WIEVIEL ERDE BRAUCHT DER MENSCH?
Leo Tolstoi
Deutsch von Hanny Brentano
Mit Bildschmuck von Professor A. Brentano
I.
Die ältere Schwester aus der Stadt kam zu der jüngeren Schwester auf dem Lande zu Besuch. Die ältere war die Frau eines Kaufmanns in der Stadt, die jüngere die eines Bauern im Dorf. Die Schwestern trinken Tee und plaudern. Die ältere Schwester beginnt zu prahlen und ihr Leben in der Stadt zu rühmen: wie sie in der Stadt geräumig und sauber wohnt und gekleidet geht, wie sie ihre Kinder putzt, wie gut sie ißt und trinkt und wie sie Spazierfahrten und Vergnügungen mitmacht und Theater besucht.
Das ärgerte die jüngere Schwester und sie fing an, das Kaufmannsleben herabzusetzen und ihr eigenes Bauernleben zu preisen.
»Ich möchte nicht mit dir tauschen,« sagte sie; »wenn wir auch nicht so schön wohnen wie ihr, so kennen wir doch keine Sorge. Ihr lebt wohl besser, aber ihr könnt einmal gute Geschäfte machen und ein andermal alles verlieren. Das Sprichwort sagt: Gewinn und Verlust sind leibliche Brüder. Auch ist es schon vorgekommen, daß einer heute ein reicher Mann und morgen ein Bettler war. Unser Bauerndasein aber ist sicherer: der Bauer lebt schmal, aber lang’ wir werden nie reich werden, wir werden aber immer satt sein.«
Da begann die ältere Schwester:
»Ja, aber wie! Gemeinsam mit Schweinen und Kälbern! Bei euch gibt’s weder Behagen noch Benehmen! Dein Mann mag sich plagen soviel er will, – auf dem Düngerhaufen lebt ihr und auf dem Düngerhaufen werdet ihr auch sterben, und euren Kindern wird’s nicht anders ergehen!«
»Was tut’s?« erwiderte die jüngere, »unser Leben ist nun einmal so. Dafür sind wir selbständig, bücken uns vor niemand und fürchten niemand. Ihr Stadtleute aber lebt in beständigen Anfechtungen. Heut’ geht alles gut, morgen schleicht der Böse heran und verführt deinen Mann im Handumdrehen zum Kartenspiel oder zum Trunk. Und dann wird alles durchgebracht. Als ob das nicht schon vorgekommen wäre!«
Pachom, der Bauer, lag auf dem Ofen und hörte dem Geschwätz der Frauen zu.
»Das ist wahr,« sagte er, »vollkommen wahr. Unsereinem, der von kleinauf Mütterchen Erde bearbeitet, kommen solche Narrheiten gar nicht in den Sinn. Kummer macht uns nur eines: wir haben zu wenig Land! Hätte ich so viel Land, als ich haben will, so fürchtete ich niemand, nicht einmal den Teufel selber!«
Die Frauen tranken ihren Tee aus, schwatzten noch von Putz und Staat, räumten das Geschirr ab und legten sich schlafen.
Hinter dem Ofen aber hatte der Teufel gesessen und alles mit angehört. Er freute sich, daß die Bäuerin ihren Mann zum Prahlen gebracht und daß er gesagt hatte, wenn er nur Land genug hätte, so würde ihm selbst der Teufel nichts anhaben können.
»Schon recht!« denkt er, »wir wollen unsre Kräfte messen! Ich werde dir viel Land geben – und grade durch das Land werde ich dich fangen!«
II.
In der Nachbarschaft der Bauern lebte die Besitzerin eines kleinen Gutes. Sie besaß einhundertundzwanzig Morgen Landes. Früher hatte sie mit den Bauern in Frieden gelebt und sie in keiner Weise gekränkt. Dann aber trat ein ausgedienter Soldat als Verwalter in ihre Dienste; der begann die Bauern mit Strafzahlungen zu plagen. So sehr Pachom sich auch in acht nahm: bald lief sein Pferd ins nachbarliche Haferfeld, bald verirrte sich eine seiner Kühe in den Garten, oder die Kälber gingen auf die fremde Wiese, und für alles mußte Strafe gezahlt werden.
Pachom zahlt – und schilt und schlägt seine Leute. So beging er um dieses Verwalters willen den Sommer über gar viele Sünden. Er war förmlich froh, als das Vieh im Stalle bleiben mußte; wenn’s ihm auch um das viele Futter leid war, so hatte er nun doch wenigstens keine Angst auszustehen.
Im Winter kam das Gerücht auf, daß die Gutsbesitzerin Land verkaufe und daß der Verwalter beabsichtige, das Stück bis zur Landstraße zu erstehen. Als die Bauern das hörten, erschraken sie sehr. »Na,« dachten sie sich, »wenn der Verwalter das Land kriegt, wird er uns noch viel ärger mit Strafen quälen als bisher. Wir können ohne dieses Land nicht leben, unser aller Felder stoßen daran.« Und sie gingen alle zusammen zu der Gutsfrau und baten, sie möge das Land nicht dem Verwalter, sondern ihnen verkaufen. Sie wollten auch mehr zahlen als er. Die Gutsfrau ging darauf ein. Nun überlegten die Bauern, wie sie das ganze Land auf gemeinsame Kosten kaufen sollten. Sie hielten mehrere Zusammenkünfte, kamen aber zu keiner Einigung. Der Böse stiftete immer wieder Unfrieden zwischen ihnen. Da beschlossen die Bauern, jeder einzelne solle auf seine Kosten kaufen, soviel er bezahlen konnte. Auch damit war die Gutsfrau einverstanden. – Pachom erfuhr, daß sein Nachbar zwanzig Morgen gekauft und daß die Besitzerin ihm die Hälfte des Kaufpreises auf mehrere Jahre gestundet habe; das erweckte seinen Neid.
»Sie werden das ganze Land aufkaufen,« dachte er, »und für mich wird nichts übrig bleiben.« Und er begann mit seiner Frau zu beraten.
»Die Nachbarn kaufen,« sprach er, »auch wir müssen so etwa zehn Morgen kaufen, sonst kommen wir nicht aus: der Verwalter hat uns mit den Strafzahlungen zu sehr geplagt.«
Sie überlegten, wie sie es anfangen sollten. Hundert Rubel hatten sie erspart, nun verkauften sie ein Füllen und die Hälfte ihrer Bienen, verdangen den Sohn als Arbeiter und machten noch Schulden beim Schwager – so kam die Hälfte des Geldes zusammen.
Als Pachom das Geld beisammen hatte, suchte er sich ein Stück Land aus – fünfzehn Morgen Ackerboden mit einem kleinen Wäldchen – und ging zu der Gutsbesitzerin, um den Kauf abzuschließen. Er erstand die fünfzehn Morgen, gab den Handschlag und zahlte das Angeld. Dann fuhren sie in die Stadt und setzten den Kaufvertrag auf; die Hälfte des Geldes zahlte Pachom sofort, den Rest verpflichtete er sich, in zwei Jahren abzuzahlen.
Nun hatte Pachom also sein Land. Er verschaffte sich Saat auf Borg und besäte den gekauften Acker. Die Ernte war gut. In einem Jahre konnte er sowohl der Gutsfrau als dem Schwager die Schuld bezahlen. So war Pachom ein Gutsbesitzer geworden: sein eigner Boden war’s, den er bebaute, auf dem er Heu mähte, Stämme fällte und sein Vieh weidete. Wenn er hinausfuhr, seinen Acker zu pflügen, oder wenn er hinausging, die Saat und die Wiesen anzusehen, konnte er sich nicht sattfreuen an seinem Besitz. Ihm war, als wüchse hier das Gras ganz anders und als blühten die Blumen anders als sonstwo. Früher, wenn er an diesem Stück Landes vorbeigefahren, war es für ihn ein Land gewesen wie jedes andere, jetzt aber war’s etwas ganz Besonderes geworden.
III.
So lebt Pachom zufrieden und freut sich. Alles wäre gut gewesen, wenn nur die andern Bauern Pachoms Felder und Wiesen in Ruhe gelassen hätten. Er bat und beschwor sie, – aber es half nichts. Bald ließen die Hirten ihre Kühe auf seine Wiesen, bald liefen die Pferde, die nachts auf die Weide getrieben wurden, in sein Getreide. Pachom verjagte sie, verzieh den Bauern immer wieder und verklagte sie nicht. Allmählich wurde es ihm aber zu arg und er klagte beim Gemeindegericht. Er wußte zwar, daß nur die nahe Nachbarschaft schuld an allem war und daß keine böse Absicht vorlag, aber er sagte sich: »Man darf es ihnen nicht so durchgehen lassen, sie verderben mir ja das ganze Land! Ich muß ihnen eine Lehre geben.«
Und so gab er ihnen durch das Gericht eine Lehre, einmal und noch einmal; dieser und jener Bauer wurde zum Strafezahlen verurteilt. Das trug Pachom den Zorn der Nachbarn ein, und sie fingen an, ihm absichtlich Schaden zuzufügen. Einer von ihnen schlich sich bei Nacht in Pachoms Wäldchen und fällte etwa zehn junge Linden, um sich Bast zu verschaffen. Pachom fährt bald darauf am Wäldchen vorbei und sieht, es liegt etwas Weißes am Boden. Er fährt näher heran: die abgeschälten Lindenstämme liegen da und aus der Erde starren die Baumstümpfe. Wenn der Bösewicht wenigstens nur die äußersten Bäumchen einer Gruppe gewählt und die mittleren stehen gelassen hätte, aber er hatte sie alle der Reihe nach umgehauen. Pachom geriet in Wut.
»Ach,« denkt er, »wenn man doch herausbekommen könnte, wer das getan! Dem Schurken würd’ ich’s heimzahlen!« Lange dachte er nach, wer es gewesen sein könnte. »Kein anderer als der Simon!« entschied er endlich. Und er ging auf Simons Hof, um dort Umschau zu halten, fand aber nichts und geriet nur in Streit mit Simon. Dennoch gewann er immer mehr und mehr die Überzeugung, daß Simon der Schuldige war. Er reichte eine Klage ein. Sie wurden vor Gericht geladen. Die Richter verhandelten eine Weile und sprachen den Simon frei, weil jeder Beweis für seine Schuld fehlte. Das kränkte Pachom noch mehr, und er geriet in Streit mit dem Gemeindeältesten und den Richtern.
»Ihr geht Hand in Hand mit den Dieben!« schrie er, »wenn ihr selbst nach Recht und Gerechtigkeit lebtet, würdet ihr Diebe nicht freisprechen!«
So verzankte Pachom sich nicht nur mit den Nachbarn, sondern auch mit den Richtern. Es kam so weit, daß man ihm drohte, sein Haus anzuzünden. Auf seinem Grundstück hatte er nun Raum genug, in der Gemeinde aber wurde es für ihn immer enger.
Um jene Zeit ging das Gerücht, daß die Bauern nach anderen Gegenden des Reiches auswandern. Und Pachom dachte sich: »Ich selbst hab’ ja keinen Grund, mein Land zu verlassen, aber wenn doch einige aus unserm Dorf fortgingen! Dann wär’s geräumiger bei uns. Ich würde ihr Land übernehmen und meinen Besitz abrunden. Das gäbe ein bequemeres Leben. Jetzt ist’s gar so eng!«
Einst sitzt Pachom bei sich daheim, da tritt ein durchreisender Bauer ins Zimmer. Man nahm ihn für die Nacht auf, gab ihm zu essen und zu trinken und geriet in ein Gespräch mit ihm, fragte ihn, woher er des Weges komme. Der Bauer erwidert, er komme von Süden, von jenseits der Wolga, wo er in Arbeit gestanden. Ein Wort gibt das andere, und der Fremde erzählt, wie sich dort das Volk ansiedelt. Auch aus seinem Dorf sind Leute hingegangen, haben sich in die dortige Gemeinde aufnehmen lassen und je zehn Morgen Landes pro Kopf zugeteilt erhalten. Und der Boden ist dort so fruchtbar, erzählt er. Sie haben Roggen gesät, da waren die Ähren so hoch, daß sich ein Pferd zwischen ihnen verbergen konnte, und so dicht, daß fünf Handvoll Halme schon eine Garbe bildeten. Ein Bauersmann, so erzählt der Fremde, der ganz arm und mit leeren Händen hinkam, hat jetzt schon sechs Pferde und zwei Kühe.
Pachoms Herz entbrannte. Er dachte: »Warum soll ich hier in der Enge mich plagen, wenn sich’s anderswo so gut leben läßt? Ich verkaufe hier Land und Hof; mit dem Gelde baue ich mich drüben an und richte mir die ganze Wirtschaft ein. Hier in der Enge gibt’s nichts als Streit. Nur muß ich zuerst selber hin, um mich nach allem zu erkundigen.«
Im Sommer machte Pachom sich auf den Weg. Bis zur Stadt Ssamara fuhr er die Wolga hinab auf einem Dampfschiff, dann ging er vierhundert Werst zu Fuß. Er kam an Ort und Stelle. Alles stimmte: die Bauern leben bequem, jeder Familie sind zehn Morgen Landes pro Kopf zugeteilt, und die Fremden werden gern in die Gemeinde ausgenommen. Hat jemand aber Geld, so kann er außer den zugeteilten zehn Morgen so viel Land dazukaufen als er will, zu drei Rubel für den Morgen des besten Bodens.
Als Pachom alles erfragt hatte, kehrte er zum Herbst nach Hause zurück und begann, sein Hab und Gut zu verkaufen. Er verkaufte das Land mit Gewinn, verkaufte seinen Hof, verkaufte alles Vieh; dann ließ er sich in den Gemeindelisten streichen, wartete den Frühling ab und reiste mit seiner Familie nach dem neuen Wohnorte ab.
IV.
Pachom war mit den Seinen an Ort und Stelle angelangt und hatte sich in einem großen Dorfe in die Gemeinde einschreiben lassen. Er hatte die Gemeindeältesten mit Schnaps bewirtet und alle seine Papiere in Ordnung gebracht, war ausgenommen worden und hatte, da seine Familie aus fünf Personen bestand, fünfzig Morgen Acker auf verschiedenen Feldern erhalten, dazu noch Weideland. Pachom baute seinen Hof und kaufte Vieh an. Das zugeteilte Land allein machte schon dreimal mehr aus als sein früherer Besitz. Und der Boden trug reiche Frucht. Es lebte sich hier zehnmal besser als in der alten Heimat. Sowohl Ackerboden als Weideland war in genügender Menge vorhanden; Vieh konnte man halten, soviel man nur wollte.
Anfangs, solange Pachom baute und sich einrichtete, erschien ihm alles ganz vortrefflich, als er sich aber eingelebt hatte, kam es ihm auch hier eng vor. Pachom säte im ersten Jahr auf dem ihm zugeteilten Lande Weizen, der sehr gut gedieh. Nun bekam er Lust, noch mehr Weizen zu säen, und da erschien ihm der zugeteilte Acker zu klein und auch nicht tauglich genug für den Weizen. Dort säte man den Weizen auf Neuland oder auf Brachfeld. Man besäte das Land ein oder zwei Jahre und ließ es dann brach liegen, bis es sich wieder mit Steppengras bedeckte. Für solchen Boden waren viele Liebhaber da, aber für alle reichte es nicht. Daher entstand oft Streit um des Bodens willen. Die Reicheren wollten selbst säen, die Armen verpfändeten das Land an Kaufleute, um die Steuern bezahlen zu können. Pachom hätte gern recht viel ausgesät. Daher fuhr er im zweiten Jahr zu einem Kaufmann, pachtete Land auf ein Jahr und besäte es. Die Ernte war gut, aber das Feld lag weitab vom Dorf; fünfzehn Werst mußte man fahren, um hinzukommen. Pachom sieht, daß die handeltreibenden Bauern der Gegend wie Gutsbesitzer leben und reich werden. »Das wär so was,« denkt er sich, »wenn auch ich mir ein Erbland anlegte und einen Gutshof baute! Das wäre ein abgerundeter Besitz!« Und Pachom begann zu überlegen, wie er’s anfangen sollte, um ein Erbgut zu erwerben.
So verlebte Pachom drei Jahre. Er pachtete Land und säte Weizen darauf. Es waren gute Erntejahre; der Weizen gedieh vortrefflich und brachte ihm bald einen Spargroschen ein. Pachom hätte gut und zufrieden leben können, aber es war ihm ärgerlich, daß er alljährlich von neuem wegen des Landes verhandeln mußte: wo der Boden gut war, da stürzten sich die Bauern darauf, und jeder nahm sich sein Teil; wenn Pachom zu spät kam, hatte er kein Feld zu bestellen. Im dritten Jahr hatte er zusammen mit einem Kaufmann von den Bauern Weideland gepachtet; sie hatten schon zu pflügen angefangen, da waren die Bauern in Streit geraten und alle Arbeit war umsonst gewesen. »Wenn’s mein eigener Boden wäre,« dachte Pachom, »brauchte ich mich vor niemand zu bücken, und alles ließe sich in Frieden abmachen.«
Pachom begann nachzufragen, wo man Land als Erbgut zu kaufen bekäme. Er fand einen Bauern, der fünfhundert Morgen Land gekauft hatte, dann verarmt war und nun billig verkaufen wollte. Pachom unterhandelte mit ihm. Sie feilschten und feilschten und einigten sich schließlich auf fünfzehnhundert Rubel, von denen die Hälfte bar auszubezahlen war. Der Handel war beinahe abgeschlossen, als eines Tages ein durchreisender Kaufmann bei Pachom einkehrte, um seine Pferde zu füttern. Man trank Tee miteinander und plauderte dabei, und der Kaufmann erzählte, daß er weither komme, von den Baschkiren. Von denen habe er Land gekauft, berichtete er, so gegen fünftausend Morgen, und das Ganze komme ihm nur auf eintausend Rubel zu stehen. Pachom begann ihn auszufragen, und der Kaufmann erzählte.
»Ich hab’ mir nur die Ältesten des Volkes wohlgesinnt gemacht,« sagte er; »Schlafröcke und Teppiche hab’ ich ihnen geschenkt, mindestens hundert Rubel wert, dann eine Kiste Tee, und Wein gab ich ihnen, soviel ein jeder wollte. So hab’ ich den Morgen Land zu zwanzig Kopeken gekauft.«
Er zeigte den Kaufbrief und sprach weiter: »Das Land liegt am Fluß, und die ganze Steppe ist Neuland.«
Pachom fragte ihn genau aus. Der Kaufmann berichtete:
»Das ganze Land gehört den Baschkiren und ist so groß, daß du in einem Jahr nicht herumkommst. Das Volk aber ist schafsdumm. Fast umsonst kann man’s von ihnen haben!«
»Nun,« denkt Pachom, »warum soll ich hier für meine tausend Rubel nur fünfhundert Morgen kaufen und mir dabei noch eine Schuld auf den Hals laden, wenn ich dort für tausend Rubel wer weiß was alles bekommen kann!«
V.
Pachom erkundigte sich, wie man zu den Baschkiren käme, und kaum war der Kaufmann fortgefahren, so rüstete er selbst sich zur Reise. Das Haus vertraute er seiner Frau an, einen Knecht nahm er mit auf den Weg. Sie fuhren zur Stadt, kauften eine Kiste Tee, Geschenke, Wein – alles, wie der Kaufmann gesagt hatte. Sie fuhren und fuhren und legten etwa 500 Werst zurück. Am siebenten Tage langten sie im Baschkirenlager an und fanden alles so, wie der Kaufmann es geschildert hatte. Alle leben in der Steppe, am Flußufer, in Zelten aus Filzstoff. Sie ackern nicht und essen kein Brot. In der Steppe aber werden Rinder und Pferde in großen Herden. Hinter den Zelten sind die Füllen angebunden, und zweimal am Tage treibt man die Mutterpferde zu ihnen hin. Man melkt die Stuten und bereitet aus der Milch Kumys. Die Frauen rühren den Kumys und machen Käse daraus, die Männer aber tun nichts als Kumys und Tee trinken, Hammelfleisch essen und auf der Rohrpfeife blasen. Alle sind liebenswürdig, lustig, feiern den ganzen Sommer lang. Es ist ein ganz ungebildetes Volk, das nicht einmal russisch kann, aber die Leute sind freundlich.
Kaum hatten die Baschkiren Pachom erblickt, als sie aus ihren Zelten herauseilten und den Fremden umringten. Es fand sich ein Dolmetsch. Pachom sagte ihm, daß er des Landes wegen hergekommen sei. Die Baschkiren freuten sich, faßten Pachom bei den Händen, führten ihn in ein schönes Zelt, setzten ihn auf Teppiche und weiche Daunenpolster, ließen sich rings um ihn im Kreise nieder und bewirteten ihn mit Kumys und Tee. Sie schlachteten auch einen Hammel und setzten dem Gast das Fleisch vor. Pachom holte die Geschenke aus dem Wagen und verteilte sie unter die Baschkiren; er bedachte jeden einzelnen mit einer Gabe und mit Tee. Die Baschkiren waren voller Freude. Sie schwatzten und schwatzten miteinander und ließen dann den Dolmetsch sprechen.
»Sie lassen dir sagen,« erklärte der Dolmetsch, »daß sie dich lieb gewonnen haben und daß bei uns die Sitte besteht, dem Gast jegliches Vergnügen zu bereiten und ihm für seine Geschenke durch Gegengeschenke zu danken. Du hast uns reich bedacht; jetzt sag uns, was dir bei uns am besten gefällt, auf daß wir dir’s geben.«
»Am besten gefällt mir euer Land,« erwiderte Pachom. »Bei uns herrscht Mangel an Land, und der Boden ist bereits erschöpft. Ihr aber habt viel Land, und es ist so fruchtbar, wie ich noch nie welches gesehen.«
Der Dolmetsch übersetzte Pachoms Worte. Die Baschkiren sprachen eifrig untereinander. Pachom versteht nicht, was sie sagen, aber er sieht, daß sie lustig sind: sie schreien und lachen. Dann verstummen sie und blicken Pachom an, und der Dolmetsch spricht:
»Sie lassen dir sagen, daß es sie freuen wird, dir zum Dank für deine Geschenke so viel Land zu geben als du nur haben willst. Zeig’ nur mit der Hand, welches Land es sein soll, und es wird dein sein.«
Die Baschkiren sprachen wieder durcheinander und gerieten in Streit. Pachom fragte, weshalb sie stritten, und der Dolmetsch antwortete:
»Die einen sagen, man müsse wegen des Landes den Ältesten fragen, man dürfe ohne ihn nichts entscheiden, und die andern meinen, es gehe auch ohne ihn.«
VI.
So streiten die Baschkiren hin und her; da kommt plötzlich ein Mann in einer Fuchsmütze gegangen. Alle verstummen und erheben sich, und der Dolmetsch sagt:
»Das ist der Älteste selbst!«
Pachom holte sogleich den besten Schlafrock und überreichte ihn dem Ältesten, dazu noch fünf Pfund Tee. Der Älteste nahm die Geschenke an und setzte sich auf den ersten Platz. Die Baschkiren begannen ihm sofort etwas zu erzählen. Der Älteste hörte aufmerksam zu, gab ein Zeichen, daß sie schweigen sollten, und sagte zu Pachom auf russisch:
»Warum nicht, das läßt sich machen. Nimm, was dir gefällt. Land ist genug da!«
»Wie soll ich denn nehmen, was mir gefällt?« denkt Pachom; »das muß doch irgendwie festgesetzt werden, sonst sagen sie erst: es gehört dir, und nehmen mir’s später wieder fort!«
»Ich danke euch für die guten Worte,« sprach er. »Ihr habt Land in Menge, ich aber brauche nur wenig. Ich muß nur wissen, welches Stück mir gehören soll. Man wird es doch irgendwie abmessen und festsetzen müssen. Denn sonst – Gott ist Herr über Leben und Tod – ihr guten Leute gebt mir’s, eure Kinder aber nehmen’s vielleicht wieder zurück.«
»Du hast recht,« erwiderte der Älteste, »man kann das festsetzen.«
Pachom begann wieder: »Ich hab’ gehört, daß ein Kaufmann bei euch gewesen ist; dem habt ihr auch Land geschenkt, habt ihm aber einen Kaufbrief gegeben. Macht’s mit mir ebenso.«
Der Älteste verstand alles. »Das läßt sich wohl machen,« sagte er, »wir haben auch einen Schreiber, wir werden in die Stadt fahren und alles verschreiben und besiegeln.«
»Und wie wird der Preis sein?« fragte Pachom.
»Wir haben nur einen Preis: 1000 Rbl. für den Tag.«
Pachom verstand nicht. »Was ist das für ein Maß: ein Tag?« fragte er; »wieviel Morgen sind darin?«
»Das verstehen wir nicht zu berechnen,« erwiderte der Älteste, »wir verkaufen nach dem Tage: wieviel Land du an einem Tage umgehen kannst, soviel gehört dir, und der Preis dafür ist 1000 Rbl.«
Pachom staunte. »Ja aber –« meinte er – »an einem Tage kann man doch sehr viel Land umgehen!«
Der Älteste lachte. »Dann gehört’s eben dir!« sagte er; »nur eine Bedingung: wenn du nicht am selben Tage an den Ort zurückkommst, von dem du ausgegangen bist, so ist dein Geld verfallen.«
»Und wie wird die Strecke, die ich zurücklege, bezeichnet?« fragte Pachom.
»Wir stellen uns dort auf, von wo du dir das Land wählst; wir bleiben stehen, du aber marschierst drauf los und umgehst ein Stück Land. Du nimmst eine Hacke mit, und wo es dir notwendig erscheint, machst du ein Zeichen. An den Ecken grab’ kleine Gruben, wirf Rasenstücke auf, – wir ziehen dann von Grube zu Grube mit dem Pfluge eine Furche. Nimm den Bogen so groß du willst, nur komm vor Sonnenuntergang zu der Stelle zurück, von welcher du ausgegangen bist. Alles Land, das du auf diese Weise umkreisen kannst, ist dein!«
Pachom freute sich. Man beschloß, früh Morgens aufzubrechen. Es wurde noch eine Weile geschwatzt, Kumys getrunken, Hammelfleisch gegessen, Tee eingeschenkt, bis die Nacht herankam. Da betteten die Baschkiren ihren Gast auf weichen Pfühlen und gingen auseinander. Man verabredete, am nächsten Morgen in der Frühdämmerung zusammenzukommen und sich noch vor Sonnenaufgang an Ort und Stelle zu begeben.
VII.
Pachom liegt auf den weichen Daunenkissen und kann nicht schlafen, muß immer wieder an das Land denken. »Ich will schon ein tüchtiges Stück erwischen!« sagt er sich; »so gegen fünfzig Werst werde ich doch wohl an einem Tage umgehen! Der Tag ist jetzt lang wie ein Jahr. In fünfzig Werst aber steckt schon was drin! Das schlechtere Land werd’ ich verkaufen oder den Bauern überlassen, das bessere wähle ich für mich selbst und mach’ mich darauf ansässig. Ich schaffe mir zwei Ochsengespanne an und nehme mindestens zwei Knechte auf; ein halbes Hundert Morgen bebaue ich, auf dem übrigen Lande lasse ich mein Vieh werden.«
Die ganze Nacht konnte Pachom nicht schlafen, erst kurz vor der Morgendämmerung schlummerte er ein. Kaum waren ihm die Augen zugefallen, so hatte er einen Traum: er sieht sich selber in eben diesem Zelte liegen und hört, wie draußen jemand sehr laut lacht. Er will nachschauen, wer’s ist, steht auf, tritt aus dem Zelt und sieht, vor dem Zelte sitzt der Älteste der Baschkiren, hält sich mit beiden Händen den Bauch und schüttelt sich vor Lachen. Er tritt an ihn heran und fragt: »Warum lachst du?« Da sieht er, daß es gar nicht der Baschkire ist, sondern der Kaufmann, der neulich auf der Durchreise bei ihm war und vom Baschkirenlande erzählt hat. Und kaum hat er gefragt: »Bist du schon lange hier?« da verwandelt sich der Kaufmann in jenen Bauern, der aus den Kolonien gekommen war und ihn in der alten Heimat besucht hatte. Dann wieder sieht Pachom, daß es auch nicht jener Bauer ist, sondern der Teufel selbst mit Hörnern und Klauen; er sitzt da und lacht, vor ihm aber liegt ein Mensch, barfuß, nur mit Hemd und Hose bekleidet. Pachom sieht schärfer hin, um den Menschen zu erkennen, da sieht er, der Mann ist tot und ist – er selbst! Pachom erschrickt so, daß er erwacht. »Was man nicht alles träumt!« denkt er beim Erwachen, blickt sich um und sieht durch die offene Tür den Morgen schimmern. »Man muß die Leute wecken,« sagt er sich, »es ist Zeit, aufzubrechen.« Und Pachom stand auf, weckte seinen im Wagen schlafenden Knecht, befahl ihm, anzuspannen, und ging die Baschkiren wecken.
»Es ist Zeit, in die Steppe zu fahren,« ruft er, »und das Land abzumessen!«
Die Baschkiren standen auf und versammelten sich; auch der Älteste kam. Wieder begannen sie, Kumys zu trinken, und wollten Pachom mit Tee bewirten, aber er hatte keine Geduld zum Warten.
»Wenn gefahren werden soll, so fahren wir gleich,« sagte er, »es ist Zeit!«
VIII.
Die Baschkiren beeilten sich; einige von ihnen bestiegen ihre Pferde, andere setzten sich in ihre Wagen, und man fuhr ab. Pachom saß mit seinem Knecht in seinem eigenen Wagen und hatte eine Hacke mitgenommen. Sie kamen in die Steppe, als das erste Morgenrot sich am Himmel zeigte. Auf einer kleinen Anhöhe, einem Schichan, wie die Baschkiren sagen, wurde Halt gemacht. Man stieg von den Pferden und kletterte aus den Wagen. Alle traten zu einer Gruppe zusammen. Der Älteste schritt aus Pachom zu und deutete mit der Hand in die Steppe.
»So weit dein Auge reicht, ist das Land unser,« sagte er, »nun wähle, welches Stück du haben willst.«
Pachoms Augen strahlten: ringsumher Neuland, flach wie ein Handteller, schwarz wie Mohnsamen, wo aber eine kleine Vertiefung ist, wächst mannshohes Gras verschiedener Art.
Der Älteste nahm die Fuchsmütze ab und legte sie auf die Erde.
»Das soll das Merkzeichen sein,« sagte er, »von hier gehe aus, hieher komm’ zurück. So viel Land du umgehst, soll dir gehören!«
Pachom zog das Geld hervor, legte es auf die Mütze, warf den langen Rock ab, so daß er nur die Weste anbehielt, zog den Gürtel fester um den Leib, reckte sich, schob ein Säckchen mit Brot zwischen Hemd und Weste, hing ein Fläschchen mit Wasser an den Gurt, zog die Stiefelschäfte hoch, nahm die Hacke aus den Händen des Arbeiters und stand nun zum Abmarsch bereit da. Er überlegte, welche Richtung er einschlagen sollte; überall war’s schön. »Es ist einerlei,« dachte er, »ich gehe halt dem Aufgang der Sonne zu!« Er stellte sich mit dem Gesicht gen Osten, reckte und streckte sich und wartete, daß die Sonne am Himmelsrande auftauche. »Keinen Augenblick will ich verlieren,« denkt er, »in der Morgenfrische geht sich’s auch leichter.«
Kaum zeigte sich der Rand der Sonnenscheibe am Horizonte, als Pachom die Hacke über die Schulter warf und in die Steppe hinauswanderte. Er ging weder langsam noch schnell. Als er etwa eine Werst gegangen war, blieb er stehen, grub ein kleines Loch und legte Rasenstückchen übereinander, um die Stelle deutlicher zu kennzeichnen. Dann ging er weiter. Er geriet immer mehr in Bewegung und machte schnellere Schritte. Nachdem er eine Zeitlang gegangen war, grub er das zweite Loch.
Pachom blickte sich um. Deutlich sah er den sonnigen Hügel und die Leute darauf; die Eisen an den Wagenrädern glänzten im Sonnenschein. Pachom vermutete, daß er ungefähr fünf Werst gegangen sei. Ihm war warm geworden; er zog die Weste aus, warf sie über die Schulter und schritt wieder vorwärts. Bald wurde es heiß. Pachom blickte zur Sonne auf: es war Zeit zum Frühstück.
»Eine Tagwache ist vorüber,« denkt Pachom, »aber der Tag hat ihrer vier. Noch ist’s zu früh zum Einbiegen. Nur will ich mir die Stiefel ausziehen.« Er setzte sich, zog die Stiefel aus, hing sie an den Gürtel und ging weiter. Das Gehen war jetzt leicht. »Noch fünf Werst ungefähr will ich gehen,« denkt Pachom, »dann biege ich nach links ein. Hier ist der Boden gar so gut, es wäre schade, ihn aufzugeben.« Und je weiter er kam, um so bester wurde das Land. So ging er denn immer noch schnurstracks vorwärts. Als er sich umblickte, konnte er den Hügel kaum noch sehen; die Leute bewegten sich darauf wie Ameisen und die Räder glänzten kaum mehr.
»Na,« denkt Pachom, »in dieser Richtung ist es jetzt genug, – ich muß einbiegen! Und wie ich in Schweiß geraten bin! Muß etwas trinken!«
Er blieb stehen, grub ein etwas größeres Loch, türmte die Rasenstücke aufeinander, band die Wasserflasche vom Gürtel, trank und bog im rechten Winkel nach links ein. Er ging und ging, das Gras wurde höher und die Hitze nahm zu.
Pachom begann zu ermüden. Er blickt zur Sonne auf: schon Mittagszeit. »Na,« denkt er, »dann muß man sich erholen!« – Er bleibt stehen, setzt sich nieder, ißt ein wenig Brot und trinkt Wasser dazu, wagt aber nicht, sich zu legen. »Wenn ich mich jetzt ausstrecke,« sagt er sich, »schlafe ich ein.« Er saß ein Weilchen still und ging dann wieder weiter. Anfangs fiel ihm das Gehen leicht, denn das Esten hatte ihn gestärkt. Aber es war schon gar so heiß und die Schläfrigkeit nahm ihm bald alle Kraft. Trotzdem ging er vorwärts und immer vorwärts und dachte dabei: »Eine Stunde Leiden – ein Lebenlang Freuden!«
So legte er denn auch in dieser Richtung eine große Strecke zurück. Schon wollte er wieder nach links einbiegen, als er an eine feuchte Talsenkung geriet, um die ihm leid war: hier mußte der Flachs so gut gedeihen! Wieder ging er gradaus. Als er an der Talsenkung vorüber war, grub er das Merkloch und machte den zweiten Winkel. Er blickte zum Hügel hinüber: der war in heißen Dunst gehüllt und nur undeutlich zu sehen; die Leute darauf bewegten sich wie im Nebel. »So,« denkt Pachom, »die Längsseite ist gemacht, – die nächste muß kürzer werden!«
Schneller noch als bisher schritt Pachom an der dritten Seite dahin. Die Sonne neigte sich bereits der Vesperzeit zu, und er hatte erst kaum zwei Werst von der dritten Seite zurückgelegt. Und bis ans Ziel waren es immer noch mindestens fünfzehn Werst. »Nein,« denkt Pachom, »wenn mein Landbesitz auch schief wird, ich muß schleunigst gradeaus marschieren. Ich brauche ja nichts Überflüssiges – und das Stück ist ohnedies groß genug.«
Schnell grub er das Loch und wandte sich dann direkt dem Hügel zu.
IX.
Pachom geht schnurstracks auf den Hügel zu, aber das Gehen fällt ihm schon schwer. Er ist in Schweiß gebadet; die nackten Füße sind zerschnitten und zerschunden, und die Beine knicken ihm ein. Er möchte gern ausruhen, doch es darf nicht sein, sonst kann er vor Sonnenuntergang das Ziel nicht erreichen. Die Sonne wartet nicht, sie sinkt tiefer und tiefer.
»Ach,« denkt er, »hab’ ich mich nicht am Ende geirrt und einen zu großen Bogen gemacht? Wie, wenn ich nicht zur Zeit hinkomme?«
Er blickt vorwärts zum Hügel hin und dann hinauf zur Sonne: bis zum Ziel ist’s noch weit, die Sonne aber ist nicht mehr fern vom Horizonte. Pachom eilt vorwärts, und so schwer es ihm fällt, so geht er doch schneller und immer schneller. Er geht und geht, – das Ziel rückt nicht näher. Da setzt er sich in Trab. Die Weste, die Stiefel, die Flasche, die Mütze hat er fortgeworfen, nur die Hacke hält er noch, um sich auf sie zu stützen.
»O weh!« denkt er wieder, »ich hab’ zu viel begehrt und hab’ dadurch alles verdorben, ich komme vor Sonnenuntergang nicht hin!«
Die Angst benimmt ihm den Atem; er rennt vorwärts, Hemd und Hosen kleben an seinem schweißtriefenden Körper, die Kehle ist ihm ausgetrocknet. In seiner Brust arbeitet’s wie mit Schmiedebälgen und sein Herz klopft wie ein Hammer; die Füße versagen den Dienst, als gehörten sie gar nicht zu seinem Körper. Ihm wird angst und bange und der Gedanke kommt ihm, er könnte vor Überanstrengung sterben. Er fürchtet zu sterben, kann aber trotzdem nicht Halt machen.
»So weit bin ich gelaufen,« sagt er sich, »wenn ich jetzt stehen bleibe, nennen sie mich einen Dummkopf!«
Er läuft und läuft. Nun ist er ganz nahe und hört: die Baschkiren quieken und kreischen ihm entgegen, und ihr Geschrei läßt sein Herz noch heftiger schlagen. Er nimmt seine letzte Kraft zusammen. Die Sonne nähert sich bereits dem Himmelsrande, sie ist in Nebel gehüllt, groß und blutigrot. Gleich, gleich wird sie untergehen. Aber auch das Ziel ist nicht mehr fern. Pachom sieht schon, wie die Leute auf dem Hügel ihm winken, ihn durch Zeichen antreiben. Er sieht die Fuchsmütze und auf ihr das Geld; er steht auch den Ältesten, der am Boden sitzt und sich mit beiden Händen den Bauch hält. Da erinnert sich Pachom an seinen Traum.
»Land« – denkt er – »hab’ ich nun viel, aber wird Gott es fügen, daß ich darauf leben kann? O weh, ich hab’ mich zugrunde gerichtet, ich komme nicht hin!«
Pachom blickt zur Sonne empor: sie berührt schon die Erde, der untere Rand ist bereits verschwunden und sie bildet nur noch einen Bogen über dem Rande. Pachom nimmt alle Kraft zusammen, vornübergebeugt rennt er vorwärts, so daß die Füße dem Oberkörper kaum folgen können. Er erreicht den Hügel – plötzlich wird’s dunkel. Er blickt sich um: die Sonne ist bereits untergegangen! Pachom stöhnt auf: »Vergebens war alle Mühe!« denkt er und will stehen bleiben, da hört er, daß die Baschkiren ihm immer noch zurufen. Und es fällt ihm ein, daß es ihm wohl nur so scheint, als sei die Sonne schon untergegangen, daß man sie vom Hügel aus aber wahrscheinlich noch steht. Er schöpft tief Atem und stürmt den Hügel hinauf. Oben ist’s noch hell. Pachom erreicht den Gipfel, steht die Mütze und davor den Ältesten, der sich mit beiden Händen den Bauch hält und dröhnend lacht. Wieder erinnert Pachom sich seines Traumes, stöhnt laut auf, stolpert und stürzt zu Boden, mit den ausgestreckten Händen die Mütze berührend.
»Ei, du wackerer Bursche!« ruft der Älteste, »du hast dir viel Land erobert!«
Pachoms Knecht läuft herbei, um seinem Herrn aufzuhelfen, der aber liegt tot da und aus seinem Munde rieselt Blut.
Die Baschkiren schnalzten zum Zeichen des Mitleids mit den Zungen.
Der Knecht hob die Hacke auf und grub ein Grab, genau so lang, als der Tote vom Kopf bis zu den Füßen war – drei Ellen – und begrub seinen Herrn.