Die Höhle am Hügel

Bret Harte

Zweites Kapitel

Keys Aufmerksamkeit wurde plötzlich auf etwas anderes, für seinen gegenwärtigen Zweck sehr Wichtiges gelenkt. Der scharfe Wind, der ihm beim Berganreiten ins Gesicht geblasen hatte, hatte die Richtung geändert und kam nun von hinten. Seine Erfahrung bei Waldbränden lehrte ihn, daß dies nur ein Zeichen sei, daß die kalte Luft nach der erwärmten über der Brandstelle ströme. Ein scharfes Beißen in seinen Augen und die Trockenheit der Luft sagten ihm, daß er sich dem Feuer nähere. Er mußte schneller vorwärts gekommen sein, als er beabsichtigte, oder die Richtung seines Weges verändert haben. Er war enttäuscht, nicht weil er nun eine andere Route zu Skinner einschlagen mußte, sondern aus einem andern Grunde. Seit der Vision am letzten Abend hatte er beschlossen, die Höhle aufzusuchen und das Geheimnis zu lüften. Er hatte seine Absicht geheim gehalten, weil er den spöttischen Bemerkungen seiner Gefährten ausweichen wollte, besonders aber auch weil er allein zu gehen wünschte, da er mehr gesehen hatte als sie.

Der Umstand hatte ihn während der Nacht beunruhigt, daß die geheimnisvollen Bewohner oder Besitzer der Höhle sich im Bereich des Feuers befanden. Er wußte, daß durch Onkel Dicks Schuld das Feuer zum Ausbruch gekommen war, und daß er dies nicht verhindert hatte, aber er beruhigte sein Gewissen durch den Gedanken, daß die Bewohner der Höhle rechtzeitig gewarnt worden seien. Aber er und seine Gefährten hätten doch den Bedrängten zu Hilfe kommen können und dann – doch hielt er inne, ein Gedanke befiel ihn, dem er keine Worte verleihen konnte. Peeble Key hatte das Alter der Romantik noch nicht, überschritten, aber gleich anderen dachte er, er könne ihm durch praktische Anwendung entgehen.

Mittlerweile hatte er die Abzweigung des Weges zur Rechten erreicht und er mußte diese Richtung wählen, wenn er auf einem Umwege um den brennenden Wald Skinner zu erreichen gedachte. Seine augenblickliche Unentschlossenheit teilte sich seinem Pferde mit, welches Halt machte. Als er wieder zu sich gekommen war, sah er mechanisch nieder; in dem Staub der Landstraße lag etwas, das seine Aufmerksamkeit in hohem Grade fesselte: ein kleiner, zierlicher Pantoffel, so klein, als ob er einem Kinde gehört habe. Er bückte sich und nahm ihn auf. Der Pantoffel war getragen und zeigte deutlich die Form des Fußes. Lange konnte er nicht dort gelegen haben, denn er war ziemlich staubfrei im Gegensatz zu den anderen herumliegenden Gegenständen. Er war augenscheinlich von einem Reisenden verloren worden, und dieser Reisende mußte Collinsons Haus passiert haben, einerlei ob er kam oder ging, und zwar innerhalb der letzten zwölf Stunden. Es war kaum möglich, daß der Pantoffel liegen geblieben war ohne daß der Verlierer ihn vermißt hatte, er mußte also auf einer sehr eiligen Flucht verloren gegangen sein. So wandte Key seine Romantik praktisch an. Dann bestieg er sein Pferd und ritt die Straße in der Richtung nach dem Feuer zu.

Aber er war erstaunt, als er nach zwanzig Minuten fand, daß die Richtung des Feuers sich geändert hatte. Vor ihm war es klarer geworden, die trockene Hitze schien nun mehr von der rechten Seite, von der Stelle zu kommen, wo sich der Weg zu Skinner hinzog. Aus diesem Umstande schloß Key, daß das Feuer die kleine Hütte noch nicht erreicht haben konnte, die er jetzt aufsuchen wollte. Er wußte, daß er in der Nähe sein mußte, denn der Ort hatte sich seinem Gedächtnis sogar in der Dunkelheit des gestrigen Abends genau eingeprägt. Er passierte den felsigen Vorsprung, die Hufe seines Pferdes schlugen nicht mehr hart auf, sondern die Tritte klangen auf dem weichen, moosigen Boden gedämpft, ihm damit die Nähe der dichtbewaldeten Höhle anzeigend. Hier kam schon ein weiterer Zwischenraum, aber ein besonderer Umstand fiel ihm auf. Er war schon den Abhang hinabgeritten, aber anstatt daß er weiter in den Schatten des Waldes kam, wurde der Wald lichter. Hier war die Grenze des Waldes, aber der Wald selbst war nicht vorhanden. Er spornte sein Pferd durch die hohen Bogen zwischen den Spalten, um sein Erstaunen zu bemeistern.

Der Wald war weg, die ganze Höhle angefüllt mit den schon geschwärzten und toten Stümpfen des gänzlich vernichteten Waldes. Mehr als das, nach den Anzeichen mußte die Katastrophe augenblicklich eingetreten sein, nachdem er gestern abend die Stelle verlassen hatte. Es war augenscheinlich, daß das Feuer auf eine unerklärbare, aber durchaus nicht seltene Weise nach einer andern Stelle übergesprungen war. Die umgebenden Anhöhen waren noch unberührt, nur die Höhle und der Felsenvorsprung, wo sie tags vorher mit ihren Pferden gehalten hatten, um das geheimnisvolle Fenster zu suchen, waren zerstört. Er erklomm den Felsen, der noch warm war. Das Feuer mußte in wenigen Stunden diese Stelle verwüstet haben. Aber eine andere Entdeckung machte ihn noch mehr stutzen. Vor ihm in einer Vertiefung der Kluft lagen die verkohlten Ueberreste eines Wohnhauses; halb verdeckt von einer natürlichen Mauer von Buschwerk und Urwald mußte es nur wenige hundert Fuß von der Stelle entfernt gestanden haben, an der sie gehalten hatten.

Sogar noch nach der Verheerung, die das wütende Element angerichtet hatte, konnte man deutlich den Grundriß und die Einteilung des vierzimmrigen Hauses erkennen. Während alle verbrennbaren Gegenstände den Flammen zum Opfer gefallen waren, verrieten einige Metallsachen, bemalte eiserne Teller und zerbrochene Riegel ihre frühere Zugehörigkeit zur Küche. Nur sehr wenige Gegenstände hatte man augenscheinlich in Sicherheit bringen können, das Haus und sein Inhalt war wie es stand den Flammen zum Raube gefallen. Mit einem Gefühl des Schreckens und der Niedergeschlagenheit versuchte Key einige der noch brennenden Haufen zu löschen. Aber sie enthielten nur Kleider, Bettzeug und irdenes Geschirr – ein Ueberrest von einem verbrannten Menschen war nicht zu entdecken. Auch kein Schluß auf die frühere Güte des Hauses mit Ausnahme seiner Größe konnte gezogen werden, nichts war übrig geblieben, als die unscheinbaren Ruinen einer ausgebrannten menschlichen Behausung.

Und doch war die ganze Existenz des Hauses ein Geheimnis. Es war Collinson, dem nächsten Nachbarn, ebenso unbekannt gewesen wie Skinner. Weder Key noch seine Gefährten hatten es bei ihrer ersten Entdeckungsreise durch die Höhlen gefunden, und nur das märchenhafte Fenster bei Nacht hatte einen Wink von seiner Verborgenheit gegeben. Verborgen war es gewiß und ebenso gewiß nicht absichtslos, aber zu welchem Zweck?

Für einige Minuten ließ Key seiner Phantasie freien Spielraum bei dieser Frage. Einsamkeit, die die absolute Stille der Natur vorzog, oder vielleicht Unzufriedenheit mit der menschlichen Gesellschaft hatte ihn hier in Gesellschaft seiner Tochter eingeschlossen. Vielleicht ein Pfadfinder, hatte er leicht einen Weg zu finden gewußt, um sein Haus von der Nachbarschaft eines Collinson oder Skinner unabhängig zu machen, von welchen er Verrat fürchtete. Aber diese Einsamkeit wird doch gewöhnlich nicht von jungen Töchtern geteilt, denn diese sind nicht Gegner der Welt und sie würden deshalb schlechte Gesellschafter sein. Warum nicht eine Frau? Und wenn es ein Weib in dieser Abgeschiedenheit aushalten mußte, weshalb sollte es nicht eines anderen Weib sein? Hier war ein Grund zum Verbergen, das Ende eines Abenteuers, in der Wildnis nicht unbekannt. Hier war aber auch ein Werk der Nemesis, mit dessen Resultat sie wohl zufrieden sein konnte. Die Geschichte, auch die Moral, war vollständig, aber sie befriedigte Key nicht im mindesten.

Seine Aufmerksamkeit wandte sich zwei- oder dreimal der Gebüschmauer zu, welche während des Brandes die ganze Macht der Hitze auszuhalten hatte. Die Ueberreste legten beredtes Zeugnis von der Hitze ab, die die Umgegend verwüstet hatte. Key nahm einige von ihnen, die noch warm waren, auf und war nicht im geringsten erstaunt, daß jedes Teilchen in seiner Hand in ein graues sandiges Pulver zerstob. Mit dem gewöhnlichsten menschlichen Interesse hob er einige Stücke auf und verbarg sie sorgfältig in seiner Tasche. Nach einigen weiteren Versuchen, etwas von den Bewohnern und ihrem vernichteten Heim zu erfahren, kehrte er nach seinem Pferd zurück. Hier nahm er aus seiner Satteltasche, halb achtlos, eine Schale aus Holz, öffnete sie und goß in ein größeres dickeres Glasgefäß eine rauchende Flüssigkeit; dann zerbröckelte er einige von den verbrannten Ueberresten, warf sie in das Glas und verfolgte die nun eintretende Aufwallung mit ungemeinem Ernst. Als die Entwicklung fast aufgehört hatte, brachte er das Gemisch in ein anderes Glas, das er niedersetzte, dann nahm er ein Zinngefäß, in das er etwas Trinkwasser goß und einige Körnchen Salz warf. Von seinen benetzten Fingern ließ er einige Tropfen des Salzwassers in das Glas fallen. Sofort bildete sich in der farblosen Flüssigkeit eine weiße Wolke, und am Boden sammelte sich ein Niederschlag. Keys Augen wurden plötzlich aufmerksam, der achtlose Ausdruck auf dem Gesicht verschwand. Seine Finger zitterten leicht, als er wieder etwas Salzwasser mit demselben Resultat in die Lösung fallen ließ. Wieder und wieder versuchte er das Experiment, und der Boden des Gefäßes war schon ganz mit einer grauen Masse bedeckt, aber auch sein Gesicht hatte eine graue Farbe angenommen.

Seine Hand zitterte nicht mehr, als er vorsichtig die Flüssigkeit abgoß, um den Bodenbesatz nicht zu stören. Dann nahm er sein Messer und schöpfte mit demselben etwas von der grauen Masse auf die Zinnbüchse. Mit dem Rücken des Messers rieb er den Bodensatz lebhaft – bald strahlte die Büchse im lebhaftesten polierten Silber.

Einen Augenblick stand er still und holte tief Atem, um das laute Pochen seines Herzens zu beruhigen. Dann erstieg er schnell den Felsen und ging über die Trümmer, wobei er die verkohlten Haufen auseinanderstieß, ohne zu bedenken, was sie enthalten hatten. Key war kein gefühlloser Mensch, auch kein raffinierter, er hatte ein ausgeprägtes Mitgefühl für andere, aber in diesem Augenblick waren alle seine Gedanken auf die verkohlten Gesteine gerichtet. Sein erster Antrieb war, zu erfahren, ob Merkmale für die Annahme vorhanden waren, daß die früheren Bewohner Kenntnis von dem Wert der Erde gehabt hatten. Aber nichts war zu finden. Ebensowenig lag ein Grund vor, anzunehmen, daß sie je zurückkehren würden nach dem verwüsteten Haus, das nun offen im Sonnenlicht dalag. Ihr Schuldbewußtsein würde sie von der Rückkehr abhalten. Ein Gefühl der Erleichterung zog in die Seele dieses Normalphantasten, der Gedanke an eine Wiedervergeltung durch den Höchsten. Er lief zu seiner Satteltasche zurück und nahm aus derselben ein oder zwei sorgfältig bewahrte Schriftstücke mit Notizen über Verkaufsrecht und Anrechte, welche er und seine Gefährten in der kurzen Teilhaberschaft festgesetzt hatten, radierte ihre Unterschrift aus und ließ nur seinen eigenen Namen stehen, mit dankbaren Gedanken an die göttliche Vorsehung, die seine Gefährten weit weggeführt hatte. Mit unbewußter Ironie wählte er sich einen Haufen verkohlte Asche, brachte sie in seiner Nähe unter und kehrte zu den Ruinen zurück. Mit einer Gewissenhaftigkeit, die ihren Grund in seinen religiösen Anschauungen haben mochte, entfernte er mit seiner Spitzhacke genug von dem brüchigen Gestein, um seine Vermutung von »körperlicher Arbeit«, die im »Claim« genau festgelegt war, festzustellen, und kehrte dann zu seinem Pferde zurück. Beim Einpacken der von ihm gebrauchten Gegenstände fiel ihm der Pantoffel in die Hände, aber so sehr waren seine Gedanken bei seiner gemachten Entdeckung, daß er sich des zierlichen Gegenstandes als eines Hindernisses entledigen wollte, bis ihm einfiel, daß er denselben wahrscheinlich gebrauchen könnte, um etwaige Ansprüche, die die früheren Bewohner an seine Entdeckung machen würden, zu beseitigen. Er war sich weder einer Treulosigkeit gegen seine Romantik noch einer Unredlichkeit gegen seine Kameraden bewußt, er glaubte, das Glück sei zu ihm gekommen, zu ihm ganz allein. Die ganze Größe der Entdeckung erschien ihm als eigenste That. Er hatte sich einen ungefähren Ueberschlag von dem Reichtum der Ader und ihrem Gehalt durch sein einfaches Experiment gemacht, seine Kenntnis der Geologie lehrte ihn die Länge, Tiefe und Breite des Lagers berechnen, und der Erfolg war über Erwarten groß. Er mußte Kapital beschaffen, um die Arbeit in Angriff nehmen zu können, er mußte andern einen Einblick in die Lage der Mine und die Prosperität des Unternehmens gewähren, aber der eigentliche Leiter wollte er, nur er sein.

Da schrak er plötzlich zusammen von einem Geräusch, Fußtritte näherten sich und kaum 20 Yards von ihm stand Collinson, der gerade vom Maultier gestiegen war. Das Blut stieg in Keys Gesicht.

»Schon wieder zurück?« sagte der Besitzer der Mühle mit seinem müden Lächeln.

»Nein,« sagte Key schnell, »ich ordne nur meine Sachen.« Das Blut rötete bei dieser offenbaren Lüge seine Wangen. Hätte er vorher darüber nachdenken können, würde er Collinson freundlich begrüßt und ihm alles erzählt haben. Aber nun störte ihn die plötzliche Ueberrumpelung. Vielleicht hatte ja sein früherer Wirt gelogen und kannte die Existenz des verborgenen Hauses. Vielleicht – er hatte gestern abend von Silberfelsen gesprochen – wußte er etwas von der Ader. Key wandte sich mit einem ärgerlichen Gesicht an Collinson; aber dessen nächsten Worte zerstörten seine Gedanken.

»Freut mich sehr, Euch zu treffen,« sagte er. »Nachdem Ihr mich verließet, sah ich Euch auf den brennenden Wald zureiten, anstatt denselben zu umgehen. Ich sagte zu mir selbst, daß Ihr vielleicht geradenwegs zu Skinner reiten wolltet. Er ist nicht gut auf mich zu sprechen, nun der leere Schweinekoben da; ich habe ihn auf Euch boys vertröstet, nun wird er nicht das Wagnis auf sich nehmen, mir zu helfen. So legte ich denn meine Beine über Jenny, sah Euch nach, um mit Euch zu Skinner zu gehen und für mich selbst zu sprechen.«

»Gewiß,« sagte Key in ausgelassener Fröhlichkeit und in dem einen Gedanken, Collinson recht schnell wegzuschaffen, »wir wollen zusammen gehen und dafür sorgen, daß der Schweinekoben gefüllt wird.« Er errötete über sein Glück, Collinsons so leicht ledig zu werden. »Laßt uns eilen, sonst könnte das Feuer auch schon die andere Landstraße ergriffen haben.« Mit diesen Worten bestieg er hastig sein Pferd.

»Das kann sein!« sagte Collinson, der mit zäher Ausdauer an seinen Gedanken hing. »Warum auch nicht? Es sieht rings umher klar aus.«

»Das Feuer ist übergesprungen, wir müssen zum Kreuzweg zurück!« sagte Key zweideutig und in seinem Bestreben, seinen lästigen Gefährten möglichst bald zu beseitigen. Noch wenige Schritte, und Collinson mußte an die Trümmer und die von Key angeschlagene »Bekanntmachung« der Besitz-Ergreifung gelangen, und dies mußte verhütet werden bis der Plan vollständig gesichert war. Eine plötzliche Aversion machte sich bei Key gegen den Mann geltend, den er noch vor wenigen Stunden hatte belohnen wollen.

»Kommt schnell!« fügte er deshalb fast rauh hinzu.

Als sie fortritten, sagte Collinson zu Key, der erfreut war, aus der Nähe der Höhle zu kommen: »Ich habe über Eure Frage nach jemandem in dieser Gegend, der mir unbekannt sein sollte, nachgedacht.«

»Gut,« sagte Key aufs neue in nervöser Erregung.

»Nun! Ich wollte Euch nur den Vorschlag machen, uns hier in dieser Gegend etwas nach dem Gegenstand umzusehen, von dem Ihr spracht,« sagte Collinson versuchend.

»Unsinn!« sagte Key schnell. »Wir sahen natürlich nichts, es war alles nur Märchen, und Onkel Dick zog mich auf, weil ich sagte, ich hätte ein Frauengesicht gesehen,« fügte er mit einem gezwungenen Lachen hinzu.

Collinson starrte auf ihn, halb traurig. »Dann habt Ihr nur gescherzt. O, das habe ich nicht gedacht. Ich glaubte aus Onkel Dicks Reden Ernst zu hören.«

Sie ritten schweigend weiter; Key fieberisch, nur mit dem Gedanken, Skinner möglichst schnell zu erreichen. Skinner war nicht nur Postmeister, sondern auch »Registrar« des Distrikts, und der neue Entdecker fühlte sich nicht eher sicher, als bis seine Rechte durch den Registrar eingetragen waren. Dies war keine Veröffentlichung seines gegenwärtigen Geheimnisses noch ein Zeichen von Erfolg, sondern es war nur eine Sicherung seines Besitzes gegen andere sanguinische Unternehmer. Aber er wurde aus seinem Nachdenken plötzlich aufgeschreckt.

»Ihr sagtet, Ihr wäret gerade mit dem Packen Eurer Sachen beschäftigt gewesen,« sagte Collinson langsam.

»Ja,« sagte Key beinahe ärgerlich, »ich war auch.«

»Ihr hieltet also nicht an der Wegkreuzung an, nicht wahr?«

»Es kann sein,« sagte Key nervös, »aber weshalb fragt Ihr?«

»Weil Ihr meine andere Frage nicht verstehen würdet. Weshalb tragt Ihr immer einen Frauenschuh mit Euch herum?«

Key fühlte das Blut in seine Wangen schießen. »Wie meint Ihr?« stotterte er, kaum fähig, seinen Gefährten anzusehen. Aber als er einen Blick auf Collinsons Züge warf, war er erstaunt, daß dieselben ebenso verstört waren wie die seinen.

»Ich weiß, es ist nicht der richtige Ort, Euch zu fragen,« sagte Collinson zögernd, aber es ist alles wie es ist. An der Straßenkreuzung, von wo Ihr kamt, fand ich einen Frauenschuh. Es betrifft mich gewissermaßen. Denn ich sag Euch, seit Wochen ist niemand in meiner Hütte gewesen als Ihr, boys, und jener Schuh kann noch nicht länger als einige Stunden dort gelegen haben, ich weiß, daß hier herum nirgends eine Frau war. Onkel Dick kann sie nicht mit sich gehabt haben, ebenfalls nicht der andere Mann, also nehme ich an, daß Ihr es wart. Und so ist es.« Er zog langsam aus seiner Tasche – was Key vollständig zu sehen vorbereitet war – den Genossen des Pantoffels, den Key in seiner Satteltasche hatte. Der schöne Flüchtling hatte sie beide verloren.

Aber Key war nun besser vorbereitet – vielleicht ist diese Art von Verstellung erfolgreich – und mit Blitzesschnelle erkannte er die Notwendigkeit, Collinson von dieser Fährte abzubringen. Seines Gefährten Einbildung kam ihm dabei zu Hilfe und, wie es schien, wieder ganz durch die Vorsehung bewirkt. Er lachte, als er, vielleicht um seine Lüge besser zu verbergen, halb hysterisch erwiderte: »Habt recht, alter Mann, es war die meine! Es ist verd – einfältig, ich weiß; aber wir sind alle Narren, wenn Frauen in Betracht kommen – ich wollte den Pantoffel nicht hergeben für einen Haufen Geld.«

Er streckte verlangend seine Hand aus, aber Collinson behielt den Pantoffel zurück und betrachtete ihn ernst.

»Ihr wollt mir nicht sagen, wie Ihr ihn erhalten habt?« sagte er nachdenklich.

»Glaubt Ihr, ich würde?« sagte Key mit einem gut gespielten Gemisch von Lust und Zorn. »Was denkt Ihr, alter Spitzbube? Für wen haltet Ihr mich?«

Aber Collinson lachte nicht. »Ihr wollt mir nicht die Gestalt und Größe derjenigen beschreiben, die diesen Pantoffel trug?«

»Entschieden thue ich nicht das, was Ihr wünscht,« sagte Key halb ungeduldig. »Genug, daß er mir von einem recht hübschen Mädchen gegeben wurde. Da! Das ist alles, was Ihr wissen dürft.«

»Euch gegeben?« sagte Collinson, seine Augen erhebend.

»Ja« erwiderte Key scharf.

Collinson überreichte ihm ernst den Pantoffel. »Ich frage Euch nur,« sagte er langsam, aber mit einem so bestimmten Ausdruck, wie ihn Key nie zuvor in seinem Gesicht gesehen hatte, »weil mich die Größe und Gestalt an etwas aus meinem Leben erinnert.« Der Tadel (wenn ein solcher beabsichtigt war) lag ebensosehr in Keys lustiger Artigkeit und seinem Leichtsinn, als in dem bewußten Vorwurf gegen den guten Ruf der ersonnenen Dulcinea. Key fühlte jedoch eine starke Neigung, sowohl die Verleumdung, als auch Collinsons grundlose Moral zu ahnden, und mit einer Rückerinnerung an Onkel Dicks skandalöse Bemerkung vom gestrigen Abend sagte er sarkastisch: »Und das eine Weib, an das Ihr denkt, ist Eure gesetzliche Ehefrau.«

»Es war!« sagte Collinson ernst.

Vielleicht war etwas in Collinsons Art und Weise, oder in seinem eigenen Vorurteil, oder er verfolgte den Gegenstand nicht weiter, deshalb schlief die Unterhaltung ein. Sie näherten sich auch dem Herd des Brandes immer mehr und der auf dem noch vom Feuer verschont gebliebenen Teil des Waldes lagernde Rauch bewirkte, daß sie oft gänzlich den richtigen Pfad verloren. Zu anderer Zeit wieder kam es ihnen durch die ungeheure Hitze so vor, als ob sie sich inmitten des brennenden Waldes befänden. Es war merkwürdig, daß Key mit seinem beginnenden Glück seine gewöhnliche sorgenfreie Furchtlosigkeit verloren hatte und ungeduldig nach seines Gefährten Kenntnis der Umgegend fragte. Endlich gelangten sie an einen Nebenpfad und befanden sich vollständig in Sicherheit und Key war fast durch die unbesiegbare Geduld Collinsons beschämt.

Ein geneigtes Tafelland trennte sie nun von dem Feuer, und bald begannen sie abwärts zu reiten. Auf ihrem Wege erreichten sie eine breite Wagenstraße, und Key sah zum erstenmal seit vierzehn Tagen wieder Wagen. Nun jubelte sein Herz und sein Glück schien vollständig, denn er wußte, daß nun auch Skinner nicht mehr weit entfernt war. Nach kurzer Zeit sahen sie Marysville, das am Abhange des Gebirges lag.

Es bestand aus einem Postgebäude, einer Taverne, einer Grobschmiede, einem » general store«, Allerleiladen, und kaum ein Dutzend Gebäuden, die aber im Gegensatz zu Collinsons Mühle werkthätiges Leben zeigten. Key und Collinson ritten vor die Thür der Expreßoffice, wo die Expreßwagen zur Abfahrt bereit standen. Dies alles schien wieder für Key von großem Vorteil zu sein. Durch seinen Kopf schossen die abenteuerlichsten Gedanken. Skinners Laden lag ihm recht, hier konnte er alles haben, und diese Einsicht machte ihn freundlicher auch gegen Collinson, zu dem er sagte: »Wenn Ihr weitere Vorteile haben wollt, könnt Ihr uns den Wechsel in Zahlung geben, den Ihr von Parker erhalten habt.«

»Ihr meint den Fetzen Papier, den der Bursche zurückließ?«

»Ja.«

»Ich zerriß ihn.«

»Ihr habt ihn entzwei gerissen?« schrie Key auf.

»Könnt Ihr denn nicht hören? Ja!« sagte Collinson.

Key starrte ihn an. Gewiß war es besser, daß er diesem unwissenden Menschen sein Geheimnis nicht anvertraut hatte. Die Gewissensbisse, die er sich wegen der Lüge über die Herkunft der Pantoffeln machte, verschwanden sofort. Diesem Menschen durfte er nicht trauen, er konnte ihm sein Verkaufsrecht schmälern und sich und seine Ansprüche befriedigen. War er ganz sicher, daß Collinson nicht den Ort besuchen würde wenn er gegangen war?

Key hatte beabsichtigt, sein Pferd zur Sicherheit für Collinsons Schulden bei Skinner zurückzulassen, aber Skinners Entgegenkommen machte dies unnötig, deshalb bot er Collinson das Tier an, damit er sich desselben zum Heimschaffen der Waren bediente. Er rechnete sehr richtig, daß Collinson dann die Landstraße als den bequemeren Weg für die beiden Tiere benutzen würde, er ihn infolgedessen aus der Nähe der Höhle verbannt hatte.

»Habt Ihr denn keine Angst vor den Straßenräubern?« warf ein Zuschauer ein, »gerade in dieser Zeit machen sie viel von sich reden.«

»Ach, geht, sie sind jetzt lange nicht so thätig wie sonst,« erwiderte Skinner. »Ihnen kommt’s besonders auf die Pferde an,« fügte er mit einem Seitenblick auf Keys Pferd hinzu. Aber Key stand schon im Eilwagen und schüttelte seinem geduldigen Patienten zum Abschied die Hand. Nichtsdestoweniger überkam ihn beim Abfahren der Gedanke an die neue Gefahr, die seinem neuen Besitztum von dieser Seite drohte. Er reflektierte aber gleichzeitig, daß das rohe Erz schwerlich die Raubgier anziehen würde. Ja, wenn es eine Goldmine gewesen wäre! Aber so war hier wieder ein Zeichen der göttlichen Vorsehung zu erkennen.

Nach einer Woche kehrte Key zu Skinner zurück mit Aufseher und zehn Arbeitern, und einem unbeschränkten Kredit, zu ziehen auf Marysville. Unternehmungen dieser Art erweckten nicht Skinners Erstaunen. Wie oft waren schon Gesellschaften in diese Gegend gekommen, die nicht wußten, was oder wie, die Tiefe des Waldes hatte ihre Geheimnisse aufgenommen; dann waren sie verschwunden, niemand wußte, wie und wohin, und oft hatten sie bei Skinner Schulden hinterlassen. Folglich war auch nichts in Keys Unternehmung, was Erstaunen erregen konnte.

In der nächsten Woche schloß sich der Gesellschaft eine herumstreifende, wohlverproviantierte, alles untersuchende Menge an, zwei Wochen später war alles genau untersucht und in drei Wochen hatten die Angestellten der » Sylvian Silver Hollow Company«, der »Sylvian Silberhöhlencompagnie« jeden Fuß Erde umgewälzt. Keiner der früheren Gefährten Keys würde die Höhle und die Umgebung derselben wieder erkannt haben, solche Veränderungen hatte Key vornehmen lassen. Key selbst hatte alles vergessen, nur nicht, daß er den ganzen Erfolg seinem einfachen Experiment zu verdanken habe.

Eines Nachts, als tiefe Stille die Ansiedelung Keys überzogen hatte und die Arbeiter im besten Schlafe lagen, vernahm man plötzlich ein lautes Geschrei und das Stampfen von Pferden vor der Hütte. Alle sprangen auf, ergriffen die Waffen und eilten hinaus ins Dunkle, vor ihnen stand eine bewegungslose Reitermauer. Zwei aus Aesten und Pinien hergestellte Fackeln flammten auf und eine Stimme erteilte in energischem Ton Befehle. In ihrem Erstaunen, halber Ueberraschung und Verwirrung wußten die Ueberfallenen keinen Ausweg.

»Nieder mit den Waffen, Hände hoch!«

Key war kein Feigling, der Mann, obgleich er flüsterte, sprach energisch, sie gehorchten.

»Der Führer trete vor! Er stelle sich dort neben die Fackel!«

Eine von den Fackeln wurde in die Mitte gebracht, und kalt und gefaßt trat Preble Key neben sie.

»Es ist gut!« sagte die Stimme ohne Veränderung. »Nun wünschen wir Jack Riggs, Sydny Jack, French Pete und den einäugigen Charley.«

Eine lebhafte Erinnerung an frühere Scenen in der Höhle kam über Key. Mit einem instinktiven Begriff sagte er sich, daß dieser Einbruch mit den früheren Bewohnern in Verbindung stehe, deshalb erwiderte er kühl:

»Wer wünscht sie?«

»Der Staat Kalifornien!« sagte die Stimme.

»Der Staat hätte früher kommen müssen,« erwiderte Key in seiner früheren angenehmen Stimme, »Leute mit solchen Namen sind nicht in meiner Gesellschaft.«

»Wer seid Ihr?«

»Der Leiter der › Sylvian Silver Hollow Company‹ und die Leute sind meine Arbeiter.«

In dem dichten Haufen entstand eine Bewegung, dann sagte die Stimme:

»Habt Ihr Papiere, um dies zu beweisen?«

»Ja, drinnen. Und Ihr?«

»Ich bin Bevollmächtigter vom Sheriff von Sierra!«

Wieder trat eine Pause ein, dann sagte die Stimme weniger dünkelhaft:

»Seid Ihr schon lange hier?«

»Drei Wochen. Ich kam hierher am Tage nach dem Waldbrand und errichtete diesen Claim Der Ausdruck »Claim« ist im Deutschen nicht wiederzugeben. Er bedeutet die Besitzergreifung von einem Stück Land, die jedem Ansiedler zusteht. D. Uebers..«

»War hier kein andres Haus?«

»Ruinen waren vorhanden, Ihr könnt sie noch sehen. Möglich, daß es ein niedergebranntes Haus war.«

Die Stimme kam langsam näher.

»Es war eine Diebsbande. Es war hier der Unterschlupfsort für Jack Riggs und seine Horde von Straßenräubern. Seit drei Wochen bin ich ihnen auf den Fersen. Und nun ist alles unnütz.«

Ein Lachen ertönte von Keys Arbeitern, aber es verstummte, als die Stimme näher kam und man neben der Fackel ein ernstes dunkles Gesicht sah, das von einem braven Manne Zeugnis gab.

»Wollt Ihr hineinkommen und etwas nehmen?« fragte Key freundlich.

»Nein, es ist für mich genug Narrenarbeit, Euch gestört und aufgehalten zu haben. So ist es immer in meiner verd – Tagesarbeit. Gute Nacht! Vorwärts!«

Die beiden Fackeln tanzten vorwärts und bald herrschte in der Ansiedelung wieder tiefe Stille.

Als Preble Key allein war, entrang sich ein Seufzer der Erleichterung seiner Brust. Nun war auch der letzte Schatten von seinem Glück verschwunden. Die früheren Bewohner waren outlaws, Gesetzlose, Ausgestoßene aus der menschlichen Gesellschaft gewesen, nun drohte seinem Besitztum keinerlei Gefahr mehr.

Aber dennoch, wenn auch ein Gefühl der Sorglosigkeit über ihn kam, immer wieder mußte er an die Erscheinung und das liebliche Gesicht denken, das er an jenem Abend am Fenster gesehen hatte.