Von Ludwig Thoma
Aus: Pistole oder Säbel. Verlag Albert Langen, München
Der Rechtsanwalt Isak Tulpenstock war nach einigen Vermahnungen an das Kanzleipersonal soeben im Begrif-fe, sich in das Landgerichtsgebäude zu begeben, als ihm der Besuch des Oekonomen Mathias Salvermoser gemel-det wurde.
»Was für ein Volk, diese Bauernlümmel! Immer in der letzten Minut! Immer zu spät! Gerad’ als ob … lassen S’ ihn rein!«
Salvermoser hatte auf die Erlaubnis nicht gewartet, son-dern war schon hinter dem Schreiber eingetreten.
»Nu, was wollen Sie?« fragte Tulpenstock immer noch ärgerlich.
»A Frag hätt i, Herr Dokta.«
»Wenn’s ein gescheite Frag is, kommen Sie später. Ich muß zum Gericht.«
Salvermoser verlor seine Ruhe nicht.
»Nacha geh’ i halt mit,« sagte er, »i ko Eahna ja auf’m Weg aa frag’n.«
Tulpenstock bedachte, daß ein unangenehmer Klient bes-ser ist als keiner, und ließ es zu, daß der Oekonom neben ihm her ging.
Es war ihm peinlich, weil die Leute sich nach ihnen umsa-hen und weil Salvermoser mit seinen Stiefeln auf dem Bürgersteige einen sehr unfeinen Lärm machte.
»Nu, rücken Sie halt emal raus mit der Sprach!« sagte er ungnädig; »was haben Sie für eine Frag?«
Mathias Salvermoser blinzelte ein wenig mit dem linken Auge, dann stieß er den kleinen Rechtsgelehrten mit dem Ellenbogen an und sagte:
»Sie, Herr Dokta, was kost’ des, bal ma oan mit an kloan Stecken am Kopf aufi haut?«
»Was das kost? Das kost emal viel, emal weniger. Da gibt’s keinen Tarif.«
»Des woaß i scho. Aba unser Burgermoasta hat g’sagt, nach dem neuen G’setz werd’s billiger.«
»Nach was für en neuen Gesetz?«
»No, halt nach dem preußischen G’setz, wo’s jetzt eig’führt hamm.«
»Ach so! Das Bürgerliche Gesetzbuch! Da steht nix drin von Strafen wegen Körperverletzung.«
Salvermoser zeigte sich erstaunt.
»Des kon i do scho net glaab’n,« sagte er, »daß de G’setz-macher auf des vergessen hamm. Da hätt’s es ja überhaupt net braucht, daß ma was Neu’s kriag’n. Des glaab i scho ganz und gar durchaus net.«
»Glaubst Du nicht? Brauchst Du nicht zu glauben,« sagte Tulpenstock sehr ärgerlich.
»Guten Morgen, Herr Kollega!« rief er einem Vorüber-gehenden zu, »lassen Sie mich mitkommen, ich begleite Sie.«
Salvermoser ließ sich nicht abschütteln.
»Halten S’ a wengl, Herr Dokta! I bin no net firti. Moana S’, es ko mir was g’schehg’n? I ko hundert Eid schwör’n, daß i in einer Notwehr befunden g’wen bin. Ueberhaupts hob i eahm bloß mit an kloan Steckerl am Kopf aufi g’haut.«
»Nu, um so besser för Sie. Ich hab’ jetzt kei Zeit mehr.«
»Sie, Herr Dokta, mit an ganz kloan Steckerl. Es is net dicker g’wen als wia mei Finga.«
»Was reden Sie dann? Wenn er nicht krank war, gibt es vielleicht gar keinen Prozeß.«
»Jaa, krank war er scho.«
»So?«
Tulpenstock interessierte sich doch etwas für den Fall.
»Wann war die Sache?« fragte er.
»Vor a sechs, an acht Wocha, beim Unterwirt.«
»Also eine Wirtshausgeschichte. Mhm! Wie lange war der Mann krank? Hat er sich ins Bett gelegt?«
»Jaa, sell scho.«
»Nu, wie lang is er gelegen?«
Salvermoser blinzelte wieder mit dem linken Auge.
»Er liegt no,« sagte er.
»Was? Das ist ja ernsthaft! Ich kann nicht länger auf der Straße bleiben, kommen Sie ins Bureau!«
»Sie, Herr Dokta …!«
»Später, später!« Der Rechtsanwalt betrat schleunig das Gerichtsgebäude und ließ seinen Begleiter stehen. Als er nach drei Stunden wieder herauskam und eben daran ging, seinem verehrten Herrn Kollega Schiedermann einen verwickelten Rechtsfall klar zu machen, wurde er jählings unterbrochen.
Mathias Salvermoser rief ihn mit lauter Stimme an.
»Des is g’scheit, daß i Eahna siech. Jetzt hab i Eahna do no derwarten kinna. I bin beim Wirt g’sessen neben an Landg’richt.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß Sie in die Kanzlei kom-men sollen.«
»Scho. Aba, i hab leicht g’wart; i hab halt a paar Halbe mehra trunken.«
Diese Versicherung war überflüssig, denn Salvermoser roch so stark nach Bier, daß man es weithin merken konnte. Er hielt sich mit einiger Mühe aufrecht und faßte beim Reden den Sachwalter am Rock, um sich zu stützen.
Tulpenstock war sehr peinlich berührt. Da er jedoch dem Volke, welches Rechtshilfe sucht, im allgemeinen geneigt war und sich nur ungern dazu verstand, seinen Schutz zu verweigern, beschloß er, den Oekonomen zwar anzuhören, aber möglichst schnell abzufertigen.
»Erzählen Sie mir halt, was Sie auf dem Herzen haben, und später kommen Sie in mein Bureau.«
»Sehg’n S’, des is a Wort,« lallte Salvermoser; »i hab’s glei g’sagt, der Tulpenstock, hab i g’sagt, des is halt a Mo, der wo … sag’ i. Han?«
»Schon gut, schon gut! Erzählen Sie nur rasch! Ich habe noch nicht zu Mittag gegessen.«
»Ah, des macht nix. Passen S’ auf, i erzähl’s Eahna ganz g’nau. Also i geh beim Unterwirt außa, net? Und da steht a Holzhaufa, net? Oha!« Salvermoser stolperte nach vorwärts und mußte sich wieder an dem Rechtsvertreter einhalten.
»Mein Lieber, gehen Sie jetzt und erholen Sie sich.«
»Na, na, Herr Dokta. Sehg’n S’, Sie san a so g’führiger Mo, i muß ‘s Eahna glei verzählen. I kimm nacha viel lia-ba.«
»Also meinetwegen; nur rasch, rasch!«
»Ja, und da bin i beim Unterwirt außa und da steht a Holz-haufa, net? Ja, und des han i o’gschaugt. A schön’s Holz is g’wen, lauter feichtene und buachene Scheiteln. Do hob i mir denkt, was werd jetzt dös Holz kosten, net? Sie, Herr Dokta! Oha!«
Tulpenstock wurde nervös.
»Entweder erzählen Sie mir den Vorfall, oder …«
»Es kimmt scho. Passen S’ nur auf, Herr Dokta. Alsa, i ziag a Scheitel außa, und wia’r i ‘s o’schaug, geht g’rad der Brunner Peter daher. Ja, und nacha hat er g’sagt: ‚Was tuast denn Du do?‘ ‚Nix,‘ hab i g’sagt, und nacha hab i eahm a bisserl am Kopf aufi g’haut.«
»Mit dem Holzscheit? So? Und warum?«
»Ja, es is ganz kloa g’wen. Und überhaupts hon i eahm gar net treffen wollen. I ho mir denkt, i hau in d’Luft, daß er derschrickt. Aba, er muaß g’rad neig’rennt sei. I glaab, daß er des mit Fleiß to hat. Sie, Herr Dokta, oha! Moana S’, daß i freig’sprocha wer?«
Tulpenstock war über diese Frage etwas erstaunt; aber da er einem Klienten nicht gerne die Stimmung verdarb, sagte er: »Freigesprochen? Hm, ja, wer weiß? Wir müssen eben abwarten.«
»Ja, passen S’ auf, Herr Dokta. Mir machade G’sc-hicht a so: bal i frei wer, zahl i Eahna, und bal i g’straft wer, nacha kriag’n Sie nix.«
»Was fällt Ihnen ein? Ich lasse mir doch keine Bedingun-gen stellen.«
»So, Sie mögen des net?« fragte Mathias Salvermoser und blinzelte wieder mit dem linken Auge, »jetzt kenn i mi scho aus. Bal Sie a richtige Fiduz auf mein Prozeß hätt’n, nacha redeten Sie ganz anderst. Na, mei Liaba! Do geh i zua an andern.«