DIE MEMOIREN DES BLASIERTEN

Alfred Döblin

Aufzeichnungen über das eigene Leben zu machen, hielt ich nie für nötig. Zwar ist ein Ding ebenso unwichtig wie das andere, und es macht nicht viel aus, ob man Länder erobert oder betet oder Frauen umarmt oder Memoiren schreibt. Zwar wußte ich auch schon früh, daß manche Dinge erst schmackhaft werden, wenn man sich ihrer erinnert, und ich habe ja manches Trostlose und Peinliche nur darum geduldig auf mich genommen. Aber doch wollte ich Aufzeichnungen über mich nie machen; ich wollte es nicht, und darüber läßt sich nicht weiter reden.

Jetzt will ich aber etwas tun für die Aufklärung der Menschen, die dies lesen: auch eine Klagschrift will ich hiermit liefern.

Es muß geschehen, damit eine laute Stimme gegen den Feind ruft, der im Dunkeln mordet, jahrhundertelang. Er wütet im Dunkeln und verstrickt uns. Darum schreibe ich dies.

*

Ich war noch ziemlich jung, als ich zuerst von der Liebe hörte. Ich las von ihr in Romanen, Gedichten, später bei manchen Philosophen. Die Quellen für meine Kenntnis der Liebe waren recht verschieden: teils belehrten mich die genannten weitschweifigen oder gehobenen Betrachtungen, teils die Zeitungen, die mit ihrer täglichen Selbstmordchronik mir manchen wünschenswerten Wink gaben.

Aber was man da behauptete, schien mir so sonderbar, daß ich es nicht glaubte. Ich las von der Liebe wie von einer Nordpolexpedition oder dem Überfall eines Eisenbahnzuges durch Indianer. Man sagte mir, daß ich auch einmal lieben würde; aber bei dem Gedanken erfüllte mich Furcht und Betrübnis wie vor einer Krankheit. Und ich konnte mich lange nicht bewegen, mich ernsthaft mit der Liebe zu beschäftigen. Und so blieb ich fröhlich und ruhigen Herzens.

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Ein lebhafter Drang in mir ist der Bildungstrieb. Ihm danke ich viel Gutes und Böses. Es schien mir nach einiger Zeit meinem Alter unangemessen, keine Kenntnis von einer so weitverbreiteten menschlichen Tätigkeit wie der Liebe zu besitzen und hinter meinen Altersgenossen zurückzustehen. So machte ich mich auf die Suche nach der Liebe. Bei den Männern, an die ich mich wandte, — anerkannt vernünftigen Männern in leitenden Stellungen, zum Teil in Ministerien, zum Teil in Fabriken und Banken, — erregte ich ein Lächeln, wenn ich sie nach der Liebe fragte. Einige sagten mir geradezu, es sei nur eine müßige Rederei darum. Andere hielten die Liebe für eine Sache von Leuten, die nichts zu tun haben, und überließen sie ihren halberwachsenen Töchtern, die sich damit zu beschäftigen hatten, — mit den Klassikern, dem Klavierspielen und der Liebe.

Dies war, was ich von den Weltkundigen erfuhr. Als mir von ihnen nichts weiter zuteil wurde, ging ich, niedergeschlagen über die widerspruchsvollen Berichte, mit mir zu Rate und machte mich selber auf den Weg. Und dieser Entschluß blieb von höchster Bedeutung für mein ganzes folgendes Leben. Ich versetzte mich nach und nach auf die Liebe, ich wollte mich ein für allemal mit ihr abfinden: es war mir ernst darum.

Es wurde mir gesagt, es handle sich bei der Liebe nicht um die eingeborene Not des Mannes zum Weib, die mir nicht unbekannt war, sondern um viel Höheres, Zartes, Feines, von dem man in den Worten der Prosa nicht sprechen kann. Dieses schwer Beschreibbare zu finden machte ich mich auf den Weg.

Auf meinen Spaziergängen durch die Straßen, in verschiedenen Städten und Ländern, betrachtete ich mit Fleiß die Menschen, die jungen und alten Menschen, kleine Mädchen, Soldaten, Offiziere, Kommis.

Systematisch und mit großer Umsicht ging ich vor, um zu einem Verständnis des fraglichen feinen Vorgangs zu gelangen. Ich suchte die Städte auf, in denen die Liebe besonders hausen sollte, und ließ meinen Blick nicht von den Menschen. Die Liebe mußte doch in irgend etwas Besonderem zum Ausdruck kommen; und ich bemühte mich vergebens, dies aus der Menge herauszufinden. Die Kleidung der Vorübergehenden, die Farbe ihrer Röcke, Blusen, Jacken, habe ich im Besonderen durchmustert; aber ich fand nichts Auffälliges, und mir wurde auch nicht klar, worin dies Besondere bestehen könnte, ob in einer eigentümlichen Stiefelform oder einer spitzen Nase oder einer Krawatte. Meine Freunde, denen ich meine Beobachtungen mitteilte, lachten wie verrückt über mich, warfen stolz dunkle Bemerkungen hin wie »seelische Sache, die man nicht sehen kann; fühlen, fühlen, dreimal fühlen«. Aber sie waren oberflächlich, begnügten sich an diesen Worten und wußten nicht, daß hier gerade mein Problem lag. Sollten sie mir ihre Gefühle bezeichnen, so umschrieben sie immer teils ihre sehr einfache Not zum Weibe, teils gebrauchten sie jene überzarten poetischen Wendungen, über die ich den Kopf schüttelte.

Erfolglos war meine Suche gewesen und unbeirrt war ich meines Weges gegangen. Aber durch die ewigen Anspannungen war ich aufgeregt geworden. Ich fühlte mich unsicher und geängstigt. Schwächlich, wie ich war, fühlte ich mich zurückgesetzt, — so töricht war mein Herz, — wie ein Krüppel schlich ich herum und sah auf der Straße den Leuten bettelnd ins Gesicht. Und so groß war das Unglück in mir, daß auch meiner Schwester, bei der ich wohnte, meine schlaffe Haltung auffiel. Übrigens aß und trank ich, wie sonst. Wie mich überhaupt alle Schwermut nicht um meinen Appetit brachte, und ich immer meine Pflicht tat.

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Ich habe eine natürliche Neigung zu den Frauen, zu allen Frauen, noch mehr zu allem, was Frau ist. Es fiel mir schon ganz früh auf, daß ich einen höflichen, ehrerbietigen Ton anzuschlagen pflegte, wenn ich zu kleinen Mädchen, zu ganz kleinen Babys im Steckkissen sprach. Oft erregte ich bei den Kindermädchen und den Ammen ein Gelächter, wenn ich mit meiner großen, breiten Figur, elefantenhaft wie ich bin, an die Kinder herantrat, den Zylinder vor den spielenden Mädchen abzog und so pappelnde Geschöpfe mit »Sie« anredete. Wenn ich mich über sie bückte, überkam mich etwas wie Scheu, Herzklopfen, und das Wasser lief mir im Munde zusammen, stromweis, wie immer, wenn ich erregt bin. Ich bemühte mich, in vorteilhaftem Lichte bei ihnen zu erscheinen; und um dies zu können, beschäftigte ich mich auch viel mit Kinderpsychologie. Manchmal, wenn ich solchem säugenden Wurm in die unbeweglichen blinden Kinderaugen sah, stieg ein dunkles Grauen in mir auf, welche Gewalt hier schlummerte; und in meinen Fingern zuckte es, eine entsetzensschwangere Zukunft im Keime zu ersticken.

Des Lachens über mich wird aber kein Ende sein, wenn ich gestehe, daß ich auch den toten Dingen, welche die Sprache weiblich nennt, die Verehrung entgegenbrachte. Allerdings nur in manchen Augenblicken. Ich betrachtete oftmals in meinem Zimmer meine grüne Tischlampe mit Respekt, zog mich vor ihr zurück, hütete mich, sie zu berühren; und abends legte ich gar ein weißes Linnentuch über sie, weil ich mich beim Ausziehen vor ihr schämte. Und so schlich ich auch manchmal unsicher um mein Spind herum und ehrte es nach langem Zögern durch eine tiefe Verbeugung und mit verbindlichem Lächeln; es hieß besser, so entschied ich mich: die Spind. Für mich hieß es so.

Dunkler färbte sich später meine Neigung zu den Frauen. Es gibt nichts, das so bemitleidenswert wäre, als eine Frau. Einmal sah ich, wie eine Hündin, die langsam vor mir herlief, ihr Blut verlor, das bald tropfenweise, bald dickfließend auf dem Straßenpflaster liegen blieb, wo die Hündin gelaufen war. Die lange, unabsehbare Blutspur rührte, erschütterte mein Herz. Mir traten die Tränen in die Augen, wenn ich Frauen ins Gesicht sah. Kaum daß die jungen unbewußten Geschöpfe anfangen zu erstarken, überfällt sie ihr Ungemach, unablässig wiederholt, und sie triefen vor Blut. Und ihr Blut strömt, bis sie verwelken. Die Kindsnöte treten an sie heran, zerbrechen ihren Leib und machen sie lahm vor der Zeit.

Gibt es nun ein Geschöpf, das elender wäre als eine Mutter? Ich kann mir keinen Menschen denken, der so tief verwundbar wäre, wie eine Mutter in ihrem Kinde. So preisgegeben und arm ist kein Wesen als eine Mutter.

Sollen nicht meine Worte weich im Munde werden, wenn ich zu Frauen spreche? Aber ich hab solche Worte nie gesprochen; ein Dichter und Menschenkenner würde vielleicht fragen warum. Vielleicht bin ich zu träge von Natur.

Oft begegneten mir doch Frauen, die mir auffielen, als ich auf der Suche nach der Liebe war, denen ich glaubte, etwas sagen zu müssen; aber ich rührte keinen Finger um sie. Ich sah ihnen verstohlen zu, beobachtete ihre Bewegungen, ihre Art zu sprechen, zu lachen und zu blicken, und etwas wie Bängnis drückte mir die Brust zusammen, drehte meine Augen von ihnen ab zur Seite. Mit keinem Laut verriet ich mich ihnen, ja den leisen verträumten Gedanken an sie verbot ich mir. Mir müssen, glaub ich, die Dinge zufallen, die ich begehre, und auch dann würde ich mich scheuen sie aufzuheben. Schamlos ist nicht nur das Entblößen des Leibes; jedes Wort, jede Bewegung verrät uns. Und so drückt uns die Scham in den Erdboden hinein; keine Rettung gibt es vor der Scham als den Tod. Und dennoch entblödete sich meine Trägheit nicht, zu leben und weiterzuatmen wie ein Tier.

Oft lief ich unruhig vor jenen Frauen fort, weit in das Gebirge hinauf. Da war Nebel, der mich auf Schritt und Tritt wie eine Kammer einschloß. Bei jedem Windstoß sprang die Tür auf, und ich erquickte mich an den Schluchten, dem Steigen und Fallen der weißen Luft. Oft schritt eine geballte Säule aufrecht mitten durch das Tal und legte sich dann am Abhang hin wie ein langhaariger Windhund mir zu Füßen.

Ich weinte auf meine Weise, ohne Tränen, darüber, daß ich die Liebe nicht finden konnte.

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Nachdem ich also mit leeren Händen von meinen Wegen zurückgekehrt war, packte mich der Überdruß wilder, und ich zog auf die Frauen los, entschlossen zu lieben.

Ich war umsonst die Menschen um Rat angegangen, hatte vergeblich nach den Merkmalen der Liebe geforscht und mir die Augen krank gesehen; ich drang jetzt zu den Quellen vor; ich bot mich selbst zum Versuch an.

An welches Mädchen ich mich aber wenden sollte, wußte ich zuerst nicht und fragte meine Freunde. Sie sagten, daß dies nach alter Erfahrung im Grunde gleichgültig sei und erzählten mir von einem Mädchen, das viel liebte, viel geliebt wurde und sehr heroisch sein sollte.

Ich machte mich auf den Weg zu ihr; gewann Zutritt zu ihrer Wohnung, und fragte sie zunächst entschieden, im Verfolg meiner früheren Untersuchungen, nach dem objektiven Tatbestand der Liebe, mit dem Ernst, der sich für einen Mann ziemt, woran die andern erkannten, daß sie viel liebte. Sie lächelte heroisch.

Aber auf den Rat meiner Freunde sagte und tat ich an ihr einiges, was ich oft zu beobachten Gelegenheit hatte; es gelang mir auch bald, in ihr dadurch den Eindruck hervorzurufen, als ob ich sie liebe. Sie machte von nun an in meiner Gegenwart die eigentümlichen Körperbewegungen, Gebärden und Grimassen, die mit Liebe identisch sein müssen; respektive offenbar deren Eigentümliches ausmachen. Leichtes Gleiten der Handflächen über meine Wangen, oft wiederholt, nach Art des Staubwischens, Saugbewegung der Lippen mit Speichelbenetzung meines Mundes, Knurren und Winseln der Stimme, enges Pressen der eigenen Glieder im allgemeinen an die des Gegners. Dazu stereotypes Wiederholen einiger gedankenloser Redensarten, später Unsauberkeit und Sichgehenlassen, was ein hoher Beweis der Liebe sein soll. Ich beobachtete diesen Zustand mit großem Interesse einige Zeitlang. Als mich aber das Mädchen einmal, während sie sich in ähnlichen Bewegungen erging, versicherte, daß ich sie liebe, — wovon sie doch gar nichts wissen konnte, — fragte ich sie bestürzt, wie sie darauf käme und worauf sich diese Behauptung stützte. Denn ich hatte nur den selbstverständlichen Naturtrieb zu ihr bisweilen verspürt, auch öfter Erstaunen, Abneigung und freundliche Überlegenheit. Schließlich bestritt ich es energisch. Worauf denn andererseits die charakteristischen Bewegungen in meiner Gegenwart aufhörten. Ich selbst habe diese Bewegungen nie unwillkürlich geübt, sondern stets mit Absicht und Plan; das Mädchen aber nicht so. Bei anderen Frauen, denen ich gegenüberstand, bemerkte ich den Liebesvorgang ganz ähnlich. Mir war es widrig, mit diesem Weibsvolk umzugehen, aber das Pflichtgefühl trieb mich. Der Vervollkommnungsdrang ist groß in mir. Immer tat ich in der folgenden Zeit zu den Frauen alles, was ich je gelesen und gehört hatte; sehr freundlich war ich zu ihnen. Ich küßte ihnen Mund und Brüste und wartete mit viel Geduld, ob bei mir die Liebe kommen würde; ich ließ auch einige unsittliche Redensarten fallen, wie es sich im Gespräch mit jungen Damen ziemt. Aber trotzdem ich mich bei dieser Tätigkeit sehr anstrengte, wartete ich vergeblich auf das einzigartige viel gerühmte Empfinden. Unsäglich rieb ich mich auf. — Ich berichte dies alles nur, damit man sieht, daß ich ein Recht habe, hier diese Klagschrift zu verfassen. Nichts habe ich unterlassen; so viele Wege bin ich gegangen; was ich suchte, hätte mir begegnen müssen.

An jenen Frauen, die mich mit Bängnis erfüllten, ging ich auch in diesen Tagen oft vorüber; und eine bemühte sich damals um mich und schickte mir einen freundlichen Brief wegen meiner großen Traurigkeit. Ich wollte mich ihr erst offenbaren und ihr schreiben, daß ich traurig sei, weil ich die Liebe nicht finden kann. Dann dachte ich in meinem Arbeitseifer sogar, mit ihr die Versuche anzustellen, aber mir schlug bei dem Gedanken das Herz bis in die Kehle hinauf, die Brust war mir zusammengeschnürt, und ich hielt den Atem an.

Es war doch aussichtlos. Ich hatte mich so lange vergebens bemüht.

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Es wurde mir klar, daß die Frauen mir die Zeit stahlen. Jene anfängliche Auskunft, daß die Liebe eine müßige Rederei sei, hatte mich nicht betrogen. Ich schreibe eine Klag- und Warnschrift. Kann einer aufstehen und mir das Recht dazu absprechen? Ich bin gesund und habe keinen Grund anzunehmen, daß mir etwas versagt sein könnte. Ich war immer ein geschickter Mensch, der sich wohl anstellte, selten etwas vergriff und überall eine flinke Hand zeigte.

Und ich verstehe jetzt auch das Spiel der Frauen. Die Männer sind stärker als die Frauen: sie könnten sie totschlagen und lassen sich von ihnen elend machen. Durch die perfide Einrichtung der Liebe geschieht das. Die schützt die Frauen. Dieses Lügenwort ist gewaltiger als eiserne Muskeln. Ich bin zu vernünftig, um mich fangen zu lassen. Diese außerordentlich verderblichen und hassenswerten Wesen machen die Männer zu Narren und zu Schauspielern. Denn auch von den Männern, — dies sag ich hell heraus, — weiß niemand, was die Liebe ist, von der ihr betrogener Geist redet. Keiner kennt die Liebe, aber jeder spielt sie, aus Angst vor den Frauen. So mutlos hat die Überlieferung die Männer gemacht, so gewaltig ist die Kraft des Betruges.

Es müßte von Staatswegen gegen die Liebe eingeschritten werden, wie gegen den Alkohol und die Tuberkulose. Es müßte das natürliche Verhältnis zwischen den Gegnern wieder hergestellt werden. Man bringe die Frauen zum Schweigen. Ich bin für einen gutgeschulten Stamm von Dirnen; es ist für den Augenblick ebenso nötig, Dirnenakademien zu errichten wie neue Eisenbahnlinien anzulegen. Schweigen und Delikatesse sollte in den Akademien gelehrt werden, dazu rasches Verständnis für einige Dinge, lieblicher Gang, Stimmmodulation, Singen, aber auch Stöhnen und Lispeln. Was jetzt einzelnen isoliert gehört von den Künsten des Leibes, könnten viele lernen. Unendliche Massen von Energie bei den Männern würden damit frei für andere, kulturfördernde Tätigkeit; die Kunst der Genüsse, von einer Gemeinschaft und auserlesenen mit Sorgfalt gepflegt, würde in kurzer Zeit eine unerhörte Blüte zeigen. Allmählich müßte die Liebe aus der Welt gedrängt werden. Es ist wichtiger als die Bewegung der Frauen um das Brot — die Bewegung der Männer gegen die Liebe, gegen dieses schwere unwürdige Joch. Das natürliche Verhältnis, wie ich mich oben ausdrückte, zwischen Mann und Weib, muß wiederhergestellt werden.

Mit lauter Stimme rufe ich gegen den Feind, der im Dunkeln mordet. Schon Jahrhundertelang.

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Ich habe auf meiner Suche etwas gefunden: Das Aufwaschmädchen in dem Hotel, wo ich wohne. Sie ist bucklig, ein dickes quadratisches Gesicht mit hündischen Augen und aufgeworfenen Lippen. Ich habe etwas ähnliches von liederlichem Gang und verwahrloster Kleidung nie gesehen.

Wenn sie mich auf dem Korridor sieht, während sie in der Küche mit hoch aufgekrämpelten Ärmeln vor der Wanne steht, wulsten sich ihre Lippen, sie reibt sich mit dem linken Handrücken die aufgestellte Nase und grinst.

Die Frauen sind alle gleich.

Es setzte mich erst in Erstaunen, dieses Grinsen, daß mich etwas wie Bitterkeit überkam, Bitterkeit, — nein, es ist nicht das rechte Wort: Wut und Schmerz. Ich drohte ihr mit den Fäusten, als sie lachte, und stürzte auf sie zu. Was dachte sie von mir? Ich bin ein freier Mann. Die Frauen sind alle gleich. Entweder sie lächeln mich an, so daß ich Lust habe, ihnen ins Gesicht zu schlagen, oder sie werfen um sich jenes zeitraubende, wortreiche Wesen, als ob es sich um die Erteilung des heiligen Sakramentes handle: sie spielen die Liebe, die schlauen Sklavinnen, die verlogenen Herrinnen durchschaue ich. Ich durchrieche sie, durch alle Parfüms durchrieche ich sie. Jeder, der eine Nacht bei einem Frauenzimmer zugebracht hat, — ich will ganz deutlich sprechen, — weiß, was ich meine; er kennt den eigentümlich scharfen abscheulichen Geruch, der um ein Weib liegt; die Sklavinnen sind gebrandmarkt von Natur. Diesen Dunst nun roch ich gleich, als ich neben ihr stand, neben dem Waschmädchen. Sie war echt. Mir floß das Wasser im Munde zusammen: die Frauen bereiten mir Übelkeiten. Ich habe sie in der Küche hinter mir her auf mein Zimmer gezogen, weil ich nicht wußte, was anderes nach diesem Lächeln mit ihr geschehen sollte. In meinem Zimmer aber warf ich sie hin. Sie wand sich: sie verriet das Weib an mich. An der Quintessenz der Frau, an dem niedrigsten Weibe schmauste ich mit höhnenden Worten, und schändete sie. Wie lache ich über die Liebe! Die Frauen zogen in meinen Gedanken an mir vorüber, die ich kannte, die ich verehrt wußte, auch die mich in Bängnis versetzten: — die schlanke, mit dem blonden hochgekämmten Haar, — die zarte, leicht schwindsüchtige, oh sie trug eine schwarze niedrige Pelzmütze, — die stolzen Tiere zogen an mir vorüber. Ich saß in meinem Winkel mit dem Waschmädchen und schändete all die schlafenden. Sie konnten mich nicht sehen, konnten mir das stumpfe, ahnungslose Geschöpf nicht entreißen und sich vor der Schande retten.

Oh wie bin ich fromm; ich bin sehr fromm.

Als das Mädchen zu mir zutraulich wurde, geriet ich in eine maßlose, ganz furchtbare Wut, warf sie zur Tür hinaus und stieß mit der Hacke in ihr breites Gesäß. So wütend war ich. Ich habe sie auch später angeschrien, ihr gedroht, sie verzweifelt geohrfeigt und an ihren Haaren gerissen, ohne eine Freude und Erleichterung dabei zu fühlen. Aber meist weinte ich nachts stundenlang in meiner Weise, ohne Tränen, an ihrer Brust.

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Die Bilder an der Wand. Ich gehe kühl an ihnen vorüber. In welchen Krämpfen hat sich dieser Mann gewälzt, als er das Bild malte. Und die Musik. Ich halte mir die Ohren zu. Wie teilnahmslos ich geworden bin; wie tief sich, was ich gelernt habe, in meine Brust eingegraben hat. Ich schäme mich für diese Männer. Sind alle besiegt; sind betrogen, und aus ihrer Tugend haben sie eine Not gemacht, die Not zum Weibe. Sollten die Weiber im Kampfe hinschmettern und tänzeln zahm. Vergiftetes Blut fließt in ihren Adern.

Mein Blut ist rein, ist rein.

*

Ich laufe über die Berge.

Sie stehen glänzend da im Morgenlichte.

Der Schnee überbürdet sie. Der Schneeberg steht da wie eine Braut, will gelobt sein.

Ich laufe über ihn hin. Von allen Seiten, von allen Ästen brechen die glitzernden Zapfen auf mich herunter, reißen mir den Hut vom Kopf, fahren mir in den Nacken. Der Schnee liegt hoch; ich sinke schon bis zu den Knieen ein.

Wie’s mich freut, daß alle Reichtümer und Schönheiten vor mir ausgebreitet liegen, und ich mit meinen blinden Hacken kann auf sie trampeln.

Ich habe mich sonderbar verändert, seitdem ich auf die Menschen ausgezogen bin. Ich hab mich wohl verrannt darin.

Oh mich ekelt’s vor den Menschen.

Ich hasse die Weiber; ich hasse, hasse, hasse sie, daß ich weinen könnte, vor Wut über sie, über die Hündinnen, die verfluchten. Die Irren beneide ich; sie glauben doch noch an ihre Halluzinationen. Mich treibt nichts mehr zu arbeiten, nichts mehr zu lachen, nichts mehr zu atmen.

Mich deucht, als hätten sie mich verdorben. So haben sie mich doch noch vergiftet.

Mir ist so angst. Ich mag nur laufen. Mein Gott, so hilf mir.

Ich laufe durch den Schnee.

Nun weiß ich, daß ich mich verlaufen habe.

Gelt, ich setz mich in den weichen Schnee. Komm ich herunter, komm ich nicht herunter? Ich will’s an meinen Knöpfen abzählen. Der süße Schnee.

Mein Gott, hilf meiner kranken Seele bald.

Das Stiftsfräulein und der Tod

Das magere grauhaarige Fräulein hatte die Hyazinthengläser beiseite geschoben, den linken Ellenbogen auf das Fensterbrett gestützt und saß gebückt in dem Schneelicht da. Draußen schmolz in dem Vorgarten ein grelles Weiß, von Fußspuren durchbrochen, langsam ab unter der Mittagssonne; dünne schwärzliche Wasser rieselten um die Bäume. Und wie das gebückte Fräulein die schwärzlichen Wasser verfolgte, da wußte sie auf einmal, daß sie bald sterben werde.

Sie nahm den linken Ellenbogen vom Fensterbrett, legte die feinen Händchen zusammen, preßte den Rücken an die Stuhllehne. Steif saß das Fräulein hinter den Hyazinthengläsern. Als die Glocke anschlug, ging sie zu Tische, nahm einen Bissen und legte die Gabel hin. Sie ging aus dem Speisesaal hinaus. Sie saß auf ihrem Zimmer. Den Tag über saß sie auf ihrem Zimmer, in einer Ecke, das verfallene Gesicht nach der Wand zu. Das Schneelicht, das ins Zimmer fiel, wurde matt; auf der Tapete verrauchten die Farben. Zwei zuckende Hände hoben im Dunkeln den Zylinder von der Lampe; die Lampe wurde heftig wieder gelöscht. Kleider fielen auf den Boden. Sie atmete im Bett, stockend, jetzt schnell, jetzt tief. Sie lag die Nacht über mit offenen Augen da. Ihr Gesicht bewegte sich nicht im Dunkeln. Der Mond trat gegen Mitternacht vor ihr kleines Fenster. Weiß blieb er die halbe Nacht da stehen, und erst, als es halb vier schlug, wandte er sich ab.

Am Vormittag ging sie gebückt, in ihrem schwarzen Kleide mit den engen Ärmeln, gleichmäßigen Schrittes durch den Park hinter dem Stift. Unter kahlen Bäumen ging das Fräulein neben ihrer aufgeschossenen Freundin. Ab und zu sprach sie, hob die faltigen Lider von den Augen, die schon mit einem Hauch beschlagen waren. Gleichgültige Sätze wiederholten sich.

Als der Mond in der Nacht vor ihr verhängtes Fenster trat, schwankte das Bett des Stiftsfräuleins. Ihre Finger ballten sich an beiden Kanten fest; sie zitterte, drückte sich an das Lager an, gegen Morgen stöhnte sie oft. Oh, der Klumpen wimmerte, unter die Decke verkrochen, und schlief erst, als es schon hell war.

Eine Unrast lag tags darauf in ihrem Tun. Sie schlang die Mahlzeit herunter, sprang oft auf, schwatzte, wie sie es nie getan, brach in ihren Reden ab und nestelte an sich herum. Lange blieb sie im Speisesaal sitzen, mit schlaffen Schultern, über sich gebückt. Sie ging an dem Tage nicht auf ihr Zimmer. Abends bat sie vergebens ihre Freundin, bei ihr zu schlafen. Es war darauf, als ob einer das Stiftsfräulein über die Schwelle schöbe. Sie riegelte rasch hinter sich ab, schloß das Fenster, besprengte die Wände mit Kölnischem Wasser, stellte auf Tisch und Ofen, zu Füßen des kleinen Muttergottesbildes in der Ecke, Blumen, blühende Blumen, soviel sie finden konnte; auch weiße und blaue Decken, die sie in ihrem Schrank hatte, und legte sie über ihre Stühle. Dann saß sie plötzlich zu langem, blöden störrischen Weinen nieder.

In der Nacht tickten die Uhren im Zimmer. Zwei hingen da; die eine schluckte behäbig die Zeit und blökte halbstündlich, dann war sie satt, aber kaute weiter; daneben gluckste die Schwarzwälderuhr, sie schlackerte, keinen Atem ließ sie sich und überschlug sich fast, wenn sie ihr armseliges Geschrei ausstieß. Das Fräulein sprang aus dem Bett und hielt die Pendel fest. Während sie wieder unbewegt lag, zuckte es in der kleinen Uhr, verzog sich das Gesicht der großen zu einem Grinsen. Da warf sie die Kleider um, lief aus der Tür hinaus, in den Park. Ihre Augen hingen an den schwarzen, wirren Sträuchern: »Ich muß sterben, ich muß sterben.« Stehend am Wasser, das im Morgendämmer dampfte, sah sie stier mit flimmernden Blicken vor sich. Sie watete mit lautem Keuchen und Schreien, mit krampfhaft geschlossenen Augen hinein, patschte mit den Händchen, den dürren, auf das Wasser, drehte sich plötzlich um, floh zwischen den schwarzen Bäumen in das Haus zurück. Das alte Fräulein blieb vor ihrem Fenster stehen. Als es heller wurde, zuckte es noch einmal öfter um ihren Mund, zitterte sie wieder an allen Gliedern, schlossen sich die Lippen aufeinander, fiel sie auf das Bett hinter sich. Aber wie ein Klotz drängte sie sich in der Mitte des Bettes zusammen. Ihre Kiefer waren zusammengebissen. Sie stöhnte. Die Augen blitzten bald gegen das Fenster, bald gegen die Türe. Stumm zog sie die Decke über sich.

In den nächsten Tagen ging sie still einher, besprengte noch abends ihr Zimmerchen mit wohlriechenden Gewässern, nahm aber allmählich ihr altes Tun wieder auf. Beten, Sticken, Kartenspielen. Auch saß sie wieder lange allein hinter ihren Hyazinthengläsern. Dort lächelte sie jetzt auch ab und zu schauernd in sich hinein. Sie sprach noch weniger, als sie sonst getan, mit den anderen Damen, so daß unter denen ein Gerede über ihr hochmütiges Wesen entstand. Der Blick, mit dem sie bei Tisch die Damen streifte, hatte in der Tat bald etwas Verwundertes, bald etwas stechend Überlegenes.

Nun wurden die Tage wärmer. Jetzt spazierte sie stundenlang dichtverwachsene Parkwege; wo sie ging und stand, ging ein Träumen herum. Weinte hin und wieder, in einer weichen, strömenden Weise, die wie ein junges Lied klang. Dann betrachtete das alte Mädchen die Runzeln ihrer Hände, wischte vor dem Spiegel an der trockenen schlaffen Gesichtshaut, betastete die mageren Brüste und wühlte an ihnen herum. Regungslos stand sie beim Ausziehen fast eine halbe Stunde so da. Lag sie dann, so fröstelte sie wohl wie früher, wollten sich ihre Finger an den Bettkanten festkrampfen, bald aber rückte sie jetzt an die Wand, ließ einen kleinen Platz neben sich, den sie zögernd mit dem Arm bedeckte, dann nahm sie ihn wieder weg, legte ihn wieder herüber, es war ein Spiel. Die Arme gegen die Brust gepreßt, das heiße magere Gesicht nach der leeren Stelle des Kissens gewandt, den Hals vorgestreckt. Wie in den ersten Nächten schüttelte sich ihr dürrer Leib, bald tasteten ihre Finger über das Kissen, spitzten sich ihre Lippen.

Als nun die grünen Blättchen auf allen Wegen lagen, putzte sie sich für ihre Spaziergänge, legte eine hellblaue Bluse an; in den Händen mit weißen Handschuhen Blumen, Reseden, die sie sich abschnitt, langstielige Rosen. Sie ging elastischer und gerader im Grün. War sie im dichten Gebüsch unbelauscht, so knixte sie artig, kicherte in ihre Blumen hinein, tänzelte mit süßem Mündchen. Ja, leichte Briefe schrieb sie auf Rosepapier, die fingen an: »an meinen lieben strengen Herrn, den Tod«, Briefe voll verschämter Anspielungen, kokett und scherzhaft; sie zeigte sie gegen ihr offenes Fenster, legte sie nachts unter ihre Schwelle, vergrub sie im Gebüsch. Die Stiftsdamen sahen ihr oft vom Hause aus nach; den Menschen, für den sich das grauhaarige Fräulein putzte, fand keine. Allein sah man sie immer irgendwo schlendern und stehen; mit einer protzenhaften Miene ging sie an den neugierig schielenden Damen vorüber; die Damen sagten von Tag zu Tag überzeugter zueinander, daß das Fräulein sündige Gelüste trage, berieten hin und wieder, sie aus ihrer Gesellschaft auszuschließen.

Indessen rückte das Frühjahr vor, wärmer und wärmer wurde es. Und eines Abends kam das alte Stiftsfräulein von ihrem Spaziergange auf ihr Zimmer, mit rotem Klee, den sie sich gepflückt, vielen Weidenruten und Maikätzchen. Ihr Gesicht strahlte. Sie sang mit leiser Stimme vor sich hin; Türe und Fenster ließ sie auf. Die Blumen legte sie unter das Bild der Jungfrau Maria. Als sie die Blumen aufgebaut hatte, erschrak sie vor dem Bilde der Gebenedeiten, fiel nieder und betete. Mit einem schalkhaften Lächeln aber hing sie die Zweige und das Grün zu Häupten des Bildes auf, so daß das Gesicht der Himmelskönigin ganz versteckt war.

Sie trällerte noch mit blühendem Gesicht in die warme Frühlingsnacht hinaus, legte sich hin.

Sie schlief ein. Wachte im Finstern auf. Wuchtige Schritte im Zimmer. Das Bett krachte. Mit einem Satz schwang sich der Tod neben sie ins Bett. Da war ein Platz frei. Er griff nach ihren Knieen. Sie stieß um sich. Wie ein Bauernlümmel schlug er mit flacher Hand auf ihre Schultern. Da fiel die geballte Faust auf ihre Brust, den Leib, den Leib, und wieder auf den Leib. Ihre Lippen flehten. Ein Würgen kam. Die Zunge fiel in den Rachen zurück. Sie streckte sich.

Da stand der Tod auf und zog das Stiftsfräulein an ihren kalten Händchen hinter sich her zum Fenster hinaus.