiner französischen Classe, die ihm zum Einwickeln von Pfeffer und Schnupftabak gute Dienste leisten werden.

»Für die gefällige Elise, seine Gattin, habe ich ein gesticktes Tüchlein ausgesucht, um sich daran den Mund zu wischen.

»Meiner witzigen Nichte Fanny hinterlasse ich mein altes Kartenspiel und wünsche, daß es Ihr einmal an den einsamen Abenden, die nicht ausbleiben werden, die Zeit so gut vertreiben möge wie mir selber.

»Jetzt ist noch meine Schwägerin Auguste zu bedenken, die ich stets als die erste Ursache meines Unglücks betrachtet habe. Ihr wünsche ich zur Vergeltung nichts als ein langes Leben in der Mitte der Ihrigen. Zum Andenken an mich soll sie die Krücke erhalten, die ihr an ihrem Lebensabend nützlicher sein wird als mir, da sie schwerlich so viele Hände bereit finden wird, sie zu heben und zu tragen.

»Auch der Herr Assessor, dessen zartsinnige Aufmerksamkeiten mir so wohl gethan haben, soll nicht vergessen sein. Ich habe eine Strähne meiner Haare für ihn abgeschnitten, die man in meinem Schrank mit den anderen legirten Gegenständen finden wird. Er kann sie zu einem Ringe flechten lassen oder in einem Medaillon auf der Brust tragen – zum dauernden Andenken an die gemeinsam zugebrachten schönen Stunden.

»Mein Gärtlein aber vermache ich den Schmetterlingen und den Vögeln des Himmels. Keines Menschen Fuß soll es betreten, Niemand soll von seinen Früchten genießen. Zum ewigen Wahrzeichen soll es stehen bleiben und meinen Haß noch den späten Geschlechtern ansagen. Verflucht sei die Hand, die es wagt, meinen Boden umzugraben, verflucht sei der Mund, der von meinen Beeren nascht, verflucht, wer nur eine Latte von meinem Zaune bricht. Und wenn es eine Wiederkehr von jenseits des Grabes gibt, so werde ich sicher kommen, um den Uebertreter meines Verbots zu peinigen.«

So schloß das Vermächtniß der Tante Susanne.

Ich weiß nicht, was die Erben für Gesichter dazu gemacht, noch ob sie ihre Legate angetreten haben. Ich weiß nur, daß das Gutbrot’sche Geschäft trotz der geerbten Schatulle vollends ganz zu Grunde gegangen ist, und daß die Glieder der Familie sich dürftig und gedrückt durchs Leben schlagen mußten. Die alte Gutbrot lebte noch viele Jahre, von der Gicht gequält und noch mehr von den Launen der alternden Fanny, die später als Stütze der Hausfrau in eine fremde Familie eintrat.

Der Assessor heirathete eine reiche Fabrikantentochter und wurde bald nach auswärts in eine höhere Stelle berufen.

Was Monumentalbrunnen und gemalte Kirchenscheiben betrifft, so gehören sie noch heutigen Tages unter die frommen Wünsche der Bürgerschaft. Der Pfarrer starb über seinen Bemühungen weg, und der Stadtschultheiß, der die nöthigen Summen noch immer nicht auftreiben konnte, behilft sich nach wie vor ohne den Bürgermeisterstitel.

Das Gärtchen blieb als Wahrzeichen stehen, wie Susanne es verlangt hatte. Der Zaun zerfiel, aber die Berberitzen und Stachelbeerhecken wucherten immer dichter und bildeten schließlich ein fast undurchdringliches Geflecht. Niemand wagte mehr den Fuß hinein zu setzen, nachdem einmal ein fürwitziger Junge sich dort vor Schreck beinahe den Tod geholt hatte. Er wollte bei Nacht die kleine, von Gestrüpp umwachsene Lattenthür umreißen, um zu den Cornelkirschen zu gelangen, – da richtete sich im Innern des Gärtchens eine gebückte weibliche Gestalt aus den Rabatten empor und schwebte mit flatterndem Gewande dem Störenfried entgegen, der von dem Schreckniß eine Krankheit davontrug und lange Zeit brauchte, um sich zu erholen.

Zwar suchten ihn später aufgeklärte Geister zu überzeugen, daß er nur einen vom Winde bewegten Zeuglappen gesehen habe, der von der Seligen noch bei Lebzeiten als Diebs- und Vogelscheuche dort aufgehängt worden war, aber er ließ es sich nicht nehmen, die Tante Susanne sei ihm in eigener Person erschienen, mit dem Fransentüchlein auf dem Kopf, vom langen Shawl umflattert, und habe ihn von ihren »Dürrlitzen« zurückgescheucht. Dieses Abenteuer hatte zur Folge, daß das Gärtlein unangetastet blieb als Tummelplatz für Schmetterlinge und Vögel, wodurch das Vermächtniß der Tante Susanne buchstäblich in Erfüllung ging.

Endlich kam der Staat, der nicht viel Federlesens macht, und legte seine Eisenbahn mitten durch das verwunschene Gärtlein, wobei es dem Erdboden gleich gemacht wurde. Da dem Ingenieur, der die Niederreißung anordnete, kein rächendes Gespenst erschienen ist, darf man annehmen, daß der Geist der Tante Susanne jetzt versöhnt sei und Ruhe habe. Auch ihr Fluch scheint endlich von der Bürgerschaft genommen zu sein, denn Kleinlichkeit und Klatschsucht sind im Rückgang begriffen, seitdem das Städtchen durch seine Zweigbahn dem großen Schienennetz des Landes angeknüpft ist.