Von Ludwig Thoma

 Hinter Ala wappnet sich die reisende deutsche Familie mit Mißtrauen und wird sich recht ihrer Superiorität bewußt. Seit Archenholtz und vielleicht noch länger beweist es Klugheit, jeden Italiener für einen Spitzbuben zu halten und dieses südliche Völkchen für einen Schwarm von Leuten, welche ausschließlich von dem guten Gelde der kunstfrohen Deutschen leben.

Dieser Glaube äußert sich im aufbrausenden Zorne, im stirnrunzelnden Unbehagen des so viel wertvolleren Nor-deuropäers, und wieder im väterlichen Wohlwollen, im verzeihenden Lächeln über diese leichtsinnigen Naturkin-der. Aber er äußert sich immer und überall.

Mama gibt auf das Gepäck acht, zählt zweimal und dreimal die Stücke nach, wirft den Trägern durchbohrende Blicke zu; die beiden Töchter bewachen mit Argusaugen ihre Hutschachteln oder was ihnen sonst auf Erden teuer ist und sie beweisen durch hastige Zurufe, durch Mienen und Gebärden, daß sie absolut nicht in Vertrauen einzulullen sind.

Papa umschreitet die Gruppe, vielleicht nicht ganz so auf-geregt, aber doch mit dem Ausdrucke nicht zu täuschender Vorsicht und auch einer ihm wohlanstehenden Energie.

Dieser Camillo, Miltiade oder Marcello ist wirklich ein guter Kerl, weil er heiter und gelassen alle diese Zweifel an seiner Rechtschaffenheit erträgt.

Er lächelt milde über die stechenden Blicke, die ihm zugeworfen werden, er ist höflich, er will Ruhe einflößen in die Herzen dieser aufgeregten Famiglia, er beteuert mit Worten und mit jenen unnachahmlichen Gesten, daß er ein Ehrenmann ist.

Er schleppt eifrig die Stücke ins Coupé, ist hilfsbereit und liebenswürdig und beschwichtigend. Es ist nichts weg-gekommen, alles ist unversehrt da; Camillo weist mit einer triumphierenden Handbewegung auf die Gepäckstücke, Mama zählt nach, die Töchter zählen nach.

Ecco!

Wie kann man so hastig, zufahrend, taktlos und beleidi-gend sein?

Aber das denkt Camillo nicht einmal, er lächelt noch im-mer, nimmt die doppelte Taxe und dreht beim Wechseln dem mit unbesieglichem Mißtrauen gewappneten Papa einige minder gute Geldstücke an.

Mama hat sich das Wort »Hain« angeeignet. Kurz vor Florenz und im Anblicke der schönen Hügel ist es ihr ein-geschossen.

Olivenhain, Pinienhain, Zypressenhain.

Sie spricht es mit Wohllaut und Schmelz, so daß der Hörer merkt und auch merken soll, wieviel tiefes Empfinden für eine toskanische Landschaft in ihr wohnt und aufquillt.

Vermischt mit Erinnerung an etwas Gelesen-Habendes oder im Theater Gesehen-Habendes; vermischt mit dunk-len Ahnungen von etwas Poetischem, von etwas als Mädc-hen Geschwärmt-Habendem.

In Zypressenhainen gehen gelockte Jünglinge umher, an denen weiße Gewänder in malerischen Faltenwürfen he-runterfließen, in Zypressenhainen tremolieren die Carusi, in Zypressenhainen schwelgt überhaupt die Phantasie.

Die Wirklichkeit sitzt daneben, hat drei Knöpfe der Weste offen und raucht eine Zigarre.

Wenn man Papa ansieht, müßte man eigentlich an dem Worte »Hain« ersticken.

Mama schließt die Augen und träumt von Gestalten, die sich besser für diese Landschaft eignen.

So!

Da wäre man nun glücklich in Florenz!

Die Töchter sind selig darüber, daß alles so wahnsinnig italienisch aussieht, der Himmel, die Stadt und die Leute.

An einer Straßenecke steht ein allerdings nicht malerisch aussehender Mann, der auf der Mandoline spielt und etwas von stella, bella und amore singt. Mit wahnsinnig echtem Tonfall.

Papa bemerkt überall die Beweise des südlichen Schlendri-ans und belehrt seine Familie über die Segnungen deutsc-her Ordnung und deutschen Fleißes.

Das sollte sich mal bei uns einer erlauben!

Wie hier das Fleisch in offenen Läden hängt, dem Straßenstaube ausgesetzt, wie hier die Kerls herumstehen und nach rechts und links ausspucken, wie hier die halb-gewachsenen Bengels … Was ist? Die Signoria? So … hm … wie hier die halbgewachsenen Bengels einem nachlaufen und betteln. Auf die Weise erzieht man doch …

Mama erzwingt sich mit einem jener Blicke Stillschweigen und Berücksichtigung des erhabenen Moments, in welc-hem man zum erstenmal an dieser bedeutenden Stelle Bädekers sich befindet.

Loggia dei Lanzi … m—hm … Perseus von Benvenuto Cellini … m—hm … eine Kopie des David von Michelan-gelo vor der Signoria … m—hm … auf diesem Platze ist Girolamo Savonarola verbrannt worden … Wo? wo? Eine lebhafte Bewegung ist in die Familie gekommen, selbst Papa zeigt Interesse.

Ein Kartenhändler, der sie beobachtet hat, eilt hinzu.

»Postkarten … wollen Sie? Schäne Postkarten … wollen Sie?«

Man antwortet ihm nicht, aber der Mann kennt die Wißbe-gierde der Italienfahrer.

Er klopft mit dem Fuß auf das Pflaster.

»Savonarola .. qui .. ist verbrunnen … qui Savonarola .. qui …«

Die Familie gibt ihre Zurückhaltung auf, und Mama frägt mit italienischem Akzent: »Savonarola .. hier?« — »Si .. si .. in questo punto … qui .. ist verbrunnen.« Er zeigt mit lebhaften Gebärden, wie man ein Zündholz anzündet, und beschreibt mit ausholenden Armen Rauch und Flammen »e combusto .. ist verbrunnen .. Savonarola .. qui ..«

Die Schauer der Weltgeschichte überkommen die Familie. Und Papa drückt dem minderwertigen Sohne Italiens ein Trinkgeld in die Hand.

»Kinder!« sagt Papa, »Kinder, Bädeker ist ja ganz recht, und niemand kann mehr Respekt vor der wahren Kunst haben als ich, aber nur nich übertreiben! In gewissem Sin-ne muß man sich doch auch von Bädeker frei machen können! Ich gebe ja zu, daß junge Kunstbeflissene hier einfach die Pflicht haben, jede Einzelheit zu studieren, aber ich als Mann, der im praktischen Leben steht, wie komme ich dazu, mir von Bädeker vorschreiben zu lassen….«

»Nanu, halte keine Predigt!« erwidert Mama, »und wenn die Kinder daheim was erzählen wollen von Italien, müs-sen sie eben auch ordentlich dazu tun. Du kannst ja einstweilen in Dein Pilsner Bierlokal gehen, das Du glück-lich entdeckt hast….«

»Natürlich gehe ich hin, und wenn Ihr ehrlich sein wolltet, müßtet Ihr zugeben, daß Euch die ewigen Lippi un Lippi-nos und wie die Kerle alle heißen …«

»Aber Otto!«

»Na ja, ich habe den pflichtschuldigen Respekt vor diesen Meistern der Renäsanxe, aber macht mir keine Wippchen vor! Ihr habt die Kerls auch über!«

»Tu mir den einzigen Gefallen, Otto — ja? Tu mir den einzigen Gefallen und sprich nich so! Ich kann das hier nich vertragen, das reißt einen ja aus … aus allen Illusio-nen! Ich meine, hier könntest Du wirklich mal Deine pro-saischen Ansichten ein bißchen vergessen!«

»Och! Och! Prosaisch! Nanu, Wilhelmine, ich will mich nich näher ausdrücken, aber weißt Du, was Ihr hier für’n Theater spielt, Du un die Mädels, so was von Verzückung, nee! Un gestern habt Ihr’s vor’m falschen Bild gemacht. Das mit’n Kreuz war hinter Euch an der Wand!«

»Also, Otto, ich erkläre Dir ein für allemal ..«

»Was erklärste?«

»Ich erkläre Dir ein für allemal, daß wir auf Deine Begle-itung verzichten. Ich will mir nicht jeden weihevollen Mo-ment …«

»Och! Och! …«

»Jawohl, Otto, ich will mir nicht jede andächtige Stimmung zerreißen lassen. Geh Du zu Deinem Pilsner …«

»Mach ich auch …«

»Ja, und uns zerstöre wenigstens hinterher nich den Eind-ruck, den wir von allem Geschauten mitbringen. Alma war gestern förmlich bedeppert über Deine Witze über die Sixtinische Madonna …«

»Die ist ja jar nich hier, Wilhelmine …«

»Das mußt Du ja wissen!«

»Weeß ich zufällig … die is in Dräsen. Herjemmersch! Wenn mir’s doch gestern der blonde Professor eine gesch-lagene Stunde erzählt hat!..«

»Also gut, dann war’s eine andre. Jedenfalls war das Mädchen aus allen Himmeln gestürzt …«

»Och…. och!«

Eigentlich hatte Papa ja recht.

Natürlich nicht mit seiner taktlosen Manier, fortwährend Witze zu machen über das Kunstverständnis seiner Fami-lie, aber so im allgemeinen und überhaupt.

Wenn man es sich nur eingestehen wollte, war es nicht doch furchtbar ermüdend, immer und immer diese Heili-genbilder zu sehen?

Der Kopf wurde einem wirblig davon, und dann, war ei-gentlich nicht eins genau so wie’s andere? Und sich förmlich die Beine in den Leib stehen vor den ganz berühmten Gemälden!

Und dieser innerliche Zwang, von einer Sehenswürdigkeit zur anderen zu laufen, und eine förmliche Angst, seine Aufgabe für den Tag nicht gemacht zu haben! Wie in der Schule!

Nee! Das reine Vergnügen war’s gewiß nicht! Schön is anders!

Allmählich erst lebt man sich in einer fremden Stadt ein, aber dann bemerkt man erstaunt, daß die Art, sich zu un-terhalten, gewissermaßen europäisches Gemeingut und darum auch hier eingebürgert ist. Papa findet es in der birreria, wo man frisches Pilsner trinkt und sehr lange sitzen bleiben kann; die Damen finden es im tea-room, wo alle heimatlichen Genüsse sich darbieten. Winselnde Gei-gentöne und der letzte Operettenkitsch, auch one und two step, Süßigkeiten zu essen — toltschi, wie Mama mit täglich sich mehrender Kenntnis der italienischen Sprache sagt — junge, merkwürdig hübsche Offiziere, ganz mo-derne, merkwürdig schicke Frühlingshüte, und kurz und gut, Klang und Duft des internationalen tea-room, in dem Punkt 5 Uhr nunmehr wohl das ganze faulenzende Europa sich begafft, anbietet und entgegennimmt. Die Damen erholen sich von der Qual der Museumsbesuche und wiegen sich in süße Träume bei den Klängen des letz-ten grauslichen Walzers.

Wo bleiben Renäsanxe und Tschinquetschento?

Sie versinken in den Wogen des eleganten Lebens, sie ertrinken in Pilsner Bier.

Doch einmal des Tages lebt die Erinnerung an die Pflich-ten der Bildung auf.

Wenn Alma und Elvira Postkarten an die Freundinnen schreiben.

Man wählt zu diesem Zwecke wahnsinnig echt aussehende Landschaften, Zypressen- und Olivenhaine, oder Repro-duktionen jener Bilder, deren Besuch ja eigentlich den Reiz des Aufenthaltes stört.

Dann schreibt man Verzückungen darunter. »Es ist unsag-bar schön«, »Ihr glaubt nicht, was man hier erlebt«, »Jeder Tag ist ein neues Wunder«. Und Mama als gute Seele ver-fehlt nicht, an besonders Liebe zu Hause, einen Stoßseuf-zer beizufügen: »Warum seid Ihr nicht hier, um all dies Schöne mitzuerleben?« Die Lieben empfangen die Karten mit süffisantem Lächeln, wenn sie den Mumpitz selbst schon mitgemacht haben, mit ungläubigem Neid, aber doch mit Neid, wenn sie’s noch vor sich haben.

Und dann gehen sie daheim in den tea-room, wo sie win-selnde Geigen hören, schöne Offiziere und neue Hüte se-hen.

Bildung schafft eine gewisse Gleichheit der Ansichten und der Lebensführung.

Heimkehr.

Papa sehr aufgeräumt über die Aussicht, in zwei Tagen sämtlichen Gewohnheiten wieder frönen zu können, Mama innerlich ebenso glücklich, nun bald von der Fahrt nach dem schönen Süden erzählen zu dürfen und dabei von ihren Unbequemlichkeiten erlöst zu sein, die Töchter in Wonne schwimmend.

»Eigentlich,« sagt Papa, »eigentlich war diese Reise doch kolossal interessant und belehrend. Man mag über Italien denken, wie man will, aber so das rechte Verständnis für das Schöne in der Kunst gewinnt man doch nur hier. Man hat zuletzt ‘n ganz andern Blick für Kunstgegenstände, aber es is doch famos, daß wir wieder heimkommen.«

Eine ablehnende Handbewegung von Mama läßt ihn verstummen.

Frauen sind doch wirklich unehrlich und haben ungemein schauspielerisches Talent.

Vielleicht in keiner Sache und vielleicht noch nie war Ma-ma innerlich so einig mit ihrem Gatten wie in dieser Ab-lehnung des Tschinquetschento und der aufgezwungenen Bildungsweise, und dabei konnte sie in ihre Augen den geradezu frappanten Ausdruck des Schmerzes über seine Unbildung legen!

Dabei konnte sie so träumerisch und sehnsüchtig zum Fenster hinaussehen, als zögen sie übermächtige Gefühle zurück nach Florenz — Firenze, wie sie stets auf Postkar-ten schrieb — als wäre ihr Durst nach den Herrlichkeiten der Renäsanxe noch lange, lange nicht gestillt!

So täuschend machte sie es, daß er, der gewiegte Kenner ihrer nüchternen Seele, beinahe daran glaubte.

Hinterhalb Mailand, in Zürich, wäre sie um ein Haar aus der Rolle gefallen.

Man hatte dort Station gemacht, und beim Frühstück im Hotel, als Honig, Käse, Butter und Wurst lieblich ausgeb-reitet lagen, rief Papa: »Nee, Kinner, sagt mir, was Ihr wollt! Kunst ist gut, Kunst verschönt das Leben, aber so’n Frühstück im Schweizer Stil … Kinner, da kann Ita-lien nich ran!«

Und in das Aufjauchzen der Töchter hätte Mama beinahe eingestimmt.

Aber sie besann sich noch und nahm den sehnsüchtigen Blick, rückwärts nach dem Tschinquetschento, mit über den Bodensee und durch Mitteldeutschland bis nach Ber-lin, wo er nunmehr als ihr Trick und ihre Sehenswürdigkeit gilt bei allen Einladungen am Kurfürstendamm.