von Ludwig Thoma

Aus: Pistole oder Säbel? Verlag Albert Langen, München

Es klopfte, und der Königliche Amtsrichter Josef Amesreiter rief: „Herein!“ Dann erschien unter der Türe Frau Realitätenbesitzerswitwe Karoline Zwerger. Eine hübsche, junge Frau mit angenehmen Rundungen, da wo sie am Platze sind.

Sie führte an der Hand ein kleines Mädchen von sieben Jahren, welches verschämt zu Boden blickte.

Auch Frau Zwerger war in einiger Verlegenheit, wie das vielen Leuten geschieht, wenn sie mit Behörden in Berührung kommen.

Und dann schielte der Herr Amesreiter so merkwürdig über seine Brillengläser hinaus und schaute sie ganz sonderbar an.

Vielleicht meinte Frau Zwerger…? Aber das war ausgeschlossen.

Denn Amesreiter war ein sogenannter glänzender Jurist, hatte das Staatsexamen mit 1 gemacht und war sohin zeugungsunfähig.

Nein, an so etwas dachte er nicht.

Er schaute überhaupt immer so, und Frau Zwerger brauchte nicht rot zu werden.

„Also, was wollen Sie?“

Die junge Frau wollte, nicht wahr, dieses Kind also, ihr Mann nämlich war gestorben, und weil sie selber keine Kinder hatten, dieses Kind also zu sich nehmen.

Gut, oder vielmehr nicht gut.

Was heißt zu sich nehmen?

Was sollen diese unklaren Worte in einem klaren Rechtsgeschäfte?

Frau Karoline Zwerger wollte vermittels der adoptio oder Wahlkindschaft, und zwar vermittels der adoptio in specie minus plena, wozu sie nach erstem Teil, fünftes Kapitel, Paragraph elf bereits in der Geltungszeit des Codex Maximilianeus Bavaricus als Weibsperson berechtigt war, an Kindes Statt annehmen die miterschienene Franziska Furtner.

Ist es nicht so?

Und wenn es so ist, Frau Zwerger, warum sagen Sie dann „zu sich nehmen“?

Warum sind Sie nicht imstande, Ihrem auf Prospektion eines Rechtsgeschäfts gerichteten Willen deutlichen Ausdruck zu verleihen?

Die rundliche Frau weiß es nicht, aber sie weiß, daß dieser lange Mensch mit den vorquellenden Augen, der sie mit seiner Gelehrsamkeit anspuckt, ein königlicher Richter ist, eine Respektsperson.

Und darum wagt sie es nicht, sich darüber innerlich klar zu werden, daß er trotz Stellung und Gelehrsamkeit ein recht saudummer Kerl ist.

Ein Viech mit zwei Haxen, wie der Realitätenbesitzer Nepomuk Zwerger — Gott hab ihn selig — immer zu sagen pflegte.

Nein, sie wagte es nicht; sie beantwortete, eine Stunde lang, die blödesten Fragen, welche der Exameneinser Josef Amesreiter an sie stellte, und wenn ihr manches sonderbar erschien, dann dachte sie bescheiden, daß ihr schlichter Verstand nicht hinreiche, die geheime Weisheit zu sehen.

Endlich war die adoptio minus plena fertig.

Da sagte Frau Zwerger zu dem kleinen Mädchen:

„So, jetzt bedank Dich auch recht schön beim Herrn Amtsrichter, und mach ein Kompliment und gib ihm Dein Blumenbukettl.“

Fannerl knixte, wie man es in der Schule bei den englischen Fräulein lernt, und streckte ihr Sträußchen dem gestrengen Herrn hin.

Es waren zwei Rosen und drei gesprenkelte Nelken.

Eine solche Tathandlung war dem Josef Amesreiter noch niemals begegnet, und er geriet in einige Verlegenheit.

Jedoch, bevor er sich besann und den Fall richtig prüfte, hatte er die Blumen in der Hand und war Frau Zwerger mit der Adoption verschwunden.

Er ging einige Male auf und ab und überlegte.

Diese Sache war nicht einfach.

Es lag eine Schenkung vor, unleugbar, eine donatio inter vivos, und überdies konnte sie als der Belohnung halber geschehen sein.

Dies aber war unverträglich mit dem richterlichen Amte.

Wie gesagt, Amesreiter überdachte mit juristischer Schärfe dieses Geschehnis und fand nach eifrigem Suchen den richtigen Ausweg.

Er befahl dem Schreiber, das Protokoll noch einmal vorzunehmen und diktierte.

„Nachtrag — haben Sie?“

„Nachtrag.“

„Erstens:

Nach Abschluß des Protokolles übergab das Wahlkind auf Betreiben der Wahlmutter dem unterfertigten Richter fünf Blumen — fünf Blumen.

Halten Sie, was sind das für Blumen?“

„Zwoa Rosen,“ sagte der Schreiber, „und dös andere san Nagerln, Nölken!“

„So? So — — also schreiben Sie:

…. fünf Blumen, Komma, welche diesgerichtlich als zwei Rosen und drei Nelken bezeichnet wurden.

Zweitens:

Der unterfertigte Richter nahm die obengenannten Blumen an, in der Erwägung, daß die Annahmeverweigerung das natürliche Gefühl der Dankbarkeit in dem Wahlkinde zu ersticken geeignet war.

Drittens:

Fünf Blumen mit Akt an den Herrn Gerichtsvorstand mit dem Ersuchen um geneigte Rückäußerung, ob gegen die Annahme Bedenken bestehen.“

So, das war geschehen.

Und der Schreiber wickelte um die Rosen und die gesprenkelten Nelken einen blauweißen Faden und legte sie zwischen die Aktendeckel, wo sie baldigst erstickten, wie alles frische Leben, das in Aktendeckel gelangt.

Josef Amesreiter aber fühlte sich in gehobener Stimmung.

Er hatte gehandelt, wie man es von einem Einser erwarten durfte.

Von einem Viech mit zwei Haxen, wie der selige Herr Zwerger zu sagen pflegte.